Noch sieben Schuss, dann ist Schluss - Christoph Treutwein - E-Book
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Noch sieben Schuss, dann ist Schluss E-Book

Christoph Treutwein

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  • Herausgeber: dotbooks
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Humorvoll, turbulent und lebensweise: „Noch sieben Schuss, dann ist Schluss“ von Christoph Treutwein jetzt als eBook bei dotbooks. Er kann sie alle haben. Also, theoretisch. Jonathan Kaiser sieht gut aus und weiß, wie er Frauen glücklich macht. Da gibt es nur ein Problem: Bei einer neuartigen medizinischen Untersuchung stellt sich heraus, dass Jonathan noch genau sieben Orgasmen haben kann – dann ist Schluss mit lustig. Und zwar endgültig! Von nun an heißt es Zölibat statt Sinnesfreuden. Ausgerechnet jetzt lernt Jonathan die Frau kennen, auf die er sein ganzes Leben gewartet hat. Aber wird sie sich wirklich auf einen Mann einlassen, der im entscheidenden Moment nicht kommt? Eine schwungvolle Komödie über Männer und ihre Macken: „Es ist nicht so leicht, einen wirklich witzigen Roman über Sex zu schreiben. Christoph Treutwein hat es geschafft.“ Berliner Zeitung Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Noch sieben Schuss, dann ist Schluss“ von Christoph Treutwein. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 456

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Über dieses Buch:

Er kann sie alle haben. Also, theoretisch. Jonathan Kaiser sieht gut aus und weiß, wie er Frauen glücklich macht. Da gibt es nur ein Problem: Bei einer neuartigen medizinischen Untersuchung stellt sich heraus, dass Jonathan noch genau sieben Orgasmen haben kann – dann ist Schluss mit lustig. Und zwar endgültig! Von nun an heißt es Zölibat statt Sinnesfreuden. Ausgerechnet jetzt lernt Jonathan die Frau kennen, auf die er sein ganzes Leben gewartet hat. Aber wird sie sich wirklich auf einen Mann einlassen, der im entscheidenden Moment nicht kommt?

Eine schwungvolle Komödie über Männer und ihre Macken: »Es ist nicht so leicht, einen wirklich witzigen Roman über Sex zu schreiben. Christoph Treutwein hat es geschafft.« Berliner Zeitung

Über den Autor:

Christoph Treutwein hat sich erfolgreich quer durch die deutsche Film- und Fernsehunterhaltung geschrieben und dabei immer wieder seine Vielseitigkeit bewiesen: Er arbeitete für Comedy-Größen wie Hape Kerkeling und Dieter Hallervorden, schrieb Drehbücher für zahlreiche TV-Formate und beherrscht die ernsten Tonlagen ebenso virtuos wie die humorvollen. Seinem ersten Roman Noch sieben Schuss, dann ist Schluss – über den Ingolf Lück urteilte: »Das witzigste Buch, seit ich lesen gelernt habe!« – werden in Kürze weitere folgen.

***

Neuausgabe Dezember 2015

Dieses Buch erschien bereits 2010 unter dem Titel Wer zu früh kommt … im Ullstein Taschenbuch.

Copyright © der Originalausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von shutterstock/jules2000

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-407-8

***

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Christoph Treutwein

Noch sieben Schuss, dann ist Schluss

Roman

dotbooks.

»Der Orgasmus des geschlechtsreifen Mannes oder Jugendlichen geht einher mit neurophysiologisch vom Sexualzentrum im Zwischenhirn ausgelösten, rhythmischen Muskelkontraktionen der Genitalgänge und der zugehörigen Organe wie Samenleiter, Samenblase und der Prostata, weiterhin der Urethra, der Muskeln des Beckenbodens, damit auch denen an der Peniswurzel, und schließlich der Kontraktionen des Penis selbst. Dabei wird gewöhnlich direkt und unmittelbar eine Ejakulation ausgelöst, wobei das Sperma in die Harnröhre gelangt und durch die Öffnung in der Eichel nach außen geschleudert wird. Neben den körperlichen Reaktionen äußert sich der Orgasmus in einem oftmals als angenehm empfundenen individuellen Erlebnis des Rausches und der Überwältigung. Die Intensität und Erlebnistiefe kann sich von Mal zu Mal und von Mensch zu Mensch unterscheiden, sie lässt sich durch mentale oder körperliche Stimuli beeinflussen.«

Wikipedia

Kapitel 1

»Trag munt’ren Herzens Deine Last, und übe fleißig dich im Lachen; wenn Du an Dir nicht Freude hast, die Welt wird Dir nicht Freude machen.«

Sprichwort

Jonathan Kaiser betrat das Foyer der Privatklinik seines Bruders mit einem kleinen Pfeifen auf den Lippen. Ein wenig Swing, ein wenig Blues. Vom Nacken bohrte sich der Schmerz wie ein langer Dorn abwärts. In Schultern, Ellenbogen und Brust pochte es, die Leber fühlte sich geschwollen an, in der linken Niere zog es leicht. Blinddarm, Leisten und der rechte Hoden brannten, die Muskeln der Oberschenkel zuckten unkontrolliert, und in der rechten Hüfte machte sich ein unaussprechlicher Schmerz breit. Als geübter Hypochonder konnte er sich innerhalb von Sekunden in diesen Zustand versetzen. Er überflog wie immer die überdimensionalen Aktzeichnungen an den Wänden, die von manisch-depressiven Alzheimer-Patienten gemalt worden und inzwischen auf dem Kunstmarkt viel wert waren, und ließ seinen Blick dann zu der Rezeption in fröhlichem Froschgrün wandern, hinter der drei blutjunge Arzthelferinnen auf ihren Computern klimperten. Er wählte die kleine vollbusige Blondine in der Mitte aus, die mit dem Herzmund, und schlenderte so gelassen wie möglich auf sie zu.

Die unterbezahlte Sklavin strahlte ihn an, als wäre die Welt in Ordnung.

»Jonathan Kaiser«, stellte sich Jonathan vor, »ich habe einen Termin bei meinem Bruder.«

»Der Test?«, zwinkerte sie ihm zu.

»Der Test?«, fragte die bildhübsche Asiatin links von ihr voller Mitleid.

»Wir kommen gar nicht nach mit diesen Tests«, stellte die Afrikanerin rechts von ihr bedrückt fest.

»Der Test«, sagte Jonathan tonlos.

Sein Bruder hatte eine fatale Neigung zu exotischen Kindfrauen und zu Hause eine brave fromme Gattin und drei wohlerzogene Kinder. Neid und Bewunderung schossen Jonathan durch den Kopf.

»Ein wenig müssen Sie noch warten«, sagte der Herzmund mit rauchig sächselnder Stimme, »unser Doktor Kaiser hat gerade noch einen Notfall.«

Jonathan spähte auf das kleine Schild an ihrer Brust. »Sie sehen übrigens phantastisch aus, Melanie.«

»Sie können sich setzen«, erwiderte Melanie und deutete nach rechts. »Machen Sie es sich gemütlich. Es wird nicht lange dauern.«

»Solange es auch dauert«, sagte Jonathan, »wie wäre es, wenn wir beide uns bei einem Cappuccino treffen? Die Seele baumeln lassen. Danach wird nichts mehr lange dauern.«

Er musterte Melanie mit den aufreizend gesenkten Augenlidern von Robert de Niro.

Der Herzmund kritzelte seine Handynummer auf einen Rezeptblock, riss das Blatt beherzt ab und schob es ihm hin.

»Bis bald.«

In diesem Moment glaubte er an sich wie Schwarzenegger in seiner mittleren Phase. Augenblicklich schwanden seine Schmerzen, und es ging ihm besser denn je. Immerhin sagte man ihm nach, gutaussehend, charmant, witzig, berechnend und zynisch zu sein – kurz: für die Frauenwelt eine schillernde Persönlichkeit. Ein Mischling aus Til Schweiger, Johnny Depp und Michael Ballack, vielleicht eine Nummer kleiner.

Jonathan suchte in den Zeitschriften nach der einzig wichtigen und fand ein Exemplar von Paula aus dem letzten Jahr. Paula – die etwas andere Frauenzeitschrift für Jung und Alt war sein Leben. Er setzte sich, um seine Kolumne zu finden. Da waren sie ja, seine allseits beliebten Tipps für das Sexualleben der Frau: Bei der Reiterstellung hat die Frau die maximale Kontrolle. Wie geritten wird, ist klar: Er liegt rücklings, und sie sitzt auf seinem Gemächt. Das verschafft ihr die Macht über seine Lust und ihm einen irrsinnigen Ausblick.

Du liebe Güte, wie lange war das schon her, dass er das verfasst hatte?

Die Arzthelferin winkte ihm zu. »Es dauert noch«, rief sie, »hoffentlich haben Sie etwas Schönes zum Lesen gefunden?«

»Aber ja«, rief Jonathan zurück, »lesen Sie vielleicht auch die Paula?«

»Sicher«, strahlte Melanie, »Paula ist mein Lebenselixier!«

Wahrheit oder Heuchelei? Egal. Jonathan war hier bekannt, genoss seine Prominenz, nickte zufrieden und las weiter: Tipp für Anfänger: Teasen Sie Ihren Schatz! Geben Sie Tempo und unterbrechen Sie dann abrupt, bis er Sie anfleht, ihn zu erlösen!

Er sah über den oberen Rand der Zeitschrift und studierte die Arzthelferin. Bei den vollen, sinnlichen Lippen konnte man sich als Mann ziemlich sicher sein, von ihr mit ebenso vollen, aber zarten Schamlippen empfangen zu werden.

Er konnte es nicht lassen. War ja auch schließlich sein Beruf, solche Erkenntnisse seiner zu neunzig Prozent weiblichen Leserschaft zu vermitteln. Zudem war er ein Mann der Präzision, ein Rechercheur der alten Schule und dabei fleißig wie eine Biene. Nie würde er unsaubere oder falsche Informationen in die Welt setzen. Schließlich war er geborener Schwabe, auch wenn er in den neuen Bundesländern gelandet war.

Alles, was er tat, war redlich und rein.

Tipp für Fortgeschrittene – hatte er seinerzeit geschrieben –: Statt sich hinzuknien, gehen Sie doch einmal vorsichtig über IHM in die Hocke. Sehr intensiv! Aber geben Sie gut auf ihn Acht – ER ist ein empfindsames Organ!

Besser könnte er es auch heute nicht formulieren! Nun, es ist mein Job, so zu denken, dachte er und pumpte sich sogleich eine gehörige Portion Glück und Potenz in seine Hoden.

Die Arzthelferin zwitscherte ihm zu. »Es ist gleich so weit. Der Doktor wird sich sofort um Sie kümmern.«

Jonathan legte die Zeitschrift weg und wandte sich einem der Zerrspiegel zu, in denen alle Patienten grau, alt und sterbenskrank aussahen. Er betastete seine Nase und seine Ohren. Sie waren in Ordnung, nicht zu kalt und nicht zu heiß. Er betrachtete sein Spiegelbild – immer noch Typ Napoleon, klein und doch so groß –, reckte sich, betastete seine grauen Tränensäcke und rückte mit einem schnellen Griff sein Glied zurecht. Er holte tief Luft und hörte einen gedämpften gregorianischen Chor, der jeden, der hier eintrat, daran erinnern sollte, wie schnell der Mensch wieder zu Asche wird. Musik, die speziell für Arztpraxen und Kliniken produziert wurde.

Die letzten Nächte waren ungewöhnlich anstrengend gewesen. Er dachte an Liliane, mit der er am Abend wieder eine lange Sitzung haben würde. Vor ein paar Stunden hatte sie ihm die Liste ihrer neuesten geheimen Wünsche in die Redaktion gesimst. Liliane, die erste Frau in seinem Leben, mit der er nun schon fast vier Monate lang zusammen war.

***

Jonathans jüngerer Bruder Michael führte einen schwankenden Drei-Zentner-Gigolo aus seinem Sprechzimmer.

»Das wird schon wieder«, lachte er und stützte das monumentale Bündel Elend kraftvoll bis zur Tür, »kommen Sie dreimal wöchentlich zur inneren Wellness-Körperwäsche, dann fühlen Sie sich spätestens in einem Jahr wie neugeboren.«

Er sah dem Patienten in seinem blütenweißen Ärzteoutfit nach, eilte Jonathan auf leisen Sohlen entgegen und strahlte ihn verdächtig vergnügt an.

»Alter Fettsack«, sagte er.

»Ich?«

»Nein, er.« Michael nickte zur Tür. »Der macht’s nicht mehr lange.« Unter Brüdern gab es keine ärztliche Schweigepflicht. »Überall Sollbruchstellen: Halsschlagader, Prostata, Krampfadern …«

Unwillkürlich wich Jonathan zurück. Sie waren seit jeher kein ideales Brüderpaar. Nur ihr alter Vater, der bei ihnen stets von Fritz und Elmar Wepper, Uli und Dieter Hoeness und Hans-Jochen und Bernhard Vogel zu schwärmen pflegte, sorgte dafür, dass sie sich trafen und dabei die Form wahrten.

Jonathan entschlüpfte der brüderlichen Umschlingung, während er den Atem anhielt, um der herben Mischung aus Rasier- und Mundwasser und Desinfektionsmitteln zu entgehen. Er hasste Männer, die sich innig aneinanderpressten, und hatte so seine Zweifel, ob Kain und Abel das je miteinander versucht hatten.

»Wie geht’s uns denn?«, fragte Michael fröhlich und zog Jonathan mit einer schlangenhaft schnellen Bewegung ein Augenlid nach unten. »Du siehst alt aus.«

»Ich bin älter als du. Was ist mit dem Test?«

Vor Wochen waren Jonathan erstmals Gerüchte zu Ohren gekommen, dass die moderne Medizin nun in der Lage war, eine der drängendsten Fragen eines jeden Mannes zu beantworten: Wie viele Orgasmen ihm lebenslang zur Verfügung stehen und – um ihm die mühsame Aufarbeitung der Vergangenheit und komplizierte Rechenaufgaben zu ersparen – wie viele ihm noch verbleiben. Tausende Männer konsultierten seither ihre Ärzte, um ihre Schusszahl testen zu lassen. Die meisten waren offensichtlich zufrieden. Ihre Schüsse reichten bis ins hohe Alter, ob Lehrer, Künstler, Pfarrer, Verbrecher oder Politiker, ganz unabhängig davon, ob sie Gebrauch von ihnen machten oder sie mit ins kühle Grab nahmen.

Bruderherz Michael hatte ihm persönlich eine Mail geschickt:

»Eine Forschergruppe an einer amerikanischen Universität konnte vor einiger Zeit Daten zur Dauer der männlichen Sexualreife und Potenz entwickeln. Dabei wurden an Zellproteine gebundene Testosteronderivate zur Proligenerations-Acceleranz gesetzt. Die Ergebnisse ließen hochsignifikante Aussagen über die Erektions- und Ejakulationsfrequenz zu. Auf dem Boden dieser Untersuchungsergebnisse hat jetzt das biologische Forschungsunternehmen ›Uniscience‹ einen Test entwickelt … bla bla bla.«

Kurz bevor er die Mail löschen wollte, war sein Blick auf die ungeheure Drohung im letzten Satz gefallen:

»Nach bisherigen Resultaten besteht keinerlei Korrelation zwischen momentaner Potenz und verbleibender Ejakulationszahl.«

Lieber auf Nummer sicher gehen, hatte er gedacht und sich schnell einen Termin geben lassen. Jetzt legten sich Michaels Finger fest um Jonathans Handgelenk und überprüften den Puls.

»Nicht, dass ich beunruhigt wäre«, stellte Jonathan fest, während er sich in Michaels chromblitzend sterilem Refugium umsah. Als hochaktiver Künstler in Sachen Sex glaubte er fest an sein enormes Wollust-Potential – Korrelation hin oder her. Doch eines hatte er als extrem körperbezogener Hypochonder auch gelernt: Vorsorgen war besser als Leiden. Ob Herz, Kreislauf, Lunge, Leber, Nieren, der ganze Körper war ein schnell alternder Schlitten – bei dem einen ein Porsche, bei dem anderen ein Polo. Je nach Verbrauch und Belastung konnte überall ein Auspuff durchrosten oder die Elektronik der Einspritzdüse den Geist aufgeben.

»Du musst dir sicher keine Sorgen machen, Bruderherz.«

Michaels Stimme klang nicht ehrlich, aber wann klangen die Stimmen von Ärzten schon ehrlich?

»28 986 Tage lebt der statistische Durchschnittsdeutsche«, holte Michael aus. »In dieser Zeit verbraucht er 6920 Liter Milch und 3651 Rollen Klopapier, er liest 247 Bücher, geht 51-mal wählen, verursacht 50 Tonnen Müll und gibt 39 334 Euro für Bekleidung und Schuhe aus. Er niest 3566-mal, übergibt sich 412-mal und hat 7,88 Hörstürze. Und nach jüngster Erkenntnis stehen ihm 12 412 Orgasmen zur Verfügung.«

Michael genoss es offensichtlich, seinen Bruder auf die Folter zu spannen.

»Komm zur Sache!«

»Alles klar!«, erwiderte Michael vergnügt und setzte seinen Vortrag fort: »Statistisch gesehen ist, wie wir bis jetzt wissen, nur einer von hunderttausend Patienten wirklich schwer von der sogenannten Glaser’schen Krankheit betroffen. Gestern musste ich einem alleinstehenden 67-jährigen Installateur in Rente zartfühlend erläutern, dass er nur noch knapp dreihundert Schuss zur Verfügung hat.«

»Was ist mit mir?«

Michael ließ sich nicht bedrängen. »Er leidet glücklicherweise unter schwerer Gicht in den Handgelenken«, fuhr er fort. »Auf die Art hat ihm die Natur eine Bremse mitgegeben, die ihm dabei hilft, hauszuhalten.«

Ja, so war das Leben. Traditionell an Sparsamkeit gewöhnte Schwaben traf es genauso wie haltlose Lebenskünstler aus Sachsen. Was für die einen ein sinnloser Überfluss war, brachte andere in Nöte. Mit dem letzten Tropfen würde alle Wollust versiegen. Ob sich das Leben der Mönche in den Klöstern beruhigen würde, wenn die Brüder sich testen lassen durften, war fraglich. Ob sich Swingerclubs leeren und in Gebetshäuser umgestaltet würden?

»Mutter Natur nimmt keine Rücksicht auf die Bedürfnisse der Menschen«, sagte Michael, griff nach einem großen braunen Umschlag und lächelte wie der Laudator bei der Oscar-Verleihung.

»Mal sehen«, sagte er verschwörerisch, öffnete den Umschlag, zog ein Blatt Papier hervor, wandte sich ab und las den Befund.

Jonathan spürte die Angst in jeder Zelle seines Körpers.

Michael setzte sich neben ihn, streichelte seine Hand und sah ihm tief in die Augen.

»Nicht aufregen«, sagte er brüderlich.

»Nein!?«, flüsterte Jonathan.

»Doch, leider.«

»Wie viele habe ich noch? Hundert?«

Michael schüttelte den Kopf.

»Mehr?«

»Kannst du dir vorstellen, wie schwer es mir fällt, dir die ganze Wahrheit zu sagen?«

»Achtzig?«

»Du liegst schwer unterm Schnitt. Bei dir sind es leider nur noch sieben Schuss.« Er zögerte kurz und fügte hinzu: »Aber es gibt Schlimmeres als das.«

»Was?«, japste Jonathan. »Was kann denn noch schlimmer sein?«

»Nun ja, du könntest zum Beispiel an Diabetes oder Prostatakrebs erkrankt sein …«

»Ich fasse es nicht!«

»Oder an multipler Sklerose, Alzheimer, Epilepsie.«

»Warum gerade ich?« Jonathan sprang auf. »Das ist ein Irrtum, ein Missverständnis!«

Jonathan riss Michael das Papier aus der Hand, starrte es an und verstand kein Wort. Er erinnerte sich an all die tragischen Geschichten über vertauschte Befunde.

»Eine Verwechslung!«

Der kritische Patient erwachte in ihm. Auch Ärzte waren nicht fehlerfrei. Hunderte von gesunden Beinen, die versehentlich amputiert wurden, zeugten davon.

»Na, na, na«, rügte ihn Michael mit der Kompetenz eines Geistlichen der Inquisition, der einem einreden will, dass die Erde eine Scheibe sei. »Glaubst du, dein eigener Bruder würde dich belügen? Du musst der Wahrheit ins Auge blicken. Ab jetzt wird für dich alles anders. Sobald du es akzeptiert hast, geht es dir wieder gut, ansonsten bleibt immer noch der Selbstmord. Der Gedanke an Selbstmord ist übrigens ein starkes Trostmittel, zumindest wird er dich ablenken.«

»Selbstmord?«, schrie Jonathan auf, aber Michael ließ sich nicht unterbrechen: »Wie sagen wir Mediziner so gerne? Bei starken Kopfschmerzen hauen wir uns den Hammer auf den Daumen, und schon sind die Kopfschmerzen wie weggeblasen.«

Er grinste seinen Bruder an. »War nur ein Spaß«, sagte er dann und legte Jonathan die Hand auf den Kopf, als wollte er ihn segnen. Sie schauten sich in die Augen.

»Es ist sicher nicht leicht, zu wissen, wann die Wollust flöten geht. Vor allem, wenn es schon so bald ist. Fast so schlimm, wie seinen Todestag zu kennen – eine Woche, bevor es so weit ist. Aber in der Trauer liegt eine große Kraft, sich neuen Aufgaben zu stellen.«

Jonathan winkte ab. »Wie viele Schüsse hast du eigentlich noch, Bruderherz?«

»Das kann und will ich dir lieber nicht sagen.«

»Es macht mir nichts aus, ich will nur der Wahrheit ins Gesicht sehen.«

Ein selbstgefälliges Lächeln huschte über Michaels Gesicht, wich dann aber wieder eilig der ärztlichen Trauermiene.

»Ich habe noch 27 000 Schüsse, aber ich denke nicht, dass ich die alle verpulvern kann. Die Arbeit, verstehst du? Und ich bin verheiratet. Ich würde dir ja gerne etwas davon abgeben, aber das ist medizinisch leider noch nicht möglich …«

»Nett von dir, aber von dir würde ich sowieso keine Schüsse annehmen.«

»Manchmal kann die Strafe für Selbstgerechtigkeit hart sein, und manchmal bekommt man nicht einmal die Chance, seine Lektion zu lernen«, erwiderte Michael.

Jonathan sah ihn verständnislos an. »Und was rätst du mir als Arzt?«

»Es wird Jahrzehnte dauern, bis ein Gegenmittel entdeckt wird. In der Zwischenzeit viel Bewegung, vitaminreiche Kost …«

Jonathan winkte ab. »Soll ich mehr Austern essen oder Spargel?«

»Kann nicht schaden.«

Jonathan beschloss, sich alle weiteren Ausführungen seines Bruders zu sparen, und ging, gebückt vom Gewicht der Welt auf seinen Schultern, zum Ausgang der Klinik.

Die wunderschönen Arzthelferinnen winkten ihm fröhlich zu.

Kapitel 2

»Zur rechten Zeit blind, taub und stumm, bringt Dich um manche Klipp’ herum.«

Sprichwort

Die Meldungen auf seinem Anrufbeantworter stammten aus einer vergangenen Welt. Muntere weibliche Stimmen forderten ihn zu absurden Vergnügungen auf.

»Vergiss nicht, dass wir verabredet sind«, sagte Liliane, »sei endlich mal pünktlich. Und vergiss nicht das Du-weißt-schon-was. Bis dann.« Piep-piep. »Wir wollten heute einen Termin ausmachen«, hörte er eine seiner Kolleginnen, »du weißt schon. Ich habe eine Überraschung für dich.« Piep-piep. »Kennst du mich überhaupt noch? Ich will dich wiedersehen, verdammt noch mal!« Piep-piep. Dann sein Vater: »Dein Bruder hat mich angerufen. Wir müssen unbedingt reden.«

Jonathan drückte auf die Löschtaste, zog sich aus und widmete sich einer Selbstbetrachtung im Badezimmer. Äußerlich war ihm nichts anzumerken. Noch nicht. Er studierte sein Gesicht und seinen unnütz gewordenen Körper im Spiegel und sah sich mit den Blicken seiner Frauen als Robert de Niro oder Kai Pflaume, je nach Vorliebe und Einbildungskraft der jeweiligen Geliebten. In seinem Inneren spürte er eine unendliche Leere, als er auf den Balkon trat und den Regen auf seiner Haut spürte.

»Machen wir’s kurz«, sagte er zu den Topfpflanzen, die er zur Erinnerung an gemeinsame Orgasmen von einigen seiner Frauen geschenkt bekommen hatte. Auf der Straße, fünf Stockwerke weiter unten, winkte ihm ein Kind zu. Er winkte zurück, hob ein Bein und versuchte, über das Geländer zu steigen. Im Altbau gegenüber gingen die Lichter an. Ein Schatten schob den Vorhang zur Seite.

Außerhalb der Betten ließ seine Gelenkigkeit zu wünschen übrig. Sein Fuß verklemmte sich zwischen zwei Blumenkästen. Er verlor das Gleichgewicht und fiel nach hinten, während er seine Geranien aushebelte. Ein Blumenkasten löste sich aus der Halterung und schlug einen Augenblick später mit einem Knall auf der Straße auf. Vorsichtig erhob sich Jonathan und spähte nach unten. Nein, er hatte niemanden erschlagen. Eine Gruppe abendlicher Fußgänger versammelte sich um Blumen und Erde und starrte nach oben.

Der türkische Hausmeister kam dazu und gestikulierte. Jonathan zog sich eilig in seine Wohnung zurück. Das Leben hatte ihn wieder, und Heißhunger überfiel ihn. Er knackte sich eine eiskalte Bierdose und studierte die Vorräte im Kühlschrank, als es klingelte. Jonathan öffnete. Der Hausmeister drückte ihm einen Blumenstrauß in die Hand.

»Danke«, sagte Jonathan.

»Kommt Ihnen das bekannt vor?«, fragte der Hausmeister und musterte ihn missmutig.

Jonathan nickte betreten.

»Wie kann so etwas nur passieren?«

Jonathan zögerte. Ob er ihm von seinem missglückten Selbstmord erzählen sollte? Lieber nicht.

»Besser, als wenn Sie selber runtergefallen wären«, sagte der Hausmeister, »das wäre erst eine Sauerei gewesen.«

Das klang vernünftig.

»Reden wir nicht darüber«, sagte der Hausmeister, bevor Jonathan zu Wort kam, und zupfte an seinem Ohrring.

»Tolle Tätowierungen haben Sie«, rief Jonathan ihm nach, als er ging.

Jonathan löffelte den Rest Ravioli in Tomatensoße kalt aus der Dose und fragte sich, warum er seit Ewigkeiten keinen Kontakt zu einfachen Menschen von der Straße gehabt hatte. Mit einem Kaminkehrer vielleicht, einem Straßenbahnfahrer, Postzusteller, Installateur oder dem Leiter einer Supermarkt-Filiale. Schlichte Gemüter, die sein Leben positiv beeinflussen konnten.

Einsam wie noch nie studierte er, der sonst nie zur Flasche griff, seine gutbestückte kleine Bar, die einen Fundus auserwählter Alkoholika barg, mit denen er schüchterne Frauen zu erweichen pflegte. Natürlich nur in Maßen. Nichts irritierte ihn mehr als betrunkene Frauen, die nach einem Drink zu viel voller Weltschmerz die Weltlage besprechen wollten. Jedes Mal war es schwer, angesichts des Jammers von Hunger und Kinderarbeit wieder auf das Wesentliche zurückzukommen. Und beinahe unmöglich, wenn der kleine Schluck zu viel dazu führte, dass die Liebste in Selbstzweifel verfiel oder zu der Erkenntnis gelangte, dass er ein Schwein war, das sie schon längst durchschaut hatte. Er hasste es, wenn sie sich urplötzlich übergaben, um anschließend in tiefe Ohnmacht zu fallen. Natürlich hielt er sich selbst immer vornehm zurück, wenn es ums Trinken ging. Er fühlte sich in der Pflicht, seine Erektion nicht zu gefährden. Anders als zahllose Geschlechtsgenossen ließ er sich niemals gehen, Versagen kam nicht in Frage. Aber diese Zeiten waren vorbei. Nun war alles egal. Jonathan entschied, sich quer durch sein Getränkelager zu saufen, und nahm als Erstes einen großen Schluck aus der teuersten Flasche.

Der Himmel mogelte sich gegen Jonathans Stimmungslage eine Zeitlang mit etwas Sonnenschein durch den frühen Tag. Schlaftrunken setzte Jonathan sich auf die Bettkante.

Endlich begann es zu regnen, und der trübe Morgen trat pflichtgemäß seinen Dienst an. So sollte die Welt für ehemalige Männer sein.

Jonathan duschte und rasierte sich, ließ das morgendliche Bauchmuskeltraining aus und wählte ein passendes Outfit. Auf keinen Fall Trauerschwarz. Leonard Cohen hören und einen schwarzen Hut aufsetzen wäre vielleicht zu naheliegend und verräterisch. Eher optimistische Farben, etwas in Richtung Jürgen von der Lippe mit einem Tick Lagerfeld. Und die original texanischen senfgelben Cowboystiefel.

Seine italienische Dreitausend-Euro-Espressomaschine gab Zeichen. Er goss sich Tomatensaft ein wegen der Vitamine, verzichtete auf das Bio-Müsli und auf all die Cerealien und Mineralstoffe, die ihn sonst über den Tag brachten. Ihm war schlecht. An Trauerarbeit in eigener Sache musste er sich erst gewöhnen.

Das Telefon klingelte.

»Na?«, hörte er Lilianes Stimme. »Wie ist der Befund?«

»Noch nicht da«, log Jonathan.

»Ruf mich an, wenn du Bescheid weißt.«

»Wir sehen uns, ich muss weg.«

Es war viel zu spät, um pünktlich in der Redaktion aufzutauchen. Jonathan gurgelte mit seinem Cappuccino und nahm sich vor, im Job so zu tun, als wäre nichts passiert.

Das Telefon klingelte.

»Spreche ich mit Herrn Jonathan Kaiser?«

»Ja, aber …«

»Gut, dass ich Sie erreiche. Sie erinnern sich sicher an mich. Haben Sie drei Minuten Zeit? Wir machen gerade eine Umfrage über Potenzprobleme von Männern zwischen siebzehn und siebenundsiebzig. Darf ich Sie fragen, wie alt Sie sind?«

»Nein!«

Jonathan ging zur Tür. Das Telefon klingelte, er kehrte zurück und hob ab.

»Ich bin es, Michael.«

»Nein!«

»Es ist meine christliche Pflicht, mich um dich zu kümmern.«

»Nein!«

»Es ist deine Pflicht, mir zuzuhören, wenn ich meiner christlichen Pflicht nachkomme.«

»Nein!«

Jonathan ging zur Tür. Das Telefon klingelte.

»Wo bleiben Sie denn?«, fragte Großhaupt, sein Chef. »Wir haben schon angefangen.«

»Falsch verbunden«, sagte Jonathan, schloss die Wohnungstür hinter sich ab und hörte es schon wieder klingeln. Er rannte das Treppenhaus hinunter. Der zerschmetterte Blumenkasten vor seinem Haus, Zeichen seiner vorabendlichen Schande, war verschwunden. Wie immer hatte er die Wahl. Er konnte mit seinem Rennrad in die Redaktion fahren, um regennass und verschwitzt dort anzukommen – wenn er überhaupt ankam, ohne dass er überfahren wurde. Vielleicht sollte er den Tod herausfordern? Oder mit U-Bahn und Straßenbahn, um, wenn es abends länger dauern sollte, bei der Heimfahrt überfallen oder ermordet zu werden? Auch nicht schlecht. Oder seinen Wagen suchen, der zwanzig Minuten von der Wohnung entfernt irgendwo im Halteverbot geparkt war.

Er riskierte es, suchte seinen Wagen, zerriss das Knöllchen und machte sich auf den Weg in die große weite Welt des Zeitungswesens. Drüben der Sendemast, der ihm elektrische Ströme durch den Kopf schoss. Vorbei am verrotteten Freizeitzentrum, in dem sich Hase, Igel und Ratten guten Morgen sagten.

Stau auf dem Ring. Übermächtige Plakatwände zogen im Schneckentempo vorbei: Jetzt brauch ich was Leichtes. Happy Hippo von Professor Lol, der flüssige Schwuppdi-wupp-Snack. Besonders mild und sahnig und erfrischend natürlich.

Jonathan dachte an seine restlichen sieben Schuss. Plötzlich sah er die Welt mit neuen Augen. Er lauschte mit halbem Ohr der Werbung im Regionalsender, während er den Nachbarn auf der Nebenspur beobachtete. Wie viele Schüsse der Typ wohl noch im Depot hatte?

»Elend, Hunger, Krankheit und Bildungsnot in aller Welt. Helfen Sie mit, kaufen Sie Wasserbetten bei Betten-Heiner.«

Die Stadt, in der er lebte, zeigte kein Zeichen von Rührung. Alles war wie immer, und so sollte es wohl auch sein. Wer kümmerte sich denn noch um seinen Nächsten? Nachbarn entdeckten die Leichen ihrer Mitbewohner erst nach Jahren der Verwesung. Das war früher sicher anders gewesen.

Jonathan hing merkwürdig verwegenen Gedanken nach, die von Neid erfüllt waren, als er im stockenden Verkehr durch die Stadt fuhr: Wie viele Leute sich gerade in diesen anständigen Häusern wohl den Wonnen der Liebe hingaben? Ob es hundert waren oder tausend? Und nicht nur hier in diesem maroden Ort mit über zwölf Prozent Arbeitslosigkeit. Wie stand es mit ganz Sachsen-Anhalt? Dort müssten gerade zumindest hunderttausend Geschlechtsgenossen ihre feuchten Körperhöhlungen und ausgefahrenen Stiele betasten und ineinander eindringen lassen. Nun nehmen wir Deutschland, natürlich samt alten und neuen Bundesländern. Jonathan fieberte, während er rechnete. Man konnte es natürlich nur über den Daumen peilen. Europa – heißblütige Italiener und Italienerinnen. Kühle Engländer, die ihre Gattinnen begatteten. Die Holländer und Dänen. Und – o, là, là! – nicht zu vergessen die charmanten kleinen Französinnen. Jonathan grollte. In China wälzten sich ganz bestimmt eine halbe Milliarde heißer kleiner gelber Körper in ihren Strohhütten. Es musste eine Billion Menschen draußen geben – junge und alte, dicke und dünne, arme und reiche, kluge und dumme, nette und widerwärtige –, die genau in diesem Moment zum Orgasmus kamen. Es war eine deprimierend faszinierende Vorstellung. Das Gemeinschaftsgefühl sexueller Erregung verschaffte Jonathan das sichere Gefühl, dass sein Drama mit der plötzlich ausgebremsten Begierde völlig unwichtig war. Wir alle auf dieser gesamten schönen Mutter Erde sind doch nur ein Tropfen Sperma im Ozean aus Sex.

Ein Auffahrunfall, keine brennenden Autos, keine Leichen, nur ein paar traurige Gestalten neben ihren verbeulten Karren, mürrische Gesichter im Regen, trübe Augen, die die vorbeiziehende Autoschlange neidisch betrachteten.

»Was ist der Sinn des Lebens?«, fragte die Werbung. »Für Ihren Körper brauchen Sie mehr als nur zwei Beine. Tanken Sie Leistung. Wenn Ihre Freundin ein Moppel ist, schicken Sie sie ins Fitnessstudio Be cool.«

Jonathan wechselte die Spur und gab Gas.

»Die Nachrichten. Im Spanner-Prozess wurde nun das Urteil gefällt. Wir schalten um zu unserer Außenreporterin Sonja Kleinschmidt …«

Jonathan hörte weg und sank in sich zusammen. Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Diese Fragen hatte sich Jonathan vor der bitteren Antwort auf die Frage aller Fragen noch nie gestellt. Sieben Schuss? In seinem Kopf ratterte die Rechenmaschine. Er war knapp vierzig Jahre alt. Wenn er sich bis ins Alter von fünfundsiebzig an seiner Wollust erfreuen wollte, musste er sie auf fünfunddreißig Jahre verteilen. Nach Jonathan Riese wäre das ein Orgasmus alle fünf Jahre. Das hieß sparsam sein und haushalten, nicht gerade seine Stärke. Und selbst dann wäre sein nächster Schuss erst in fünf Jahren dran.

»Männer sind einsam«, grölte Grönemeyer, »Männer nehmen in den Arm, Männer geben Geborgenheit, Männer weinen heimlich, Männer brauchen viel Zärtlichkeit, oh, Männer sind so verletzlich, Männer sind auf dieser Welt einfach unersetzlich.«

Andererseits, überlegte Jonathan, konnte er sich mit seinem kleinen Vorrat von sieben Schüsschen auch ein schönes Wochenende machen und alles verschleudern, um dann ins Kloster zu gehen. Allerdings, befürchtete er sogleich, konnte er als gänzlich Schussloser unter durchschnittlich bestückten Mönchen zum Opferlamm ihres Standesdünkels werden. Schließlich bestand die Hauptaufgabe der Klosterbrüder darin, sich mühsam vor Schamlosigkeit und irdischen Gelüsten zu hüten, um ihr Keuschheitsgelübde einzuhalten.

Kapitel 3

»Achtung verdient, wer erfüllt, was er vermag.«

Sophokles

Der Verlag war in einem großen abbröckelnden Altbau zwischen ehemaligen Kasernen, Schrottplätzen und Schrebergärten im Osten der Stadt untergebracht. Es gab ein halbleeres Einkaufszentrum und ein Garten-Center in der Nähe. Verrostete Bahngleise an einem verfallenen Bahnhof. Hundert Meter weiter ein Swingerclub, oder eine Weight-Watchers-Filiale, keiner wusste es genau, denn die Belegschaft wollte dort weder bumsen noch abnehmen. So oder so ein guter Platz für Paula – die etwas andere Frauenzeitschrift, mit der der Herausgeber und Chefredakteur Großhaupt immer noch mittelgute Auflagen im Westen und vermehrt im Osten machte.

Jonathan bog auf den Firmenparkplatz ein. Auf seinem angestammten Platz stand ein kleiner hässlicher Bastard von Auto. Das brachte das Fass zum Überlaufen. Jonathan schlug mit den Händen aufs Lenkrad und hupte, dann stieg er aus und gab dem Wagen einen Tritt an den Reifen. Anschließend nahm er seinen Schlüssel und kratzte der Karre ein Zorro-Zett auf die Motorhaube.

Die Empfangsdame, das Rückgrat des Verlags, schwarzes Kostüm, schwarze Strümpfe, schwarze Schuhe, musterte ihn mit Grabesmiene. Aber das tat sie immer. Wie Jonathan vermutete, hatte sie nur zweimal im Jahr ein bisschen Spaß. Vor einem guten Jahr auch mit ihm, und das nur ein halbes Mal. Wenn sie unter Druck geriet, zerbröckelte ihre angelernte arrogante Höflichkeit, und sie war wieder das kleine Vorstadtmäuschen, das sich zu schnell betrank, sich ausweinen wollte, hysterisch wurde, um sich anschließend über der Kloschüssel zu übergeben. Knapp daneben, wie Jonathan wusste.

»Welcher Idiot steht da auf meinem Parkplatz, Julia?«, fragte er wütend. »Das ist mein rechtmäßiger Platz.«

Julia hob die Schultern.

»Es gibt Schlimmeres.« Sie sah auf die Uhr und schüttelte den Kopf. »Arbeitest du eigentlich noch für uns, Jojo?«

Jonathan starrte sie an, dann lachte er sein offizielles offenherziges Lachen.

»Wovon zum Teufel sprichst du?«

»Wir sind ein Team! Einer für alle, alle für einen.«

»Sei nett zu mir, Julia.«

Jonathan spürte, wie ihm die Mischung seines nächtlichen Getränketests vom Kopf in den Magen fuhr, zwickte seinen Schließmuskel zusammen und schlenderte auf seinen Kreuzweg durch das fröhlich lärmende Großraumbüro.

»Hallo, Jojo.«

»Hallo, Charlotte.«

»Jojo, wie geht’s denn so?«

»Prima, Cornelia, alles bestens.«

»Schön, dich zu sehen, Jonathan!«

Und so ging es weiter, bis er seinen Arbeitsplatz erreichte. Der war hinten in der kleinen Kammer untergebracht, wo er seine Ruhe hatte.

Wussten die Kolleginnen inzwischen, wie es um ihn stand? Ein einziger Hinweis, von wem auch immer, und alle waren informiert. Versuchten sie ihn zu täuschen? Warum bekam er keine Ratschläge ins Ohr geflüstert, mit großem Aufseufzen und in innigen Umarmungen, oder gar in stillen Ecken Ratgeberbücher in die Hand gedrückt?

Er zog sich in sein kleines Reich zurück, setzte sich traurig hinter seinen Schreibtisch und versuchte sich vorzustellen, dass er in einer Gefängniszelle in Isolierhaft eingesperrt war. Ein Graf von Monte Christo, die Glastür seines Büros fest geschlossen. Nichts hören, nichts sehen, nichts fühlen.

Sein eingebildeter Energieschub verflog sofort, als er bemerkte, dass er nicht wusste, worüber er schreiben sollte. Dabei war er der zuständige Sexexperte im Haus und schrieb unter einer Reihe weiblicher Pseudonyme erfolgreiche Kolumnen, die ihm zugestandenermaßen sensibler aus der Feder flössen als jeder Frau. Er las die konkurrierenden Frauenzeitschriften und stellte fest, dass sie ihre Sexstrecken noch länger, abstruser und monströser durchzogen als er. Neiderfüllt und ergriffen von der Phantasie der Kollegen und Kolleginnen trank er einen Liter Kaffee und drei Flaschen stilles Mineralwasser und fand immer noch kein Thema, bei dem er sicher war, dass er in seinem neuen Zustand die Kraft hatte, sich ihm bis zum Ende zu widmen, ohne unterwegs einen Heulkrampf zu erleiden.

Er ließ seinen Blick in die Fenster des Fitness-Centers schweifen und begutachtete eine Frauengruppe beim Dehnen. Ein neueingerichtetes Angebot, stellte er mit einem Blick auf die Uhr fest. Um diese Zeit war drüben noch nie gedehnt worden.

Ein genialer Einfall durchschoss ihn, woraufhin er sofort die Stoffsammlungsdatei im Rechner öffnete. Da stand es wie vermutet: Die Stabschrecke gehört mit zu den unermüdlichsten Liebhabern der Welt. Hier wird gerne mal zehn Wochen lang durchkopuliert.

Alles klar! Damit konnte er etwas anfangen und die Antwort auf die interessante Gewissensfrage einer 77-jährigen Bildhauerin aus Friesland geben, die er nur noch ein wenig umformulieren musste, damit alles rund und schön übereinstimmte.

»Doch dabei spielt die große Liebe keine wesentliche Rolle«, las er vergnügt weiter, »vielmehr geht es hier um Eifersucht – das Männchen will verhindern, dass sich ein anderer Mann nähert.« Genial! Er war wieder ganz wach und kreativ, so als wäre nichts passiert. Die Arbeit war doch das beste Gegenmittel gegen alles Leid auf dieser Welt.

Sein Telefon klingelte. Der Eigner und Chefredakteur höchstpersönlich.

»Wir haben Sie heute früh bei der Morgenkonferenz vermisst«, sagte Sebastian Großhaupt. »Sie wissen doch, dass wir Sie brauchen. Ohne Ihre Unterstützung und Ihr Talent fühle ich mich von all diesen Frauenzimmern hier erdrückt.«

»Ich hatte da ein kleines Problem«, sagte Jonathan.

»Hatten oder haben?«, fragte der Chef mit dem Gurren eines alten Truthahns. »Kommen Sie bei mir vorbei. Wir können über alles reden.«

Jonathan legte den Hörer auf. Der einzige Mann in der Redaktion außer Valentin und ihm verlangte also nach ihm.

Es klingelte noch einmal.

»Und bringen Sie Ihre Kolumne mit«, sagte der Chef diesmal unwirsch, »wir müssen sie gegenlesen. Ihre letzten Seiten waren mehr als missverständlich. Das können Sie besser.«

Jonathan las weiter: »Auch die Wasserwanzen der Spezies Abedus herberti leiden unter Sexsucht: Innerhalb von sechsunddreißig Stunden haben sie mehr als hundertmal Sex. Und wenn sich Präriewühlmäuse als Paar zusammentun, besiegeln sie den Bund, indem sie in den ersten vierundzwanzig Stunden zwischen fünfzehn- und dreißigmal miteinander verkehren.«

»Ja, ja, ja!«, murmelte Jonathan in einem jener innigen Selbstgespräche, die kreative Menschen immer führen. Das hatte er im Griff. Darüber musste ihm in einer knappen Stunde eine ganze Seite aus den Fingern fließen. Und einmal im Stoff, würde er der 19-jährigen Alzheimer-Nymphomanin eine elegante Lösung anbieten, abgeleitet aus Und täglich grüßt das Murmeltier.

Jonathan rieb sich die Hände. Er war da und bei Sinnen.

»Noch sieben Schuss!«, rief er sich zu. Mit diesem seinem außerordentlichen Schicksalsschlag konnte ihn Weisheit beflügeln. Da klingelte es noch einmal, und dieses Mal klang es anders. Bedeutend und bedrohlich. Jonathan hob den Hörer ab.

»Ja? Bist du es, Michael?«

»Gedankenübertragung«, freute sich dieser.

»Was willst du von mir?«

»Es gibt vielleicht eine Lösung.«

Jonathan hielt den Atem an.

»Ich muss deinen Körper durchchecken. Es ist ungeheuer wichtig. Am besten, du kommst sofort!«

»Ich kann nicht weg.«

»Wenn du jetzt nicht kannst«, sagte Michael, »kann ich dir einen Termin in drei Wochen machen. Wie wäre es am 17. Juli um 15 Uhr 30? Oder dann erst im Oktober.«

»Ich komme sofort!«, rief Jonathan. Vielleicht konnte die Medizin ja alles wieder rückgängig machen? Blutgerinnsel, Krebs, Wahnsinn, Zucker, all die längst schon operierbaren Kleinigkeiten, die sich über den menschlichen Organismus lustig machten.

Er rannte los.

»Ich bin kurz mal weg«, rief er Julia, der Rezeptionsdame, zu.

Kapitel 4

»Es nimmt der Augenblick, was Jahre geben.«

Johann Wolfgang von Goethe

Vorbei an den apokalyptischen Aktbildern, vorbei an den lächelnden Arzthelferinnen.

Michael umarmte Jonathan lange, unterdrückte ein Schluchzen und führte ihn in seine glitzernde Kammer, in der er über Leben und Tod entschied.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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