Nutztiere -  - E-Book

Nutztiere E-Book

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Beschreibung

Immer wieder erreichen uns Informationen und Bilder von schlimmsten Zuständen in landwirtschaftlichen Betrieben und doch haben sich inzwischen auch einige vorbildliche Strukturen ausgebildet. Aber: Tierhaltung und Tierwohl – geht das überhaupt zusammen? Die Beiträge in diesem Buch, alle von renommierten Expertinnen und Experten, zeigen anhand einer eingehenden Bestandsaufnahme gegenwärtiger Missstände und der Darstellung möglicher Alternativen insbesondere im biologischen Landbau: Ja, es geht – wenn sich die Tierhaltung konsequent am Tierwohl ausrichtet. Ein Buch, das Mut macht, die längst überfälligen großen Transformationsschritte zum Wohle der landwirtschaftlichen Nutztiere in die Tat umzusetzen. Mit Beiträgen von Udo Censkowsky, Angela Dinter Rupert Ebner, Franz-Theo Gottwald, Martin Häusling, Edna Hillmann, Ophelia Nick, Gerold Rahmann, Christopher Schümann und Hartmut Vogtmann.

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Seitenzahl: 305

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Ebook Edition

Bernward GeierStefanie PöpkenRenate Künast

Nutztiere

Mehr als eine Frage der Haltung

Gefördert durch die Schweisfurth Stiftung mit Mitteln der Renate Benthlin-Stiftung für Nutztierschutz sowie mit der Unterstützung der Cultura Stiftung.

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN: 978-3-98791-040-1

1. Auflage 2024

© Westend Verlag GmbH, Neu-Isenburg 2024

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Layout, Satz und E-Book: Publikations Atelier, Weiterstadt

Inhalt

Titel

Inhalt

Vorwort

Das Wohl landwirtschaftlich genutzter Tiere – moralische Haltungen und religiöse Einstellungen

Tierqual statt Tierwohl

Tierqual statt Tierwohl

Bewusstseinsgeschichtliche Aspekte der industriellen Tierhaltung

Der soziopathische Faktor

Irrweg und Versagen der Politik und des Staates

Auswirkungen auf Klima und Artenvielfalt

Boden- und Wasserverschmutzung

Gesundheitsgefahren für den Menschen

Rückgang der Artenvielfalt

Was heißt hier Produktivitätssteigerung?

Das Lebewesen Rind

Kritik an Haltung, Züchtung, Ernährung, Transport und Schlachtung von Rindern

Das Lebewesen Schwein

Kritik an Haltung, Züchtung, Ernährung, Transport, Schlachtung von Schweinen

Die Lebewesen Huhn & Hahn

Kritik an Haltung, Züchtung, Ernährung, Transport und Schlachtung von Geflügel

Puten, Gänse, Enten, Wachteln – auch anderes Federvieh erleidet ein qualvolles Schicksal

Schafe und Ziegen

Pferdehaltung – vom Acker in die Reithallenbox

Aussterbende Rassen – unwiederbringliche Verluste

Tierleid – auch in der Aquakultur

Massentierhaltung aus der Sicht eines unabhängigen Tierarztes

Massentierhaltung? Das industrielle Produktionssystem ist das Problem

Das Beispiel »industrielles »Geflügel

Bei Schweinen und Rinder läuft es ähnlich

Das Pharma-Desaster

Das Dilemma der Tierärztinnen und -ärzte

Nutztierhaltung – vom Status quo zum Tierwohl

Tierwohl – nur ein Modewort?

Der Begriff

Das Konzept – Versuch einer wissenschaftlichen Definition

Kann man Tierwohl messen, und wenn ja, wie?

Tierwohlprogramme im Überblick

Von der Politik angeschobene Projekte im Bereich Tierwohl und Tierhaltung

Schweine: vom Ringelschwanz und der freien Abferkelung

Unterschätztes Schwein: Supernase und Kommunikator

Sauenhaltung: Rück- und Ausblick

Männliche Schweine: von Gerüchen und Kastrationen

Der Ringelschwanz: Tierwohlindikator und größte Herausforderung

Rinder: Milch- und fleischliefernde Pflanzenfresser im Fokus

Tierwohl bei Rindern erfassen und bewerten

Kälberaufzucht in der Milchviehwirtschaft – Tierwohl von Beginn an

Kälberaufzucht bei Mutter oder Amme, unabhängig vom Geschlecht

Tierwohl bei Rindern aus Sicht einer Tierschutzorganisation

Pro Weideland: Die Weide im Fokus

Legehennen und Masthühner: Meister der Anpassung

Legehennen und Masthühner: Hochleistungstiere mit vielen Bedürfnissen

Von null bis drei: Die Legehenne als Vorreiter der Haltungskennzeichnung

Der (freiwillige) Ausstieg aus dem Schnabelkürzen

Das Eintagsküken – ein Abfallproblem

Die Europäische Masthuhn-Initiative

Das Zweinutzungshuhn aus ökologischer Tierzucht – ein Lösungsansatz

Puten: anspruchsvoll und unterschätzt

Das Leben der ursprünglichen Pute: ein Blick in die Vergangenheit, um die Zukunft zu gestalten

Irrweg Schnabelkupieren

Lichtblick in der Zucht

Vegetarisch oder vegan als Lösungsweg?

Zusammenfassung

Tiertransporte: Fehler und Lösungen liegen im System

Politische Signale

Transport von Milchkühen

Kälbertransporte

Schweinehaltung

Schlachtung: angstfrei in den Tod?

Mobile Rinderschlachtung: Ein Instrument für Tierschutz und Wertschätzung

Ein stationäres Schlachthausmodul als Alternative zum Schlachthöfesterben

Ein Hühnerleben zu Ende gedacht

Schwein gehabt: Kein Transport und keine CO2-Betäubung für mobil geschlachtete Schweine

Bodenlebewesen – Tiere »massenhaft« im Boden

Vom Dilemma zu regulatorischen Lösungen: Tierwohl in der Politik

Immer weniger Tiere immer besser halten

Grundgesetz und Staatsziel

Was ist ein »vernünftiger Grund« oder »vermeidbar«?

Zukunftspersepktive für Betriebe

Mehr Fairness und mehr Tierschutz

Was ist zu tun?

Noch nicht fit für das 21. Jahrhundert: Aktueller Stand und Aktivitäten zum Tierwohl bei landwirtschaftlichen Nutztieren auf EU-Ebene

Tierschutz in der EU – schon früh ein Thema, aber wenig Wirkung …

Tierarzneimittelgesetz – nur der erste Schritt

One-Health-Ansatz nicht ernst genommen

Tiertransporte

End-of-Cage-Age – Ende der Käfighaltung

Fazit

Tierwohl – jawohl, so geht es …

Die Herrmannsdorfer Landwerkstätten – Pionier der artgerechten und ökologischen Tierhaltung

Gelebte AgrarKULTUR

Tierwohlimpuls Zweinutzungshuhn: das Landhuhn-Projekt

Tierwohlimpuls Symbiotische Landwirtschaft

Viel Tierwohl und glückliche Gänse auf dem Bauerngut Schiefelbusch

Ein Bauerngut, wo so ziemlich alles gut und vieles sehr gut ist.

Wo Ackerbau und Viehzucht im Einklang sind

Die konsequente Umsetzung der Philosophie und der Ziele ist das Fundament des Erfolges

Diversität in der Vermarktungsstrategie zahlt sich aus

Massentierhaltung? Auch ganz vielen Gänsen kann es gut gehen

Sicher und frei

Schlachten ohne Transportstress und mit Respekt

Vor allem treue Kundinnen und Kunden nehmen die Gänseherde ganz ab

Abschlussbemerkt …

Die »Bio-Waldlandputen« von Mecklenburg-Vorpommern

Einzigartige Haltungsbedingungen für anspruchsvolles Federvieh

Wie die Idee entstand

Der Wald als Haltungssystem

Die Haltung der Waldlandputen im Einzelnen

Der intakte Schnabel bei der Pute

Vermarktung der Bio-Waldlandputen

Hof Heidegeflügel – einzigartige ammengebundene Putenaufzucht und bunte Hühner

Ammengebundene Putenaufzucht – einmalig in Europa

Vom Ei zur Amme

Hühnerschutz durch Putenpatrouille

Bunte Eier von bunten Hühnern

»Weniger ist mehr.« Betriebsbesuch bei Hans Möller von De Öko Melkburen

Kuhgebundene Kälberaufzucht – so fing es an

Weniger Milch für die Vermarktung

Die Zukunft des Betriebs

Pro-Weideland-Betrieb Wemken – seit 98 Jahren Weidehaltung

Die Ställe – aufs Tierwohl ausgerichet

Kälber – nur ein Teil verlässt den Hof

Weidehaltung von Anfang an und auch in Zukunft

Bunde Wischen: Naturnahe Rinder- und Pferdehaltung – und ein Rothirsch ist auch dabei

Halb offene Weidelandschaften: Agroforstwirtschaft der Zukunft

Kugelschuss auf der Weide: Anfang und Ende auf dem Betrieb

Aufzucht männlicher Kälber von Milchviehbetrieben

Effektive Mikroorganismen und Milchkühe – ein Besuch bei Mathis Block

Wie der Hof zum Label des Deutschen Tierschutzbundes kam

Von der Krise zur Chance

Laufend neue Ideen und kein Ende in Sicht

Syntropische Landwirtschaft als Revolution

Vom ersten bis zum letzten Tag – ein gutes Kuhleben in Rengoldshausen

Der Schweinebuzzer als Ausdruck der Wahlfreiheit – zu Besuch bei Christoph Becker

Ringelschwanz bei allen Tieren

Einflüsse auf den intakten Ringelschwanz

Mastbuchtstruktur erklärt

Der Schweine-Buzzer

Der »Aktivstall für Schweine«

Das Haltungskonzept, das schon bei der »Omasau« beginnt

Der »Aktivstall für Schweine«

Das Konzept ist der heutigen Zeit voraus

Ohne Vermarktungskonzept funktioniert es nicht

Stetige Weiterentwicklung

»Massentierhaltung« geht auch mit ganz viel Tierwohl und Bio

Wenn jahrhundertealte Familientradition auf kreativste Innovation trifft

Im doppelten Sinn eine großartige Schweinehaltung

Die Rasse für Klasse

Sehr glückliche Sauen und quietschfidele Ferkel

Agroforestry – die Symbiose von Land- und Forstwirtschaft neu gedacht

Das Wohlbefinden geht auch in der Mast weiter

Vermarktung komplett direkt

Noch was …

Arche Warder – Nutztierpark und Gendatenbank

Die sechs Säulen des Tierparks

Verschiedene Landschaftselemente prägen die Arche

Das Domesticaneum – neue Begegnungsstätte mit der eigenen Geschichte

Die Zukunft der Landwirtschaft

Neuland – Pioniere für mehr Tierwohl

Besonderheiten bei NEULAND-Betrieben

Fütterung der Tiere

Medizinische Behandlung von Tieren

Transport und Schlachtung: ein Thema bei Neuland

Umstellung auf Neuland – worauf sich Betriebe einstellen müssen

Vorbildliche Lösungsansätze in der Aquakultur

Fischzucht Welden, Oberbayern

Bio-Lachserzeuger Mowi, Irland

Bio-Garnelenerzeuger Blue Sea Aquaculture, Indien

Epilog

Brauchen wir noch Nutztiere?

Nutztierhaltung früher, heute und morgen?

Aus der Sicht der Ernährung

Aus ökonomischer Sicht

Aus produktionstechnischer Sicht

Aus ökologischer Sicht

Wir brauchen in Deutschland keine Nutztierhaltung mehr!

Artgerechte Nutztierhaltung: eine Säule der Agrarkultur

Co-Autor:innen Vitae

Danksagung

Anmerkungen

Orientierungspunkte

Titel

Inhalt

Vorwort

Im Wettbewerb um öffentliche und politische Aufmerksamkeit ist die Frage, wie wir Tierhaltung in der Landwirtschaft praktizieren, schon seit vielen Jahren ein Hotspot an Aufmerksamkeit. Das Thema bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Komplexität und Kontroverse. Über Tierhaltung wird viel geredet, diskutiert und auch publiziert. Umso erstaunlicher, dass es bis dato noch kein umfassendes Buch zur artgerechten und an Tierwohl orientierten Nutztierhaltung gibt. Dieses Manko war ein Ausgangspunkt für dieses Buchprojekt, aber unsere Motivation speist sich vor allem aus unserer Sorge um das Wohl der landwirtschaftlichen Nutztiere.

In der Folge der industriellen Revolution entwickelte sich zunächst vor allem in den »industrialisierten« Ländern des Nordens die Haltung von Nutztieren immer mehr in Richtung intensiver und industrialisierter Haltungssysteme. Heute finden wir sie in der ganzen Welt verbreitet. Diese Veränderung wächst nach wie vor dynamisch unter der alten Prämisse »Wachse oder weiche«. Das Weichen bzw. das Aufgeben von Bauernhöfen erleben wir aktuell vor allem im Bereich der Schweine- und Milchviehhaltung in dramatischen Dimensionen. Zu Recht und zum Glück wird zunehmend eine Kehrtwende gefordert, wobei es darum geht, dass statt Tierleid mehr Tierwohl und bessere Haltungsbedingungen erreicht werden.

Die Fehlentwicklung spiegelt sich anschaulich in der Tatsache, dass im universitären Bereich nicht etwa Tierhaltung gelehrt wird, sondern Tierproduktion. In der Benennung steckt entlarvende Ehrlichkeit, denn gelehrt wird weitgehend nicht tiergerechte Haltung, sondern gelehrt wird vor allem eine am kurzfristigen Profitinteresse ausgerichtete Produktion. »Produziert« wird auch massiver Lobbyismus, der für wenig Transparenz und gegen die Anhebung gesetzlicher Haltungsnormen und gegen konsequentes Monitoring kämpft.

Eine Täuschung der Verbraucher:innen sind die vielen Marketinglügen, wenn etwa tierische Produkte mit irreführenden Namen und die Realität verschleiernden Bildern auf den Markt gebracht werden.

Die Vielfalt in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung gebietet uns für das Buch eine Schwerpunktsetzung. Für uns sind das Geflügel, Schweine und Rinder, weil es hier die extremsten Fehlentwicklungen gibt. Tierhaltungsvielfalt beinhaltet auch Pferde, Schafe, Ziegen, Kaninchen, Pelztiere, Enten, Straußvögel und es gibt sogar Krokodilfarmen. Diesen Tierarten widmen wir uns nur peripher oder auch gar nicht. Uns war jedoch wichtig, auf tierquälerische Auswüchse, aber auch auf Lösungsansätze im Bereich der Aquakultur einzugehen, denn die produzieren auch weitgehend in industriellen Haltungssystemen bzw. in Käfigen.

Im Epilog reflektiert unser Co-Autor über die historischen, philosophischen und religiösen Aspekte der Nutztierhaltung.

Grundpfeiler unseres Buches ist es, den Blick auf Strategien und Lösungen zu lenken und aufzuzeigen, dass und vor allem wie Tierwohl machbar ist. Die vielen und faszinierenden Lösungen, die es heute schon gibt, wirken noch beeindruckender, wenn man sie mit der Realität der vorherrschenden Nutztierhaltung konfrontiert.

Ganz bewusst haben wir deshalb mit dem Kapitel 1 nur einen geringen Anteil des Buches für die Beschreibung der Probleme und Missstände von massenhafter Tierproduktion verwendet. Die Realität wird dabei eher zurückhaltend beschrieben und so manche grausame Tatsache und Bilder ersparen wir den Leser:innen, zumal die skandalösen Seiten der industriellen Tierhaltung zum Glück schon viel mediale Aufmerksamkeit bekommen.

Das Buch liefert im Kapitel 2 faktenbasierte Argumente für die dringende Transformation und zeigt Wege auf, wie man mit der Umsetzung von Tierwohl den Auswirkungen der fälschlicherweise »modern« genannten Tierproduktion Einhalt gebietet.

Im Kapitel 3 werden auch den regulatorischen Aspekten und politischen Perspektiven aus nationaler Sicht und aus der EU-Perspektive Raum gegeben. Es mangelt nicht an Lösungsvorschlägen und Konzepten, die vor allem in der Politik hitzig debattiert werden. Die Art und Weise der Tierhaltung ist eingeklemmt zwischen EU und nationalem Recht, freiem Handel in der EU, der EU-Agrarpolitik, den Interessen der Profiteure der agrarindustriellen Produktion mit ihrer Lobbymacht und vor allem den fehlinvestierten Subventionen. Ein großes Manko ist die fehlende und vor allem verpflichtende Transparenz entlang der gesamten Produktions- und Lieferkette tierischer Erzeugnisse. Hier werden jetzt erste Schritte gegangen. Unser Buch ist in der Debatte für Transparenz gewissermaßen ein Angebot, das allerdings nicht die fehlende Transparenz beim täglichen Einkauf ersetzt.

Die vielen Hoffnung machenden Beispiele, die im für uns wichtigsten Kapitel 4 vorgestellt werden, lassen keinen Zweifel, dass eine andere Tierhaltung und Tierwohl gut zusammengehen, und dies auch in großen Betriebsstrukturen. Wir hoffen, dass von den zahlreichen Beispielen bester Praxis die nachhaltigsten Auswirkungen des Buches ausgehen und sich möglichst viele Tierhalter:innen davon inspirieren und motivieren lassen, Teil der Transformation zu werden, die den Tieren Achtsamkeit und Würde gibt.

Die Kontroversen um die Thematik gipfeln in der radikalen Forderung, die Haltung von landwirtschaftlichen Nutztieren grundsätzlich aufzugeben. Diese Auseinandersetzung reflektieren die zwei Co-Autoren im Epilog.

Uns ist bewusst, dass Tierhaltung durch aktuelle Entwicklungen in ganz neuen Zusammenhängen gedacht werden muss.

Die große Zukunftsfrage ist es, wie sich die Ernährung der Weltbevölkerung in Zukunft sichern und nachhaltig gestalten lässt. Im Zentrum steht hier die Frage nach der lebensnotwendigen Versorgung mit Proteinen. Der Trend zu reduziertem Fleischkonsum hat zur Folge, dass immer mehr pflanzliches Eiweiß konsumiert wird.

Inzwischen zeichnet sich ein Dreiklang der Proteinversorgung ab mit Proteinen aus Tierhaltung, pflanzenbasiert oder als dritte Gruppe die Präzisionsfermentation beziehungsweise tierische Proteine aus der Kultivierung von Zellen. Gerade diese neue Entwicklung wird leidenschaftlich kontrovers diskutiert. Auch in unserem He­rausgeber:innenteam gibt es hierzu divergierende Meinungen.

Wir haben bewusst die Entscheidung getroffen, in diesem Buch den Fokus auf landwirtschaftliche Tierhaltung zu behalten, der in seiner Komplexität schon fast den Rahmen eines Buches sprengt. Unsere Erkenntnis der Arbeit an diesem Buch ist, dass es bereits viel beispielhaft artgerechte Tierhaltung im biologischen Landbau gibt, aber auch da ist noch lange nicht alles im »grünen Bereich«, d. h., es muss auch bei Bio noch manches besser werden. Übrigens gibt es auch beeindruckend artgerechte Tierhaltung auf konventionellen Betrieben und eine Reihe von Qualitätsprogrammen, die interessante Lösungsansätze bieten. Für viele Leser:innen könnten die Betriebe überraschend sein, die zeigen, dass selbst große Tierzahlen nicht zwangsläufig zur Misere der industriellen Tierhaltung führen müssen und sogar Bio vom Besten sein können.

Die Forschungs- und Faktenlage zeigt, dass bei der Tierhaltung ein »weiter so« nicht mehr geht. Wir brauchen signifikant weniger gehaltene Nutztiere, schon allein aus Gründen des Klimaschutzes. In höheren Tierhaltungsstandards liegt die Chance den notwendigen Umbau wirtschaftlich erfolgreich zu gestalten. Dies setzt Verbraucher:innen, Lebensmittelindustrie, Lebensmittelhandel und Politik sowie natürlich vor allem Bäuerinnen und Bauern voraus, die dies ernsthaft wollen und ermöglichen. Der Weg muss gemeinsam gegangen werden. Möge das Buch hierzu wegweisend wirken

Bernward Geier • Renate Künast • Stefanie Pöpken

Prolog

Das Wohl landwirtschaftlich genutzter Tiere – moralische Haltungen und religiöse Einstellungen

Franz-Theo Gottwald

Der Verzehr von Produkten tierischen Ursprungs ist in unseren Tagen zu einem Thema der moralischen Debatte geworden. Er steht im Mittelpunkt von Diskursen über Sinn und Zweck zum Beispiel des sommerlichen Grillens oder des österlichen Lammbratens, er füllt Seiten über Seiten in Qualitätsmedien und befeuert höchst kontroverse Debatten in den sozialen Medien.

Wir wissen mittlerweile viel um das Tierwohl in der Landwirtschaft. Wir sind breit informiert, wie es idealtypisch gestaltet werden sollte. Das gewonnene Wissen aus der bäuerlichen Praxis, der Tiermedizin und der Tierethologie hat sich in rechtlichen Vorgaben wie den Tierhaltungsverordnungen, den Stallbauverordnungen, den Futtermittelverordnungen, den Hygienevorschriften und weiteren Normen niedergeschlagen, die dem Schutz der genutzten Tiere dienen sollen. Im Ringen der verschiedenen gesellschaftlichen Anspruchsgruppen, die mit den Nutztieren zu tun haben, und angesichts wirtschaftlicher Zwänge und politischer Machbarkeiten wird dieser Normenrahmen weiterentwickelt.

Dennoch läuft im täglichen Umgang mit den von der menschlichen Fürsorge abhängigen Nutztieren vieles schief. Dies verdeutlichen die veterinärmedizinischen Befunde bei Stallkontrollen und am Schlachtkörper sowie die medialen Berichte über Tierleid in deutschen Stallanlagen, bei Tiertransporten und über die immer wieder mangelhaften, tierquälerischen Bedingungen in Schlachthöfen.

Es ist praktisch offenbar immer wieder schwierig und herausfordernd, mit den Nutztieren so umzugehen, wie es moralisch angezeigt und rechtlich geboten ist, um möglichst wenig Tierleid zu verursachen. Deshalb ist es verständlich, wenn immer mehr – besonders jüngere Menschen – die Nutztierhaltung insgesamt infrage stellen und sich vegetarischer Ernährung oder einem veganen Lebensstil zuwenden. Sie folgen meist einer moralischen Intuition, dass eine vornehmlich auf Erzeugnissen tierischen Ursprungs basierende Ernährung in unseren Breiten nicht mehr angezeigt ist. Angesichts von Hunger, Klimakrise, Biodiversitätsverlusten und Landnutzungskonflikten, die alle mit der Tierhaltung zu tun haben, kommen dann weitere stichhaltige Argumente dazu, das überkommene Essverhalten wohlhabender Gesellschaften grundsätzlich zu hinterfragen.

Stehen wir am Anfang einer neuen Ernährungsmoral? Mit Blick auf die Milliarden auf diesem Planeten zusammen mit Menschen lebenden landwirtschaftlich genutzten Tiere und das soziale wie ökologische Ungleichgewicht, das deren Haltung verursacht und das zunehmend sichtbarer wird, muss in der Tat neu nachgedacht werden: Die Gesamtheit der Grundsätze und sittlichen Normen, die das menschliche Verhalten den genutzten Tieren gegenüber reguliert, steht zur Disposition. Was sind uns Menschen die genutzten Tiere wert? Was wollen wir als verbindliche Regeln für unser Verhalten diesen Mitlebewesen gegenüber neu und zeitgemäß akzeptieren? Welche ökonomischen Kosten sind wir bereit auf uns zu nehmen, damit es den Tieren besser geht und wir mit besserem Gewissen (noch) Erzeugnisse tierischen Ursprungs zu uns nehmen können?

Diese grundsätzliche selbst- und gesellschaftskritische Befragung ist auch deshalb an der Zeit, da augenscheinlich und nicht mehr verdrängbar die Nutzungsinteressen des Menschen am Tier die Schutzinteressen des Tieres vor Schmerz und an einem Leben gemäß seinen natürlichen Bedürfnissen entscheidend überwiegen. Daraus folgt, dass ganz fraglos gegen die Sitte eines sorgsamen Umgangs mit allem Leben verstoßen wird. Die geltenden Tierschutz-Vorschriften, die geltenden Nutztierhaltungsverordnungen und auch die bisher geltende rechtlich kodifizierte Vorstellung von der »Würde des Tieres«, die grundgesetzlich in Deutschland verankert ist, stehen unwiderlegbar auf dem Prüfstand – auch vor dem Hintergrund der Generationengerechtigkeit, was die Ressourcennutzung angeht. Sie müssen alle neu aufgesetzt werden.

Was also wäre ein neuer, zeitgemäßer Moralbegriff, eine zukunftsorientierte Auffassung von Moral, die ein ko-evolutionäres Miteinander und Füreinander von Menschen und den von ihnen genutzten Tieren konkrete Gestalt annehmen ließe? Welche moralischen Vorstellungen, Überzeugungen, Haltungen müssten vorherrschen und das gesellschaftliche Leben dominieren, damit das Tierwohl dauerhaft im Blick wäre? Anstand und Vernunft, das Gewissen von Tierzüchter:innen, Halter:innen, Transporteur:innen und Verarbeiter:innen, sind offenkundig faktisch nicht ausreichend wirksam, um Tierleid zu verhindern und Tierwohl ganzheitlich zu fördern. Was könnte also den moralischen Grund für einen gesamtgesellschaftlichen Wandel der Auffassungen abgeben, wie eine zukünftig verantwortbare Tierhaltung aussehen sollte? Was könnte eine neue Auffassung von Moral begründen, die uns heutige in den Augen der nächsten Generationen als Transformateure eines gewichtigen Wirtschaftszweigs und Begründer:innen eines zukunftsfesten Ernährungsverhaltens erscheinen ließe?

Um klar zu sein: Die scheinbar einfache Lösung, auf die Nutzung von Tieren in der Landwirtschaft und ihre Erzeugnisse in den vielfältigen Ernährungskulturen gänzlich zu verzichten, ist nur eine theoretische Lösung. Sie würde, radikal zu Ende gedacht, eine Ernährungswirtschaft mit einer gänzlich neuen Esskultur voraussetzen, in der Lebensmittel und andere landwirtschaftliche Erzeugnisse aus dem Labor kommen. »Zelluläre Landwirtschaft« lautet der hierfür genutzte Fachbegriff: Aus Stammzellen von echten Tieren und Pflanzen entstehen dabei in technischen Anlagen und mit Nährlösungen angereichert Lebensmittel für Menschen. Im Gegenzug könnte sich auf Äckern und Weiden dann die Natur wieder ausbreiten. Diese Vision wird zwar mittlerweile auch unternehmerisch vorangetrieben. Auch gibt es erste Produkte auf dem Markt. Dennoch scheint sie der Fachwelt nicht geeignet, um die komplexen Ernährungssysteme, bei denen Akteur:innen von Kleinbäuer:innen bis hin zur industriellen Landwirtschaft derzeit für Nahrungssicherung sorgen, zeitnah ablösen zu können. Zu viele Fragen sind hier ungeklärt, angefangen mit der Düngewirtschaft, den Energiekosten, dem Investitionsbedarf, den Patentrechten und endend mit der zukünftigen Nutzung von Grün- und Grasland. Eine Fundierung für eine neue Ernährungsmoral lässt sich deshalb derzeit nicht auf derartige technologische Lösungen reduzieren.

Eine solche postlandwirtschaftliche Revolution der Ernährung taugt praktisch und politisch heute jedenfalls (noch) nicht dazu, gesellschaftlich tragfähige Ernährungsstile zu begründen, die einen geordneten Umbau der Tierhaltung zugunsten von dauerhaft gesteigertem Tierwohl mit sich brächten. Um Tierhaltung weiterhin gesellschaftlich zuzulassen, um Land- und Tierwirt:innen weiterhin das Recht zur Tiernutzung zuzusprechen, bedarf es einer neuen Verankerung in dem, was wir als Menschen den Tieren, die wir in Land- und Ernährungswirtschaft nutzen, auf ihrem Weg vom Acker auf den Tisch schulden.

Jedes Recht geht mit einer Pflicht einher – dieser gesellschaftsrechtliche Grundsatz muss neu begriffen werden, um Tierhaltung auch in unseren Tagen vor den nächsten Generationen rechtfertigen zu können. Im Umgang mit den Nutztieren ist die Pflicht, der Menschen, die Tiere nutzen, nachzukommen haben, mehrdimensional.

Zum Ersten ist es den Tieren gegenüber notwendig, Lebensbedingungen zu schaffen, die tiergemäß sind. Dazu geben wissenschaftlich gut begründete Tierwohlkriterienkataloge und Tierwohlindizes hinreichend Auskunft. Wer wissen will und es praktisch im eigenen bäuerlichen Betrieb umsetzen möchte, was eine moralisch gebotene, gute Tierhaltungspraxis ist, braucht zum Beispiel nur die Richtlinien des Deutschen Tierschutzbundes zur Schweine-, Rinder- und Geflügelhaltung aufzugreifen.

Zum Zweiten richtet sich die Pflicht zum Nutztierschutz auf das eigene Essverhalten. Verbraucher:innen essen in unseren Breiten zu viel Produkte tierischen Ursprungs. Eine Verringerung ist diätetisch angezeigt, so jedenfalls die Ernährungsrichtlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und die ernährungsphysiologische Forschung, die diese fundiert. Weniger Konsum bedeutet weniger Erzeugung – und das wäre definitiv für die Verbesserung des Tierwohls wünschenswert.

Zum Dritten gibt es Argumente, aus Gründen der intergenerationalen Gerechtigkeit mit der Übernutzung der planetaren Ressourcen – und die wirtschaftliche Tierhaltung ist hier ein wesentlicher Treiber – aufzuhören. In diese Dimension gehören auch Klima- und Biodiversitätsschutzargumente. Eine Tierhaltung in den planetaren Grenzen wäre möglich, wenn nur durchgesetzt werden könnte, dass Nutztierhaltung flächengebunden zu sein hat.

Zum Vierten gibt es in den meisten Religionen und überkommenen spirituellen Traditionen, die das moralische Verhalten ausrichten, eindeutige Regeln, um die Permanenz eines guten Lebens aller Lebewesen auf diesem Planeten zu gewährleisten und eine entsprechend der Schöpfung gegenüber rechtfertigbare Ernährungskultur der Mitgeschöpflichkeit zu gestalten. Dazu gehören zum Beispiel im Islam sehr differenzierte Haltungs- und Fütterungsregeln für unterschiedliche Nutztierarten, aber auch die Schlachtungsregeln. In indigen Kulturen beispielsweise des Regenwalds – um einen anderen Kulturraum und Lebensstil anzusprechen – werden eine Fülle von Regeln beachtet, um die Geister der Tiere, von deren Wohlwollen das nahrungsmäßige Überleben abhängt, nicht zu verstimmen und eine dauerhafte Koexistenz zu gewährleisten. Im Christentum gilt das allgemeine und ungeteilte Liebesgebot allen Mitgeschöpfen gegenüber. Es fordert, bei allen moralischen Abwägungsfragen das Wohl der Mitgeschöpfe über das eigene Interesse an Wirtschaftlichkeit zu stellen.

Diese komplex verankerte Pflicht des Menschen den von ihm genutzten Tieren gegenüber geht gerade in unserer Zeit mit einem bisher nie da gewesenen Können zusammen. Der Möglichkeitsraum für eine dauerhaft bessere gesamtgesellschaftliche Herstellung und Erhaltung von mehr Tierwohl vom Acker auf den Tisch ist so groß wie nie zuvor in der Zivilisationsgeschichte. Alles relevante Wissen ist zur Hand, genügend Technologie zur Tierwohlüberwachung, genügend Geld zur Finanzierung eines Umbaus der Tierhaltung und der Neuausrichtung des menschlichen Ernährungsverhaltens. Auch die Politik hat die moralisch gebotene und heute wirklich machbare Transformation erfasst, beispielsweise in der inzwischen aufgelösten deutschen Borchert-Kommission. Die Borchert-Kommission hat mit ihren Empfehlungen dem notwendigen Umbau der Tierhaltung in Deutschland den Weg bereitet. Sie hat im Konsens mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen festgestellt, dass und wie sich Tierhaltung verändern muss, wenn sie eine Zukunft und gesellschaftliche Akzeptanz haben will.

Wenn also sowohl die Pflicht und das Bewusstsein über das den Tieren Geschuldete als auch das Können so greifbar sind, wenn dazu die politische Willensbildung so weit wie nie zuvor fortgeschritten ist, dann ist die entsprechende Transformation am Horizont des Machbaren! Für die Tiere kann dann aus dem ethisch Gebotenen politisch gesetztes und durchgesetztes Recht werden.

Kapitel 1

Tierqual statt Tierwohl

Tierqual statt Tierwohl

Bernward Geier und Christopher Schümann

WIELIEBICHES, DENTIERENZUZUSEHEN1

Wie lieb’ ich es, den Tieren zuzusehen

Wenn sie so selbstverständlich sich dem Dasein schenken

Und so bedingungslos in einer Welt bestehen

Die sie nicht ändern wollen und nicht lenken

Doch wenn wir ihren Eigensinn zerstören

Und sie als Nutzvieh züchten und in Ketten legen

Dann müssen sie auf einmal wem gehören

Anstatt nach ihrem Sinn sich zu bewegen

Was macht uns besser? Warum glauben wir

Wir sind die Herren über alle Lebewesen?

Sind wir den wirklich klüger als das Tier?

Weil wir’s in sogenannten Heiligen Schriften lesen?

Musik & Text: Konstantin Wecker

Bewusstseinsgeschichtliche Aspekte der industriellen Tierhaltung

Angefangen hat die Tierhaltung vor etwa 16 000 Jahren mit dem Hund: Es folgten andere Tierarten wie Schweine, Rinder, Hühner und anderes Geflügel, Schafe, Ziegen, Kamele, Pelztiere und Pferde. Etwa 100 verschiedene Tierarten wurden bis heute domestiziert, also gezüchtet und damit auch im Körperbau und auch im Verhalten an die Bedürfnisse der Menschen und die gegebenen Haltungsumwelten angepasst.

Einige dieser Tiere, namentlich Rinder, Schweine, Geflügel, Kaninchen, Pelztiere sowie diverse Fischarten und Krabben für die Aquakultur wurden in die industrielle Tierhaltung integriert und ihre Körper sowie das Leistungspotenzial durch moderne Züchtungsverfahren auf industrielle Produktion hin optimiert.

Die industrielle Tierhaltung, um die es in diesem Kapitel gehen wird, ist im Verhältnis zur gesamten Geschichte der Tierhaltung eine vergleichsweise kurze Episode. Sie begann vor etwa 100 Jahren in den USA, kam zunächst nach Europa und ist mittlerweile weltweit verbreitet.

Das industrielle Zeitalter zeichnet sich durch zunehmende Technisierung, Mechanisierung und vor allem Effizienzssteigerung von Produktionsabläufen aus, wofür das Fließband ein Paradebeispiel ist.

Verbunden mit einer Fülle technischer Innovationen wurde es möglich, Gebrauchs- und Verbrauchsgüter in Massenproduktion herzustellen und den Menschen zu vergleichsweisen günstigen Preisen zur Verfügung zu stellen. Dies schafft auf der einen Seite Wohlstand, macht aber den heutigen Konsumwahn mit all seinen Übertreibungen, Perversionen und seinem gigantischen Ressourcenverbrauch erst möglich. Was zu Beginn der industriellen Revolution noch fehlte, war die Versorgung der vielen Menschen in den größer werdenden Städten mit reichlich Fleisch, Milchprodukten und Eiern.

Erstaunlicherweise herrschte auch auf dem Land vielfach Mangelernährung und Hunger. Tierische Erzeugnisse in ausreichender Menge verfügbar zu haben, entspricht seit dem beginnenden 20. Jahrhundert den Vorstellungen von Wohlstand. Landwirtschaftliche Nutztiere in industriellen Systemen zu halten, schien die Lösung zu sein.

Heute füllen sich die Kühltheken der Läden und Supermärkte mit einer schier unüberschaubaren Vielfalt an tierischen Produkten, und dies weitgehend zu Preisen, die auch für Bevölkerungsschichten mit geringem Einkommen erschwinglich sind.

Töten am Fließband. (ANINOVA e.V.)

Ein Traum wurde wahr, so scheint es. Nun, so paradiesisch wie es auf den ersten Blick scheint, ist die Situation nicht. Vor allem die Tiere zahlen mit viel Leid und Schmerz den Preis für »billig«. In der »Massentierhaltung« sind nicht nur extreme Einzelfälle problematisch, sondern das System an sich ist problematisch und hat zu teilweise katastrophalen Zuständen geführt.

Glücklicherweise gibt es eine wachsende Zahl von Verbraucher:innen, die sich für die Produktionsprozesse von Fleisch- und Milchprodukten interessieren beziehungsweise diese kritisieren, was dazu führt, dass sie mit ihrem Konsum unter anderem kein Tierleid verursachen wollen.

Diese bei vielen Abscheu und Ekel hervorrufenden Verhältnisse motivieren immer mehr Menschen, solche Produkte nicht mehr zu essen, was sich in der dynamischen Entwicklung der vegetarischen und veganen Bewegung zeigt.

Wer hat da noch Lust auf dieses Putenfleisch? (ANINOVA e.V.)

Auch in der Politik und im Lebensmittelhandel ist Bewegung zu erkennen. Händler:innen blicken kritischer auf die Herkunft der tierischen Produkte in ihren Auslagen und stellen im Hinblick auf das Tierwohl zunehmend höhere Anforderungen an die Produzent:innen und listen zunehmend sogar aus. So finden sich praktisch keine Käfig-Eier als Verzehreier mehr im Sortiment. Sie kommen allerdings noch in verarbeiteten Lebensmitteln quasi versteckt in großem Umfang zum Einsatz.

Aber neben dem Leid der Tiere gibt es noch andere gewichtige Gründe, die zwingend erforderlich machen, dass die industrielle Tierhaltung engagiert und schnell beendet wird. Denn mit der Massenproduktion von Fleisch und anderen tierischen Erzeugnissen wurden auch massenhaft Probleme in den Bereichen Klima sowie Wasser- und Bodenverunreinigung produziert, die es so vorher nicht gab. Dazu kommen Gefahren für die menschliche Gesundheit und ein massiver Rückgang der Artenvielfalt.

Die industrielle Tierhaltung begann zuerst in den Köpfen, als industrielle Logik und radikales Effizienzdenken zum Maßstab wurden und dies nicht nur die Tierhaltung, sondern auch Züchtung, Ernährung, Transport und Schlachtung revolutionär veränderte. Auf die Bedürfnisse der Tiere wurde und wird dabei wenig bis keine Rücksicht genommen.

Dies zeigt sich besonders extrem beim Thema Tiertransporte. Mit jährlich 1,6 Milliarden lebend exportierter Tiere ist die EU beschämenderweise Weltmeister. Zusammengepfercht auf kleinstem Raum werden Schweine, Geflügel, Rinder/Kälber, Lämmer und andere Nutztiere per LKW, Schiff, Bahn oder gar Flugzeug zu ihrer Mast oder Schlachtung transportiert.

Puten beim Transport zum Schlachten, noch enger eingepfercht. (ANINOVA e.V.)

Oft werden die Tiere geprügelt und viele sind krank oder kurz vor dem Verdursten und Verhungern, wenn sie am Zielort ankommen. Die Misshandlungen oder auch Havarien führen nicht selten zu einem qualvollen Tod auf dem Transport.

Das Tierleid entsteht vor allem dadurch, dass Tiere wie Gegenstände oder Maschinen angesehen und entsprechend behandelt respektive misshandelt werden. Tiere sind aber komplexe Lebewesen, die Emotionen haben und auch leidensfähig sind. Sie kennen ebenso wie wir Menschen Wut, Angst, Trauer, Verzweiflung und vor allem auch Schmerz.

Der soziopathische Faktor

Tiere in industriellen Produktionsverfahren zu halten oder zu produzieren erfordert ein hohes Maß an Empathielosigkeit. Man muss sich dafür ganz mit der industriellen Logik identifizieren und auch in sich alles unterdrücken, was Mitgefühl mit der leidenden Kreatur haben kann. Erst dann erscheint das Tier als der bloße Gegenstand, der unbegrenzt benutzt, ausgenutzt, misshandelt, verstümmelt, verbraucht und weggeworfen werden kann und darf. Das Schreddern oder Vergasen von männlichen Küken ist hierfür wohl das bekannteste Beispiel. Immer mehr Menschen sind fassungslos angesichts der Grausamkeiten, die den Tieren in der industriellen Tierhaltung angetan werden. Sie können nicht nachvollziehen, wie und warum dieses System überhaupt jemals legalisiert wurde und warum es Menschen gibt, die diese Art im Umgang mit Tieren normal oder zumindst unvermeidlich finden. Das System der industriellen Tierhaltung kann man als krank bezeichnen, denn tatsächlich gibt es in der Pathologie Beschreibungen von Krankheitsbildern, die dabei helfen können, zumindest einen Teil der Erklärung für das Phänomen der »akzeptierten« industriellen Tierhaltung zu liefern. Wenn die Empathielosigkeit bei Menschen über ein gesundes Maß hinausgeht, spricht man von einer soziopathischen Persönlichkeitsstörung. Veronika Settele hat in ihrem hervorragend recherchierten Buch »Deutsche Fleischarbeit« einige Beispiele zusammengetragen, die den soziopathischen Charakter der industriellen Tierhaltung nahelegen. Wir greifen jeweils ein Beispiel hierzu aus der Bundesrepublik Deutschland und eines aus der ehemaligen DDR auf. Wenngleich beide Beispiele etliche Zeit zurückliegen, sind sie symptomatisch und nach wie vor aktuell, wobei so engagierter Widerstand gegen die industrielle Tierhaltung vonseiten der Landwirtschaft kaum noch zu verzeichnen ist. »Widerstand« heute heißt zum Glück für immer mehr Bäuer:innen Umstellung auf biologischen Landbau.

Im Frühjahr 1973 schrieb Franz Schorefes, Rinderhalter bei Nürnberg, an das Bayerische Landwirtschaftliche Wochenblatt: »Wir nennen uns stolz ›die Krone der Schöpfung‹ und trotzdem ist keine Grausamkeit so groß, als dass der Mensch sie nicht erfinden würde«. Worauf bezog sich die Empörung des Nürnberger Rinderhalters? Anfang Februar 1973 wurde in einem Artikel eine neue Produktionstechnik in der Rinderhaltung, die sogenannte Färsenvornutzung, vorgestellt. Dieses neue, von Professor J. Kurt Hinrichsen entwickelte Verfahren, sollte eine technische Lösung für das aktuelle Problem bringen, dass es zu viel Milch und zu wenig Rindfleisch gab. Bei diesem Verfahren wird die Kuh, einige Tage bevor sie ihr Kalb auf natürliche Weise zur Welt bringen kann, geschlachtet. Die Geburt geschieht, indem von einem erfahrenen Metzger zusammen mit einigen Gehilfen der sterbenden Kuh durch gut gesetzte Schnitte innerhalb von 60 Sekunden das lebende Kalb herausgeschnitten wird. Es wurde bei der Vorstellung des Verfahrens angemerkt, dass das so geborene Kalb zwar in der ersten Zeit einiger Fürsorge bedarf, das Verfahren sich aber nicht negativ auf die Fleischqualität auswirkt. Offenbar war das Verfahren also schon zu Forschungszwecken durchgeführt und getestet worden.

»Viele Berufskolleginnen und -kollegen teilten die Empörung von Franz Schorefes und reagierten mit einer Mischung aus Irritation und wütender Ablehnung. Sie fanden ›mehr als abstoßend‹, wie hier ›bloß an den Geldbeutel‹ gedacht wurde. Obwohl sie alle ›selbstverständlich‹ einen möglichst hohen Gewinn aus ihrer Arbeit erzielen wollten, war hier eine Grenze überschritten worden.«2 Auf der einen Seite also die empörten Rinderhalter, auf der anderen Seite der studierte Herr Professor Hinrichsen, der offensichtlich nicht verstand, worüber sich die Leute aufregen. Hatte er nicht alles richtig gemacht? Hatte er nicht im Hinblick auf ein aktuelles Problem eine technische Lösung entwickelt, die gut funktionierte, und letztlich nur das getan, was seine Aufgabe ist? Ein anderer Fall, an dem sich Empathielosigkeit gegenüber Tieren in Extremform zeigte, trug sich in der ehemaligen DDR zu. »Seit Anfang der 1970er Jahre fand die Rindermast in Ferdinandshof in drei Einheiten mit insgesamt 21 000 Plätzen statt. 17 000 Kälber wurden jedes Jahr angeliefert. (…) Für vier Wochen waren sie dort ›in Einzelständen angekettet und kontaktarm auf Vollspaltenboden gehalten. Zwei Arbeitskräfte pro Sechs-Stunden-Schicht betreuten 840 jungen Tiere im fensterlosen Stall, dessen Beleuchtung nur während der Stallarbeiten eingeschaltet wurde‹.«

Diese Tierquälerei haben die Arbeiter emotional nicht ausgehalten, weshalb es zu Verweigerungen kam, die Wellen bis zum XI. Bauernkongress der DDR schlugen. Dort berichtete der Leiter der Zwischenbetrieblichen Einrichtung (ZBE) Jungrinderaufzucht Fritz Krantz, über ›ideologische Probleme‹ in seinem Team. »Die ›alten Auffassungen‹ der Menschen passten nicht zu den neuen Ställen. Kranz’ Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weigerten sich, in ein derartiges ›Zuchthaus‹ Kälber ›einzusperren‹. ›Alte, eingefahrene Gleise‹ hätten die Neuorganisation der Rinderhaltung ›nicht gerade bequem gemacht‹.«3 Interessant ist hier, wie der Widerstand der Mitarbeiter von dem leitenden Angestellten Fritz Kranz aufgefasst wurde. Für ihn waren es »ideologische Probleme«, »Alte, eingefahrene Gleise«, die der Neuorganisation der Rinderhaltung im Weg standen. Von »alten Auffassungen« sprach er. Der moderne Weg in die Zukunft lag für ihn offenbar in der Anwendung einer stringenten erbarmungslosen industriellen Logik gegenüber den Tieren. Wie auch der Herr Professor Kurt Hinrichsen hatte er jegliche Empathiefähigkeit gegenüber der leidenden Kreatur verloren oder sie angesichts seiner Position und der damit einhergehenden Vorgaben und Pflichten vollständig verdrängt.

Unsere Kritik richtet sich hierbei ausdrücklich nicht gegen Bäuerinnen und Bauern, die unserer Ansicht nach in der Regel Opfer des Systems geworden sind und durch einen enormen ökonomischen und politischen Druck im Laufe der Jahrzehnte immer mehr in diese Denk- und Handlungsweisen hineingezwungen wurden.

Da diesem System ganz offensichtlich eine krankhafte Empathielosigkeit zugrunde liegt, ist auch nicht verwunderlich, dass es sich krank machend auf die betroffenen Tiere, die menschliche Gesundheit und die Gesundheit des Ökosystems auswirkt. Aber sobald dieses System als krank erkannt wird, stellt sich die Frage, welcher Umgang mit Tieren denn gesund wäre. Und dann findet man schnell zu ganz anderen Umgangsformen, zum Beispiel zu solchen, die als Beispiele bester Praxis in diesem Buch beschrieben werden.

Irrweg und Versagen der Politik und des Staates

Die Transformation von kleinteiligen bäuerlichen Strukturen hin zu Massenproduktion im industriellen Maßstab wurde von Regierungen weltweit leider bis heute nicht nur gefordert, sondern gefördert. Die heutigen Verhältnisse sind vor allem auch ein Produkt staatlicher Lenkung. Mit »Zuckerbrot und Peitsche« wurden und werden noch immer unzählige bäuerliche Betriebe oft in der Folge von Industrialisierung in Existenznöte oder in den Ruin getrieben. Inzwischen stehen nicht nur kleinere Höfe vor der Betriebsaufgabe , weil sie bei den ökonomischen Rahmenbedingungen keinen anderen Weg sehen, als aufzuhören.

Die Geschichte der Industrialisierung der Tierhaltung ist zugleich die Geschichte eines massenhaften, von staatlicher Seite gewollten Höfesterbens zugunsten größerer und, wie es heißt, »effizienterer und produktiverer« Strukturen. »Wachse oder weiche« wurde für Jahrzehnte zum leitenden Prinzip der Landwirtschaftspolitik. Auch wenn das Prinzip zunehmend infrage gestellt wird, ist das massive Höfesterben nach wie vor Realität und heute vor allem in der Schweine- und Milchviehhaltung alarmierend.

Auswirkungen auf Klima und Artenvielfalt

Riesige Flächen des Regenwaldes im Amazonasgebiet wurden gerodet, um Weideflächen für Rinder zu schaffen oder Soja anzubauen.

Lediglich sechs Prozent des weltweit angebauten Sojas dienen direkt der Ernährung von Menschen. Der Rest wird hauptsächlich nach China, Nordamerika und Europa verschifft und landet sozusagen als Treibstoff der industriellen Tierhaltung in den Futtertrögen von Rindern, Schweinen und Hühnern. Unsere Nutztiere, und damit indirekt wir, fressen buchstäblich den Regenwald auf. Sigmar Gabriel brachte es 2008 als Bundesumweltminister auf den Punkt: »Die Profiteure der Regenwaldabholzung sind weit mehr die deutschen Bauern als die brasilianischen Landwirte.«4 Prinz Felix zu Löwenstein nannte die Katastrophe kurz und zutreffend: »Schnitzel für Urwald.« Wenn die Wunden, die Menschen in den Regenwald reißen, zu groß werden, folgt zwangsläufig der ökologische Kollaps. Klimaexpert:innen am Institute for Advanced Studies der Universität von Sao Paulo befürchten, dass die zunehmende Abholzung den Feuchtigkeitszyklus so verändern könnte, dass große Teile des Amazonasgebiets zu einer dauerhaft trockenen Waldsavanne werden. Sie gehen davon aus, dass der Kipppunkt schon erreicht wird, wenn 20 bis 25 Prozent des Regenwaldes abgeholzt werden. Nach Angaben der brasilianischen Regierung liegt die Abholzung der Wälder bereits bei über 17 Prozent.5 Wenn dieser Kipppunkt erreicht wird, werden wir wegen der vielen Wurst und unzähliger Schnitzel und Chickenwings die jetzt schon fatale Klimakatastrophe nochmals verschärfen und für die angeblich so «billige» Massenware letztlich einen extrem hohen Preis zahlen.

Brandrodung des Regenwaldes in Juara, Mato Grosso, Brasilien. (Christian Braga / Greenpeace)

Die Albert Schweizer Stiftung weist darauf hin, dass laut Angaben der UNO (FAO) die industrielle Tierhaltung für 14,5 Prozent der durch Menschen verursachten Treibhausgase verantwortlich ist.6 Dieser signifikant hohe Anteil zeigt an, wo ein großes Potenzial zur Emissionsreduktion von Treibhausgasen liegt. Wenn in Deutschland (sehr viel) weniger tierische Produkte konsumiert werden und keine Fleischprodukte mehr exportiert würden, kann der Viehbestand deutlich reduziert werden. Auch hier gilt es, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und die Zukunft der Tierhaltung radikal neu zu denken.

Diese Zukunft kann aber nicht darin liegen, die bäuerlichen Betriebe, die man jahrzehntelang in die falsche Richtung beraten und subventioniert hat, nun in den Konkurs zu treiben, sondern wir müssen ihnen tragfähige Zukunftsaussichten bieten, indem wir sie bei der Transformation in Richtung Nachhaltigkeit unterstützen und dies nicht nur finanziell, sondern auch durch Beratung und neue Kooperationsformen.