Ohne jede Schuld / Vor aller Augen - Molly Katz - E-Book

Ohne jede Schuld / Vor aller Augen E-Book

Molly Katz

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Beschreibung

Ohne jede Schuld: Spannung mit Gänsehautgarantie - der rasante Psychothriller von Bestsellerautorin Molly Katz! Die Nerven der Anwältin Angela Diamond liegen blank: Nicht nur, dass ihr gewalttätiger Ex-Mann mit allen Tricks versucht, das Sorgerecht für die 10-jährige Tochter Nina zu bekommen. Nun soll Angela auch noch die Verteidigung ihres Schwagers Sean Fell übernehmen, der verdächtigt wird, einen Mord begangen zu haben. Nach langem Zögern willigt sie ein. Sie weiß zwar, dass er unschuldig ist. Aber sie weiß auch, dass sie nicht die richtige Strafverteidigerin in diesem Fall ist. Denn sie selbst ist tief in den Mordfall verstrickt ... Vor aller Augen: Ein brillanter, hochgradig spannender Psychothriller um eine mutige Frau, die mit aller Macht für die Wahrheit hinter dem trügerischen Schein kämpft! Sie wollte Gerechtigkeit – und wurde zur Gejagten. Als Ellen Stewarts kleiner Sohn bei einem Verkehrsunfall getötet wird, kann sie den flüchtigen Fahrer identifizieren: Es ist der beliebte und angesehene Polizist Peter Pallas, der die Tat jedoch leugnet. Als Ellen ihn öffentlich beschuldigt, löst sie damit eine Hexenjagd gegen sich aus, bei der sie alles zu verlieren droht – ihre Familie, ihre Freunde, ihren Beruf und beinahe auch ihr Leben.

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Ohne jede Schuld:

Spannung mit Gänsehautgarantie - der rasante Psychothriller von Bestsellerautorin Molly Katz!

Die Nerven der Anwältin Angela Diamond liegen blank: Nicht nur, dass ihr gewalttätiger Ex-Mann mit allen Tricks versucht, das Sorgerecht für die 10-jährige Tochter Nina zu bekommen. Nun soll Angela auch noch die Verteidigung ihres Schwagers Sean Fell übernehmen, der verdächtigt wird, einen Mord begangen zu haben. Nach langem Zögern willigt sie ein. Sie weiß zwar, dass er unschuldig ist. Aber sie weiß auch, dass sie nicht die richtige Strafverteidigerin in diesem Fall ist. Denn sie selbst ist tief in den Mordfall verstrickt ...

Vor aller Augen:

Ein brillanter, hochgradig spannender Psychothriller um eine mutige Frau, die mit aller Macht für die Wahrheit hinter dem trügerischen Schein kämpft!

Sie wollte Gerechtigkeit – und wurde zur Gejagten. Als Ellen Stewarts kleiner Sohn bei einem Verkehrsunfall getötet wird, kann sie den flüchtigen Fahrer identifizieren: Es ist der beliebte und angesehene Polizist Peter Pallas, der die Tat jedoch leugnet. Als Ellen ihn öffentlich beschuldigt, löst sie damit eine Hexenjagd gegen sich aus, bei der sie alles zu verlieren droht – ihre Familie, ihre Freunde, ihren Beruf und beinahe auch ihr Leben. 

Edel Elements Ein Verlag der Edel Germany GmbH

Copyright dieser Ausgabe © 2015 by Edel Germany GmbH Neumühlen 17, 22763 Hamburg

Ohne jede Schuld:

Copyright © 2003 by Molly Katz

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2003 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel "Presumed Guilty"

Ins Deutsche übertragen von Leo H. Strohm

Vor aller Augen:

Copyright © 1999 by Molly Katz

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2000 by Blanvalet, Verlagsgruppe Random House GmbH.

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel "No One Saw Anything"

Ins Deutsche übertragen von Eva L. Wahser

Covergestaltung 

Konzept-Design: Agentur bürosüd°, München

Entwurf: Guter Punkt

Konvertierung: Datagrafix

Spannung mit Gänsehautgarantie - der rasante Psychothriller von Bestsellerautorin Molly Katz!
Die Nerven der Anwältin Angela Diamond liegen blank: Nicht nur, dass ihr gewalttätiger Ex-Mann mit allen Tricks versucht, das Sorgerecht für die 10-jährige Tochter Nina zu bekommen. Nun soll Angela auch noch die Verteidigung ihres Schwagers Sean Fell übernehmen, der verdächtigt wird, einen Mord begangen zu haben. Nach langem Zögern willigt sie ein. Sie weiß zwar, dass er unschuldig ist. Aber sie weiß auch, dass sie nicht die richtige Strafverteidigerin in diesem Fall ist. Denn sie selbst ist tief in den Mordfall verstrickt ..."Hochspannung bis zur letzten Seite!" (Norddeutscher Rundfunk)
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel “Presumed Guilty” Edel Elements Ein Verlag der Edel Germany GmbH
© 2015 Edel Germany GmbH Neumühlen 17, 22763 Hamburg
www.edel.com
Copyright © 2003 by Molly Katz
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2003 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Ins Deutsche übertragen von Leo H. Strohm
Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München
Konvertierung: Jouve
Inhaltsverzeichnis
KurzbeschreibungTiteleiImpressumProlog12345678910111213141516171819202122232425262728293031323334353637383940414243444546474849
Prolog
Samstag, 20. Januar 2001
0.05 Uhr
In Harrison im Bundesstaat New York fällt ein schwarzer Jaguar nicht weiter auf, auch nicht mitten in der Nacht, es sei denn, er fährt zu schnell.
Die Gestalt am Steuer dieses Wagens achtete sehr sorgfältig darauf, nicht zu schnell zu fahren oder sonst irgendetwas zu tun, was Aufmerksamkeit erregen könnte.
Der Wagen schnurrte die Anderson Hill Road entlang. Ab und zu erfassten seine Scheinwerfer die Augen eines Rehs. Der harte Winter hatte die Tiere so hungrig gemacht, dass sie ihre übliche Vorsicht vergaßen und sich weiter als sonst aus ihren Schlupfwinkeln wagten. Der Wagen verlangsamte seine Fahrt, um nicht mit einem der Tiere zu kollidieren.
Dann tauchten in der Dunkelheit die verfallenen Steinsäulen auf, die etwa zwanzig Meter vor der versteckt gelegenen, alten Zufahrtsstraße standen. Der Wagen blieb fast stehen und bog dann langsam in die Einfahrt ein. Schaukelnd gelangte der Jaguar über den rissigen, von Schlaglöchern übersäten Asphalt zu seinem Versteck.
Die Scheinwerfer schreckten drei Ricken auf, die an einem fast schon kahlen Nadelbaum nagten. Die Gestalt stieg aus und hörte, wie sich die aufgeschreckten Tiere entfernten. Gleichzeitig fuhr ihr die Angst wie ein Blitz in die Eingeweide.
Es dauerte eine Weile, bis dieser lange Augenblick der Lähmung überwunden war.
Hier zu erstarren wäre eine Katastrophe. Aufzuhören war ausgeschlossen.
7.50 Uhr
Sean Fell starrte die Tasten des beigefarbenen Telefons auf dem Schreibtisch seiner Eltern an, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Es hätten auch Scrabble- oder Dominosteine sein können. Der Hörer, der jahrelang gute und schlechte Nachrichten überbracht hatte, fing an zu flimmern, als Sean näher trat und versuchte, sich an die vertraute Zahlenkombination zu erinnern, mit der seine Schwägerin Angela zu erreichen war.
Ich stand in der Tür zum Zimmer meiner Tochter. Es gibt nichts auf der Welt, was stiller ist als die Ruhe eines schlafenden Kindes.
Ich betrachtete Ninas Gesicht und das kleine Kinn, das unter einer Ecke ihrer zerknitterten Kinderbettdecke versteckt war. Jedes Mal, wenn meine Tochter einatmete, hob sich die Decke ein wenig. Vollkommen entspannt, wie ein Kätzchen, lag sie da und reiste durch das Land der Träume. Ich heiße Angela Diamond. Meinen Mädchennamen habe ich auch nach meiner Heirat mit Barry behalten… vermutlich aus einer Art professioneller Hybris heraus. Ich wollte eben die Rechtsanwältin sein und nicht Frau Doktor. Zumindest habe ich gedacht, dass das der Grund sei. Aber mein Unterbewusstsein hatte meinen Ehemann wohl schon damals etwas genauer betrachtet und gewusst, was geschehen würde.
Bevor ich Barry verlassen habe, hatte Nina eine eigene kleine Wohnung in unserem Vierzehnzimmerhaus in Rye. Der Schrank in ihrem leuchtend rot gestrichenen Badezimmer reichte vom Fußboden bis zur Decke und war voller Badezimmer-Spielsachen, unter anderem ein Feuerwehrauto, das mit Wasser spritzen konnte. Nina war richtiggehend vernarrt in Feuerwehrautos. In ihrem an das Badezimmer angrenzenden Spielzimmer hatte sie noch eines gehabt. Es war so groß wie ein VW-Käfer, hatte einen Fahrersitz und ein richtiges Lenkrad, und auf dem Rücksitz saß ein Dalmatinerhund.
Nina konnte Stunden in diesem Feuerwehrauto zubringen. Wenn sie keine Lust mehr hatte, am Lenkrad zu drehen und die Sirene heulen zu lassen, dann kauerte sie sich tief in den Sitz und fing an zu lesen.
An der Rückseite des Hauses, gleich links neben der Terrasse, hatte ich auf einem sonnigen Fleckchen einen Gemüsegarten angelegt. Wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, dann verbrachten Nina und ich eine Stunde zwischen den warmen Pflanzen, bekämpften die Blattläuse, jäteten Unkraut und ärgerten uns über die räuberischen Kaninchen und Rehe, die wieder einmal durch den Zaun gebrochen waren. Wir überprüften unsere Schneckenfallen, von denen einige tatsächlich etwas nützten – so zum Beispiel die gefüllten Biergläser, die wir in der Erde vergruben. Schnecken lieben Bier, so sehr, dass sie schließlich in unsere Gläser geplumpst sind. Diese »Schneckencocktails« – so hat Nina sie genannt – mussten wir tagtäglich ausschütten. Ihren Sinn für einen eher derben Humor hat sie von mir geerbt, und so haben wir angefangen, Schneckenwitze zu sammeln, die wir uns kichernd gegenseitig erzählten.
Früher hatte ich das Kichern nicht erzwingen müssen.
Aber jetzt wohnten Nina und ich in einem kleinen gemieteten Häuschen mit zwei Schlafzimmern. Es stand in der Clay Street in Rye, in einer Gegend, die Barrys Mutter einmal eine »Wohnwagensiedlung« genannt hatte. Die Ecksteine der Stufen an der Eingangstreppe sind ausgebrochen, und das Weiß der Außenfassade ist mittlerweile sehr viel gebrochener als bei seiner Entstehung vor zwanzig Jahren. Die auflandigen Winde haben Ruß in die Risse der Fensterläden und der Bretter aus Holzimitat getrieben.
Für die große Feuerwehr war hier kein Platz. Sie stand immer noch bei Barry.
Die Hoffnung auf einen Garten hatte Nina noch nicht aufgegeben.
Aber das Häuschen gehörte mir, und seine wenigen Zimmer hielten keine verborgenen Überraschungen für mich bereit – keine Wutanfälle, keine absurden Forderungen, keine verbalen Tätlichkeiten.
Vorsichtig machte ich ihre Tür zu und ging wieder in die Küche. Ich knipste das Licht an, um dem smoggedämpften Tageslicht etwas nachzuhelfen, kniff die Augen zusammen und knipste es wieder aus. Dann stützte ich mich auf die Arbeitsplatte neben der Spüle und schaute zum Fenster hinaus.
Auf der Straße herrschte eine friedliche Samstagmorgenstimmung. Vereinzelt waren in den Vorhöfen, am Straßenrand und unter den Schaukeln der Nachbarn vereiste Stellen zu sehen.
Der Umzug war für Nina zwar eine große Umstellung gewesen, aber eigentlich war ich froh, dass sie hier spielen konnte und nicht auf die verwöhnten, von Kindermädchen umsorgten Bälger aus unserer ehemaligen Gegend angewiesen war. Meine Schwester Sarah hatte denselben Gedanken gehabt. Auch sie hatte befürchtet, dass die Kinder, die sie noch bekommen wollte, unter einer überprivilegierten Umgebung Schaden nehmen könnten.
Aber jetzt war Sarah an Krebs gestorben, und Kinder würden keine mehr kommen.
Ich machte die Spülmaschine auf und fing an, die gespülten Sachen in die Schränke zu räumen, möglichst ohne etwas zu zerbrechen oder fallen zu lassen. Das war meine Spezialität, und Sarah hatte sich über meine bunte Mischung aus unterschiedlichsten Gläsern jedes Mal köstlich amüsiert.
Das Telefon klingelte.
»Ange?«
Die gepresste Stimme am anderen Ende der Leitung gehörte Sean. Unter Qualen hatte er diese einzelne Silbe ausgestoßen, und sie traf mich wie ein Schlag.
»Ange! Jim ist tot! Mein Bruder ist tot!«
Ich hörte sein durchdringendes Schluchzen, klammerte mich daran, keuchte, hielt den Atem an.
»Was … was ist passiert?«, stieß ich erstickt hervor.
Sean versuchte zu sprechen, gab auf, versuchte es noch einmal. »Sie glauben … sie glauben, dass es um den Jaguar gegangen ist. Der Wagen ist verschwunden. Jim … man … man hat ihn draußen gefunden, an seinem Parkplatz. Dad hat ihn gefunden. Er …«
Erneut erfüllte sein Schluchzen mein Ohr, drang mir in die Seele. Wie oft hatten Sean und ich während der vergangenen Monate, während Sarahs langsamen Sterbens und danach, schon miteinander am Telefon geweint? Meine Schwester, seine Frau…
Sean hatte seine Stimme wiedergefunden. »Sie sagen, dass er irgendwann nach der Party niedergeschlagen worden ist.«
Gott. O Gott. »Bist du bei deinen Eltern?«
»Ja. Mom und Dad sind… sind… kannst du rüberkommen?«
»Natürlich«, sagte ich heiser.

1

Sonntag, 21. bis Montag, 22. Januar 2001
Detective Red Straker hatte Hunger. Noch kein Frühstück, nur einen schnellen Schluck zu süßen Kaffee, den ihm einer der Uniformierten irgendwann gegen Sonnenaufgang angeboten hatte. Er hatte sich eigentlich schon seit Stunden selbst noch einen besorgen wollen, war aber immer wieder davon abgehalten worden.
Jetzt musste er mit der Dienstbesprechung beginnen, obwohl er zu diesem sechsunddreißig Stunden alten Mord nur verdammt wenig zu sagen hatte. Die anderen Detectives sowie ein paar höherrangige Streifenpolizisten saßen gespannt wartend um den Tisch im Konferenzraum der Polizeiwache in Rye.
Sein ganz persönlicher Eindruck war, dass es bei diesem Fall um etwas ganz anderes ging als um einen bei der Arbeit gestörten Autodieb. Aber von seinem Team, das aus sechs professionell und in der Mehrzahl von ihm selbst ausgebildeten Beamten bestand, konnte er nicht erwarten, dass sie seinem Gefühl vertrauten. Er musste sie über den aktuellen Stand der Ermittlungen informieren, ihre Vorschläge sammeln und daraus einen Aktionsplan für die nächsten Schritte formulieren.
Ohne Essen würde er überhaupt nichts zustande bekommen.
Red Straker stand auf. Er war größer als die anderen, aber spindeldürr, ohne das kleinste bisschen Fett auf den Rippen. Wenn seine Mutter Shirley noch leben würde, dann hätte sie ihn bekocht und ihn mit fetttriefenden Sandwiches versorgt – aber er hätte trotzdem nicht zugenommen.
»Ich weiß nicht, wie’s euch geht, aber ich brauche jetzt unbedingt was zwischen die Zähne«, sagte er.
Detective Mary Sable griff nach dem Telefonhörer. Sie war eins fünfundsiebzig groß, langbeinig und trug einen langen, blonden Pferdeschwanz.
»Ich bestelle, du bezahlst.«
»Heute ist Sonntag. Die Abteilung bezahlt.«
Sie ließ sich wieder auf ihrem Stuhl zurückfallen.
Red sagte: »Heißt das, du bestellst doch nichts?«
Sie lächelte und wies auf die uniformierte Polizistin, die neben ihr saß – braune Haare, blaue Augen und frisch manikürte Hände. »Cassidy bestellt. Stimmt’s, Denise?«
»Befehl ist Befehl«, sagte sie. »Wie wär’s mit Magermilchjogurt natur für alle?«
Während alle durcheinander schrien, nahm sie einen Stift und schrieb die Wünsche der einzelnen Teammitglieder auf. Als sie die Bestellung schließlich aufgegeben hatte, holte Red sein Notizbuch hervor.
»Wir fangen jetzt an und machen eine Pause, wenn das Essen kommt. Esst euch satt, wer weiß, wann wir das nächste Mal was kriegen.«
Kurz nach zwei Uhr setzte ein kalter Regen ein. Detective Sable betrachtete die nassen Scheiben an der einzigen Fensterfront des Raumes. Es sah ganz danach aus, als würde ihnen das Wetter den gesamten Fall verhageln. Erst gab es am Tatort weder Matsch noch Schnee und somit auch keine Spuren, und jetzt, zwei Tage später, musste die Suche bei diesem Sauwetter fortgesetzt werden. Nicht, dass es überhaupt noch etwas zu finden gab. Red hatte Recht, wie meistens. Sie mussten hinter die Menschen und die Beziehungen kommen, die mit diesem Mord zusammenhingen. Ein toter Ex-Polizist mit einigen schwarzen Flecken in der Vergangenheit… prominente Familie, der Vater Universitäts-Präsident… die seltsame Mitbewohnerin des Opfers … andere weibliche Wesen scheinen keine Rolle gespielt zu haben, weder in der Gegenwart noch in der Vergangenheit… keinerlei Hinweise auf homosexuelle Verstrickungen …
Mit eingeschlagenem Schädel auf dem Anwesen seiner Eltern bei der Harrison University aufgefunden, im Anschluss an eine Feier anlässlich ihres Hochzeitstages, die im Schwimmbad des Hauses stattgefunden hatte und mehr gekostet haben musste als ein vierjähriges Studium …
Red ließ seinen Blick über den Abfall auf dem Tisch gleiten – Einwickelpapier und Brotrinden, eine Hot-Dog-Tüte, seine leere Sprite-Dose.
Die Spuren in diesem Fall waren wie dieser Haufen Müll – ein Stückchen hiervon, eine Ecke davon. Die Familie des Verstorbenen, seine Arbeit, das Wohnverhältnis, die narbige Geschichte eines unsteten, zornigen Mannes.
Das alles mussten sie unter die Lupe nehmen.
Officer Elliot Duhart bemerkte Reds Gesichtsausdruck, dachte aber, er gelte dem Durcheinander, und machte sich daran, den Tisch abzuräumen und den Abfall wegzuwerfen. Er war der Jüngste in der Abteilung und achtete sehr darauf, welche Signale sein Chef aussandte. Die anderen Team-Mitglieder warteten schweigend ab, welches Vorgehen er ihnen vorschlagen würde.
Also gut, dachte Red, sie sollen ihre Aktion bekommen. Er griff nach seinem Notizbuch.
»Die Party-Besucher«, sagte er. »Wenn sich beim ersten Gespräch absolut kein Hinweis ergeben hat, dann streicht ihr die Person. Jede andere wird noch einmal vernommen, und zwar von einem anderen als beim ersten Mal. Gebt also die jeweiligen Namen weiter. Im Augenblick sind die Hauptverdächtigen weiterhin der Bruder des Opfers, Sean Fell, sowie die Eltern, die Mitbewohnerin, die Kollegen aus dem Restaurant, das Personal und die beiden Frauen, die während der Feier neben den Brüdern gesessen haben, also die Tante und die Schwägerin, diese Rechtsanwältin. Da ist noch jede Menge zu erledigen.«
Er blickte von seinen Notizen auf. Duhart wischte mit einem Papiertuch den Tisch sauber. Die anderen schrieben mit. So sollte es sein. Das war eines seiner zentralen Gebote: Alles aufschreiben. Das, was man im Kopf hat, wird oft genug verwischt, vermischt, vergessen.
»Elliot«, sagte Red, »in dem Tisch kann man sich schon spiegeln. Schnapp dir einen Stift. Sable bringt dich auf den Stand, sobald ich fertig bin.
Der persönliche Hintergrund des Opfers, damit lässt sich eine Menge machen. James Fell hatte insgesamt elf Jobs in vier verschiedenen Berufen, so viel haben wir zumindest bis jetzt ermittelt. Wenn wir erst mit den Familienmitgliedern und den Partygästen gesprochen haben, stoßen wir wahrscheinlich noch auf mehr. Deshalb gehe ich diesem Fall von vorne nach hinten vor. Okay, dann wollen wir mal die Leute einteilen …«
Detective Sable wollte zu »Citywide Olds«, einem Oldsmobile-Händler in Yonkers, aber sie hatte sich verfahren. Es war schon peinlich, wie oft ihr das passierte. Allerdings war der südliche Teil von Westchester auch enger und dichter besiedelt als die mittleren und nördlichen Teile des Verwaltungsbezirks – mehr Straßen, mehr Menschen, stockender Verkehr, schnellere Entscheidungen am Steuer.
Ausfahrt vier vom New York Thruway, das hatte ihr der Geschäftsführer von »Citywide Olds« mit Reibeisenstimme mitgeteilt. Allerdings gab es drei solcher Ausfahrten: Vier A, Vier B und Vier-Nord.
Sie entschied sich für Vier A und merkte sofort, dass ihre Entscheidung falsch gewesen war. Allerdings konnte sie jetzt nicht mehr zurück, sondern musste das Kleeblatt einmal umfahren, bevor sie einen neuen Versuch starten konnte. Sie hatte keinen Streifenwagen genommen, also behandelten die anderen Verkehrsteilnehmer sie genau so rücksichtslos wie alle anderen auch. Als sie am Ende der Auffahrt langsamer wurde, sah sie im Rückspiegel, wie ihr eine junge Frau in einem Chevrolet Geo den gestreckten Mittelfinger zeigte und mit den Lippen ein deutlich erkennbares »Arschloch« formte.
Schließlich war sie in der Gegenrichtung wieder auf dem Thruway. Hier gab es nur eine Ausfahrt Vier, und die erwies sich als die richtige. Vielleicht hatte der Geschäftsführer ja versehentlich gedacht, sie käme aus Richtung Norden.
Möglicherweise war er auch einfach nur ein Idiot.
Sie entdeckte den Autohändler auf der rechten Seite und zwang sich, langsamer zu fahren und tief durchzuatmen. Aggressivität war jetzt sicherlich nicht förderlich.
Sie stellte ihr Auto ab und betrat den Ausstellungsraum. Tief sog sie den Geruch nach frischem Leder und Wachs und einem Hauch von Abgasen ein. Sie konnte sich noch gut daran erinnern. Während ihrer Zeit als Vorstandsassistentin hatte sie sich alle paar Jahre ein neues Auto leisten können.
»Ich habe einen Termin mit Ivan Lambert«, sagte sie zu der Empfangsdame. »Er erwartet mich. Detective Sable.«
Die Frau drückte auf eine Taste an ihrem Telefon. Daraufhin trat ein Schwarzer mit schütterem Haar aus einem der kleinen, mit Glasscheiben versehenen Büroräume hervor, die sich hinter dem Tresen befanden.
»Mary«, sagte er und reichte ihr die Hand.
Sie seufzte. »Ivan.«
»Kommen Sie rein.«
Als sie sich gesetzt hatten, sagte Ivan: »Es geht also um James Fell. Musste wegen seines Jaguars dran glauben, hm? Wie ist er denn an so einen Wagen gekommen?«
»Ich glaube, es war ein Geschenk.«
Ivan grinste. Dabei ließ er zwei makellose Zahnreihen sehen, die vermutlich schon eine Menge Oldsmobiles verkauft hatten. »Das überrascht mich nicht.«
»Wieso nicht?«
Ivan lehnte sich nach hinten und zeigte auf seine Urkunden und Auszeichnungen an den Wänden des Büros, das kaum größer wirkte als die Büros der Verkäufer. »In diesem Geschäft muss man den Arsch hochkriegen. Jim hat immer gerne dummes Zeug gequatscht. Und herumgemeckert. Man hatte immer das Gefühl, dass er nur so lange Autos verkaufen will, bis er etwas Besseres gefunden hat.«
»Könnten Sie rauskriegen, wie lange er hier beschäftigt war?«, fragte Mary. »Und warum er gegangen ist?«
»Schon passiert. Zehn Monate. Es wäre wahrscheinlich sogar noch kürzer gewesen, aber mein Vorgänger hat sich sehr schwer damit getan, Leute zu entlassen. Ich war damals stellvertretender Verkaufsdirektor. Dabei habe ich auch Jims Kundengespräche mitbekommen. Manchmal hat er genauso viel Mühe auf die Anbahnung neuer Kontakte verwendet wie darauf, Autos zu verkaufen. Aber wer kauft schon bei jemandem ein Auto, der seinen Job hasst? Letztendlich war genau das auch der Grund, weshalb er gefeuert worden ist.«
Die Gespräche mit den Kollegen wollte Red selbst führen. Jim hatte für zwei Polizeibezirke in Connecticut gearbeitet – in Stratford, wo er in der Regel Nachtschichten übernommen hatte, und anschließend kurz in Fairfield.
Er wartete bis Montag. Die Leiter der lokalen Polizeiposten waren an den Wochenenden unauffindbar. Kurz vor zehn hatte er Glück und erwischte Chief Don Dean vom Revier in Stratford in seinem Büro.
Red sagte: »Ich bin Detective in Rye, New York, und bearbeite den Mord an James Fell. Wenn ich richtig informiert bin, hat er eine Zeit lang für Sie gearbeitet. Kann ich heute im Lauf des Vormittags mal vorbeikommen?«
»Na, klar. Bis jetzt hat uns hier noch keiner eine Leiche gemeldet. Ich bin also im Büro und such schon mal seine Akte raus.«
Als Nächstes rief Red in Fairfield an, aber der dortige Leiter, Chief Vincent Pangia, war unterwegs. Schade, es wäre praktisch gewesen, beide Reviere in einem Aufwasch zu erledigen. Er hinterließ eine Nachricht, dass Pangia sich nach seiner Rückkehr umgehend bei ihm melden solle.
Das Polizeirevier in Stratford war ähnlich idyllisch gelegen wie das in Rye – ebenfalls am Long Island Sound und mit einem vergleichbaren Postkartenblick aufs Meer.
»Und ich habe immer gedacht, wir wären das einzige Revier mit guten Muschelfanggründen«, sagte Red zu Don.
»Und die Sonnenuntergänge«, erwiderte der. »Wozu braucht man da ein anständiges Gehalt, angesichts solcher Schönheit?«
Bullenballett, so nannte Red dieses kurze und in der Regel sehr unterhaltsame Geplänkel, bevor man zur Sache kam. Chief Dean war ein hervorragender Tänzer.
»Ich hab sie mir gerade noch mal durchgelesen«, sagte Dean und klopfte mit dem Zeigefinger auf eine Akte auf seinem Schreibtisch, »obwohl es eigentlich nicht notwendig gewesen wäre. Ich kann mich sehr gut an James Fell erinnern. Nicht, dass Sie mich für zynisch halten, aber es haut mich nicht gerade vom Sessel, dass von all meinen ehemaligen Mitarbeitern ausgerechnet er ermordet worden ist.«
»Warum?«
Chief Dean sagte: »Am Telefon haben Sie sich als einfacher ›Detective‹ vorgestellt. Aber Sie leiten die Ermittlungen, stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Dann ist das hier für Sie. Ich habe sie kopiert.« Er schob Red die Akte zu.
»Sehr gut, danke. Aber lassen Sie uns noch ein bisschen weiterreden. Wie gut haben Sie Officer Fell gekannt? Was haben Sie von ihm gehalten?«
Dean strich sich die grauen Haare zurück. Sein Gesicht war das eines Mannes, der das, was er erlebte, registrierte und akzeptierte, ohne es unbedingt zu verstehen oder es verstehen zu wollen.
Er sagte: »Ich habe James direkt nach der Ausbildung übernommen. Er war ein Heißsporn, aber ich dachte, dass er nach ein paar Wochen Praxis ein wenig ruhiger werden würde. Trotz der Zweifel seines Ausbilders war ich optimistisch. Und irgendwie hatte ich auch Recht. Er war ein ziemlich guter Polizist. Aber er war voller Zorn. Er hat zornig hier angefangen und hat sich die ganze Zeit über nicht verändert.«
»Zornig worauf?«, fragte Red.
»Wer weiß? Mami und Papi. Gott.«
»Ist er gefeuert worden?«
»Er war kurz davor, und das wusste er auch. War einfach zu aggressiv. Also hat er das einzig Richtige gemacht. Hat sich in ein anderes Revier versetzen lassen, bevor es zu einer Entlassung kommen konnte. Ich glaube, nach Norwalk. Oder nach Fairfield.«
»Fairfield. Mit denen rede ich auch noch.«
»Vinnie Pangia. Wir spielen zusammen Boccia. Richten Sie ihm einen Gruß aus.«
Officer Elliot Duhart war stolz auf seine taktischen Fähigkeiten im Verhör. Er war relativ neu bei der Polizei, war aber schon immer ein aufmerksamer und verständnisvoller Zuhörer gewesen.
Er hatte sechs Partygäste auf der Liste, die alle zum zweiten Mal verhört werden sollten. Die taube Dame, mit der er gerade eine anstrengende Stunde verbracht hatte, konnte er streichen. Jetzt stand er auf der Eingangstreppe eines riesigen Backsteingebäudes mit schwarzen Fensterläden in Scarsdale. Er hielt einen Sitzplan der Party in der Hand, woraus hervorging, dass die Dame des Hauses am Nachbartisch direkt neben Sean und Jim Fell gesessen hatte.
»Ihr vollständiger Name lautet Karen Paillard Crawford?« Sie saßen in einem Zimmer, das aussah wie ein Handarbeitsraum. Damit hatte er seine Erfahrungen. Seine Großmutter in der Bronx hatte ebenfalls einen Handarbeitsraum gehabt. Es wusste nicht, ob sie darin tatsächlich viel genäht oder gestrickt hatte, aber es war ihr Zimmer, ihre Zuflucht gewesen, die sie aufgesucht hatte, wenn sie nachdenken oder weinen musste. »Sie sind Nancy Fells Schwester, ist das richtig?«
»Ja«, sagte die Frau. Sie hatte sich ordentlich zurechtgemacht, die Haare saßen so, wie sie sollten. »Ich bin die Tante von Sean und Jim.«
»Ich weiß, dass Sie bereits mit einem anderen Beamten gesprochen haben. Aber ich habe noch ein paar zusätzliche Fragen.«
»Das ist schon in Ordnung.«
Er fragte sie nach der Geschichte der beiden Brüder, wie sie als Kinder gewesen waren. Über die Schulzeit konnte sie nicht viel sagen.
»Ich habe damals die meiste Zeit in San Francisco gelebt. Erst während der letzten fünf Jahre habe ich meine Schwester und die Jungen öfter gesehen, wenn auch nicht sehr oft, aber… auf Familienfeiern und so.«
»So wie letzten Freitag.«
Sie holte Luft. In ihren Augenwinkeln erschienen Tränen. »Ja.«
»Ein Hochzeitstag ist ein sehr fröhlicher Anlass«, sagte Elliot, »sollte man zumindest meinen. Jedenfalls keiner, an dem Brüder sich streiten sollten.«
Vorsichtig sagte die Frau: »Ich glaube, Jim konnte gar nicht anders.«
Elliots Erwiderung kam genauso vorsichtig. »Inwiefern?«
»Er… er wusste sich einfach selbst nicht zu helfen, im Gegensatz zu den anderen in der Familie. Manche Menschen sind eben so. Sie müssen sich Anregung, Nahrung, Anteilnahme ständig von außen holen. Andere haben das nicht nötig.«
»Also«, meinte Elliot mit Blick auf ihre fest gefalteten Hände. »Wie haben Sie das gemeint: Er konnte nicht anders?«
Eine Träne bahnte sich ihren Weg ihre Wange hinab und zog eine Spur durch das Rouge. »Wir haben uns schon immer Sorgen um Jim gemacht. Er war so rastlos. Ständig hat er alles kaputtgemacht … wurde wütend, fing Streit an. Jede Kleinigkeit hat er sofort als Beleidigung aufgefasst, und dann musste er gleich auf sein Gegenüber losgehen. In solchen Fällen hat er gesagt: ›Wenn du mich schlägst, dann schlage ich doppelt so hart zurück.‹ Er war richtiggehend stolz darauf, wie ein Kind.«

2

Freitag, 26. Januar 2001
Sechs Tage nach dem Mord rief mich Ninas Lehrerin im Büro an.
»Ihre Tochter macht einen niedergeschlagenen Eindruck, Mrs. Diamond. Sehr viel stärker als bisher. Sie hat gesagt, sie sei bei einer Beerdigung gewesen.«
»Ihr Onkel ist gestorben. Sie hat ihn sehr gern gehabt. Sie wollte unbedingt mitkommen«, sagte ich. »Aber ich hätte es nicht zulassen sollen. Es tut mir Leid.«
»Geht es dabei nicht um diesen Mord im Zusammenhang mit dem Autodiebstahl an der Harrison-Universität? Dann war Ninas Onkel also der Sohn des Universitätspräsidenten.«
»Das ist richtig.«
Ich hörte, wie sie heftig schnaubend den Atem ausstieß. »Kein Wunder, dass sie vollkommen durcheinander ist. Ihre Familie taucht ständig in den Medien auf. Und das ist der zweite Todesfall innerhalb kurzer Zeit, nicht wahr?«
»Meine Schwester ist vor drei Monaten an Krebs gestorben. Ihr verwitweter Mann Sean ist der Bruder des Ermordeten.«
»Das tut mir wirklich sehr Leid, für Nina und für Sie. Schon für einen Erwachsenen sind solche Schicksalsschläge nur schwer zu verkraften, was muss das erst für ein Kind in ihrem Alter bedeuten… ganz abgesehen davon, was Ihre Trennung für sie bedeutet. Ich möchte sie gerne zu Sharon Fine überweisen. Das ist unsere Schulpsychologin.«
Ich rieb mir die Stirn. Dann fiel mir ein, wie Nina heute Morgen am Frühstückstisch gesessen hatte, wie sie eine einzelne Erdbeere in ihrem Müsli hin und her gewälzt hatte und schließlich aufgestanden war, ohne einen Bissen zu essen.
Ich legte eine Hand vor meine brennenden Augen, als könnte ich meine Gefühle damit zurückhalten.
Am liebsten hätte ich das Büro verlassen, wäre zur Schule gefahren, hätte meine Tochter geschnappt und wäre mit ihr weitergefahren, ohne anzuhalten. Wir hätten uns irgendwo ein kleines, gemütliches Häuschen gesucht, und die einzigen Toten um uns herum wären Schnecken gewesen.
Die Sprechanlage auf meinem Schreibtisch summte. Ich überhörte es.
»Mrs. Diamond?«, bohrte die Lehrerin nach.
»Ich … ich werde darüber nachdenken.«
Eine Schulpsychologin, das bedeutete Tonbandaufnahmen und Akteneinträge, goldene Gaben der Ent-Privatisierung, mit denen Barry wunderbar jonglieren konnte. Aber meine Krankenversicherung deckte nur das Minimum ab – optimal bei Lebertransplantationen, aber hoffnungslos bei Psychotherapien. Ich wollte Nina schon längst in Behandlung geben, das Geld dazu würde ich allerdings erst ab Mai haben, wenn mich die Sozietät zur Teilhaberin gemacht hatte. Es war schrecklich, Nina leiden zu sehen.
Meine Sprechanlage summte erneut. Eine Minute später klopfte es an die Tür, und Detective Red Straker trat ein. Ich hatte ihn erst am Samstag gesehen, bei den Fells. Kathy, meine Sekretärin, stand direkt hinter ihm.
»Angela, er ist einfach an meinem Tisch …«
»Das sieht sie selber«, sagte Straker und setzte sich auf das Sofa vor meinem Schreibtisch.
»Einen Augenblick bitte«, sagte ich zu der Lehrerin. Ich blickte Red an. »Ich telefoniere. Falls Sie mit mir sprechen möchten, dann warten Sie bitte im Vorzimmer. Sobald ich fertig bin, können Sie hereinkommen.«
»Prima«, sagte Straker. Er stand auf und ging ohne Umschweife hinaus.
Ich blickte auf die geschlossene Tür. Der Detective war der Letzte, mit dem ich jetzt zu tun haben wollte.
Wieder dachte ich an Nina und wie sie ohne etwas im Magen zu haben vom Küchentisch aufgestanden war. Ich stellte mir vor, wie die Lehrerin diese Szene beobachtete und mich, die unfähige Mutter, kopfschüttelnd betrachtete.
Hör auf damit.
Ins Telefon sagte ich. »Ich weiß, dass Nina eigentlich eine Therapie braucht. Aber da gibt es … persönliche Dinge zwischen ihrem Vater und mir, die es schwierig …«
»Sie meinen das Geld?«, fragte die Lehrerin. »Entschuldigen Sie meine direkte Ausdrucksweise. Ich spreche mit vielen Eltern, und diesen Satz höre ich öfter. Meine Aufgabe besteht darin, dem Kind zu helfen. Warum wollen Sie nicht öffentliche Hilfe in Anspruch nehmen? Sharon Fine kann Sie an eine städtisch geförderte Einrichtung überweisen …«
»Genau das habe ich auch vor«, unterbrach ich sie. »Aber ihr Vater ist dagegen. Er ist selbst Arzt, und er möchte, dass Nina, wenn sie denn behandelt werden muss, privat betreut wird.«
Die Lehrerin atmete hörbar aus. »Wie gesagt, Mrs. Diamond, mir geht es um Nina. Ich habe kein Interesse daran, mich in die persönlichen Belange von Eltern einzumischen. Nina braucht Hilfe, und ich hoffe, dass Sie dafür sorgen, dass sie diese Hilfe bekommt.«
Das Gespräch war beendet, aber ich hatte das Telefon immer noch in der Hand. »Aber ich bin nicht so, wie du denkst!«, wollte ich hineinschreien.
Ich musste Detective Straker hereinlassen. Am liebsten hätte ich Kathy gebeten, ihn wegzuschicken – mit irgendeiner Ausrede, dass ich eine Grippe bekomme oder vor Gericht muss –, aber das hätte das Verhör nur für kurze Zeit hinausgezögert. Im Gegensatz zu Versicherungsvertretern vereinbaren Kriminalpolizisten nicht erst höflich einen neuen Termin.
Erneut ließ er sich auf meinem Sofa nieder. Er war über eins achtzig groß, mit einem unverhältnismäßig kleinen Kopf und einem spärlichen, blonden Haarkranz. Angespannt, wie eine Sprungfeder, saß er da.
Ich sagte: »Sie hätten hier nicht einfach hereinplatzen dürfen.«
Er nickte. »Ich wollte nur sicher gehen, dass Sie mich auch zur Kenntnis nehmen. Dieser Fall macht mich wahnsinnig. Sie …« – er deutete mit dem Finger auf mich – »…haben mir nicht alles gesagt.«
»Was habe ich Ihnen nicht gesagt?«
»Sie haben mich mit Anwaltsgelaber zugeschüttet. Und alles in Watte verpackt.«
Er stand auf und sagte mit spöttischer Falsettstimme: »Sean und Jim haben sich auf der Feier am Hochzeitstag ihrer Eltern gestritten. Ach ja, Brüder sind und bleiben eben Brüder.«
Seine Stimme wurde wieder normal. »Von jemandem, der beruflich im selben Bereich wie ich tätig ist, erwarte ich eine offene Zusammenarbeit. Sie hätten mir sagen müssen, dass zwischen den beiden eine rücksichtslose Rivalität bestanden hat. Am vergangenen Freitagabend sind einige äußerst hitzige Sätze gefallen.«
»Das habe ich Ihnen sehr wohl erzählt!«
»Sie haben gesagt, sie hätten sich über die Arbeit und darüber gestritten, wer den Eltern das schönere Geschenk gemacht hatte. Nach Ihren Worten war das nichts weiter als eine Art Sandkastenrangelei!«
»Ich habe Ihnen jedes Wort erzählt, das ich gehört habe.«
»Sie können sich wirklich nicht daran erinnern, wie Jim Sean wegen seines Geldes beschimpft hat? Wie er ihn einen ›reichen Sack‹ genannt hat? Wie er sich über den Tisch hinweg auf ihn gestürzt hat, um ihm direkt ins Gesicht zu brüllen?«
»Das habe ich nicht gesehen. Wenn überhaupt, dann muss das passiert sein, als ich gerade auf der Toilette war.«
»Sie sind während des Streits auf die Toilette gegangen?«
»Eigentlich hatte ich gedacht, er sei vorbei.«
Straker sagte: »Ein Toilettenbesuch genau zur rechten Zeit. Wollen Sie jemanden decken?«
»Wer könnte denn dieser Jemand sein?«
»Sean könnte dieser Jemand sein!«
Ich warf mich in meinem Sessel nach hinten zurück, als hätte er einen Gegenstand nach mir geworfen.
Er sagte: »Zunächst haben wir uns alle auf diese Diebstahlgeschichte eingeschossen. Aber mir hat sie von Anfang an nicht gepasst, und sie passt mir immer weniger. Das Ganze riecht überhaupt nicht nach Autodiebstahl. Es riecht vielmehr nach einem Familienstreit, der außer Kontrolle geraten ist. Soll ich noch deutlicher werden?«
»Das will ich hoffen.«
Straker beugte sich vor. »Sean ist eine Art Pfadfinder-Sohn, Mamis und Papis Liebling. Hat gute Noten, hilft alten Damen über die Straße. Und geschäftlich wird alles, was er anfasst, zu Platin. Er baut zwei schwer angesagte Restaurants auf. Er legt sein Geld umsichtig an. Mit fünfunddreißig ist er Multimillionär. Äußerst großzügig der Familie gegenüber.
Jim hingegen ist der Loser. Das Einzige, was er jemals fertig kriegt, ist ein Sandwich. Er verkauft Autos und wird gefeuert. Er wird Polizist und kündigt. Alles, was er anfasst, geht schief. Seine Eltern sind voller Energie und Tatendrang, und sie schämen sich wegen Jim.«
Ich schüttelte den Kopf. »Bruce ist Akademiker durch und durch und Nancy eine brillante, ebenfalls sehr anerkannte Person …«
»Verschonen Sie mich. Wir haben fast mit jedem gesprochen, der auf dieser Party war. Wir haben alles Gesagte analysiert, genauso wie das Nicht-Gesagte. Letzteres klingt übrigens ohrenbetäubend laut. Was alle diese Freunde und Verwandten nämlich übereinstimmend nicht sagen, ist, dass Jim das schwarze Schaf der Familie war.«
Ich blieb stumm.
Er fragte: »Wie dicht bin ich dran?«
»Es… es gibt Menschen, die das so sehen.«
Straker ließ ein abfälliges Schnauben hören.
»Hören Sie«, sagte ich, »ich möchte mich mit Ihnen nicht über irgendwelche Gerüchte bezüglich der Fells unterhalten. Ich kann Ihnen nur sagen, was ich gesehen und gehört habe, und das habe ich bereits getan. Aber jetzt möchte ich wissen, was Sie eigentlich andeuten wollen.«
Er blickte mich für einen langen Augenblick an. »Ich nehme an, dass Sean und Jim ihre Meinungsverschiedenheiten mit nach draußen genommen haben. Jim hat Sean immer weiter beleidigt. Aber dieses Mal ist er zu weit gegangen. Sie haben miteinander gekämpft, mit allen Mitteln, und Sean hat seinem Bruder den Schädel eingeschlagen. Als ihm klar wurde, dass Jim tot ist, da hat er den Jaguar irgendwo versteckt, damit es wie ein Autodiebstahl aussieht. Dann ist er nach Hause gegangen und hat gewartet, bis die Leiche gefunden wird.«
Ich schüttelte schon den Kopf, bevor Straker fertig war. Mir war schlecht.
Einmal bin ich mit Sean vom Krankenhaus nach Hause gefahren. Unterwegs hielt er an, um eine Schildkröte von der Straße aufzuheben und in Sicherheit zu bringen. Ich habe ihm jeden Tag dabei zugesehen, wie er vorsichtig und zärtlich meine sterbende Schwester gebadet hat. Das war ihm lieber, als sie der Pflege der Schwestern zu überlassen, die es manchmal eilig hatten und meiner Schwester dabei wehtaten.
Ich suchte nach Worten, gestikulierte und sagte schließlich nur: »Ausgeschlossen.«
»Das sehe ich anders«, erwiderte Straker. Er lehnte sich zurück und holte sein Notizbuch aus der Innentasche seines Jacketts. Ich hatte gesehen, wie er sich während der Befragung der Familienmitglieder am Samstag ständig Notizen gemacht hatte. Er blätterte, suchte nach etwas und hatte es anscheinend gefunden. Einen Augenblick lang las er.
»Sean war vier Jahre lang mit Ihrer Schwester verheiratet. Wie haben die beiden sich kennen gelernt?«
»Sarah war Kellnerin im Sandcastle, dem Restaurant, wo Sean Geschäftsführer war, bevor er das Bobby’s eröffnet hat. Dann ist sie dorthin gewechselt. Und mit der Zeit sind sie ein Paar geworden.«
»Was hatten sie für eine Beziehung? Haben sie sich gestritten?«
»Nur die üblichen Meinungsverschiedenheiten. Ich würde sogar sagen, weniger als das.«
»Und keine Kinder? Wieso nicht?«
Ich wollte schon sagen, dass ihn das nichts anging, aber mir war klar, dass damit niemandem gedient war. »Sie wollten eigentlich gerne Kinder haben. Aber es hat einfach nicht geklappt.«
»Hat Sarah Jim gemocht?«
»Sie hat ihn jedenfalls nicht nicht gemocht. Sie… ich glaube, es hat sie belastet, dass Sean sich so viele Gedanken über ihn gemacht hat.«
»Inwiefern hat er sich Gedanken gemacht?«
»So, wie man sich eben über einen Bruder Gedanken macht, normalerweise über den jüngeren Bruder. Und das war wohl auch ein Teil des Problems.«
Ich hielt inne, überlegte noch einmal, ob ich das, was ich drauf und dran war zu sagen, auch wirklich sagen wollte, und entschied mich dafür. Straker hatte sich bereits ein Bild gemacht, das ich durch die Schilderung der wahren Umstände nur verbessern konnte.
»Sie haben die Situation im Prinzip schon richtig erfasst. Nur war sie in der Realität weniger schwarz-weiß. Sean ist ein sehr mitfühlender Mensch. Er ist großzügig. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er als der Jüngere trotzdem der Stärkere und Erfolgreichere war. Ihm war klar, dass es für Jim wichtig gewesen wäre, sich unabhängig zu machen, dass es ihm gleichzeitig aber sehr schwer fiel. Er konnte einfach nicht nein sagen, wenn Jim Geld oder einen Job brauchte. Und dann hat er sich wieder mit der Frage gequält, ob er das Richtige getan hatte.«
Straker lächelte dünn und mitleidslos. »Damit sagen Sie nichts anderes als ich auch. Die Sache ist schwarz-weiß. Sie packen sie nur schon wieder in Watte.«
»Aber zwischen Ihren und meinen Worten gibt es einen entscheidenden Unterschied: Sean trug keinen mörderischen Groll in sich.«
»Das können Sie doch nicht wissen.«
»O doch, das kann ich.« Ich stand auf und ging zum Fenster, kämpfte gegen die aufwallenden Gefühle an. Unten auf der Straße führte ein sehr alter Mann einen Pudel aus. Er wartete geduldig ab, bis der Hund genug geschnüffelt und gescharrt hatte und schließlich das Bein hob. Genauso geduldig wartete Straker darauf, dass ich weiterredete.
»Als meine Schwester im Sterben lag, habe ich viel Zeit mit Sean verbracht«, sagte ich. Dann musste ich mich unterbrechen, um zu husten. »Nacht für Nacht haben wir zusammen geweint. In einer solchen Zeit offenbart man sein wahres Ich. Man kann es nicht verhindern. Versuchen Sie nicht, mir weiszumachen, dass ich nicht ganz genau wüsste, wozu Sean in der Lage ist und wozu nicht.«
Dr. Barry Carnows neue Mitarbeiterin klopfte an die Tür. »Hier kommt Ihr Kaffee, Herr Doktor.«
»Kommen Sie rein.«
Abbie machte die Tür auf und stellte das Tablett auf den Konferenztisch aus leuchtendem Kiefernholz, der genau so blank und makellos war wie der Rest des Büros. Sogar der Schreibtisch des Doktors war poliert und perfekt aufgeräumt. Das Sofa neben dem Tisch war mit einer graubraunen, frischen Seidendecke überzogen, der Zeitungsständer daneben war leer.
Sie wickelte das Brötchen aus, nahm den Deckel vom Kaffeebecher und brachte ihm die Sachen an den Schreibtisch.
»Ich esse hier drüben«, sagte er und stand auf.
Abbie trat zurück und sah zu, wie er einen Stuhl zum Tisch hinübertrug. Er war ein begeisterter Sportler, das sah sie an den Bildern an der Wand, die ihn beim Skifahren und Laufen zeigten oder auf dem Fahrrad, mit einem kleinen Mädchen im Kindersitz. Er bewegte sich auch wie ein Sportler. Er hatte intensive, braune Augen und dunkle Haare, die am Ansatz silberig schimmerten.
Er griff nach dem Brötchen und blickte es stirnrunzelnd an. »Ich wollte doch eines ohne Mohnkörner haben.«
Sie schüttelte schuldbewusst den Kopf. »Stimmt. Das tut mir Leid. Ich lasse sofort ein anderes kommen.«
»Nicht nötig.« Er begann die schwarzen Pünktchen mit dem Fingernagel abzukratzen. »Ich habe eine chronische Dickdarmentzündung. Kann keine Körner essen.«
»Ein Facharzt für Magen-Darm-Erkrankungen mit einer chronischen Dickdarmentzündung? Das ist aber ungerecht.«
Er lächelte sie an. »Mein Darm weiß ja nicht, dass ich Arzt bin.«
Abbie lächelte zurück. So langsam fiel die Anspannung von ihr ab. Als er sich wegen der Mohnkörner beschwert hatte, hatte ihr Magen sich zusammengeballt – eine dieser Millionen Kleinigkeiten, die man lernen musste, wenn man einen neuen Job anfing. Aber sie lernte schnell. Sie würde ihm nie wieder etwas mit Körnern bringen.
Chief Vincent Pangia schielte auf den rosafarbenen Zettel mit Detective Strakers Telefonnummer. Er schob den Rückruf schon eine ganze Weile vor sich her. Jetzt hielt er den Zettel in seiner wunderbar gebräunten Hand… Barbados. Mann, wie entspannt er sich dort gefühlt hatte. Sonne, Palmen und keine toten Bullen.
Schließlich drückte er auf die Lautsprechertaste und gab die Nummer in Rye ein.
»Morddezernat, Sable«, sagte eine Frauenstimme.
»Hier ist Vincent Pangia aus Fairfield. Ich soll mich bei Detective Straker melden.«
»Hallo Chief. Er erwartet Ihren Anruf. Einen Augenblick, bitte.«
Red übernahm das Gespräch. »Chief Pangia?«
»Vinnie, bitte. Ich glaube, ich weiß, weshalb Sie angerufen haben.«
»Also, zunächst mal soll ich Ihnen Grüße von Don Dean ausrichten.«
Pangia lachte leise. »Mein Boccia-Partner. Verdammt langweiliges Spiel. Aber immerhin hat man so einen Grund, sich zu treffen. Also, was ist James Fell zugestoßen? Ich war ja verreist, wie Sie wissen.«
»Wir stecken immer noch mitten in den Ermittlungen. Dem äußeren Anschein nach hat man ihm einen Schlag auf den Schädel verpasst, um ihm sein Auto abzunehmen, diesen Jaguar. Das Auto ist noch nicht wieder aufgetaucht. Aber mittlerweile kommen immer mehr Einzelheiten über Fell persönlich ans Tageslicht, die darauf hindeuten, dass doch mehr hinter diesem Mord stecken könnte. Wie würden Sie ihn einschätzen?«
Chief Pangia kaute auf seinem Zeigefinger herum. Das war eine dumme Angewohnheit, aber auf Barbados hatte er es gelassen. »So wie alle anderen auch – er war ein Heißsporn. Als ich ihn eingestellt habe, hatte ich natürlich noch einen positiveren Eindruck. Ich dachte, er hat noch eine Chance verdient. Der Junge konnte einen richtig um den Finger wickeln. Und er hatte ein großes Potenzial. Außerdem gab er damals ehrlich zu, dass er durch seine Hitzköpfigkeit selbst schuld daran war, dass er in Stratford gescheitert war, und überzeugte mich gleichzeitig davon, dass er diese Phase überwunden hatte.«
»Wie war er denn als Polizist?«, fragte Red.
»In mancher Hinsicht ganz hervorragend. Wenn er sich konzentriert hat, dann hat er ausgezeichnete Polizeiarbeit geleistet. Natürlich hatte er einen kriminellen Verstand, aber den haben viele gute Polizisten. Und dann hat er eine Riesendummheit begangen, und ich musste ihn entlassen. Er hat ein Päckchen Koks geklaut.«
»Erwiesen?«
»Überwachungskamera. So ein Idiot.«
Red trank einen Schluck Kaffee. Er war kalt, nicht einmal lauwarm, und er hätte ihn gerne in die Mikrowelle gestellt, aber das ging natürlich nicht, weil ihre Polizeiwache nur mit vorsintflutlichen Schnurtelefonen ausgestattet war.
Der Chief fuhr fort: »Angesichts seiner persönlichen Geschichte würde ich wohl auch davon ausgehen, dass mehr hinter der Sache steckt als sein Jaguar. Ich will nicht mal wissen, wo er den eigentlich herhatte.«
»Was hat er mit dem Koks gemacht?“, sagte Red. „Verkauft oder selber genommen?«
Der Chief blieb einen Augenblick lang stumm. »Das weiß nur Gott allein. Ich jedenfalls wollte es gar nicht wissen. Ich wollte ihn nur loswerden.«
Sean schloss die Tür des Restaurants von innen auf. Zwei Gesellschaften warteten bereits auf ihre Tische. Er platzierte sie, nahm ihre Getränkebestellungen entgegen und ging dann in die Küche. Dort griff er sich einen feuchten Lappen, um einen klebrigen Fleck zu beseitigen, den die Küchenhilfe gestern nicht vollständig weggewischt hatte, nachdem ein Dessert auf den Boden gefallen war.
Egal wie, Hauptsache in Bewegung bleiben.
Er blickte sich um und überprüfte die gedeckten Tische. Die Tischdecken und Servietten zeigten ein angedeutetes Schneeflockenmuster. Auf jedem Tisch stand ein Glas mit einer Kerze sowie eine schlanke Vase mit einem Strauß Schneeglöckchen.
»Wie wäre es denn mit einer Winterdekoration?«, hatte Jim im vergangenen November gesagt. »In jedem anderen Restaurant tun sie so, als wäre es Frühling. Wenn ich noch ein einziges gelbes Gänseblümchen sehe, muss ich kotzen.«
Jim hatte ein paar großartige Ideen gehabt. Und trotzdem war Sean sich nie sicher gewesen, ob es gut war, Jim hier zu haben. Er hatte seinen Bruder ständig aus dem Augenwinkel beobachtet, hatte nach Misstönen gelauscht. Man wusste einfach nie, worüber Jim sich im nächsten Moment aufregte oder was ihn veranlassen könnte, die Krallen auszufahren.
Weswegen Sean natürlich ein höllisch schlechtes Gewissen gehabt hatte.
Er wischte mit dem Daumen ein paar Salzkörner von einem der Tische. Da ging die Tür auf, und er drehte sich um. Zwei Frauen betraten das Restaurant. Sie arbeiteten bei einer kleinen Anzeigenagentur hier in der Straße. Sean hielt den Atem an. Sie waren zum ersten Mal seit Jims Tod hier. Natürlich wussten sie Bescheid, der Mord hatte für riesige Schlagzeilen gesorgt, und sie würden ihm bestimmt ihr Beileid aussprechen wollen.
Den Empfang hatte Maddy übernommen, eine ehemalige Kellnerin, die Sean auf Jims Posten befördert hatte. Er wollte sie bitten, die beiden Frauen an ihren Platz zu führen, damit er es nicht zu tun brauchte, aber das war gar nicht nötig. Sie versuchte bereits, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Sean, Telefon.«
»Danke. Übernehmen Sie die beiden, bitte?«
Er ging zum Empfangstresen und griff zum Hörer. »Hallo?«
»Hallo, hier ist Angela.« Sie sprach mit sanfter, rauchiger Stimme. Ihre Gesprächspartner mussten sie öfter bitten, ihre Worte zu wiederholen. Während ihrer Ausbildung hatte sie häufig Kritik für ihre unsichere Redeweise einstecken müssen, sodass sie sich vor Gericht angewöhnt hatte, laut und deutlich zu sprechen. Ansonsten aber klang sie meist so, als wäre sie eben erst aufgestanden. »Ich hatte gerade Besuch von Detective Straker.«
»Weshalb?«
»Hauptsächlich wegen dir. Er hat mit allen Leuten gesprochen, die auf der Party waren. So hat er erfahren, dass du und Jim schon lange Probleme miteinander gehabt habt und dass an diesem Abend ein fürchterlicher Streit stattgefunden hat. Und jetzt verbreitet Straker irgendwelche Theorien, dass … dass du Jim umgebracht haben sollst.«
Sean sackte auf seinen Schreibtischstuhl.
Sie fuhr fort: »Ich habe ihm natürlich gesagt, dass das absolut lächerlich ist. Aber du solltest dich darauf einstellen, dass er dich besucht.«
Sean sagte: »Er glaubt, dass ich meinen Bruder umgebracht habe? Hat er das gesagt?«
Maddy, die gerade einen Stuhl vom Tisch in seiner Nähe holen wollte, erstarrte und schaute ihn an.
Angela gab das Gespräch mit Straker wieder. »Er sagte, er gehe davon aus, dass der Streit draußen weitergegangen sei. Und dann haben ihm wohl ein paar Gäste berichtet, dass die Auseinandersetzung beim Essen länger gedauert hat als ich mitbekommen habe. Habt Ihr euch denn noch weiter gestritten, nachdem ich auf die Toilette gegangen war?«
»Ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass du gegangen bist.«
»Doch, als ihr beide aufeinander losgegangen seid. Ich habe euch gebeten aufzuhören, und dann bin ich aufgestanden.«
Sean schüttelte den Kopf. Seine Augen waren geschwollen und gerötet. Er machte die Hölle durch. Jedes Mal, wenn er versuchte, sich herauszuziehen, rutschte er gleich darauf noch tiefer hinein.
Er sagte: »Ich kann mich an gar nichts mehr erinnern.«
Ich wartete ab, was er als Nächstes sagen würde, aber es kam nichts als ein tiefer Seufzer. Ich konnte mir gut vorstellen, wie er mit gebeugtem Kopf im Restaurant saß und sich den Hals rieb. Das machte er immer, wenn er sich aufregte. Ich hatte oft genug zugesehen.
Dann sagte ich: »Der Detective kommt wahrscheinlich bald bei dir vorbei. Vielleicht ist er sogar schon unterwegs. Lass dich nicht von ihm schikanieren, Sean. Ohne Anwalt musst du gar nicht mit ihm reden.«
»Ich weiß.«
»Es tut mir so Leid. Ich würde dir so gerne helfen.«
»Das tust du doch. Hast du schon.«
Ich legte den Hörer auf die Gabel und stand auf. Wenn ich an meinem Schreibtisch sitzen blieb, dann würde ich nur immer deprimierter werden, so lange, bis ich vollkommen im Sumpf versunken war.
»Bin gleich wieder da«, sagte ich zu Kathy auf dem Weg zur Toilette. Ich schaute sie nicht an. Mein Gesicht sah grau und angespannt aus, das war mir klar. Und Kathy war ein liebes Mädchen. Sie kannte mich und würde sofort nachfragen.
Die Büroräume meiner Rechtsanwalts-Sozietät Batten, Hogue & Fairstein nahmen zwei Drittel der Fläche im fünften Stock des Sochin Building in der Purchase Street in Rye ein. Vor meinem Vorstellungsgespräch hatte ich mich auf die übliche, steife Einrichtung eingestellt, die ich aus Anwaltskanzleien im Film wie auch im richtigen Leben kannte: feudale Schreibtische, überall Messing, Stühle, die sogar einer Katze zu unbequem waren. Als ich dann zum ersten Mal die Marmor-Lobby mit den polierten Fahrstuhltüren und den Porzellanspiegeln betreten hatte, da hatte ich gedacht: Aha, so sieht sie also aus, die Tradition.
Dann, oben im fünften Stock, die Überraschung.
Die Doppeltüren glitten zur Seite und gaben den Blick auf eine faszinierend gegenwärtige Welt frei. Der Fußboden im Empfangsbereich bestand aus glänzenden, hellen Holzdielen. Darauf lag ein Teppich aus stahl- und elfenbeinfarbenen Flächen. Hinter dem halbrunden Tresen saß ein Mann. Er hieß David und nicht Dave und trug eine mit Drachen bedruckte Krawatte. Auf dem niedrigen Tisch in der Wartezone lagen keine zerknitterten Zeitschriften, und es hingen auch keine selbstbeweihräuchernden Urkunden an der Wand. Stattdessen standen auf dem Tisch zwei Goldfischgläser. Im einen schwammen tatsächlich Goldfische, das andere war bis zum Rand mit Pralinen gefüllt.
Nachdem ich jetzt die Damentoilette betreten hatte, ging ich direkt zum Spiegel. Trotz der freundlichen Beleuchtung sah ich fürchterlich aus. Ich befeuchtete ein Handtuch im Eiswasser am Springbrunnen und drückte es mir in den Nacken.
Ich musste unbedingt wieder zu mir kommen. In einem dieser Bücher über erfolgreiche Lebensführung, die sich – meist noch verpackt – auf meinem Nachttisch stapelten, hatte ich eine Methode kennen gelernt, wie man sich neu fassen und konzentrieren konnte: Spiegelgespräch … Ich ballte die Fäuste und nahm alle Kraft zusammen.
»Du bist zentriert«, sagte ich innerlich zu mir selbst. »Deine Sorgen dringen nicht nach draußen. Du wirst mit allem fertig.«
Das sagte ich mir noch ein paar Mal, während ich zusah, wie sich meine zusammengepressten Lippen und die gerunzelte Stirn etwas entspannten, zumindest so weit, dass ich im Büro einigermaßen glaubwürdig wirken konnte.
Auf dem Weg zurück grüßte ich David und Kathy mit einem halbwegs überzeugenden Lächeln und setzte mich wieder auf meinen Schreibtischstuhl.
Lange hielt ich den Blick auf mein Lieblingsbild gerichtet – eine palmenumstandene Terrasse am Strand. Es hing direkt neben einem Fenster, sodass man fast glauben konnte, es sei das Fenster. Manchmal stellte ich mir vor, selbst auf dem Bild zu sein, mich mit Nina zusammen dorthin zurückzuziehen. Es war eine tröstliche Vorstellung, aber heute gelang es mir nicht. Ich konnte an nichts anderes denken als an Detective Straker. Wahrscheinlich war er jetzt im Augenblick im Bobby’s und verhörte Sean.
Ich musste unbedingt etwas arbeiten. Zu groß war die Gefahr, an Boden zu verlieren. Mein wichtigster Fall im Moment war eine Klage wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht gegen das Westchester County Medical Center. Es war der zweitgrößte Fall, den die Sozietät jemals behandelt hatte, und ich hatte die Kontakte hergestellt. Mag sein, dass das nicht der Hauptgrund dafür war, dass mir eine Teilhaberschaft in Aussicht gestellt worden war, aber an meinen manikürten Fingern lag es wahrscheinlich auch nicht.
Der Krankenhausskandal war im August in die Medien gelangt. Eine Anästhesistin – Dr. Carol Carranza – hatte gegenüber der Bezirksverwaltung ausgesagt, dass es in letzter Zeit auf der prestigeträchtigen Lebertransplantations-Station des Krankenhauses zu etlichen, durch Nachlässigkeit, Infektionen oder schlicht durch mangelhafte Pflege verursachten Todesfällen gekommen war. In einem Fall war sogar ein gesunder Organspender nach der Operation verstorben.
Ich hatte Dr. Carranza sofort angerufen. Wir führten zwei längere Gespräche, tranken viel zu viel Kaffee, und mir fiel von Anfang an auf, dass sie immer wieder auf das Bild starrte. Auch ohne zu fragen war mir klar, dass sie gerade ihren persönlichen Alptraum durchlebte. Jetzt vertrat ich die Familien der Verstorbenen und klagte auf Schmerzensgeld: einhundert Millionen Dollar pro Partei.
»Ich habe viel zu lange gewartet, bis ich ernsthaft nach Beweisen gesucht habe«, hatte Carol beim ersten Gespräch gesagt. »Als Anästhesistin halte ich mich nicht oft auf der Station auf, also habe ich zunächst einmal nur Gerüchte gehört. Aber die Sterberate unter den Patienten war einfach zu hoch. Daraufhin habe ich mir die Krankenblätter angeschaut und die Pflegeroutine unter die Lupe genommen. Ich habe erschütternde Dinge gesehen. Nur dumm, dass ich die Krankenblätter nicht kopiert habe, solange ich noch die Möglichkeit dazu hatte.«

3

Auf dem Höhepunkt der mittäglichen Hektik kam Straker im Bobby’s an.
Sean platzierte gerade eine Sechsergruppe und hatte etliche wartende Gäste sowie drei Tische zu versorgen, die ungeduldig auf die Rechnung warteten. Trotzdem sah er den Detective schon in dem Augenblick, als er die Tür aufstieß. Er spürte, dass er die Zähne fest aufeinander biss, und ging zu ihm.
Red sagte: »Wo können wir uns unterhalten?«
»In meinem Büro. Aber Sie müssen sich ein paar Minuten gedulden. Ich ersticke in Arbeit.«
Red nickte. »Ich bleibe einfach hier stehen.« Er lehnte sich im Empfangsbereich an die Wand und verschränkte die Arme.
Sean nahm einem Gast den Scheck ab, den dieser hoch in die Luft hielt. Dann rief er vom Reservierungspult aus Mark Wolf an, den Geschäftsführer.
»Kannst du mich hier unten für eine Weile vertreten?«, fragte Sean. »Ich habe ein wichtiges Gespräch.«
Eine Minute später kam Mark die Treppe herunter. Er war einundvierzig Jahre alt und hatte dunkle Haare mit sehr ausgeprägten Geheimratsecken, was auf viele Frauen attraktiv wirkte. Er hatte das Jackett ausgezogen und die Hemdsärmel fast bis zu den Ellbogen hochgekrempelt, sodass seine muskulösen Unterarme zu sehen waren.
»Gibt’s Probleme?«, fragte Mark.
»Ja«, antwortete Sean. »Ich muss mit dem Detective da drüben reden. Lös mich doch bitte ab.«
Mark zog die Augenbrauen nach oben. »Haben sie was herausgefunden?«
Sean knurrte angewidert. »Anscheinend glauben sie das.«
In Seans Büro im zweiten Stock saßen Sean und Red einander in schwarz-ledernen Ohrensesseln gegenüber. Mit seinen blassen jadefarbenen Wänden und den Ebenholz-Wandleuchten wirkte das Büro genau so schick und stromlinienförmig wie das ganze Restaurant. Eine doppelflügelige Verandatür führte auf einen kleinen Balkon im Südstaatenstil. Sarah hatte dort einmal einige Bougainvillea-Ranken angepflanzt. Aber das war lange her. Nur einige vereinzelte Zweige krallten sich noch wie abgestorbene Finger um das Geländer.
Straker war in einem dunkelgrauen Anzug und einem ausgeleierten Oxford-Hemd gekommen. Sean trug einen marineblauen Kaschmirblazer.
Sean eröffnete das Gespräch: »Meine Schwägerin hat mich angerufen. Sie hat gesagt, dass Sie mich für den Mörder meines Bruders halten.«
Straker ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. Einen solch frontalen Vorstoß hatte er nicht erwartet. Dass Angela ihren Schwager vorwarnen würde, war klar gewesen, aber in aller Regel warteten die Leute ab, bis sie selbst gefragt wurden.
Er stützte die Hände auf die Oberschenkel. »Im Augenblick halte ich noch gar nichts für sicher. Ich mache nichts anderes, als mit verschiedenen Personen zu sprechen.« Er holte sein Notizbuch hervor und schlug eine voll gekritzelte Seite auf. »Sie haben angegeben, dass Sie Ihren Bruder bei der Feier das letzte Mal nach dem Streit im Schwimmbad, den etliche Augenzeugen beobachtet haben, gesehen haben. Was ist danach passiert?«
»Ich weiß es nicht mehr genau. Ich habe mich natürlich über das, was gesagt worden war, aufgeregt, auch über die Tatsache, dass wir uns auf der Hochzeitstagsfeier unserer Eltern gestritten haben. Dadurch war ich abgelenkt. Ich habe gar nicht bemerkt, dass Jim gegangen ist.«
»Und wo waren Sie? Immer noch im Schwimmbad?«
»Ich glaube schon.«
»Bis wann genau?«
»Ich weiß nicht.«
»Um wie viel Uhr haben Sie die Party verlassen?«
»Ich weiß, dass ich gegen halb zwei zu Hause war.«
Straker blätterte um. »Der Streit, den Angela Diamond und andere beobachtet haben, war gegen dreiundzwanzig Uhr fünfzehn zu Ende. Sie wohnen wie weit vom Haus Ihrer Eltern entfernt?«
»Nicht weit. Mit dem Auto sind es sieben, acht Minuten.«
»Dann haben Sie also weitere zwei Stunden auf der Party verbracht, aber Sie können mir nicht sagen, wo genau Sie sich aufgehalten haben?«
Sean rutschte auf der Sitzfläche nach vorne. »Das Haus ist riesig. Und das gesamte Erdgeschoss war voller Gäste.«
»Dann sind Sie sich also zumindest sicher, dass Sie sich im Erdgeschoss aufgehalten haben?«
Sean spielte abwesend mit einer Klebebandrolle, zog ein Stück ab und rollte es wieder auf. Straker beobachtete ihn.
»Sicher bin ich mir nicht«, sagte Sean schließlich. »Vielleicht bin ich vor der Abfahrt auch noch einmal nach oben gegangen.«
»Aha«, erwiderte Straker. »Dann wissen Sie immerhin noch, dass Sie sich die ganze Zeit über im Inneren des Hauses aufgehalten haben.«
»Ich … glaube schon, ja.«
Sean stand auf und ging zur Balkontür, von wo er auf den Parkplatz starrte.
Straker war sich nicht sicher, ob Seans leise Worte wirklich an ihn gerichtet waren: »Ich warte immer noch darauf, dass Jim ankommt, lausche, ob ich seinen Wagen draußen höre.«
Was will er eigentlich, einen gottverdammten Heiligenschein?, dachte Straker. Dann hatte er das unangenehme Gefühl, dass er Sean bereits jetzt für den Täter hielt.
Er fragte ihn: »Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen verrate, dass Sie während dieser Zeit draußen gesehen wurden?«
Sean hatte sich immer noch zum Fenster gewandt und erwiderte achselzuckend: »Ich würde sagen, dass ich dann wohl einen der Gäste zum Auto begleitet haben muss. Ich habe doch schon gesagt, dass ich durcheinander war. Ich kann mich nicht erinnern. Und seither bin ich erst recht durcheinander, Detective. Mein Bruder ist ermordet worden!«
Er drehte sich zu Straker um. »Ich versuche wirklich die Ruhe zu bewahren. Aber während Sie hier auf mir herumhacken, läuft da draußen unbehelligt ein Mörder herum. Meine Eltern und ich würden es wirklich sehr begrüßen, wenn die Polizei sich endlich daranmachen würde, ihn ausfindig zu machen und hinter Gitter zu bringen!«
Straker nickte, als wäre das ein interessanter Vorschlag. »Davon bin ich überzeugt. Meine Beamten sind gerade dabei, genau das zu tun. Aber unser Gespräch ist noch nicht zu Ende. Ich muss Ihre Geduld noch ein wenig länger in Anspruch nehmen.«
Sean fing an zu reden, aber Straker unterbrach ihn. »Ihnen ist doch genauso klar wie mir, dass Sie die Aussage auch verweigern können.«
Straker hoffte, dass dieser einfache Satz Sean Fell veranlassen würde, im Geiste durchzuspielen, wie die Sache sich weiterentwickeln würde – bis zu dem Punkt, an dem er still dasitzen und noch mehr Fragen beantworten musste. Der Mann war nicht dumm, schien nicht diesen Macho-Ego-Reflex zu haben, einem Polizisten aus Prinzip Widerstand entgegenbringen zu müssen.
Seine Hoffnung ging in Erfüllung. Sean setzte sich.
Straker ließ den Finger über eine voll geschriebene Seite gleiten und fragte: »Was hat Jim damit gemeint, als er zu Ihnen gesagt hat: ›Ich bin viel besser in dem Job, als du denkst. Ich ziehe da mein eigenes Ding durch. Und du hast nicht den leisesten gottverdammten Schimmer‹?«
»Mein Bruder war … gespalten, was seine Arbeit im Bobby’s betraf. Er hatte das Gefühl, ich würde seine Fähigkeiten nicht angemessen würdigen.«
»Mehr ist aus diesem Satz Ihrer Meinung nach nicht herauszuhören?«