Nur du allein (Die Sullivans 10, Die Sullivans aus Seattle 1) - Bella Andre - kostenlos E-Book

Nur du allein (Die Sullivans 10, Die Sullivans aus Seattle 1) E-Book

Bella Andre

3,0

Beschreibung

Der überaus erfolgreiche Privatdetektiv Rafe Sullivan hat die meisten Ehebrecher in Seattle schon einmal in flagranti erwischt – und ist überzeugt, dass wahre Liebe Seltenheitswert hat. Um auf andere Gedanken zu kommen, zieht er in das Haus am See ein, wo er seine Kindheit verbracht hat, das jedoch leider völlig verfallen ist. Das Nachbarsmädchen allerdings ist zu einer Schönheit herangewachsen. In ihrer Kleinstadt am See, im Nordwesten der USA, verkauft Brooke Jansen selbst gemachte Schokoladentrüffel. Sie ist eigentlich glücklich, aber insgeheim sehnt sie sich nach wilden Abenteuern. Als nach über zehn Jahren der "wilde Sullivan", für den sie früher geschwärmt hatte, wieder ins Nachbarhaus einzieht und es zwischen ihnen funkt, fragt sie sich, ob wild sein wirklich so schön ist, wie es ihr immer erschienen war. Ihr Sommerflirt weckt tiefere Gefühle, als beide erwartet hatten. Sind sie dem Feuer der Leidenschaft gewachsen? Oder wird Rafe den größten Fehler seines Lebens machen und am Ende das Beste verlieren, was ihm jemals begegnet ist? "Die Sullivans"-Reihe Liebe in deinen Augen Ein verfänglicher Augenblick Begegnung mit der Liebe Nur du in meinem Leben Sag nicht nein zur Liebe Nur von dir hab ich geträumt Lass dich von der Liebe verzaubern Du gehst mir nicht mehr aus dem Sinn Eine perfekte Nacht (Die Sullivans aus Seattle) Nur du allein (Die Sullivans aus Seattle) Deine Liebe muss es sein (Die Sullivans aus Seattle) Dir nah zu sein (Die Sullivans aus Seattle)

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Nur du allein

~ Die Sullivans Aus Seattle 1 ~

Rafe & Brooke

Von Bella Andre

Inhaltsverzeichnis

Bucheinband

Titelseite

Copyright

Über das Buch

Eine Anmerkung von Bella

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Epilog

Alle Bücher von Bella Andre in deutscher Sprache

Über die Autorin

Nur du allein

Die Sullivans Aus Seattle 1

Copyright © 2017

Übersetzung Christine Weise – Language+ Literary Translations, LLC

[email protected]

www.BellaAndre.com

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Der überaus erfolgreiche Privatdetektiv Rafe Sullivan hat die meisten Ehebrecher in Seattle schon einmal in flagranti erwischt – und ist überzeugt, dass wahre Liebe Seltenheitswert hat. Um auf andere Gedanken zu kommen, zieht er in das Haus seiner Kindheitserinnerungen am See, das leider völlig verfallen ist. Das Nachbarsmädchen allerdings ist zu einer Schönheit herangewachsen.

In ihrer Kleinstadt am See, im Nordwesten der USA, verkauft Brooke Jansen selbst gemachte Schokoladentrüffel. Sie ist eigentlich glücklich, aber insgeheim sehnt sie sich nach wilden Abenteuern. Als nach über zehn Jahren der „wilde Sullivan“, für den sie früher geschwärmt hatte, wieder ins Nachbarhaus einzieht und es zwischen ihnen funkt, fragt sie sich, ob wild sein wirklich so schön ist, wie es ihr immer erschienen war … und wie lange sie brauchen wird, um es herauszufinden.

Ihr Sommerflirt weckt allerdings tiefere Gefühle, als beide erwartet hatten. Sind sie dem Feuer der Leidenschaft gewachsen? Oder wird Rafe den größten Fehler seines Lebens machen und am Ende das Beste verlieren, was ihm jemals begegnet ist?

Eine Anmerkung von Bella

Seit zwei Jahren schreibe ich über die Sullivans und genieße jede Sekunde, in der ich gefühlvolle Liebesgeschichten über diese verführerischen Männer und starken Frauen gestalte! Danke dafür, dass Sie die nettesten Leserinnen der Welt sind! Ihre E-Mails, Tweets und Nachrichten auf Facebook und Goodreads bringen mich oft zum Lachen, rühren mich manchmal zu Tränen und machen das Schreiben von Liebesromanen zu einer immer größeren Freude.

Denn schließlich sind Sie ja der Grund dafür, dass ich noch mehr Geschichten über die Sullivans schreibe! Nachdem die ersten acht Sullivans aus San Francisco ihr Happy End gefunden hatten, haben so viele Leserinnen nach mehr Sullivan-Geschichten verlangt, dass ich mich jetzt sehr freue, Ihnen den in Seattle lebenden Teil der Familie vorstellen zu dürfen. Ich kann es kaum erwarten, Sie in den nächsten fünf Büchern mit Rafe, Mia, Ian, Adam, und Dylan, sowie mit ihren Eltern, Max und Claudia Sullivan, bekannt zu machen. Natürlich werden wir zwischendurch immer wieder etwas aus dem Leben der ersten acht Sullivans und ihrer Mutter in San Francisco erfahren.

Ich hoffe sehr, dass Sie es genießen werden, meinen supersexy Privatdetektiv Rafe Sullivan kennenzulernen … und auch die Frau, ohne die er, wie ihm bald klar wird, nicht mehr leben kann.

Ein glückliches Leseerlebnis wünscht Ihnen Ihre

Bella Andre

P.S. Falls Sie zum ersten Mal ein Sullivans–Buch lesen: Jedes Buch lässt sich leicht lesen, auch, wenn man die anderen noch nicht kennt. Auf meiner Webseite finden Sie übrigens einen Stammbaum der Sullivans (BellaAndre.com/sullivan-family-tree), damit Sie sehen können, wie die Bücher miteinander verbunden sind.

Kapitel 1

An manchen Tagen fand Rafe Sullivan seine Arbeit fürchterlich.

Vor ihm saß tränenüberströmt eine elegant gekleidete Frau, der das ehemals perfekte Make-up, schwarze Spuren hinterlassend, die Wangen hinunterlief. Er schob ihr die Schachtel mit Papiertaschentüchern hin, aber sie war zu sehr damit beschäftigt zu schluchzen und die Fotos zu umklammern, die Rafe ihr soeben übergeben hatte.

Auf jedem der zwölf Bilder war der Ehemann seiner Klientin, Geschäftsführer eines Unternehmens, jeweils mit einer anderen Frau zusammen. Brünette, Blonde und Rothaarige – die ganze Palette. Das einzige Entscheidungs­kriterium des Mannes schien die BH-Größe zu sein, denn alle Frauen – einschließlich der jungen Ehefrau, die er betrog – waren überdurchschnittlich vollbusig.

„So ein Dreckskerl!“, stieß sie zwischen zwei Schluchzern hervor. „Er hat geschworen, dass er niemals fremdgehen würde. Er sagte, ich bedeutete ihm alles. Bei unserem Ehegelübde stellte er sich vor meiner Familie hin und sagte mir, ich sei die große Liebe seines Lebens.“ Sie hob ihren Blick von den Fotos und ihre Augen waren voller Schmerz. „Warum konnte er nicht treu sein? Liegt es daran, dass ich nicht so hübsch bin wie diese Frauen?“

Vor sieben Jahren, als Rafe beschlossen hatte, bei der Polizei zu kündigen und sein eigenes Detektivbüro zu eröffnen, war er voller Ideale gewesen. Gerechtigkeit. Wahrheit. Danach hatte er gestrebt. Jetzt hatte er ein halbes Dutzend Mitarbeiter und genoss weithin den Ruf, das beste Detektivbüro im Staat Washington zu führen.

Wie zum Teufel war es so weit gekommen? Früher war er unvoreingenommen an jeden Fall herangegangen. Wie hoch konnte die Wahrscheinlichkeit eines Seitensprungs schon sein? Fünfzig Prozent wären viel, meinte er. Sechzig Prozent hielt er für völlig abwegig.

Er hatte sich nicht vorstellen können, dass die Zielpersonen tatsächlich in hundert Prozent seiner Fälle schuldig waren.

Irgendwann hatte Rafes Erfolg beim Aufdecken von Ehebrüchen prominenter Männer und Frauen – die Erfolgsrate seiner Ermittlungen betrug hundert Prozent – alle anderen Fälle zu seinem Leidwesen völlig in den Schatten gestellt. Er konnte es allerdings auch nicht vor sich rechtfertigen, auf diese lukrativen Aufträge zu verzichten, schließlich hatte er die Gehälter und Sozialabgaben seiner Mitarbeiter zu zahlen.

Obwohl er seinen Job bereits seit fast zehn Jahren ausübte, hatte es Rafe noch nicht geschafft, seine eigenen Gefühle auszublenden, wenn er den Klientinnen die Schnappschüsse von Seitensprüngen aushändigte, die er und seine Mitarbeiter gemacht hatten. Immer wieder fühlte er sich zumindest teilweise verantwortlich für ihre Tränen.

Aber am Schlimmsten fand er es, wenn die Frauen viel zu schnell von Wut auf Selbstbezichtigung umschalteten.

„Es ist nicht Ihre Schuld“, sagte er sanft.

Er hätte seiner Klientin gerne gesagt, dass sie mindestens genauso schön war wie die Frauen, mit denen ihr Mann sie betrog. Vielleicht hätte er sogar tröstend ihre Hand ergriffen, aber er hatte aus Erfahrung gelernt, dass er noch nicht einmal das tun durfte.

Tröstende Gesten und hilfreiche Komplimente konnten zu leicht für etwas anderes gehalten werden. Nur einmal war er so dumm gewesen, diesen Weg zu beschreiten, aber damals hatte er seine Lektion gelernt. Eigentlich war ihm damals klar gewesen, dass er mit einer Ex-Klientin besser nicht hätte anbandeln sollen, aber sie hatte nicht aufgegeben und war hübsch … und er war erschöpft gewesen und – schlicht und einfach – dumm. Mann, war das ein Reinfall gewesen.

Jetzt würde er zwar gern mehr tun, um seiner Klientin beizustehen, aber er musste sich darauf beschränken, ihr die Taschentücher zu reichen.

Endlich nahm sie eins aus der Packung, um sich die Tränen und die verlaufende Wimperntusche abzuwischen. „Ich habe ihm vertraut.“ Ihre Stimme war kaum lauter als ein Flüstern. „Wie werde ich jemals wieder jemandem vertrauen können?“

Rafe wusste, sie wartete nur darauf, dass er ihr versichern würde, nicht alle Männer seien schlecht und es gäbe noch einige gute auf der Welt. Aber in den letzten sieben Jahren hatte er jeden Ehebrecher an der nördlichen Pazifikküste der USA in flagranti ertappt. „Sie haben einen guten Instinkt“, sagte er daher. „Deswegen sind Sie doch zu mir gekommen, nicht wahr?“

Sie nickte und ihre Tränen versiegten langsam, Gott sei Dank.

„Vertrauen Sie weiterhin Ihrem Instinkt.“

Sie schien einen Augenblick über seinen Rat nachzudenken. Dann holte sie tief Luft und wischte sich die letzten Tränen ab. „Ja, Sie haben recht. Genau das muss ich tun. Mir selbst vertrauen, anstatt allen anderen. Und im Moment rät mir mein Instinkt, von diesem Scheusal von Ehemann für absolut alles auf Heller und Pfennig Wiedergutmachung zu verlangen.“ Ein neuer Lebensfunke glitzerte in ihren Augen, als sie anfing, über Rache nachzudenken.

Angst, Selbstvorwürfe, Rache – innerhalb von fünf Minuten hatte seine Klientin diese Achterbahn der Gefühle durchgemacht. Es war erst zehn Uhr morgens. Ihn erwarteten weitere sieben Stunden dieser Art.

Sie stand auf und glättete ihr Seidenkleid, auf dem sich noch einige Tränen abzeichneten. „Ich kann Ihnen gar nicht genug für Ihre Hilfe danken, Mr. Sullivan.“

Er wünschte, es gäbe nichts, wofür sie ihm danken musste, und gab ihr die Hand. „Viel Glück mit allem.“

„Mein zukünftiger Exmann ist derjenige, der jetzt Glück brauchen wird“, versicherte sie ihm. „Und ich werde Sie auf jeden Fall meinen Freundinnen empfehlen“, fügte sie hinzu. Ein zynischer Ausdruck überschattete ihre jugendliche Schönheit. „Ich bin mir sicher, dass die meisten von ihnen Ihren Service ebenfalls brauchen werden.“ Sie war schon fast aus der Tür, da drehte sie sich noch einmal zu ihm um. „Wissen Sie, was am meisten weh tut? Noch mehr, als zu wissen, dass er mit anderen Frauen geschlafen hat? Noch mehr, als angelogen zu werden?“

Zum Glück wusste Rafe, dass es eine rhetorische Frage war, also wartete er einfach ihren nächsten Satz ab.

„Offensichtlich traute er mir nicht zu, ich könne schlau oder mutig genug sein, herauszufinden, was da lief. Wenn er unbedingt unsere Ehe hätte beenden wollen, weil er mich nicht mehr liebt, dann hätte er den Mut aufbringen sollen, es mir ins Gesicht zu sagen.“ Ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen. „Aber er hatte noch nicht einmal dafür genug Achtung vor mir.“

Sobald sie aus dem Büro war, ließ Rafe sich auf sein Ledersofa sinken und fuhr sich mit einer Hand durch das Gesicht. So fand ihn seine Schwester Mia vor.

„Ich schwöre“, sagte sie, „aus deinem Büro kommen die bestaussehenden Tussis der Welt und haben immer auch noch die geilsten und teuersten Schuhe an. Wieder so ein reicher Typ, der seine Dekogattin nach Strich und Faden betrügt, was?“

Rafe machte gar nicht erst die Augen auf. Und reagierte auch nicht auf die Frage, auf die Mia bereits die Antwort kannte. „Wenn du hier bist“, sagte er, „um zu fragen, ob ich dir meine Ducati für eine Spritztour ausleihe, dann ist und bleibt die Antwort: Nein.“ Was seine impulsive Schwester seinem Motorrad antun würde, wenn er ihr die Schlüssel auch nur für fünfzehn Minuten überließ, das mochten die Götter wissen. Außerdem würden ihn seine Eltern umbringen, wenn sie zu schnell oder zu wild fahren und sich bei einem Unfall verletzen würde.

„Nun, auf jeden Fall brauchst du heute etwas, das dich aufheitert, oder?“ Sogar ohne sie anzuschauen, hörte er, wie sie grinste. „Glück gehabt, genau deswegen bin ich hier.“

Endlich öffnete er ein Auge. „Was auch immer du heute im Schilde führst, ich bin nicht in Stimmung. Du kannst es ja in einem halben Jahr nochmal probieren.“

„Glaub mir, das hier wird alles besser machen. Das garantiere ich dir.“

Mia griff in ihre große rote Ledertasche, von der er vermutete, dass sie fast so viel gekostet hatte wie sein Motorrad, und zog ein Blatt Papier heraus. Obwohl er kein Interesse an einem Sommerhaus bekundet hatte, erzählte sie ihm in den letzten Monaten immer wieder von verschiedenen Seegrundstücken, schickte ihm Bilder und gab ihm Broschüren, wenn sie sich einmal bei ihren Eltern zum Essen sahen. Ständig mit Informationen über Häuser am See bombardiert zu werden, hatte ihn allerdings zum Nachdenken angeregt, was ja auch genau Mias Absicht war.

Zwei Monate Urlaub, weit weg von weinenden, sitzengelassenen Dekogattinnen und fremdgehenden Firmenchefs?

Das klang himmlisch.

Alle seine Geschwister liebten ihre Arbeit. Mia war eine so gute Immobilienmaklerin, dass sie ihr eigenes Maklerbüro eröffnet hatte, lange bevor sie dreißig wurde. Sein Bruder Adam konnte noch nie an einem historischen Gebäude vorbeigehen, ohne es renovieren zu wollen. Ian, der Älteste der Sullivans in Seattle, verdiente seine Millionen im Schlaf. Und ihr Bruder Dylan hatte Segeln gelernt, bevor er laufen konnte, und so war es nur logisch, dass er ein paar der besten Boote gebaut hatte, die auf dem Meer herumfuhren.

Nur Rafe steckte in einem erfolgreichen Unternehmen fest, das ihm Tag für Tag die Lebenslust aus den Adern saugte.

„Ich brauche nicht noch ein Haus“, murrte Rafe.

Er schloss wieder die Augen, ließ sich tiefer in sein Sofa sinken und legt die Füße auf den Kaffeetisch. Anstatt gereizt zu reagieren oder ihm die Füße vom Tisch zu schubsen, war Mia einfach nur still. Offen gestanden war die Stille bedenklicher als alles andere, da seine Schwester nicht gerade für ihre Fähigkeit zur tiefen Meditation bekannt war. Ganz im Gegenteil, sie war eher eine perfekte Mischung aus einem tasmanischen Teufel und einem wirbelnden Derwisch. Er versuchte gerade, genug Energie aufzubringen, um sich dem, was sie auch immer vorhatte, entgegenzustellen, da traf ihn etwas Spitzes zwischen die Augen.

„Au! Was soll das, Mia?“ Auf seinem Schoß lag ein Papierflieger, dessen Spitze vom Aufprall auf seiner Stirn umgebogen war.

„Nun schau es dir doch erst einmal an. Ich weiß, wie beschäftigt du damit bist, den ganzen Tag weinende Frauen zu trösten, und ich würde dich nicht damit belästigen, wenn es nicht wirklich wichtig wäre.“ Sie zeigte auf den Papierflieger. „Wirklich, das da ist wichtig.“

Da er wusste, dass es das Beste war, ihr den Gefallen zu tun, um dann seinen beschissenen Arbeitstag fortsetzen zu können, faltete Rafe den Papierflieger auf. Es war nicht viel gedruckt auf dem Blatt mit der Immobilienanzeige, bis auf das leicht verschwommene Bild am oberen Rand. Aber er verstand sofort, warum seine Schwester alles hatte stehen und liegen lassen, um es ihm zu bringen.

„Das ist kein Aprilscherz, oder?“

Er konnte ehrlich nicht glauben, was er da vor sich hatte. Als er noch klein war, hatten seine Eltern im Cascade-Gebirge ein Holzhaus am See gekauft und jeden Sommer dort verbracht, bis Rafe vierzehn war. Dann war der Vater arbeitslos geworden und für die Familie hatte sich alles geändert. Das Haus am See nicht mehr zu haben, war schade gewesen, aber es war sehr viel schlimmer zu sehen, wie der Vater sein Selbstvertrauen verlor und praktisch über Nacht graue Haare bekam. Und noch schlimmer war dann die Trauer über den plötzlichen Tod von Onkel Jack, dem Bruder des Vaters. Für die Sullivans an der Westküste war das eine schwere Zeit gewesen und auch jetzt dachte Rafe immer noch nicht gerne an jene Jahre zurück.

„Als ich die Anzeige sah, habe ich sofort alle meine Termine abgesagt und bin hierher gerannt, um sie dir zu zeigen.“

Rafe blickte noch einmal auf die Abbildung. Es sah aus, als hätte sich gar nichts verändert, und er freute sich darüber. Wie hatte er jenen Ort geliebt – das ganze Jahr über hatte er sich deswegen immer auf den Sommer gefreut. Wandern, Schwimmen, Bootfahren, Angeln, Wasserskifahren … und Mädchen. Es waren so viele hübsche Mädchen in Bikinis dort, dass einem Heranwachsenden schwindlig werden konnte.

„Du musst ein Angebot machen“, verlangte Mia. „Heute.“

Er konnte praktisch die Lagerfeuer riechen und das kühle Wasser auf seiner Haut spüren, wie damals, wenn er vom Ende des Anlegestegs in den See sprang. Aber er hatte das schon hundertmal durchdacht. Er hatte Mitarbeiter, die sich auf ihn verließen. Die halbe High Society von Seattle stand bei ihm Schlange und wollte, dass er gegen untreue Ehepartner ermittelte. Er war kein junger Springinsfeld ohne Verantwortung. Er konnte nicht einfach seine Siebensachen packen und sein Geschäft zurücklassen.

Rafe zwang sich, den Zettel vor sich auf den Tisch zu legen. „Meine nächste Klientin ist in einer Viertelstunde hier.“

„Du kannst sie Ben überlassen.“

„Ben hat seine eigenen Termine.“

„Er kann mit deinen betrogenen Gattinnen gut umgehen. Eigentlich sogar besser als du, denn er ist bei alldem nicht so zynisch.“

Rafe war über 1,90 m groß, hatte breite Schultern und große Hände. Es sagte ihm selten jemand ins Gesicht, wenn er Mist baute. Aber obwohl seine kleine Schwester 30 cm kleiner und fast 30 kg leichter war als er, hatte sie nicht die geringste Scheu, es mit ihm aufzunehmen.

„Wir sehen alle, was dieser Job mit dir macht“, sagte sie jetzt. „Ehrlich, du hättest dich sehen sollen, als ich gerade hereinkam. Verdammt, und jetzt, wie du an den Termin mit deiner nächsten Klientin denkst.“

Seine Schwester war immer superschlau. Leider wusste sie aber manchmal wirklich, wovon sie redete. „Meinst du, es wäre so leicht?“, musste er trotzdem sagen. „So, als könnte ich einfach die Hütte kaufen, Ben meine Klienten übergeben und den Sommer dort verbringen?“

„Und warum nicht? Schließlich bist du doch der Chef.“

„Du bist auch die Chefin von Sullivan Realty, aber du kaufst nicht einfach ein Haus am See und lässt deine Mitarbeiter für dich einspringen.“

„Stimmt“, gab sie etwas zu schnell zu, „aber zwischen dir und mir gibt es einen großen Unterschied. Ich mag meine Arbeit. Außerdem, wann hast du zum letzten Mal richtig Urlaub gemacht?“ Sie ließ ihm keine Zeit, darauf zu antworten. „Es ist nun einmal eine Tatsache, dass immer Leute fremdgehen, also wirst du immer mehr Arbeit bekommen. Du bist der Einzige, der hier auf die Pausetaste drücken kann, Rafe. Vor allem nach der Sache mit …“

Sein wütender Blick schnitt ihr das Wort ab, bevor sie das verdammte Thema ansprechen konnte, über das in den letzten zwei Monaten jeder redete – den Messerstich, den er zwischen die Rippen bekommen hatte. Er war darüber hinweg. Wieso waren die anderen das nicht? Der Typ hatte Rafes Haut kaum mit der Messerspitze angekratzt, da hatte Rafe ihn auch schon quer durch die Tiefgarage geschleudert.

Und trotzdem wurmte es ihn mehr, als er sich eingestehen mochte, dass seine kleine Schwester recht hatte: Er brauchte Urlaub. Nicht weil er Angst hatte, noch einmal in einer dunklen Tiefgarage überfallen zu werden, sondern weil ein Mann eben einfach ab und zu mal Energie tanken musste. Dafür war normalerweise Sex das Richtige, aber in letzter Zeit waren auch die wenigen lustvollen Stunden im Bett mit Frauen, die genauso wenig an Liebe interessiert waren wie er, absolut nicht das Wahre gewesen.

Auch, was seine Mitarbeiter betraf, hatte Mia recht: Er hatte Wert darauf gelegt, die besten Leute einzustellen und er konnte ihnen den Laden durchaus eine Zeit lang anvertrauen.

Allein bei dem Gedanken, von den am Strand aufschlagenden Wellen anstatt vom Straßenverkehr vor seinem Fenster geweckt zu werden und mit seinem Fischerboot hinauszufahren, anstatt heulenden Frauen Papiertaschentücher zu reichen, fühlte er sich fast zehn Jahre jünger.

„Okay, zu einem Urlaub hast du mich überredet“, sagte er seiner Schwester, die sich bereits diebisch freute, „aber ich kann mir auch etwas mieten.“

Sie nahm die Broschüre vom Beistelltisch. „Weißt du noch, wie wir am Anlegesteg Arschbombenwettkämpfe veranstaltet haben und die Jansens aus dem Nachbarhaus abstimmten, wer gewonnen hatte?“ Bei der Erinnerung musste er lachen. Es klang etwas eingerostet, denn er hatte lange nicht mehr gelacht. Die kleine Brooke Jansen und ihre Großeltern hatte er seit über fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen, aber er hatte sie nicht vergessen. Rafe schaute auf das Bild von dem Haus am See. „Diesen Ort habe ich geliebt. Wir alle haben ihn geliebt.“

Die Herausforderung und das Grinsen waren aus Mias Blick gewichen. Er und seine Geschwister hatten oft miteinander gestritten und sich geneckt, aber im Grunde liebten sie sich … und sie passten aufeinander auf.

„Du hast ihn mehr geliebt als alle anderen, Rafe. Das Geld hast du. Es ist Zeit, einen Teil davon zu nutzen und am See klare Gedanken zu fassen.“

Rafe sagte sich, dass er durchaus weiter mit ihr streiten konnte, aber welchen Sinn hätte das gehabt? Er wollte das Holzhaus, nicht nur für sich selbst. Er wollte es für seine ganze Familie – besonders für seine Eltern, die es nie hätten verlieren dürfen. Dieses Mal würde er dafür sorgen, dass sie es nie wieder verlieren würden.

Er nahm die Anzeige und schaute sich das Bild noch einmal aus der Nähe an. Auf den ersten Blick hatte es noch genauso ausgesehen wie in seiner Erinnerung, aber jetzt bemerkte er den abblätternden Anstrich, die wuchernden Büsche und die stark abgenutzten, etwas windschiefen Stufen an der Eingangstreppe.

„Nach all den Jahren muss wahrscheinlich einiges getan werden.“

„Sicherlich, aber du bist ja fast so geschickt wie Adam. Und du weißt genau, dass er ganz wild darauf wäre, dir zu helfen, falls es Probleme gibt. Die Maklerin des Verkäufers und ich haben uns gegenseitig den ganzen Vormittag Nachrichten hinterlassen, ich werde also bald Genaueres herausfinden. Aber in der Anzeige steht, es sei möbliert, also wirst du dich hoffentlich nicht allzu sehr mit dem Kauf von Möbeln herumschlagen müssen.“

Wenn es ein anderes Haus gewesen wäre, hätte er sich von Mia weitere Bilder zeigen lassen und auch den Bericht des Gutachters verlangt, aber dieses Haus kannte er in- und auswendig. Sicher, er wusste nichts über die Leute, die in den letzten achtzehn Jahren darin gewohnt hatten, aber allzu viel musste hoffentlich nicht renoviert werden.

„Du hast gewonnen. Ich mache ein Angebot.“

Mias Lächeln ließ ihr bereits hübsches Gesicht strahlen. „Ich wusste es!“

Er sah auf die Uhr. „Ich habe heute Vormittag noch zwei Klientinnen, aber heute Nachmittag kann ich wahrscheinlich in deinem Büro vorbeikommen, um alles zu unterschreiben.“

„Nicht nötig.“ Sie griff nochmals in ihre Tasche und zog eine große Mappe hervor. „Du musst hier, hier, hier und hier unterschreiben. Ich habe dein erstes Angebot schon eingereicht. Wenn ich das hier noch schicke, sollte es okay sein.“

Er war wirklich urlaubsreif, denn das hätte er eigentlich kommen sehen müssen. Mia Sullivan bekam immer, was sie wollte.

Besonders, wenn sie versuchte, jemandem zu helfen, den sie liebte.

„Eines Tages wirst du einen Kerl finden, den du nicht um den kleinen Finger wickeln kannst“, sagte er, als er den Kugelschreiber von ihr entgegennahm und überall neben den gelben Haftmarkern unterschrieb. Sie nahm lächelnd die Papiere wieder entgegen, aber ihr Lächeln wirkte plötzlich etwas gezwungen.

Er legte ihr eine Hand auf den Arm. „Alles in Ordnung, Schwesterherz?“

„Alles in Ordnung.“ Er glaubte ihr nicht so ganz, aber sie ging bereits zur Tür hinaus. „Heute Abend bist du wahrscheinlich schon stolzer Besitzer des Hauses am See.“

Er hatte den Geldbetrag auf dem Angebot gesehen und mit keiner Wimper gezuckt, aber jetzt musste er nachfragen. „Wie gut ist mein Angebot überhaupt?“

Sie hatte wieder ihr Zwinkern in den Augen. „So gut, dass du morgen auf deine Ducati springen und rechtzeitig vor Einbruch der Nacht da sein kannst, um dir am Strand ein Feuer zu machen und in die Sterne zu gucken.“

„Danke, Mia.“ Sie war eine Nervensäge und würde es immer sein. Aber er würde seine kleine Schwester gegen niemanden sonst eintauschen wollen.

Sie schaute nicht noch einmal zurück, sondern winkte ihm einfach über die Schulter zu. Ihm fiel auf, dass jeder einzelne seiner männlichen Mitarbeiter ihr sehnsüchtig nachblickte, anstatt zu arbeiten. Daher war seine Stimme härter als sonst, als er sagte: „Besprechung für alle in der Mittagspause.“

Damit ging er in sein Büro zurück, um sich auf seinen nächsten Termin vorzubereiten … und um im Hinblick auf einen Sommer am See eine neue Aufgabenliste für seine Mitarbeiter bei Sullivan Investigations zu schreiben.

Kapitel 2

An manchen Tagen fand Brooke Jansen ihre Arbeit herrlich.

Eigentlich jeden Tag, seit sie aus Boston ganz an den See gezogen war und sich mit der Trüffelpralinen­herstellung selbstständig gemacht hatte. Sie liebte sie sogar an Tagen wie heute, an denen es ihr bei ihrem neuesten Trüffelrezept noch nicht so ganz gelang, den Geschmack richtig hinzubekommen.

Die letzten acht Stunden hatte sie damit verbracht, an einem neuen Trüffelsortiment speziell für den Sommer zu arbeiten, von dem sie hoffte, dass es genauso gut ankäme wie die Schachtel mit Wintertrüffeln, mit der sie in der Weihnachtszeit ihren Einstand gegeben hatte. Jetzt war es Zeit, die Verspannungen in ihrem Rücken mit einer Runde Schwimmen zu lösen. Außerdem hatte sie ihre besten Eingebungen meistens unter Wasser. Sie konnte schwimmen wie ein Fisch, seit dem Tag, an dem ihr Großvater sie ihrem Vater vom Arm genommen und in den See geworfen hatte, obwohl sein Sohn protestierte, sie sei noch nicht so weit.

Brooke trug ihre Töpfe und Glasschüsseln zum Spülbecken. Beim Abwaschen bestaunte sie die Aussicht über den See und auf die Douglasien in den Bergen am anderen Ufer. Obwohl sie schon seit drei Jahren am Lake Wenatchee wohnte, konnte sie es immer noch kaum fassen, wie schön es dort war.

Als kleines Kind war sie jeden Sommer aus Boston gekommen, um ihre Großeltern, Frank und Judy, im Staat Washington zu besuchen. Sie hatte jede Sekunde genossen, im Freien am Sandstrand, beim Schwimmen im kühlen Seewasser, am Lagerfeuer beim Marshmallow-Grillen … und in Gesellschaft der beiden herzlichsten, liebevollsten Menschen, die sie jemals gekannt hatte.

Während all jener Sommer waren ihre Eltern nur ein paar Mal in das Haus am See zu Besuch gekommen und jedes Mal war es eine unbehagliche, ja fast peinliche Situation gewesen. Vor allem, weil ihre Eltern und ihre Großeltern sich kaum jemals über irgendetwas einig waren … insbesondere, was sie betraf. Ihrer Mutter und ihr Vater waren alles andere als Unmenschen, aber sie hatten sich immer sehr auf ihre Karrieren konzentriert und schienen dabei oft zu vergessen, dass sie ein Kind hatten, das Spaß haben wollte. Und wenn sie sich mit ihr beschäftigten, spürte sie oft, dass sie enttäuscht waren. Denn sie besaß weder den Scharfsinn ihrer Mutter, der Rechtsanwältin, noch war sie so brillant wie ihr Vater, der Wirtschafts­wissenschaftler.

Sie hätten gerne einen kleinen Einstein gehabt. Stattdessen hatten sie Emily Erdbeer bekommen.

Außerdem war es für ihre Mutter so schwer gewesen, schwanger zu werden und sie auszutragen, dass Brooke von Geburt an von ihren Eltern wie eine höchst zerbrechliche Glasfigur behandelt wurde. Ihr Leben lang hatten sie Angst gehabt, dass sie sich verletzen könnte, obwohl Brooke das vorsichtigste, gewissenhafteste Mädchen weit und breit gewesen war. Nun ja, außer in jener einen Nacht, als sie sich wie jede normale Sechzehnjährige auf der Welt aus dem Haus schlich und einen Fehler machte, den sie ihr ein Leben lang vorhalten würden …

Als Brooke dreiundzwanzig Jahre alt war, starben ihre Großeltern bei einem Autounfall. Ihr Wagen war auf einer vereisten Passstraße ins Schleudern gekommen. Obwohl seitdem bereits drei Jahre vergangen waren, war das Loch, das der Tod der Großeltern in ihr Herz gerissen hatte, noch nicht kleiner geworden. Sie hatten ihr das Sommerhäuschen vermacht, denn sie wussten natürlich, dass ihre Eltern keinerlei Interesse daran hatten. Außerdem hinterließen sie ihr den gesamten Inhalt ihres Bankkontos.

Vom plötzlichen Tod ihrer Großeltern war sie am Boden zerstört gewesen. So sehr, dass ihre Eltern sie überreden wollten, zunächst mit zurück nach Boston zu fahren und sich erst später, wenn sie sich etwas erholt hätte, um ihre Hinterlassenschaft zu kümmern. Aber als sie am Flugsteig ankam, stieg sie nicht in den Flieger, sondern küsste ihre völlig verblüfften Eltern zum Abschied und machte auf dem Absatz kehrt.

Im Seehaus ihrer Großeltern war alles noch genauso, wie sie es verlassen hatten. Wie konnten sie nur einfach weg sein? Sie stolperte ins Haus und schaffte es kaum bis zum Lieblings­schaukelstuhl ihrer Großmutter im Wohnzimmer, bevor ihr die Beine versagten.

Auf dem Wohnzimmertisch lag das Kochbuch ihrer Großmutter und mit zitternden Händen griff sie danach. Den hölzernen Buchdeckel hatte ihr Großvater in seiner Werkstatt selbst gemacht und darin ein Herz mit den Initialen der beiden eingraviert. Er hatte es der Frau, die er vom ersten Augenblick an angebetet hatte, aus Liebe geschenkt. Das Buch war alt und einmal zu oft vom Küchenschrank auf den Boden gefallen, daher zog sich mitten durch das hölzerne Herz ein Riss. Als Brooke das Buch aufschlug, lag auf dem ersten Rezept ein Bild von sich selbst und ihrer Großmutter, wie sie mit geblümten Schürzen und über das ganze Gesicht strahlend am Küchenschrank standen. Ihre Hände waren voller Schokolade und auf der ganzen Arbeitsfläche waren Schokospäne verteilt.

Am glücklichsten war Brooke jeden Sommer, wenn sie mit ihrer Großmutter Trüffeln machen durfte. Dieses Hobby war deren Leidenschaft und sie schenkte Freunden und Verwandten ihre Liebe in Form von Schokolade. Während sie auf das Bild starrte, erkannte Brooke, warum sie es nicht über sich gebracht hatte, mit ihren Eltern in das Flugzeug zu steigen und an ihren Arbeitsplatz in der Personalabteilung einer Bostoner Firma zurückzukehren: Das Leben war zu kurz und viel zu wertvoll, um es zu verschwenden. Endlich wusste Brooke genau, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte: hier am See bleiben, im Haus ihrer Großeltern und Trüffel machen.

Ihr erstes Jahr war ein recht entmutigender Crashkurs gewesen: Nicht nur, was die Kunst der handwerklichen Schokoladen­herstellung betraf, sondern auch in Bezug auf die Gründung und Führung ihres eigenen Geschäfts. Zumal ihre Eltern entsetzt waren, dass sie eine lukrative Karriere aufgab, um etwas so Riskantes zu tun, das „so wenige Vorteile brachte“, wie ihre Eltern zu sagen pflegten. Zum Glück hatte sie es geschafft, einige kleine Läden in der Stadt als Kunden zu gewinnen, bevor sie die finanzielle Reserve, die ihr die Großeltern hinterlassen hatten, auch nur annähernd ausgeschöpft hatte.

Als sie an den See zog und mit ihrer Lieblings­beschäftigung und der ihrer Großmutter ein Unternehmen gründete, schien ihr, dass sie ein schwacher Lichtstrahl leitete. Aber sie wusste immer, dass er jeden Tag stärker werden würde. Genau das hatten ihr ihre Großeltern beigebracht – an sich selbst und an andere zu glauben, komme, was da wolle. Der ganze Ort hatte ihr geholfen, es zu schaffen und damit bewiesen, dass dieser Glaube richtig war.

Nachdem sie die Küche gesäubert hatte, ging Brooke in ihr Schlafzimmer, zog sich Jeans und T-Shirt aus und schlüpfte in ihren Bikini. Es war ein gewagtes Teil, das ungetragen in der Schublade gelegen hatte, bis niemand mehr im Nachbarhaus wohnte und sie sicher sein konnte, dass niemand sie in diesem Bikini sehen konnte. Sie ging gerade aus der Haustür, als ihr Handy klingelte. Als sie die Nummer ihrer Mutter auf dem Display sah, krampfte sich ihr für einen Sekundenbruchteil der Magen zusammen, bevor sie den Anruf annahm.

„Hallo Mama, danke, dass du zurückrufst.“

„Liebling“, sagte ihre Mutter, „es ist immer so schön, deine Stimme zu hören. Ich wünschte nur, du würdest nicht so weit weg wohnen. Dein Vater und ich machen uns Sorgen um dich. Ist alles in Ordnung?“

Wann, fragte sich Brooke, würden ihre Eltern aufhören, sich Sorgen um sie zu machen? Zumal sie in ihrem ganzen Leben nur einmal über die Stränge geschlagen und eine Dummheit gemacht hatte … und das war schon zehn Jahre her.

„Es ist alles in Ordnung. Wirklich großartig.“ Sie hatte eine ziemlich große Neuigkeit für ihre Eltern und hoffte, dass diese positiv darauf reagieren würden. „Habe ich euch eigentlich gesagt, dass Papas Kollege, Cord Delacorte, mich vor Kurzem hier am See besucht hat?“

„Oh je, Brooke“, sagte ihre Mutter und ihre Stimme klang sehr besorgt. „Bitte sag mir, dass du nichts mit ihm hast. Er ist ein erfolgreicher Geschäftsmann. Aber nach den Gerüchten zu urteilen, die wir vor ein paar Jahren während seiner Tätigkeit als Gastprofessor gehört haben, ist er genau der Typ Mann, von dem du dich fernhalten solltest.“

Ich bin keine sechzehn mehr, hätte sie beinahe gerufen.

Stattdessen sagte sie: „Keine Sorge, Cord und ich sind nicht zusammen. Im Gegenteil, er ist glücklich verheiratet.“

Außerdem, war ihrer Mutter denn nicht klar, dass Männer wie er Brooke nicht einmal anschauten? Sie war zu niedlich. Zu süß. Durch und durch ein braves Mädchen, besonders nachdem ihr einziger Versuch, etwas anzustellen, so fürchterlich in die Hose gegangen war.

Rasch erklärte sie, dass Cord eine Schachtel ihrer Pralinen zu Weihnachten bekommen hatte. Sie hatten ihm so gut geschmeckt, dass er zweieinhalb Stunden von Seattle an den Lake Wenatchee gefahren war, um ihr ein geschäftliches Angebot zu machen. Sie sollte den Markt für ihre Pralinen über den regionalen Bereich ausdehnen und mit einer kleinen Pralinenboutique in Seattle beginnen, um die er sich kümmern würde. Wenn das gut liefe – und davon schien er sehr überzeugt zu sein – würde er Expansions­möglichkeiten in weiteren Großstädten oder sogar im Versandhandel ins Auge fassen. An diesem Morgen hatte sie die Vereinbarung für die Partnerschaft unterzeichnet.

„Warum hast du uns vorher nichts davon gesagt?“, fragte ihre Mutter. „Ich hätte mir diesen Vertrag gerne angesehen, bevor du irgendetwas unterschreibst.“

Brookes Magen krampfte sich noch etwas mehr zusammen. „Keine Angst, ich habe hier einen tollen Rechtsanwalt gefunden und wir sind den Vertrag mehrmals sorgfältig durchgegangen.“

Ihre Mutter sagte eine Zeitlang gar nichts. „Nun, zumindest ist Cord kein Fremder und ich weiß, dass dein Vater große Stücke auf seinen Geschäftssinn hält.“ Brooke hörte, wie jemand im Hintergrund ihrer Mutter etwas sagte, wahrscheinlich einer von ihrem halben Dutzend Referenten. „Es tut mir leid, Schatz, aber ich muss jetzt weg. Ich werde es deinem Vater sagen. Er wird sicher auch mit dir darüber sprechen wollen.“

Seufzend beendete Brooke den Anruf. Sie war jetzt noch dankbarer, dass sie sich mit einem Sprung in den See wieder einen klaren Kopf verschaffen konnte. Sie liebte ihre Eltern, aber sie konnten manchmal ein bisschen überfürsorglich sein, sogar über die Entfernung. Eines Tages, so hoffte sie, würden sie endlich einsehen, dass sie erwachsen war, dass ihr großer Fehler weit zurücklag und dass sie mehr als imstande war, selbst richtige Entscheidungen zu treffen. Deswegen hatte sie sie nicht in ihre neuen geschäftlichen Pläne eingeweiht. Nicht, weil sie ihr nicht großartige Ratschläge hätten geben können, sondern weil sie beweisen musste, dass sie es selbst konnte und dass sie es richtig machen würde.

Als sie endlich auf ihre überdachte Veranda trat, zog sie die süß nach Fichtennadeln duftende Luft tief ein. Sie machte sich nicht die Mühe, ein Badetuch um ihren nur mit dem Bikini bekleideten Körper zu wickeln, als sie zum Anlegesteg vor ihrem Haus ging. Sie hatte immer eine weibliche Figur gehabt – ganz im Gegensatz zu ihrer gertenschlanken, drahtigen Mutter – und mit Mitte zwanzig hatte sie zwar kaum mehr als drei Kilo zugenommen, aber ihre Rundungen waren viel stärker ausgeprägt.

Brooke ging über das kurze Stück Rasen und war schon fast am Sandstrand angelangt, als sie hörte, wie ein Jeep in die Einfahrt zum Nachbarhaus fuhr. Von dort, wo sie stand, konnte sie sehen, wie ein Mann ausstieg und ein Schild mit der Aufschrift verkauft vor dem Haus aufstellte.

Moment mal – war das Haus nicht erst vor ein oder zwei Tagen zum Verkauf angeboten worden? Sicher, es stand an einem perfekten Sandstrand, aber trotzdem schien sich der Verkauf in Überlicht­geschwindigkeit ereignet zu haben. Und das, obwohl sie sich nach all den Jahren einfach nicht vorstellen konnte, dass jemand anders als die Sullivans dort lebte.

Die wilden Sullivans hatten ihre Eltern sie genannt. Sie waren absolut entsetzt gewesen, wie sich die Familie nebenan benahm. Wie sehr hatte Brooke sich damals heimlich danach gesehnt, so wild und so frei zu sein. Und wenn sie ganz ehrlich war, hatte sie sich mehr als einmal danach gesehnt, so herzliche Eltern zu haben wie Mr. und Mrs Sullivan es waren. Ihre Großeltern hatten immer eine Umarmung und ein Lächeln für sie, aber ihre Eltern hatten sie eher für eine gute Note gelobt, als für eine perfekte Arschbombe vom Steg Beifall zu klatschen. Verdammt, sie wussten wahrscheinlich noch nicht einmal, was eine Arschbombe war. Max und Claudia Sullivan hingegen machten selbst mit bei den Wettkämpfen ihrer Kinder. Sie musste jetzt noch lachen, wenn sie an den Tag dachte, als sie und ihre Großeltern als Jury eingespannt worden waren.

Und sie wusste immer noch, wer den Wettkampf gewonnen hatte: Rafe Sullivan.

Brooke war bis über beide Ohren in ihn verschossen gewesen. Schon mit acht Jahren war sie imstande, in dem Vierzehnjährigen die reine männliche Schönheit zu erkennen. Seine drei Brüder sahen auch gut aus, wie auch ihre Schwester Mia, Brookes Freundin, aber Rafe war etwas Besonderes. Er lachte lauter und ging bereitwilliger Risiken ein als seine Geschwister.

Rafe Sullivan war der sorgloseste, der herrlichste, wildeste Mensch, der ihr je begegnet war.

Das Reifengeräusch auf dem Kiesweg ließ sie aus ihren Tagträumen erwachen. Seit mehr als fünfzehn Jahren hatte sie die Sullivans nicht mehr gesehen. In einem Sommer waren sie noch hier gewesen und im nächsten waren sie weg und ein langweiliges älteres Ehepaar hatte ihren Platz eingenommen. Keine Arschbomben mehr vom Steg, keine Lagerfeuer mehr mit ihren Freunden aus dem Nachbarhaus, keine Wanderungen mehr in die Berge am See, bei denen sie so taten, als seien sie Professoren auf Abenteuersuche wie Indiana Jones. In den letzten Jahren war das Haus als Ferienhaus vermietet worden. Die meisten Mieter waren in Ordnung gewesen, aber niemand blieb lange genug, um Freundschaft schließen zu können, und die letzten Mieter waren schrecklich. Laut, aufdringlich und mehr daran interessiert, Partys zu feiern, als den See zu genießen. Sie war froh, als das Schild Zu Verkaufen auftauchte. Jetzt würde sie hoffentlich eine Nachbarsfamilie bekommen, die wirklich zu schätzen wusste, was der See zu bieten hatte.

Es war so spät, dass die Sonne schon fast unterging. Wenn sie nicht bald ins Wasser kam, würde es zu kalt sein, um lange darin zu bleiben. Wie es für die Pazifikküste im Nordwesten typisch war, wehte ein leicht kühler Wind, obwohl der Tag sonnig gewesen war.

Sie liebte das Wasser so sehr, dass sie unwillkürlich grinste, obwohl sie durch den kalten Schock rasch losschwimmen musste, damit ihr Herz schneller schlug und ihr wärmer wurde. Nach wenigen Sekunden spürte sie nur noch das herrliche Gefühl, durch das kristallklare Wasser zu schwimmen. Ein Fischschwarm schwamm unter ihr und sie fühlte sich wie im Himmel.

Als sie an ein paar Anlegestegen vorbeigeschwommen war, fiel ihr plötzlich ein, was bei ihrem letzten Rezept das Problem war. Sie hatte sich vorgenommen, ihre neue Pralinenkollektion Sommerfreuden zu nennen, aber jetzt, wo sie ein bisschen Abstand von der Küche gewonnen hatte, sah sie endlich, dass sie es zu wörtlich genommen hatte.

Gehörte es zu den Freuden des Sommers nicht auch, sich an die Kälte des Winters zu erinnern? Ein ganz leichter, kühler Hauch – vielleicht eine Spur Minze? – wäre ideal, um den Lavendel zur Geltung zu bringen, den sie als das perfekte Sommeraroma gewählt hatte.

Sie schwamm jetzt noch schneller, wieder zurück zum Haus, denn sie konnte es kaum erwarten, auszuprobieren, ob ihre neue Idee funktionierte. Als sie den Steg erreichte, griff sie nach einer Seite der Holzleiter und kletterte rasch aus dem Wasser. Sie schob sich die langen Haare zurück und beeilte sich, wieder in ihre Küche zu kommen. Sie hatte fast ihre Veranda erreicht, als sie wieder einen lauten Motor hinter dem Nachbarhaus hörte.

Ein einzelner Mann war gerade mit seinem Motorrad vorgefahren, unter dem Helm lugten seine dunklen Haare hervor.

Na das, dachte Brooke mit instinktiver weiblicher Anerkennung, nenne ich wild und frei.

Ihre Eltern hatten ihr beigebracht, dass es unhöflich war, jemanden anzustarren. Aber sie konnte sich nicht mehr erinnern, welchen Sinn diese Mahnung haben sollte, als sie zusah, wie der Mann den Helm abnahm und sich mit seiner großen Hand durchs Haar fuhr. Sie konnte sein Gesicht noch nicht sehen, aber sie sah auch so, wie gutaussehend er war. Er hatte unglaublich breite Schultern und sogar aus der Entfernung konnte sie erkennen, wie groß – und wie geschickt – seine Hände waren, als er den Lenker umfasste.

Als er von seinem Motorrad wegtrat, war ihr noch so schwindlig von der Explosion reinen Verlangens nach diesem Fremden, dass sie einen Augenblick länger brauchte als nötig, um festzustellen, dass er gar kein Fremder war.

Kapitel 3

„Rafe?“ Sein Name klang kaum lauter als ein erstauntes Flüstern. „Bist du es wirklich?“

Ihre Frage war so laut, dass er sich endlich zu ihr umdrehte. Allerdings antwortete er nicht. Er sagte kein Wort, bewegte sich noch nicht einmal.

Er starrte sie nur an, aber das war okay, denn sie war ja damit beschäftigt, zurück zu starren.

Man sagte oft, dass in der Erinnerung vieles schöner ist als in Wirklichkeit. Aber Brooke wusste jetzt, dass das überhaupt nicht stimmte. Sie hatte sich in den Jahren, in denen sie getrennt waren, Rafe Sullivan nicht nur nicht schöner vorgestellt, als er war, sondern, wenn überhaupt, hatte ihr Gedächtnis in Bezug auf sein tolles Aussehen gehörig untertrieben.

Seine Haare waren dunkel und nur ein kleines bisschen zu lang, er war braun gebrannt, seine Wangen waren von Bartstoppeln dunkel und er war so groß, dass sie sich, um ihn zu küssen, auf die Zehenspitzen stellen und ihm die Arme um den Hals hätte schlingen müssen.

Der Gedanke daran, so etwas zu tun, ließ ihren Körper trotz der kühlen Brise auf ihrer nassen Haut sofort überall warm werden. Als sie Rafe das erste Mal gesehen hatte, war sie noch ein Kind gewesen, aber sogar damals hatte er sich von seinen Geschwistern abgehoben und interessanter gewirkt. Wagemutiger. Und unendlich viel schöner.

Als er immer noch nichts sagte, ging sie einen Schritt auf ihn zu. „Ich bin’s, Rafe. Brooke Jansen. Erinnerst du dich?“

Endlich wich die Intensität seines dunklen Blickes dem Erkennen. „Die kleine Brooke“, sagte er und sie spürte seine tiefe Stimme auf ihrer Haut, „wie könnte ich dich vergessen?“

Viel zu viele Jahre hatte sie damit verbracht, ihre wilden Impulse zu unterdrücken. Aber es war kein wilder Impuls, der sie ohne nachzudenken direkt in die Arme ihres Lieblings-Sullivans trieb. Es war die reine Freude, ihn endlich wiederzusehen.

Er drückte sie an seine Brust und sie umarmte ihn fest. Er roch so gut und die nackte Haut über seinem T-Shirt war trotz der kühlen Abendluft so warm, dass sie nicht widerstehen konnte und sich mit ihrem Gesicht an ihn schmiegte. Während sie ihn festhielt, fühlte sie sich so geborgen wie seit Jahren nicht mehr. Zu viele ihrer Lieblingsmenschen aus ihrer Kindheit hatte sie verloren und sie war unendlich dankbar für das kostbare Geschenk, einen von ihnen wieder in ihrem Leben zu haben.

Sie hätte sich ewig so an ihm festhalten können, wenn sie nicht plötzlich gemerkt hätte, wie gut sich seine harten, erhitzten Muskeln an ihrer kalten, nassen, fast nackten Haut anfühlten.

Das kleine Mädchen in ihr hatte sich in seine Arme gestürzt … aber es war die Frau, zu der sie herangereift war, die ihm noch näherkommen wollte.

Mit acht Jahren war ihre Schwärmerei für Rafe süß gewesen. Unschuldig. Aber was sie jetzt empfand, war ganz entschieden nicht süß.

Und es war alles andere als unschuldig.

Wild. Ein Gedanke – nein, es war mehr ein Begehren, ein reines Verlangen, als ein bewusster Gedanke, das sie plötzlich durchfuhr: Ich will mit Rafe Sullivan wild sein.

Aber sie hatten sich seit über fünfzehn Jahren nicht gesehen – lange genug, dass er eine Frau und eine Familie haben konnte oder zumindest eine Freundin, die er anbetete. Als Brooke sich endlich zwang, einen Schritt von ihm wegzutreten, fiel ihr nachträglich ein, dass sie ja immer noch nur ihren Bikini trug. Ihren sehr nassen Bikini, indem sie sich von niemandem hatte sehen lassen wollen. Und der jetzt gerade die Vorderseite seiner Jacke und seiner Hose durchweicht hatte.

Sie hätte versucht, sich mit ihren Händen zu bedecken, wenn sie geglaubt hätte, dass es etwas nützen würde. Aber obwohl sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte, während sie so nah bei Rafe Sullivan stand, wusste sie, dass es keinen Sinn gehabt hätte.

Der Bikini war zu knapp und ihrer Rundungen waren zu üppig.

Sie war völlig durcheinander. „Ich hab dich ganz nass gemacht“, war alles, was sie herausbrachte.

Rafe sah weder hinunter auf seine Kleider, noch ließ er seinen Blick bis unter ihr Kinn wandern. „Wie ist das Wasser?“

Sie freute sich, dass er, obwohl sie sich jahrelang nicht gesehen hatten, die Frage so stellte, als sei dies einfach ein schöner Tag am See.

„Super.“ Plötzlich fiel ihr ein, dass das Schild mit der Aufschrift kurz vor Rafes Ankunft aufgestellt worden war. Eine Hoffnung flackerte in ihr auf. „Bitte sag mir, dass du gerade euer altes Haus zurückgekauft hast.“