Niemand hat Angst vor Leuten, die lächeln - Véronique Ovaldé - E-Book

Niemand hat Angst vor Leuten, die lächeln E-Book

Véronique Ovaldé

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Beschreibung

An einem Junitag packt Gloria eilig die Koffer, dazu ein paar Plüschtiere und die Beretta ihrer großen Liebe, holt ihre Töchter, die fünfzehnjährige Stella und die sechsjährige Loulou, von der Schule ab und verlässt das sonnige Städtchen an der Côte d'Azur. Der überstürzte Aufbruch – getarnt als Reise zum Ferienhaus der Familie im Elsass, ein einsames Idyll inmitten von Wäldern und Seen – ist nichts anderes als eine lang vorbereitete Flucht. Gloria ist überzeugt: Um sich und ihre Töchter zu schützen, muss sie jede Verbindung zu ihrer Vergangenheit kappen. Wie weit wird sie gehen, um ihre Töchter vor der Bedrohung zu retten? Véronique Ovaldé verbindet eine thrillerhafte Handlung und knisternde Atmosphäre zu einem spannungsgeladenen Frauenporträt, das mit zahlreichen Volten und Wendungen überrascht. Die französische Erfolgsautorin erweist sich einmal mehr als brillante Stilistin und virtuose Fallenstellerin.

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Seitenzahl: 252

Veröffentlichungsjahr: 2021

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An einem Junitag packt Gloria eilig die Koffer, dazu ein paar Plüschtiere und die Beretta ihrer großen Liebe, holt ihre Töchter, die fünfzehnjährige Stella und die sechsjährige Loulou, von der Schule ab und verlässt das sonnige Städtchen an der Côte d’Azur. Der überstürzte Aufbruch – getarnt als Reise zum Ferienhaus der Familie im Elsass, ein einsames Idyll inmitten von Wäldern und Seen – ist nichts anderes als eine lang vorbereitete Flucht. Gloria ist überzeugt: Um sich und ihre Töchter zu schützen, muss sie jede Verbindung zu ihrer Vergangenheit kappen. Wie weit wird sie gehen, um ihre Töchter vor der Bedrohung zu retten?

Véronique Ovaldé verbindet eine thrillerhafte Handlung und knisternde Atmosphäre zu einem spannungsgeladenen Frauenporträt, das mit zahlreichen Volten und Wendungen überrascht. Die französische Erfolgsautorin erweist sich einmal mehr als brillante Stilistin und virtuose Fallenstellerin.

 

 

Inhalt

I. Flucht in den Wald

1 – Gloria war schon seit so langer Zeit …

2 – Als Gloria Samuel das erste Mal …

3 – Wir kommen also nicht …

4 – Samuel kam an zwei …

5 – Endlich erreichten sie …

6 – Als Onkel Gio mitbekam …

7 – Kayserheim liegt weit weg …

8 – Gloria spürte, dass jemand …

9 – Samuel träumte davon …

10 – Bis vor kurzem …

11 – Je mehr Tage ins Land gehen …

12 – Bis Gloria acht Jahre als war …

13 – Als sie im Juni hergekommen waren …

II. Die Wachsame

14 – Das Leben mit Samuel war …

15 – Gloria fragte sich …

16 – Was zu der Entscheidung führte …

17 – Als sie an die Tür …

18 – Zwei Beamte waren gekommen …

19 – Der Unterschied, den Gloria …

20 – Gloria trank auf der Vortreppe sitzend …

21 – Nach Stellas Geburt …

22 – Am Abend nach ihrer Ohnmacht …

23 – Es verwirrte Gloria zuerst …

24 – Im Nachhinein hätte Gloria …

25 – Samuel hatte schließlich …

26 – Leutnant Bart hatte eine Nachricht …

27 – Bei ihrem Mittagessen am Dienstag …

28 – Eines Tages packt es sie wieder …

29 – Gloria spürte, wie sich ihre Wut …

30 – Er zeigte ihr schließlich …

31 – Der erste Schultag ist vorbei …

32 – Es wurde besser …

III. Die andere Lösung

33 – Zu Anfang ist er …

34 – Onkel Gio sagte: Nichts geschieht …

35 – Es war nicht weiter schwierig …

36 – Gloria hatte den ganzen Tag …

37 – Hatte sie wirklich alles geplant …

38 – Erst, als die Schule sie anrief …

39 – Als Loulou geboren wurde …

40 – Mit zerzaustem Haar …

Epilog

 

I

Flucht in den Wald

 

1

Gloria war schon seit so langer Zeit bereit, dass sie, als sie ihre Entscheidung getroffen hatte, kaum eine Stunde benötigte, um alles zu packen, die Ausweise, Impfpässe und die Beretta ihrer großen Liebe, für Stella zwei Exemplare aus dem Stapel mit den noch ungelesenen Büchern, für Loulou zwei Plüschtiere sowie ihr liebstes Schaffell, das Mastermind-Spiel aus dem Chaos in Stellas Zimmer, für jede von ihnen ein Paar Schuhe, dazu Zahnbürsten, Doliprane, Thermometer, Läusekamm und warme Kleidung. Dort, wo sie hinfahren würden, wäre es kalt, und die Mädchen hatten in ihrem ganzen Leben noch nie gefroren.

Sie schloss die Fensterläden auf der Südseite, wie sie es tagsüber immer tat – sie vermutete, dass er regelmäßig am Haus vorbeikam, wollte, dass alles ganz normal aussah. Das würde ihnen ein paar Stunden Vorsprung verschaffen.

Am Morgen hatte sie Loulou an ihrer Schule abgesetzt, Stella war mit ihren Freundinnen mit dem Bus gefahren und Gloria hatte sich jeden Gedanken an das, was sie ihnen später am Tag und von jetzt an zumuten würde, verbieten müssen. Sie hatte sich den Gedanken verbieten müssen, dass Stella ihre Freundinnen zum letzten Mal sah, obwohl die inzwischen ihr ganzes Leben bestimmten und sie ihre Zeit damit verbrachte, sie nach Hause zu begleiten, um dann wiederum von ihnen nach Hause begleitet zu werden. Sobald sie über die Schwelle der Wohnung trat, tauschte sie sich über das Handy mit ihren Freundinnen aus (du legst auf, nein, du legst jetzt auf, nein, nein, du legst auf, wir legen auf bei drei und danach schreiben wir uns), mit der immer stärkeren Überzeugung, dass die Vorgänge zu Hause sie nicht das Geringste angingen.

Gloria rief bei der Schule der Kleinen und beim Gymnasium der Großen an. Sie sagte etwas von einem familiären Notfall und dass sie die Mädchen in einer halben Stunde abholen komme. Man kannte sie. Man wusste, dass das Leben der Mädchen nicht immer einfach war. Man genehmigte es.

Dann legte Gloria ihr eingeschaltetes Handy auf den Tresen zwischen Küche und Wohnzimmer und schaute sich um, auf ihren Schultern der Rucksack, zu ihren Füßen der Rollkoffer, der so riesig war, dass er in der kleinen Wohnung wie ein Frachtcontainer wirkte. Sie stellte fest, dass sie, der Lage zum Trotz, das Gefühl des »Nie wieder« mochte, das dem Augenblick eine spezielle Note verlieh, es war wie eine Chance, die sie sich selbst gab, diese ganze Wunschvorstellung von einem zweiten Leben, wer träumt nicht davon; sie drehte sich einmal um sich selbst, Standuhr, Zeichnungen an den Wänden, Magnete am Kühlschrank, CDs, leuchtendes Monster auf dem Fernseher und in der Spüle das Geschirr, das schließlich versteinern würde, Pompeji, es erinnerte sie an Pompeji; alles, was für so lange ihr Leben ausgemacht hatte, würde nicht mehr bewegt werden, alles würde verstauben, verschimmeln, verfilzen, bis die Dinge aussähen wie mit Fell überzogen.

Sie ging die Treppe runter, nahm die Seitentür des Gebäudes, durch die der Müll rausgebracht wurde, und ließ den Koffer in dem Winkel für die Kinderwagen stehen. Dann holte sie das Auto, das sie nicht wie sonst auf dem Parkplatz im Untergeschoss, sondern zwei Straßen weiter abgestellt hatte, hielt vor der Tür, holte rasch den Koffer, aktivierte das Prepaid-Handy, das sie am Vortag gekauft hatte. Und fuhr die Mädchen abholen.

Zuerst war Loulou dran. Das war einfacher. Es war halb elf. Eine Stunde vor dem Kantinenessen. Loulou würde Hunger haben, aber sie wäre auf jeden Fall lieber – verständnisvoller? bereitwilliger? vertrauensvoller? – als Stella. Und wirklich stieg Loulou, während sie ihre Anekdoten eines sechsjährigen Mädchens zum Besten gab, ins Auto, als wäre es das Normalste der Welt, dass ihre Mutter sie mitten am Vormittag von der Schule abholt, so dass nicht mal ein solches Ereignis ihr unaufhörliches Geplapper bremsen konnte. Sie erzählte von einer Pyjamaparty, die in der nächsten Woche bei Sirine stattfinden sollte, die sie auf dem Hof geschubst habe, und dann von ihren beiden Vorderzähnen (es gab möglicherweise einen dritten), die bald ausfallen würden, und von ihrer Angst, sie zu verschlucken, wenn ihr dies im Schlaf geschehen sollte. Sie teilte ihrer Mutter mit, dass sie die geraden Zahlen lieber habe, da bei den ungeraden immer eine allein zurückbleibe. Sie plapperte weiter, während sie, von ihrem erhöhten Sitz auf der Rückbank aus, durch das Fenster die Küste und die Palmen betrachtete.

»Wir holen deine Schwester ab«, sagte Gloria. Und Loulou wirkte erneut so, als ob sie das völlig normal fände.

Wie ihre Mutter befürchtet hatte, war Stella in einer ganz anderen Verfassung. Sie brauchte eine Ewigkeit, um den Unterricht zu verlassen. Gloria stand sich vor dem Kabuff des Schulwächters die Beine in den Bauch, sie wusste, was der junge Mann, der auf ihr Dekolleté starrte, auf ihre 80E, über sie dachte, dabei sah er jede Menge hübscher Mädchen, die sich halbnackt in der Schule tummelten, es war schwer, sich vorzustellen, was er an einer wie ihr fand, einer Frau, die schon einiges erlebt hatte, einer erfahrenen Frau, schwer zu begreifen, bei all den frisch sprudelnden Hormonen direkt hinter den Mauern der Schule, Hormone, die dringliche Botschaften an die aussandten, die sie empfangen wollten, »Hol mich schnell hier raus, entreiß mich diesem Leben, ich bin bereit, dir bis ans andere Ende der Welt zu folgen«. Schwer zu begreifen, aber nicht unmöglich.

Endlich kam Stella heraus, ging so langsam wie möglich über den Hof zum Gitter, hinreißend und nervtötend, bereits sinnlich, ein wenig Akne an den Schläfen, der Nacken frei unter einem strengen Knoten aus zweifarbigem Haar (sie war als Kind blond gewesen und wurde nun brünett), so langem Haar, dass es, wenn sie es offen trug, ein eigener Teil ihrer Persönlichkeit war. Schwarzes T-Shirt, schwarze Hose und weiße Turnschuhe mit Filzstiftgekrakel. Gloria dachte, ich muss aufhören, sie die Mädchen zu nennen, Stella ist kein Mädchen mehr, und sie bemerkte erneut, wie unfrei ihre Tochter durch diesen Körper wirkte, der sich veränderte, ohne nach ihrer Meinung zu fragen.

Doch in diesem Augenblick war Gloria vor allem danach, sie zu schütteln.

»Wir haben es eilig«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Halb verborgen unter ihrem Pony, ihren Rucksack, der mit Tipp-Ex-Botschaften übersät war, über der niedrigeren Schulter (wie sonderbar, diese Schultern, die zusammen fast eine Diagonale bilden), diesen Schulrucksack, der ihr in den kommenden Monaten nicht viel nützen und ebenfalls zu einer Art Mini-Pompeji werden würde, aber davon hatte sie natürlich noch keine Ahnung, wie auch, sagte Stella:

»Was ist das wieder für eine Scheiße?«

»Deine Schwester wartet«, als wäre das eine Antwort.

Stella folgte ihrer Mutter zum Auto und wollte vorne einsteigen, aber der Sitz war von Glorias riesigem Rucksack blockiert.

»Setz dich nach hinten zu deiner Schwester.«

»Kannst du den nicht in den Kofferraum stellen?«

»Setz dich zu deiner Schwester. Wir haben ein Stück zu fahren. So kann sie sich zum Schlafen bei dir anlehnen.«

Seufzend stieg Stella hinten ein. Das war ihre neue Art zu kommunizieren, Seufzer und Achselzucken. Loulou bot ihr Chips an. Mit einem Kopfschütteln lehnte Stella ab.

Gloria setzte sich ans Steuer und hielt dann über ihre Schulter die Hand auf: »Dein Handy.«

Stella runzelte die Stirn, aber sie war scharfsinnig genug, um zu verstehen, dass die Mutter ihr das Telefon nicht aus einer Laune heraus entriss. Auf einmal wirkte sie beunruhigt. Sie gab Gloria das Handy.

»Was ist los. Wo fährst du mit uns hin?«

Und Gloria dachte, Oh ja, stimmt, das wird nicht einfach werden. Ich muss ein paar Dinge erklären, damit Stella ohne Aufstand mitkommt. Ich muss ihnen erzählen, womit das alles angefangen hat.

 

2

Als Gloria Samuel das erste Mal sah, dachte sie, Da haben wir einen, der ganz und gar unerreichbar für mich ist.

Sie war siebzehn Jahre alt und Kellnerin in der Hafenbar La Traînée (damit war wohlgemerkt nicht das Flittchen gemeint, sondern der Luft- und Wasserwiderstand eines Schiffes). Die Bar gehörte ihrem Onkel, der weder der Bruder ihres Vaters noch der ihrer Mutter war, den sie aber schon immer Onkel genannt hatte. Als er sie einstellte, hatte er betont, dass er dies im Andenken an ihren Vater tue. Es war nicht nötig, das eigens zu erwähnen. Sie war genauso geschickt wie die anderen Mädchen, nicht weniger tüchtig, nicht weniger liebenswürdig, sie kam mit den Pöblern und Trinkern zurecht, war pfiffig genug, um mit Gewandtheit und Überzeugungskraft unwillkommene Anrufer abzuwimmeln (wenn die Frau des alten Momo anrief, fragte sie laut, während sie Momo direkt in die Augen schaute: »Hat heute jemand Maurice Fernandes gesehen?«), und sie allein war schlauer, als alle Gehirne im Bistro zusammengenommen. Aber es war Onkel Gios Art (er hieß Giovannangeli), ihr deutlich zu machen, sie solle nicht mehr erwarten als das, was er ihr ermöglichte, und dass sie für diesen Gefallen auf ewig in seiner Schuld stehe. Tatsächlich war es sogar noch komplizierter – ihre Beziehung war schwierig. Onkel Gio mochte sie, er hatte sie schon immer gemocht (wir kommen noch auf Glorias Kindheit zu sprechen). Was die Bar und andere kleine Geschäfte betraf, war er der Partner von Glorias Vater gewesen, aber er wollte klarstellen, dass sie keine bevorzugte Behandlung erfahren würde, damit die anderen Angestellten ihr auf Augenhöhe begegnen konnten. Was Glorias Leben einfacher machen würde. Und seines nebenbei auch.

La Traînée war keine dieser gemütlichen Bars mit Teakholzmöbeln, in denen man bittersüße, glitzernde Cocktails schlürft (Schirmchen, Limettenscheibe, Minzblättchen usw.), während man bei gedämpftem Licht und leiser Musik auf einem Barhocker kippelnd die Zeit totschlägt und dabei zerstreut den Blick schweifen lässt, die Beine übereinandergeschlagen in der Luft. Nichts dergleichen. La Traînée war für Kerle, die von der Arbeit kamen oder die üblichen Trinker ohne Zuhause oder Ziel. Es gab auch weibliche Gäste. Aber die waren vom gleichen Schlag wie die Männer.

Zur Essenszeit wurde Pizza serviert. Es roch nach Holzkohle, Oregano und Bier. Die wahre Leistung war der Verzicht auf Plastik: ein Tischkicker, Hocker, ein fleckiger Spiegel, viel Tannenholz, Tannenholz und noch mehr Tannenholz und Fliesen. Es fehlten nur noch die Sägespäne auf dem Boden.

Onkel Gio war einer dieser Männer mit Halbglatze und Zöpfchen, die eine selbsttönende Brille (Modell Helikopterpilot mit gelblichen Gläsern, die den Planeten wie einen toten Stern aussehen ließen) und zerknitterte Leinenhemden über Cargo-Shorts tragen und mit einer kleinen Ledertasche über der rechten Schulter durch die Stadt ziehen, in der ihre Papiere, Wagenschlüssel und Herzpillen stecken. In einer anderen Zeit hätte er alles in eine unter dem Speckbauch baumelnde Gürteltasche gestopft. Da er der Gürteltasche (und dem Speckbauch) entkommen war (beides abgelegt hatte), hielt er sich mit seiner kleinen Herrenumhängetasche für elegant.

Onkel Gio besaß zum einen die Bar, zum anderen ein Fischerboot und zu guter Letzt die (ihm zufolge) weltweit größte Privatsammlung von Spieluhren. Seinem Freund, Glorias Vater, hatte er in alten Zeiten, in denen prahlerisches und versoffenes Geschwätz ihr geteiltes Los war, einmal anvertraut, dass er ein Fabergé-Ei aus Bergkristall sein Eigen nannte, in dessen Inneren sich ein Rosenstrauch befand, in dessen Mitte, wenn man das Ei öffnete, ein Schwarm singender und flatternder Vögel erschien. Meisen, wenn ich mich recht erinnere. (Was die Geschichte des Fabergé-Eis betrifft, bleibe ich skeptisch: Anscheinend ist dieses legendäre Ei im Dezember 1925 bei dem Brand in der Rue Simon-Crubellier 11 im 17. Pariser Arrondissement zu Asche verkohlt.)

Seiner neuesten moralisierenden Haltung entsprechend, aß Onkel Gio nichts von dem, was in seinem eigenen Lokal aufgetischt wurde, sondern fuhr lieber fast täglich in der Morgendämmerung aufs Meer und fing sich einen Seebarsch (auch wenn er den Raubfischen nicht ganz traute: Die langlebigen Biester waren vollgestopft mit Quecksilber) oder eine Makrele oder eine Handvoll Stinte und trank eingeschlossen in seinem Büro grünen Tee, literweise grünen Tee, einen japanischen Tee aus biologisch zertifiziertem Anbau, von dem er einmal im Monat ein Paket mit der Post bekam – ein Paket Heu, wie Gloria sagte, die Tee für ein Altmännergetränk hielt, wie Bitterschnaps oder Kräuterlikör. Er hatte versucht, Gloria von seiner Sicht der Dinge zu überzeugen. Aber er merkte natürlich, dass man als Siebzehnjährige lieber eine Vier-Käse-Salami-Pizza aus dem Ofen der Bar isst als gedämpftes Fischfilet mit perfekt gezogenem Tee.

Er vertraute niemandem, aber er war sentimental und hatte eine Schwäche für die Tochter seines leichtsinnigen alten Freundes – man raucht nicht einfach weiter, trotz der Gefahr von Lungenkrebs, trotz all der Warnhinweise und der Tabaklobby und der Unsummen, die das Rauchen dem Staat einbringt und dem ganzen Tamtam.

Gloria war mit sechzehn von der Schule abgegangen. Ihr Vater war gerade gestorben. Sie hatte ihn auf dem Friedhof von Vallenargues bestatten lassen, weit weg vom Familiengrab. Sogar die Mutter ihres Vaters hatte, obwohl sie ihr ganzes Leben an der französischen Mittelmeerküste verbracht hatte, mitten im Kastanienwald ihres korsischen Dorfes vergraben werden wollen. Wodurch Glorias Vater zum ersten Mitglied der Familie Marcaggi wurde, das auf französischem Festland zu Erde und dann zu Staub zerfiel. Er hatte gesagt: »Bei all dem Napalm in meinen Adern werden mich die Würmer verschmähen.« Er meinte die Chemo. Gloria wusste, dass er schon immer Angst vor Feuer gehabt hatte, dass eine Einäscherung daher nicht in Frage kam und ihm die Heimführung seines Leichnams nach Korsika egal war.

Natürlich hatte sie seine Anweisungen befolgt.

Ihre Mutter war nicht einmal zur Beerdigung gekommen.

Also dachte Gloria, Nun gut, wenn es so sein soll, komme ich eben allein zurecht. Sonderbarerweise hatte diese Aussicht sie nicht in Trübsinn versinken lassen, auch wenn sie sich natürlich geschwächt fühlte durch den Tod ihres Vaters (mir wurde ein Stück meiner selbst genommen, aber wo ist dieses Stück hin? Und was fange ich an mit dieser Leerstelle?), ihm, der in all den Jahren treu an ihrer Seite gestanden hatte (seit Glorias Mutter sich entschlossen hatte, sich mit ihrem Zahnarzt davonzumachen), auch wenn sie mitansehen musste, wie er sich vom Weggang seiner Frau nicht erholte, wie soll das im Übrigen auch gehen; so oft heißt es, wenn man einen Verlust oder eine brutale Trennung erlebt hat, dass die Zeit alle Wunden heilt, nun, Sie müssen wissen, dass es Menschen gibt, für die Trauer unendlich ist, und wenn sie dennoch beschließen, am Leben zu bleiben, dann nur, weil sie für jemanden die Verantwortung haben, für gewöhnlich für ein Kind, aber ehrlich, wenn das nicht so wäre, wenn ihr endgültiger Abschied nur leicht auf den Schultern von jemand anderem lasten würde, wenn man ihnen die Wahl ließe, würden sie aufgeben, sich hinten im Garten aufhängen oder die ganze Nacht draußen mit zwei Wodkaflaschen unter dem Arm und dann im Magen verbringen, obwohl minus fünfzehn Grad herrschen (was, es sei gesagt, nur schwerlich rasch und effizient umzusetzen ist, wenn man in Vallenargues am Mittelmeer lebt).

Wie dem auch sei, Gloria fand sich minderjährig allein wieder, aber da ihre Mutter noch lebte, fälschte sie bei jedem Verwaltungsakt deren Unterschrift. Man ließ sie in Frieden in der blauen Strandhütte leben (wirklich eine blaue Hütte, gute zehn Jahre zuvor von ihrem Vater so gestrichen, eher Cyan, würde ich sagen, eine helle und leuchtende Farbe und ein wenig zu grün für ein Blau). Wenn ihr Vater »Hütte« sagte, dann weil beim Bau des kleinen Hauses vorwiegend Holz verwendet worden war und es am Meer lag. In den Bergen hätte er es als Chalet bezeichnet, in einem städtischen Vorort als Bungalow.

Und dann war da Onkel Gio, der beim kleinsten Problem zur Stelle war, auch wenn man im Umgang mit ihm eine leichte Paranoia entwickeln konnte. Er redete dummes Zeug über eine weltweite Verschwörung und eine Invasion, die vom Meer käme: Er setzte sich regelmäßig am Hafen von Vallenargues auf einen Klappstuhl, um mit seinem Fernglas den Horizont abzusuchen. Seit kurzem ersetzte er seine Herzpillen durch Jodtabletten, wie man sie bei einem Atomunfall einnimmt – er nannte es nicht Atomunfall, sondern »massiver Ausstoß von radioaktiven Nukliden in die Umwelt«. Er schloss sich in seinem Büro ein, um Radiosendungen über den Zusammenbruch der Gesellschaft, die Ausdehnung des Universums oder hormonelle Störungen zu hören. Untersuchungen zu paranormalen Phänomenen mochte er besonders, auch wenn sie am Ende immer ein wenig enttäuschend waren.

Er war, so glaubte Gloria, auf nette Weise übergeschnappt.

Gloria ihrerseits war gewitzt und streitlustig, hatte keine Angst vor dem Alleinsein, übte sich sogar mit einem gewissen Talent darin. Sie war jemand, der laut Gut gemacht, Mädchen sagte, wenn sie aus dem Supermarkt zurückkam oder staubsaugte. Die Gesellschaft von anderen hatte ihr nie behagt, weder als Kind noch als Jugendliche, die Mädchen waren falsche Schlangen und die Jungs lüsterne Affen, und sie fand sie alle zusammen laut und langweilig, nie wäre ihr in den Sinn gekommen, die einzelnen Charaktere zu studieren, stattdessen dachte sie über Leute, die sie nicht kannte, nur in Allgemeinplätzen, und es schien ihr vergebliche Mühe, eine Beziehung aufzubauen und zu pflegen. Sie hatte diejenigen nie verstanden, die es nicht schafften, allein in der Kantine zu essen, und sich lieber zu Leuten an den Tisch setzten, die sie nur mäßig mochten, als sich mit ihrem Kunststofftablett abseits einen ruhigen Platz zu suchen. Sie konnte sich zwar selbst nicht besonders gut leiden, aber immer noch besser als die anderen. Eine Haltung, die einen auf gewisse Weise von seinen Zeitgenossen isoliert. Es ist nicht auszuschließen, dass sie ihre Vorliebe für das Alleinsein als Zeichen für Überlegenheit ansah. Diese Haltung hatte sie im Übrigen dazu gebracht, eine Vielzahl von Methoden gegen trübe Gedanken zu entwickeln – da trübe Gedanken eine unangenehme Nebenerscheinung des Alleinseins sind.

(Man hat nie genug gute Rezepte gegen trübe Gedanken, hier ein paar, die von Gloria Marcaggi getestet und für gut befunden wurden: sehr laut den Soundtrack von Blues Brothers oder die Gymnopédies von Erik Satie hören; im Wohnzimmer tanzen, die Arme in die Höhe gereckt und die Haare im Gesicht, zum neuesten Hit mehr oder weniger heftig auf und ab springen und so die Lähmung abschütteln, die einem Steine über die Schädeldecke hüpfen lässt; eiskaltes Sprudelwasser trinken, während man in einem Schaukelstuhl wippt und einen guten Krimi liest; auf der Vortreppe der Hütte rauchen und zusehen, wie die Sonne im Meer versinkt, und das ohrenbetäubende Spektakel der Mauersegler betrachten, die mit schrillem Rufen die Wasseroberfläche streifen; in der Sitzbadewanne der Hütte ein Bad nehmen, bis die Grenzen des eigenen Körpers verschwimmen, und dieses Gefühl des Sich-Auflösens auskosten, Mattigkeit und Beruhigung daraus ziehen (aber AUF KEINEN FALL den eigenen Körper im Spiegel ansehen, wenn man aus der Wanne steigt, denn das würde die wohltuende Wirkung des warmen Wassers sofort zunichtemachen – entweder gefällt einem der Körper nicht oder man ist traurig, der Einzige zu sein, der ihn nackt sieht); die neurasthenischen Pflanzen auf der Vortreppe pflegen, sie beschneiden, wässern, ihnen etwas vorsummen; mitten am Tag mitten in der Woche ins Kino gehen und sich in die Mitte des leeren Saals setzen, fünfte Reihe, achter Sessel, es sich gemütlich machen und seine Sachen auf die vier Nachbarsessel verteilen, was eine besondere Form von Luxus darstellt; eine Tafel dunkle Schokolade mit 83 Prozent Kakaoanteil aus einem schicken Geschäft essen, wo die Tafel in eine samtige Papiertüte mit weißen Kordeln geschoben wurde, weil sogar eine derart köstliche Schokolade zumeist ein nicht allzu dekadentes Vergnügen ist; ins morgendlich kalte Meer eintauchen, nur kurz schwimmen, einzig um zu spüren, wie die Haare herumwirbeln, schwer werden, sich aufdrehen, und schließlich wieder auftauchen, mit einem so glatten, schwarzen Schädel wie ein Seehund von den Kerguelen, sich dann an den Strand legen, mit ausgebreiteten Armen, und dem Rauschen der Brandung und dem Flüstern des Sandes zuhören, der niemals stillliegt, und sich so leicht fühlen wie eine Pusteblume; im Juli tief über die Vespa gebeugt die Steilküste entlangrasen und dabei über die Ohrstöpsel laut die Buzzcocks hören; etwas sehr Scharfes essen, die Pizza mit Tabasco beträufeln, ein Gericht vom anderen Ende der Welt probieren, das den Körper zum Glühen bringt, ein Gericht, das es nicht gibt; Gin mit ein klein bisschen Limonade trinken, aber das wirklich nur als letzten Ausweg – am Morgen darauf ist man trauriger als je zuvor, aber manchmal muss man die trüben Gedanken sofort abwürgen, komme, was da wolle.)

Solange ihr Vater im Pasteur-Krankenhaus blieb, hatte sie ihn jeden Tag besucht; sie las ihm aus der Zeitung vor oder brachte ihm Kreuzworträtsel aus Fernsehzeitschriften mit und löste sie für sie beide, denn er hatte nicht mehr genug Kraft, um einen Stift zu halten; sie verbrachten den Nachmittag hinter den geschlossenen Jalousien im Takt ihrer Fragen: »schlüpfrig und herzhaft mit sechs Buchstaben«, es war so warm, sie in dem grauen rissigen Sessel, der an den Oberschenkeln klebte, die Füße auf dem gewellten Linoleumboden, und er halb aufgerichtet auf seinem Schmerzenslager, ein Glas lauwarmes Wasser und den Klingelknopf in Reichweite. »Komm mich besuchen, aber schau mich nicht an«, hatte er zu ihr gesagt. »Ich will nicht, dass du mich ohne Haare und Augenbrauen in Erinnerung behältst.« Gloria hatte geantwortet: »Ich verbiete dir zu sterben«, und er hatte gelacht, bevor er von einem Hustenanfall geschüttelt wurde.

Er hatte ihr von dem Geld erzählt, das er auf der Bank hatte, und von dem Anwalt, der sich bis zu ihrer Volljährigkeit um alles kümmern würde. Sie dachte nur, Warum ein Anwalt? Mein Vater braucht also einen Anwalt?, aber sie hatte nur geantwortet: »Ich verbiete dir zu sterben.«

Am Ende hatte er dran glauben müssen. Und anfangs hatte Gloria ihm das übelgenommen. Sie empfand es als Erleichterung, wütend zu sein. Sie tobte in der blauen Hütte am Meer, sie schrie Zeter und Mordio, weinte und trank Gin mit etwas Limonade. Immerhin hielt sie das davon ab, sich auf die Seite fallen zu lassen wie ein altes Pferd. Und schließlich hatte man ein paar Sachen zu erledigen, der Tod kam mit einem Rattenschwanz an Verpflichtungen, Onkel Gio hatte ihr geholfen. Sie brachen nicht wenige Gesetze – sie war minderjährig, er kein Teil der Familie. Aber sie schafften es, ihn zu bestatten und in goldenen Buchstaben Name, Geburts- und Sterbedatum in den Grabstein meißeln zu lassen, verziert mit einem hübschen Satz, der ihrem Vater sehr gefallen und den Gloria geerbt hatte: »Komme, was da wolle.«

Am Ende hatte sie festgestellt, dass sie mit der Abwesenheit ihres Vaters leben konnte, so als würde sie jeden Morgen einen durchsichtigen Schal aus ihren Gefühlen umlegen oder auch ein Kleidungsstück überziehen, das nur sie glitzern sah, ein Kleidungsstück, das unglaublich leicht, aber unzerstörbar war, ein Stück aus feiner Wolle, das sie wie eine unsichtbare Rüstung schützte.

Es war klar, dass sie nicht in die Schule zurückkehren würde, und Onkel Gio hatte ihr den Job als Bedienung in der Bar angeboten. Er war nicht so einer, der darauf bestand, dass sie weiter zur Schule ging, er neigte eher dazu, staatliche Bildungseinrichtungen als Sammelbecken für linke Bazillen (Schüler wie Lehrer) zu sehen, und bei dieser Maskerade mitzuspielen war in seinen Augen gefährlich (verweichlichend, vergiftend). Gloria sagte sich, dass sie später oder viel später immer noch Fernunterricht nehmen könnte; der Gedanke, allein zu lernen und nur mit unsichtbaren Lehrern zu kommunizieren, gefiel ihr; sie würde sich an den Tisch in der Hütte setzen oder in eine Bibliothek, mit Kopfhörern und gerunzelter Stirn, damit niemand auf den Gedanken käme, sie zu stören, zuerst bis zum Abitur, dann würde sie Philosophie oder Kunstgeschichte studieren, oder auch Informatik, da war sie sich nicht sicher.

Onkel Gio mochte Glorias solide Seite. Er sagte, dass sie für die Arbeit in der Bar notwendig sei. Und auch, um ganz allgemein am Leben zu bleiben. Er hatte schon immer gesagt, sie sei »kräftig« (in Vallenargues nannte man Mädchen kräftig, wenn sie voller Lebensfreude waren, es galt als Kompliment). Auch als Jugendliche blieb Gloria klein, sehr klein (die Alten sagen ständig, dass die Menschen der jüngeren Generationen riesig seien und wie Palmen wüchsen, wenn man also klein ist, fühlt es sich an, als hätte man den Zug in die modernen Zeiten verpasst), sie hatte breite Hüften, eine schlanke Taille und einen vollen Busen. Den Körperbau einer Pariser Muse aus dem 19. Jahrhundert. Denken Sie nicht, dass sie ihr Aussehen vorteilhaft fand. Sie hasste ihre Brüste und alles, was damit zu tun hatte. Wie sollte man mit solchen Brüsten distinguiert oder intelligent wirken. Sie glaubte auszusehen wie ein Mädchen vom Dorf. Oder ein armes. (Oder wie ihre Urgroßmutter.) Nur solche Menschen hatten Beine voller blauer Flecken, schwere Brüste, rote Wangen und Knöchel, die bei warmem Wetter anschwellen. Wie sollte sie ihr familiäres Erbe abschütteln? Sie nahm ihre Brüste wie alle Schalck-Frauen: als unabwendbares Schicksal. Sie wäre lieber eines dieser anämischen Mädchen gewesen, bei denen man die Schlüsselbeine durch den Stoff des Kleides sieht, die den Knochenbau eines Distelfinks und die funkelnden Augen einer Mangaprinzessin haben.

Natürlich hatte sie daran gedacht zu hungern, aber die Arbeit in der Bar hatte gereicht, sie in eine schlanke und muskulöse junge Frau zu verwandeln – immer noch mit großen Brüsten und einer lächerlich abnormalen Figur. Und das Erste, was Samuel sah, als er in die Bar trat, war die junge Frau, so klein und beweglich, dass man Lust bekam, sie methodisch zu falten, um sie in der Hosentasche bis ans andere Ende der Welt mitzunehmen, sie immer bei sich zu behalten, wie ein Maskottchen, ein wunderbares Maskottchen mit schwarzen Haaren, glatt genug, um flüssig zu wirken. Und dann das kleine perfekte Maskottchen an dem Ort auseinanderzufalten, der beiden zusagte, denn es war mehr als offensichtlich, dass man sie nie dazu bringen würde, in die Hosentasche zu schlüpfen und sich an dem Ort zu entfalten, der dem anderen passend erschien, wenn sie keinen Vorteil für sich sah. Ihr Blick war durchdringend und finster, ihre Haut so weiß wie das Innere einer Zitronenschale, einfach umwerfend. Samuel dachte, Da haben wir eine, die ganz und gar unerreichbar für mich ist.

(Ich werde mein Leben lang darüber staunen, wie das ist, wenn wir den anderen zum ersten Mal sehen, denjenigen, den wir über alles lieben werden, mit unverhohlener, allumfassender, dramatischer Liebe, wie wir fürchten, dass er herausfinden könnte, wie winzig und verwundbar wir sind, auch wenn er uns nicht als Kind gesehen hat, weinend über einem aufgeschlagenen Knie, auch nicht leidend, weil wir als Letzte ins Volleyballteam gewählt wurden, er hat uns nicht gesehen, wie wir uns in der Schule prügelten, weil sich jemand über unseren Haarschnitt lustig gemacht hat. Es ist erschütternd, dass wir beim Anblick des anderen, den wir über alles lieben werden, erstarren und zu keinem Moment bemerken, dass er genauso erschrocken ist wie wir.)

 

3

»Wir kommen also nicht zurück?«

»Nicht sofort.«

»Und wir dürfen niemandem Bescheid sagen?«

»Im Moment nicht.«

»Nicht mal Sarah?«

Sie sitzen zu dritt im Auto, an einer Raststätte hat Gloria ein neues Plüschtier für die Kleine gekauft, die sich infolgedessen nun schon seit einer Stunde ununterbrochen mit einem orange-blauen Kätzchen unterhält.

Mit Stella ist es schwieriger. Gloria würde ihr am liebsten eine Betäubungsspritze verabreichen, damit sie endlich still wäre und die Seufzer verstummten, die sie ausstößt, seit sie begriffen hat, dass sie nicht einmal ihre beste Freundin würde anrufen können. Sie erinnert sich an die Autofahrten mit Stella, als diese noch ganz klein war und Samuel noch da und sie zu dritt auf Spritztour gingen – Loulou war noch nicht geboren. Sie bereiteten ihr auf der Rückbank ein Bett aus Decken, flankierten sie mit Kissen, damit sie nicht runterfiel, so ohne Sicherheitsgurt, denn es schien ihnen am wichtigsten, dass es Stella so vorkam, als würde sie immer noch in ihrem Bett liegen.