Nur ganz zufällig perfekt - Mats Norén - E-Book

Nur ganz zufällig perfekt E-Book

Mats Norén

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Beschreibung

Nur ganz zufällig perfekt Nathalie hat nach einer alles andere als harmonischen Beziehung das Vertrauen in die Liebe verloren. Ihr stressiger Alltag als alleinerziehende Mutter macht es ihr zusätzlich schwer, daran etwas zu ändern. Erst die Begegnung mit Adam bringt sie dazu, ihre Haltung zu überdenken. Beim Schreibkurs in der VHS kreuzen sich ihre Wege, verlaufen abgesehen von diesem gemeinsamen Hobby aber scheinbar völlig unterschiedlich. Der Zufall führt sie allerdings immer wieder zusammen und zögerlich nähern sie sich an. Nach und nach stellen sie fest, dass sie anscheinend doch etwas mehr verbindet … Leserstimmen: "Wer romantische Geschichten mag, ist hier gut aufgehoben." "Die Geschichte hat mich bezaubert und mit einem Lächeln zurückgelassen." "Kaum eine Seite habe ich gelesen, ohne schmunzeln zu müssen."

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Mats Norén

Nur ganz zufällig perfekt

1

»Ja?« Nathalie klemmte sich ihr Handy zwischen Ohr und Schulter und hob die beiden Einkaufstaschen aus dem Kofferraum.

»Bist du etwa schon wieder im Stress?« Die Stimme ihrer Schwester Patrizia klang gleichermaßen vorwurfsvoll wie besorgt. »Störe ich?«

»Nein, das passt schon.« Nathalie seufzte und schleppte die Taschen ins Haus. »Ich musste heute nur länger arbeiten, unbedingt einkaufen und habe in zwanzig Minuten einen Termin in der Werkstatt. Die Inspektion ist nämlich auch schon längst wieder fällig.«

»Warum sagst du denn nichts? Ich kann dir doch was mitbringen, wenn ich einkaufen gehe.«

»Danke, aber ich schaff das schon.« Nathalie wuchtete ihre Einkäufe auf den Küchentisch.

»Gut, wie du meinst.« Ihre Schwester schien nicht überzeugt. »Dann mach ich’s kurz. Kann ich mir für nächste Woche vielleicht deine große Springform ausleihen?«

»Klar, kannst du haben. Ich bin aber jetzt gleich direkt wieder weg.«

»Keine Sorge, so dringend ist es zum Glück nicht.« Patrizia lachte auf. »Als ob ich so leichtsinnig wäre, dich spontan danach zu fragen. Da kriege ich ja eher eine Audienz beim Papst.«

»Hey! Der hat auch genügend Leute, die ihm den ganzen anderen Mist abnehmen«, konterte Nathalie und suchte im Stapel mit der Post nach den Unterlagen für die Werkstatt.

»Im Gegensatz zu dir nimmt der die Hilfe aber auch an«, gab ihre Schwester zurück. »Was ist denn mit Severin, hat der nicht heute wieder Training? Soll ich ihn hinbringen?«

»Danke, brauchst du nicht.« Nathalie hatte die Terminbestätigung gefunden und stopfte sie in ihre Tasche. »Er ist schon von der Schule aus mit zum Maxi und seine Mutter fährt nachher beide zum Training. Ich habe heute eh wieder meinen Schreibkurs, dann fahre ich von da direkt zum Sportplatz und hole ihn ab.«

»Aha. Na gut, dann kümmer dich mal um dein Auto. Und melde dich, wenn du was brauchst!«

»Mach ich, danke.« Nathalie bemühte sich um einen versöhnlichen Ton. »Bis später.«

Mit ein paar schnellen Handgriffen verstaute sie den verderblichen Teil der Einkäufe im Kühlschrank und war zwei Minuten später schon wieder unterwegs.

Auf dem Weg zur Werkstatt lief ausnahmsweise alles glatt und sie erreichte sogar ein paar Minuten früher als gedacht ihr Ziel. Schwungvoll kurvte sie auf einen Parkplatz und stieg aus.

»Na, schöne Frau, wenn Sie zur Werkstatt wollen, müssen Sie aber da drüben hin!« Ein übergewichtiger Endfünfziger mit schütterem und ziemlich ungepflegtem Haar hielt mit seinem hochpreisigen Cabrio direkt hinter ihr und grinste sie durch eine deutlich zu extravagante Sonnenbrille aufdringlich an. »Der Parkplatz hier gehört zum Autohaus.«

»Das ist mir klar, ich bin ja Kundin.« Nathalie wandte sich genervt ab.

»Ihr Wagen sieht aber so aus, als müsste er dringend in die Werkstatt. Der hat da eine ziemliche Macke. Frauen und Autofahren ist halt so ʼne Sache, ne!«

Er grinste noch breiter und entblößte eine Reihe gelber Zähne. Der überquellende Aschenbecher in der Mittelkonsole verriet die Ursache.

Nathalie ging auf den Wagen zu und musterte den Fahrer für einen Moment. »Lieber eine kleine Macke als einen ganzen Dachschaden, oder? Schönen Tag noch!«

Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und ließ den Typen mitsamt seiner Angeberkarre stehen. Sprachlos vor Wut starrte er ihr hinterher, bevor er erst sein Cabrio abwürgte und schließlich mit hochrotem Kopf vom Hof rauschte. Zufrieden marschierte Nathalie zum Empfang.

»Guten Tag!« Die Service-Mitarbeiterin begrüßte sie deutlich freundlicher. »Sie sind die Frau Weinhold, richtig?«

»Genau«, nickte Nathalie lächelnd. »Ich bin wegen der Inspektion hier.«

»Wunderbar, dann gebe ich gleich in der Werkstatt Bescheid. Haben Sie in der Zwischenzeit noch was zu erledigen oder wollen Sie warten?«

»Ich warte lieber. Ihr Kollege meinte am Telefon, dass das Ganze nur etwa eine Stunde dauern wird.«

»Gerne, dann setzen Sie sich doch einfach hier ums Eck in unseren Wartebereich«, schlug die Dame vor. »Sie können sich selbstverständlich gerne am Getränkeautomaten bedienen.«

»Vielen Dank.« Nathalie reichte ihr den Autoschlüssel. »Geben Sie mir dann Bescheid?«

»Ja, der Kollege übernimmt gleich hier und meldet sich dann bei Ihnen.«

»Super, danke!« Nathalie folgte dem Angebot und spazierte zur Lounge-Ecke, die tatsächlich wie ein kleines Café wirkte. Der Getränkeautomat machte allerdings keinen vertrauenserweckenden Eindruck und Nathalie zog es vor, sich mit einem Buch in einen der bequemen Sessel sinken zu lassen. Sie war gerade so richtig in die Geschichte eingetaucht, als die Service-Mitarbeiterin um die Ecke kam.

»Oh, ist mein Wagen schon fertig?«, lächelte Nathalie ihr zu.

»Tut mir leid, da bin ich gerade auch überfragt. Ich bin auf dem Weg zum Chef.« Die Dame hielt ein paar Unterlagen hoch und lachte leise. »Hat sich der Kollege noch nicht gemeldet?«

»Nein, bis jetzt war noch niemand hier.« Nathalie zwinkerte ihr zu. »Aber ich habe auch nicht ernsthaft damit gerechnet, dass es so schnell geht.«

»Es wird sicher nicht mehr lange dauern.« Sie nickte in Richtung ihrer Unterlagen. »Entschuldigung, ich muss leider weiter.«

»Natürlich, lassen Sie sich nicht aufhalten!« Nathalie lächelte noch einmal und widmete sich wieder ihrem Buch.

Erst nach einigen Kapiteln sah sie erneut auf die Uhr. Die Stunde war fast um und Nathalie entschied sich, zur Vorsicht noch einmal nachzufragen. Kurzentschlossen stand sie auf und bog ums Eck.

Am Empfang saß der zuvor angesprochene Kollege reichlich lethargisch in einem Drehsessel und schlürfte Kaffee.

Er war etwa zwanzig Jahre alt und für seinen Anzug mindestens eine Nummer zu schmal. Desinteressiert starrte er auf den Computermonitor und nahm keine Notiz von Nathalie.

Höflich wartete sie einen Moment und sah dabei aus dem Fenster. Ihr Blick fiel direkt auf ihren Wagen, der schon wieder an seinem Platz stand. Anscheinend hatte sie ein gutes Timing erwischt.

»Entschuldigung?«

Der Typ sah gelangweilt auf. »Ja?«

»Nathalie Weinhold«, stellte sie sich vor. »Ich sehe gerade, dass mein Wagen schon fertig ist?«

Für eine Sekunde glotzte er sie nur an, dann blätterte er kurz in den Zetteln auf dem Schreibtisch. »Nee, dann hätte ich ja eine Info vom Meister gekriegt. Wieso?«

»Weil er da draußen auf dem Hof steht.« Nathalie überkam eine dunkle Vorahnung und sie ließ die Schultern hängen. »Haben Sie etwa noch nicht mal damit angefangen?«

»Nee, kann sein, dass nicht. Ist gerade viel zu tun.«

»Ich habe aber doch extra einen Termin, damit so was eben nicht passiert!«

Der Typ zuckte mit den Schultern. »Ja, weiß ich jetzt auch nicht.«

Nathalie lachte sarkastisch auf. »Toll, warum sagen Sie denn nicht, dass das dauert? Ich warte schon seit einer Stunde. Wann wollten Sie denn anfangen? Ich muss gleich wieder los!«

Plötzlich änderte sich die Körpersprache ihres Gegenübers. Er schob seinen Becher zur Seite und stützte sich mit einem Ellenbogen auf die Tischplatte. Die andere Hand stemmte er auf seinen Oberschenkel und nickte ihr aufdringlich zu. »Wir können ja so lange einen Kaffee trinken.«

»Nein, danke.« Nathalie wich unwillkürlich zurück. »Vielleicht wäre der Service ja besser, wenn man mal ab und zu auf eine Kaffeepause verzichten würde.«

Der Konter zeigte Wirkung und brachte den Mann zum Schweigen. Nathalie nutzte die Gelegenheit, um ohne ein weiteres Wort auf den Hof zu verschwinden. Ihr Wagen war offensichtlich wirklich nicht bewegt worden. Seufzend lehnte sie sich gegen die Beifahrertür und warf einen Blick auf die Uhr.

»Ich kann denen in der Werkstatt ja nicht sagen, wann die ihre Pausen machen.« Der Typ vom Empfang war ihr gefolgt und griff ihren Kommentar reichlich verspätet auf. »Also, deshalb können wir auch einen Kaffee trinken.«

»Ich wiederhole: Nein, danke!« Nathalie sah bewusst in die andere Richtung, doch auch das verstand der Kerl nicht als Ablehnung. Er kam näher und stützte sich mit der Hand aufs Autodach.

»Wir haben auch was anderes da«, sagte er mit einem anscheinend versöhnlich gemeinten Ton, der allerdings ziemlich lächerlich klang.

Sein Blick fiel durchs Seitenfenster.

»Was ist das denn?« Er starrte irritiert zur Sitzerhöhung auf der Rückbank.

»Das ist der Kindersitz von meinem Sohn«, erläuterte Nathalie und fragte sich, wie man das als Mitarbeiter eines Autohauses nicht erkennen konnte.

»Das hättest du ja gleich sagen können.« Murrend drehte der Typ sich um und meckerte vor sich hin. »Hat ein Kind und macht einem Hoffnung. Echt, ey!«

Nathalie traute ihren Ohren nicht. Hoffnung machen? Noch deutlicher hätte sie ihm wohl kaum eine Abfuhr erteilen können, ohne Pfefferspray oder sonstige physischen Argumente anzuwenden. Sprachlos starrte sie ihm hinterher. Sie wollte ihm gerade nachsetzen und ihn zur Rede stellen, als seine Kollegin mit gehetztem Blick wieder auftauchte.

»Frau Weinhold, es tut mir sehr leid! Es klappt heute nicht mehr mit der Inspektion.« In ihrer Stimme schwang Bedauern mit. »Die Werkstatt ist total überlastet.«

»Na toll.« Nathalie schickte einen weiteren bösen Blick Richtung Empfang. »Und warum sagt Ihr Kollege dann nichts und baggert mich nur blöd an?«

»Der Sohn vom Chef?« Die Angestellte sah sie mit großen Augen an. »Oh Gott, bitte entschuldigen Sie, das tut mir schrecklich leid!«

Sofort war Nathalie ihre heftige Reaktion unangenehm.

»Schon gut, Sie können ja nichts dafür«, lenkte sie ein und straffte ihre Schultern. »Aber was heißt das denn jetzt, muss ich einen neuen Termin machen?«

»Also, wenn Sie wollen, können Sie Ihr Auto hier bei uns lassen, dann kümmern wir uns direkt morgen früh darum.« Sie zögerte kurz. »Leider sind unsere Leihwagen gerade schon alle belegt.«

»Natürlich.« Frustriert sah Nathalie erneut auf die Uhr.

»Wenn Sie möchten, könnte der Kollege Sie aber auch nach Hause –«

»Nein, lieber nicht«, unterbrach Nathalie sie sofort. »Danke für das Angebot, aber darauf kann ich nun wirklich verzichten.«

»Ja, natürlich. Wir kommen Ihnen dann aber auf jeden Fall preislich entgegen«, setzte die Mitarbeiterin eilig hinzu. »Das versteht sich von selbst.«

»Gut, da bitte ich dann auch drum.« Nathalie versuchte sich an einem versöhnlichen Lächeln. »Ich weiß, Sie können nichts dafür, aber für mich ist das jetzt eine Menge Stress und Ihr Kollege hat nicht wirklich dazu beigetragen, dass sich das bessert.«

»Natürlich, das verstehe ich«, versicherte die Dame schnell. »Ich werde dafür sorgen, dass Ihr Wagen morgen früh direkt zuerst drankommt, dann können Sie ihn ab halb neun wieder abholen. Würde das für Sie passen?«

Nathalie nickte. »Okay, ich melde mich morgen bei Ihnen. Sie sind dann doch hoffentlich auch da?«

»Selbstverständlich.« Sie deutete halbherzig Richtung Tür. »Zur Not könnten Sie sich natürlich auch jederzeit an meine Kollegen wenden ...«

»Danke, aber ... lieber nicht.« Nathalie rümpfte kurz die Nase, bevor sie doch noch einmal eine freundliche Miene aufsetzte. »Bis morgen! Und einen schönen Feierabend für Sie.«

2

Immerhin war die nächste Bushaltestelle nicht weit entfernt. Die kurze Wartezeit überbrückte Nathalie damit, per Smartphone die Verbindungen zwischen Volkshochschule und Sportplatz aufzurufen.

›Mist‹, fluchte sie in Gedanken. Der Abfahrtsplan passte ihr überhaupt nicht. Die einzige verfügbare Linie fuhr nur einmal pro Stunde. Sie überschlug kurz die Fahrzeit und stellte fest, dass sie nicht einmal die Hälfte ihres Kurses würde mitmachen können, bevor sie den nächsten Bus erwischen musste. Wenigstens wäre sie dann kurz zur Begrüßung und bei der Besprechung des Semesterplans dabei, auch wenn es so oder so knapp werden würde ...

Zum Glück fuhr der Bus einigermaßen pünktlich vor und Nathalie ließ sich erleichtert auf einen Sitz fallen.

Schräg gegenüber saß eine mit kritischem Blick ausgestattete Dame, die sich offenbar für etwas Besseres hielt und folgerichtig ziemlich deplatziert wirkte.

Nathalie war angesichts des abschätzigen Blicks ihrer Mitfahrerin nicht entgangen, dass diese ihrem Outfit scheinbar nur sehr wenig abgewinnen konnte. Allerdings konnte sie nicht mit Sicherheit bestimmen, ob es am Fan-Shirt einer schottischen Rockband, die für das Motiv das F-Wort in ihren Bandnamen eingebettet hatte, oder ihrer Destroyed Jeans mit den Löchern an den Knien lag. Auf eine Diskussion über Mode und daraus resultierende Generationenkonflikte hatte Nathalie jedoch definitiv keine Lust. Also setzte sie bloß ihre Sonnenbrille wieder auf und steckte sich die Kopfhörerstöpsel in die Ohren.

Sie war heilfroh, als der Bus das Ziel erreicht hatte. Glücklicherweise lag die Haltestelle fast direkt vor der Volkshochschule. Hastig sprang sie aus dem Wagen und lief schnell die Stufen hinauf. Eigentlich war sie zum ersten Termin immer gerne etwas früher anwesend und nun schneite sie vermutlich als eine der Letzten herein. Ina, die Kursleiterin, sah das zwar nie so eng, aber unangenehm war es Nathalie allemal – vor allem wegen der Aufmerksamkeit, die Nachzüglern stets zuteilwurde, wenn alle anderen schon warteten.

Am oberen Treppenabsatz bog sie eilig um die Ecke. Natürlich war die Tür bereits geschlossen. Vor dem Raum stand ein Mann in ihrem Alter und sah herüber, als er sie bemerkte. Seine kurzen Haare wirkten leicht verwuschelt, der Bart schien eher ein Exemplar der Fünftagevariante zu sein. Die weißen Ärmel seines ansonsten schwarzen Baseball-Shirts hatte er ein Stück hochgeschoben und zwei Armbänder zierten sein rechtes Handgelenk.

Die Silhouette des Gitarristen, die auf der Brust des Shirts zu sehen war, erkannte Nathalie auf den zweiten Blick als die eines Singer-Songwriters aus New Jersey. Sie war gerade im Begriff, ihr Gegenüber deshalb spontan sympathisch zu finden, als er sie auch schon ansprach.

»Hallo«, grüßte er freundlich und drehte sich dann leicht zur Seite, um auf die Tür zu zeigen. »Willst du zufällig auch zum Kurs für kreatives Schreiben?«

Nathalie nickte. »Die haben bestimmt schon angefangen, wir sind etwas zu spät.«

»Anscheinend fällt’s heute aus.« Er trat noch einen Schritt zur Seite und gab den Blick auf einen handgeschriebenen Zettel frei, der mit einem Klebestreifen am Türschild befestigt war.

»Ach so?« Nathalie trat ein Stück vor und las die kurze Notiz. »Dann ist Ina wohl kurzfristig krank geworden. War denn sonst niemand da?«

»Nicht, seitdem ich hier bin«, erklärte ihr Gegenüber. »Ich bin aber auch erst vor zwei oder drei Minuten angekommen.«

Plötzlich hielt er ihr die Hand hin. »Ich bin Adam.«

Nathalie erwiderte die Geste und stellte sich ebenfalls vor, doch sofort waren ihre Gedanken wieder beim Kurs. »Komisch, wussten die anderen dann schon, dass es heute ausfällt?«

»Die anderen?«

»Wir sind ja nicht nur zu zweit im Kurs«, erklärte sie mit einer Handbewegung, die diese offensichtliche Information unterstreichen sollte. »Ein paar waren im letzten Semester auch schon dabei.«

»Ach so, dann kennt ihr euch schon.« Bei Adam fiel der Groschen. »Ich habe hier jedenfalls niemanden gesehen. Aber ich musste mich auch erst mal zurechtfinden. Bin erst gestern hergezogen und habe mich am letzten Wochenende ziemlich spontan angemeldet. Da ist die Absage für heute wohl an mir vorbeigegangen.«

»Ich wusste auch nichts davon.« Nathalie kramte ihr Smartphone aus der Handtasche. Flüchtig checkte sie ihre Nachrichten. »Ich habe auch keine Mail gekriegt oder so.«

»Hast du denn eine Nummer, wo wir mal nachfragen können?«

»Ja, schon«, nickte Nathalie zögernd. »Ich habe Inas Nummer. Was willst du sie denn fragen?«

»Ach so, du meinst die Kursleiterin, oder? Ich dachte eher an ein Sekretariat oder so. Wollte nur sichergehen, dass unsere Anmeldungen angekommen sind, weil ja anscheinend nur wir beide nicht informiert wurden.« Er lächelte. »Aber wenn wir das direkt über die Kursleiterin machen, sollten wir vielleicht erst mal fragen, wie es ihr geht.«

»Allerdings«, stimmte Nathalie zu. »Wobei, wenn sie wirklich krank ist, stören wir sie vielleicht lieber nicht. Ich schreibe ihr mal kurz eine Nachricht.«

Während sie auf dem Display herumtippte, sah sie kurz auf. »Wie heißt du mit Nachnamen?«

»Weber. Adam Weber. Ich habe mich am Samstag online angemeldet.«

»Okay, dann weiß sie zumindest, dass wir hier waren«, erklärte Nathalie und schob ihr Smartphone kurz darauf wieder in die Tasche. »Dann auf ein Neues nächste Woche.«

»Oh, okay.« Adam schien etwas enttäuscht zu sein.

Nathalie zögerte kurz. »Ist was?«

»Ach, nichts. Ich will dich nicht aufhalten.«

»Schon okay.«

»Ich habe nur gedacht, falls du Zeit und Lust hast, würde ich dich gern auf einen Kaffee einladen. Dann könntest du mir vielleicht schon was über den Kurs erzählen und was mich da erwartet«, schlug Adam vor.

Nathalie überlegte einen Moment, bevor sie betont beiläufig mit den Schultern zuckte. »Ja, okay, das können wir machen. Eine halbe Stunde habe ich noch. Hier nebenan im Einkaufszentrum ist ein Café.«

»Gut, dann können wir ja zu Fuß gehen.« Er lächelte. »Ich habe vorhin ewig einen Parkplatz gesucht.«

»Ja, hier ist immer viel los«, seufzte sie und ging vor zur Treppe. »Wenn der Busfahrplan besser passen würde, wäre ich deshalb vielleicht sogar ganz froh gewesen, dass mein Wagen in der Werkstatt bleiben musste.«

»Hoffentlich kein Unfall?«, fragte Adam knapp, aber scheinbar ehrlich interessiert.

»Nein, nur die Inspektion. Aber das hat auch nicht so geklappt wie geplant. Ich muss mir wohl mal eine neue Werkstatt suchen, glaube ich.«

»Geht mir genauso«, lachte er. »Wie heißt denn die, wo du warst? Dann kann ich die ja schon ausschließen.«

»Definitiv«, nickte Nathalie. »Das ist das Autohaus Behrends. Die haben auch eine Werkstatt.«

»Okay, merke ich mir. Und was war da los?«

»Schlechte Organisation.« Nathalie zuckte mit den Schultern. »Eigentlich sollte ich nur eine Stunde warten, bis die mit allem durch sind. Das hat sich aber verzögert, nur haben die mir das nicht gesagt. Als ich dann nachgefragt habe, warum mein Auto immer noch auf dem Hof steht, hieß es, dass es länger dauert und ich den Wagen am besten einfach da lasse, dann könnte ich ihn direkt morgen früh abholen.«

»Und da hast du keinen Leihwagen gekriegt?«

»Die waren schon alle vergeben.«

»Zahlen die dir dann kein Taxi?«

»Nein.« Langsam nervten die Nachfragen und Nathalie hatte eigentlich keine Lust auf ein Verhör. »Die haben mir nur angeboten, mich nach Hause zu fahren. Aber das bringt mir ja nicht viel, wenn ich erst hier zum Kurs will und dann meinen Sohn vom Training abholen muss.«

»Toller Service«, meinte Adam ironisch, während er ihr die Tür aufhielt und sie ins Freie traten.

»Ja, definitiv nicht deren Stärke.« Nathalie wunderte sich, dass er die Information über ihren Sohn nicht weiter kommentierte. »Egal. Hauptsache, die bringen mein Auto in Ordnung und dann frage ich mal rum, welche Werkstatt besser ist. Das Café ist übrigens hier vorn ums Eck.«

Nicht einmal eine Minute später standen sie schon am Tresen und nach Rücksprache mit Nathalie bestellte Adam zwei Cappuccino.

»Darf’s sonst noch was sein?« Die Bedienung sah auf. »Wie wäre es mit unserem hausgemachten Apfelstrudel? Oder gehören Sie auch zu denen, die auf unsere Donauwellen festgelegt sind?«

»Die sehen auch sehr gut aus, aber ich bin flexibel.« Adam lächelte und warf Nathalie einen fragenden Blick zu. »Was meinst du?«

»Jetzt kann ich ja schlecht Nein sagen.«

»Richtig, das wäre geradezu unhöflich.« Er zwinkerte ihr zu und zog sein Portemonnaie aus der Tasche. »Kann ich hier auch mit Karte zahlen?«

»Selbstverständlich.« Die Dame hinter dem Tresen nickte eifrig.

Nathalies Blick fiel auf Adams Ausweis, der in einem Fach mit Sichtfenster steckte. Selbst auf dem neutralen Passfoto wirkte er sympathisch.

»Danke!« Adam steckte die Karte wieder ins Portemonnaie und nahm das Tablett entgegen, das die Bedienung auf den Tresen stellte. Nathalie ging vor und steuerte zielstrebig einen Tisch in einer ruhigen Ecke an.

»Wo kommst du eigentlich her?«, fragte sie plötzlich, als Adam sich ebenfalls gesetzt hatte. »Ich meine, weil du gesagt hast, dass du gerade erst hergezogen bist?«

»Ja, richtig. Eigentlich bin ich sogar hier geboren«, erklärte er und sortierte das Geschirr vor sich. »Aber wir sind früh weg von hier und danach auch noch ein paar Mal umgezogen. Und nach dem Studium war ich ständig unterwegs. Zuletzt habe ich ungefähr vier Stunden weiter nordwestlich gewohnt.«

»Aha.« Nathalie wunderte sich über die schwammige Antwort. »Und wieso bist du jetzt wieder hier?«

»Ich habe hier eine feste Stelle gefunden.« Adam widmete sich seinem Apfelstrudel. »Bisher hatte ich immer nur befristete Kurzverträge als Vertretung, meist für Kolleginnen im Mutterschutz oder in Elternzeit. Aber das ist ja nichts, womit man auf Dauer planen kann.«

»Was machst du denn?« Nathalie stocherte mit dem Löffel in ihrer Tasse herum und hoffte, dass ihre Fragen einigermaßen beiläufig klangen.

»Ich bin Lehrer«, erklärte Adam und grinste. »Englisch und Sozialwissenschaften, falls du jetzt dieselbe Frage stellen wolltest wie alle anderen.«

Nathalie schüttelte den Kopf. »Da würde mich schon eher die Schulform interessieren. Ich muss nämlich irgendwann nächstes Jahr eine weiterführende Schule für meinen Sohn finden.«

»Ich fange nach den Ferien am Gymnasium direkt hier um die Ecke an.« Adam musterte Nathalie kurz. »Wie alt ist dein Sohn?«

»Er ist acht. Warum?«

»Du wirkst noch so jung«, meinte Adam leichthin.

»Ich bin auch noch jung.« Nathalie schien fast ein wenig beleidigt zu sein. »32, um genau zu sein. Was dagegen?«

»Quatsch, fühl dich doch nicht gleich angegriffen.« Adam hob abwehrend eine Hand. »Ich meine ja nur, dass du erstens jünger aussiehst und zweitens, dass die meisten Mütter, die ich bei Elternsprechtagen treffe, locker zehn oder sogar fünfzehn Jahre älter sind als du.«

»Tja, kann man sich eben nicht immer aussuchen.« Nathalie trank einen Schluck und hoffte, dass sich das Thema damit erledigt hatte.

»Aber du trägst keinen Ring«, stellte Adam prompt fest. »Hat das was zu bedeuten?«

»Wie kommst du eigentlich darauf, dass dich das was angeht?«, gab Nathalie ziemlich brüsk zurück, während sie ihre Hände hinter der Kaffeetasse versteckte.

»Tut mir leid, du hast recht.« Adam versuchte unsicher, ein entschuldigendes Lächeln zustande zu bringen. »Ich wollte dich nicht ausfragen. Ich interessiere mich nur immer so für andere Leute, dass ich regelmäßig vergesse, dass es da auch Grenzen gibt.«

»Allerdings«, bestätigte Nathalie, bevor ihr die unwirsche Reaktion dann doch unangenehm war. »Wenn du’s unbedingt wissen willst: Ich bin nicht verheiratet und mein Ex-Freund hat letztes Jahr entschieden, dass er etwas in seinem Leben ändern muss. Und das betrifft unter anderem mich und unseren Sohn.«

»Oh«, machte Adam nur und weil ihm dazu beim besten Willen nichts Geistreiches einfallen wollte, stocherte er bloß umständlich in seinem Kuchen herum.

»Tja.« Nathalie wechselte schnell das Thema. »Und warum bist du jetzt schon hier? Die Ferien fangen doch erst übernächste Woche an.«

»Ist alles etwas kompliziert«, wich Adam aus. »Das hängt mit den unterschiedlichen Verträgen und den bürokratischen Besonderheiten zusammen.«

»Was muss ich mir denn darunter vorstellen?«

»So was interessiert dich?« Adam lächelte, bevor er zur Erklärung ansetzte. »Also, meine alte Stelle war auch nur zur Vertretung und die Kollegin ist gestern aus der Elternzeit zurückgekommen. Ich sollte dann die Stelle eines anderen Kollegen übernehmen. Durch ein Tauschgesuch bin ich aber hier gelandet und mein Vorgänger an der neuen Schule geht erst mit den Ferien in den Ruhestand. Daher fange ich erst danach an. Ich muss nur zwischendurch schon mal hin und ein paar Sachen abklären, damit der Übergang problemlos klappt. Ist halt alles etwas unkonventionell und kompliziert.«

»Ach so?« Nathalie horchte auf. »Wolltest du gar nicht hierher?«

»Doch, das Tauschgesuch war beiderseitig«, ergänzte er. »Das hat zufällig ganz gut gepasst.«

»Und was zieht dich hier hin?«

Adam zögerte kurz. »Meine Eltern wohnen in der Nähe. Und irgendwie ist es ja doch ein bisschen Heimat.«

Nathalie spürte, dass ihm das Thema nicht so recht war. Spontan lenkte sie das Gespräch in eine andere Richtung. »Wie ist das Gymnasium hier mittlerweile so?«

Adam nahm die Frage dankbar auf. »Sieht ganz gut aus. Aber so richtig viel kann ich auch noch nicht dazu sagen. Ich war ja erst zweimal dort.«

Er warf ihr einen neugierigen Blick zu. »Was heißt denn ›mittlerweile‹?«

»Ich bin da selbst auch zur Schule gegangen«, erklärte Nathalie. »Aber das ist eben schon ein bisschen her und da hat sich wahrscheinlich einiges geändert.«

»Gut möglich, ist bei meiner alten Schule auch so. Gib mir ein paar Wochen, dann kann ich dir berichten, wie es hier jetzt so zugeht.«

»Okay, abgemacht.« Nathalie nickte lächelnd. »Ich werde dich dran erinnern.«

»Damit kann ich leben.« Adam lachte kurz auf. »Und was machst du so? Beruflich, meine ich.«

»Ich arbeite für die Stadt. Öffentlichkeitsarbeit und interne Kommunikation.«

»Klingt spannend.« Adam spießte ein weiteres Stück des Apfelstrudels auf.

»Es geht, da ist schon viel Routine dabei. Ich arbeite aber auch nur halbtags. Die richtig großen Projekte machen dann eher die mit einer ganz normalen Vollzeitstelle. Die müssen dafür ja auch schon mal etwas länger erreichbar sein.«

»Hat alles Vor- und Nachteile«, meinte Adam gelassen.

»Ja, und so habe ich wenigstens genug Zeit, mich um meinen Sohn zu kümmern. Das ist schließlich auch nicht ohne.«

»Hält er dich so auf Trab?«

»Allerdings«, seufzte Nathalie. »Heute hat er wie gesagt Fußballtraining, da muss ich ihn gleich auch abholen.«

Sie sah auf die Uhr. »Ach, verdammt! Da muss ich ja fast schon wieder los! Der Bus kommt gleich.«

Adam überging den Hinweis nach kurzem Zögern. »Wo ist der Sportplatz denn?«

»Nicht so weit von hier.« Nathalie zuckte mit den Schultern. »Auf jeden Fall ein Stück zu weit zum Laufen. Warum?«

»Ich wollte mir hier wieder einen Sportverein suchen und dachte, ich könnte mir den Platz vielleicht mal ansehen.«

»Wann denn?«

»Keine Ahnung.« Er zuckte mit den Schultern und lachte. »So weit war meine zehnsekündige Planung ehrlich gesagt noch nicht.«

»Wenn du jetzt noch Zeit hast, könntest du mich ja mitnehmen und ich zeige dir alles«, schlug Nathalie spontan vor und wunderte sich prompt über den Gedanken. Normalerweise würde es ihr im Traum nicht einfallen, einen eigentlich völlig Fremden nach so kurzer Zeit um einen Gefallen zu bitten – ganz zu schweigen von der fixen Idee, in dessen Auto zu steigen. Für einen Rückzieher war es allerdings schon zu spät.

»Klar, meinetwegen gern«, stimmte Adam prompt zu, bevor sie noch etwas retten konnte. »Ich kann euch anschließend auch eben zu Hause absetzen, wenn du willst.«

»Langsam.« Sie lächelte kurz und verschränkte dann die Arme. »Dir ist schon klar, dass wir uns gerade mal seit einer knappen halben Stunde kennen, oder?«

»Kam mir viel kürzer vor.« Adam grinste. »War auch nur ein Angebot.«

»Na gut, was soll’s. Danke!« Nathalie lehnte sich wieder etwas zurück. »Außerdem bist du ja noch ganz neu in der Stadt und kennst dich bestimmt noch nicht so gut aus.«

»Richtig.« Adam nickte. »Ich habe allerdings festgestellt, dass mein Smartphone quasi jede Stadt kennt. Total praktisch.«

»Das ist auf jeden Fall besser, als einfach jemandem hinterherzufahren, der so wirkt, als kenne er sein Ziel.«

Adam legte die Stirn in Falten. »Moment, das kommt mir bekannt vor.«

Er grübelte kurz, während Nathalie die Pause für ein weiteres Stück vom Kuchen nutzte und ihn herausfordernd anlächelte.

»Ha!«, rief er schließlich. »Dirk Gently macht das so! Du hast Douglas Adams gelesen?«

»Natürlich!« Nathalie nickte anerkennend. »Aber eigentlich nicht wegen Gently, sondern wegen Kate. Ich habe durch Zufall eine Leseprobe mit dem Kapitel am Flughafen in die Finger bekommen und ihre resolute Art hat mir sofort gefallen.«

»Das kann man wohl sagen. Sie hatte ja sogar den Donnergott ganz gut im Griff«, stimmte Adam grinsend zu.

»Definitiv, da kann frau sich so Einiges abschauen.«

Adam nickte amüsiert. »Und ich kenne auch ein paar männliche Kollegen, denen ein bisschen von Kates Auftreten sicher weiterhelfen würden.«

»Was liest du denn sonst noch so?«, fragte Nathalie unvermittelt. »Außer Douglas Adams, meine ich?«

»Hm, eigentlich querbeet«, meinte Adam. »Also, natürlich auch das, was auf dem Lehrplan steht, aber privat schon am liebsten eher lustige, leichte Geschichten. Wobei ich auch mal Thriller, Sci-Fi und Krimis ganz gerne mag. Bloß mit Fantasy oder den ganz platten Klischees kann ich nichts anfangen.«

»Was für Klischees?«

»Na, so was wie diese Grey-Geschichten.« Er gestikulierte ungelenk. »Dieses SM-Zeug. Weißt du, was ich meine?«

»Glaube schon.« Nathalie lachte. »Du hast ja scheinbar einen ganz großen Bogen darum gemacht, wenn dir nicht mal der komplette Titel einfällt.«

»Kann man so sagen«, gab Adam grinsend zu. »Das ist einfach nicht meins. Aber scheint ja trotzdem gut anzukommen.«

»Ja, ist wohl seit dem Hype immer noch gefragt. Keine Ahnung, meins ist das jetzt auch nicht.« Dass sie in Wahrheit sogar selbst schon ein paar eher unbeholfene Anläufe in dem Genre unternommen hatte, von denen allerdings niemand wusste, musste sie ihm gegenüber ja nicht unbedingt zugeben. »Wobei ich Liebesromane insgesamt eigentlich ganz gerne mag. Die sind ja nicht grundsätzlich schlecht.«

»Nein, absolut nicht, aber das ist oft ein schmaler Grat, finde ich.« Adam rümpfte die Nase. »Wenn das so komplett konstruiert ist oder die Dialoge total unnatürlich wirken, vergeht mir da schnell die Lust.«

»Du liest Liebesromane?« Nathalie sah ihn skeptisch an und kicherte plötzlich verstohlen. »Ja klar, so siehst du auch aus.«

»Aha?« Adam stützte die Unterarme auf den Tisch. »Wonach sehe ich denn dann aus?«

Damit erwischte er Nathalie auf dem falschen Fuß.

»Na ja«, stammelte sie. »Also, eigentlich siehst du überhaupt nicht so aus, als ob du großartig liest oder schreibst. Dafür wirkst du zu ... ähm ...«

»Ja bitte, ich höre!« Er sah sie auffordernd an und bedeutete ihr mit einer kreisenden Handbewegung, den Satz zu Ende zu führen.

Nathalie gab sich einen Ruck und zeigte auf sein Shirt und die Armbänder. »Du wirkst eher so, als würdest du Sport und Musik unterrichten und dich dabei nicht immer an den Lehrplan halten.«

»Ich nehme das mal als Kompliment.« Adam grinste und machte eine kurze Pause. »Du machst nämlich auch nicht gerade den Eindruck, als würdest du den ganzen Tag zurückgezogen mit Büchern verbringen.«

»Logisch, ich habe ja schon gesagt, dass ich viel zu wenig Zeit dafür habe«, erinnerte Nathalie ihn.

»Und wann schreibst du dann für den Kurs?«

»Tja, meistens so, wie deine Schüler ihre Hausaufgaben machen und für Klausuren lernen. Immer kurz vorher.« Nathalie seufzte. »Ehrlich gesagt versuche ich schon seit fast zwei Jahren ziemlich erfolglos, endlich mal meinen Roman fertigzukriegen. Aber das ist gar nicht so einfach, wenn man sich im Alltag um alles allein kümmern muss. Ständig kommt wieder was dazwischen, während des Semesters bleibt alles wochenlang liegen und wenn ich dann weitermachen will, gefällt es mir nicht mehr und ich schreibe wieder alles um.«

»So weit wäre ich gern.« Adam winkte ab. »Ich habe bisher nur ein paar Kurzgeschichten geschafft. Ich habe zwar das Gefühl, gute Ideen zu haben, aber irgendwie kriege ich da nie mehr als ein paar Seiten raus.«

»Ging mir anfangs auch so, aber die Kurse helfen da echt«, versicherte Nathalie. »Schon allein, dass man sich mit anderen austauschen und sich gegenseitig motivieren kann. Also, bis zu einem gewissen Maß ...«

»Womit wir wieder beim Zeitproblem wären.«

Nathalie lächelte. »Hast du denn schon mal woanders so einen Kurs mitgemacht?«

»Nein, bisher noch nicht.« Adam zuckte mit den Schultern. »Ich bin ja so oft umgezogen. Da habe ich immer gedacht, das lohnt sich gar nicht, irgendwo einen Kurs anzufangen, wenn ich vielleicht gar nicht das ganze Semester da bin. Das wird sich jetzt hoffentlich ändern. Und so ein gemeinsames Interesse ist ja auch immer ein guter Weg, ein paar neue Leute kennenzulernen.«

Nathalie hob eine Augenbraue. »Wie oft bist du denn umgezogen?«

»Schon häufiger.« Adam überlegte kurz. »In den letzten fünf Jahren so acht, neun Mal, glaube ich.«

»Was?« Nathalie sah ihn mit großen Augen an.

»Ach, alles halb so wild«, versicherte Adam schnell. »Ich habe meistens irgendwo übergangsweise gewohnt oder zumindest in möblierten Wohnungen. Das geht dann schon. Ich habe immer alles an einem Tag ins Auto gepackt und bin weitergezogen. Wenn man sich erst mal daran gewöhnt hat, ist das eigentlich gar nicht schlecht. Man schleppt nicht so viel Ballast mit sich rum. Und ich bin ja eh nie so richtig an einen Ort gebunden.«

»Aber so richtig zu Hause ist man auch nirgendwo«, gab Nathalie zu bedenken.

»Ja, das stimmt, das ist nicht immer einfach.« Auf einmal nickte Adam mit ernster Miene. »Aber bisher hat mich das eigentlich nie so richtig gestört.«

»Und wie machst du das hier?«, unterbrach Nathalie die aufkeimende Stille sofort. »Also, wo wohnst du?«

»Ich habe jetzt erst mal für ein paar Monate über zwei Ecken eine Wohnung von einem Bekannten von einem Freund von mir bekommen«, berichtete Adam. »Der ist für ein halbes Jahr in Südafrika. Seine Firma hat da auch eine Niederlassung oder so, keine Ahnung. Jedenfalls habe ich dann genug Zeit, mir mal eine richtige Wohnung zu suchen. Und er muss sein Internet nicht abmelden.«

Plötzlich grinste er wieder. »Ist auch gar nicht so weit von hier, glaube ich. Auf der Industriestraße.«

»Ja, das sind mit dem Auto nur ein paar Minuten«, nickte Nathalie und sah auf die Uhr. »Sollen wir denn dann langsam mal los?«

»Klar, gerne.«

Als sie Richtung Tür gingen, blieb Adam plötzlich stehen. »Sollen wir deinem Sohn auch noch irgendwas mitnehmen?«

Nathalie sah ihn verdutzt an. »Wie, was denn mitnehmen?«

Er zeigte mit einer ausschweifenden Armbewegung auf die Kuchenvitrine. »Keine Ahnung, einen Amerikaner oder einen Donut? Dann macht er sich vielleicht nicht so viele Gedanken darüber, dass du plötzlich ohne Auto und mit einem fremden Typen beim Training auftauchst.«

»Keine Sorge, das wird ihn wahrscheinlich gar nicht so sehr interessieren.« Sie zuckte mit den Schultern. »Aber gegen einen Donut wird er wohl trotzdem nichts einzuwenden haben.«

3

Auf dem Parkplatz vor dem Sportgelände schwang sich Nathalie aus dem Wagen und setzte ihre Sonnenbrille auf.

»Hier vorne ist direkt das Vereinsheim und dann kommt ein Fitnessbereich.« Sie zeigte auf einen Kiesweg. »Und da hinten geht’s zu den Fußballplätzen. Da müssen wir ein Stück laufen.«

»Von mir aus kein Problem.« Adam schloss den Wagen ab. »Dann kriege ich ja einen guten Überblick.«

»Warum interessiert dich das eigentlich so?« Nathalie führte ihn am Vereinsheim vorbei.

»Ich habe früher auch mal Fußball gespielt und dann Jugendmannschaften trainiert. Ich dachte, wenn ich jetzt hier sesshaft werde, kann ich das vielleicht wieder irgendwo fortsetzen. Hat immer viel Spaß gemacht.« Adam ließ den Blick schweifen, während sie an einem Rasenplatz vorbeigingen.

Nathalie sah ihn kopfschüttelnd an. »Dir macht es Spaß, sonntags früh um acht Uhr zu einem Auswärtsspiel zu fahren?«

»Okay, es hat auch seine Schattenseiten.« Adam lachte. »Aber abgesehen davon fand ich das echt immer gut. Und die Kinder lernen Teamarbeit und so.«

»Hm, dann ist die Mannschaft von meinem Sohn wohl etwas anders. Da will immer jeder selbst das Tor schießen.«

»Verstehe ...« Adam schmunzelte.

Bevor er weiterreden konnte, begrüßte Nathalie einen Mittvierziger, der mit einem weiteren Mann ein paar Meter weiter auf dem Weg stand.

»Hallo, Richard. Hast du zufällig Severin gesehen?«

»Ja, der ist auf dem Platz.« Richard deutete über seine Schulter in Richtung einer Baumreihe. »Training ist gerade aus. Ein paar von denen kicken da noch ein bisschen.«

»Gut, danke dir. Wir sehen uns ja dann am Wochenende.«

»Ja, bis dann!«

Mit Adam im Schlepptau ging Nathalie weiter.

»Das war der Jugendwart«, erklärte sie, als sie seinen fragenden Blick bemerkte. »Wenn du dich hier als Trainer anbieten willst, sprichst du am besten mal mit ihm.«

»Werden denn überhaupt welche gesucht?«

»Bestimmt, vor allem für die jüngeren Teams.« Nathalie zuckte mit den Schultern. »Soweit ich weiß, macht das meistens nur ein Vater von irgendeinem aus der Mannschaft. Offiziell natürlich nicht, da braucht man wohl irgendeine Lizenz. Die haben aber nur zwei oder drei von den Trainern hier. Und die können ja nicht fünf Mannschaften gleichzeitig betreuen.«

»Das stimmt«, nickte Adam, während sie die Bäume passierten. »Aber die C-Lizenz habe ich auch.«

»Klingt so, als wäre das was Besonderes«, stichelte Nathalie lachend.

»Offenbar schon, wenn die hier kaum jemand hat«, gab Adam grinsend zurück.

Nathalie sparte sich eine Antwort. Direkt hinter den Bäumen fiel eine Böschung ab. An ihrem Fuß lag das Spielfeld, auf dem ein paar Kinder auf ein kleines Tor schossen.

Sie winkte hinüber. »Hey, Severin! Kommst du?«

»Gleich!«, rief einer der Jungen zurück und versenkte anschließend einen satten Fernschuss im Tor. Jubelnd drehte er ab und rannte über die Laufbahn auf sie zu.

Nathalie ging ihm entgegen. »Hi, mein Schatz. Wie war das Training?«

»Gut«, gab Severin einsilbig zurück und sah Adam prüfend an. »Wer ist das?«

»Oh, richtig.« Sie drehte sich leicht zur Seite. »Das ist Adam aus meinem Schreibkurs. Er fährt uns nach Hause. Unser Auto muss bis morgen in der Werkstatt bleiben.«

»Hi!« Adam hob zum Gruß die Hand und nickte ihm anerkennend zu. »Guter Schuss!«

»Ich kann sogar noch viel fester«, behauptete Severin.

»Aber nicht mehr heute.« Nathalie hielt ihm die Papiertüte vom Bäcker hin. »Schau mal, wir haben dir was mitgebracht! War Adams Idee.«

»Cool, danke!« Severin griff begeistert zu und biss sofort in den Donut.

»Du kannst öfter mitkommen«, nuschelte er dann in Richtung Adam.

»Klar, wenn deine Mutter nichts dagegen hat«, zwinkerte er ihm zu.

Nathalie strich ihrem Sohn übers Haar. »Sag mal, wo ist eigentlich deine Sporttasche?«

»Die steht da drüben.« Severin zeigte zu ein paar Bänken am Rand des Fußballfelds. »Soll ich sie holen?«

»Ja, sicher. Oder willst du die hier lassen?«

»Nee.« Severin sprintete los.

»Das lief doch ganz gut«, stellte Adam grinsend fest. »Muss ich jetzt jede Woche einen Donut oder Amerikaner einplanen?«

Nathalie drehte sich mit ernstem Blick zu ihm und druckste kurz herum.

»Nimm das bitte nicht persönlich, aber ich bin im Moment nicht auf der Suche nach einem neuen Vater für meinen Sohn«, erklärte sie schließlich. »Wir haben uns mittlerweile ganz gut mit der Situation arrangiert und ich will das nicht gleich wieder über den Haufen werfen.«

Adam sah sie für einen Moment sprachlos an, dann fuhr er sich mit der Hand über den Hinterkopf und lächelte verlegen. »Sorry, ich dachte, ich hätte gerade nur was von Gebäck gesagt. Kam das jetzt echt so aufdringlich rüber oder bist du einfach nur sehr begehrt?«

Nathalie bekam schlagartig rote Wangen, als Adam so unerwartet reagierte. »Quatsch! Das war nur, weil heute schon ... ist ja auch egal.«

»Gut«, stimmte Adam amüsiert zu. »Dann tun wir jetzt lieber so, als hätte es dieses kurze und sehr merkwürdige Gespräch nie gegeben.«

Er deutete mit einem Zucken der Augenbrauen über Nathalies Schulter zu Severin, der mitsamt seiner Sporttasche wieder angelaufen kam.

»Okay, wir können«, schnaufte der Junge und ließ betont erschöpft seine Tasche fallen. Er hielt den Donut hoch und sah seine Mutter mit treuherzigem Blick an. »Nimmst du die Tasche? Ich hab ja schon den Donut.«

»Was?« Nathalie war durch Adams Reaktion völlig aus dem Konzept geraten und brauchte einen Moment, bis sie sich wieder im Griff hatte. Dankbar nahm sie das neue Gesprächsthema auf. »Den kannst du doch auch gleich noch essen.«

»Ich hab aber voll Hunger.« Sein fragender Blick wanderte zu Adam. »Kannst du meine Tasche tragen?«

»Klar, kann ich machen.« Adam hob sie auf und zeigte auf die aufgedruckte Nummer an der Seite, während sie in Richtung Parkplatz gingen. »Hast du die 8 auf dem Trikot?«

Severin nickte, während er schon wieder kaute.

»Cool, die hatte ich früher auch immer.« Adam hielt ihm die offene Hand hin und Severin schlug ein.

»Spielst du auch Fußball?«, fragte er.

»Nicht mehr, jetzt bin ich nur noch Trainer. Ich habe mich vor drei Jahren am Knie verletzt.«

»Wie alt bist du denn?«

»Ich bin 34«, erklärte Adam.

»In dem Alter kann das passieren«, stellte Severin altklug fest.

»Na schönen Dank auch«, gab Nathalie sarkastisch zurück. »Ein Wunder, dass wir überhaupt noch laufen können.«

»Mein Trainer hat gesagt, dass man mit 30 im Fußball schon alt ist«, verteidigte Severin sich.

»Der hat gut reden.« Nathalie lachte verächtlich auf. »Ende vierzig und geht keinen Meter zu viel.«

»Er hat auch ein kaputtes Knie«, ergänzte Severin in Adams Richtung.

»Ein neues Kniegelenk«, stellte Nathalie klar. »Er schleppt allerdings auch schon lange ein paar Kilo zu viel mit sich rum. Demnächst soll er auch das zweite gemacht kriegen. Dann wird seine Wampe noch größer.«

»Ganz schön gehässig«, stellte Adam amüsiert fest. »Ihr versteht euch wohl nicht so gut?«

»Holger hat Mama mal fett genannt«, platzte Severin heraus und spürte dann offenbar auch durch die Sonnenbrille den tadelnden Blick seiner Mutter. Mit einem spitzbübischen Lachen rannte er vorsichtshalber schnell los und lief ein paar Schritte voraus.

»Ist das wahr?« Adam sah Nathalie neugierig an.