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Geschichten für neugierige Esser: Wenn das Gemüse auf dem Teller langweilt, nützen Nährwertangaben und Vitaminlisten wenig. Wie wäre es stattdessen mit ein paar Anekdoten aus dem Gemüsebeet? Was macht Brokkoli privat? Warum hat die Kartoffel Druckstellen? Sind Schneckenspuren wirklich eklig? Und warum darf man im Gemüseladen nicht den Finger in die Pflaumen bohren? Die „Obst- und Gemüsegeschichten“ sind zehn kurze Texte für Kinder im Märchenalter, die bewusst keine Sachgeschichten sind. Sie sollen phantasievolle Antworten geben, die zum weiteren Nachfragen anregen.
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Seitenzahl: 36
Veröffentlichungsjahr: 2015
Schneckentausch
Der gelbe Matrosenfreund
Warum haben Melonen Streifen?
Der vergessliche Eckhard
Ein Teller für Preiselbeere Paula
Kartoffel Fred will Sterne sehen
Olympische Spiele im Pflaumenbaum
Der Schönheitswettbewerb
Weihnachten bei Großfamilie Brokkoli
Ungleiche Zwillinge
Es gab vor gar nicht allzu langer Zeit einen Kopfsalat, der sehr einsam war. Als Setzling hatte er neben dem Scheunentor gelegen, wo immer etwas los gewesen war. Doch seit einigen Wochen saß er nun saftig und grün auf dem Feld, blinzelte in die Frühlingssonne und wusste nichts mit sich anzufangen. So weit das Auge reichte: nichts als Kopfsalat - noch dazu eine schweigsame Sorte.
Der Salat vertrieb sich die Zeit damit, die Bäume um sich herum zu zählen. Und weil er keinen besonders guten Orientierungssinn besaß, konnte er sich nie merken, auf welcher Seite er mit dem Zählen begonnen hatte, so dass er zwei Wochen lang zählte. Unweit des zählenden Salates gab es noch einen anderen Salat mit Problem: Unter seiner dritten Blätterschicht von außen wohnte eine Schnecke, die den ganzen Tag quasselte.
„Als der Regen kam, musste ich mich unterstellen, und das war gar nicht einfach, weißt du? Denn Schnecken haben bekanntlich nur einen Fuß, der zum Stehen ganz gut, zum Laufen aber mangelhaft ist. Und so musste ich mich sehr beeilen, ohne dabei ernstlich voranzukommen, und der Regen, er trommelte, und trommelte.“ So und noch viel mehr erzählte sie.
„Das ist mir egal. Ich möchte schlafen“, entgegnete der Salat, doch die Schnecke redete einfach weiter. So ging das einige Tage lang, bis der Salat vor Erschöpfung ganz schlaffe Blätter bekam. Schließlich war er so übermüdet, dass er die Schnecke nicht mehr hörte und in einen unruhigen Schlaf fiel.
Er wurde davon geweckt, dass die Schnecke mit ihrem Haus schaukelte und an seinen Blättern schabte. „Wach auf! Ich muss dir unbedingt die Geschichte von den Nacktschnecken erzählen“, rief sie aufgeregt. Der Salatkopf hätte sich gern die Ohren zugehalten. Weil seine Arme aber damit beschäftigt waren, Wasser und Nahrung aus der Erde zu saugen, musste er sich wehrlos anhören, warum Nacktschnecken keine Häuser haben. Der Salat fürchtete schon, dass er seinen schwatzhaften Mitbewohner nie mehr loswerden würde, als es eines Morgens stark zu regnen begann.
Die Tropfen prasselten auf den Boden und füllten jede Vertiefung mit Wasser. Am Abend war der Boden bereits so aufgeweicht, dass sich die Wurzeln der Salatköpfe in der Erde zu lockern begannen. Im Morgengrauen stand das gesamte Feld unter Wasser und die Salate trieben wie grüne Boote darauf umher.
Als die Bauern merkten, was passiert war, schöpften sie eilig das Wasser aus den Senken und Löchern. Sie gruben Kanäle, um das Regenwasser abfließen zu lassen und sammelten die wild verstreuten Salate wieder ein. Sorgfältig reihten sie einen neben den anderen und hofften, dass sie wieder festwachsen würden.
Als der gelangweilte Salat wieder zu sich kam, bemerkte er, dass er neue Nachbarn bekommen hatte. Ob nun vielleicht endlich einmal etwas passierte? Er hatte den Gedanken kaum zuende gedacht, als es neben ihm zu rascheln anfing. Kurz darauf hörte er seinen neuen Nachbarn stöhnen, ehe eine leise Stimme zu sprechen begann. „Wen hast du da zu Besuch?“, wollte der gelangweilte Salat wissen.
„Eine Schnecke“, jammerte sein Nachbar, „sie treibt mich in den Wahnsinn, weil sie direkt neben meinem Ohr sitzt und unaufhörlich redet. Ich weiß schon alles über Schnecken, und jetzt fängt sie an, von einem König zu erzählen, bei dem sie mal kurz auf dem Teller saß, bevor sie aus dem Fenster geworfen wurde.“
Der gelangweilte Salat wurde hellhörig: „Das ist ja toll! Ich beneide dich so. Ich werde verrückt vor Langeweile und habe die Bäume am Waldrand schon mindestens hundertmal gezählt.“
Die beiden Salate schauten einander an. „Und wenn wir einfach tauschen?“, schlug der gelangweilte Salat vor. „Liebend gern“, antwortete der müde Salat und wandte sich an die Schnecke, die von alldem nichts mitbekommen hatte. Sie war viel zu sehr mit ihrer eigenen Geschichte beschäftigt gewesen. „Hey, du, Nervensäge! Ich habe einen Freund, der sich für deine Geschichten interessiert. Er wohnt links neben mir. Würde es dir etwas ausmachen, dich durch meine linke Seite zu fressen und bei ihm einzuziehen?“ Die Schnecke überlegte, aber nur kurz. Denn sie hatte vom vielen Reden immer Hunger und erzählte ihre Geschichten zudem gerne zweimal.