Novellen vom Gardasee - Paul Heyse - E-Book

Novellen vom Gardasee E-Book

Paul Heyse

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Beschreibung

Neue Deutsche Rechtschreibung Paul Johann Ludwig von Heyse (15.03.1830–02.04.1914) war ein deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Neben vielen Gedichten schuf er rund 180 Novellen, acht Romane und 68 Dramen. Heyse ist bekannt für die "Breite seiner Produktion". Der einflussreiche Münchner "Dichterfürst" unterhielt zahlreiche – nicht nur literarische – Freundschaften und war auch als Gastgeber über die Grenzen seiner Münchner Heimat hinaus berühmt. 1890 glaubte Theodor Fontane, dass Heyse seiner Ära den Namen "geben würde und ein Heysesches Zeitalter" dem Goethes folgen würde. Als erster deutscher Belletristikautor erhielt Heyse 1910 den Nobelpreis für Literatur. Null Papier Verlag

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Paul Heyse

Novellen vom Gardasee

Paul Heyse

Novellen vom Gardasee

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 1. Auflage, ISBN 978-3-962811-88-4

null-papier.de/522

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Wid­mung

Ge­fan­ge­ne Sing­vö­gel

Die Macht der Stun­de

San Vi­gi­lio

Ent­sa­gen­de Lie­be

Eine ve­ne­zia­ni­sche Nacht

An­ti­qua­ri­sche Brie­fe

Dan­ke

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Widmung

Mei­ner lie­ben Freun­din Emma Kling zu­ge­eig­net.

Gefangene Singvögel

(1901)

Mut­ter, lie­be Mut­ter, Hü­ter stellst du mir? Hüt’ ich mich nicht sel­ber, Hilft kein Hü­ter dir,

(Spa­ni­sches Lied­chen.)

Dass vor mehr als hun­dert Jah­ren, ge­nau­er ge­sagt am 11. Sep­tem­ber 1786, der Gar­da­see ent­deckt wor­den ist, von kei­nem Ge­rin­ge­ren als un­se­rem größ­ten Dich­ter, weiß Je­der, der Goethe’s »Ita­lie­ni­sche Rei­se« ge­le­sen hat.

Frei­lich ging es mit die­ser Ent­de­ckung wie mit man­cher an­de­ren, die für den Kul­tur­fort­schritt der Mensch­heit noch wich­ti­ger war: sie wur­de bald wie­der zu­ge­deckt, noch ehe die Welt so recht von ihr er­fah­ren hat­te; wie eine Quel­le, die frisch zu Tage dringt, ein Weil­chen fort­fließt, dann aber bald von lo­cke­rem Erd­reich wie­der auf­ge­so­gen wird. Denn ob­wohl Goe­the den Gar­da­see »eine herr­li­che Na­tur­wir­kung«, »ein köst­li­ches Schau­spiel« ge­nannt, und von dem, was jetzt Ri­vie­ra heißt, der Stre­cke zwi­schen Gar­gna­no und Salò, er­klärt hat­te, »kei­ne Wor­te drücken die An­mut die­ser so reich be­wohn­ten Ge­gend aus«, war von dem Zau­ber des al­ten Benacus, von dem schon Vir­gil ge­rühmt hat­te, dass »sei­ne Bran­dung wie Mee­res­wo­gen rauscht und braus’t«, das fol­gen­de Jahr­hun­dert hin­durch un­se­res Wis­sens kaum die Rede. Man­zo­ni’s »Ver­lob­te« und Tor­wald­sen’s »Alex­an­der­zug« hat­ten den Co­mer­see in­ter­essant ge­macht, die Bor­ro­me­i­schen In­seln lock­ten große Frem­den­schwär­me in ihre Gär­ten, und die Schlacht von San Mar­ti­no war ge­schla­gen wor­den, ohne dass Sie­ger und Be­sieg­te für den zau­ber­haf­ten Aus­blick nach dem Mon­te Bal­do hin­auf Au­gen und Sinn ge­habt hät­ten.

Da war es vor etwa ei­nem Vier­tel­jahr­hun­dert ei­nem Land­schafts­ma­ler vor­be­hal­ten, den Gar­da­see von neu­em zu ent­de­cken.

Von ver­schie­de­nen Herbst­aus­flü­gen kehr­te mein Freund Bern­hard Fries mit ei­ner wohl­ge­füll­ten Map­pe vol­ler Skiz­zen und Öl­stu­di­en zu­rück, die er mit sei­nem hei­te­ren Ju­pi­ter­lä­cheln vor mir aus­brei­te­te. Er war noch ein Künst­ler der al­ten Schu­le, die der Na­tur ge­gen­über den Be­griff der Schön­heit ge­gen den der Stim­mung noch nicht ver­tauscht hat­te. Da­mals war frei­lich die »An­dacht zum Un­be­deu­ten­den«, die Ar­me­leut­ma­le­rei, der hys­te­ri­sche Hang zur Dis­so­nanz in Kunst und Li­te­ra­tur noch nicht auf­ge­kom­men. Im­pres­sio­nis­mus, schran­ken­lo­ser In­di­vi­dua­lis­mus und wie die Stich­wor­te der neu­en Kunst­an­schau­ung sonst noch hei­ßen, tön­ten noch nicht von den Lip­pen der nach Neu­em be­gie­ri­gen jun­gen Welt, und der Kult der schö­nen Li­nie, der fest­ge­glie­der­ten Form, der kräf­ti­gen Lo­kal­far­be wur­de erst etwa zehn Jah­re spä­ter als aka­de­mi­scher Zopf ver­höhnt.

Bern­hard Fries aber er­leb­te den An­bruch der neu­en Zeit noch, und wenn er dann in Aus­s­tel­lun­gen und Kunst­ver­ei­nen die­ser mo­der­nen Kunst be­geg­ne­te, be­trach­te­te er sie mit stil­lem Kopf­schüt­teln, wür­dig­te hie und da das Ta­lent, wen­de­te sich dann aber ru­hig ab und sag­te: Ich bin kein Kon­su­ment da­für.

Dann kehr­te er in sein be­schei­de­nes Ate­lier zu­rück, zu dem er ein Zim­mer sei­ner Woh­nung ein­ge­rich­tet hat­te, und fuhr fort, sei­ne Bil­der zu ma­len, wie es ihm ums Herz war, un­be­küm­mert, ob sich, trotz der sieg­rei­chen neu­en Rich­tung, »Kon­su­men­ten« da­für fin­den wür­den.

Dass ei­nem so ge­ar­te­ten Künst­ler das Herz auf­ge­hen muss­te ge­gen­über ei­ner Na­tur, »de­ren An­mut kei­ne Wor­te aus­drücken kön­nen«, be­greift man leicht. Auch war es kein Wun­der, dass er mit sei­ner Be­geis­te­rung mich an­steck­te. Ich hat­te auf frü­he­ren Ita­li­en­fahr­ten ei­ner eif­ri­gen Land­schafts­pfu­sche­rei ge­frönt. Da ich kein ei­gent­li­ches ma­le­ri­sches Ta­lent be­saß, auch einen Stim­mungs­ein­druck her­vor­zu­brin­gen mit mei­nem be­schei­de­nen Zei­chen­stift nicht hof­fen konn­te, wa­ren mir land­schaft­li­che Mo­ti­ve die liebs­ten, in de­nen sich’s um reiz­vol­le fes­te Li­ni­en des Ter­rains und, was die Ve­ge­ta­ti­on be­traf, um die ge­schlos­se­nen Kon­tu­ren der Pi­ni­en, Zy­pres­sen, Pal­men und Oli­ven­stäm­me han­del­te.

Das al­les fand ich nun in den Gar­da­stu­di­en mei­nes Freun­des bis auf die hier kaum vor­kom­men­de Pi­nie aufs schöns­te bei­sam­men. Und so wi­der­stand ich der Ver­su­chung nicht, auch mei­ner­seits ein paar Herbst­wo­chen als ein künst­le­ri­scher Frei­beu­ter an die­sem ge­seg­ne­ten Ge­sta­de her­um­zu­strei­fen und da­bei viel­leicht in mei­ner di­let­tan­ti­schen Kun­st­übung einen klei­nen Fort­schritt zu ma­chen.

Freund Fries hat­te mir als das Stan­d­quar­tier, von dem aus er sei­ne Streif­zü­ge un­ter­nom­men, Tos­co­la­no be­zeich­net, und die ein­zi­ge Her­ber­ge in dem klei­nen Nest, das Ca­val­lo bian­co, we­gen ih­rer Rein­lich­keit und Bil­lig­keit ge­rühmt.

Das Lob die­ser bei­den Tu­gen­den soll­te ich bei nä­he­rer Be­kannt­schaft durch­aus ge­recht­fer­tigt fin­den. Tos­co­la­no selbst aber schi­en mir den Vor­zug vor den nach­bar­li­chen Nes­tern Gar­gna­no und Ma­der­no nicht so recht zu ver­die­nen.

Ich war mit dem Schiff von De­senza­no her­ge­kom­men, in der rei­nen Herbst­son­ne des drit­ten Ok­to­ber, vor­über an Salò, dem da­mals noch un­be­rühm­ten Gar­do­ne Ri­vie­ra und dem hei­te­ren Ma­der­no. Zwar die Stra­ße von hier aus durch die hohe Lor­beer­al­lee ent­zück­te mich. Als ich aber Tos­co­la­no er­reich­te, fühl­te ich auf der Wan­de­rung durch die ein­zi­ge son­nen­lo­se Gas­se eine ge­wis­se schau­ri­ge Be­klem­mung, die mich schon be­reu­en ließ, dass ich mei­nem ers­ten Ein­druck nicht ge­folgt und in Ma­der­no ge­blie­ben war.

Doch der freund­li­che Empfang des Wir­tes vom »Wei­ßen Roß«, des­sen bie­de­res dickes Ge­sicht ein ge­müt­vol­les Lä­cheln über­flog, als ich ihm den Gruß des al­ten Gast­freun­des Sor Ber­nar­do be­stell­te, söhn­te mich bald mit dem Quar­tier, das er mir emp­foh­len, aus.

Frei­lich, das Haus selbst lag nicht son­ni­ger als alle an­de­ren. Es glich mehr dem, was wir in uns­rem zi­vi­li­sier­ten Va­ter­land einen Auss­pann nen­nen, als ei­nem rich­ti­gen Al­ber­go, selbst nach ita­lie­ni­schen Be­grif­fen. Auch war das ein­zi­ge Zim­mer, das ge­le­gent­lich einen Frem­den be­her­berg­te und auch mei­nem Freun­de zur Woh­nung ge­dient hat­te, nur ein großer, kah­ler, weiß ge­tünch­ter Raum ohne an­de­res Mo­bi­li­ar, als das brei­te, mit gro­ben, blüh­wei­ßen Lein­tü­chern über­zo­ge­ne ei­ser­ne Bett, einen ein­zi­gen Stroh­stuhl, ein Wasch­be­cken in ei­nem ei­ser­nen Ge­stell und ein wack­li­ges Tisch­chen. Statt des Schran­kes und der Kom­mo­de dienten ei­ni­ge Ha­ken und Nä­gel an der Tür. Und doch war’s, wie man in der Schweiz sagt, ein »froh­mü­ti­ges Zim­mer«. Denn von dem ein­zi­gen Fens­ter aus hat­te man den Aus­blick über einen klei­nen Hof hin­weg in das Gärt­chen, das noch vol­ler Ge­or­gi­nen und spät blü­hen­den Ro­sen war, hin­ten ab­ge­schlos­sen durch eine lan­ge »Ser­re«, aus der eine Üb­er­fül­le gel­ber Li­mo­nen her­vor­leuch­te­te, und über dem Gan­zen die schön ge­run­de­ten Berg­gip­fel, die eben in der Abend­glut brann­ten.

Üb­ri­gens war ich ja auch nicht hie­her ge­kom­men, um im Zim­mer zu sit­zen, son­dern soll­te in die­sem nur die Stät­te fin­den, wo ich nach der er­quick­li­chen Ta­ge­s­strei­fe­rei mein Haupt nie­der­leg­te.

Mein Hand­köf­fer­chen war bald aus­ge­packt – das Tisch­chen und die Tür­ha­ken reich­ten voll­kom­men zur Un­ter­brin­gung mei­nes leich­ten Ge­päckes aus –, mit dem Wirt wur­de ein al­ler­dings sehr mä­ßi­ger Pen­si­ons­preis ver­ein­bart, und ehe die Son­ne noch ganz hin­un­ter war, hat­te ich das Skiz­zen­buch ein­ge­weiht, in­dem ich dar­in vom Fens­ter aus die Um­ris­se des Gar­tens und der Ber­g­land­schaft ent­warf.

Noch den­sel­ben Abend mach­te ich die Be­kannt­schaft der üb­ri­gen Wirts­fa­mi­lie, die her­auf­kam, als ich in dem zwei­ten, et­was grö­ße­ren Zim­mer, das bis auf den Tisch in der Mit­te ganz ohne Mö­bel war, mei­ne fru­ga­le Cena, mit Hil­fe ei­nes recht trink­ba­ren Wei­nes ein­nahm.

Zu­erst kam der Sohn des Hau­ses, Bat­ti­sta, ein treu­her­zi­ger jun­ger Mensch von etwa drei­und­zwan­zig Jah­ren, der sich als einen großen Kunst­freund zu er­ken­nen gab, von den Stu­di­en des Sor Ber­nar­do mit Be­wun­de­rung sprach und auch mir, nach­dem er die an­ge­fan­ge­ne Skiz­ze be­trach­tet hat­te, sei­ne Hochach­tung be­zeig­te. Als ich spä­ter ein­mal im Hof einen Esel zeich­ne­te, der, an einen Pfahl ge­bun­den, ein we­nig Fut­ter zu sich nahm, trat er re­spekt­voll hin­ter mich und brach in die sach­ver­stän­di­gen Wor­te aus: Ah! Pit­tu­ra di ca­rat­te­re!

Die Mut­ter war eine ein­fa­che Frau, sehr schweig­sam und über­aus höf­lich, die mich neu­gie­rig be­trach­te­te und die Lein­wand mei­ner Leib­wä­sche zwi­schen zwei Fin­gern prüf­te. Die Mus­te­rung schi­en sie be­frie­digt zu ha­ben, sie war nun über­zeugt, dass ich kein Land­strei­cher, son­dern ein Si­gno­re und Galan­tuo­mo sei.

Ei­nen Au­gen­blick zeig­te sich auch die Toch­ter des wa­cke­ren Paars, eine lan­ge, dür­re Fi­gur, auf der ein sehr reiz­lo­ses Ge­sicht saß, be­krönt von ei­nem Berg blon­der Flech­ten, eine Turm­fri­sur, mit der sich da­mals auch in Ita­li­en die hüb­sche­s­ten Ras­se­köp­fe ent­stell­ten, wäh­rend sie den Häss­li­chen den An­strich lä­cher­li­cher Vo­gel­scheu­chen lieh.

Die In­ha­be­rin die­ses Haar­ge­bäu­des schi­en aber über den Ein­druck, den sie auf un­be­wach­te Män­ner­her­zen mach­te, durch­aus nicht in Zwei­fel zu sein. Sie ging nur ein­mal mit ih­ren im­po­san­ten Schrit­ten durchs Zim­mer, in­dem sie mei­nen Gruß mit ei­nem leich­ten Kopf­ni­cken von oben her­ab er­wi­der­te, und warf mir von der Schwel­le aus einen Blick zu, der deut­lich sag­te, dass sie über­zeugt sei, ich wür­de in kur­z­em den Wi­der­ha­ken des Brand­pfeils, den sie mir zu­ge­schleu­dert, in mei­ner Brust ver­spü­ren.

Die­se nächs­te Nacht je­doch schlief ich ohne die ge­rings­te Beun­ru­hi­gung und blieb auch wäh­rend der fer­ne­ren Tage ge­gen die Ge­fahr ge­wapp­net, selbst nach­dem ich spä­ter ein­mal gut­mü­tig ge­nug ge­we­sen war, das Por­trät der Toch­ter für ihre El­tern zu zeich­nen. Auch eine Schö­ne­re hät­te mir’s nicht an­ge­tan; war ich doch der Land­schaf­ten, nicht der Staf­fa­ge we­gen, an den ge­prie­se­nen See ge­kom­men, der nicht ge­ra­de durch einen be­son­ders an­mu­ti­gen Men­schen­schlag aus­ge­zeich­net war.

Am an­de­ren Mor­gen aber, als ich in al­ler Frü­he an das Seeu­fer hin­un­ter­wan­der­te und mich in dem Öl­wald er­ging, der hier an der Stät­te auf­ge­spros­sen ist, wo vor Ur­zei­ten das alte Benacus ge­stan­den ha­ben soll, ging mir das Herz auf, und ich rief in Ge­dan­ken dem Freun­de, der mir die­se Wege ge­wie­sen, eine über­strö­men­de Dan­kes­hym­ne zu. Es war in der Tat eine Sze­ne­rie von so über­schwäng­li­chem Glanz des Lich­tes und der Far­ben, der Mon­te Bal­do drü­ben ruh­te so fei­er­lich über dem fast un­wahr­schein­lich pur­pur­blau­en See­spie­gel, den die Ora noch nicht kräu­sel­te, die Well­chen, die am Stran­de ver­rausch­ten, blitz­ten wie flüs­si­ges Gold in den ers­ten Mor­gen­strah­len und ein Traum schi­en die sil­ber­nen Wip­fel der Oli­ven­hal­de zu wie­gen, da sonst kein Lüft­chen zu spü­ren war. Nur der Kum­mer be­fiel mich, dass all dem Zau­ber ge­gen­über mein grau­er Blei­stift noch ohn­mäch­ti­ger als sonst sein muss­te, auch nur einen Hauch die­ser »herr­li­chen Na­tur­wir­kung«, wie der Dich­ter es ge­nannt, auf ei­nem wei­ßen Blat­te fest­zu­hal­ten. So ver­zich­te­te ich zu­nächst auf al­les an­de­re Stu­di­um, als durch die Au­gen, und ge­noss, der Küs­te ent­lang wan­dernd, un­ter den ho­hen Lor­beer­wip­feln, wel­che die Stra­ße über­nick­ten, un­ver­ge­ss­li­che Stun­den.

Als ich ge­gen Mit­tag zu mei­nem dunklen »Wei­ßen Roß« zu­rück­kehr­te, trat der Wirt mir aus der Kü­che ent­ge­gen, auf je­der Hand ein ro­hes Stück Fleisch, mit der Fra­ge, wel­ches von bei­den, das vom Rind oder vom Kal­be, ich zu ver­spei­sen vor­zö­ge. In die­ser zwang­lo­sen Art ver­han­del­te er auch an den fol­gen­den Ta­gen mit mir über das pran­zo. Ich war aber so kunst- und schön­heits­hung­rig, dass ich nur sel­ten mich für mei­ne leib­li­che Nah­rung in­ter­es­sier­te und noch heu­te nicht weiß, ob die Kü­che des Hau­ses hö­he­ren An­sprü­chen ge­nügt ha­ben wür­de.

Nur dass auch die ein­ge­bo­re­nen To­s­ka­ner von sehr ge­nüg­sa­mer Art wa­ren, konn­te mir nicht ent­ge­hen, als ich am ers­ten Mor­gen nach mei­ner An­kunft in dem ein­zi­gen Café des Or­tes zu früh­stücken dach­te.

Das Haus, über des­sen Erd­ge­schoss auf ei­nem schma­len Schil­de zu le­sen war: Lu­i­gi Ca­ra­mel­la, Cafè e Li­quo­ri, lag mei­nem »Wei­ßen Roß« schräg ge­gen­über. Aus dem Fens­ter des Vor­der­zim­mers hat­te ich am Abend ein klei­nes Häuf­lein Ho­no­ra­tio­ren vor dem of­fe­nen Ein­gang zu dem Kaf­fee­lo­kal sit­zen se­hen, rau­chend und aus schma­len Glä­sern ver­schie­de­ne Ge­trän­ke, rote, gel­be und grü­ne schlür­fend, da­bei in eif­ri­gem Dis­put, von dem ich, auch wenn ich in ih­rer Mit­te ge­we­sen wäre, na­tür­lich kei­ne Sil­be ver­stan­den hät­te, da sich alle im Ort, auch der Herr Pfar­rer und der Schul­leh­rer, des Dia­lekts be­dien­ten, der an den schwer ver­ständ­li­chen Bre­s­cia­ner an­klingt. Ge­gen Zehn hat­ten die Her­ren sich er­ho­ben, der Wirt aber war noch auf­ge­blie­ben, hat­te eine Man­do­li­ne ge­holt und dar­auf ei­ni­ge Volks­lied­chen be­glei­tet, die er zu mei­ner Ver­wun­de­rung in der reins­ten nea­po­li­ta­ni­schen Mund­art sang.

Als ich nun am an­de­ren Mor­gen in das Café ein­trat – ich kann­te ja die ita­lie­ni­sche Sit­te, das Früh­stück nicht im Ho­tel ein­zu­neh­men –, stell­te sich mir Herr Gig­gi Ca­ra­mel­la so­fort als einen ech­ten Sohn der bel­la Na­po­li vor, mit­ten in San­ta Lu­cia zur Welt ge­kom­men, ein schlan­kes, schwarz­brau­nes Kerl­chen, des­sen klei­ne Feu­er­au­gen von Ver­schmitzt­heit und Spitz­bü­be­rei fun­kel­ten, sehr an­ders, als man es in lom­bar­di­schen Ge­sich­tern zu se­hen ge­wohnt war.

Er er­zähl­te mir in den ers­ten fünf Mi­nu­ten sei­ne Le­bens­ge­schich­te, wie er in Ge­schäf­ten sei­nes äl­te­ren Bru­ders, der am Po­si­lip große Re­ben­gär­ten be­sit­ze, nach Ge­nua ge­kom­men sei, um dort ih­ren Wein ab­zu­set­zen. Von da habe er an den Gar­da­see einen Aus­flug ge­macht und sei hier hän­gen ge­blie­ben, denn der Be­sit­zer des Cafés sei ge­ra­de mit Tod ab­ge­gan­gen, und er habe ge­dacht, sich als sein Nach­fol­ger auf­zu­tun, nicht so­wohl der Café­gäs­te we­gen, an de­nen nicht viel zu ver­die­nen sei, als um hier oben eine Fi­lia­le für das brü­der­li­che Wein­ge­schäft zu grün­den. Da­mit sei er denn auch gut ge­fah­ren; sein vi­no del Ve­su­vio sei rasch be­liebt ge­wor­den; ob ich ihn nicht auch ver­su­chen wol­le, da man im Ca­val­lo bian­co ge­gen ihn feind­lich ge­sinnt sei und den Gäs­ten dort nur das ei­ge­ne säu­er­li­che Ge­wächs vor­set­ze.

Ich dank­te zu­nächst für die­sen zu so frü­her Stun­de un­ge­wohn­ten Ge­nuss und bat um Kaf­fee. Dazu zu ge­lan­gen, schi­en sei­ne Schwie­rig­kei­ten zu ha­ben. Erst nach lan­gem War­ten brach­te mir der ge­schwät­zi­ge jun­ge Mann das Ge­wünsch­te in ei­nem ver­bo­ge­nen Zinn­känn­chen, ein trü­bes, dickes Ge­bräu, auf ei­nem Schüs­sel­chen ver­staub­te Zucker­stück­chen, ein alt­ba­cke­nes Bröt­chen ne­ben der et­was de­fek­ten Tas­se. Wenn ich Milch wün­sche, müs­se er erst da­nach fort­schi­cken. Sei­ne Kun­den trän­ken den Kaf­fee nur schwarz, zö­gen über­haupt mehr die üb­ri­gen bi­bi­te, li­quo­ri, aqua ga­zo­sa vor, von de­nen er mir eine lan­ge Lis­te zur Aus­wahl vor­hielt.

Hienach ver­zich­te­te ich dar­auf, mein Früh­stück wie­der im Café ein­zu­neh­men, und ließ mir et­was, was ei­nem Milch­kaf­fee ähn­lich sah, von mei­nen Haus­wir­ten be­rei­ten.

Die frü­hen Mor­gen­stun­den wa­ren aber so ein­zig schön, dass ich mich nicht lan­ge mit Früh­stücken auf­hielt, son­dern un­ge­dul­dig ins Freie streb­te. Es war kein Hü­gel, kei­ne Hal­de oder ein­sa­mes Ge­höft im Um­kreis zwi­schen Mon­te Ma­der­no und dem wei­ßen Kirch­lein von Gai­no hoch oben zwi­schen sei­nen jun­gen Zy­pres­sen, die ich nicht mit spä­hen­den Au­gen nach ma­le­ri­schen »Mo­ti­ven« durch­forscht hät­te. Auf’s Pa­pier kam das We­nigs­te. Ich war ein­sich­tig ge­nug, mich da­vor zu hü­ten, die­sen Wun­dern Got­tes mit un­be­hol­fe­ner Pfu­sche­rei Ge­walt an­zu­tun.

Da­ge­gen kam statt der di­let­tan­ti­schen Land­schaf­te­rei mei­ne ei­gent­li­che Mu­sen­kunst bes­ser zu Ehren. In je­nen un­ver­gleich­lich schö­nen Ta­gen füll­te sich mein Skiz­zen­buch mit al­ler­lei ly­ri­schen »Land­schäft­chen mit Staf­fa­ge«, zu de­nen mir die »Mo­ti­ve« von al­len Sei­ten, aus Luft und See und den Wip­feln der Lor­bee­ren zu­ström­ten. Ich hat­te einen glück­li­chen An­fall aku­ter Ly­rik, die wie ein der Lie­be ähn­li­ches Fie­ber mir in den Adern glüh­te. Und vollends, wenn der Tag in rei­nem Gol­de hin­ter dem fer­nen Salò zur Rüs­te ging, sang und klang es in mir wie in der ju­gend­lichs­ten Zeit des »fah­ren­den Schü­lers«.

Laut­los fal­tet nun zu­sam­men Der Ge­birgs­wind fei­ne Flü­gel. Der Zy­pres­sen dunkle Flam­men Lo­dern still em­por am Hü­gel.

Die­se in­ne­re Mu­sik er­füll­te mich so ganz, dass ich es wie eine miss­tö­ni­ge Stö­rung emp­fand, wenn vorm Schla­fen­ge­hen die Gas­sen­hau­er Gig­gi Ca­ra­mel­la’s, so rein er die Me­lo­di­en sang, in das of­fe­ne Fens­ter mei­nes Zim­mers her­über­klan­gen.

An­de­re mu­si­ka­li­sche Ta­len­te lie­ßen sich nicht ver­neh­men.

Was an Vo­gel­ge­sang etwa im Früh­ling zu hö­ren ge­we­sen war, trotz der Jagd­flin­ten, Sch­lin­gen und Leim­ru­ten, mit de­nen man den ar­men klei­nen Sän­gern nach lan­des­üb­li­cher ita­lie­ni­scher Sit­te nach­stell­te, war jetzt im Herbst hier wie über­all ver­stummt. In den Häu­sern des Or­tes, beim Spinn­ro­cken und Web­stuhl, er­klang kei­nes der Ri­tor­nel­le, die im süd­li­che­ren Ita­li­en die Ar­beit der Wei­ber be­glei­ten. Auch in den Re­ben­gär­ten und Oli­vet­ten sah ich die Män­ner ohne Sang und Klang ihre Ge­schäf­te ver­rich­ten, und die Fuhr­leu­te, die oben auf ih­ren schwer be­la­de­nen Kar­ren aus­ge­streckt la­gen, ga­ben kei­nen an­de­ren Laut von sich, als den Knall ih­rer Peit­sche, mit der sie die keu­chen­den Esel und Maul­tie­re an­trie­ben.

Es ging über­haupt nicht lus­tig zu in dem al­ten son­nen­lo­sen Nes­te, und au­ßer dem grin­sen­den La­chen Gig­gi Ca­ra­mel­la’s sah ich nur erns­te, gräm­li­che Mie­nen, selbst un­ter den Mäd­chen und Kin­dern.

Von mei­nem Wirt er­fuhr ich den Grund die­ser all­ge­mei­nen ge­drück­ten und ge­dämpf­ten Stim­mung. Die letz­ten drei Jah­re wa­ren schlech­te We­in­jah­re ge­we­sen, und auch die Oli­ven hat­ten nur einen ge­rin­gen Er­trag ge­ge­ben. Das hat­te Man­chen, der frü­her auf der fau­len Haut ge­le­gen, dazu ge­bracht, in der Pa­pier­fa­brik drü­ben in der Schlucht von Tos­co­la­no für sich oder sei­ne Kin­der Ar­beit zu su­chen, die schlecht be­zahlt wur­de und den Men­schen, das Eben­bild Got­tes, zu ei­ner Ma­schi­ne mach­te. Die Fa­brik sei über­haupt ein wah­rer Land­scha­den. Wie vie­le gin­gen an Leib und See­le da­durch zu Grun­de, bloß da­mit die Ei­gen­tü­mer sich be­rei­cher­ten. Und wozu brau­che man über­haupt so viel Pa­pier? Bü­cher gebe es schon ge­nug in der Welt, in den Zei­tun­gen wer­de doch nur ge­lo­gen, und an­stän­di­ge Mäd­chen, wie sei­ne Ma­ri­et­ta, schrie­ben kei­ne Lie­bes­brie­fe. Wenn es kein Pa­pier gäbe, könn­te der fried­li­che Bür­ger nicht durch Steu­er­zet­tel be­un­ru­higt oder ein Kon­trakt ihm prä­sen­tiert wer­den, den er in ei­ner schwa­chen Stun­de zu sei­nem Nach­teil un­ter­zeich­net hat­te. Pa­pier sei da­her eine Er­fin­dung des Teu­fels, die der Hei­li­ge Va­ter in Rom al­len gu­ten Chris­ten ver­bie­ten soll­te.

Ich hü­te­te mich wohl, dem wa­cke­ren Man­ne zu ver­ra­ten, dass ich selbst von die­ser Er­fin­dung einen aus­gie­bi­gen Ge­brauch mach­te und schon von Be­rufs­we­gen auch an den Fa­bri­ken, wo sie her­ge­stellt wur­de, ein In­ter­es­se hät­te. Ich nahm mir also heim­lich vor, am nächs­ten Tage die in der To­s­ka­ner Schlucht zu be­su­chen. Da ich aber, von Gai­no her­ab­stei­gend, den Weg ver­lo­ren und, hin und her klet­ternd, erst spät die Schlucht er­reicht hat­te, war schon Fei­er­abend an­ge­bro­chen, als ich die al­ten, un­an­sehn­li­chen Fa­brik­ge­bäu­de vor mir lie­gen sah. Für dies­mal muss­te ich dar­auf ver­zich­ten, den Teu­fel am Werk zu se­hen, und schlen­der­te lang­sam die ge­wun­de­ne Stra­ße an der stei­len Fels­wand da­hin, zu mei­ner Rech­ten tief im Grun­de den Ge­birgs­bach, der zu die­ser Jah­res­zeit nur als ein dün­ner Was­ser­fa­den zwi­schen dem Stein­ge­röll hin­sch­lich.

Trotz­dem war eine feuch­te Luft in die­ser Tie­fe, und ich be­schleu­nig­te mei­ne Schrit­te, um wie­der ins Of­fe­ne zu kom­men. Als ich end­lich aus der Schlucht her­austrat, auf die Land­stra­ße, die links in den Ort, rechts nach Ma­der­no führt, weh­te mir ein war­mer Hauch von der Abend­son­ne ent­ge­gen, die eben nie­der­ge­gan­gen war. Ich blieb an der brei­ten Brücke ste­hen, un­ter wel­cher der Bach hin­läuft. Es war hier noch ein we­nig Le­ben. Män­ner in Hem­d­är­meln, die viel ge­flick­ten Ja­cken über die eine Schul­ter ge­hängt, of­fen­bar Fa­brik­ar­bei­ter, stan­den schwat­zend und rau­chend bei­sam­men, jun­ge Wei­ber schlen­der­ten hin und her, zu drei­en und vie­ren un­ter­ge­fasst, nach dem ein­tö­ni­gen Ta­ge­werk in den sti­cki­gen Fa­bri­kräu­men sich in der rei­nen Abend­luft er­ge­hend. Doch durch das ge­dämpf­te Ge­schwirr der Stim­men klang ein hel­ler Ge­sang aus ei­nem Häu­schen, das ganz ein­sam drü­ben an der Stra­ße ne­ben dem tie­fen Bett des Ba­ches lag. Und selt­sam, ich hör­te deut­lich die Me­lo­die des Lie­des, das auch der jun­ge Kaf­fee­wirt aus Nea­pel sang, mit dem schwer­mü­ti­gen Re­frain:

Te vo­glio bene assa­je, E tu non pi­enz’ a me.

Wel­ches Mäd­chen moch­te bei Gig­gi Ca­ra­mel­la in die Schu­le ge­gan­gen sein?

Ich schritt über die Stra­ße auf das Haus zu, ein al­ter, ein­stö­cki­ger Kas­ten, von des­sen Wand der ehe­mals rosa ge­färb­te Be­wurf in großen Fle­cken ab­ge­brö­ckelt war. Ne­ben der brei­ten Tür un­ten nur ein ein­zi­ges Fens­ter, in dem nied­ri­gen obe­ren Stock­werk zwei vier­e­cki­ge Lö­cher, mit fes­ten Lä­den ge­schlos­sen. Zur Sei­te, an die Mau­er ge­drückt, die von der Hin­ter­wand aus noch eine Stre­cke weit fort­lief, ein Gärt­chen, vorn mit ei­nem ver­wahr­los’ten Zaun ge­gen die Stra­ße ab­ge­grenzt. Es moch­te ehe­mals hübsch ge­we­sen sein, große Bü­sche von Lau­rus­ti­nus und Gra­na­ten um­ga­ben einen klei­nen Gras­fleck, in des­sen Mit­te ein Oran­gen­bäum­chen stand, noch mit Früch­ten be­han­gen, die­se aber, wie alle üb­ri­gen Pflan­zen des Gar­tens, dick be­staubt und in der Son­nen­hit­ze hin­ge­welkt.

Ich sah das al­les nur mit ei­nem flüch­ti­gen Blick, denn mein In­ter­es­se wur­de von ei­ner weib­li­chen Fi­gur ge­fes­selt, die vor dem breit of­fe­nen Ein­gang der Haus­tür auf zwei Stein­stu­fen hock­te, auf den Kni­en ein al­tes Klei­dungs­stück, mit des­sen Aus­bes­se­rung sie be­schäf­tigt war. Ne­ben dem Tür­pfos­ten hin­gen vier höl­zer­ne Vo­gel­bau­er, nicht viel grö­ßer als zwei Hand breit im Ge­viert. In dem vor­ders­ten saß eine schö­ne, ziem­lich große Blau­am­sel – Leo­par­di’s Pas­se­ro so­li­ta­rio –, im zwei­ten eine ma­ge­re Nach­ti­gall, im drit­ten eine klei­ne Mei­se, der vier­te Kä­fig war leer. Von die­sen drei Ge­fan­ge­nen schi­en sich nur die Mei­se ih­rer frü­he­ren Frei­heit zu er­in­nern. Sie al­lein sprang zwi­schen den en­gen Stä­ben, so gut es gehn woll­te, hin und her und stieß ver­zwei­fel­te klei­ne Töne aus. Die bei­den an­de­ren sa­ßen re­gungs­los und stumm auf der kur­z­en Qu­er­stan­ge, ein An­blick, der mir ins Herz schnitt.

Ich war vor dem Hau­se ste­hen ge­blie­ben, wäh­rend der Ge­sang drin­nen nicht ver­stumm­te. Jetzt hör­te ich auch das Lied Pa­re nun so­gno, pare paz­zia, – eben­falls ein Re­per­toire­stück Si­gnor Ca­ra­mel­la’s.

Wie könnt Ihr nur die ar­men Vö­gel so eng ein­sper­ren? frag­te ich jetzt die Be­sit­ze­rin des Hau­ses. Sie hö­ren ja auch zu sin­gen auf, wenn sie sich bei je­dem Auf­flat­tern den Kopf oder die Flü­gel zer­sto­ßen. Gebt ih­nen we­nigs­tens grö­ße­re Kä­fi­ge, wenn Ihr sie ge­fan­gen hal­tet.

Die vor mir Sit­zen­de sah mit ei­nem feind­se­li­gen Blick zu mir auf, wie ein Haus­hund, der ge­gen einen un­vor­sich­tig na­hen­den Frem­den eine dro­hen­de Mie­ne macht. Ich be­merk­te nun, dass sie et­was ver­wach­sen war, der Kopf steck­te ihr zwi­schen den Schul­tern. Die Züge des Ge­sichts aber wa­ren re­gel­mä­ßig und noch nicht alt, sie moch­te nicht über Vier­zig sein, in ih­rem dich­ten schwar­zen Haar zeig­te sich noch kein grau­er Schim­mer.

Erst nach­dem sie mich scharf ge­mus­tert hat­te, er­wi­der­te sie: Grö­ße­re Bau­er habe ich nicht; sie »ver­lan­gen sie auch gar nicht« (so!), und die Nach­ti­gall singt auch im Bau­er, wenn es dun­kel ge­wor­den ist. Die Blau­am­sel ist krank, die wür­de über­haupt nicht mehr sin­gen, auch wenn ich ihr einen haus­großen Kä­fig gäbe. Zit­ta, A­de­le! un­ter­brach sie sich plötz­lich, in­dem sie sich halb um­wen­de­te. Drin­nen brach plötz­lich der Ge­sang ab. Ich sah jetzt, dass die Haus­tür gleich in die Kü­che führ­te, hin­ten am Herd hat­te die Sän­ge­rin zu schaf­fen ge­habt und da­bei ihre hel­le, fri­sche Stim­me hö­ren las­sen. Et­was Wei­ßes be­weg­te sich in dem düs­te­ren Raum hin und her, ein paar auf­zu­cken­de Flämm­chen auf dem Her­de be­leuch­te­ten eine lose Ja­cke und zwei schlan­ke Arme, das Ge­sicht blieb im Schat­ten.

Hört, sag­te ich wie­der, mich dau­ern die ar­men Vö­gel. Die Nach­ti­gall wür­de noch viel schö­ner sin­gen, wenn sie dort in Eu­rem Gärt­chen säße, und die Blau­am­sel könn­te viel­leicht in der Frei­heit wie­der ge­sund wer­den. Ich möch­te Euch die Vö­gel ab­kau­fen, um sie flie­gen zu las­sen. Am Ende sind sie doch auch Ge­schöp­fe Got­tes und ha­ben ja auch nichts ver­bro­chen, wes­we­gen man sie ins Ge­fäng­nis set­zen dürf­te.

Die schar­fen blau­en Au­gen der Frau war­fen mir einen arg­wöh­ni­schen Blick zu; die gan­ze Sa­che, das Ge­spräch, das ich mit ihr an­ge­knüpft, der Vo­gel­han­del kam ihr ver­däch­tig vor. Sie schi­en zu glau­ben, dass mir’s um einen an­de­ren Sing­vo­gel zu tun sei, den großen drin­nen im Hau­se.

Die Vö­gel ver­kau­fe ich nicht, sag­te sie mit rau­er Stim­me. Es wür­de ih­nen auch nichts nüt­zen, wenn man sie freilie­ße. Sie wür­den von An­de­ren wie­der ein­ge­fan­gen oder tot­ge­schos­sen wer­den. Im Kä­fig sind sie gut auf­ge­ho­ben, und dass sie nicht mehr Raum drin ha­ben, ist ganz gut, je mehr sie hät­ten, je mehr woll­ten sie. ’s ist wie mit den Men­schen. Zu viel Frei­heit scha­det ih­nen nur, dann ge­hen sie zu Grun­de. Im Klos­ter ist gar kei­ne Frei­heit, und die drin sind, füh­ren das gott­se­ligs­te Le­ben und ha­ben nichts zu be­reu­en.

Da­mit er­hob sie sich has­tig, raff­te ihre Flick­ar­beit zu­sam­men und trat über die Schwel­le, die Tür hin­ter sich zu­schla­gend. Ich hat­te ge­se­hen, dass sie den einen Fuß nach­zog. Vom Rücken be­trach­tet, wo man ihr fei­nes, noch ju­gend­li­ches Ge­sicht nicht sah, er­schi­en sie wie ein buck­li­ges al­tes He­xen­weib­chen.

Ich hat­te schon dar­auf ver­zich­tet, die Toch­ter die­ses un­hol­den We­sens nä­her ken­nen zu ler­nen, da be­geg­ne­te mir gleich am nächs­ten Tage die Alte mit der Jun­gen mit­ten auf der Stra­ße.

Man konn­te kein un­glei­che­res Paar se­hen. Ne­ben der zu­sam­men­ge­krümm­ten hin­ken­den Ge­stalt, die ein dickes schwar­zes Tuch um Kopf und Schul­tern ge­schla­gen hat­te, nahm sich das schlan­ke jun­ge Ge­schöpf, das den Kopf frei auf dem Hal­se trug, dop­pelt rei­zend aus, wie ein Zy­press­chen ne­ben ei­nem knor­ri­gen Wei­den­stumpf. Nur in den Ge­sichts­zü­gen gli­chen sie sich auf­fal­lend. Der Kopf der Jun­gen hat­te aber eine be­son­de­re An­mut durch klei­ne, na­tür­lich ge­rin­gel­te schwar­ze Löck­chen, die über die fei­ne Stirn und die sanft­ge­schwun­ge­nen dunklen Au­gen­brau­en fast bis an die Wim­pern her­ab­hin­gen und bei je­dem Schritt lei­se zit­ter­ten. Auch wa­ren die Au­gen zum Un­ter­schie­de von den blau­en der Äl­te­ren dun­kel­braun, von ei­nem feuch­ten Glanz wie leuch­ten­de Edel­stei­ne.

Bei­de tru­gen, an klei­nen Ket­ten vom Gür­tel her­ab­hän­gend, ziem­lich große blan­ke Sche­ren, wie es hier­zu­lan­de bei den Schnei­de­rin­nen, wenn sie auf Ar­beit aus­ge­hen, Sit­te ist.

Ich grüß­te höf­lich im Vor­bei­gehn, die Jün­ge­re nick­te ein we­nig, die Äl­te­re dank­te mit ei­nem grim­mi­gen Blick und be­schleu­nig­te ih­ren Schritt, of­fen­bar um nicht an­ge­re­det zu wer­den. Dann ver­schwan­den bei­de in der Tür ei­nes der an­sehn­li­che­ren Häu­ser.

Abends, als mir mei­ne Wir­tin im Ca­val­lo bian­co die fru­ga­le Cena her­auf­trug, frag­te ich sie nach dem un­glei­chen Paar ein we­nig aus. Ich er­fuhr, dass die Äl­te­re nicht die Mut­ter, son­dern die Schwes­ter der Schö­nen sei, die äl­tes­te von vier Töch­tern ei­nes Gärt­ners, dem die Frau ge­stor­ben war, nach­dem sie lan­ge mit ihm ge­lebt und ihm noch spät eine vier­te Toch­ter ge­bo­ren hat­te. Da habe die­se äl­tes­te, Gi­u­dit­ta, die drei jün­ge­ren er­zo­gen und nach­dem auch der Va­ter bald her­nach ge­stor­ben, das her­ab­ge­kom­me­ne Haus­we­sen mit Mühe zu­sam­men­ge­hal­ten. Die bei­den mitt­le­ren Schwes­tern hät­ten in der Pa­pier­fa­brik ge­ar­bei­tet und sei­en dort auf schlim­me Wege ge­ra­ten, jetzt schon lan­ge ver­dor­ben und ge­stor­ben. Nun habe die Gi­u­dit­ta nur die um zwan­zig Jah­re jün­ge­re Ade­le üb­rig be­hal­ten und las­se an die­ser Ei­nen al­les an Zucht und Stren­ge aus, was sie als un­wirk­sam an ih­ren Schwes­tern mit Kum­mer und Schan­de habe er­fah­ren müs­sen. Sie dür­fe ihr kaum je von der Sei­te, und ob­wohl sie mit ei­ner fast müt­ter­li­chen Lie­be an ihr hän­ge, pla­ge sie die Schwes­ter doch är­ger als eine böse Stief­mut­ter. Es sei scha­de um das arme Ding, das so hübsch und an­stän­dig sei; ihr ei­ge­ner Sohn, der Bat­tis­ta, habe ein Auge auf sie ge­wor­fen, ihr selbst – der Pa­dro­na – wäre sie auch zur Schwie­ger­toch­ter ganz recht trotz ih­rer Ar­mut, es gehe aber den­noch nicht, aus al­ler­lei Grün­den.

Über die­se Grün­de ließ die Frau sich nicht wei­ter aus. Ich soll­te aber bald noch tiefer in die­se Ver­hält­nis­se ein­ge­weiht wer­den.

Denn am frü­hen nächs­ten Mor­gen, als ich von mei­nem Öl­wal­de un­ten am Stran­de wie­der in den Ort hin­auf­stieg, mein Skiz­zen­buch un­term Arm, in das wie­der ne­ben ei­nem fan­tas­tisch ge­krümm­ten und durch­lö­cher­ten Oli­ven­stamm ein paar Stro­phen hin­ein­ge­kom­men wa­ren, sah ich zu mei­nem freu­di­gen Er­stau­nen sie selbst, die Ade­le, mir ent­ge­gen­kom­men, auf dem Kopf einen fla­chen Korb tra­gend, in dem ein Hau­fen Wä­sche auf­ge­sta­pelt lag. Wie die schlan­ke und doch vol­le jun­ge Fi­gur im Her­ab­schrei­ten sich aus­nahm, mit dem Arm den Korb im Gleich­ge­wicht hal­tend, dazu die bräun­li­chen Wan­gen von der fri­schen Mor­gen­luft sanft an­ge­glüht, wer­de ich mich wohl hü­ten be­schrei­ben zu wol­len.

Ich sah, dass sie durch­aus nicht dar­auf ge­fasst war, auf ih­rem Gang zu dem Wä­sche­rin­nen­platz un­ten am See auf­ge­hal­ten zu wer­den. Doch blieb ich ein paar Schrit­te vor ihr ste­hen, lüf­te­te den Hut und sag­te: Gu­ten Tag, Fräu­lein Ade­le. Ihr wollt zum Wa­schen hin­un­ter. Ich möch­te Euch aber et­was fra­gen.

Sie hef­te­te ihre glän­zen­den Au­gen schwei­gend auf mich, of­fen­bar ver­le­gen, wie sie sich zu be­neh­men hät­te, ob sie ru­hig wei­ter­ge­hen oder mich an­hö­ren soll­te.

Seht, sag­te ich, ich bin ein Ma­ler und zeich­ne in mein Buch, was mir ge­fällt. Nun habe ich schon ges­tern, als ich Euch mit Eu­rer Schwes­ter be­geg­ne­te, ge­wünscht, von Euch ein Bild­chen zu ma­chen, da­mit mei­ne Leu­te zu Hau­se se­hen, dass es auch in Tos­co­la­no schö­ne Mäd­chen gibt. Ich hat­te aber nicht gleich das Herz, Euch an­zu­re­den. Jetzt, da ich Euch hier so al­lein an­tref­fe, möch­te ich Euch fra­gen, ob Ihr mir nicht sit­zen wollt, nur eine klei­ne Stun­de. Ihr wür­det mir einen großen, großen Ge­fal­len tun.

Sie war dun­kel­rot ge­wor­den und hat­te die Au­gen nie­der­ge­schla­gen.

Wa­rum wollt Ihr mich zeich­nen, Herr? sag­te sie end­lich. Ich bin häss­lich!

O Evas­toch­ter! dach­te ich. Auch du ver­stehst dich schon auf das fis­hing for com­pli­ment­s.

Nein, Ade­le, fuhr ich fort, Ihr seid gar nicht häss­lich. Eure Löck­chen schon al­lein sind eine Schön­heit. Seht – und ich öff­ne­te das Buch und zeig­te ihr dar­in ei­ni­ge Frau­en­por­träts – alle die­se Da­men könn­ten froh sein, wenn sie aus­sä­hen wie Ihr. Die Sit­zung dau­ert auch nur eine so kur­ze Zeit, und ich will Euch das Drei­fa­che von dem ge­ben für die­ses Stünd­chen, was Ihr mit Eu­rer Schnei­de­rei an ei­nem gan­zen Tage ver­dient. Mor­gen ist Sonn­tag, da ar­bei­tet Ihr ja wohl nicht und könnt ganz gut zu mir in das Ca­val­lo bian­co kom­men, mei­net­we­gen mit Eu­rer Schwes­ter, wenn Ihr al­lein Euch nicht zu mir ge­traut.

Sie hat­te sich, wäh­rend ich sprach, die Sa­che of­fen­bar ernst­lich über­legt, und auf ein­mal, da ich schon fürch­te­te, ein Nein zu hö­ren, sag­te sie mit großer Leb­haf­tig­keit: Mei­ne Schwes­ter darf nichts da­von wis­sen, die wür­de es nicht er­lau­ben, sie ist so streng. Aber wenn Euch wirk­lich so viel dar­an liegt – gut, ich will kom­men, mor­gen, wenn ich al­lein zur Mes­se gehe, denn die Gi­u­dit­ta muss zu Hau­se blei­ben, weil sie wie­der ihre Gicht hat. Es dar­f’s aber kein Mensch wis­sen, und das Bild dürft Ihr Nie­mand zei­gen, das müsst Ihr mir ver­spre­chen. Wollt Ihr?

Die Hand dar­auf, Ade­le! sag­te ich. Ich dan­ke Euch. Ihr braucht Euch nicht vor mir zu fürch­ten. Ich habe noch kei­nem bra­ven jun­gen Kind was zu Lei­de ge­tan. Ad­dio, Ade­le! Auf Wie­der­se­hen!

Sie nick­te mir zu, jetzt schon ganz ver­trau­lich, und schritt dann rasch an mir vor­bei, sich um­se­hend, ob auch Nie­mand un­ser Ge­plau­der be­lauscht habe. Es war aber ge­wöhn­lich kei­ne Men­schen­see­le zu die­ser Stun­de auf dem Weg nach dem See zu fin­den.

Ich war sehr froh über die­sen ra­schen Er­folg, den ich mir ges­tern nicht hät­te träu­men las­sen, ob­wohl die schö­nen Mäd­chen in Ita­li­en sich durch ein sol­ches An­sin­nen ei­nes »Ma­lers« nie ge­kränkt füh­len und die häss­li­chen erst recht nicht, ganz wie in an­de­ren Län­dern. Aber nicht alle die­se Schätz­chen wer­den von ei­nem arg­wöh­ni­schen Dra­chen, wie Schwes­ter Gi­u­dit­ta, be­wacht.

Die­se Ade­le – das war doch ein an­de­res Mo­dell als mei­ne knor­ri­gen al­ten Öl­bäu­me, das glat­te, röt­lich über­hauch­te »Fell­chen« rei­zen­der als die graue, ris­si­ge Rin­de so ei­nes Oli­ven­stam­mes, selbst in der Abend­son­ne. Frei­lich, hier erst recht hät­te es der Far­ben be­durft. Aber auch die Li­ni­en wa­ren schon eine ent­zücken­de Auf­ga­be, die zu lö­sen ein di­let­tan­ti­scher Blei­stift alle Kunst und Kraft auf­bie­ten muss­te.

In großer Un­ge­duld er­war­te­te ich am an­de­ren Mor­gen die fest­ge­setz­te Stun­de. Ich wuss­te vom vo­ri­gen Sonn­tag, dass die gan­ze Fa­mi­lie mei­nes »Wei­ßen Ros­ses« in die Zehn-Uhr-Mes­se ging; nur der Pic­co­lo, ein zwölf­jäh­ri­ges Bür­sch­chen, blieb zur Be­wa­chung des Hau­ses zu­rück und be­nutz­te die Zeit, um den ver­kürz­ten Nacht­schlaf nach­zu­ho­len. Um Elf kehr­te dann der Wirt, ge­wöhn­lich auch die Wir­tin, aus der Kir­che zu­rück, da sich dann Gäs­te zu ei­nem Frühtrunk ein­fan­den. Aber die­se eine Stun­de, hoff­te ich, soll­te mir und der Kunst ge­hö­ren.

Es schi­en mir dies­mal end­los zu dau­ern, bis sich die Fa­mi­lie in Be­we­gung setz­te. Die Glo­cken hat­ten längst zu läu­ten auf­ge­hört, die Stra­ße war leer ge­wor­den, end­lich sah ich Va­ter, Mut­ter und das Ge­schwis­ter­paar aus dem Hau­se kom­men, Ma­ri­et­ta in ei­nem him­melblau­en Klei­de und wei­ter Kri­no­li­ne, in dem blon­den Lock­en­turm ih­rer Fri­sur so et­was wie einen Pa­ra­dies­vo­gel. Sie warf einen Blick nach dem Fens­ter hin­auf, hin­ter dem ich vor­sich­tig zu­rück­ge­lehnt hin­aus­lug­te, ob ich sie auch in ih­rem Glanz be­wun­der­te. Dann ver­schwan­den sie um die Stra­ßen­e­cke.

Ich blick­te scharf nach der an­de­ren Sei­te, von wo mein Be­such kom­men muss­te. Das Häu­schen der Schwes­tern lag kaum zwei­hun­dert Schritt von mei­ner Her­ber­ge ent­fernt. Es war aber kei­ne Men­schen­see­le zu er­spä­hen. Schon glaub­te ich, auf die Sit­zung ver­zich­ten zu müs­sen – wer wuss­te, ob die Schwes­ter sie nicht aus ir­gend ei­nem Grun­de ein­ge­sperrt hat­te – da hör­te ich ein lei­ses Klop­fen an mei­ner Tür, und sie trat wirk­lich ein, blass vor Auf­re­gung, aber ihre Au­gen leuch­te­ten in dem dämm­ri­gen Raum noch feu­ri­ger als ges­tern in der hel­len Son­ne.

Sie habe sich durch das Sei­ten­gäss­chen ins Haus ge­schli­chen, sei auch Nie­mand be­geg­net, der Pic­co­lo un­ten in der Kü­che lie­ge auf ei­ner Bank und schnar­che. Nun aber sol­le ich rasch an­fan­gen, denn sie habe nur drei Vier­tel­stun­den, dann müs­se sie fort, ehe die Wirts­leu­te nach Hau­se kehr­ten.

Ich er­griff ihre Hand, sie nach dem Fens­ter zu füh­ren – mei­nem Nord­fens­ter –, wo ich schon einen Stuhl für sie, dem Zei­chen­tisch­chen ge­gen­über, be­reit ge­stellt hat­te. Ich fühl­te, wie ihre Hand kalt war und zit­ter­te, und um sie völ­lig zu be­ru­hi­gen, nahm ich eine vä­ter­li­che Hal­tung an, nann­te sie Du und und sag­te ihr, eine mei­ner Töch­ter sehe ihr ein we­nig ähn­lich, was nicht der Fall war, bis auf den Schnitt und die Far­be der Au­gen, Ihre Auf­re­gung ließ dann auch nach, der zar­te jun­ge Bu­sen hob und senk­te sich ru­hi­ger, und sie setz­te sich ge­hor­sam, ganz wie ich es ihr an­gab. Ich wei­de­te mich wie­der an dem rei­nen, lieb­li­chen Oval die­ses Ge­sich­tes, dem ge­ra­den, un­ten leicht ab­ge­stumpf­ten Näs­chen, den fei­nen schwar­zen Lo­cken, die ihr über die Stirn fie­len. Sie ent­schul­dig­te sich, dass sie sich nicht auch so schön fri­siert habe wie die Ma­ri­et­ta, aber ers­tens habe sie kei­nen falschen Zopf, und dann wür­de ihre Schwes­ter Un­rat ge­wit­tert ha­ben, wenn sie sich zur Mes­se so auf­ge­don­nert hät­te.

Ich sag­te ihr, dass ihre ge­wöhn­li­che Haar­tracht tau­send­mal hüb­scher sei als so ein künst­li­cher Auf­bau, dann schwie­gen wir bei­de eine Wei­le, da ich mich sehr zu­sam­men­nahm, die ers­ten Stri­che ganz rich­tig zu ma­chen. Das gute Kind hielt still wie ein ge­mal­tes Ma­don­nen­bild. Auch als ich dann zu plau­dern an­fing, reg­te sie kein Glied und kei­ne Mie­ne.

Die Schwes­ter hält dich wohl sehr streng? frag­te ich.

Ja, Herr. Wir le­ben ganz still und zu­rück­ge­zo­gen.

Aber an Fest­ta­gen gehst du doch wohl ein we­nig zum Tanz?

Sie schüt­tel­te lang­sam den Kopf. Nie­mals! Ich kann gar nicht tan­zen. In Tos­co­la­no ist auch sel­ten Tanz­mu­sik. Und an­ders­wo­hin kom­me ich nicht. Drei­mal in mei­nem gan­zen Le­ben bin ich in Ma­der­no ge­we­sen, ein ein­zi­ges Mal in Gar­gna­no. Was sol­len wir auch da? Wir ken­nen Nie­mand, und wir sind arm, wir müs­sen ar­bei­ten.

Ein tie­fes Mit­leid mit der schö­nen jun­gen Men­schen­blü­te, die so im kal­ten Schat­ten ver­küm­mer­te, über­kam mich.

Da­mit wird aber dein Liebs­ter nicht ein­ver­stan­den sein, Ade­le, fing ich wie­der an. Der wird dich doch Sonn­tags auch ein­mal wei­ter spa­zie­ren füh­ren wol­len, als im­mer um Tos­co­la­no her­um.

Sie wur­de rot wie eine Gra­nat­blü­te.

Ich habe kei­nen Liebs­ten, sag­te sie sanft. Gi­u­dit­ta wür­de es nicht lei­den. Wer soll­te mich auch hei­ra­ten wol­len? Ich habe nichts als ein hal­b­es Dut­zend Hem­den und dies sil­ber­ne Kett­chen, das ich am Hal­se tra­ge.

Nun, sag­te ich, nicht alle Män­ner se­hen auf Geld, wenn sie ei­nem Mäd­chen gut sind. Da ist zum Bei­spiel gleich der Bat­tis­ta, der Sohn vom Ca­val­lo bian­co, von dem weiß ich, dass er sehr glück­lich wäre, wenn er dich ha­ben könn­te.

Der! – sie rümpf­te ein we­nig die Un­ter­lip­pe. Der hat kei­nen Wil­len. Ich weiß wohl, dass ich ihm ge­fal­le. Aber weil sei­ne Schwes­ter mich hasst, wagt er nicht, die Hand nach mir aus­zu­stre­cken. Po­ver­et­to!

Die Ma­ri­et­ta hasst dich? Was hast du ihr zu Lei­de ge­tan?

Sie zuck­te die Ach­seln und schwieg. Drau­ßen vor der Tür mei­nes Zim­mers ra­schel­te et­was. Sie fuhr vom Stuhl auf, als ob sie flie­hen woll­te.

Es wird nur die Kat­ze sein, sag­t’ ich. Im Haus ist ja Nie­mand. Aber wenn du dich fürch­test, will ich die Tür ver­rie­geln.

Nein, nein! bat sie has­tig. Bit­te, se­hen Sie nur nach, dann aber las­sen Sie die Tür of­fen.

Es war wirk­lich nur die Kat­ze ge­we­sen. Das Mäd­chen setz­te sich wie­der, und ich fuhr fort zu zeich­nen. Um den Aus­druck ih­res Ge­sichts le­ben­dig zu er­hal­ten, plau­der­te ich wei­ter.

Wie kommt es, dass du die­sel­ben Lie­der singst wie der Gig­gi Ca­ra­mel­la? Hast du sie von ihm ge­lernt und siehst du ihn öf­ters?

Wie­der über­flog ihr Ge­sicht eine tie­fe Röte.

Ich ken­ne ihn nicht, ge­wiss nicht. Gi­u­dit­ta spricht schlecht von ihm und sagt, er habe kei­nen gu­ten Cha­rak­ter. Das sagt sie aber von al­len Män­nern, und von dem glau­be ich es nicht, weil er im­mer lus­tig ist und so schö­ne Lie­der weiß. Wir ha­ben ein­mal eine Wo­che lang sei­nem Café ge­gen­über ge­ar­bei­tet, der Dok­tor wohnt da, für des­sen Frau hat­ten wir ein Kleid zu ma­chen. Da hör­te ich ihn im­mer sin­gen und habe sei­ne Lie­der be­hal­ten. Un­ten bei Nea­pel, wo er her ist, muss es viel lus­ti­ger sein.

Ein Seuf­zer hob ihre Brust. Sie drück­te die Au­gen halb ein und träum­te vor sich hin. Um sie aus ih­rer Schwer­mut her­aus­zu­rei­ßen, sag­t’ ich: Wer weiß, Ade­le, du kommst auch noch ein­mal nach der Bel­la Na­po­li. Es braucht dich nur ein­mal ein Ma­ler zu se­hen, der nicht, wie ich, Frau und Kin­der zu Hau­se hat, oder ir­gend ein an­de­rer Frem­der, der sich in dich ver­liebt, der hei­ra­tet dich dann, und ihr reis’t zu­sam­men in die wei­te Welt, und du singst den gan­zen Tag die lus­tigs­ten Lie­der.

Sie schüt­tel­te lang­sam den Kopf.

Das wird nie ge­sche­hen. Mei­ne Schwes­ter will, dass ich ins Klos­ter gehe. Wenn sie mich nicht im Hau­se und sonst zur Ar­beit brauch­te, hät­te sie mich auch schon so weit ge­bracht. Denn im Klos­ter kann’s nicht viel trau­ri­ger sein als in dem Le­ben, das ich füh­re. Nun, wie Gott es ha­ben will, so ge­schieht’s auf Er­den.

Ich war eben im Be­griff, ihr die­se zah­me Er­ge­bung in ein freud­lo­ses Schick­sal aus­zu­re­den, als drau­ßen die Glo­cken zu läu­ten an­fin­gen. Sie stand er­schro­cken auf. Mein Gott! sag­te sie, ich habe mich ver­spä­tet. Wenn ich jetzt nur noch un­be­merkt fort­kom­me! Ad­dio!

Sie lief nach der Tür. Ich hat­te kaum Zeit, ihr das Geld, das ich ihr ver­spro­chen, in die Hand zu drücken, das sie auch in der Ver­wir­rung, ohne dar­auf zu ach­ten und ohne Dank zu sa­gen, an­nahm. Dann husch­te sie aus der Tür.

Sie konn­te das Haus kaum ver­las­sen ha­ben, da wur­de wie­der bei mir an­ge­klopft. Zu mei­nem nicht ge­rin­gen Er­stau­nen er­schi­en Fräu­lein Ma­ri­et­ta in mei­nem Zim­mer, die sonst viel zu stren­ge Be­grif­fe von An­stand hat­te, um ei­nem männ­li­chen Gast ih­rer El­tern einen Be­such zu ma­chen.

Sie hat­te einen ro­ten Kopf, und ihre Züge wa­ren von ei­ner hef­ti­gen Auf­re­gung ver­zerrt, wo­bei ihre klei­nen blond be­wim­per­ten Au­gen un­s­tet hin und her lie­fen.

Ver­zei­hen Sie, Herr! sag­te sie mit be­ben­der Stim­me, aber ich woll­te nur fra­gen, ob Sie wirk­lich die­ses – Mäd­chen (sie brauch­te ein be­schimp­fen­des Bei­wort, das ich hier un­ter­schla­ge) zu ei­ner Sit­zung ein­ge­la­den ha­ben, wie sie eben vor­gab. Sie wäre im Stan­de, sich frem­den Her­ren auch ohne eine Auf­for­de­rung an­zu­bie­ten, da sie so ei­tel und scham­los ist, dass sie glaubt, wie eine Prin­zes­sin Je­dem eine Gna­de zu er­wei­sen, dem sie nur er­laubt, sie an­zu­gaf­fen. Und sie ist doch nicht ein­mal hübsch. Vor ei­nem Jahr war ein fran­zö­si­scher Ma­ler hier, der sag­te, ich hät­te das schöns­te Ge­sicht von al­len Mäd­chen und Frau­en in Tos­co­la­no.

Ich bin wahr­haf­tig nicht ei­tel, Jede muss mit dem Ge­sicht zu­frie­den sein, das ihr Gott ge­ge­ben hat, aber dass nun dum­me Leu­te die­ser – (wie­der ein eh­ren­rüh­ri­ges Wort) Ade­le schmei­cheln und ihr den Kopf ver­dre­hen, o! – Sie ball­te eine Faust und schüt­tel­te sie in der Rich­tung, wo das Häu­schen der Schwes­tern stand. Zei­gen Sie mir doch das Bild, wenn es wahr ist, dass Sie sie ge­zeich­net ha­ben.

Ich woll­te nicht Öl ins Feu­er gie­ßen und er­klär­te, die Skiz­ze sei erst an­ge­fan­gen, ich wis­se auch nicht, ob ich dazu kom­men wür­de, sie fer­tig zu ma­chen.

Nun, sag­te sie et­was be­ru­hig­ter, wenn Sie ihr Ge­sicht län­ger stu­die­ren, wer­den Sie wohl da­hin­ter kom­men, dass nichts dar­an ist. Oder et­was doch: das Mut­ter­mal auf der Ober­lip­pe. (In der Tat saß dort ein klei­nes schwar­zes Fleck­chen, das wie ein na­tür­li­ches Schön­heits­pfläs­ter­chen den ro­ten Mund nur an­mu­ti­ger mach­te.) Sie se­hen, Gott hat sie ge­zeich­net, wie er ih­rer Schwes­ter einen krum­men Rücken und einen lah­men Fuß ge­ge­ben hat. Und mit sol­chen ver­wor­fe­nen Krea­tu­ren ha­ben wir uns, wenn es mei­nem Bru­der nach ge­gan­gen wäre, ver­schwis­tern und ver­schwä­gern sol­len? Per la Ma­don­na, so lan­ge ich noch da bin, die Ehre un­se­res Hau­ses zu ver­tei­di­gen, sol­len die­se – (das drit­te Schimpf­wort) nicht über uns­re Schwel­le kom­men!

Sie hob wie zum Schwur ihre ma­ge­re Hand ge­gen die Zim­mer­de­cke und rausch­te aus dem Zim­mer, in der Über­zeu­gung, ein reue­vol­les Be­wusst­sein, wie un­be­son­nen ich mich mit ei­ner so nied­ri­gen Per­son ein­ge­las­sen hat­te, in mir er­zeugt zu ha­ben.

Ich konn­te nicht so frei hin­ter die­ser Fu­rie drein la­chen, wie sie ver­dient hat­te. Das Mit­lei­den mit dem wehr­lo­sen Ge­gen­stan­de ih­res Has­ses mach­te mich trau­rig. Auch der arme ver­lieb­te Bat­tis­ta, den ich tief nie­der­ge­schla­gen im Hau­se her­um­schlei­chen und die Sonn­tags­gäs­te be­die­nen sah, tat mir trotz sei­ner Schwach­mü­tig­keit leid. Das Mäd­chen wäre als künf­ti­ge Pa­dro­na des »Wei­ßen Ros­ses« doch bes­ser auf­ge­ho­ben ge­we­sen, als hin­ter kal­ten Klos­ter­mau­ern.

In­des­sen – »wie Gott es ha­ben will, so ge­schieht’s auf Er­den«, hat­te sie selbst ge­sagt. Ich war egois­tisch ge­nug, mich zu freu­en, dass ich we­nigs­tens das lieb­li­che Ge­sicht für mein Buch er­obert hat­te, und so saß ich auch am nächs­ten Mor­gen wie­der an der Zeich­nung, um sie noch ein we­nig aus dem Kopf aus­zu­füh­ren – ich hat­te die Züge ja aus­wen­dig ge­lernt – als es wie­der bei mir an­klopf­te.

Ich rief in freu­di­ger Er­re­gung »He­rein!«, da ich, so un­wahr­schein­lich es war, wirk­lich dach­te, mein Mo­dell von ges­tern habe wie­der den Weg zu mir ge­fun­den; doch in der Tür, die rasch auf­ge­ris­sen wur­de, er­schi­en dies­mal nicht das schlan­ke jun­ge We­sen, son­dern nur ihre miss­ge­stal­te Schwes­ter.

Sie schob sich, müh­sam auf einen Stock ge­stützt, ins Zim­mer hin­ein. Wie mich ihre schar­fen grau­en Au­gen, über die zwei Sträh­nen ih­res schwar­zen Haa­res her­ab­hin­gen – nicht so rei­zend, wie die Löck­chen ih­rer Schwes­ter – un­ter dem schwar­zen Shawl her­vor an­blitz­ten, konn­te ei­nem in der Tat un­heim­lich zu Mute wer­den.

Ich ließ mir aber nichts mer­ken, son­dern nick­te ihr freund­lich zu.

Ah, die Si­gno­ra Gi­u­dit­ta, sag­te ich und stand auf. Was ver­schafft mir die Ehre? Kommt und nehmt Platz. (Ich bot ihr mei­nen ei­ge­nen Stuhl an.) Wie steht’s mit Eu­rer Gicht? Und was ma­chen Eure Vö­gel?

Sie war mit­ten im Zim­mer ste­hen ge­blie­ben und rühr­te sich nicht vom Fleck.

Mei­ne Vö­gel? sag­te sie mit ih­rer rau­en Stim­me. De­nen fehlt nichts. Die sind gut ver­wahrt. Wenn’s alle Men­schen so gut hät­ten, könn­ten sie Gott dan­ken.

Nun, Gi­u­dit­ta, Men­schen brau­chen doch kei­ne Kä­fi­ge, die ha­ben ihre Ver­nunft und kön­nen sich selbst ver­wah­ren.

Sie zuck­te die Ach­seln.

Men­schen brau­chen ihre Ver­nunft bloß, um un­ver­nünf­tig zu sein. War’s etwa ver­nünf­tig, dass die Ade­le ges­tern, statt in die Mes­se zu ge­hen, zu Euch ge­schli­chen ist, da­mit nun die gan­ze Stadt da­von spricht? Denn na­tür­lich, die Ma­ri­et­ta – ques­ta vi­pe­ra di Ma­ri­et­ta! – der ist sie be­geg­net, und die hat’s an die große Glo­cke ge­hängt. Nun zeigt man mit den Fin­gern auf sie.

Je nun, sag­te ich, sie braucht sich nicht dar­um zu ge­nie­ren, wenn sie nichts schlim­me­res auf dem Ge­wis­sen hat. Es ist kei­ne Tod­sün­de, ei­nem Ma­ler zu sit­zen. Die Ma­don­na ist selbst zum hei­li­gen Lu­kas her­ab­ge­stie­gen, da­mit er ihr Bild­nis male.

Ja, die Ma­don­na! Die mag tun, was ihr ge­fällt. Die Ade­le aber ist nur ein ar­mes Ding, das nichts hat als sei­nen gu­ten Ruf, und Ihr, Herr, seid kein Hei­li­ger. Die Sit­zung war ge­wiss nur ein Vor­wand.

Ich nahm das Zei­chen­buch vom Tisch und hielt ihr das Blatt mit dem Bil­de ih­rer Schwes­ter vor die Au­gen. Da seht, sag­te ich. Kaum län­ger als eine hal­be Stun­de ist Ade­le bei mir ge­we­sen, da ist dies Bild zu Stan­de ge­kom­men. Ihr be­greift doch wohl auch, dass da­ne­ben kei­ne Zeit war, per fare all’ amo­re, auch wenn ich ein leicht­sin­ni­ger jun­ger Fant wäre und nicht ein ehr­sa­mer Fa­mi­li­en­va­ter.

Sie starr­te un­ver­wandt auf das Bild, ihre stren­gen Züge wur­den mil­der, die Hand zit­ter­te, mit der sie das Buch an­ge­fasst hat­te.

Ja, sag­te sie end­lich, in­dem sie lang­sam vor sich hin nick­te, sie ist es, bloß die Far­ben feh­len. Ihr fin­det sie also auch schön? Ihr hät­tet aber erst ihre bei­den Schwes­tern se­hen sol­len, die wa­ren noch weit schö­ner, und doch – und eben dar­um – denn es ist falsch, wenn man sagt:

Chi bel­la non è, For­tu­na non ha!

Gera­de den Schö­nen geht’s schlecht, al­les stellt ih­nen nach, und sie selbst ren­nen in ihr Ver­der­ben mit of­fe­nen Au­gen, weil ihre Schön­heit, von der man ih­nen im­mer die Ohren voll­schwatzt, sie um die Ver­nunft bringt und ihr ei­ge­ner Spie­gel sie ver­blen­det. Glaubt nicht, Herr, dass ich nei­disch auf die ar­men Din­ger ge­we­sen wäre, weil ich sel­ber so plump und gars­tig war von klein auf, wie eine Krö­te. Ich sah früh ein, dass ich da­durch vor al­len Ver­su­chun­gen ge­schützt war, denn die Män­ner sind alle schlecht – bric­co­ni, fur­fan­ti! – und mir gab kei­ner süße Wor­te, da be­hielt ich mei­nen kla­ren Ver­stand, und weil ich die Äl­tes­te war, nahm ich mir vor, mei­ne Schwes­tern vor den Sch­lin­gen und Leim­ru­ten der Vo­gel­stel­ler zu be­hü­ten. Sie sind ih­nen doch ins Garn ge­gan­gen, ich habe sie nicht streng ge­nug be­wacht. Aber die Eine, die mir noch ge­blie­ben ist, die soll nicht das­sel­be Schick­sal ha­ben, das habe ich der hei­li­gen Ma­don­na ge­lobt, und das will ich hal­ten!

Ade­le hat mir er­zählt, dass Ihr eine Non­ne aus ihr ma­chen wollt. Das wäre frei­lich der fes­tes­te Vo­gel­bau­er. Ich fürch­te nur, sie wird ihre hüb­schen Fe­dern an dem Klos­ter­git­ter zer­flat­tern und das Sin­gen ganz ver­ler­nen, wie Eure Blau­am­sel. Dau­ert Euch denn nicht das jun­ge Blut? Könn­tet Ihr nicht einen gu­ten Mann für sie fin­den und selbst noch Freu­de er­le­ben als Tan­te ih­rer Kin­der?

Sie ant­wor­te­te nicht gleich. Nein, nein, sag­te sie dann, es fin­det sich Kei­ner, der so ein ar­mes Mäd­chen nimmt, wie es geht und steht. Nicht ein­mal in je­dem Klos­ter fän­de sie Auf­nah­me ohne Mit­gift. Aber un­ser Pfar­rer hat mir ver­spro­chen, sich da­für zu ver­wen­den. Zum Herbst soll sie ein­ge­klei­det wer­den. Ein gu­ter Mann? So­gar der hät­te sich ge­fun­den, der Bat­tis­ta hier vom Ca­val­lo bian­co, frei­lich ein Tropf und zum Ver­lie­ben nicht eben ge­schaf­fen. Aber er hät­te sie gut ge­hal­ten, und auch die El­tern hat­ten sich dar­ein er­ge­ben, bloß die Ma­ri­et­ta – ques­ta vi­pe­ra di Ma­ri­et­ta! – aus pu­rer Ei­fer­sucht, weil sie kei­ne Schwä­ge­rin woll­te, die schö­ner wäre als sie – bas­ta! Es ist so bes­ser. Im Klos­ter ist sie vor al­len Fall­stri­cken der Ei­tel­keit si­cher und geht end­lich, nach­dem sie se­lig ge­lebt hat, grad in den Him­mel ein. Aber nun ver­zeiht, dass ich Euch so lan­ge auf­ge­hal­ten habe, und ich will ja nun glau­ben, dass Ihr kei­ne schlim­men Ab­sich­ten mit der Ade­le ge­habt habt; aber wenn sie Euch ver­spro­chen hat, noch ein­mal zu Euch zu kom­men, dar­aus kann nichts wer­den.

Auch nicht, wenn Ihr sie zu mir be­glei­tet?

Sie schüt­tel­te den Kopf. Sie soll nicht noch eit­ler wer­den, das taugt nicht für eine künf­ti­ge Braut des Him­mels. Und hier, Herr, nehmt das wie­der –

Sie reich­te mir den Fünf-Fran­ken-Ta­ler, den ich der Ade­le ges­tern in die Hand ge­drückt hat­te.

Seid Ihr toll? sag­te ich. Das Geld ist so red­lich ver­dient, wie wenn Eure Schwes­ter da­für ge­näht hät­te.

Es ist Sün­den­geld, und Ihr müsst’s zu­rück­neh­men. Hand­geld des Teu­fels, wo­mit er See­len fängt. Nehmt, nehmt!

Ich trat ein paar Schrit­te zu­rück. Als sie aber sah, dass ich mir’s nicht auf­drin­gen ließ, warf sie’s auf das Tisch­chen, von wo es wie­der her­un­ter und in eine dunkle Ecke roll­te. Dann wink­te sie mir mit der Hand einen Ab­schieds­gruß zu und hum­pel­te an ih­rem Stock has­tig aus dem Zim­mer.

Mei­ne Zeit in Tos­co­la­no war ab­ge­lau­fen. Zwei Tage nach Gi­u­dit­ta’s Be­such sag­te ich dem gast­li­chen Ca­val­lo bian­co Va­let. Mei­ne Wirts­leu­te be­lu­den mich noch mit al­ler­lei Gast­ge­schen­ken, Früch­ten und klei­nen Ku­chen, Bat­tis­ta ließ es sich nicht neh­men, mein Köf­fer­chen selbst bis zur Damp­f­er­sta­ti­on Ma­der­no zu tra­gen, und so schrit­ten wir am frü­hen Mor­gen die dunkle Gas­se hin­un­ter nach vie­len ernst ge­mein­ten »Auf Wie­der­se­hen!«

Gig­gi Ca­ra­mel­la rä­kel­te sich, eine lan­ge schwar­ze Ci­gar­re rau­chend, auf zwei Stroh­stüh­len vor sei­ner Tür und wür­dig­te mich kaum ei­nes hoch­mü­ti­gen Kopf­ni­ckens, da ich seit je­nem ers­ten Mor­gen nie mehr bei ihm ge­früh­stückt hat­te. Als wir aber an die Brücke ka­men, blie­ben wir Bei­de un­will­kür­lich ste­hen.

Aus dem Häu­schen zur Lin­ken klang eine hel­le, wohl­be­kann­te Stim­me, und deut­lich hör­ten wir die Wor­te:

Te vo­glio bene assa­je, E tu non pi­enz’ a me!

Bat­tis­ta war ganz blass ge­wor­den, ob­wohl ihn der Kof­fer, den er auf der Schul­ter trug, er­hitzt hat­te. Dann aber er­mann­te er sich, stieß einen schwe­ren Seuf­zer aus und stapf­te wei­ter, in­dem er da­mit mei­ner Über­le­gung ein Ende mach­te, ob ich nicht hin­ge­hen und den Schwes­tern zum Ab­schied die Hand drücken soll­te.

Das arme, zur Him­mels­braut ver­ur­teil­te schö­ne Kind noch ein­mal zu se­hen, hät­te mir frei­lich nur das Herz schwer ge­macht.

Wir spra­chen auf dem Wege kaum ein Wort mit­ein­an­der, ob­wohl wir wahr­schein­lich die­sel­ben Ge­dan­ken hat­ten. Als wir dann den Lan­dungs­platz er­reicht und mein Beglei­ter sei­ne Last ab­ge­la­den hat­te, war ich in Ver­le­gen­heit, wie ich mich dem gu­ten Men­schen, der mich wie einen ge­ehr­ten Gast­freund, nicht wie einen frem­den Rei­sen­den be­han­del­te, dank­bar er­zei­gen soll­te. Ich griff aber doch in die Ta­sche, da sag­te er: Ich bit­te Sie, Herr, ich neh­me nichts. Im Ge­gen­teil: ich möch­te, wenn Sie mir eine große Gunst er­wei­sen woll­ten, die nicht um­sonst von Ih­nen an­neh­men. Könn­ten Sie mir wohl eine klei­ne Ko­pie von dem Por­trät – Sie wis­sen schon – an­fer­ti­gen, nur mit ein paar Stri­chen? Ich wür­de Ih­nen da­für be­zah­len, was Sie wol­len, ich ken­ne die Prei­se für Kunst­wer­ke nicht, aber Sie wis­sen, dass ich ein Kunst­freund bin, und zu­dem – ich hät­te gern ein An­den­ken an Sie –

Das »Sie« klang zwei­deu­tig – es konn­te so gut den An­ge­re­de­ten wie eine ge­wis­se jun­ge Per­son be­zeich­nen. Wie es ge­meint war, zeig­te die Röte, die dem ehr­li­chen jun­gen Men­schen jetzt bis in die Stir­ne ge­schos­sen war.

Ich ver­sprach ihm, das Bild­chen zu ko­pie­ren, so­bald ich nach Hau­se ge­kom­men sei, und hielt auch Wort. Es kam aber kei­ne Er­wi­de­rung, über­haupt blie­ben die Be­woh­ner Tos­co­la­no’s von dem Tage an gänz­lich für mich ver­schol­len.

Und blie­ben es fast ein vol­les Vier­tel­jahr­hun­dert.

Erst vor ein paar Jah­ren wur­de es mir so gut, wie­der ein­mal ei­ni­ge Wo­chen am Gar­da­see zu­zu­brin­gen, dies­mal im Früh­ling, in Salò und in Ge­sell­schaft mei­ner Frau.

Am ers­ten schö­nen war­men Nach­mit­tage aber nah­men wir ein Wä­gel­chen und fuh­ren nach mei­nem Tos­co­la­no.

Ich war sehr ge­spannt, wie ich das alte Nest und mei­ne Be­kann­ten dar­in an­tref­fen wür­de. Zu mei­nem Be­dau­ern aber fand ich, dass die lan­ge Zeit, die dar­über hin­ge­gan­gen war, an den Häu­sern des Orts kei­ne an­de­re Ver­än­de­rung vor­ge­nom­men, als dass sie alle mir be­freun­de­ten Men­schen aus ih­nen weg­ge­holt hat­te.

Doch nein, auch ei­nes der Häu­ser war nicht mehr vor­han­den, das Häu­schen der bei­den Schwes­tern gleich ne­ben der Brücke und das Gärt­chen da­ne­ben. Mein »Wei­ßes Roß« da­ge­gen – man nann­te es jetzt Ca­val­li­no bian­co – hat­te al­len Re­gen und Son­nen­schein die­ser drei­und­zwan­zig Jah­re un­ver­än­dert über­dau­ert. Als ich mit mei­ner Frau die dunkle Trep­pe hin­auf­stieg zu der denk­wür­di­gen Stät­te, wo ich da­mals nach flei­ßi­gem Ta­ge­werk den Schlaf des Ge­rech­ten ge­schla­fen hat­te, war noch al­les wie da­mals, bis auf einen Fleck an der Wand, der in­zwi­schen et­was wei­ter ab­ge­brö­ckelt war, und einen der Ha­ken in der Tür, den eine der­be Hand ver­bo­gen hat­te. Ich muss­te er­le­ben, dass mei­ne Frau über die Ge­nüg­sam­keit ih­res lie­ben Man­nes, der aus die­sem kah­len Raum be­geis­ter­te Brie­fe nach Hau­se ge­schrie­ben hat­te, er­schrak und fast auf den Ge­dan­ken kam, ein ge­wis­ses jun­ges Ge­sicht mit schwar­zen Löck­chen habe einen Zau­ber aus­ge­übt, der die­se Arm­se­lig­keit in ei­nem an­de­ren Lich­te habe er­schei­nen las­sen.

Als wir dann aber un­ten im Hof ge­gen­über dem frisch auf­blü­hen­den Gärt­chen sa­ßen und die Wir­tin uns den sü­ßen Mos­ca­to vor­setz­te, den alle Frem­den hier im Ca­val­li­no zu trin­ken pfle­gen, wur­de uns Bei­den wie­der be­hag­li­cher. Es war nicht mehr mei­ne Pa­dro­na von da­mals. Das Gast­haus war seit­dem schon in die drit­te Hand ge­kom­men. Aber die jet­zi­ge Wir­tin war aus Tos­co­la­no ge­bür­tig und konn­te all mei­ne Fra­gen nach den frü­he­ren In­ha­bern be­ant­wor­ten.

Die El­tern hat­ten nur noch ein paar Jahr ge­lebt. Die Kin­der wa­ren dann fort­ge­zo­gen, da eine Ver­wand­te ih­nen vor­ge­spie­gelt hat­te, sie wür­den bes­ser dar­an sein, wenn sie den Gast­hof, den sie selbst am Idro­see be­saß, über­näh­men. Die Ma­ri­et­ta hat­te dazu ge­ra­ten, in der Mei­nung, an ei­nem an­de­ren Ort wür­de man ih­ren Rei­zen und Tu­gen­den mehr Ge­rech­tig­keit wi­der­fah­ren las­sen als hier, wo sie all­ge­mein als eine böse Zun­ge und wi­der­wär­ti­ge När­rin be­kannt war.

Da dro­ben sei es ihr aber auch nicht ge­lun­gen, einen Mann zu fan­gen, so­dass sie im­mer gal­li­ger und gif­ti­ger ge­wor­den sei. Ihr gut­mü­ti­ger Bru­der, dem sie es ver­wehrt, eine Frau zu neh­men, habe sich mit der Fla­sche über sein ödes Le­ben zu trös­ten ge­sucht und sich end­lich zu Tode ge­trun­ken.

Und was ist aus den bei­den Schwes­tern ge­wor­den, die un­ten in dem Haus bei der Brücke ge­wohnt ha­ben, der Gi­u­dit­ta und Ade­le? frag­te ich.

Habt Ihr die auch ge­kannt? Nun, von de­nen ist auch nicht viel Gu­tes zu be­rich­ten.

Die Gi­u­dit­ta hat es ge­wiss gut mit ih­rer Schwes­ter ge­meint, als sie eine Klos­ter­frau aus ihr ma­chen woll­te. Lie­ber Gott, an ih­ren an­de­ren Schwes­tern, die ihr wie ei­ge­ne Kin­der wa­ren, hat sie ja kei­ne Freu­de und Ehre er­lebt. Aber die Ade­le fühl­te nun ein­mal nicht den Be­ruf zum hei­li­gen Le­ben in sich. Und dar­um, als die Zeit her­an­rück­te, wo sie als No­vi­ze ein­tre­ten soll­te – es war ein ganz an­ge­se­he­nes Klos­ter, wo sonst nur wohl­ha­ben­de Mäd­chen auf­ge­nom­men wur­den, ihr aber er­ließ man die Mit­gift von we­gen ih­rer schö­nen Stim­me, die für den Ge­sang in der Kir­che ein Schatz war – nun, da stahl sich das ge­ängs­te­te arme Ding in ei­ner Nacht aus dem Hau­se und lief zu dem nichts­nut­zi­gen Men­schen, dem Ca­fe­tie­re, der sie mit sei­nen Schel­men­lie­dern be­tört hat­te, und sie setz­ten sich in einen Kahn und fuh­ren in den See hin­aus. Und da es eine schwü­le Nacht war, im Au­gust, fühl­ten sie auch nicht das Be­dürf­nis, vor dem lich­ten Mor­gen wie­der ans Land zu kom­men.

Welch einen Lärm das Aben­teu­er mach­te, könnt Ihr Euch den­ken, Herr. Aber was war zu ma­chen? Die Gi­u­dit­ta muss­te sich drein er­ge­ben, dass ihr Aug­ap­fel die Frau die­ses Bric­co­ne wur­de. Sie ver­kehr­te aber nicht mit dem jun­gen Paar, sie sprach den Na­men ih­rer Schwes­ter nie aus. Nur als im nächs­ten Jahr ein Kind­chen zur Welt kam und sie zur Pa­tin ge­be­ten wur­de, da ver­söhn­te sie sich mit dem, was ein­mal nicht zu än­dern war, und nahm sich so­fort der klei­nen Ade­li­na an, als ob sie ihre Groß­mut­ter wäre.

Das arme Würm­chen konn­te das auch gut brau­chen. Denn sein Spitz­bu­be von Papa hielt es nicht län­ger als ein hal­b­es Jahr nach der Ge­burt des Kin­des aus. Dann ver­duf­te­te er. Er steck­te bis über den Hals in Schul­den, der Wein­han­del war Schwin­del ge­we­sen, an sei­nem jun­gen Wei­be hing der Tau­ge­nichts auch nicht son­der­lich, und so war er ei­nes Ta­ges auf und da­von. Das Café wur­de ver­stei­gert, die arme Stroh­wit­we muss­te froh sein, wie­der in dem Häu­schen der Schwes­ter mit ih­rer Klei­nen eine Zuf­lucht zu fin­den.

Sie war hier im­mer noch bes­ser dar­an als in ei­ner Klos­ter­zel­le. Sie hat­te doch ihr Kind, und jetzt, da nichts mehr an ihr zu hü­ten war, sperr­te auch die stren­ge Schwes­ter sie nicht mehr ein. Jetzt aber schi­en ihr an ih­rer Frei­heit nichts mehr zu lie­gen. Sie ging nie aus dem Hau­se, au­ßer zu ih­ren Kund­schaf­ten, wo sie still und schwer­mü­tig bei ih­rer Schnei­der­ar­beit saß. Sin­gen hör­te man sie nur sel­ten, im­mer nur, wenn sie ihr Klei­nes auf dem Schoß hat­te. Ihre Ge­sund­heit hat­te sicht­lich ge­lit­ten in der kur­z­en Ehe mit dem schlech­ten Men­schen, und auch mit ih­rer Schön­heit war’s bald vor­bei. Als die klei­ne Ade­li­na acht Jah­re alt war, trug man ihre Mut­ter zu Gra­be.

Die Klei­ne aber ge­dieh präch­tig. Sie war auf und ab das Eben­bild der Mut­ter, wie ihr aus dem Spie­gel ge­stoh­len, nur um einen Kopf klei­ner, und selt­sa­mer­wei­se blond­haa­rig. Aber ein her­zi­ges En­gel­chen – fat­ta a pen­nel­lo (wie mit dem Pin­sel ge­malt) – und die gute Stun­de selbst, das Münd­chen im­mer zum La­chen auf­ge­legt, ob­wohl sie bei der Tan­te Gi­u­dit­ta nicht das lus­tigs­te Le­ben hat­te. Denn die hielt sie kurz am Bän­del, ließ sie nie al­lein auf die Stra­ße, auch nur mit an­de­ren Kin­dern zu spie­len, und wenn sie selbst aus­ge­hen muss­te, schloss sie das Kind in ih­rem Häu­schen ein.

Man konn­te dann, wenn man vor­bei­ging, die Klei­ne drin­nen sin­gen hö­ren wie ein Vö­gel­chen im Bau­er, die­sel­ben Lie­der, die ihre arme Mut­ter ge­sun­gen hat­te. Es er­barm­te einen or­dent­lich, zu­mal wenn man dach­te, dass die Gi­u­dit­ta wie­der kei­ne an­de­re Ver­sor­gung für das Kind im Sinn hat­te als für die Mut­ter, und auch der Pfar­rer ihr dar­in bei­stimm­te.

Die Ade­li­na wuss­te das auch, aber sie schi­en sich gar nicht dar­um zu ängs­ti­gen. Denn auch dar­in glich sie ih­rer Mama, dass sie ih­ren ei­ge­nen Kopf hat­te und auch ihr ei­ge­nes Herz. Und ei­nes Mor­gens – sie war mitt­ler­wei­le acht­zehn Jah­re ge­wor­den – lief die Neu­ig­keit durch die Stadt, die Gi­u­dit­ta habe einen An­fall von Tob­sucht ge­habt. Als sie des Mor­gens auf­ge­wacht, sei das Bett ih­rer Nich­te, das ne­ben ih­rem in der Kam­mer stand, leer ge­we­sen. Wie sie aus dem Hau­se ent­wischt, war nicht zu er­ra­ten, wahr­schein­lich durchs Fens­ter, so eng es war, aber sie selbst war schlank und ge­schmei­dig wie eine Ei­dech­se.