Nie der einfache Weg - Jürgen Rupprecht - E-Book

Nie der einfache Weg E-Book

Jürgen Rupprecht

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Beschreibung

Weihnachten, Fest der Liebe und Besinnlichkeit. Da trübt der Tod des Pfarrers in dem beschaulichen keinen Dorf Leinsweiler an der Pfälzer Weinstraße die festliche Stimmung. Weniger das Ableben selbst, als vielmehr die Umstände, wie der Geistliche gefunden wurde, erregten die Gemüter. Während die Polizisten vor Ort in dem Fall nichts weiter als einen bedauerlichen Selbstmord sehen, ahnt Sascha Weber, dass hinter diesem Freitod mehr steckt als sich auf den ersten Blick erahnen lässt. Alleine macht er sich daran den Fall zu lösen. Doch bald merkt er, dass auch er ins Visier des Killers geraten ist.

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

Kapitel VIV

Kapitel XV

Kapitel XVI

Epilog

Prolog

Dezember 1982. Thomas war wild entschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, wenn sein toller Stiefvater, der geniale Superpolizist, schon nichts gegen diese Bande unternehmen wollte. Er wusste, dass sie heute alle Holgers Geburtstag in der Grillhütte feiern würden, vor der er so oft mit Laura gesessen und den Sonnenuntergang über der Triefels beobachtet hatte. Es war der schönste Platz auf Gottes Erden, eingebettet in die bewaldeten Pfälzer Berge, mit freier Sicht übers Tal und auf die noch fast völlig erhaltene Hauptburg der Staufer. Sein Plan war einfach, er würde warten, bis alle betrunken waren, die Tür verrammeln und die Holzhütte dann anzünden. Da er noch Zeit hatte, ging er zum Grab seiner Mutter. Wie hatte sie nur diesen Feigling heiraten können, der ihn jetzt so in Stich ließ. Thomas schaute auf die Uhr. Es war erst später Nachmittag, aber es wurde schon dunkel. War es heute überhaupt hell geworden? Er fuhr zu seiner Freundin Laura. Seit der Vergewaltigung wich sie seinen Umarmungen aus. Sie reagierte nicht mehr auf das, wenn er zu ihr sprach. Die, die ihr das angetan hatten, würden heute Nacht bezahlen, aber würde das ihre Beziehung retten? Um 22 Uhr küsste er Laura zum Abschied und spürte, wie sie vor ihm zurückzuckte. Thomas hatte Tränen in den Augen, als er wenig später mit seinem Auto, einem VW Käfer, die enge Bergstraße zur Grillhütte hinauf fuhr. Durch die gespenstisch dunklen Bäume schimmerten die entfernten Lichter von Anweiler herauf. Die schwachen Scheinwerfer seines Käfers beleuchteten nur die Bäume, die unmittelbar vor ihm in seinem Sichtfeld auftauchten. Weil sein Auto nicht gerade leise war, stellte er es fast einen Kilometer vor seinem Ziel in einem Waldweg ab. Er öffnete den Kofferraum und nahm den Benzinkanister, den er am Vormittag gefüllt hatte. Er war extra zu einer Tankstelle in Landau gefahren, damit, falls die Polizei Ermittlungen aufnehmen würde, er es ihnen nicht all zu leicht machte. Insgeheim hoffte er, dass sein toller Stiefvater, dieser große Kriminologe, die Ermittlungen leiten würde. Dann hätte er nichts zu befürchten, was aber nicht an den familiären Banden lag, die sie verbanden. Thomas lief den Rest der Stecke zu Fuß. Im Schutz der Bäume beobachtete er die Grillhütte. Wie er vermutet hatte, waren die Partygäste vor der Kälte in den Innenraum geflüchtet und feierten jetzt dort weiter. Aus der Hütte drang laute Musik, der neue Song von Falko: „Der Kommisar“ dröhnte durch die nächtliche Stille. Thomas fand das Lied passend, er nahm seinen Benzinkanister und schlich, so dass man ihn von den Fenstern aus nicht sehen konnte, zur Holzhütte. Mit einem Stamm verkeilte er die Tür und goss dann das Benzin an die Holzwände. Die Eisengitter vor den Fenstern, die nach einigen Einbrüchen angebracht worden waren, machten die Feuerfalle perfekt. Er nahm sein Feuerzeug aus der Jackentasche - er zitterte vor Kälte - erst nach drei Versuchen gelang es ihm, eine kleine Flamme zu entzünden. Er beugte sich zur Wand, es waren nur noch Zentimeter, da spürte er einen unmenschlichen Schlag am Hinterkopf. Augenblicklich wurde alles um ihn schwarz, bewusstlos sank er zu Boden. Als er wieder zu sich kam, lag er auf dem Tisch in der Hütte. Er brauchte etwas Zeit, um zu realisieren, was passiert war. Um ihn herum stand die verhasste Bande. Er lag auf dem Rücken, Arme und Beine waren gefesselt, und er konnte sich nicht bewegen. Einer schrie: „Schaut, das Schwein ist aufgewacht!“ Thomas glaubte, die Stimme von Holger erkannt zu haben, dann beugte Marco sich in sein Sichtfeld. Er schwang triumphierend sein Jagdmesser vor Thomas' Gesicht. „Du wolltest uns also anzünden?“ zischte er und sein Gesichtsausdruck zeigte Hass und Abscheu. Im selben Moment spürte Thomas einen Schlag in den Unterleib, der ihm die Luft raubte. Als er wieder Luft bekam, sah er voller Panik, wie Marco die Spitze seines Jagdmessers nur Millimeter von seinem Augapfel entfernt hielt: „Schlag noch mal zu, mal sehen, ob er zuckt!“, forderte Marco einen der Jungs auf. Wieder raubte der Schlag Thomas die Luft, aber mit aller Willenskraft drückte er seinen Kopf an die Tischplatte. Dann sagte Marco: „Ich muss was mit Holger besprechen, amüsiert euch gut mit dem Schwein.“ Die Jungs schlugen wie von Sinnen auf ihr wehrloses Opfer ein. Das Letzte, was Thomas hörte, war die Melodie zu: „Ein bisschen Frieden“, der deutsche Song, der im Sommer den Grand Prix gewonnen hatte. Marco und Holger brauchten nicht lange, um zu dem unvorsichtig in einem Waldweg abgestellten Auto ihres Opfers zu gelangen. Dankbarerweise hatte Thomas seinen Käfer nur wenige Meter in den Seitenweg gefahren. Holger gab Marco den Autoschlüssel, den er Thomas aus der Hosentasche genommen hatte. Es war ein glücklicher Zufall gewesen, dass er noch einmal schnell in den Ort gefahren war, weil er zu wenig Bier mitgebracht hatte. Aufgefallen waren ihm zuerst nur die Reflexionen der Rücklichter. Als er dann den Käfer gesehen hatte, wusste er sofort, dass Gefahr drohte. Er hatte seinen Wagen abgestellt und war den Rest der Strecke zurückgelaufen; sicher wäre fahren schneller gewesen, doch nur so hatte er den Überraschungsmoment auf seiner Seite. Bei der Hütte angekommen, hatte er gesehen, wie Thomas mit dem Benzinkanister ums Haus schlich. Gerade noch rechtzeitig - Thomas hielt schon das brennende Feuerzeug in der Hand - konnte er ihn niederschlagen. Nun Marco fuhr den Käfer, Holger folgte mit seinem Opel Kadett. Als sie wieder zurück in der Hütte waren, steckte Marco dem besinnungslos geprügelten Thomas einen Schlauch in den Hals und füllte fast einen Liter Schnaps in sein bewusstloses Opfer. Der Schluckreflex mag manchmal hilfreich sein, in diesem speziellen Fall aber war er tödlich. Dann schleiften sie Thomas zum Opel und warfen ihn in den Kofferraum. Mit beiden Fahrzeugen fuhren sie durch den Ort auf die Bundesstraße. Ihr Ziel war kurz vor Pirmasens. Mit vereinten Kräften hievten sie den leblosen Thomas hinter das Steuer seines Käfers. Lachend schoben sie den Wagen über den Rand der vierzig Meter hohen Bücke, die das Tal der Queich überspannte. Frohgelaunt fuhren sie im Kadett zurück und feierten weiter, als wäre nie etwas geschehen.

I

23. Dezember 2009. Pfarrerin Keller hatte alle Vorbereitungen für die bevorstehende Generalprobe des örtlichen Kirchenchors getroffen. Gemächlichen Schrittes ging sie durch die Bankreihen, schaute aufmerksam nach rechts und links, ob die Putzfrau in der Eile nicht etwas übersehen hatte, um dann die große Eichentür aufzuschließen. Es war 9 Uhr, genug Zeit, ihre Sutane anzuziehen und vielleicht noch einen Kaffee im Pfarrhaus zu trinken. Sie war gerade an der Tür angekommen, als sie ein Geräusch hörte, das sie innehalten ließ. Langsam drehte sie sich um und versuchte in dem düsteren Raum etwas zu erkennen, aber da war nichts. Sie wollte es gerade als Hirngespinst abtun und sich dem Türschloss widmen, als sie das Geräusch schon wieder hörte. Sie wusste nicht, was es war, sie konnte es nicht zuordnen, aber jetzt war es näher gekommen und klang lauter. Ihre Blicke huschten über die Bänke zum Altar, nur da war nichts: „Ist da jemand?“, rief sie. Doch sie bekam keine Antwort. Sie nahm all ihren Mut zusammen und fragte nun lauter: „Ist da jemand?“ Zwei, drei Sekunden hörte sie nichts, dann einen ohrenbetäubenden Schlag. Über ihr auf der Empore war jemand. Sie rannte los, zwischen den Bänken, sie wollte zum Hinterausgang. Doch gerade als sie die vorderen Reihen passiert hatte, spürte sie einen Schlag am Hinterkopf, ihre Beine versagten den Dienst, sie stolperte und alles um sie herum wurde schwarz. Als sie aus ihrer Benommenheit erwachte, bemerkte sie zuerst den Strick um ihren Hals, sie saß auf etwas Hartem und ihr Rücken lehnte an kaltem Stein. Dann zog jemand an ihren Beinen, sie rutschte von ihrer Sitzunterlage und das Seil um ihren Hals zog sich erbarmungslos zu. Verzweifelt wand sie sich im Todeskampf, um Luft zu bekommen, doch der Angreifer war zu stark. Wie ein Schraubstock hielt er sie fest. Das letzte, was die Geistliche im Diesseits sah, war das Kreuz über ihrem Altar.

Langsam trafen die letzten Mitglieder des Kirchenchors auf dem kleinen Platz vor der evangelischen Kirche in Leinsweiler ein. Es war ein schmuckes kleines Gotteshaus, wunderschön in den Hang gebaut. Ungewöhnlich an dem Sandsteinbau war, dass der Turm gotisch, der Rest des Gebäudes aber in romanischem Stil erbaut worden war. Es schneite leicht und der Boden war schon vollständig mit Schnee bedeckt. An diesem 23. Dezember sah es so aus, als würde es seit langem die ersten weißen Weihnachten geben. Die Probe des Chors war um 10 Uhr von der Pastorin angesetzt worden, jetzt war es schon einige Minuten nach der vereinbarten Zeit. In dem Gotteshaus brannte Licht. Normalerweise war Pfarrerin Keller immer eine halbe Stunde vor dem Chor in der Kirche und bereitete alles vor. Hannah Mühlbauer, die Leiterin des Chors, trat an das große Portal und rüttelte hilflos am Türgriff. Die Gruppe wurde unruhig, schon bemerkte der erste: „Sie hat garantiert verschlafen“ und ein anderes Mitglied: „Normal, auf Frauen muss man immer warten.“ Hannah hatte genug von derlei Äußerungen, sie beschloss nach der Pastorin zu schauen. Sie lief um das Gebäude zum Hintereingang, den Maria Keller nahm, wenn sie von ihrem Pfarrhaus zur Kirche ging. Zwei junge Männer, Heiko Beller und Normen Walz, der Organist, folgten ihr. Diese Tür war jedoch auch verschlossen. Hilfesuchend sah sie in die Gesichter ihrer Begleiter und entdeckte darin die Frage, die sie sich auch stellte, warum sollte die Pastorin sich in ihrer Kirche einschließen? Dann trat Normen vor: „Die Tür klemmt öfters, lass mich mal.“ Entschlossen riss er an der Tür, die knarrend aufging. Durch einen keinen Ankleideraum, in dem die Sutane noch frisch gebügelt und unberührt am Hacken hing, gelangten sie hinter den Altar. Hannah schrie erschrocken auf, so dass der schrille Schrei im hellhörigen Kirchschiff schallte. Ihre Begleiter sahen fassungslos zum Altar, über dem ihre Pfarrerin mit Rock und Bluse bekleidet hing. Langsam ging Normen zu dem Leichnam. Er erschauerte, als er in roter Farbe das Wort „Schuldig“ an der Wand hinter dem Altar las. Unwillkürlich wanderte sein Blick an der Geistlichen herab, bis zum im Todeskampf hochgerutschten Rock. Er erstarrte, als er erkannte, dass die Pastorin ein Mann gewesen war.

Klaus Steeger, langhaariger Harleyfahrer mit vierzig Lenzen auf dem Rücken und fast genau soviel Pfunden Übergewicht, war einer der erfolgreichsten Ermittler der Pfälzer Polizei. Er sah auf die Uhr, es war zehn Minuten nach Dienstbeginn und er saß hier alleine. Es passte ihm nicht, dass sein Freund und Vorgesetzter Sascha Weber - dieser war fast zehn Jahre jünger als er, hatte schon lichtes Haar und wog fast 120 Kilo, was bei knapp über 1,80 schon reichlich war - seit er Vater geworden war, ständig zu spät kam. Ihn nervte es, dass seine neuen Kollegen Markus Hirnmeisee und Dario Scholz ständig in seinem Büro auftauchten und Kaffee schnorrten. Das Schlimme war nicht, dass sie sich ohne zu fragen bedienten, oder dass er scheinbar alleine für die Reinigung des Kaffeevollautomaten verantwortlich schien. Auch war es kein Beinbruch, dass keiner Kaffeebohnen, Milch oder Zucker mitbrachte, nein, ihn störte, dass sie am Feierabend die schmutzigen Tassen einfach stehen ließen. Klaus sah müde auf seine noch halb gefüllte Kaffeetasse, vielleicht brauchte er auch nur einfach Urlaub; heute noch und dann hatte er von Weihnachten bis Neujahr frei. Neun Tage, in denen er bei seiner Freundin sein, an seiner Harley schrauben oder einfach nur auf dem Sofa alle Viere von sich strecken konnte. Dann fiel ihm aber ein, dass er ein Wintersporthotel gebucht hatte und seine Miene verfinsterte sich. Wie hatte er sich nur von seiner Freundin dazu breitschlagen lassen können? Er hasste Sport. Jäh wurde er aus seinen Gedanken hochgeschreckt, als Markus, ohne anzuklopfen, die Tür aufriss und zielstrebig zum Kaffeeautomaten schritt: „Morgen, Sascha noch nicht da?“ grüßte ein für die Uhrzeit ungewöhnlich gut aufgelegter Markus Hirnmeise. Er war fast 50 Jahre alt, hatte silbergraues Haar und wirkte mit seinen fast zwei Metern Länge sehr schlank. Es sah fast so aus, als würden ihm seine Kollegen heimlich die Mahlzeiten wegessen. Er grinste über beide Backen und nahm eine Tasse vom Regal. „Habt ihr zu Hause keine Türen? Und klopfen, davon schon mal was gehört?“, maulte Klaus. „Dario kommt noch.“ Auf den Vorwurf wegen des Klopfens ging Markus gar nicht erst ein. Geübt stellte er eine Tasse in den Automaten und drückte die Espressotaste auf doppelt.

Es war ein Saeco Kaffeevollautomat mit integriertem Mahlwerk, einem Pumpendrucksystem, Milchaufschäumer, ein Traum. Kurz darauf ertönte das Mahlwerk, das die frischen Kaffeebohnen zu Pulver mahlte. Dario stürmte ins Zimmer, er war der jüngste Beamte im Team, Mitte zwanzig, sportlich mit dichtem schwarzem Haar. Schwungvoll setzte er sich auf Klaus’ Schreibtisch und räumte ihn fast vollständig ab. „Mir auch einen Doppelten, Markus.“ - „Pass doch auf, wo du dich hinsetzt!“, fuhr Klaus den Neuankömmling an. „Heh, Opa mach dich locker, ab morgen ist Urlaub“ antwortete Dario belustigt. „Nicht für dich! Brieföffner eitern ganz schlecht wieder raus und der Kaffee im Krankenhaus soll scheiße sein, also schwinge deinen Arsch von meinem Tisch und setz dich auf einen Stuhl, wie es dir dein ständig besoffener...“ - „Halt, halt!“, fiel Markus ihm ins Wort: „Jetzt beruhigen wir uns wieder, morgen ist das Fest der Liebe, da brauchen wir kein Blutbad. Dario, setze dich anständig hin!“ - „Keinen Sex gehabt heute Nacht?“, maulte Dario, als er aufstand, um sich auf den Stuhl vor Saschas Schreibtisch zu fläzen. In diesem Moment betrat Sascha den Raum, er war in den letzten Wochen deutlich abgenommen, zumindest spannte das Hemd nicht mehr über seinem immer noch riesigen Bauch. Tiefe, schwarze Ränder unter den Augen zeigten, dass er auch in dieser Nacht kaum geschlafen hatte. Müde schleppte er sich an den Kaffeeautomaten, sein Jackett war nicht gebügelt, die lichten Haare nicht gekämmt: „Morgen. Sorry, dass ich so spät komme. Der Schnee da draußen, da ist kaum ein Durchkommen!“ - „Ja, mit dem Löffelchen im Babymund vielleicht, du hast noch Brei auf dem Hemd!“, antwortete Dario belustigt und freute sich diebisch darüber, dass Sascha mit seinen Händen übers Hemd strich und „Wo?“ brabbelte. „Nimm dir doch Urlaub, es geht so nicht weiter. Schlaf dich mal wieder richtig aus“, ermahnte Klaus seinen Freund. Er selbst hatte Sascha in den Jahren, in denen sie jetzt ein Team waren, noch nie so fertig gesehen, nicht einmal, als der Polizeiarzt sie damals zusammen in der Kantine stehen gesehen und ihnen die körperliche Eignung für den Polizeidienst abgesprochen hatte. Sie mussten drei Kilometer rennen, Sascha brach hinter der Ziellinie zusammen. Er übergab sich, bis er nur noch Galle kotzte. Doch Sascha schüttelte nur den Kopf und starrte geistesabwesend auf seine Kaffeetasse. „Schneeballschlacht?“ versuchte Markus die Stimmung aufzulockern. Kurz darauf hatten sie im Hof des Präsidiums Stellung bezogen. Aus seinem Bürofenster beobachtete der Polizeichef das muntere Treiben auf dem Hof. Karl Bergmann war Ende fünfzig, hatte seine wenigen grauen Haar abrassiert, weil er glaubte, mit Glatze nicht so alt auszusehen. Er war für sein Alter wahrlich gut in Schuss. Vor einer Minute hatte er einen beunruhigenden Anruf erhalten und jetzt musste er seinen Männern den Vormittag versauen. Karl hatte sich zum Hofausgang begeben und schaute den vier Beamten zu, diese bemerkten ihn nicht einmal. Gerade sah Karl, wie Sascha zum wiederholten Male seinen Schneeball völlig verzog und sein Ziel um Meter verfehlte. Bergmann trat aus der Tür: „Sascha, wer so wirft, sollte es erst mal mit unbeweglichen Zielen versuchen!“ Karl sah sich um und zeigte auf eine Bank, die an der Wand stand. „Sehr lustig“ erwiderte Sascha missmutig. „War ein Scherz. Wir haben einen Fall. Ihr müsst sofort nach Leinsweiler, um einen Tatort zu untersuchen. Es geht möglicherweise um einen Mord an einem Geistlichen.“ Karl formte einen Schneeball, ging dann zu Sascha und drückte ihm eine schmale Aktenmappe in die Hände. Im Weggehen zeigte er auf die Türklinke an der Hofeinfahrt in fast zwanzig Metern Entfernung. Sascha lachte, bis der Schneeball seines höchsten Vorgesetzten genau dort einschlug. Eine Stunde später parkten Sascha und Klaus ihren Porsche Cayenne Geländewagen vor der Kirche. Leinsweiler war ein malerisch gelegener Ort an der südlichen Weinstraße, in ein Tal gebaut und flankiert von zwei hohen Bergen. Das Dorf war umgeben von Reben, die die Hänge bis zur Waldgrenze schmückten. Über dem Dorf thronte der Slevogthof, der diesen Ort unverwechselbar machte. Doch für diese Schönheiten hatten die beiden Polizisten keinen Blick. Das Gotteshaus glich einem Ameisenhaufen. Auf der Straße parkten fünf Streifenwagen und mehrere zivile Fahrzeuge, die zweifellos auch Dienstfahrzeuge waren. Auch standen auf der Straße ein Krankenwagen und in unmittelbarer Nähe ein Leichenwagen. Langsam begaben sie sich zum Hauptportal des Gotteshaus.

Das Areal vor dem Hintereingang war mit gelbem Flatterband abgesperrt. „Was ist hier passiert?“ wollte Klaus wissen. Sascha blätterte in der Akte: „Die Pastorin des Ortes ist erhängt im Altarraum gefunden worden. Das Problem ist, die Pastorin ist ein Mann.“ - „Was?“ fragte Klaus verwirrt noch einmal nach. „Ja, das soll eindeutig sein.“ bestätigte Sascha seinem Freund. Das Hauptportal war verschlossen. Zielstrebig gingen die beiden Freunde um das Gebäude, bückten sich unter dem Absperrband hindurch und gingen durch die offen stehende Tür. Durch einen kleinen Ankleideraum betraten sie das Kirchenschiff. Was ihnen sofort auffiel, war der rote Schriftzug an der hinteren Wand des Altarraums. „Schuldig“ las Sascha laut. Eilig kam ein Beamter auf sie zu: „Guten Morgen, ich bin Otto Hermann, der Leiter dieser Untersuchung, ich habe Herrn Bergmann schon angerufen. Es war Selbstmord, Sie hätten sich nicht her bemühen müssen.“ Sascha zeigte auf den roten Schriftzug: „Wie passt das zu einem Selbstmord?“ - „Das ist in der Tat seltsam, aber es gibt keine andere Möglichkeit“, erklärte Otto Hermann. „Wie kommen Sie zu dieser Erkenntnis?“ fragte Sascha nach. „Das ist eindeutig. Als wir hier ankamen, gab es nur Fußspuren der drei Zeugen, die das Opfer gefunden haben und die des Opfers. Der Haupteingang war verschlossen. Das Opfer war alleine im Gebäude. Das ist zweifelsfrei erwiesen“ erklärte Hermann. „Gut, dann befindet sich der Täter, so es ihn gibt, noch im Gebäude“ hakte Sascha unbeirrt nach. „Diese Möglichkeit haben wir natürlich abgeklärt, meine Männer haben das gesamte Gebäude durchsucht, hier war niemand.“ Sascha nahm das Gehörte zur Kenntnis. „Wir schauen uns mal um“ erklärte Sascha und ließ Hermann stehen. Als er und Klaus außer Hörweite von Hermann waren, fragte Klaus: „Was meinst du? Klingt alles einleuchtend. War wohl wirklich Selbstmord.“ - „Blödsinn, dieser Pfuscher ist nur zu faul, seinen Job anständig zu erledigen. Wahrscheinlich erhofft er sich durch seine Nachlässigkeit ein ruhiges Weihnachten im Kreise seiner Familie“ zischte Sascha. Auch das machte Klaus Sorgen. Zu der offensichtlichen Übermüdung seines Freundes gesellten sich immer mehr Zorn und Gereiztheit. Das Beste, so entschied Klaus, würde es sein, mitzuspielen und Interesse vorzutäuschen: „Gut, aber wo siehst du Anhaltspunkte für einen Mord?“ - „Wo ist zum Beispiel die Farbe, der Pinsel, die Leiter? Er schreibt das Wort ‚Schuldig’ an die Wand. Dann räumt er alles wieder auf, bevor er sich erhängt? Hat er auch die Schuhe gewechselt? Mit diesen Absätzen war er bestimmt auf keiner Leiter.“ Sascha zog ein Tatortbild aus der Akte, auf dem das Opfer zu sehen war. „Das Opfer war Pfarrer und kein Maler, siehst du Farbe auf seiner Kleidung? Schau auf den Boden unter der Schrift, da sind Farbspritzer.“ Klaus konnte dem nicht widersprechen. Wortlos folgte er seinem Freund bei der Erkundung des Gebäudes. Er hörte noch die Anweisung Hermanns, als sie den Glockenturm hinaufstiegen. „Wir sind hier fertig“ rief dieser seinen Mitarbeitern zu. Als sie vom Turm herunterkamen, war das Gebäude leer. „Gut, ich hab gesehen, was ich sehen wollte, gehen wir und berichten Karl, was hier los ist.“ Als sie aus dem Hinterausgang traten, schloss Sascha die Tür und versiegelte sie. „Hier geht vorerst niemand mehr rein. Klaus, holst du bitte den Fotoapparat aus dem Handschuhfach.“ Klaus wollte noch fragen, wozu er den jetzt nach Verlassen des Tatorts noch brauchte, zumal die Spurensicherung mit ihren professionellen Geräten sicher bessere Bilder gemacht hatte als Saschas Billiggerät. Doch er sparte sich den Kommentar. Als er zurückkam, wies Sascha ihn an, vor dem Absperrband zu warten. Klaus reichte seinem Freund die Kamera und sah verwundert zu,