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Noa – Der letzte Umzug Eine bewegende Geschichte aus den Tiefen des Meeres. Noa ist ein kleiner Einsiedlerkrebs in einer sterbenden Welt. Früher lebte er in einer schützenden Muschelschale – heute zwingt ihn die endlose Verschmutzung der Meere, ein Plastikhaus zu bewohnen. Auf seiner letzten Reise durch die graue Leere des Ozeans begegnet er verlorenen Freunden, trauernden Seelen und der erbarmungslosen Wahrheit über den Zustand der Erde. Für Leser*innen, die emotionale Geschichten lieben und die Stimme des Meeres hören wollen.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1 – Abschied
Kapitel 2 – Aufbruch
Kapitel 3 – Offenes Wasser
Kapitel 4 - Die Leere
Kapitel 5 – Oli
Kapitel 6 – Die Insel, die nicht leben wollte
Kapitel 7 - Stiller Kreis
Kapitel 8 - Der Strudel
Kapitel 9 -Die Oase
Kapitel 10 – Die Stille, die falsch klingt
Kapitel 11 – Das Wrack der Versprechen
Kapitel 12 – Die Tiefe in mir
Kapitel 13 – Ruf der Tiefe
Kapitel 14 – Was bleibt
Epilog – Stille
Impressum
Das Meer war still – aber nicht aus Frieden. Es war die Stille nach einem Krieg, den keiner je erklärt hatte.
Noa erwachte wie immer: tastend, vorsichtig, mit einer dumpfen Enge in seiner Schale. Sie war zu klein geworden – oder er zu groß. Wahrscheinlich beides. Die Ecken seines Hauses – ein verblichener Flaschendeckel – kratzten inzwischen an seinem Hinterbein, und jedes Mal, wenn er sich bewegte, schnitt ein scharfkantiger Grat in seine Haut.
Doch draußen war es schlimmer.
Die Strömung roch nach Gummi. Leicht schweflig. Irgendetwas musste weiter oben geplatzt sein – vielleicht ein Tanker, vielleicht nur ein alter Ölkanister. Es spielte keine Rolle. Noa war daran gewöhnt. Wie an das Dröhnen, das jeden Sonnenaufgang aus der Tiefe kam, so regelmäßig wie Ebbe und Flut. Die Alten nannten es die Maschinen. Noa kannte sie nicht. Aber er wusste, dass man ihnen nicht zu nah kommen durfte.
Er kroch aus seinem Schlafversteck – einer verlassenen Coladose, die halb in den Sand gedrückt war – und blickte zum Horizont. Dort, wo das Licht früher golden durch die Oberfläche geflutet war, lag jetzt ein milchiger Film. Schaum kräuselte sich wie Blasen im Mund eines Kranken.
Noa streckte sich. Sein Panzer knirschte. Ein Geräusch wie zerreißendes Plastik folgte – dumpf und endgültig. Er hielt inne. Spürte es. Sein Haus hatte Risse bekommen.
Nicht außen. Innen. Direkt unter ihm.
Er drehte sich, langsam, und sah es: Ein feiner, silbriger Sprung zog sich über den Rand seines Schutzes. Kaum sichtbar. Aber tödlich. Noch ein Tag, vielleicht zwei, und das Ding würde unter seinem Gewicht brechen – und ihn schutzlos zurücklassen.
Noa stand lange da. Rührte sich nicht. Nicht aus Schock – aus Entscheidung.
Er würde gehen. Heute.
Zum ersten Mal seit unzähligen Gezeiten würde er das Riff verlassen. Nicht, weil er es wollte. Sondern weil er musste.
Denn selbst ein Krebs weiß: Wenn dein Haus dich nicht mehr schützt – ist es kein Zuhause mehr.
Bevor man geht, sollte man wissen, was man zurücklässt.
Früher hatte er ein Haus, das warm war. Nicht wirklich – aber es fühlte sich so an.
Es war eine Schale gewesen, spiralförmig, glatt und schwer. Hellbraun, mit feinen Linien, wie gezeichnet vom Meer selbst. Er hatte sie gefunden, als er noch klein war. Damals war das Wasser klarer gewesen. Nicht sauber – dass nicht – aber klar genug, um Schönheit zu erkennen. Damals war Schönheit noch möglich gewesen.
Noa hatte sie nie wiedergefunden, die Schnecke, der das Haus einmal gehört hatte. Nur das Gehäuse war geblieben. Aber er hatte sie sich oft vorgestellt – alt, würdevoll, leise sterbend zwischen den Felsen. Und wenn er darin schlief, glaubte er manchmal, ihren Herzschlag zu spüren.
Er hatte sie vor langer Zeit abgelegt. Nicht, weil er es wollte. Sondern weil sie zu klein wurde. So ist das bei Krebsen. Man wächst.