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Nach einem Flugzeugabsturz erlebt die junge Midori auf einer einsamen Insel Entsetzliches. Wieder zu Hause, glaubt niemand ihrer Schilderung der Ereignisse. Bald weiß sie selbst nicht: Was ist wirklich passiert, was bildet sie sich nur ein? Es hilft nichts – sie muss zurück auf die Insel und sich der Vergangenheit stellen. Aber nicht alle wollen, dass die Wahrheit ans Licht kommt … Fortsetzung des Thrillers "Nur zehn Tage".
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Titel
Prolog
Teil I: Perdita
// 1
// 2
// 3
// 4
// 5
// 6
// 7
// 8
Teil II: Paletti
// 9
// 10
// 11
// 12
// 13
// 14
// 15
// 16
// 17
// 18
// 19
// 20
// 21
Teil III: Arrecife
// 22
// 23
// 24
// 25
// 26
// 27
// 28
// 29
// 30
// 31
// 32
Tag 11
// 33
// 34
Tag 12
Teil IV: Roque
// 35
// 36
// 37
// 38
// 39
// 40
// 41
Tag 12, später
// 42
// 43
// 44
// 45
// 46
// 47
Tag 12
// 48
// 49
// 50
// 51
Tag 12
// 52
// 53
Tag 13, frühmorgens
// 54
// 55
Tag 13, nachmittags
// 56
Tag 13, abends
// 57
// 58
// 59
// 60
// 61
Epilog
// 62
// 63
// 64
Danke! … und ein paar Worte zum Autor
Sommerende – Leseprobe
Dunkelheit über Tokyo – Leseprobe
Der kleine Vogel des Todes – Leseprobe
Martin P. Anderfeldt
Nur zehn Tage
Rückkehr
Thriller
Für H. Z.
Midori nähert sich vorsichtig. Träge flattern die Krähen auf. Nur ungern lassen sie sich bei ihrem Festmahl stören.
Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, denkt Midori. Wohl aber einem Menschen.
Sie weiß, dass es kein Tier ist. Sie weiß, wer da liegt.
Sie sieht menschliche Beine. Nackte, braungebrannte Bein, Füße ohne Schuhe.
Sie sieht das zerfetzte, geblümte Kleid.
Eine Krähe hüpft ungeschickt auf den Körper des Mädchens. Sie flattert, um ihr Gleichgewicht zu bewahren. Zwischen den Blättern kommt genug Sonnenlicht durch, um ihren Federn einen Schimmer zu verleihen – wie ein Ölfleck auf nasser Straße.
Eine Möwe schreit.
Midori fällt ins Wasser.
In eine Explosion aus grünem Meer und weißem Feuer. Wellen schwappen über die Sonne, brechen ihre Strahlen in dutzende, hunderte Fäden aus Licht. Sie greifen zum Himmel, doch sie können das Mädchen nicht festhalten; sie sinkt dorthin, wo die Sonne keine Geltung mehr hat.
Midori streckt eine Hand aus und betrachtet ihre Finger, dunkel gegen die züngelnde Blässe. Um sie herum dehnt sich das Blau.
Sie könnte hierbleiben, Vergessen suchen in der Unendlichkeit.
Doch es geht weiter. Durchs Blau ins Schwarz.
Fort vom Licht. Ins Zwielicht. Kein Flackern, nur mehr ein Schimmern, grünes Irrlicht.
Glücklich gleitet sie in die Tiefe.
Ein vager Gedanke an schnittige Räuber im Blau und glubschäugige Monster im Schwarz, doch sie weiß, dass sie allein bleiben wird.
Sie erreicht die Grenze des Vergessens, die Augen starr nach oben gerichtet, wo von Licht, Luft und Sonne, von Möwen und Wind nur eine unbestimmte Fläche verbleibt, während um sie herum Schatten wachsen.
Bald würde das Dunkel sie empfangen und
endlich,
endlich,
ALLES
ungeschehen
machen.
»Es kann sein, dass da irgendwo ein Kanister stand?« Ungläubig blickte Seher zu Nina. »Das verstehe ich jetzt nicht.«
»Ach ja? Welchen Teil hast du denn nicht verstanden?«, erwiderte Nina gereizt. Seher öffnete den Mund, doch Nina wandte sich ab, bevor sie antworten konnte. »Und überhaupt, du hättest ja selbst mal nachsehen können.«
»Wir hatten ausgemacht, dass ihr das Boot fertig macht. Wir haben den Typen begraben. Das war auch kein Spaß, das kannst du mir glauben.«
»Ach ja?« Nina klang angriffslustig. »Wegen mir hättet ihr ihn liegen lassen können.«
»Hey, das bringt doch jetzt nichts«, versuchte Midori sie zu beschwichtigen. Sie wäre gerne aufgestanden und hätte sich zwischen die beiden Mädchen gestellt, aber sie war etwas wackelig auf den Beinen und das winzige Boot schaukelte auf den Wellen. Sie hob ihre Hand in einer Geste, die sie für besänftigend hielt. »Also.« Sie versuchte sich zu konzentrieren; sie war gerade erst eingeschlafen, als der Motor zu stottern begann und kurz darauf wieder verstummte. »Wir haben keinen Sprit mehr.«
Seher betrachtete Midori, als hielte sie sie für zurückgeblieben. Okay, Captain Obvious, ich weiß. »Wir sind nicht in der Mitte des Ozeans … und ich sehe auch keine Küste.« Schon wieder dieser Blick von Seher. Sorry, aber Nina anzukacken hat uns ebenso wenig weitergebracht, oder nicht?
»Wir haben ja noch die Ruder.« Katharina hob eines hoch und grinste dabei etwas schief.
Seher schnitt eine Grimasse. »Und wie lange brauchen wir mit den Dingern?« Sie nahm sich das Ruder und wiegte es kritisch in ihrer Hand. Dann balancierte sie es mühelos mit dem Zeigefinger. Es wirkte sehr leicht und nicht besonders stabil.
»Vielen Dank, Frau König – für den ersten konstruktiven Vorschlag seit sieben Seemeilen. Ich bin damit schon gerudert, das geht.«
Sie legten die Ruder in die Rudergabeln. Nina erbot sich, als Erste zu rudern. Sie fühlt sich wohl doch verantwortlich, dass wir kein Benzin mehr haben. Musst du zwar nicht, aber Hauptsache, ich muss nicht anfangen.
Es ging nur entsetzlich langsam voran. Falls es überhaupt voranging. Ohne einen festen Bezugspunkt war das leider schwer festzustellen.
Während die Wellen sie abwechselnd nach oben und unten trugen, spürte Midori keine Bewegung. Mit einem Platschen tauchten die Ruder ins Wasser ein, schoben sich dann nach hinten und kamen wieder nach oben. Midori spürte, wie ihr übel wurde. Solange das Boot fuhr, war es nicht so schlimm gewesen, doch jetzt, wo sie praktisch auf der Stelle standen, schien ihr Magen bei jeder Auf- und Abbewegung einen halben Meter hinterher zu hängen. Sie räusperte sich. Immer zum Horizont schauen. Da ist der Horizont. Jetzt kann nichts mehr passieren. Allerdings war der Horizont lange nicht so statisch, wie sich das eigentlich für ihn gehörte, sondern schien sich ebenfalls zu bewegen – und wenn sie in ein Wellental eintauchten, konnte sie ihn für einen Moment gar nicht erkennen.
Sie versuchte sich mit den Händen in die pralle Schlauchwand zu krallen, doch ihre Finger fanden dort keinen Halt. Alles schien sich um sie herum zu drehen. Ein Auf und Ab, ein Schlingern, ein Trudeln.
Obwohl sie so langsam und so tief wie möglich zu atmen versuchte, schoss ein saurer Geschmack in ihre Kehle. Angewidert verzog sie den Mund, da kam schon der Rest. Sie konnte sich gerade noch über die Bordwand beugen, da schoss ihr halbverdautes Frühstück heiß aus ihrem Rachen heraus und in hohem Bogen in die blaue See.
Danach blieb sie eine Weile so liegen und beobachtete, wie ihr Erbrochenes auf den Wellen trieb. Ich bin eine Muschel. Wenn ich etwas nicht mag, spucke ich es einfach wieder aus.
Sie versuchte die Augen zu schließen, aber das machte es nur noch schlimmer. Erschöpft sank sie auf den Boden zurück.
Midori spürte eine Hand auf ihrer Schulter, dann hörte sie, wie eine Flasche aufgeschraubt wurde. »Wie wäre es mit einem Schluck Wasser?« Seher reichte ihr eine 2-Liter-Plastikflasche mit dem Aufdruck Fonteide.
Sie nickte und nahm einen Schluck. Der Inhalt der Flasche war lauwarm und schmeckte schon etwas abgestanden. Was hätte sie für ein Glas frisches, eiskaltes Wasser gegeben …
Kaum war das Wasser in ihrem Magen, kam es bereits wieder hoch und Midori musste sich nochmals über die Reling beugen. Sie spürte, wie Sehers Hand ihren Hals kraulte.
»Wir haben leider kein kaltes Wasser. Vielleicht solltest du wenigstens eine Kopfbedeckung tragen.«
Als Midori nur noch trocken hustete, wickelte Seher ein Handtuch wie einen Turban um ihren Kopf. Ich muss aussehen wie der kleine Muck. Es fühlte sich kühl an, vielleicht hatte Seher es nass gemacht.
»Kann mal jemand anders rudern?« Nina ließ die Ruder ins Wasser hängen und sah Katharina auffordernd an. Die nickte und nahm ihren Platz schweigend ein. Das Boot schwankte, während sie herumrutschten.
»Was glaubt ihr«, Nina nahm einen tiefen Schluck aus einer Wasserflasche, »wie schnell wir wohl sind?«
»Ich weiß nicht, vielleicht 4 oder 5 Stundenkilometer oder so?« Fragend betrachtete Seher Midori.
Woher soll ich das denn wissen? Ich fürchte jedenfalls, das Kessel-Rennen schaffen wir nicht unter 12 Parsecs. »Ich hoffe nur, dass wir nicht gegen eine Strömung rudern.«
Nina schaute erschrocken auf. Upps, vielleicht hätte ich das nicht sagen sollen. »Zum Glück gibt es hier draußen nicht so viele Strömungen.«
Nina runzelte die Stirn, während Midori die Augen schloss. Sorry, ich kann wohl nicht gut lügen, wenn ich mir gerade die Seele aus dem Leib gekotzt habe. Aber eigentlich habe ich sowieso keine Ahnung. Vielleicht hilft uns eine Strömung ja auch. Ja, so muss es sein: Wir reiten auf einer Strömung, die uns direkt nach Lanzarote bringt. Eine Landeinwärts-Strömung, die im Hafen endet. Vor einer Pizzeria.
Sie öffnete ihre Augen, weil sie spürte, wie es in ihrem Magen rumorte. Nicht schon wieder. Ich kann doch gar nichts mehr im Magen haben.
Nina kramte in einer türkisfarbenen Box und holte eine Dose Corned Beef hervor. Nach kurzem Zögern steckte sie den angebrachten Öffner hinein und öffnete sie.
Midori sah das getrocknete Fett, das glänzende braune Fleisch, roch die süßliche Masse – und musste sich abermals über den Rand des Boots beugen. Nina, ich hasse dich. Nimm’s nicht persönlich, aber gerade hasse ich dich.
»Midori, wie wäre es mit Müdigkeit, Sehstörungen und trockenem Mund?« Sehers Stimme klang fröhlich.
Wenn ihr mich umbringen wollt, seid ihr jedenfalls auf einem guten Weg.
»Kleiner Scherz. Entschuldige.«
Mit gesenktem Kopf wandte sich Midori zu ihr. Seher hatte eine hellgraue Box auf dem Schoß. Mühsam entzifferte Midori die Aufschrift »FIRST AID« auf dem Deckel. Sie fürchtete, dass ihr gleich wieder schlecht würde.
»Ich habe hier etwas gegen …«, Seher kniff die Augen zusammen; anscheinend las sie gerade aus einem kleingedruckten Text vor: »Motion Sickness, Travel Sickness, Sea Sickness, General Naus–« Sie runzelte die Stirn; »Na ja, gegen alles Mögliche. Mit den genannten Nebenwirkungen, es ist also deine Entschei–«
Midori hatte ihr das Päckchen schon aus der Hand gerissen. Mit zitternden Fingern drückte sie eine Tablette aus der Blisterverpackung und steckte sie in den Mund. Alles ist besser als das. Doch sie war zu voreilig gewesen, ihr Mund war so trocken, dass sie die Pille nicht schlucken konnte. Sie löste sich langsam auf und erfüllte ihren Mundraum mit einem trockenen, bitter schmeckenden Pulver. Zum Glück reichte Nina ihr die Wasserflasche. Hastig spülte Midori alles hinunter.
»Ich hoffe, das Zeug wirkt schnell«, sagte sie.
»Bei Überdosierung«, murmelte Seher und übersetzte weiter, »kann es zu … was heißt Listlessness?«
»Lustlosigkeit vielleicht? Meine Güte, das wäre jetzt nicht so das Problem, oder? Am Ende verliert Midori die Lust am Kotzen.« Nina zuckte die Schultern. »Aber wir haben nicht überdosiert, richtig?«
»Bis zum … äh, bis zum Tod«, fügte Seher hinzu.
Midori verschluckte sich fast an ihrem Wasser. Na super. Habe ich mich gerade vergiftet?
»Aber nur bei extremer Überdosierung.«
»Na ja, sowas steht doch auf jedem Beipackzettel.« Nina versuchte zuversichtlich zu klingen, ihr ängstlicher Blick strafte ihre Aussage allerdings Lügen.
»Noch eine Tablette?«, fragte Seher nun grinsend.
Sehr witzig. »Vielleicht später. So schnell werdet ihr mich nicht los.« Midori lehnte sich mit dem Rücken gegen die Bordwand und blickte unfokussiert in die Ferne.
Nach einer Weile fühlte sie sich tatsächlich ein wenig besser. Sie stillte ihren Durst und dann ihren Hunger mit dem Rest der Dose Corned Beef, die Nina geöffnet hatte.
»Das Zeug scheint ja Wunder zu wirken«, bemerkte Seher und deutete auf den Erste-Hilfe-Kasten, den sie sorgfältig unter einer Abdeckung im Bugraum befestigt hatte.
»Ich nehme an, eine Signalpistole gibt es hier nicht, was?« Midori vermied es, Katharina bei diesen Worten anzublicken.
»Die haben die Typen sicher versteckt, nachdem ein kleines Mädchen sie damit zur Fackel machen wollte.«
Habe ich das wirklich gesagt? Midori konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Du oder Bruce Willis, kann sein, dass ich euch verwechsle.«
»Wie kann man mich mit Bruce Willis verwechseln? Ich bin die mit den Haaren.« Die Mädchen kicherten. Es ist schön, dass wir uns nicht an die Gurgel gehen. Zumindest im Moment.
»Haben wir irgendetwas, womit wir auf uns aufmerksam machen können? Bei diesem Seegang würde uns ein Schiff nicht einmal sehen, wenn es direkt an uns vorbeifährt.«
»Eine Fahne vielleicht?«
»Wir nehmen einfach Midoris Hose.«
»Hey, so geht das nicht. Ich bin doch nicht Captain Kirk.«
Drei Gesichter wandten sich ihr mir fragendem Ausdruck zu. Ach Mädels, ihr seid einfach echt keine Nerds. »Captain Kirk? Raumschiff Enterprise?« Hilflos schaute sie die Mädchen an. »Dem platzt doch immer sein Oberteil, wenn er auf einem dieser Pappmaché-Planeten mit einem außerirdischen Monster ringt.«
Die Blicke blieben verständnislos; schließlich winkte Midori ab. »Kinder, ich muss mal eine Star-Trek-Nacht mit euch veranstalten. Ihr habt da ernsthafte Bildungslücken.
Wie dem auch sei. Eine schwarze Hose wäre wohl nicht die auffälligste Fahne. Außerdem bräuchten wir eine Art Mast.«
Ratlos schauten sich die drei um, während Katharina weiterruderte.
»Das einzig lange sind unsere Ruder – und die brauchen wir«, sagte Seher.
»Wir können sie ja schwenken, wenn wir ein Boot bemerken.« Am besten hängen wir Ninas Oberteil dran. Der Anblick von ihr im Bikini sollte eigentlich alle männlichen Wesen im Umkreis von 20 Seemeilen anlocken.
»Wir können auch mit dem Ding in die Luft schießen.« Seher hielt die AK 47 in ihrer Hand.
»Wir können nur hoffen, dass das unsere Retter nicht abschreckt. Ich weiß nicht, ob ich ein Boot retten würde, auf dem jemand steht, der mit einem Schnellfeuergewehr herumballert.«
»Ihr solltet euch bald überlegen, was ihr wollt, denn da hinten kommt tatsächlich ein Boot«, meldete sich Katharina, die immer noch ruderte und als Einzige von der Gruppe nach hinten gewandt war. »Oder eher ein Schiff.«
Ruckartig drehten sich alle nach hinten. Tatsächlich, da kam ein Schiff. Und wie es aussah, hielt es direkt auf sie zu – bestimmt hatte es sie bereits entdeckt.
Midoris Gedanken überschlugen sich. Ganz ruhig. Können das die bösen Jungs sein? Unwahrscheinlich, oder? Wir haben sie schließlich erledigt.
Ein Fischerboot war es jedenfalls nicht, es musste sich um eine Yacht handeln. Anerkennend pfiff Nina durch die Zähne. »Was für ein Riesending.« Sie stieß Midori grob in die Seite. »Ich glaube, wir werden von einem Millionär gerettet.« Sie winkte und lächelte wie ein Filmstar.
»Millionär? Eher Milliardär. Yachten sind wirklich teuer.« Katharina hatte die Ruder losgelassen und massierte sich die schmerzenden Schultern.
Seher presste die Lippen zusammen. Warum kann die sich nicht einmal entspannen? Das macht einen ja ganz nervös. »Okay, Mädels. Bevor wir uns den ersten Cocktail mixen lassen, sollten wir überlegen, was wir zu ihnen sagen.«
»Wie meinst du das?« Nina wirkte verwirrt, dann warf sie einen Blick auf Katharina und begriff. »Ach so. Wir müssen ja nicht im Detail erzählen, was auf der Insel passiert ist, oder?«
»Ich denke, wir sollten vielleicht erst einmal gar nichts erzählen.«
»Du meinst«, Nina deutete auf das Schiff, »du meinst, die Typen auf dem Schiff haben vielleicht etwas zu tun mit«, sie rang nach Worten, »mit allem?«
Midori schüttelte den Kopf. »Solange wir nicht wissen, ob es so ist, sollten wir vielleicht nur sagen, dass wir einen Ausflug gemacht haben und uns der Sprit ausgegangen ist.« Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, sagt Papa immer.
Midori bemerkte, wie Seher die Kalaschnikow wieder im Bugraum versteckte, gleich neben dem Erste-Hilfe-Kasten.
Nina wirkte niedergeschlagen. Sicher erinnerte sie sich an das letzte Mal, als sie sich auf ihre Rettung gefreut hatten. Die beiden Männer hatten alles andere im Sinn gehabt als ihr Wohl.
»Reine Vorsichtsmaßnahme«, raunte Midori ihr zu. »Ich nehme jedenfalls einen Mojito.« Sie zwinkerte rüber zu Nina, die sich um ein Lächeln bemühte.
Für Katharina war die Diskussion noch nicht beendet. »Aber werden sie uns diese Geschichte auch glauben?«
»Vielleicht eher als die Wahrheit: Dass wir Überlebende eines Flugzeugabsturzes sind, der vor über einer Woche wo ganz anders passiert sein soll. Dass der Absturz geplant war, um die Tochter eines Politikers zu töten, und wir die Killer, die daraufhin auf uns angesetzt wurden, aus dem Weg geräumt und ihnen das Boot geklaut haben.« Das klingt tatsächlich bescheuert.
»Wir sind leichtsinnige Mädchen, nichts weiter.« Wenn ich dir eines nicht abnehme, ist es, dass du leichtsinnig bist, Seher. Egal, ich muss es dir ja nicht glauben.
»So ist es. Die sollen uns einfach im nächsten Hafen absetzen.« Midori winkte nun auch. Die Yacht kam näher und drosselte ihren Motor. Auf dem Dach über den dunkelgrün getönten Scheiben der Brücke drehten sich zwei Radarantennen in unterschiedlicher Geschwindigkeit.Ohne Vorwarnung ertönte ein langgezogenes, tiefes Tuten. Das Geräusch ging den Mädchen durch Mark und Bein, der ganze Körper schien es zu fühlen. War das jetzt eine internationale Gepflogenheit oder will uns jemand beeindrucken?
Als das Schiff nur wenige Dutzend Meter von ihnen entfernt war, erschien ein Gesicht über der Reling. Ein Mann. Midori konnte nicht viel erkennen. Dann ein weiterer Mann und eine Frau.
»Help!«, »We need help«, riefen Nina und Seher und winkten heftig mit ihren Armen.
Midori fiel ein, dass um ihren Kopf noch immer ein feuchtes Handtuch gewickelt war – rasch nahm sie es ab. Am Ende macht jemand ein Foto und Millionen Menschen sehen mich so. Schnell fuhr sie sich mit den Händen durch ihre Haare, doch das war hoffnungslos, sie klebten wie hingeklatscht an ihrem Kopf. Stopp, euer Star muss sich erst stylen. Kameras aus! Sie warf einen Blick auf Nina. Okay, okay. Der Star ist sowieso jemand anderes. Wenn dies ein Film ist, bin ich die nerdige Freundin der schönen Protagonistin. Die am Ende einen ebenso nerdigen Typen abbekommt. Star der Nebenhandlung.
Jemand warf ihnen ein Seil herunter und Seher band es am Bug ihres Schlauchboots fest. Das Schiff glitt in langsamer Fahrt an ihnen vorüber. Die Personen oben gingen mit ihnen mit.
Schneeweiß strahlte der Kiel und kleine runde Bullaugen waren in die Wand eingelassen. Als sie ganz nah an einem vorbeikamen, blickte Midori plötzlich in das Gesicht eines Mädchens. Das Mädchen – oder war es doch eine junge Frau? – schien ebenso erschrocken wie sie zu sein. Soweit Midori erkennen konnte, hatte sie dunkle Haut und mandelförmige Augen. Sie wollte winken, da waren sie schon vorüber. Es war ihr vorgekommen, als seien die Schultern des Mädchens nackt gewesen, aber sie konnte sich auch geirrt haben. Am Ende sind das Menschenhändler oder so etwas. Unsinn, ein asiatisches Mädchen mit nackten Schultern beweist noch keinen Menschenhändlerring. Duschst selbst du deinen asiatisch-gemischten Körper nicht hin und wieder nackt, junge Frau? Beim Gedanken an eine warme Dusche seufzte sie voller Wonne. Und zuckte gleich darauf zusammen. Wie wir wohl riechen? Unauffällig drehte sie sich zu Nina und schnupperte an ihrer Schulter. Mir fällt nichts auf. Ein bisschen salzig, ein winziges bisschen schwitzig … ich denke, unser Millionär kann kommen.
Das Schlauchboot war an der Yacht vorbeigeglitten, über ihnen ragte das Heck auf. »Perdita II, Nassau«, las Midori. Wow, Nassau auf den Bahamas. Aber ›Perdita‹, was hieß das noch? Perdere, perdo, … den Rest habe ich vergessen. Verderben, verlieren …? Wer benennt denn so sein Schiff? Die Verlorene?
Vor ihrem inneren Auge sah sie das Heck der Yacht auf dem Plakat eines Horrorfilms. THE SHIP – ›Sie wähnten sich gerettet, doch dann ging der Horror erst los.‹
Klasse, Midori, du bringst uns in einen B-Movie.
Hoch über dem Heck hing ein Beiboot, das man wohl bei Bedarf herablassen konnte.
Eine Weile schleppte das Schiff sie hinter sich her, dann spürten sie, wie ihr Schlauchboot sich ruckweise der Yacht näherte. Sie erkannten zwei dunkelhäutige Männer in roten T-Shirts, die am Seil zogen. Das muss die Besatzung sein. Klar, die farbigen Diener der weißen Herren. Hey, Midori, du wirst rassistisch, das weißt du ja gar nicht. Vielleicht sind auf der Yacht ja die Gewinner eines Preisausschreibens, die das Kleingedruckte nicht gelesen haben.
Bald war das Schlauchboot so nah, dass sie aussteigen konnten.
Ein weiterer Mann trat auf sie zu, beugte sich nach vorne und streckte seine Hand aus, wohl um den Mädchen an Deck zu helfen.
Wenn die Männer in den roten T-Shirts die Besatzung sind, dann ist der Typ wohl der Eigner der Yacht? Hm, einen Millionär habe ich mir anders vorgestellt.
Der Mann trug ein blaues Polohemd und eine helle Hose. Er war Europäer, dunkelblond und hatte schon eine reichlich hohe Stirn und ziemliche Geheimratsecken. Midori schätzte ihn auf Anfang oder Mitte 40. Den kannst du haben, Nina.
Er reichte ihnen die Hand und half einem Mädchen nach dem anderen hoch. Midori bemerkte, wie Nina ihn anstrahlte. Das glaube ich jetzt nicht. Erstens wartet doch der wunderbare Tom auf dich – okay, streichen wir das »wunderbar« – und zweitens: Ne, doch nicht der Typ? Oder lächelst du automatisch? Hast du einfach auf eine Art Autopilot geschaltet? Beneidenswert. Wenn ich mich nicht zum Lächeln zwinge, sehe ich immer aus, als hätte ich gerade eine Kröte verschluckt.
Midori ging als Letzte an Deck. Sie nickte dem Millionär knapp zu, dann wandte sie sich zu den Männern in den roten T-Shirts – sie schienen aus Südostasien zu stammen – und bedankte sich demonstrativ bei ihnen. »Thank you very much!«
Die Männer schien Midoris Dankesbezeugung eher verlegen zu machen.
»Welcome on the ship«, sagte der Millionär. Wenn er denn einer ist. Und überhaupt … Sie kniff die Augen zusammen. »My name is–«
»Deutscher?«, unterbrach sie ihn schnell.
»Yes, äh, ja.« Irritiert blickte sie der Mann an. Bei dem Akzent musst du dich nicht wundern, dass man dich sofort als Landsmann erkennt.
»Na, klasse. Wie klein die Welt doch ist.«
Katharina verfolgte die Konversation mit großen Augen und offenem Mund, als ginge ihr alles ein wenig zu schnell. Nina wirkte leicht verärgert. Habe ich deine Millionärs-, Entschuldigung: Milliardärsromanze gestört? Seher ließ sich wie immer nichts anmerken.
»Dann kommt doch mit. Ich bringe euch zu Toto.« Toto? Wo bin ich denn hier gelandet?
»Wir folgen einfach der gelben Steinstraße, oder?«
Irritiert sah sie der Mann kurz an, dann wandte er sich mit einem leichten Kopfschütteln ab. Vielleicht sollte ich einfach mal meine Klappe halten.
»Wer ist denn Toto?«, fragte jetzt Nina. Frag doch gleich, wem das Schiff hier gehört, damit du deinen Charme nicht versehentlich an einen armen Schlucker vergeudest.
Langsam stieg der Mann eine Treppe hoch. Ohne sich umzuwenden, antwortete er ihr: »Toto gehört dieses Schiff.« Ninas Augen blitzten hell auf. Keine Angst, Nina. Er wird sich in dich verlieben. Wie könnte dir ein Mann widerstehen? Es ist ja nicht so, dass die meisten Männer es darauf angelegen würden, einem hübschen Mädchen zu widerstehen.
Dann ärgerte sie sich über sich selbst. Es muss ja nicht jeder so miesepetrig sein wie du, Fräulein Jordan. Nina ist Nina und sie ist nicht nur hübsch, sondern toll.
Midori fiel zurück, als sie die Treppe nach oben stiegen. Ihre Glieder schmerzten bei jedem Schritt. Fuck, ich hatte ganz vergessen, dass ich noch nicht so ganz fit bin.
Sie hielt sich am Messinggeländer fest und bemühte sich, eine stabile Haltung zu bewahren. Die Treppe war mit dickem, dunkelblauen Teppich belegt. Wow, das hat mal Stil. Vielleicht nicht so clever, weil man das ja auch saugen muss und sicher laufen hier immer mal Leute mit nassen Schuhen herum.
Hilfe, ich rede ja schon wie meine Mutter.
Aber stilvoll ist es.
Seher blieb auf der obersten Stufe stehen und wandte sich zu ihr um.
Midori zwang sich zu einem Lächeln. »Hast du den Handlauf gesehen? Messing.«
Seher nickte. Schon klar, dir kann ich nichts vormachen.
Sie traten in einen Gang, der taghell von LED-Strahlern in der Decke erleuchtet war. Alles strahlte in Weiß und Gold.
Zu beiden Seiten gingen mehrere Türen ab, die mit glänzenden Ziffern aus strahlend poliertem Messing markiert waren. Midori und Seher bemerkten, dass der Mann am Ende des Gangs stehen geblieben war. Dort war eine Tür, die sich in nichts von den anderen unterschied – nur dass anstatt einer Ziffer »Master Suite« darauf stand, wie Midori erkannte, als sie näherkamen. Master? Das klingt ja ganz schön behämmert. Ich kann diesen Toto jetzt schon nicht ausstehen.
Andererseits … ist das einfach nur Englisch, oder? Da kann der arme Mann gar nichts dafür. Behalte deine Vorurteile für dich.
Midori war die Letzte, die den besagten Raum betrat. Oder nennen wir es: Saal. Der Raum war groß. Nicht nur groß für ein Schiff, der Raum wäre selbst in einem guten Hotel als große Suite durchgegangen.
Ein schlanker Mann erhob sich geschmeidig von einem ledernen Ecksofa. Während er auf sie zukam, knöpfte er sein schwarzes Sakko über einem schwarzen Hemd zu. Toto.
»Hi.« Er zwinkerte leicht verschmitzt. »Ihr seid die Mädels, die wir gerade aus dem Atlantik gefischt haben.« Er streckte Nina, die ganz vorne stand, die Hand hin. »Ich bin Toto.«
»Eigentlich Thorsten Reiter, Gründer und Inhaber von EasyTrans–«, sagte der Mann, der sie hergeführt hatte.
»Und wenn du mich nochmal Thorsten nennst, musst du über die Planke, Jan«, unterbrach Toto ihn, ohne mit der Wimper zu zucken. »Und du bist …« Er legte den Kopf leicht schief und sah Nina von unten an. Midori spürte, wie sie dahinschmolz und ärgerte sich. Mensch, Nina. Reiß dich mal zusammen.
»Nina … Nina van der Koek.« Sie gab ihm die Hand. Für eine Sekunde erwartete Midori, dass er ihr einen Handkuss geben würde. Zum Glück tat er es nicht, das wäre ja zu peinlich gewesen. Totos Haut war gebräunt, was natürlich kein Wunder war, wenn man hier unter südlicher Sonne kreuzte. Seine kurzen, schwarzen Haare würden sich vielleicht zu Locken kräuseln, wenn sie nicht wenige Millimeter über der Kopfhaut abrasiert wären. Seine großen, hellbraunen Augen schienen zu strahlen. Ich wette, auf deine Augen bist du mächtig stolz.
Und warum nicht, Fräulein Total-Vergeistigt, schimpfte sie innerlich mit sich selbst. Gut, dass du noch nie auf irgendein körperliches Merkmal stolz warst.
»Katharina König.« Katharina schien drauf und dran, einen Knicks zu machen. Toto sah ihr lange in ihre Augen. Wenn du sie noch länger anstarrst, fällt sie noch in Ohnmacht. Ich weiß nicht, ob ich es gut finden soll, dass du mit Katharina flirtest, weil sie sich dann gut fühlt, oder ob du das einfach nur aus Berechnung machst …
»Ich heiße Seher.« Danke, Seher. Das war Seher, so wie sie ihre Klassenkameradinnen kannten, etwas herb, doch unerschrocken und selbstbewusst. Ihr blickte Toto ebenso in die Augen. Bei der beißt du auf Granit, das sage ich dir. Er lächelte leicht, bis Seher verlegen schnaubte und sich dann schließlich abwandte.
»Midori Jordan.« Siedend heiß fiel ihr ein, dass die Namen der Vermissten beim Flugzeugabsturz bekannt sein könnten. Nein, ich habe noch nie gehört, dass solche Namenslisten in den Medien bekannt gegeben werden. Außerdem rechnet nach 10 Tagen sicher niemand mehr mit Überlebenden. Auch Frauen und Kinder waren unter den Opfern. Für die sind wir tot. Wir sind Nachrichten von gestern.
Sie streckte ihm die Hand entgegen. Er gab ihr seine; Midori blickte ihm tief in die Augen und drückte seine Hand kräftig. Sie war entschlossen, sich nicht von ihm einwickeln zu lassen.
»Willkommen an Bord.« Seine Züge umspielte ein spöttisches Lächeln. Er wies auf die Stühle, die neben einem dunklen Holztisch standen. »Nehmt doch Platz.«
Er wandte sich an einen Mann im weißen Livree, der hinter ihnen eingetreten sein musste. »Bring den Mädels etwas zu trinken. Was wollt ihr – Limonade? Oder Champagner?«
»Haben Sie auch ein kaltes Bier?«, rutschte es Midori heraus. Im Augenwinkel erkannte sie, dass Seher ihr einen tadelnden Blick zuwarf. Mann, Seher, sei doch einmal in deinem Leben locker. Das haben wir uns jetzt echt verdient.
»Ein Bier und dreimal Champagner.«
»Für mich eine Limonade«, verkündete Seher und blickte mutig auf.
»Natürlich«, sagte Toto verständnisvoll. Dann runzelte er die Stirn und machte eine Grimasse. »Du hast es gehört«, scheuchte er den Steward weg.
Kurz darauf hielt Midori ihr erstes Bier in der Hand – eine kleine Flasche Heineken, eiskalt. Hoffentlich bleibe ich nicht mit meinen Lippen dran kleben. Sie schloss die Augen und genoss einfach nur. Ich bin ein Mund. Eine Zunge. Ein Gaumen. Es gibt nichts anderes. Ich will nie wieder etwas anderes sein.
»Und was machen wir jetzt mit euch?« Toto hielt eine Flasche Cola in seiner Hand und ließ sie nachdenklich kreisen. »Ihr könnt natürlich Sprit haben, aber ihr seid ziemlich weit von der nächsten Insel entfernt. Und der Käpt’n meinte, ein Sturm zieht auf.«
Noch mehr Wellen? Bitte nicht. Hektisch sah Midori sich um. Grau und feindselig wogte die See vor den großen Panoramascheiben.
»Hey, wir werden euch schon nicht aussetzen«, schmunzelte Toto. Midori errötete. Ich sollte mich besser unter Kontrolle halten, verdammt.
»Ihr könnt hierbleiben und wir setzen euch am nächsten Hafen ab. Was denkt ihr?«
»Danke. Wann wird das der Fall sein und wo können Sie uns absetzen?«, fragte Seher bestimmt.
Toto war von ihrer Art sichtlich unbeeindruckt.
»Jedenfalls nicht sofort.« Toto zuckte die Achseln. »Wenn du einen dringenden Termin hast, solltet ihr das Boot nehmen. Verlasst euch aber nicht darauf, dass so schnell wieder ein Schiff vorbeikommt.«
Nina blickte erschrocken zu Midori hinüber.
»Ich glaube, wir sollten zumindest den Sturm abwarten, korrekt?«, sagte Midori und schaute die anderen fragend an. Katharina und Nina nickten eifrig, nach einer Weile presste Seher die Lippen zusammen und nickte knapp. Wie gnädig, Seher. Du wolltest doch nicht wirklich noch mal mit dem Schlauchboot los, oder?
»Na also.« Er schnippte mit den Fingern und deutete auf den Steward, der sich neben die Tür gestellt hatte. »Allan, richte doch die Kabine nebenan her.«
Als »Allan« gerade die Hand zur Klinke ausstreckte, öffnete sich diese und eine Frau kam herein. Sie mochte Mitte 20 sein, war groß, schlank und hatte dunkles, etwas lockiges Haar, das ihr lässig auf die Schultern fiel. Sie trug ein enges, weißes Kleid, das ihre Figur und ihre leicht gebräunte, samtig schimmernde Haut perfekt zur Geltung brachte. Zielstrebig stolzierte sie auf Toto zu. Die Mädchen folgten ihr mit den Blicken, bewundernd, neidisch, ungläubig. Ihr folgte ein zarter Duft und Midori fiel ein, welcher Duft ihnen wohl folgte – sie hatten ja seit über einer Woche die Unterwäsche nicht mehr gewechselt.
Die Frau nahm neben Toto Platz und lächelte ihn erwartungsvoll an.
»Marta Martínez«, sagte der. »Meine Freundin«, fügte er hinzu und Midori schien es, als hätte seine Stimme einen leicht genervten Unterton.
Wieder stellten die Mädchen sich vor und Toto erklärte auf Englisch, wie sie ihr Boot aus dem Meer gefischt hatten. Marta lächelte und zeigte dabei ihre perfekt gleichmäßigen, strahlend weißen Zähne. Sicher nicht echt. Kein Mensch hat so ein Gebiss.
Sie nahm einen Schluck von Totos Champagner und betrachtete die Mädchen über den Rand des Glases. Dann flüsterte sie etwas in Totos Ohr und kicherte. Toto lachte und antwortete leise.
»Sie sagt, ihr sollt sie nicht so anstarren, sonst wird sie noch rot.«
Ruckartig blickten alle vier auf den Boden. Marta lachte hell auf. Noch nie hatte Midori solch ein Lachen gehört. Es klang perlend, hell, wie der Champagner in den Gläsern der anderen. Dabei nicht unecht oder gestelzt. Sie nahm sich vor, ebenso lachen zu lernen.
Marta wisperte abermals etwas zu Toto.
»Entschuldigung«, sagte Midori.
Toto machte eine wegwerfende Geste. »Glaub der kleinen Spanierin kein Wort. Wenn sie es nicht gerne hätte, dass man sie ansieht, wäre sie kaum Model geworden, nicht wahr?«
Midori musste ihm insgeheim recht geben.
Er hob das Glas. »Cheers. Auf die wundersame Rettung der Jungfrauen.«
Katharina wurde sofort knallrot – weil er »Jungfrauen« gesagt hatte? Am besten nicht darüber nachdenken, sonst werde ich ebenfalls rot. Sie nahm einen tiefen Schluck aus ihrer Bierflasche.
Vielleicht lag es daran, dass ihr Magen leer war, oder es war eine Nebenwirkung des Medikaments; der Alkohol zeigte eine recht deutliche Wirkung. Sie fühlte sich leicht, sogar schon ein wenig ausgelassen. Das ist ja wie auf einer Klassenfeier. Nur dass ich da niemals so locker bin. Vielleicht hätte ich viel früher mit Alkohol anfangen sollen.
Sie bemerkte, dass die Flasche leer war, und stellte sie auf dem Tisch ab. Dort stand bereits eine neue geöffnete Flasche.
»Na ja, wenn sie schon mal offen ist …«, murmelte sie.
»Was is’n das, EasyTrans?«, fragte nun Katharina.
»Ein bargeldloses Bezahlsystem für das Internet«, erklärte Jan schnell. Midori hatte ganz vergessen, dass er auch noch da war. Ein wenig ungelenk wandte sie sich zu ihm um. Er stand hinter den Mädchen. Sie fragte sich, warum er nichts zu trinken hatte.
»Damit kann man im Internet Truhen kaufen«, erklärte sie.
»Was für Truhen?«, fragte Nina. »Schatztruhen oder was?«
»Na, Truhen halt. Mit Sachen drin. Skins und Waffen und so.« Nina verstand immer noch nicht. »Das ist sowas wie dieses andere, Payp–«
»Im Prinzip ja«, unterbrach sie Jan. »Die Funktionsweise ist aber ganz anders. EasyTrans unterscheidet sich von allen konkurrierenden Systemen, indem es auf das patentierte Double-Trust-System aufsetzt. Dadurch erreichen wir ohne Zugriff auf einen zentralen Server, allein mit Hilfe des vorher abgelegten 512-Byte langen Keys–«
Jetzt war es Toto, der ihn unterbrach: »Ich bin sicher, so genau wollte Katharina es gar nicht wissen, liege ich richtig?« Er grinste sie an. »Du hast recht, es ist so etwas Ähnliches. Unser System hat ein paar Vorteile und ein paar Nachteile.« Er wandte sich wieder zu Jan: »Kann man das so sagen?«
Sichtlich widerstrebend begann er zu nicken. Marta lächelte ihn an und leckte sich über die Lippen. Anscheinend machte sie sich über ihn lustig. Hey, ich bin auch ein Nerd.
»Jan ist mein Lead Programmer. Er kümmert sich um die technische Seite.«
»In welcher Programmiersprache programmierst du denn?