NORDSEEKRIMI - Aenne Feddersen und die verlorene Frau: Küstenkrimi - Krinke Rehberg - E-Book

NORDSEEKRIMI - Aenne Feddersen und die verlorene Frau: Küstenkrimi E-Book

Krinke Rehberg

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Beschreibung

Aenne und Kommissarin Maike Jensen von der Husumer Mordkommission tappen lange Zeit im Dunkeln, denn so mancher Bewohner der kleinen Halbinsel in Nordfriesland macht sich verdächtig. Tage nach dem Verschwinden der Frau wird ihr Bikini gefunden, frisch gewaschen und zusammengelegt. Die Ereignisse überschlagen sich, als eine Frauenleiche auf Pellworm angespült wird. Wer war die Schwarze Anna und welche Rolle spielt die jahrzehntealte Geschichte in dem aktuellen Fall? Aenne und Maike stoßen auf eine Mauer des Schweigens bei den sturen Bewohnern von Nordstrand.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Epilog
Leseprobe
Prolog
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DANKE

Krinke Rehberg

 

 

 

Aenne Feddersen

und die

verlorene Frau

 

 

 

 

 

 

 

Dieser Kriminalroman ist frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen und/oder realen Handlungen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

 

 

 

Für Sabine

Sie ist alles in oin!

 

 

 

 

 

 

 

ACH JA: NIEMAND IST PERFEKT!

Daher bitte ich, eventuelle Rechtschreibfehla zu entschuldigen ...; )

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

IMPRESSUM

 

© 2023 Krinke Rehberg

Alle Rechte an Cover/Logo/Text/Idee vorbehalten

ISBN: 9798851311253

Imprint: Independently published

Krinke Rehberg c/o Tomkins, Am Wald 39, 24229 Strande

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

»Sie starben, doch sie blieben

Auf Erden wesenlos,

Bis allen ihren Lieben

Der Tod die Augen schloss.«

Theodor Storm

 

 

 

1

Vor 3 Tagen

 

Sie warteten, bis die Flut das Wasser über die Priele treten ließ. Das kleine Boot hatte nur wenig Tiefgang, aber die Gefahr, im Watt steckenzubleiben, war größer als die Furcht vor der schwindenden Nacht. Als sie den blassen Körper in der Plane an Bord hievten, dämmerte es bereits. Stumm tuckerten sie hinaus auf die Nordsee.

In der Ferne tauchte ein Spaziergänger auf, der seinen Hund am Holmer Siel spazieren führte. Sie waren schon zu weit draußen, um erkennen zu können, ob es ein Mann oder eine Frau war.

 

Ihr Schweigen breitete sich auf die Umgebung aus. Kein Möwenschrei, kein Windpfeifen, nicht einmal das Wasser klatschte in gleichmäßigem Wellenschlag an die Außenhaut des Bootes. Die ersten Sonnenstrahlen trafen in spitzem Winkel auf das Wasser und zeugten schon jetzt von einem weiteren Tag mit unbarmherziger Hitze.

Auf ihren Körpern lag ein Schweißfilm, der weder der Hitze noch der körperlichen Anstrengung geschuldet war. Es war die Angst, die sie schwitzen ließ und jedes Wort überflüssig machte. Stur schipperten sie Richtung Lüttmoor, wie die Hallig Nordstrandischmoor von Einheimischen genannt wurde. Sie hielten sich in einigem Abstand parallel zum Lorendamm, der die Hallig mit dem Festland verband. Mit der im Jahr 1934 in Betrieb genommenen Lorenbahn wurden hauptsächlich Baumaterialien für den Küstenschutz transportiert, aber es fuhren auch zahlreiche, meist von den Halligbewohnern selbstgebaute Loren mit Touristen und Haushaltswaren über den knapp 6 Kilometer langen Staudamm.

Die Wiesen des Außendeichs um Nordstrand leuchteten saftig grün und vereinzelt standen bunte Strandkörbe auf dem Deich.

Am Badestrand Holmer Siel trudelten die hart gesottenen Schwimmer ein, die den Tag mit einem ausgedehnten Bad in der Nordsee begannen.

Über allem schwebte wie ein zartes Tuch der wolkenlose Himmel, mittlerweile orangerot verfärbt.

All das registrierten sie schweigend, während das Boot Richtung Fahrrinne nach Pellworm tuckerte.

Das Drosseln des Motors klang wie das Stottern eines Menschen. Das Boot trieb mit der Tidenströmung. Sie holten die Angeln hervor, befestigten je einen Wattwurm am Haken und ließen ihn hinab in das dunkle Nordseewasser. Plattfische bissen auf Würmer an.

Unter der Plane im Bootsrumpf lugte eine schmale Hand hervor. Eine schlickverdreckte Gummistiefelspitze kickte sie zurück unter die Plane, als handelte es sich um eine leere Blechdose auf dem Bürgersteig.

Eine der Angeln zuckte, aber keiner von beiden nahm Notiz davon. Die Angeln hatten an diesem Morgen lediglich eine Alibifunktion.

Sie schauten sich um.

»Los!« Der Befehl durchbrach die Stille.

Gemeinsam hievten sie den Körper über die niedrige Bordwand.

In der morgendlichen Stille klang das Aufklatschen des Körpers auf das Wasser wie der Knall einer zufallenden Tür.

Sie verfolgten gebannt, wie der Körper kurz auf der Wasseroberfläche trieb und schließlich in die Tiefe gezogen wurde.

Dann starteten sie den Motor und machten sich auf den Rückweg.

 

2

Heute

 

Das Watt glitzerte in der Morgensonne. Es sah aus wie ein riesiger, gepunkteter Teppich aus Granit.

Unaufhaltsam strömte das Wasser in die kleinen Priele und die Wattbewohner krochen wieder an die Oberfläche.

Aenne bremste und stieg vom Fahrrad. Sie zog die Handschuhe aus, fischte aus der Klipptasche am Gepäckträger zwei Desinfektionstücher und reinigte sich gründlich die Hände.

Seit Frühjahrsbeginn am 21. März unternahm sie regelmäßig Fahrradtouren und legte zudem alle kürzeren Strecken in Husum und Umgebung mit ihrem Hollandrad zurück. Lediglich für die wöchentlichen Fahrten nach Flensburg in die Justizvollzugsanstalt nutzte sie ihren betagten Volvo Kombi.

Das Radfahren übte eine therapeutische Wirkung auf sie aus. Die Gleichmäßigkeit der Bewegung, das sanfte Schnurren der Räder und der über das Gesicht streifende Fahrtwind ließen sie zur Ruhe kommen.

Am liebsten fuhr sie ans Wasser. Entweder am Außenhafen vorbei zum Dockkoog und weiter am Deich entlang nach Schobüll, oder über Finkhaus nach Lundenbergsand zum Speicherbecken. Von dort war es nur noch ein Katzensprung nach Simonsberg, wo die Surfschule war, in der sie in ihrer Jugend gejobbt hatte. Simons Mountains hatte ihre Clique den Ort genannt, geprägt von all den Anglizismen, die aus den USA herübergeschwappt waren.

Aenne sah über das Watt nach Nordstrand. Der Süderhafen mit seinen Kuttern und Segelbooten war deutlich zu sehen. Sie atmete die salzige Luft tief ein und genoss die einzigartige Landschaft. Diese Momente der absoluten Stille bewirkten, dass ihr eidetisches Gedächtnis pausierte.

Ihr manischer Zwang, alles in chronologischer Abfolge zu tun, wurde durch das Radfahren mit dem Rhythmus des Tretens befriedigt. Sie konnte die Geschwindigkeit durch Kraftaufwand beeinflussen, nicht aber die Chronologie vom Auf und Ab der Pedale.

Häufig heftete sie ihren Blick beim Fahren auf die Zahnräder und die Kette, die perfekt ineinandergriffen und ihre Muskelkraft in Bewegung umsetzten.

Die meditative Wirkung setzte automatisch ein, für die Dauer des Fahrens gelang es ihr, sich normal zu fühlen. Aber wenn sie das Fahrrad in den kleinen Schuppen neben der Garage schob, tauchten die unbewusst gespeicherten Informationen vor ihren Augen auf. Sie wusste nicht nur, wie viele Schafe am Deich gestanden hatten, sondern erinnerte auch Farbe, Kennzeichen und Anzahl der Insassen jedes Autos, das ihr begegnet war. Und alle anderen optischen Eindrücke. Diese Informationen speicherte ihr Gehirn, auch wenn sie sich nicht darauf konzentriert hatte.

Seit dem Unfall vor elf Jahren und dem anschließenden Koma litt sie unter diesem Phänomen. Laut Aussage der Ärzte hatte ihr Gehirn einige Verbindungen neu geknüpft. Die Folge war ein fotografisches Gedächtnis, wie es im Volksmund genannt wurde.

Mittlerweile hatte Aenne gelernt, die Flut der Informationen zu selektieren und abzuspeichern. Bei Bedarf konnte sie darauf zurückgreifen, wie per Mausklick auf eine Datei im Computer.

Ein Neurologe hatte ihr erklärt, wie sie imaginäre Schubladen in ihrem Gehirn anlegen konnte, um die zahlreichen Bilder zu verwahren. Es hatte einiger Übung bedurft, aber mittlerweile beherrschte Aenne das Karussell im Kopf, wie sie selbst es nannte. Ihr Verstand arbeitete wie ein großes Archiv, das mit jeder Sekunde wuchs.

Die Fensterläden der alten Kaufmannsvilla in der Ludwig-Nissen-Straße waren geschlossen. Auch für heute war ein weiterer Hitzerekord in Husum vorhergesagt worden, bereits zum dritten Mal in diesem Sommer.

Aenne genoss das südeuropäisch anmutende Wetter, aber die Freude darüber wurde durch das Wissen gedämpft, dass diese Temperaturen für Nordfriesland nicht normal waren.

Die unzähligen wissenschaftlichen Artikel, Analysen, statistischen Wetterdaten, Aufzeichnungen und Zukunftsperspektiven hatte sie abgespeichert. Nach intensiver Beschäftigung mit den Daten war sie zu dem Schluss gekommen, dass der Klimawandel nicht aufzuhalten war.

Es würde Veränderungen geben, massive Veränderungen, die auch ihre Heimat Nordfriesland betreffen würden. Nordseeinseln, Halligen und weite Teile der Küste würden in fast allen Szenarien bis 2100 überflutet sein.

Bis dahin würde ihre Asche längst auf dem Grund der Nordsee liegen, aber Aenne nahm die Verantwortung ernst. Es war ihr ein Anliegen, die Erde als Lebensraum für die nächsten Generationen zu erhalten, auch wenn sie keine Kinder und Neffen oder Nichten hatte.

Sie war auf dem Rückweg zum Dockkoog und völlig in Gedanken versunken, als ihr Handy in der Gesäßtasche vibrierte. Sie bremste und warf einen Blick auf das Display. »Rechtsanwältin Feddersen hier, moin!«, meldete sie sich formell, weil eine unbekannte Nummer angezeigt wurde.

»Hier spricht Franziska Uhland. Ich vermisse meine Freundin.«

Aenne klemmte sich das Handy zwischen Ohr und Schulter und stellte das alte Hollandrad so ab, dass der Vorderreifen parallel zu den Pflastersteinen und das Hinterrad im 90 Grad Winkel dazu ausgerichtet waren. Dann drehte sie die Reifen mit der Spitze ihres rechten Turnschuhs, bis sich die Ventile exakt mittig am Boden befanden. Während dieser Prozedur wartete sie, dass Frau Uhland fortfuhr.

»Ich war in den letzten Tagen täglich bei der Polizei, aber die können nichts machen.« Die Stimme klang nervös und verzweifelt.

Aenne stöhnte lautlos auf. Sie brauchte eine chronologische Abfolge der Ereignisse. Ein Zwang, so essentiell wie das Atmen. »Könnten Sie bitte am Anfang beginnen?«

Die Anruferin stutzte, seufzte kurz und sprach mit monotoner Stimme, als würde sie ihr Anliegen bei einer Hotline wieder und wieder vorbringen. »Jana und ich waren am Samstag Vormittag verabredet, aber sie ist nicht gekommen.«

»Jana ist Ihre vermisste Freundin?«

»Ja, natürlich!«

Auch wenn die Antwort empört klingen sollte, hörte Aenne ganz deutlich die Verzweiflung aus Franziska Uhlands Worten heraus. »Gut, wie kann ich Ihnen behilflich sein? Ich bin Rechtsanwältin.«

Am anderen Ende der Leitung raschelte es und Aenne hörte ein Schnäuzen. Offenbar versuchte Frau Uhland, ihr Weinen zu unterdrücken.

»Ich habe Ihre Nummer von der Kommissarin bekommen. Frau Jensen meinte, sie könnten vielleicht helfen. Ich weiß einfach nicht mehr, was ich noch tun soll!«

Aenne dachte an Maike Jensen. Sie und die Kriminalkommissarin der Kripo Husum waren in den letzten Monaten Freundinnen geworden. Soweit ich in der Lage bin, eine Freundschaft einzugehen, dachte Aenne. Zumindest war Maike neben ihrem Vater und dem Therapeuten die einzige Person, in deren Gegenwart sie sich nicht darauf konzentrieren musste, ihre Zwänge zu kontrollieren. Maike kannte ihre Vergangenheit und war fasziniert von ihrem eidetischen Gedächtnis und dem Pragmatismus, mit dem Aenne Sachverhalte äußerte. Dieser Freundschaft war es zu verdanken, dass Restaurantbesuche und sogar Kinovorstellungen mittlerweile von ihr gemeistert wurden! Maike drängte sanft, aber beharrlich darauf, dass Aenne ihr soziophobes Verhalten ablegte.

»Ich kenne Kommissarin Jensen sehr gut. Wenn sie mich empfohlen hat, gibt es einen Grund dafür, also fahren Sie bitte fort«, entgegnete Aenne.

»Ich bin mir sicher, dass Jana etwas zugestoßen ist.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Weil wir am Samstag zusammen für zwei Wochen in Thailand Urlaub machen wollten! Der Flug wäre um 11 Uhr gegangen, aber ich konnte doch nicht einfach ohne sie fliegen!«, schluchzte Uhland.

»Und sie hat sich nicht bei Ihnen gemeldet?«

»Nicht das kleinste Lebenszeichen!« Uhland schluckte und flüsterte: »Bitte lieber Gott, lass sie leben!«

Aenne seufzte. Sie war überzeugte Atheistin, der ihr anerzogene Glaube an den christlichen Gott war bei dem Unfall vor elf Jahren gestorben. Mit Henning.

»Ich habe einen Zweitschlüssel zu ihrer Wohnung. Ihr gepackter Rucksack steht im Flur und auch ihr Reisepass ist da, aber die Polizei will nicht nach ihr suchen!«

»Ich verstehe Ihre Aufregung, Frau Uhland, aber Erwachsene haben das Recht auf die freie Wahl ihres Aufenthaltsortes, da wird nicht einfach bei einer Vermisstenmeldung eine Großfahndung eingeleitet.« Wenn keine Hinweise auf ein Verbrechen vorlagen, ermittelte die Polizei bei Erwachsenen nicht, wenn sie von Angehörigen oder Freunden vermisst wurden. Die erste Behörde, die sich mit dem Verschwinden einer Person beschäftigte, war das Finanzamt, wenn Zahlungen oder Steuererklärungen ausblieben.

»Das wurde mir schon erklärt«, seufzte Uhland. »Immerhin hat die Polizei alle Krankenhäuser überprüft, aber Jana liegt in keinem, das müsste mich eigentlich beruhigen, aber das Gegenteil ist der Fall! Irgendwas ist ihr passiert, das spüre ich!«

»Wann haben Sie zuletzt Kontakt gehabt?«

»Freitag Nachmittag. Jana wollte am Abend noch zu einer Party auf Nordstrand und dann wollten wir uns am Samstagmorgen um 7:30 Uhr am Bahnhof in Husum treffen.«

»Also vor vier Tagen«, murmelte Aenne. Konzentriert wägte sie die Optionen und Theorien ab. Es gab durchaus Szenarien, die ein Verschwinden der Freundin erklären würden, aber keines war logisch. Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas geschehen war, war hoch. Eine gemeinsame Flugreise ließ niemand grundlos sausen, schon gar nicht, ohne sich dem Mitreisenden gegenüber zu erklären! »Wie lange kennen Sie sich schon?«

»Wir haben zusammen Abitur gemacht und sind dann in unterschiedliche Städte gezogen, um zu studieren. Vor ein paar Monaten haben wir uns hier in Husum wiedergetroffen. Seitdem sind wir eng befreundet.«

»Und die Party, was wissen Sie darüber?«

»Eigentlich nur, dass sie auf Nordstrand war«, antwortete Franziska Uhland besorgt.

In Aennes Kopf brandeten Dutzende Fragen wie eine Sturmflut heran. Die einzige Chance, die Polizei zu Ermittlungen zu bewegen, wäre, einen Hinweis auf ein Verbrechen zu finden. Oder zu konstruieren.

Wie immer wartete auf Aenne nur eine Handvoll Pflichtmandate. Freie Kapazitäten hatte sie also, und auch wenn ihr Gefühlsausbrüche und emotionale Verpflichtungen fremd waren, so meldete sich ihr ausgeprägter Gerechtigkeitssinn. Sie wollte dieser Frau Uhland helfen.

Dennoch ließen Miete, Versicherungen und Benzin sich nicht mit Gerechtigkeitssinn bezahlen. »Ich bin keine Behörde, Frau Uhland, meine Arbeit erfordert eine Bezahlung nach Zeitaufwand, das ist Ihnen bewusst?«

Die Antwort war ein Schluchzen.

Aenne wartete einen Moment. »Haben Sie mich verstanden, Frau Uhland?«

»In welcher Welt leben wir nur?«, murmelte Uhland resigniert und legte auf.

Aenne steckte ihr Handy zurück in die Gesäßtasche, setzte den Fahrradhelm wieder auf und schwang sich auf den Sattel. Sie empfand weder Mitleid, noch plagten sie Gewissensbisse.

Ihre Gedanken richteten sich auf die Tatsache, dass Maike der Frau empfohlen hatte, sich an sie zu wenden. Aenne zog die logische Konsequenz, dass auch die Kommissarin Bedenken im Zusammenhang mit dem Verschwinden der Freundin von Franziska Uhland hatte.

Als Aenne die Tür zu ihrer Wohnung im ersten Stock der alten Villa aufschloss, atmete sie tief durch. Während sie aus den verschwitzten Klamotten schlüpfte, eine Waschmaschine anstellte und sich unter die kalte Dusche stellte, liefen die Mitteilungen der Polizeipressestelle wie ein Daumenkino vor ihrem geistigen Auge ab. Die Internetseite der Polizei überflog sie regelmäßig. Ein Blick genügte, um den Inhalt abzuspeichern. Sie konzentrierte sich auf die Meldungen der letzten vier Tage, aber in keiner fand sie einen Hinweis auf den Verbleib der jungen Frau.

Erfrischt trat Aenne in die Küche, schaltete den Wasserkocher ein und blickte hinaus in den parkähnlichen Garten ihrer Vermieterin Lotte Hinrichs. Ums Grundstück herum stand wie eine kleine Reihenhaussiedlung eine Vielzahl von Gewächshäusern, in denen die unterschiedlichsten Tomatensorten gediehen.

Ihre Augen suchten Captain Kirk, ihren gestromten Kater, der sich um diese Zeit normalerweise auf dem Sofa räkelte und von Mäusen und Katzendamen träumte. Wahrscheinlich hatte er sich einen schattigen Platz unter den Büschen gesucht.

Aenne goss das kochende Wasser über die getrockneten Teeblätter in ihren Lieblingsbecher. Er war von der Nordstrander Töpferei und ein Geschenk ihres Vaters. Im Sekundentakt pustete sie in die Tasse. Maike hatte ihre Telefonnummer an Franziska Uhland weitergegeben, weil sie von ihrem manischen Zwang, scheinbar unlösbare Rätsel zu lösen, wusste. Zusammen mit ihrem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit sorgte das Telefonat mit Franziska Uhland für ein Kribbeln in ihrem Bauch, als liefe ein ganzes Ameisenvolk über ihre Magenwände.

Spontan griff sie zum Handy und wählte die Nummer, die sie zuletzt angenommen hatte.

»Hallo?«, hörte sie die Stimme von Franziska Uhland.

»Eine Erstberatung in meiner Rechtsanwaltskanzlei ist kostenlos. Wenn Sie mir Ihre Geschichte erzählen, werde ich sehen, was ich für Sie tun kann«, erklärte Aenne sachlich. Dass Franziska Uhland am anderen Ende der Leitung in Tränen ausbrach, rief keinerlei Empfindung in ihr hervor.

3

Süden, Nordstrand

 

Die Räder des Einkaufswagens rollten quietschend über den Terrazzoboden des Supermarkts.

Das rechte Vorderrad schleifte, sodass Almke Markussen gegensteuern musste, um in den engen Gängen nicht einen der Aufsteller mit Sonderangeboten umzufahren. Sie kannte jede Macke im Boden. Seit Jahrzehnten heftete sie die Augen beim Einkaufen darauf. Immer hielt sie den Blick gesenkt, sah weder zu den Angestellten noch zu anderen Kunden auf.

Alle Bewohner von Nordstrand kannten Almke. Sie war schon früher unwirsch und abweisend gewesen, und das Alter hatte sie nicht umgänglicher werden lassen. Die Markussens bewirtschafteten seit Generationen einen großen Hof. Ackerbau und Viehzucht war für die meisten alteingesessenen Nordstrander die Lebensgrundlage. Seit Anfang des letzten Jahrhunderts war die Insel durch einen Damm mit dem Festland verbunden. Er diente dem Küstenschutz, lediglich Fußgänger konnten damals in das 2,6 km entfernte Wobbenbüll gelangen. In den ersten Jahren des Zweiten Weltkriegs wurde der Damm dann hochwasserfrei auf 4,3 km ausgebaut. Seitdem fuhren Autos über diese Verbindungsstraße zum Festland. Insbesondere in den Sommermonaten kamen Touristen aus ganz Deutschland, um ihre Ferien auf dieser Halbinsel zu verbringen.

Aber die Nordstrander blieben unter sich. Als einheimisch galt nur, wer mindestens in dritter Generation auf der Insel lebte.

Almke Markussens Urgroßvater war der Deichgraf gewesen, er hatte als Lohn für seine Verwalterdienste den Hof vom Landvogt überschrieben bekommen. Sein Sohn, der Großvater von Almke, war über Jahrzehnte der Bürgermeister von Nordstrand gewesen. Die Markussens waren echte Insulaner, sie kannten jeden Quadratmeter ihrer Heimat, jeden Bauern aus den Kögen und jeden Kutter der Fischer im Hafen.

»Na, Almke, was soll´s sein? Ein Viertel gemischtes Hack, wie immer?«, fragte die Verkäuferin an der Fleischtheke und zog mit einem lauten Ploppen Gummihandschuhe über, bevor sie in die Tresenauslage griff.

Almke nickte, ohne aufzusehen. Ihr Rücken war von der vielen Arbeit bucklig, aber die gekrümmte Haltung störte sie nicht. Niemals entwich ihr ein Ächzen oder Stöhnen, wenn sie die Einkäufe zum Hof nach Odenbüll schleppte. Links auf dem Herrendeich säumten die alten Häuser die Straße, aber Almke konzentrierte sich auf den entgegenkommenden Verkehr. Es war Hochsaison und sie fluchte stumm vor sich hin, als zwei Autos aus entgegengesetzter Richtung sie dazu zwangen, in einen Hauseingang zu treten, um Platz zu machen. Sie presste die verblichene Nylontasche mit Hack, Kartoffeln und Zwiebeln darin an ihre Brust und spürte den Windzug des vorbeifahrenden Autos.

Am Ende der Straße bog sie rechts Richtung Odenbüll ein. Gegenüber der Kreuzung war die ehemalige Zahnarztpraxis, wo sie ihr Gebiss bekommen hatte. Stolz fuhr sie mit der Zunge über die perfekt sitzenden Prothesen. Die Praxis war nach dem Tod des Zahnarzts geschlossen worden, aber jedes Mal, wenn sie an dieser Kreuzung stand, sandte sie ein kurzes Dankesgebet gen Himmel. Er hatte sie überreden müssen, die Angst vor der Behandlung und das viele Geld für neue Zähne seien kein Grund, nicht mehr feste Nahrung zu sich nehmen zu können, hatte er gesagt. Und er hatte recht gehabt! Spontan holte Almke eine Kartoffel aus dem Beutel und biss hinein. Es knackte und der Saft troff aus ihrem Mund, aber die Zähne hielten! In hohem Bogen spuckte sie den Bissen aus und erstarrte.

An diesem heißen Morgen brannte die Sonne erbarmungslos vom Himmel auf die alte Frau. Ungläubig sah Almke in den Graben, wo das Kartoffelstück gelandet war. Dann sah sie sich hektisch um, aber weit und breit war niemand zu sehen. Entschlossen stieg sie den steilen Abhang hinunter.

4

Franziska Uhland war eine große, sehr schlanke Mittzwanzigerin mit langem, kastanienbraunen Haar. Ihre sommersprossige Stupsnase kräuselte sich beim Sprechen.

Aenne saß ihr gegenüber in dem kleinen Büro im Souterrain der Villa von Lotte Hinrichs. Es war ein Glücksgriff gewesen, dass sie diese Räume im Untergeschoss hatte anmieten können.

Überhaupt war das Zusammenleben mit der alleinstehenden Dame unproblematisch. Aenne war ihr auf dem Weg ins Büro im Treppenhaus begegnet und hatte eine Schale frisch geernteter Tomaten entgegengenommen. Sie hatte sich bedankt und angeboten, die Tomatenpflanzen später zu gießen. Ihre Vermieterin hatte dankbar geseufzt und das Angebot gern angenommen. Die Hitze mache ihr zu schaffen, sie sei froh, nicht aus dem Haus gehen zu müssen, hatte sie gesagt und Aenne den Arm getätschelt. Als die Wohnungstür sich hinter ihr geschlossen hatte, war Aenne zurück in den ersten Stock in ihre Wohnung gerannt, hatte das Oberteil in die Waschmaschine gesteckt, sich ein neues angezogen und ihre Hände desinfiziert. Berührungen aller Art lösten Panik in ihr aus, irgendwann musste sie Lotte Hinrichs in ihre Zwänge einweihen.

Franziska Uhland hatte sie bei der Begrüßung an der Tür auf Abstand gehalten und ihr den Platz auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch zugewiesen. Sie achtete stets darauf, dass dieser Besucherstuhl im Abstand von einem Meter zum Tisch stand, sodass es nicht möglich war, sich auf ihrem Schreibtisch abzustützen oder etwas abzulegen. Nur so konnte sie sich auf das Anliegen ihres Mandanten konzentrieren.

»Ich glaube, dass Jana etwas Schreckliches passiert ist«, presste Franziska Uhland mühsam beherrscht hervor.

Bevor sie weitersprechen konnte, hob Aenne eine Hand. »Bitte versuchen Sie, der Reihe nach zu erzählen. Es ist wichtig, chronologisch vorzugehen, um kein Detail auszulassen. Zuerst brauche ich einige Angaben von Ihnen.«

Uhland schluckte nervös.

»Wie heißt Ihre Freundin?«

»Jana Pries.«

»Wann genau und wo haben Sie sie zuletzt gesehen?«

»Am Freitag um 16 Uhr haben wir uns im Riva getroffen und die letzten Einzelheiten für die Reise besprochen.«

Aenne wusste, dass das Riva ein Eiscafé in der Hafenstraße am Husumer Binnenhafen war. Jäh tauchte das Bild von Henning vor einem Spaghettieis vor ihren Augen auf.

---ENDE DER LESEPROBE---