Nur aus Liebe - Barbara Cartland - E-Book

Nur aus Liebe E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Viola Herne, die einzige Tochter von General Herne, erfährt, dass Lord Stoneham, um ihre Hand angehalten hat und sie schnellstmöglich heiraten will, da sein Sohn im Krieg gefallen ist. Viola ist sich nicht schlüssig, läuft von zu Hause weg und findet bei ihrer ehemaligen Nanny Unterschlupf, um deren Rat entgegenzunehmen, da seit dem Tod ihrer Mutter nur ihre Tante im Hause wohnt. Miss Dawes oder auch Nanny genannt, hatte Viola in ihrer Kindheit sehr geprägt und ihr vieles bezüglich des Umgangs mit Kindern gelernt. Nanny wurde eine Stellung als Kindermädchen beim Multimillionär Sir Wolfe Renton angeboten - um sich um seine junge Tochter Lucy zu kümmern, da seine Frau verstorben ist. Nanny kann diesen Posten leider nicht annehmen. Viola beschließt in die Rolle eines Kindermädchens zu schlüpfen, um wenigstens für einige Zeit ihrem schon älteren Freier zu entgehen. Wird sie es schaffen Lucy mit ihren Geschichten für sich zu gewinnen und sich und das Kind in Sicherheit bringen? Was wird Sir Wolfe Renton von dem jungen unkonventionellen Kindermädchen halten und wird Viola ihre Stellung trotzt der Intrigen von Lady Isabel behalten können.

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HAUPTPERSONEN DIESES ROMANS

Viola Herne

selbstbewusste Tochter aus gutem Haus, taucht als Kindermädchen bei Sir Wolfe Renton unter und deckt eine Intrige auf.

Sir Wolfe Renton

wird von seiner Frau verlassen. Seine ganze Liebe gilt seiner Tochter Lucy.

Lady Isabel

macht Sir Wolfe Renton schöne Augen, obwohl sie verheiratet ist.

Lucy

wird entführt.

Die Autorin über diesen Roman

Das international vielleicht am meisten bekannte Wort der englischen Sprache ist heutzutage ‚Kidnapping‘ - die Entführung von Kindern oder Prominenten zur Erpressung von Lösegeld. Auch in diesem Roman kommt eine Entführung vor. Das Wort ‚Kidnapping‘ wurde erstmals 1680 aktenkundig. Es bedeutet wörtlich Kindesentführung (Kid gleich Kind), und die gab es zu jener Zeit erschreckend oft. Die gekidnappten Kinder wurden auf die britischen Plantagen nach Amerika geschickt und mussten dort Sklavenarbeit tun.

Kidnapping - ein scheußliches Verbrechen mit oft entsetzlichem Ausgang. Denken Sie nur an die Entführung der kleinen Ursula, die in einer Kiste gefangen gehalten wurde und dabei erstickte. Meine Geschichte geht gottlob glücklicher aus.

Erstes Kapitel ~ 1903

„Ich muss dir etwas sagen, Viola“, erklärte der General.

Er sprach mit seiner wohlklingenden Stimme und so deutlich, dass es über jeden Kasernenhof zu verstehen war.

„Ja, Papa?“

Viola sah von ihrem Teller auf, auf dem sich einige Stücke noch fast rohen Rindfleisches befanden.

Es war das Lieblingsgericht des Generals, und jedes Mal, wenn es ihr vorgesetzt wurde, hätte sie das Rindfleisch gern ein wenig durchgebratener gehabt.

Aber da ihr Vater tranchierte, fand sie es nur höflich, zu nehmen, was er ihr zuteilte, und nicht darüber zu streiten.

„Ich muss sagen“, meinte der General, „dass ich außerordentlich dankbar und wohl auch überrascht bin. Aber schließlich bist du ja meine Tochter, und da konnte man wohl erwarten, dass du eine gute Partie machen würdest.“

Viola starrte ihn überrascht an.

„Was sagst du da, Papa?“

„Ich informiere dich gerade, dass Lord Stoneham darum gebeten hat, dir den Hof machen zu dürfen, und natürlich habe ich meine Einwilligung gegeben.“

Viola erstarrte. Lord Stoneham? Sicher meinte ihr Vater nicht den Lord Lieutenant, der ihnen am Morgen einen Besuch abgestattet und sich so lange mit dem General in dessen Arbeitszimmer zurückgezogen hatte, dass Tante Margaret sich schon gefragt hatte, ob sie ihn vielleicht zum Essen einladen sollten.

Doch hatte er sich schließlich verabschiedet und war in seiner Kutsche mit dem aufgemalten Wappen davongefahren, begleitet von seinen Dienern in der hübschen königsblauen und orangenen Livree seines Hauses.

„Was hat Lord Stoneham von dir gewollt, Alexander?“ hatte seine Schwester den General gefragt, als er ins Wohnzimmer kam.

„Das erzähle ich euch später“, antwortete der General, und sein Ton machte weitere Fragen unmöglich. „Das Essen sollte jetzt fertig sein, und du weißt, dass ich meine Mahlzeiten gern pünktlich einnehme.“

„Ja, natürlich, Alexander.“

Sie gingen ins Speisezimmer, angeführt vom General, der Eile ausstrahlte.

Im Gegensatz zu ihrer Tante war Viola nicht neugierig gewesen, was Lord Stonehams Besuch betraf.

Er kam oft in ihr Haus, um mit ihrem Vater über Angelegenheiten zu sprechen, die das Land betrafen, denn zur übergroßen Genugtuung des Generals war er zum stellvertretenden Statthalter ernannt worden und war nur zu erfreut, wenn er Lord Stoneham vertreten konnte, wann immer dieser keine Zeit hatte, selbst zu erscheinen.

Jetzt hatte sie das Gefühl, dass sie ihren Vater wohl nicht richtig verstanden haben konnte.

Schließlich brachte sie mühsam hervor: „Habe ich dich richtig begriffen, Papa? Willst du damit sagen, Lord Stoneham will mich . . . heiraten?“

„Genau das. Er möchte dich heiraten und hat es, um ehrlich zu sein, sogar eilig damit.“

„Aber, Papa, seine Frau ist doch noch gar nicht lange tot. “

„Ein Jahr nächste Woche. Und wie du wohl weißt, sind zwölf Monate die vorgeschriebene Trauerzeit."

Tante Margaret klatschte sich ekstatisch in die Hände.

„Das ist die aufregendste Neuigkeit, die ich seit langem gehört habe! Stell dir nur vor, Viola, du wirst nicht nur die Frau Lord Lieutenant, des Vertreters der Krone in unserer Grafschaft, werden! Du kannst auch zur Eröffnung des Parlaments gehen und eine Tiara tragen!“

Ihre Stimme schien vor Aufregung fast zu zittern, während Viola sich immer noch fühlte, als wäre sie aus Stein, und erklärte: „Ich kann nicht, Papa! Warum sollte Lord Stoneham mich heiraten wollen? Er ist doch schon alt. Sehr alt.“

„Ich gebe zu, dass er die erste Blüte der Jugend hinter sich hat. Aber er ist ein Mann, den ich sowohl bewundere als auch respektiere. Und er wird einen äußerst lobenswerten Ehemann für dich abgeben, daran besteht überhaupt kein Zweifel.“

Viola spürte, wie sie anfing zu zittern, als das Wort Ehemann fiel.

Bis zu diesem Augenblick hatte sie in Lord Stoneham nie den Mann, sondern immer nur eine wichtige Persönlichkeit gesehen.

Sie hatte sich allerdings gefreut, als er auf dem Jägerball, der in diesem Jahr wegen des Todes seiner Frau sehr viel später stattgefunden hatte, zweimal mit ihr getanzt hatte.

Doch hatte sie natürlich angenommen, er hätte sie ausgewählt, weil sie die Tochter ihres Vaters war, und sie war auch noch dieser Ansicht gewesen, als er immer höflich zu ihr gewesen war, wenn er im Haus ihres Vaters weilte oder sie eine der langen, langweiligen Abendgesellschaften besuchte, die er in den letzten drei Monaten in Stoneham Park gegeben hatte.

Doch nie war ihr auch nur eine Sekunde lang der Gedanke gekommen, dass er an ihr als Frau interessiert sein könnte.

„Ehemann!“

Das Wort schien in ihren Ohren zu dröhnen und von den holzgetäfelten Wänden des Speisezimmers widerzuhallen.

„Es ist eine große Ehre, dass er dich erwählt, hat“, sagte der General, als spräche er zu sich selbst. „Er wird dich morgen Mittag um zwölf Uhr aufsuchen. Bereite dich also darauf vor, ihn zu empfangen.“

Er klingelte mit der silbernen Glocke, die vor ihm auf dem Tisch stand, und die Diener kehrten ins Zimmer zurück.

Viola hatte ihren Teller nicht angerührt. Auch von dem Pudding und dem darauffolgenden Käse nahm sie nichts zu sich, und als ihr Vater sich ein großes Stück Pflaumenkuchen abschnitt, fragte sie mit leiser, nervöser Stimme: „Würdest du mich bitte entschuldigen? Ich fühle mich nicht sehr wohl.“

„Das wird die Aufregung sein, nehme ich an. Verständlich. Lauf nur und leg dich hin. Du musst morgen besonders gut aussehen.“

Viola eilte aus dem Zimmer, und der General wandte sich seiner Schwester zu.

„Die Mädchen heute sind einfach nicht mehr zäh genug“, beklagte er sich. „Wenn irgendetwas Ungewöhnliches passiert, brechen sie sofort zusammen.“

„Ich fürchte, es war ein ziemlicher Schock für sie, Alexander“, erwiderte Margaret Herne.

„Ich nehme es an. Sie hat ja sonst noch keine Verehrer gehabt. Ich fand, dass dieser junge Lackaffe Windham zu oft hier war. Deshalb habe ich ihn auch fortgeschickt, ehe etwas Ernstes daraus werden konnte.“

„Ich bin überzeugt, dass du richtig gehandelt hast, Alexander. Captain Windham wäre keine geeignete Partie für deine Tochter gewesen.“

„Das fand ich auch. Er ist ja schon in einem falschen Regiment.“

Seine Schwester lächelte.

„Ich bin überzeugt, dass die liebe Viola die Vorzüge, einen Adligen von der Wichtigkeit eines Lord Stoneham zu heiraten, bald erkennen wird. Aber sie ist natürlich erst achtzehn, und er ist…“

„Bei einem Mann von Stonehams Kaliber sind es nicht die Jahre, die zählen“, unterbrach sie der General. „Er ist intelligent und besitzt die Fähigkeit, Menschen zu führen, was man bei den Jungen heutzutage nicht mehr findet. Schau dir doch nur an, was die im Burenkrieg angestellt haben! Schändlich! Das war eine Zurschaustellung von Unfähigkeit, wie ich sie in der britischen Armee nie erwartet hätte.“

Darüber hatte es schon oft Streit gegeben, und hastig meinte seine Schwester: „Wie ich ja bereits mehrfach gesagt habe, Alexander, es gibt heutzutage keine Männer mehr wie dich. Und ich bin sicher, dass Viola es schätzen wird, viele deiner Vorzüge auch bei ihrem zukünftigen Ehemann zu finden.“

„Das ist wahr“, stimmte der General zu.

Er schenkte sich noch ein Glas Portwein ein und sagte: „Du fängst besser an, über Violas Aussteuer nachzudenken. Ich bin bereit, ein wenig mehr dafür auszugeben, als ich es vielleicht getan hätte, wenn sie einen weniger wichtigen Mann heiraten würde.“

Seine Schwester lächelte vor Vergnügen. „Du darfst nicht vergessen, Alexander, dass sie als Lord Stonehams Frau in der Gesellschaft erscheinen wird. Man wird von ihr erwarten, dass sie mit ihrem Mann öffentliche Tribünen besucht und natürlich auch dem neuen König im Buckingham Palast vorgestellt wird.“

Der General lachte.

„Für ihr Festkleid werden wir sicher eine Menge Geld ausgeben müssen, wenn sie es mit der eleganten Königin Alexandra aufnehmen will. Aber ich nehme an, Stoneham wird mehr als nur sein Scherflein beitragen, wenn sie erst einmal seine Frau ist.“

Er nippte an seinem Port, ehe er mit gesenkter Stimme fortfuhr: „Im Vertrauen gesagt, Margaret, er hat sich ausgedrückt, als wäre er in das Mädchen vernarrt. Unter uns gesagt, ich war überrascht, wie redegewandt er war, als es um sie ging.“

„Meinst du, er wäre verliebt, Alexander?“

„Das ist ein Ausdruck, der mir nichts bedeutet. Viel zu gefühlvoll. Aber ich nehme an, ich sollte zugeben, dass es in diesem Fall wahr zu sein scheint.“

„Dann hat Viola ja noch mehr Glück, als ich dachte!“ rief Miss Herne aus. „Als du erzähltest, Lord Stoneham wolle ihr seine Aufwartung machen, dachte ich sofort, der Grund für seinen Wunsch, wieder zu heiraten, wäre ein Erbe.“

„Genau das! Es ist eine wirkliche Tragödie, dass sein Sohn in Afrika getötet wurde. Dachte schon, er würde es nie verwinden!“

„Offensichtlich hat er es aber!“

„Es scheint so. Auf jeden Fall besteht er darauf, dass die Hochzeit nächsten Monat stattfindet, aber ich habe Viola das nicht gesagt, um sie nicht zu erschrecken. Ich hatte immer das Gefühl, das Mädchen wäre ein bisschen nervös und schüchtern, wenn es um eine schnelle Hochzeit ginge. Ich persönlich hätte es für ratsamer gehalten, wenn sie sechs Monate verlobt wären. Das würde ihnen Gelegenheit geben, sich kennenzulernen.“

„Ich erinnere mich noch, dass du ein Jahr lang verlobt warst, Alexander.“

„Daran hatte ich auch gedacht. Aber heutzutage muss ja alles schnell, schnell gehen! Meiner Meinung nach führt diese Hetze immer nur zu Ärger.“

„Ich hoffe, nicht im Fall von Viola.“

„Nein, natürlich nicht, aber wir müssen tun, was Stoneham will.“

Ein blasses Lächeln umspielte die Lippen des Generals, als er hinzufügte: „Wir wollen ihn doch wirklich nicht verlieren.“

„Welch schrecklicher Gedanke!“ rief Margaret Herne. „Ich verspreche dir, Alexander, ich werde Viola noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, wie glücklich sie sich schätzen kann, einen so guten und wichtigen Mann zum Ehemann zu bekommen.“

Das Wort Ehemann dröhnte noch immer in Violas Ohren, als sie am Fenster ihres Schlafzimmers stand und auf die schneebedeckte Landschaft hinausschaute.

Die Bäume glitzerten vor Kälte und hoben sich als dunkle Silhouetten vom winterlichen Himmel ab. Es war ein Bild, das ihre Stimmung gewöhnlich hob.

Doch jetzt starrte sie hinaus, ohne etwas anderes zu sehen als Lord Stoneham, und es wurde ihr bewusst, dass sie ihn prüfte und analysierte wie nie zuvor.

Wie konnte sie auch nur einen Augenblick lang den Gedanken ins Auge fassen, einen Mann zu heiraten, der für sie immer eine Vaterfigur gewesen war?

Er war so zurückhaltend und lebte in einer so völlig anderen Welt als sie, dass sie frevlerisch dachte, er wäre wohl eher Gott als ein menschliches Wesen.

Es war nicht verwunderlich, dass es ihr nie in den Sinn gekommen war, ihn mit seinem weißen, nach Art des Königs gestutzten Bart, seiner eigentlich behäbigen Gestalt und seiner überheblichen Miene für einen Mann zu halten, der um ihre Hand anhalten würde.

Weil ihre Brüder, die beide wesentlich älter waren als sie, jetzt im Ausland dienten, führte Viola im Haus ihres Vaters ein sehr einsames Leben.

In der Regel traf sie nur die ältlichen Freunde des Generals oder die Damen, die ins Haus kamen, um die ,guten Taten’ ihrer Tante zu besprechen, denen diese geflissentlich nachging. Doch selten wurden sie wieder eingeladen.

Aber selbst, wenn sie eingeladen wurden, schlug der General die Einladungen meistens aus, ohne seine Schwester oder seine Tochter in der Angelegenheit zu fragen, einfach, weil er nicht gern in die Häuser anderer Menschen ging.

So kam es, dass Bücher Violas Hauptunterhaltung wurden, und auch ein Mittel, sich fortzubilden.

Die Romane von Walter Scott bedeuteten ihre erste Bekanntschaft mit Liebesgeschichten, und sie hatte anschließend eine Reihe wesentlich anspruchsvollerer, moderner Romane gelesen, wie zum Beispiel ‚Jane Austen‘ und ‚Anthony Trollope‘.

Als sie älter wurde, träumte sie von den Helden, von denen sie las, und erfand auch ihre eigenen.

Auf dem Jägerball, dem ersten wirklichen Ball, den sie besuchen durfte, fand sie es aufregend, mit den jüngeren Mitgliedern der Jagdgesellschaft zu tanzen.

Und wenn sie sich auch gefreut hatte, dass der Lord Lieutenant sie unter allen Mädchen zum Tanz erwählt hatte, hätte sie doch viel lieber mit einem jüngeren Mann getanzt.

Aber ihre jüngeren Partner waren nicht gekommen und hatten schon gar nicht mit ihrem Vater gesprochen. Lord Stoneham dagegen hatte es getan.

„Er ist so alt!“ sagte Viola leise vor sich hin. „Warum sollte er mich heiraten wollen?“

Sie wusste, dass Lady Stoneham eine große Frau gewesen war und immer mit Juwelen behängt überall erschienen war.

Wie sollte ich nur ihren Platz einnehmen? Und warum sollte er das von mir wollen? fragte sie sich.

Doch dann wusste sie plötzlich die Antwort. Lord Stoneham wünschte sich noch einen Sohn!

Der General war außerordentlich traurig gewesen, als Edwin Stoneham vor vier Jahren getötet worden war.

Viola konnte sich noch gut daran erinnern, wie Tante Margaret aus Mitgefühl mit der betroffenen Familie geweint hatte.

„Er war ein so charmanter junger Mann! Es erscheint so grausam, dass er getötet worden ist und dass es jetzt keinen Erben für die Baronie gibt.“

„Ich glaube, es gibt da einen entfernten Vetter“, hatte der General nachdenklich eingeworfen, „aber Stoneham hat den noch nie gemocht. Nun, über diese Frage möchte ich mich im Augenblick besser nicht mit ihm unterhalten.“

„Nein, natürlich nicht, Alexander!“

„Verdammt hart für den Knaben, seinen Sohn zu verlieren. Aber es ist auch ein Fehler, nur einen zu haben, vor allem, wenn man einen wichtigen Namen hat, der weitergeführt werden muss.“ Der General hatte mit einem Hauch von Befriedigung in der Stimme gesprochen.

Er selber hatte zwei Söhne: Einer war mit seinem Regiment in Indien stationiert, der zweite in Kanada, und er war zu Recht stolz auf sie.

Viola war geboren worden, als ihre Brüder beide schon erwachsen waren. George war in Oxford, und Richard hatte gerade Eaton verlassen.

Sie hatte oft gehört, dass ihre Nanny, ihr Kindermädchen, sie als einen ,nachträglichen Einfall’ bezeichnet hatte, und lange Zeit wusste sie nicht, was das bedeutete, und hatte darüber nachgedacht und gemeint, es würde heißen, dass mit ihr etwas nicht stimmte.

Doch als sie erkannte, worüber Viola sich Sorgen machte, hatte Nanny ihre Ängste hinweggefegt.

„Was heißt das, ,ein nachträglicher Einfall’, Nanny?“

„Es heißt, dass dein Vater und deine Mutter immer darum gebetet haben, eine Tochter zu bekommen, und dann, gerade als deine Mutter schon dachte, sie wäre zu alt, hat Gott dich geschickt, als ein ganz besonderes Geschenk.“

„Hat er das wirklich getan, Nanny?“

„Schau nur in den Spiegel, dann siehst du es selbst.“

„Und hat Mama sich gefreut?“

„Und ob! Ich aber auch, weil ich kommen durfte, um mich um dich zu kümmern.“

„Und ich war das erste Baby, um das du dich jemals gekümmert hast, ja?“

„Richtig. Und ich hatte großes Glück, diese Stellung zu bekommen. Ich hatte Angst, ich wäre noch zu jung, aber deine Mutter hat es einfach mit mir versucht, und wenn ich das auch nicht sagen sollte, sie hat es nie bereut.“

Auch Viola hatte es nie bereut. Sie hatte Nanny Dawes mehr geliebt als irgendjemanden sonst.

Ihre Mutter war schön, freundlich und lieb gewesen, wenn sie Zeit gehabt hatte, aber sie war oft nicht daheim, und wenn sie daheim war, war sie zu beschäftigt, um ihre Zeit im Kinderzimmer zu verbringen. Aber Nanny war immer da gewesen.

Nanny war jung genug, um mit ihr durch den Wald zu laufen, zwischen den Bäumen Verstecken zu spielen und Geschichten von einem Drachen zu erfinden, der zwischen den Bäumen lauerte, oder von Feen, die auf dem Rasen tanzten.

Nanny wusste alles von diesen Märchenwesen, und eigentlich war es auch Nanny gewesen, die Viola auf Männer aufmerksam gemacht hatte.

„Wer war es, der uns da guten Morgen gewünscht hat?“ hatte sie einmal gefragt, als sie an einem hübschen Diener vorbeikamen, der mit einer Nachricht für ihren Vater und ihre Mutter den Weg zum Haus hinaufritt.

„Das ist Fred“, hatte Nanny geantwortet. „Er ist ein hübscher Kerl, und das weiß er auch! Er bildet sich ein, dass jedes Mädchen in der Grafschaft hinter ihm her wäre.“

„Weshalb hinter ihm her?“

„Nun hör auf, solche Fragen zu stellen. Ich hätte es überhaupt nicht erwähnen sollen.“

„Aber ich will wissen, hinter wem er her ist.“

„Wohinter alle Männer her sind - einem hübschen Mädchen, wenn er eines sieht.“

„Er hat dir zugelächelt. Glaubt er, dass du hübsch bist?“

Nanny warf den Kopf zurück. „Das sähe ihm ähnlich! Aber wenn schon. Ich weiß zu viel von Master Fred, um mich von seinen schönen Augen einfangen zu lassen!“

Wenn es nicht Fred war, dann war es Jim, John oder Ben, der Nanny ,schöne Augen’ machte, wie Viola lernte. Aber Nanny wollte keinen von ihnen.

Als Viola älter wurde, bekam sie Angst, Nanny zu verlieren, und es gab einen Mann, Sid, der ihr wirklich Sorgen bereitete.

„Du wirst Sid doch nicht heiraten, Nanny, oder? Versprich es mir! Wenn du das tust, dann verlässt du mich, und ich weiß nicht, was ich ohne dich tun würde.“

„Der würde Glück haben!“ lautete Nannys rätselhafte Antwort.

„Ich will aber nicht, dass er Glück hat. Ich habe Glück, weil ich dich habe, und ich habe dich lieb, Nanny. Versprich es mir, versprich mir, dass du Sid nicht heiraten wirst.“

Dann hörte sie, dass er Ärger wegen einer anderen Frau hatte, die im Hause von Lord Hartmakin arbeitete, der ein Freund des Generals war.

Lady Hartmakin und Tante Margaret flüsterten endlos miteinander.

Es war alles ziemlich mysteriös, und Viola ahnte bloß, dass die betreffende Frau ohne Zeugnis entlassen worden war und dass man auch Sid gefeuert hatte.

Sie fand, dass Nanny ungefähr eine Woche lang ziemlich still war.

Sie hatte Kopfschmerzen und weinte jede Nacht, doch zu Violas Erleichterung wurde von Sid fortan nichts mehr gesehen, und nach einer Weile war Nanny wieder fröhlich und glücklich wie immer.

Der schrecklichste Tag in Violas Leben war der gewesen, an dem Nanny ging. „Sie hat nicht zu gehen! Ich lasse sie nicht gehen!“ hatte sie gewütet, als sie von ihrer Mutter erfuhr, dass Nanny das Haus verlassen und durch eine Gouvernante ersetzt werden würde.

„Sie ist schon viel länger geblieben, als ich es ursprünglich beabsichtigt hatte“, hatte Mrs. Herne geantwortet, „aber sie hat dir eine ganze Menge Grundkenntnisse beigebracht. Jetzt musst du aber wirklich eine richtige Ausbildung bekommen. Ich habe mich wirklich geschämt, als ich neulich hörte, wie gut die kleine Castleton, die jünger ist als du, Französisch spricht.“

„Ich werde Französisch lernen. Ich werde alles lernen, was du willst, wenn du nur Nanny hierbleiben lässt.“

„Es tut mir leid, Viola. Die Gouvernante, die ich für dich ausgesucht habe, wird dir gefallen. Sie ist eine sehr fähige Frau, und auch dein Vater billigt sie.“

„Ich hasse sie! Ich werde sie immer hassen, weil sie gemacht hat, dass Nanny gehen muss!“

Viola weinte, und auch Nanny.

Mrs. Herne fand eine neue Stellung für sie, und am Morgen vor ihrer Abreise hatte Viola flehentlich gebettelt: „Versprich mir, dass du die neuen Kinder nicht so lieben wirst wie mich.“

„Natürlich verspreche ich dir das. Du warst mein erstes Baby. Und erste Babys sind etwas ganz Besonderes. Ich könnte dich nie vergessen oder aufhören, dich zu lieben.“

„Und ich werde nie jemanden mehr lieben als dich!“ Nanny hatte gelacht.

„Eines Tages wirst du heiraten und selbst Kinder haben, und du wirst sie lieben, und sie werden den ersten Platz in deinem Leben einnehmen. Aber vergiss nie, dass es immer genug für alle geben muss, für mich, für sie, für deinen Vater und deine Mutter und eine Menge anderer Leute.“

„Du kommst an erster Stelle“, schluchzte Viola.

Nanny hatte sie umarmt und gesagt: „Vergiss nicht, du hast versprochen, mir zu schreiben, und ich werde dir auch schreiben, wann immer ich Gelegenheit dazu habe. Ich will alles wissen, was du tust und wieviel du lernst mit deiner neuen - Gouvernante.“

Einen Augenblick hatte Nannys Stimme gezittert. Dann war sie in dem Landauer abgefahren, der für die Diener zur Verfügung stand, und Viola war ins Kinderzimmer gelaufen und hatte auf Nannys Bett geweint, bis ihre Augen so rot und geschwollen waren, dass sie nichts mehr sehen konnte.

Nanny hielt ihr Versprechen und schrieb Viola, doch die Briefe wurden mit der Zeit immer seltener.

Ihre Gouvernanten waren nett und vernünftig gewesen, wenn auch nur eine das Talent besaß, zu unterrichten, aber nie hatten sie Violas Fantasie so angeregt, wie Nanny es vermocht hatte.

„Ich glaube, was ich mir wirklich bei dem Marin wünsche, den ich heirate, ist, dass ich ihn genauso lieben kann, wie ich Nanny geliebt habe, nur noch intensiver“, sagte sich Viola.

Sie war intelligent genug zu erkennen, dass Nanny nicht nur ihre Vorstellungskraft und ihren Idealismus geweckt hatte, sondern dass sie sie auch auf eine seltsame Weise dazu gebracht hatte, immer ihr Bestes zu geben.

Bei Nanny wurde ich ein lebendiger Mensch, konnte sehen und fühlen wie sonst nie zuvor, überlegte Viola.

Vor zwei Jahren hatte Nanny ihr geschrieben und ihr mitgeteilt, dass ihre Eltern gestorben wären und ihr ein kleines Häuschen vermacht hätten, das in einem Dorf nur acht Meilen von Violas Elternhaus entfernt stand.

Mit Erlaubnis ihrer Arbeitgeber wollte sie für eine Woche hinfahren, das Häuschen in Ordnung bringen und dann schließen, bis sie es brauchte, um dort ihren Lebensabend zu verbringen.

Wäre es wohl möglich, dass sie ins Haus des Generals käme, um ihr ,erstes Baby’ zu besuchen?

Von dem Augenblick an, als Viola diesen Brief gelesen hatte, war sie vor Aufregung und Glück ganz wild gewesen.

Es schien fast zu schön, um wahr zu sein, dass sie Nanny wiedersehen würde und mit ihr reden könnte - so wie früher.

Sie könnte ihr erzählen, wie unglücklich sie über den Verlust ihrer Mutter gewesen war, wie schwierig ihr Vater manchmal war und dass es einfach nicht dasselbe war, Tante Margaret an Mutters Stelle zu haben.

Gutmütig hatte der General erklärt, dass ein Wagen Nanny von dem kleinen Dorf Little Waywood in sein Haus bringen sollte.

Viola hatte es nicht erwarten können und war gespannt und aufgeregt mitgefahren. Sie hatte das Gefühl gehabt, die Pferde würden sich aufreizend langsam über die staubigen Straßen bewegen.

Nannys Heim war ein kleines, strohgedecktes Häuschen am Ende des kleinen Dorfes, das sich um eine normannische Kirche und ein altes Gasthaus drängte.

Als der Wagen vor dem Honeysuckle Cottage hielt, war Viola den mit Steinplatten belegten Pfad hinaufgeeilt, und Nanny hatte sie an der Haustür erwartet.

Sie sah älter aus - Viola hatte vergessen, dass auch die Menschen, die wir lieben, älter werden -, aber ihr Lächeln war noch immer dasselbe, ihre braunen Augen sanft wie eh und je und genauso liebevoll.

„Nanny! Nanny!“

Viola umarmte sie heftig, und vor lauter Glück standen Tränen in ihren Augen, und ihre Stimme zitterte.

„Lass dich ansehen“, hatte Nanny gesagt. „Mein Gott, du bist ein hübsches Mädchen geworden. Das habe ich ja schon immer gewusst!“