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Oh Schreck! Der gesamte Nahrungsvorrat des Städtchens Eichental wurde über Nacht aus dem Nusslager gestohlen. Keine Spuren eines Einbruchs, keine Verdächtigen, keine Hinweise und sogar die Polizei tappt im Dunkeln. Ein Fall für Nico Nussknacker, den cleversten Detektiv der Stadt. Mit Lupe, scharfem Verstand und guten Freunden macht er sich auf die Suche nach dem Dieb und der Beute. Es bleibt ihm aber nicht viel Zeit, denn bis zum Einbruch des Winters muss das Vorratslager wieder gefüllt sein. Eine spannende Detektivgeschichte für junge Leser ab 6 Jahren zum Vor- und Selberlesen.
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Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Für meinen Sohn
Nicos Erster Großer Fall
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Epilog
In einem kleinen Städtchen, umarmt von flüsternden Wäldern und sanften grünen Hügeln, tauchten die letzten Sonnenstrahlen der herbstlichen Nachmittagssonne eine Welt voller Tiere und Pflanzen in warmes Licht. Die Vögel zwitscherten ihre Lieder, als würden sie sich die neuesten Geschichten erzählen und die Blumen reckten ihre bunten Blüten der Sonne entgegen.
Im Herzen der kleinen Stadt, auf einem Platz, auf dem die Bäume wie große, gold-rote Schirme standen, war ein geschäftiges Treiben. Tiere aller Art kamen hier zusammen, um zu handeln, zu spielen und Neuigkeiten auszutauschen. Da gab es Bienen, die ihren Honig verkauften, Kaninchen, die mit Karotten jonglierten, Spinnen, die feinste Seide anboten, und eine Gruppe Eichhörnchen, die fröhlich um die Wette hüpften. Dies war die Stadt Eichental, ein ruhiger und friedlicher Ort, an dem alle Tiere des Waldes in Harmonie zusammenlebten.
In Eichental wehte eine frische Brise, die die goldenen und roten Blätter der Bäume sanft zum Tanzen brachte. Der Herbst hatte die Stadt in ein buntes Farbenmeer verwandelt, und überall roch es nach feuchter Erde und reifen Früchten. Die Tage wurden kürzer und die Nächte kühler, ein deutliches Zeichen dafür, dass der Winter nicht mehr weit war.
Am Rande von Eichental, direkt unter einer alten Weide, deren Äste und Blätter sich wie ein schattenspendender Vorhang um den Stamm legten, lebte Nico Nussknacker, ein kleines, cleveres Eichhörnchen. Nico war kein gewöhnliches Eichhörnchen, oh nein! Er war ein Detektiv – und nicht irgendeiner, sondern der klügste und mutigste Detektiv weit und breit. Mit seinem scharfen Blick, seinem vertrauten Schlapphut und seiner winzigen Lupe, die er immer bei sich trug, war Nico stets bereit, jedes Rätsel zu lösen, das ihm begegnete. An diesem Nachmittag hatte Nico jedoch nichts zu tun. Er saß ein wenig gelangweilt auf dem kleinen Balkon vor seinem Baumhaus, schaute über die Straße und hoffte, dass bald die Hilfe eines großen Detektivs benötigt werden würde. „Ein friedlicher Tag“, murmelte er vor sich hin, „ein Tag ohne Rätsel ist wie ein Kuchen ohne Krümel. Es fehlt einfach etwas.“
Aber kleine Detektive wie Nico wissen, dass Ruhe oft nichts weiter ist als die Stille vor einem großen Abenteuer.
Nicos Heimat war ein zauberhafter Ort. In Eichental wurden die Häuser der Bewohner mit großer Vorliebe direkt in die Baumkronen der Bäume oder um die mächtigen Stämme herum gebaut. Brücken, Stege, Treppen und Leitern verbanden die Häuser und auch ihre Bewohner miteinander. Die Eichentaler liebten ihre großen, teils bunten Fenster, durch die sie immer das Treiben auf den Straßen oder die raschelnden Blätter der Baumkronen beobachten konnten. Das Stadtbild war außerdem geprägt von den wildesten Anbauten: Jedes Mal, wenn ein Wohnraum zu klein wurde oder ein Bewohner weiteren Stauraum in seinem Haus benötigte, erweiterte er sein Haus einfach, was mitunter sehr chaotisch aussah, aber zum eigentümlichen
Charme beitrug. In den besonders alten Straßen der Stadt war für das ungeübte Auge kaum noch zu erkennen, wo das eine Haus aufhörte und wo das nächste Haus begann.
Die Fassaden der Baumhäuser waren oft mit Moos und Blumen geschmückt und kleine Fenster zierten die Dachschrägen und glitzerten, wenn die Sonne darauf schien. Quer durch Eichental plätscherte ein klarer, fröhlicher Bach, dessen Wasser von den Bergen im Norden kam und das Geschichten aus fernen Ländern zu erzählen schien.
Am Bach entlang führte ein gepflasterter Weg zu dem großen Marktplatz, auf dem man alles finden konnte, was das Herz begehrte. Es gab Stände mit frischen Früchten, würzigen Kräutern und köstlichen Nüssen – die Lieblingsspeise fast aller Einwohner Eichentals. Über dem Marktplatz hingen bunte Girlanden aus Blättern und Blüten, und wenn der Wind durch die Stände wehte, klang es fast so, als würde der Marktplatz singen.
Ganz am nördlichen Ende des Platzes, dort wo die Sonne am wärmsten schien, stand die alte Eiche, die als Rathaus diente. Sie war der größte Baum in Eichental mit Wurzeln, so stark wie die Fundamente einer alten Burg und Ästen, die hoch in den Himmel ragten. Im Rathaus arbeiteten die weisesten Tiere der Stadt. Sie sorgten dafür, dass alles seine Ordnung hatte und jeder Eichentaler glücklich war. Von seinem Büro in einem der oberen Stockwerke des Rathauses hatte Bürgermeister Wilhelm Weidenherz eine gute Sicht über den Marktplatz und die dahinterliegende Ahornallee. Die Ahornallee verband den großen Marktplatz im Norden mit dem Eichental-Bahnhof im Süden, von wo aus der Waldland-Express seine Fahrgäste in viele andere Orte des Waldes brachte.
Nico liebte es, durch die Straßen von Eichental zu schlendern und die kleinen Wunder des Alltags zu beobachten. Er grüßte die Ameisen, die in einer langen Linie marschierten und Blätter, kleine Zweige und Kieselsteine trugen, die doppelt so groß waren wie sie selbst. Er lachte mit den Waschbären Pascal und Rascal, die immer versuchten, die glänzendsten Steine im Bach zu finden. Er war beeindruckt von den Erdhügeln, die Moritz der alte Maulwurf auftürmte und er nickte dem alten Frosch Bartholomäus zu, der auf einem Stein im Bach saß und jedem vorlas, der ihm zuhören wollte.
Aber was Nico am meisten liebte, waren die Geheimnisse, die in jeder Ecke lauerten. Er wusste, dass hinter jedem Flüstern unter jedem Stein und in jedem Blatt eine Geschichte darauf wartete, entdeckt zu werden. Und er, Nico Nussknacker, war genau der Richtige, um diese Geschichten ans Licht zu bringen.
So saß Nico auf seinem Balkon und beobachtete die Welt um ihn herum. Seine winzigen Pfoten ertasteten die Lupe in seiner Manteltasche, das wichtigste Werkzeug eines jeden Detektivs. Um seinen Körper schmiegte sich ein alter, aber gut gepflegter brauner Mantel, der an den Säumen weich war vom vielen Gebrauch. Auf seinem Kopf saß ein kleiner dunkelgrauen Schlapphut – genau wie der von seinem großen Vorbild Sherwood Holzwurz, dem berühmtesten Detektiv des Waldes.
Sherwood war eine Legende, ein Meister der Rätsellösung, der mit scharfem Verstand und unerschütterlicher Geduld jedes noch so knifflige Geheimnis des Waldes entwirrte. Nico hatte jedes seiner Abenteuer gelesen, die in alten, ledereingebundenen Büchern in der Kastanienbibliothek aufbewahrt wurden. Viele Nachmittage verbrachte er damit, in den Seiten dieser Bücher zu schmökern, immer in der Hoffnung, eines Tages genauso schlau und scharfsinnig zu werden wie sein Held. Mit einem nachdenklichen Blick strich Nico über den Stoff seines Mantels und richtete dann seinen Hut. Er wusste, dass ein guter Detektiv immer auf das Unerwartete vorbereitet sein musste. Und in Eichental, wo die Bäume Geschichten flüsterten und der Wind Geheimnisse pfiff, konnte das Unerwartete schnell zur Wirklichkeit werden.
Ein Geräusch riss Nico aus seiner Langeweile: das leise Knacken eines Zweiges – ein Geräusch, das in der Stille des Nachmittags nicht unbemerkt blieb. Seine Augen blitzten auf, und sofort begann das kleine Eichhörnchen, die Umgebung zu untersuchen.
Nico hüpfte vom Stuhl und schaute sich genauer um. In einem Zweig nahe seinem kleinen Balkon hing ein kleines, zerfleddertes Stück Papier. Es wurde wohl gerade erst vom Wind hierher geweht und raschelte nun, als wollte es sich aus dem Zweig befreien. Nico pflückte das Stück Papier aus dem Ast, in dem es hängen geblieben war, und zückte seine Lupe, um es genauer zu untersuchen. „Stark verschmutzt, die Schrift kaum noch zu entziffern, an einer Seite abgerissen, beidseitig bedruckt, auf der Rückseite befindet sich eine Zeichnung. Irgendein Gebäude, vielleicht? Das Papier ist feucht, vermutlich ist es durch den Regen heute Morgen nass geworden. Könnte es eine Seite aus einem Buch sein?“ – Nico wusste, dass es bei der Lösung von Rätseln manchmal auf die kleinsten Details ankommt, daher untersuchte er das Stück Papier genau.
Da er den Text aber leider nicht mehr lesen konnte, nachdem er von Regen, Wind und Schmutz schon völlig verschmiert war, konnte er unmöglich sagen, ob und falls ja, aus welchem Buch dieses Stück Papier stammt.
Was er aber noch erkennen konnte, war, dass der Text sehr ordentlich geschrieben war. „Es handelt sich vermutlich um einen gedruckten und nicht um einen handschriftlichen Text.“, schlussfolgerte das kleine Eichhörnchen.
Nico hatte sofort eine Idee, wer ihm im Fall des verschmierten Zettels weiterhelfen könnte: Linde Leseblatt, die gelehrte Eule und Bibliothekarin von Eichental. Linde verwaltete in der Kastanienbibliothek die Geschichten des Waldes und die Berichte, die sie von Reisenden aus fernen Ländern aufgeschnappt hatte. Sollte das Blatt tatsächlich aus einem Buch stammen, dann würde Linde ihm bestimmt bestens weiterhelfen können. Nico wusste, dass Linde sehr sorgfältig mit ihren Büchern umging. Sollte das Blatt also sogar aus einem ihrer Bücher stammen, würde sie bestimmt davon wissen wollen.
Mit dem Zettel in der Pfote machte sich Nico auf den Weg zur Bibliothek, die in einer stattlichen alten Kastanie untergebracht war, deren breite Äste wie offene Arme in den Himmel ragten. Die Kastanienbibliothek war bekannt für ihre Sammlung von Geschichten und Weisheiten, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Außerdem verfügte sie über die größte Sammlung von Abenteuergeschichten, Reiseberichten, Sachbüchern, Lexika und historischen Berichten, die Nico jemals gesehen hatte.
Nico kannte die Bibliothek nur zu gut. So viele schöne Nachmittage hatte er bereits auf den schattigen Terrassen in den Ästen des Baumes verbracht und die spannenden Geschichten um Sherwood Holzwurz gelesen. Die Bibliothek befand sich im ersten und zweiten Obergeschoss der großen Kastanie und im Erdgeschoss hatte Linde ihre eigene bescheidene kleine Wohnung eingerichtet. Von der einfachen Eingangstür führte eine knarrende und quietschende Treppe direkt in die Bibliothek. In der Mitte des Raumes befanden sich viele Tische, an denen Interessierte über den unterschiedlichsten Büchern saßen und diese lasen, ohne einen Mucks von sich zugeben. Um die Tische herum standen viele deckenhohe Regale voller Bücher, deren Gewicht manche Regalböden bereits zum Durchhängen brachten. Der Raum war durchflutet mit dem Licht der späten Nachmittagssonne, das durch die ebenfalls deckenhohen Fenster fiel. Weiter hinten und von den Bücherregalen verdeckt war die kleine Wendeltreppe, die in die obere Etage führte, wo noch viel mehr Bücher aufbewahrt wurden. Überall roch es nach Papier und Holz, zwei von Nicos Lieblingsdüften.
Linde Leseblatt, die gelehrte Eule und Hüterin der Bücher, wachte über dieses Reich des Wissens. Ihr Federkleid war so makellos wie die Seiten der Bücher, die sie pflegte, und ihre klugen Augen verpassten nichts, was in ihrem Haus der Literatur vor sich ging.
„Linde!“, rief Nico, als er die Treppe hoch in den Lesesaal gelaufen kam. Ein Igel mit Lesebrille, der gerade von seinem Buch aufschaute, zischte nur „Ruhe, bitte!“ und Nico dämpfte sofort die Stimme.
„Das hier habe ich auf meinem Balkon gefunden. Können Sie mir helfen, herauszufinden, woher diese Seite kommt?“, flüsterte er der weisen Eule zu und wedelte mit dem Stück Papier.
Linde Leseblatt betrachtete die Seite und runzelte nachdenklich die Stirn. „Das sieht für mich aus wie eine Seite aus einem alten Buch“, erklärte sie und kniff die Augen zusammen, um einzelne Worte in dem verschmierten Text zu entziffern. “Ich glaube, das ist ein Text über unsere alljährliche Vorratsschau.“, sagte sie, während sie angestrengt die Zeilen überflog.
Nico blickte interessiert auf. „Stimmt ja, morgen ist ja schon die große Vorratsschau. Ich freue mich schon seit Wochen darauf und auf all die großartigen Leckereien, die wir dort verputzen
können: Die gepufften Maiskörner, die gerösteten Kastanien, der Heidelbeerpudding und natürlich der herrliche Nusskuchen von Ida Igelkorn! Seltsam, dass ausgerechnet einen Tag vor dem großen Fest so ein Text zu mir herübergeweht wird.“
„Oh ja, es ist immer ein reiches Fest, aber auch eine alte Tradition.“, sagte Linde mit gedämpfter Stimme. „Wir öffnen das Vorratslager, damit jeder sehen kann, wie gut wir durch den Winter kommen werden. Es ist eine Zeit des Feierns und des Teilens. Du kannst mir das Blatt geben, ich werde nachsehen, ob ein unvorsichtiger Besucher es versehentlich aus einem der Bücher gerissen und es anschließend, um sein Missgeschick zu verbergen, achtlos aus dem Fenster geworfen hat.“
Nico gab ihr die Seite zurück. „Ich hatte gehofft, dass sich ein großes Rätsel dahinter verbirgt, dass nur vom besten Detektiv Eichentals aufgeklärt werden kann.“, sagte Nico leise und zog dabei begeistert seine Lupe aus der Manteltasche, als wollte er keinen Zweifel daran lassen, dass er über sich selbst gesprochen hatte.
Linde nickte gut gelaunt. „Was nicht ist, kann ja noch werden.“, flüsterte sie grinsend, während sie das Papier auf einen der freien Tische in die Sonne legte und an den Ecken mit dicken Büchern beschwerte, um es zu trocknen und gleichzeitig zu glätten.
Nico verabschiedete sich und verließ die Kastanienbibliothek, um den Rest des Tages noch die letzten Sonnenstrahlen der Herbstsonne auf seinem Balkon zu genießen. Er ahnte nicht, dass Linde mit ihrer letzten Bemerkung voll ins Schwarze getroffen hatte und die unscheinbare Buchseite bald im Mittelpunkt eines großen Rätsels stehen würde.
Eichental war an diesem Morgen ein Ort voller Vorfreude und Festlichkeit. Überall in der Stadt wurden bunte Girlanden aufgehängt und es wurden Jahrmarktsstände für die jährliche Vorratsschau vorbereitet. Nico konnte es kaum erwarten, die leckeren Gerichte zu probieren, die es nur einmal im Jahr zu diesem besonderen Anlass gab und zur Musik der Eichentalband ‚Die Pilze‘ das Tanzbein zu schwingen. Er freute sich auch auf das gesellige Beisammensein mit all den anderen Bewohnern Eichentals, das wohl wieder bis in die frühen Morgenstunden andauern würde.
Auf seinem Morgenspaziergang wollte Nico sehen, wie weit die Vorbereitungen für das abendliche Fest auf dem Tannenwinkelplatz – dem Ort, an dem das große Vorratslagerhaus Eichentals stand und auf dem die Vorratsschau gefeiert werden würde, vorangekommen waren.
Der Tannenwinkelplatz war ein der zweitgrößte Platz in Eichental, nur übertroffen von dem großen Marktplatz im Norden der Stadt. Im Nordosten des Platzes wuchsen hauptsächlich Laubbäume wie Eichen, Kastanien, Buchen und Birken. Im Südwesten des Tannenwinkelplatzes wuchsen dagegen Nadelbäume wie Fichten, Kiefern, Lärchen oder Tannen.
In der Mitte des Platzes stand der alte Holzstumpf eines Baumes, der zu seinen Lebzeiten riesig groß gewesen sein musste. Der Stumpf war dicker als die meisten Bäume in Eichental, und obwohl der Baum bereits vor der Gründung Eichentals abgebrochen war, ragte sein Stumpf fast genau so weit in den Himmel wie die Stämme aller umstehenden Bäumen.
Das Innere des Stumpfes diente den Bewohnern Eichentals als Vorratslager. Die Nüsse wurden das ganze Jahr über von fleißigen Sammlern geerntet und durch ein grobes Gitter auf dem Dach des Lagerhauses von oben in einen Auffangbehälter im Inneren geworfen.
Nico wusste, dass dieser Vorrat erst dann wirklich voll war, wenn die ersten Nüsse vom Dach des Lagerhauses herunterfielen, weil sie nicht mehr in den Behälter hineinpassten. Zumindest war es das, was man den Kindern Eichentals erzählte. In Wahrheit platzierten die Sammler gegen Ende des Herbstes, wenn die Vorratsschau kurz bevorstand, oft ein paar Nüsse am Fuße des alten Baumstumpfes. Die Eltern erzählten ihren Kindern dann immer, dass das Lager schon so voll sein müsse, dass die Nüsse bereits oben aus dem Lager wieder herauskullerten. Nüsse, die auf dem Boden des Tannenwinkelplatzes lagen – so wusste es jedes Kind – durften mitgenommen und vernascht werden.
Zu dieser Jahreszeit lagen meist so viele Nüsse auf dem Boden vor dem Lager, dass von überall her junge Mäuse, Eichhörnchen, Spatzen und Waschbären darauf lauerten, selbst eine der überschüssigen Nüsse zu ergattern.
Heute jedoch herrschte am Tannenwinklelplatz ungewöhnliche Aufregung statt der sonst so heiteren Stimmung. Eine Gruppe nervös und besorgt aussehender Tiere versammelte sich jetzt um den ansonsten verschlossenen Eingang des Lagerhauses.
Nico erblickte zwei bekannte Gesichter: Pauli Panzer, die alte und immer ruhige Schildkrötenpolizistin, und Sven Streifenfell, den jungen, etwas unbeholfenen Polizeineuling. Sven war ein schlaksiges Stinktier, dessen Uniform ihm einige Nummern zu groß war. Die beiden schienen gerade alle Pfoten voll zu tun zu haben, besorgte Fragen der anwesenden Bewohner zu beantworten.
„Was ist hier passiert?“, fragte Nico, als er sich durch die Menge der anderen Tiere drängte.
Pauli Panzer sah zu ihm hinunter, ihre Augen hinter einer runden Brille versteckt. „Nico, ein großes Problem. Der ganze Nussvorrat ist verschwunden. Ausgerechnet heute, am Tag der Vorratsschau.“
Neben ihr stand ihr Kollege Sven, dessen Polizeimütze verkehrt herum auf dem Kopf saß und dessen Uniformjacke falsch geknöpft war. „Und es war so viel!“, rief er aus. „Ein riesiger Haufen Nüsse, einfach weg!“
„Hat jemand etwas Verdächtiges gesehen?“, fragte Nico neugierig.
Pauli schüttelte langsam den Kopf. „Nein, es gibt keine Hinweise. Es ist, als ob die Nüsse sich in Luft aufgelöst hätten.“
Sven lehnte sich vor und flüsterte: „Ich sage dir, es war ein Außerirdischer! Das ist die einzige plausible Erklärung! Ein Außerirdischer, der den gesamten Vorrat auf sein Raumschiff teleportiert hat. Vermutlich wachsen auf seinem Heimatplaneten keine Nüsse.“
Pauli seufzte. „Sven, bitte. Wir müssen realistisch bleiben. Wir suchen nach einem oder mehreren Dieben, nicht nach Außerirdischen.“
Sven grinste breit, seine Mütze rutschte dabei noch ein Stück weiter ins Gesicht. „Ich dachte nur, ein bisschen Fantasie könnte in diesem Rätsel helfen.“
Nico beobachtete das ungleiche Polizistenpaar – Paulis ruhige und erfahrene Art und Svens überschwängliche Fantasie – und dachte nach. Vielleicht konnte er – der mutigste Detektiv Eichentals - bei der Lösung dieses Rätsels helfen.
Er betrachtete das unruhige Treiben um den leeren Nussspeicher, zu dem sich nach und nach immer mehr Einwohner Eichentals gesellten. Sven Streifenfell in seiner schlampig geknöpften Uniform versuchte noch immer, die aufgeregten Bewohner zu beruhigen, während Pauli Panzer bedächtig ihre Gedanken sammelte.
„Ich möchte helfen.“, sagte Nico entschlossen und trat näher an das Polizistenduo heran. „Ich bin vielleicht kein Polizist, aber ich habe ein gutes Auge für Details und ich kombiniere blitzschnell.“
Pauli Panzer sah ihn mit einem anerkennenden Blick an. „Nico, deine Hilfe ist uns sehr willkommen. Wir können jeden scharfen Verstand gebrauchen, um dieses Rätsel zu lösen.“