Nordseekrimi Buhne: Ein mitreißender Küstenkrimi mit spannenden Ermittlungen an der Nordsee - Krimi Empfehlung - Liv Holm - E-Book + Hörbuch

Nordseekrimi Buhne: Ein mitreißender Küstenkrimi mit spannenden Ermittlungen an der Nordsee - Krimi Empfehlung Hörbuch

Liv Holm

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Beschreibung

  Er bindet sie an Fäden. Und er lässt sie tanzen.   Als Jannis Karlsson und Valentine Herzog zu den Buhnen des Ordinger Sandstrandes gerufen werden, ahnen sie das Schlimmste. Der an die Holzpfähle gelehnte Mann ist offensichtlich keines natürlichen Todes gestorben. Davon zeugt nicht nur die klaffende Oberschenkelwunde, sondern auch die im Holz steckende Axt. Umso erstaunter sind die Ermittler der Sondereinheit für besonders brutale Verbrechen, als sich der Tod des Opfers zügig und unkompliziert aufklären lässt. Doch sie haben die Fallakte noch nicht ganz geschlossen, als eine weitere Leiche auftaucht. Und eines ist klar – dieses Mal wird es nicht so leicht werden. Und dennoch müssen sie ebenso schnell sein. Denn der Wettlauf gegen die Zeit hat bereits begonnen.   Also worauf warten Sie noch? Klicken Sie nun auf "Jetzt kaufen mit 1-Click" und lassen Sie sich an die Nordseeküste entführen!  

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Zeit:3 Std. 46 min

Veröffentlichungsjahr: 2025

Sprecher:Louisa Klein

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Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

Auflage 2025

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Epilog

Prolog

Mit zwei Fingern öffnete der Junge seinen Schulrucksack. Nur ein Stückchen, ganz vorsichtig. Nur so weit, dass er einen Blick hineinwerfen konnte. Nur so, dass seine Vorfreude noch ein wenig mehr wachsen konnte. Er spürte die Euphorie in seinem Inneren kribbeln, so, wie auch das Innere des Beutels in seinem Schulranzen vibrierte. Er hatte es gut geplant, hatte den richtigen Tag gewählt. Musik in der ersten Stunde. Er hatte extra alle Schulsachen zuhause gelassen. Hatte dafür gesorgt, dass er so viel Platz wie möglich hatte, um einen möglichst großen Effekt zu erzielen. Hatte auf dem Hinweg die Lautsprecher seiner tragbaren Boxen so laut aufgedreht, dass niemand sie hören würde. Hatte die Musik erst abgestellt, als die Lehrerin die Schüler wütend anblickte. Die Lehrerin, die niemals gegen den anhaltenden Grundton der durcheinanderredenden Achtklässler ankam, welcher nun auch das wütende Brummen im Inneren seines Ranzens übertönte.

Es war ein Kinderspiel gewesen, sie einzusammeln. Ein Staubsauger mit Umkehrfunktion – so kinderleicht. Einsaugen, ausspucken, bis der Beutel prall gefüllt war und er ihn in seinem Schulranzen verschwinden lassen konnte.

„Und noch einmal!“ Das aufgesetzte Grinsen der schmierigen Alten. Die ganze Schulklasse, die sich in einer Choraufstellung versammelt hat, nachdem die Alte sich endlich doch gegen das Stimmengewirr hatte durchsetzen können. Vor der Tafel. In drei Reihen, der Größe nach sortiert. Wie bei einem der Klassenfotos, die der Junge so sehr hasste.

Gelangweilter Gesang von pickligen Jugendlichen, deren weiblicher Teil versuchte, den Teint mit Make-up zu retten – einer der männlichen Mitschüler ebenfalls, falls er sich nicht täuschte. Leise Töne, die in ihrer Masse nicht einmal die gegenüberliegende Wand erreichen konnten. Nur wenige glückselige Gesichter derjenigen, die sich selbst bereits als Popstars sahen.

Er sang. Heute sang er besonders laut. Seine Stimme hob sich von den anderen ab und das Grinsen der Lehrerin verwandelte sich in Überraschung – und dann echte Anerkennung. Er wusste, dass er singen konnte. Und heute wollte er singen, wollte seine Freude laut herausposaunen. Heute würde ein guter Tag werden.

Das Lied schwoll an und obwohl vereinzelt Lacher den monotonen Singsang durchbrachen, Zeigefinger, die sich auf ihn richteten, war er okay damit. Heute durften sie auf ihn zeigen, heute durften sie ihn verhöhnen. Sie durften alles tun, was ihnen Freude bereitete.

Die Lehrerin sah ihm überrascht hinterher, als er sich aus der Gruppe der Singenden löste und zu seinem Schulrucksack ging. Er zog den dünnen, mit Reißverschluss verschlossenen Stoffbeutel aus seinem Schulrucksack, fühlte den dünnen Stoff unter seinen Fingern. Er griff fester zu und spürte den scharfen Schmerz, das feurige Brennen in seinem Zeigefinger. Ein zweites Mal im Daumen. Doch er sang weiter, lächelte seine noch immer irritierte Lehrerin an, trat auf die Gruppe Schüler zu, die aufgehört hatte, zu singen. Zu überrascht, um mit dem weiterzumachen, was sie getan hatten, und zu verunsichert, um auseinanderzudriften. Sie standen da, sahen zu, was er nun tun würde. Und er sang. Ganz allein. Sang weiter und ging auf sie zu.

Zog den Reißverschluss des Beutels mit einem Ruck auf und warf ihn in die abwartende Menge. Genoss den Moment der Ruhe, des Erkennens, bevor der Sturm losbrach.

Tausende. Er hatte sie heute Morgen in der Frühe abgesaugt aus dem Schutz ihres Nestes. Als sie alle zuhause waren. Es war Herbst und jetzt waren sie viele. Und sie waren aggressiv, denn bald war es Zeit für sie, zu sterben.

Er nahm Zeigefinger und Daumen in den Mund, lutschte an den Stichen, während die Schüler in alle Richtungen auseinanderstoben. Hysterische Schreie. Er schüttelte den Kopf. Hatten ihre Eltern ihnen nicht beigebracht, den Mund zu schließen, wenn Wespen in der Nähe waren? Damit sie nicht hineingelangen und gar in die Luftröhre stechen konnten? Er lachte, als sie umherhüpften, Jungen und Mädchen, die sich gegenseitig schubsten, zu Boden fielen. Ein Ensemble aus hüpfenden, um sich schlagenden Schülern. Und überall zwischen ihnen die Wespen, die bereit waren, die angestaute Unruhe an denen auszulassen, die noch panischer waren als sie selbst.

„Jaaa!“ Er hatte nicht geplant, zu sprechen, wollte nur stummer Beobachter sein. Er legte eine Hand ans Ohr, wo eine einzelne Wespe auch ihn erwischt hatte, spürte das Pochen, das sich im eigenen Rhythmus auszubreiten schien. Ein kleiner zappelnder Körper zwischen seinen Fingern, ein zweiter Angriff auf seine Fingerkuppe. Vorsichtig ließ er sie frei, in der Hoffnung, dass sie auch ein drittes Mal würde zuschlagen können. Das Crescendo aus Schreien, endlich die Euphorie, die im Schulalltag fehlte. Echte, unverfälschte Emotionen. „Ja!“, wiederholte er und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

„Tanzt nur. Tanzt für mich!“

Kapitel 1

Valentine Herzog riss die Augen auf. Doch statt der Schwärze ihres traumlosen Schlafes prasselten nun wieder die Reize auf sie ein. Und wie üblich brachten sie Geräusche und Bilder mit, breiteten sich in der Dunkelheit aus, als wären sie tatsächlich da. In diesem Moment. An diesem Ort. Das ohrenbetäubende Knallen, das selbst das metallische Rattern des einfahrenden Zuges übertönt hatte. Die darauffolgende Stille – das Einatmen des Schreckens, zu dessen Teil sie geworden war. Diese scheinbare Stille, die lauter war als die Schreie, die ihr folgten. Der Laptop, auf dem der Livestream lautlos lief. Ihr Kollege Jannis, der ins Bild stürzte, auf die Wand einschlug, als er das letzte Geschenk von Joachim Menzel vor sich sah.

Valentine setzte sich im Bett auf, ganz langsam nur. Nach fast drei Jahren wurde sie noch immer von Bildern und Geräuschen verfolgt. Das Gefühl von Schock und Panik war einer resignierten Leere gewichen, wann immer sie zurückkamen. Anfangs hatte sie die Szenen im Traum gesehen, bis sie schweißgebadet aufgewacht war und Schwärze sie umhüllte. Doch inzwischen waren die Träume verblasst, während die Farben der Bilder in Zeiten der Schlaflosigkeit greller geworden waren – klarer gezeichnet, als wollten sie die Realität in den Schatten stellen.

Maja war tot. Tot. Noch immer ein Fakt, den sie nicht fassen konnte, so sehr er sich auch in ihr Gehirn gebrannt hatte. Maja hatte sich Joachim Menzel freiwillig hingegeben, um ihn zu stoppen. Und ihr Plan war aufgegangen. Sie war bereit gewesen, den höchsten Preis zu zahlen, um noch mehr Leid zu verhindern. Und auch, wenn Valentine Herzog Maja – Lebenspartnerin von Jannis und Mutter seiner Tochter – anfangs zurück in den Harz gewünscht hatte, entwickelten sich die drei am Ende zu einem herausragenden Team. Doch jetzt war sie schon seit fast drei Jahren nicht mehr da.

Tagsüber konnte Valentine inzwischen wieder ihren Alltag leben. Ihr Job nahm sie und Jannis wie immer voll in Anspruch und Jannis und seine Tochter Lotta bildeten den kleinen Rest, den sie als ihr Privatleben betiteln durfte. Jannis hatte lange Zeit Unterstützung gebraucht. Der stets durchstrukturierte Mann, der nie den Überblick zu verlieren schien, war orientierungslos im Ozean umhergeschwommen, während Valentine sein Leben neu organisierte. Die Verbundenheit, die daraus zwischen ihnen entstanden war, war bis heute nicht verloren gegangen.

Valentine blinzelte verschlafen zu ihrem Handy hinüber. Sein Leuchten tauchte den Raum in ein diffuses Dämmerlicht. Erst als das Gerät vibrierend über den Nachttisch zu hüpfen schien, registrierte sie, dass es klingelte. Ein brennender Schmerz zog durch ihre Rippen, als sie sich nach dem Handy reckte. Ein Überbleibsel aus einer polizeilichen Übung, die in der Realität tödlich für sie ausgegangen wäre. Zwar war es gelungen, den Statisten, der den Terroristen gespielt hatte, zu überwältigen, doch das bot wenig Trost für ihre geprellten Rippen. Noch weniger für die Tatsache, dass Michael Hagedorn, der Leiter des Morddezernats, sie anschließend dazu verdonnert hatte, den Polizeipsychologen aufzusuchen – denselben, der sie und Jannis nach Majas Tod auf Arbeitstauglichkeit getestet hatte.

Hagedorn hatte ihr vorgeworfen, während der Übung unnötig ihr Leben riskiert zu haben. Sie sei, so seine Worte, seit Majas Tod „waghalsig und überengagiert“. Valentine hatte ihn nur verständnislos angesehen. Er wollte nicht hören, was sie ihm zu erklären versucht hatte: Dass Jannis sich in unmittelbarer Gefahr befand, im direkten Schussfeld des Täters. Dass er ahnungslos war, auf eine Falle zuzusteuern, während sie die Möglichkeit hatte, das Blatt zu wenden.

Von ihrer Position in der ersten Etage hatte sie eine bessere Sicht als Jannis. Doch durch die vom „Terroristen“ installierte Funkstörung war eine Warnung unmöglich gewesen. Als der Mann um die Hausecke trat und aus ihrem Blickfeld zu verschwinden drohte, hatte Valentine gehandelt. Sie war gesprungen.

Er hatte sich zu ihr umgedreht, die Waffe erhoben – doch sie war schneller gewesen. Ihr Schuss hätte ihn an der Schulter getroffen, wäre die Munition echt gewesen. Wäre ihr Stand stabiler gewesen, hätte sie sein Herz oder seinen Kopf getroffen. Doch der unpräzise Schuss aus der Bewegung heraus hatte dem Mann noch genug Zeit gelassen, einen tödlichen Treffer zu simulieren. Für sie war die Übung damit vorbei.

Am Ende war es Jannis, der den Terroristen ausschaltete und zum Helden der Übung erklärt wurde – zu Recht. Er hatte im Bruchteil einer Sekunde die Lage erfasst und folgerichtig gehandelt. Valentine hingegen saß nun mit geprellten Rippen und der Aufforderung zur „Abklärung auffälliger Risikobereitschaft im Dienst“ bei einem Psychologen.

Dabei riss diese Untersuchung alte Wunden auf – Wunden, die sie seit Majas Tod tief in sich verschlossen hatte. Doch sie hatte keine Wahl.

Michael Hagedorn.

Valentines Handy schien bereits länger geklingelt zu haben, als sie angenommen hatte. Denn in dem Moment, in dem sie den Namen ihres Chefs auf dem Display erkannte, verschwand er bereits. Sie sprang aus dem Bett, unterdrückte ein Aufstöhnen, als ihre Rippen schmerzhaft protestierten, und schaltete das Deckenlicht ein. Ein stechender Schmerz schoss durch ihren Kopf, als die plötzliche Helligkeit ihre geweiteten Pupillen traf. Mit zusammengebissenen Zähnen schüttelte sie den Schmerz ab und drückte die Rückruftaste.

„Wir brauchen Sie hier.“ Keine Begrüßung. Keine Erklärung. Kein Abschied. Nur der eine Satz, bevor er wieder auflegte. Sekunden später vibrierte ihr Handy erneut, als eine eingehende Nachricht ihr die zu Hagedorns Aufforderung zugehörigen Koordinaten übermittelte. Valentine starrte einen Moment lang fassungslos auf das Display. Normalerweise war ihr Chef alles andere als kurz angebunden – mit seinen melodiös klingenden Redeschwallen war häufig genau das Gegenteil der Fall. Dass es dieses Mal anders war, konnte nur eines bedeuten: Sie hatten eine Leiche gefunden. Und diese Leiche war der Einheit für besonders schwere Verbrechen zuzuordnen.

Kapitel 2

„Frederick.“ Valentine Herzog nickte dem Leiter der Spurensicherung, Frederick Jahn, kurz zu. Unruhe breitete sich in ihr aus, als der raue nächtliche Seewind ihr durch die Haare fuhr. Gern hätte sie sich auf dem Weg zum Strand einen Kaffee an einer Tankstelle geholt, doch das kurz angebundene unmissverständliche ‚Gespräch‘ mit ihrem Chef hatte deutlich gemacht, dass dafür keine Zeit war.

Die Nordsee war aufgewühlt, ein wildes dunkles Wesen, das sich einen erbitterten Kampf mit dem aufkommenden Sturm zu liefern schien. Herzog spürte vernebelte Wassertropfen, kalte Nebelschleier der See, die ihr ins Gesicht spritzten, schmeckte das Salz der Nordsee auf ihrer Zunge.

„Die Arbeiten sind fast abgeschlossen.“ Frederick Jahn musste rufen, um den Sturm zu übertönen. Herzog nickte, während sie ihre Haare mit einer raschen Bewegung zu einem strammen Pferdeschwanz zusammenfasste. Ihr Gesicht kribbelte bereits, die Haut gereizt, nachdem ihr der Wind ihre Haarspitzen bereits mehrfach in ihr Gesicht gepeitscht hatte. Ihr Blick wanderte zu den Silhouetten der Männer und Frauen in der Ferne, die im flackernden Licht der Einsatzfahrzeuge wie Schatten wirkten. Das Flatterband spannte sich unter dem Druck des Windes so weit, als wolle es sich losreißen. Als wolle es sich wehren, den Ort als denjenigen zu markieren, der er war – ein weiterer Tatort.

Für einen Moment flogen Herzogs Gedanken zurück zu den Monstern, denen sie im Laufe ihrer Berufslaufbahn begegnet war. Ein Monster, das sich für den Tod seiner Frau gerächt hatte. Ein anderes, das einen Wettlauf gegen die Zeit eingeläutet hatte, bei dem die Rettung der Opfer vielleicht noch möglich gewesen wäre. Ein Ungeheuer, das Minderjährige tötete, weil es sie für Täter hielt …

… der Puppenspieler, der einzige ungefasste Täter, der sein Opfer marionettengleich an seiner Stelle töten ließ …

… und dann Joachim Menzel – eine Gestalt, die in jedem Thriller zweifellos die Position des Endgegners einnehmen würde. Der Mann, der Jannis und Maja bis an die Nordsee verfolgt hatte, nur um ihnen seine Macht zu demonstrieren. Und er hatte sie in all seiner Brutalität bewiesen.

„Hast du gehört, Valentine?“ Herzog zuckte zusammen, als Frederick Jahns Stimme plötzlich nah an ihrem Ohr ertönte. Sie schüttelte den Kopf, unsicher, ob es ihre eigenen Gedanken oder der Wind gewesen war, die seine Worte verschluckt hatten. „Da vorne kommt Jannis.“ Herzog folgte seinem Blick, drehte sich in die Richtung, in die Jahns Finger deutete, und sah ihn. Jannis war unverkennbar: Er hatte wie immer die Hosenbeine so weit hochgekrempelt, dass der nasse Sand nicht an den unteren Säumen hängenbleiben konnte. Und trotz der Ahnung, dass grausame Neuigkeiten auf sie zukommen würden, musste sie lächeln.

Es hatte seine Zeit gedauert, doch Jannis war endlich wieder er selbst. Nicht zuletzt wegen ihrer Hilfe war er schließlich wieder der Mann geworden, von dem sie sich seit mehr als einem halben Jahrzehnt emotional nicht lösen konnte. Ob es jemals eine gemeinsame Zukunft für sie geben konnte, in der sie mehr waren als Kollegen, die sich gegenseitig in ihrer Freizeit unterstützten, wusste sie nicht. Und wenn es ihr auch nicht egal war, war ihr das, was sie hatten, heilig. Es war nicht alles, aber es war dennoch groß.

„Valentine.“ Jannis strich ihr die Haare, die sich aus dem Zopf gelöst hatten, aus ihrem Gesicht und hielt kurz inne. Sein Blick war ruhig, fast prüfend, bevor er sich abwandte und Frederick Jahn begrüßte. „Was haben wir?“ Jahn winkte sie näher. Herzogs Waden schmerzten, als sie gegen den Wind ankämpfend durch den weichen Sand stapften. Aufgewirbelte Sandkörner peitschten ihnen auf nackte Hautstellen und hinterließen ein ebenso unangenehmes Kribbeln, wie es Herzogs Haarspitzen vor wenigen Minuten getan hatten. Sie zog ihre Jacke enger um sich und zog den Reißverschluss bis zum Kinn hoch, während sie umständlich versuchte, den Kragen so weit wie möglich ins Gesicht zu ziehen.

Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie Jannis’ Mund zuckte, als wäre er kurz davor, zu lächeln. Doch das Zucken erstarb, als sein Blick wieder Richtung Küste wanderte. Herzog hob den Kopf und folgte seinem Blick. „Moment mal.“ Sie blieb stehen und kniff die Augen zusammen, um zu erkennen, was sich da vor ihr an der Buhne befand.

Die senkrecht in den Strand eingelassenen Holzpfähle bewirkten, dass das Wasser der Flut bei rauen Bedingungen brach und verlangsamt wurde, bevor es mit seiner gewaltigen Macht auf den Strand und die Dünen treffen könnte. Die Buhne schützte die Küstenlandschaft – doch für das, was Herzog sah, war sie nicht vorgesehen. „Ist das das Opfer?“ Frederick Jahn nickte und beantwortete ihr somit die rhetorisch gemeinte Frage. Denn natürlich hatte Herzog auf den ersten Blick erkannt, dass es sich bei dem Schatten, der gegen den starren Holzpfahl gelehnt saß, zweifelsfrei um einen toten Menschen handelte. Im grellen Gegenlicht der von der Spurensicherung aufgestellten Flutlichtstrahler sah sie den nach vorn gebeugten Kopf, der bei jeder stärkeren Windböe gegen den Pfahl schlug. Sie sah den Schatten des linken Armes, der auf den Beinen ruhte, als wolle er sich nach einem anstrengenden Arbeitstag ausruhen. Und auch, wenn sie nicht sagen konnte, woran es lag, wirkte der Körper aus ihrer Perspektive grotesk unvollständig. Sie sah die linke, ihr zugewandte Körperhälfte, während der Rest ihrem Blickfeld vollständig verborgen blieb. Und doch wusste sie bereits jetzt, dass irgendetwas an der Art, wie der Mensch dasaß, falsch war.

Vielleicht war es wieder ihre Hochsensibilität, die sie ahnen ließ, dass sie Entsetzliches sehen würden, wenn sie dem Absperrband folgen und die Perspektive wechseln würden. Vielleicht war es aber auch die Tatsache, dass man sie und Jannis nicht gerufen hätte, wenn es nicht so wäre. Schließlich waren sie als Einheit für besonders schwerwiegende Verbrechen nicht zuständig für Wanderer, die sich in der rauen Nacht verirrten und an den Pfählen der Buhne erfroren, oder für diejenigen, die körperlich unversehrt an der Buhne lehnten, weil sie zu viele Schlaftabletten genommen hatten. Sie und Jannis wurden nur dann zum Tatort gerufen, wenn klar war, dass der Fall nicht in die Hände der Kripo gehörte.

„Schon irgendwelche Erkenntnisse?“ Jannis‘ Stimme kam problemlos gegen den Sturm an, verdrängte ihn, als würde sich der Wind hinter seinen Worten verstecken. Herzog sah zum Leiter der Spurensicherung, der resignierend mit den Schultern zuckte. „Die Todesursache scheint auf den ersten Blick eindeutig.“ Herzog sah zu dem Schatten des Mannes, bevor sie erneut fragend zu Jahn sah. „Eindeutig?“, hakte sie nach und dieses Mal nickte Jahn. „Kommt mit.“ Er führte sie weiter am Absperrband entlang und Stück für Stück erhellten die Flutlichter den restlichen Körper des Mannes. Herzog musste die Augen zusammenkneifen, um sicherzugehen, dass sie richtiglag. Sie sah die einzelnen Puzzleteile und doch dauerte es eine Weile, bis ihr Bewusstsein akzeptierte, wie sich das Bild vor ihren Augen zusammenfügte.

Die klaffende Wunde über dem Knie des Mannes. Ein dicker, weißer Oberschenkelknochen, den sie sogar aus der Entfernung zwischen dem losen Gewebe ausmachen konnte.

Und die Axt, die knapp neben dem Mann im Holz der Buhne steckte und bewegungslos sogar dem Sturm trotzte.

Kapitel 3

„Die tödliche Verletzung wurde zweifelsfrei mit der sichergestellten Axt zugefügt.“ Dr. Alfred Meinerts Stimme klang monoton, als er die Info in sein über dem Metalltisch hängendes Diktiergerät sprach. Er drückte auf den Knopf, der die Aufzeichnung beendete, und wandte sich Professor Marvin Stahlschmidt zu.

„Ich habe es noch immer nicht ganz verstanden“, zog Herzog die Aufmerksamkeit auf sich und trat näher an die beiden Männer heran, während sie Jannis hinter sich zurückließ. Der Chemiegeruch des Obduktionssaales brannte in ihrer Nase und sie unterdrückte den Niesreflex, indem sie die Nasenflügel kurz zusammendrückte. Tränen schossen ihr in die Augen und sowohl Stahlschmidt als auch Meinert sahen sie fragend an.