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Ganz gleich, was der Grund dafür ist, dass eine Liebe tabu ist – der Reiz des Verbotenen lässt das Knistern heftiger werden und die Herzen höherschlagen. Werden unsere Julia und unser Romeo zusammen glücklich?
SÜSSE VERSUCHUNG, VERBOTENES GLÜCK von KATE HEWITT
Für Olivia läuft alles schief . Das Foto eines Paparazzo zeigt sie als Liebespaar mit Ben Chatsfield! Doch der attraktiven Hoteltycoon ist der Letzte, in den sie sich verlieben darf – schließlich sind ihre Familien seit jeher verfeindet! Aber warum fühlt es sich so unglaublich gut an, als Ben sie küsst?
LIEBESLIST UND LEIDENSCHAFT von YVONNE LINDSAY
Nicoles Flirt mit einem sexy Fremden führt zu einem wilden Wochenende in dessen Villa. Sie dreht sogar ein heißes Video mit Nate! Leider stellt sich am Montag heraus: Er ist der Sohn des Erzrivalen ihres Vaters – und er hat eine erotische Erpressung im Sinn …
ZÄRTLICHE NÄCHTE IM PARADIES von MIRANDA LEE
Was Frauen betrifft, lässt der Milliardär Nick Coleman nichts anbrennen. Nur Sarah ist für ihn tabu, denn er ist ihr Vormund! Dabei begehrt er sie grenzenlos. Womit er nicht allein ist: Ihre Schönheit und ihr Erbe ziehen die Verehrer magisch an …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 602
Veröffentlichungsjahr: 2025
Kate Hewitt, Yvonne Lindsay, Miranda Lee
ONLY YOU BAND 14
IMPRESSUM
ONLY YOU erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
Neuauflage 2025 in der Reihe ONLY YOU, Band 14
© 2015 by Harlequin Enterprises ULC Originaltitel: „Virgin‘s Sweet Rebellion“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Gudrun Bothe Deutsche Erstausgabe 2016 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 2044
© 2012 by Dolce Vita Trust Originaltitel: „A Forbidden Affair“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Peter Müller Deutsche Erstausgabe 2013 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 1749
© 2008 by Miranda Lee Originaltitel: „The Guardian‘s Forbidden Mistress“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Charlotte Kesper Deutsche Erstausgabe 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe ROMANA, Band 1774
Abbildungen: Nartco, Ivanova Nataliia / Getty Images, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 07/2025 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751532860
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Jegliche nicht autorisierte Verwendung dieser Publikation zum Training generativer Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) ist ausdrücklich verboten. Die Rechte des Autors und des Verlags bleiben davon unberührt. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
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Kate Hewitt
„Du wusstest es …“
Ben Chatsfield starrte seinen Bruder Spencer an und versuchte, seinen aufwallenden Ärger im Zaum zu halten. Die Hände zu Fäusten geballt, gelang es ihm nur mit äußerster Anstrengung, die bitteren Worte, die ihm auf der Zunge lagen, zurückzuhalten. Natürlich schluckte er sie herunter.
So, wie er immer alles heruntergeschluckt hatte.
Stattdessen rang er sich ein ironisches Lächeln ab, als würde ihn Spencers Eröffnung eher amüsieren als schockieren. „Und wie lange weißt du es schon?“
„Dass ich illegitim bin?“ Spencer zuckte mit den Schultern. „Fünf Jahre. Seit meinem neunundzwanzigsten Geburtstag.“
Fünf Jahre!
Ben blinzelte, versuchte seinen inneren Aufruhr zu kaschieren und das Gehörte zu verdauen. Fünf lange Jahre, in denen er sich von seinem Bruder und der ganzen Familie ferngehalten hatte. Und wofür? Wie es aussah, absolut grundlos.
„Nettes Plätzchen hier“, registrierte Spencer mit Rundumblick auf den stylisch eleganten Speiseraum von Bens Flagship-Bistro im Herzen von Nizza. Wie ein x-beliebiger Tourist war er ohne Vorwarnung durch die getönten Glastüren hereingeschlendert, die Sonnenbrille lässig auf die Stirn geschoben. Mit dem Anführer der drei Musketiere von früher hatte er in diesem Moment nichts gemein.
Als Ben aus der Küche um die Ecke kam, grinste Spencer ihn so unbefangen an, als hätten sie sich zuletzt vor einer Woche gesehen.
„Hey, Ben!“
„Spencer …“
Und dann eröffnete sein großer Bruder ihm ohne Vorwarnung, dass er bereits seit fünf Jahren wisse, was Ben mit achtzehn Jahren entdeckt hatte. Ein schockierendes Geheimnis, das ihn damals zutiefst verstört und dazu gebracht hatte, sein Zuhause zu verlassen und mit der Familie zu brechen. Ihm hatte es nahezu alles genommen, und Spencer selbst lächelte darüber.
„Ist doch eine alte Geschichte, Ben“, versuchte er einen versöhnlichen Ton anzuschlagen.
Fünf Jahre zu spät!
„Ich ahnte schon immer, dass es einen Grund geben musste, warum Michael sich mir gegenüber anders verhält als James und dir gegenüber. Ich bin fast froh darüber, nicht sein leiblicher Sohn zu sein und habe meinen Frieden damit geschlossen.“
„Schön für dich.“ Ben tat sein Bestes, um sich seine Erregung nicht anmerken zu lassen. Das Wechselspiel zwischen Reue, Schuldbewusstsein, Sorge und der aufkeimenden Freude, seinen Bruder vor sich zu sehen, gipfelte in einer vorherrschenden Emotion: Wut.
Ein alt vertrautes Gefühl, das wie eine heiße Woge seinen Körper überschwemmte. Glaubt Spencer wirklich, einfach so in mein neues Leben reinplatzen zu können? Keine Entschuldigung, keine Erklärung, nur ein lässiges Wegwedeln von vierzehn endlosen Jahren?
„Was willst du hier, Spencer?“
Die direkte Frage und der fast feindselige Ton schienen Spencer zu befremden. „Freust du dich gar nicht, mich zu sehen? Es ist so lange her, Ben.“
„Du wusstest die ganze Zeit, wo du mich findest.“
„Du ebenso.“
„Aber nicht, dass du inzwischen die Wahrheit kennst.“
„Hätte das denn für dich einen Unterschied gemacht?“
„Vielleicht …“ Ben wich seinem forschenden Blick aus, weil er sich plötzlich selbst unsicher war. Wäre ich wirklich in den Schoß der Familie zurückgekehrt, wenn ich geahnt hätte, dass Spencer von seiner Illegitimität weiß? Schwer zu sagen. Ein Chatsfield zu sein, hatte ihm nur wenig angenehme Erinnerungen beschert. „Du hast meine Frage immer noch nicht beantwortet. Was tust du hier?“
„Ich habe beschlossen, dass es höchste Zeit für eine Réunion der drei Musketiere ist“, eröffnete ihm Spencer. „James ist auch in Nizza, allerdings nur übers Wochenende. Er würde dich ebenfalls gern sehen. Wir könnten uns wieder zusammentun, Ben. Zum Besten für unser Familienunternehmen.“
The Chatsfield!
Das weltweite Hotel-Imperium, für das ihr Vater gelebt hatte, und das Spencer hätte übernehmen sollen, wäre er nicht illegitim. Doch dank der Intervention ihres Onkels Gene, war er jetzt offenbar als CEO für dessen Tochter Lucilla eingesprungen, weil ihre Cousine die Hotelleitung abgegeben hatte. Ohne dass es Ben nach derartigen Informationen verlangte, erreichte ihn die eine oder andere Neuigkeit, wenn auch eher zufällig.
Und, wenn er sich nicht sehr täuschte, war Spencer nur gekommen, um auch ihn wieder für das Chatsfield-Imperium einzuspannen.
„Warum versuchst du, mir etwas vorzumachen?“, fragte er kühl. „Dir geht es nicht um die drei Musketiere. Du willst, dass ich etwas für dich tue … respektive für die Firma, stimmt’s?“
Spencers Miene verriet ihn. Sie wirkte regelrecht ertappt, fast beleidigt.
Wahrscheinlich nimmt er an, dass ich immer noch der eifrige, harmoniesüchtige Bengel bin, der ihm wie ein Hündchen auf Schritt und Tritt folgt und jedermann glücklich machen will. Gelungen war es ihm ohnehin nie.
Aber all das war eine Ewigkeit her. Inzwischen war er längst nicht mehr darauf aus, jedermann zu gefallen und es jedem recht zu machen. Und für Spencer und das Chatsfield arbeiten wollte er schon gar nicht.
„Ich bin sehr eingespannt, wie du selbst siehst“, bemerkte Ben leichthin mit entschuldigendem Lächeln. Ein taktischer Zug, um nicht der Versuchung zu erliegen, wild um sich zu schlagen – möglicherweise sogar direkt auf Spencers Kinn.
„Ich weiß, dass du Fantastisches auf die Beine gestellt und sogar einen Michelin-Stern erobert hast“, beeilte sich Spencer zu versichern. „Wie viele Restaurants sind es inzwischen?“
„Sieben.“
„Beeindruckend.“
Ben pfiff auf Spencers Anerkennung!
„Ich nehme an, du hast von dem geplanten Deal mit den Harringtons gehört?“
„Dass er einfach nicht vorankommt? Ja, kann schon sein.“ In der letzten Zeit war das Chatsfield gleich mehrfach in Pressemitteilungen aufgetaucht: einmal wegen des Angebots vom Chatsfield, die Harrington Group zu übernehmen, und dann durch die aufsehenerregende Brautwerbung seines Bruders James um Leila Al-Ahmar, Prinzessin von Surhaadi. Äußerst werbewirksam hatte James vor dem Chatsfield New York um Leilas Hand angehalten, während sein Antrag gleichzeitig über eine riesige Leinwand mitten auf dem Time Square flimmerte.
Genau die Art von Medienzirkus, die Ben hasste wie die Pest. Doch der breiten Öffentlichkeit hatte es gefallen, was wiederum Chatsfields Popularität und Ansehen steigerte.
„Die Verhandlungen und Abwicklung werden nicht einfach sein“, gab Spencer zu. „Einige Aktionäre sind inzwischen mit an Bord, aber eben nicht alle. Noch nicht.“
Ben zuckte nur mit den Schultern. Das Hotelgewerbe interessierte ihn schon lange nicht mehr.
„Hör zu“, forderte Spencer. „Ich muss unbedingt am Ball bleiben, in New York wie in London und mich um diese Übernahmegeschichte kümmern. In dieser kritischen Phase …“
„Lass dich nicht aufhalten.“
„Außerdem erwartet man von mir, während der Berlinale Anfang nächster Woche im Chatsfield Berlin zu sein.“
„Während was?“
„Berlinale, das Filmfestival. Viele der avisierten Hollywoodgrößen werden im Chatsfield absteigen. Es ist ein wichtiger Termin für das Hotel und unser gesamtes Unternehmen.“
„Mag schon sein. Ich weiß nur nicht, warum du mir das alles erzählst.“
„Ich brauche jemanden zur Unterstützung … einen Chatsfield.“
Und das war er in der Tat, so gern Ben das auch manches Mal geleugnet hätte.
„Erwartest du etwa von mir, dass ich mein eigenes Geschäft im Stich lasse, nur um dir auszuhelfen und dich nach Berlin zu begleiten?“, fragte er ungläubig. „Und das nach vierzehn Jahren Stillschweigen?“
„Du warst es doch, der damals einfach gegangen ist!“, brauste sein Bruder auf.
Bens Puls schoss in die Höhe. Instinktiv ballte er die Hände zu Fäusten. Da war er wieder, der Drang einfach zuzuschlagen. Aber natürlich beherrschte er sich … wie immer.
Immerhin ist durch meine Unbeherrschtheit fast ein Mann zu Tode gekommen.
„Das ist richtig“, bestätigte er mit rauer Stimme und lockerte seine Fäuste. „Aber ich werde weder deinetwegen noch wegen des Hotels zurückkommen.“
„Du hast dich verändert.“
„Ja.“
Spencer lächelte traurig. „Trotzdem sind und bleiben wir Brüder, Ben. Ich hätte mich schon viel früher bei dir melden sollen … verdammt, und ob ich das hätte tun müssen!“, ging er mit sich selbst ins Gericht. „Aber dasselbe gilt für dich. Ich denke, wir haben uns beide nichts vorzuwerfen, oder?“
Der alte Ben hätte sich überschlagen, Spencer beizupflichten und bereitwillig die Schuld auf sich genommen, nur um den Familienfrieden wiederherzustellen. Doch der Ben, der seit vierzehn Jahren Wut und Bitterkeit unterdrückte und wie ein Besessener nur für seine Arbeit lebte, zuckte nur mit den Schultern.
„Bitte, Ben …“
Verdammt! Spencer zog wirklich alle Register. Jetzt neigte er den Kopf und setzte dieses schiefe Koboldlächeln ein, das Ben unversehens in seine Kindheit zurückkatapultierte und ihn zu dem Jungen machte, der seinen Bruder kritiklos angehimmelt hatte.
„Ich brauche dich, Bruderherz.“
Abwehrend schüttelte er den Kopf. „Ich habe gerade ein Restaurant in Rom eröffnet. Dort werde ich in den nächsten Tagen erwartet und …“
„Zwei Wochen, Ben, mehr nicht. Ich dieser Sache müssen wir als Familie auftreten und vereint hinter dem Chatsfield stehen. Nichts wünsche ich mir mehr.“
Eine vereinte Familie …
Das war alles, was Ben sich als Kind ersehnt hatte. Stattdessen hatten ihm die ständigen Streitereien seiner Eltern und die unkontrollierten Wutausbrüche seines Vaters das Leben zur Hölle gemacht. Egal, was er versucht hatte, um Harmonie und Frieden zu stiften, keine seiner Bemühungen hatte etwas verändert. Dass er sich damals quasi auf dem Altar der Familie geopfert hatte, schien nicht gereicht zu haben. Nun war Spencer gekommen, um mehr zu fordern.
Weil er weiß, dass ich am Ende doch nachgeben werde?
Wie oft hatte er es bereut, einfach gegangen zu sein, obwohl es sich damals so anfühlt hatte, als bliebe ihm keine andere Wahl. Wie oft hatte er heimlich bedauert, derjenige gewesen zu sein, der die Familie auseinandergebracht hatte? Hoffe ich insgeheim vielleicht doch auf eine Wiedergutmachung?
Der ewige Friedensstifter! verhöhnte Ben sich selbst.
„Zwei Wochen.“ Er bemühte sich, seine Stimme neutral zu halten und senkte rasch den Blick, als er sah, wie sich Spencers Gesicht erhellte.
„Ja …“
„Aber ich bin Küchenchef und kein Mann für die erste Reihe und öffentliche Auftritte. Das überlasse ich anderen.“
„Alles bestens“, versicherte Spencer eifrig. „Freundliches Shake Hands reicht.“
Innerlich schüttelte Ben den Kopf, während er instinktiv das Lächeln seines Bruders erwiderte. Dabei hätte er am liebsten einen Rückzieher gemacht. Offenbar hatte er sich doch nicht so verändert, wie er dachte. Das ärgerte ihn.
„Immerhin ist es vierzehn Jahre her, dass ich zum letzten Mal etwas mit dem Chatsfield zu tun hatte“, brummte er. „Fast mein halbes Leben …“
„Ein Grund mehr, endlich zurückzukommen, Bruderherz.“
Es war die Aufrichtigkeit in Spencers Stimme, die ihn anrührte.
„Ich habe dich vermisst, Ben. Es tut mir schrecklich leid, dass du von zu Hause weggegangen bist, um mich zu beschützen und …“
„Vergiss es.“ Ben spürte einen Kloß im Hals. Ob aus Ärger, Trauer oder schlicht zu viel Emotion, vermochte er nicht zu sagen. Er wollte einfach nicht über die Vergangenheit sprechen, ja, nicht einmal daran denken.
„Ich rechne dir hoch an, was du damals versucht hast zu tun“, ließ Spencer nicht locker.
Doch Ben wehrte ihn kopfschüttelnd mit einer heftigen Geste ab. „Also, ich ziehe diese Berlin-Sache mit dir durch, verlange dafür aber eine Gegenleistung.“ Besser, sein Bruder gewöhnte sich daran, dass er sich nicht mehr auf seine bedingungslose Loyalität verlassen durfte. Nichts war mehr wie früher, alles hatte sich geändert. Ich habe mich verändert.
Spencers Brauen wanderten nach oben. „Okay … was willst du von mir?“
„Im Chatsfield London eine Filiale meines Bistros eröffnen.“
Bedenkliches Kopfschütteln. „Dort gibt es bereits ein Restaurant, das einen Michelin-Stern hat.“
„Und dessen Küchenchef kurz vor der Pensionierung steht“, ergänzte Ben kühl. „Abgesehen davon hat er schon seit Jahren sein Format verloren. Also?“
Spencer starrte ihn lange wortlos an, und Ben erwiderte seinen Blick mit einer Gelassenheit, die er nicht empfand. Dann gab sein Bruder sich einen Ruck. „Okay, der Deal steht: Du unterstützt mich während der Berlinale und ich dich bei der Eröffnung deines Restaurants in London.“
„Unterstützung reicht mir nicht, ich will einen unterzeichneten Vertrag.“
„Traust du mir etwa nicht?“
„Hier geht’s ums Geschäft.“
„Schick irgendwas in mein Büro, das ich unterschreibe.“ Spencer sah ihn prüfend an. „Alles wieder in Ordnung zwischen uns?“
Ben nickte langsam. „Yeah … alles in Ordnung.“
Spencer lachte und schüttelte den Kopf. „Du kämpfst mit harten Bandagen, Bruder. Hast dich ganz schön gemausert, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.“
Als ich gerade mal achtzehn und für mein Alter reichlich naiv war? Das hoffe ich aber ganz schwer!
Zum ersten Mal wurde Ben in aller Konsequenz bewusst, dass es wirklich sein Bruder war, der nach vierzehn langen Jahren vor ihm stand. Was bedeutete, dass er seine Familie wieder hatte – wenigstens zum Teil. Und neben Ärger, Aufregung und Abwehr meldete sich ein neues Gefühl. Unerwartet, aber warm und willkommen: Freude.
Olivia Harrington schaute sich in dem Standardzimmer um, das sie im Chatsfield gebucht hatte, und hob die Brauen. Sie hatte schon Schränke gesehen, die über mehr Raum verfügten als dieser hier. Über viel mehr!
Seufzend stellte sie ihren Koffer ab, zog die mörderischen High Heels aus, die sie während des ermüdenden Flugs von L. A. hierher getragen hatte, und ließ sich auf die Bettkante sinken. Dann streckte sie ein Bein aus, kickte die Tür zu und sah sich erneut in der Gefängniszelle um, die für die nächste Woche ihr Heim sein würde.
Okay, mit der Präsidenten-Suite war nicht zu rechnen gewesen, schließlich gehörte sie nicht in die Riege der A-Promis. Aber immerhin war sie wegen des Filmfestivals hergekommen, und unter einem Zimmer im besten Hotel am Platz hatte sie sich etwas anderes vorgestellt. Es gab ja nicht mal ein En-Suite-Bad! Und als attraktive Aussicht bot sich ihr die gegenüberliegende Wand an, die sie mit dem ausgestreckten Arm hätte erreichen können, wenn sie so verwegen wäre, das einzige Fenster zu öffnen. Was sie nicht vorhatte.
Außerdem sah es nicht so aus, als ob das Zimmer nach dem letzten Gast, oder besser Insassen, ordentlich geputzt worden wäre. Auf dem Teppichboden lagen Krümel, und das Bettzeug wirkte ziemlich verkrumpelt und auf den zweiten Blick … benutzt!
Ugh! Olivia rümpfte die Nase, beugte sich vor und öffnete die Tür des eingebauten Mini-Kühlschranks unter dem noch winzigeren Fernseher.
Das Horrorszenario um sie herum schrie geradezu nach einem Drink!
Allerdings schien die Minibar bereits von ihrem verärgerten oder verzweifelten Vormieter geplündert worden zu sein. Außer einer Flasche Wasser und einem angebrochenen Schokoriegel starrte ihr gähnende Leere entgegen. Fassungslos schüttelte Olivia den Kopf.
Was für ein Tag! Dabei hatte Olivia geglaubt, es könne nicht schlimmer kommen.
Nach zwei in L. A. gecancelten Flügen fand sie sich schließlich in einem Economy-Sitz wieder, eingeklemmt zwischen einer Mutter mit schreiendem Kind und einem übergewichtigen Geschäftsmann, der die gesamte Armlehne beanspruchte.
Dabei hatte sie sich extra aufgestylt. Denn Olivia wusste sehr wohl, dass Paparazzi auf Schnappschüsse von Promis ohne Make-up aus waren, wie sie völlig übernächtigt aus dem Flieger stolperten. Das hatte sie zumindest verhindern können, dafür brachten sie ihre Füße fast um. Und an erholsamen Schlaf war in dieser unaussprechlichen Unterkunft schon gar nicht zu denken!
Gerechte Empörung trat an die Stelle totaler Erschöpfung.
Mit einer gemurmelten Verwünschung stand Olivia auf, zwängte die schmerzenden Füße in ihre High Heels, die in den wenigen Minuten um mindestens zwei Größen geschrumpft zu sein schienen, und frischte ihren Lippenstift vor dem schmalen Spiegel auf, der über einem ebenso schmalen Schreibtisch hing.
Sie war wirklich keine Diva, aber das hier spottete jeder Beschreibung! In dieser engen Zelle bekam man kaum Luft, geschweige denn, dass man sich für Filmpremieren und Network-Partys zurechtmachen konnte!
Langsam dämmerte Olivia, warum man ihr dieses Gelass angedreht hatte: weil sie eine Harrington war! Und weil ihre Schwester Isabelle sich weigerte, Spencer Chatsfield ihre Anteile am Harrington zu verkaufen, um die Übernahme des Familienunternehmens durch die Chatsfield Group zu verhindern.
Bestimmt hatte Spencer Chatsfield einen diebischen Spaß daran, sich eine Harrington in einem begehbaren Chatsfield-Schrank vorzustellen, der sich auch noch Hotelzimmer schimpfte! Sehr witzig!
Okay, vielleicht hätte sie angesichts der spannungsgeladenen Situation zwischen den beiden Hotelketten gar nicht erst hier buchen sollen. Aber jeder, der etwas auf sich hielt, wohnte während des Filmfestivals im Chatsfield Berlin. Und darauf hatte sie einfach nicht verzichten wollen. Schon gar nicht aus albernem Familienstolz. Dafür hatte sie zu hart gearbeitet und zu viel investiert, um ihre erste große Chance in der Filmbranche nicht optimal zu nutzen.
Olivia wusste, wie das Spiel funktionierte: Bussi hier, Bussi da, mit den Wimpern klimpern, den richtigen Leuten Honig um den Bart schmieren – eben Networking. Sie war bereit, so ziemlich alles zu tun, um ihre Filmkarriere voranzutreiben. Um zu beweisen, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte und ihre Mutter bestimmt stolz auf sie wäre.
Außerdem war es Isabelle und nicht sie, die mit den Chatsfields im Clinch lag!
Sie selbst interessierte sich weder für die familieneigene Hotelkette noch für ihre Konkurrenz. Trotzdem war Olivia nicht bereit, sich von einem Chatsfield auf diese Art vorführen zu lassen. Mit einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel ging sie auf die Suche nach dem Mann, der es offenbar genoss, eine Harrington an der Nase herumzuführen und zu demütigen.
Die luxuriöse Hotellobby mit dem glamourösem Art Nouveau Charme wimmelte förmlich von Stars, Sternchen und Medienvertretern. Olivia sah nur wenige Bekannte, setzte aber ihr strahlendstes Lächeln auf. Winkend und nach allen Seiten Luftküsse verteilend, bahnte sie sich ihren Weg durch die Eingangshalle.
„Ich möchte den Manager sprechen“, wandte sie sich an eine Rezeptionistin.
Die wohlfrisierte Brünette hob indigniert die feingezupften Brauen. „Ich fürchte, Mr. Chatsfield ist außerordentlich beschäftigt, Miss …“
„Harrington. Olivia Harrington.“
Die Empfangsdame wirkte nicht beeindruckt, was Olivia mit den Zähnen knirschen ließ. Okay, man kannte sie offenbar nicht. Noch nicht!
Aber in dieser Woche würde ihr Film auf der Berlinale laufen. Beziehungsweise ein Film, in dem sie eine der tragenden Rollen hatte ergattern können – und dazu das Versprechen auf einen noch größeren Part in einem Streifen, der ihr wirklich etwas bedeutete. Ein Film, der die Herzen der Zuschauer erobern und Preise abräumen würde.
Ob die Rezeptionistin sie kannte oder nicht, konnte ihr egal sein, allerdings war sie auf die Kooperation der kapriziösen Brünetten angewiesen.
„Ich gehe davon aus, dass Mr. Chatsfield momentan sehr beschäftigt ist“, demonstrierte Olivia lächelnd Verständnis. „Aber wenn Sie ihm sagen, dass ihn Miss Harrington von der Harrington Hotel Group sprechen möchte, wird er sich bestimmt Zeit für mich nehmen, glauben Sie mir …“
Irritation und Unsicherheit fochten einen stummen Kampf auf den aparten Zügen der armen Frau, bevor sie knapp nickte. „Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann, Miss Harrington.“
Olivia nickte ebenfalls und wartete, bis sich die Rezeptionistin abgewandt hatte, ehe sie den angehaltenen Atem ausstieß. Die erste Hürde war genommen.
„Olivia Harrington?“
Mit zusammengeschobenen Brauen musterte Ben die Angestellte, die in der Tür seines improvisierten Büros hinter dem Rezeptionsbereich stand. Sein Kopf rauchte bereits angesichts schier unlösbarer Probleme, zu deren größten die Liste abstruser Wünsche der Prominentenliga aus Hollywood gehörte.
Von wegen nur Lächeln und Händeschütteln! Sobald Spencer ihm über den Weg lief, würde er ihm sagen, wohin er sich seine Blumen samt kapriziösen Filmsternchen stecken konnte!
Gegen seinen Willen wieder in die typische Chatsfield-Welt zurückkatapultiert zu sein, machte Ben einmal mehr klar, warum er sich bewusst gegen das Rampenlicht und für die Küche entschieden hatte.
„Soll das etwa heißen, eine Harrington von den Harringtons will mich sprechen?“, knurrte er ungnädig.
Die Rezeptionistin nickte mit entschuldigendem Lächeln. „Sie verlangte, den Manager zu sprechen. Und das ziemlich … nachdrücklich.“
Ben schloss die Augen. Verdammt!Was, zur Hölle, hat die Frau überhaupt hier in Berlin verloren? Sollten diese leidigen Grabenkämpfe zwischen Isabelle Harrington und seinem Bruder nicht eher in New York oder London ausgetragen werden?
„Schicken Sie Miss Harrington herein“, ordnete Ben mit schmalen Lippen an.
Zehn unerträgliche Minuten ließ diese unverschämte Frau sie warten, bevor sie mit eisigem Lächeln an den Empfangstresen zurückkehrte, während Olivias Füße im Sekundentakt weiter anzuschwellen schienen.
„Mr. Chatsfield lässt bitten, Miss Harrington. Wenn Sie mir folgen wollen …“
„Oh, besten Dank“, murmelte Olivia sarkastisch. Rühmten sich nicht gerade die Chatsfield Hotels ihres herausragenden Gästeservices? Angesichts ihrer untragbaren Kemenate und des spröden Verhaltens der Rezeptionistin ein wahrer Hohn. Aber vielleicht war diese Spezialbehandlung auch nur den Harringtons vorbehalten.
Mit geschürzten Lippen und innerlich bebend vor gerechter Empörung betrat Olivia das Büro und erstarrte beim Anblick des Mannes, der sich hinterm Schreibtisch verschanzt hatte und sich eindeutig gereizt mit einer Hand durch das dichte dunkle Haar fuhr.
Das sollte Spencer Chatsfield sein? Auf den wenigen Pressefotos, die sie kannte, hatte sie einen ganz anderen Eindruck von ihm gewonnen. Nie hätte sie ihn als so attraktiv und regelrecht … umwerfend eingeschätzt. Galt er nicht eher als konservativ und zugeknöpft?
Das war der Typ vor ihr ganz sicher nicht, trotz des schicken, maßgeschneiderten Anzugs, der seinen athletischen Körperbau eher betonte als verbarg. Wie er ihn trug, ließ Olivia unwillkürlich vermuten, dass er sich in Jeans und T-Shirt wesentlich wohler fühlte. Vielleicht sogar in einer ledernen Motorradjacke und passenden Biker-Boots. Sie sah es förmlich vor sich.
„Was kann ich für Sie tun?“
Oh, da fällt mir auf Anhieb so einiges ein …
Erst jetzt wurde Olivia bewusst, dass sie ihn anstarrte oder, noch viel schlimmer, förmlich anhimmelte! Energisch hob sie das Kinn.
„Mr. Spencer Chatsfield?“ Musste der Kerl zu allem Überfluss auch noch dermaßen intensive Augen und diesen sexy dunklen Bartschatten auf den markanten Wangenknochen haben?
„Nicht Spencer, sondern Ben Chatsfield“, wurde sie kühl korrigiert. „Und Sie sind?“
„Olivia Harrington.“
Keine Reaktion. Oder wenn, dann nicht mehr als ein Anflug von Langeweile und Ungeduld. „Was kann ich für Sie tun, Miss Harrington?“
Er weiß von meiner unzumutbaren Unterbringung! dachte Olivia grimmig. Sie konnte es in den haselnussbraunen Augen und der lässigen Haltung ablesen. Was hatte dieser Mann gegen sie, von dessen Existenz sie bis eben gar nichts gewusst hatte? Spencer war der Chatsfield, den Isabelle am häufigsten erwähnte, und James war dank seiner extravaganten Eskapaden, die in der Presse genüsslich ausgeschlachtet wurden, nahezu jedem ein Begriff. Aber Ben Chatsfield?
Eins stand jedenfalls felsenfest: Der Kerl war ein … ein mieser Schuft!
Olivia stützte sich mit beiden Handflächen auf der Schreibtischplatte ab und brachte ihr Gesicht bewusst so dicht an seines heran, dass es nur als Drohung verstanden werden konnte. Doch ihr Gegenüber zuckte nicht einmal mit der Wimper.
„Sie mögen es amüsant finden, eine Harrington in einem Verschlag unterzubringen, der kaum die Größe eines Wandschranks hat. Ich hingegen halte es für schlechten Service. Eine absolut miserable Gästebetreuung, Mr. Chatsfield, die mir ein extrem negatives Bild Ihrer Firmenphilosophie vermittelt“, sagte sie eisig.
„Darf ich Ihrer etwas verworrenen Erklärung entnehmen, dass Sie nicht zufrieden mit Ihrem Zimmer sind, Miss Harrington?“, kam es gelassen zurück.
Olivia lachte harsch und richtete sich wieder auf. „Absolut nicht zufrieden, Mr. Chatsfield. Das Zimmer ist grauenhaft. Mit einem Wort: unzumutbar!“
„Unzumutbar also …“, wiederholte er in neutralem Ton, lehnte sich im Chefsessel zurück und fuhr sich mit der Hand über das markante Kinn.
Selbst bei dieser gedankenverlorenen Geste wirkte er so sexy, dass Olivias Blut schneller und heißer durch die Adern rauschte, als es ihr lieb war. Defensiv verschränkte sie die Arme vor der Brust und wartete.
Aber worauf? Dass er sich für seine Verfehlungen vor ihr rechtfertigte? Das Ganze vielleicht als ein Versehen bezeichnete? Ha! Als ob sie ihm das abnehmen würde!
„Und was genau ist so unzumutbar an Ihrem Zimmer … Miss Harrington?“
Sie spürte die Röte, die ihr angesichts dieser Herausforderung ins Gesicht stieg. Allein, wie er ihren Familiennamen aussprach!
„Alles!“, zischte sie. „Einfach alles.“
Abrupt beugte sich Ben vor, tippte etwas in den PC und lehnte sich kurz darauf gelassen zurück. „Wie ich sehe, haben Sie ein Standardzimmer reserviert.“
„An diesem Wandschrank ist absolut nichts Standard.“
„Das Chatsfield vermietet keine Wandschränke.“
„Vielleicht sollten Sie sich selbst ein Bild von dem Desaster machen“, schlug Olivia im selben arroganten Ton vor.
Einen Moment lang schien Ben Chatsfield sie erneut abwimmeln zu wollen, dann jedoch gab er sich einen Ruck. „Vielleicht haben Sie recht, und wir können die leidige Angelegenheit auf diese Weise am schnellsten aus der Welt schaffen.“
Überrascht und seltsam erregt machte Olivia eine einladende Geste in Richtung der Tür. „Gute Idee. Seien Sie mein Gast …“, murmelte sie sarkastisch.
Ben lachte rau. „Oh, nein, Miss Harrington, das ist mein Part.“
Während er Olivia Harrington grimmig folgte, fragte sich Ben, was im Besonderen ihr Missfallen erregt haben könnte. Zu weiche oder harte Matratze? Keine Blumen im Bad? Oder machte es ihr einfach Spaß, dick aufzutragen, weil sie als eine Harrington darin die perfekte Gelegenheit sah, ihm als einem Chatsfield so richtig eins auszuwischen?
Egal, was ihre Gründe sein mögen, es ist nicht mein Ding! sagte sich Ben. Auch wenn er sich von Spencer hatte breitschlagen lassen, ihm auszuhelfen, würde er nicht den Kampf seines großen Bruders führen. Und schon gar nicht, wenn darin auch noch eine ebenso verwöhnte wie zickige Hotelerbin verwickelt war.
Nebenbei eine sehr attraktive, wenn man diesen aufgemotzten, perfekt gestylten Typ mochte, dachte Ben und versuchte, nicht auf den runden festen Po und die langen schlanken Beine vor sich zu starren, die in mörderischen High Heels steckten. Für seinen Geschmack war sie zu perfekt, zu übertrieben gestylt, irgendwie künstlich. Und dank einschlägiger Erfahrungen in dieser Hinsicht hatte er für Fake und Show nichts übrig.
Trotzdem konnte er den Blick nicht von der Fülle kastanienbrauner Locken abwenden, die bis zur Mitte des schmalen Rückens herabfielen und einen fantastischen Kontrast zu dem jadegrünen engen Kleid abgaben, ebenso wie die großen braunen Augen, als sie ihm jetzt über die Schulter hinweg einen kurzen Blick zuwarf. Wollte sie sich etwa vergewissern, ob er ihr auch wirklich folgte? Fast hätte Ben bei der Erkenntnis gelacht, dass er es mehr als bereitwillig tat.
Am Lift drückte sie energisch den Knopf, mit schlankem Zeigefinger im French-Nail-Design. Ihr graziler Körper schien vor innerer Anspannung zu beben, während sie auf den Fahrstuhl warteten.
„Wann sind Sie in Berlin angekommen, Miss Harrington?“, fragte Ben, nur um irgendetwas zu sagen.
„Vor über einer Stunde“, informierte sie ihn mit kaltem Seitenblick. „Ich bin die ganze Nacht über geflogen.“
Und was war daran das Problem? „Nennen Sie mich doch Ben“, bat er mit gezwungenem Lächeln. Auf eine wie immer geartete Reaktion auf das Angebot wartete er vergebens.
Glücklicherweise glitten in diesem Moment die Lifttüren auseinander, und sie stiegen ein. Ehe sich die Türen wieder schließen konnten, gesellte sich in letzter Sekunde eine üppige Blondine im pinkfarbenen Kostüm zu ihnen, die einen spitzen Schrei ausstieß, sobald sie seine Begleiterin sah.
„Olivia! Ich hatte ja keine Ahnung, dass du auch zur Berlinale kommst!“
Die Unaufrichtigkeit in ihren Worten war selbst für Ben hörbar, da hätte es der sichtlichen Anspannung der Frau dicht neben ihm gar nicht bedurft. Sekunden später hatte Olivia sich allerdings wieder gefangen und lächelte ebenso strahlend wie falsch.
„Amber! Wie schön dich zu sehen. Ich bin hier, weil ich in dem Indie-Film ‚Blue Skies Forever‘ mitspiele.“
„Ach, stimmt ja!“, meinte die Blondine, als würde sie sich plötzlich erinnern. „Irgendeine kleine Nebenrolle, oder?“
„Eine der tragenden Rollen“, korrigierte Olivia, ohne auch nur einen Millimeter ihres strahlenden Lächelns einzubüßen. Als ein Signal ertönte und die gebürsteten Stahltüren auseinanderglitten, rauschte sie hoch erhobenen Hauptes an Amber vorbei aus dem Lift. „Ich bin sicher, wir sehen uns …“
Also ist sie Schauspielerin, vermerkte Ben für sich und betrachtete Olivia gedankenverloren, wie sie mit sehr geraden Schultern vor ihm her schritt. Es überraschte ihn nicht wirklich, schließlich hatte er bereits eine Kostprobe ihres Hangs zur Melodramatik miterleben dürfen. Schauspieler: Maskenträger, schwierig und stets nach Aufmerksamkeit heischend. Und Olivia Harrington erfüllte alle drei Kriterien.
Stutzig wurde Ben allerdings, als sie unbeirrt immer weiterlief, bis in einen Bereich des Hotels, zu dem selbst er bisher noch nicht vorgedrungen war. Durch eine Brandschutztür führte sie ihn in einen Trakt, in dem Gäste seiner Überzeugung nach nichts zu suchen hatten. Wie es aussah, war er allein dem Hotelpersonal vorbehalten und diente zudem noch offenkundig als Vorratslager.
„Da wären wir!“, verkündete Olivia fast triumphierend und präsentierte ihm mit sonnigem Lächeln einen altertümlichen Schlüssel, der ihnen die Tür zu einem winzigen Gelass öffnete. Als Ben ihr fassungslos ins Rauminnere folgte, streifte er Olivias Schulter, so knapp war der Platz im Zimmer, das tatsächlich kaum größer als ein Wandschrank war.
„Mal ehrlich, würden Sie das hier nicht auch als unzumutbar beschreiben?“, fragte sie sarkastisch und wies mit dem Kinn auf das verkrumpelte Bett. „Meiner Ansicht nach wurden die Laken zuletzt vor Wochen gewechselt. Außerdem gibt es hier kein En-Suite-Bad wie in der Zimmerbeschreibung ausgewiesen, und die lächerliche Minibar hat mein Vorgänger geplündert.“
Olivia hatte sich inzwischen in Rage geredet, und als sie jetzt mit blitzenden Augen und in die Hüften gestemmten Fäusten zu dem vermeintlich Schuldigen herumfuhr, kam sie Ben so nah, dass er ihren Atem auf seiner Haut spürte und die Wärme und Weichheit der verlockend prallen Oberweite sehr dicht an seiner Brust.
Das Zimmer ist wirklich verdammt klein!
„Tut mir leid“, murmelte er heiser. Selbst nach dreizehn Stunden Flug duftete diese Frau immer noch verführerisch frisch und verlockend nach Vanille und irgendetwas Blumigem. „Hier liegt eindeutig ein Missverständnis vor.“
„Ein Missverständnis?“, echote Olivia empört. „So leicht wollen Sie sich also aus der Affäre ziehen?“
Ben spürte die vertraute Ungeduld und Wut in sich aufsteigen. Verdammt! Egal, wie attraktiv oder verwöhnt diese Harrington-Prinzessin war, warum versuchte sie auf Teufel komm raus, einen unglücklichen Fehler als bewussten Affront hinzustellen? „Sie glauben doch nicht ernsthaft, wir würden einem Gast mit voller Absicht einen Raum wie diesen zumuten?“
Olivia kniff die Augen zusammen und kam ihm, wenn überhaupt möglich, noch näher. „Genau das glaube ich, Ben!“
„Und womöglich auch noch, dass ich das veranlasst hätte, weil Sie eine Harrington sind?“
„Um zu dem Schluss zu gelangen, muss man wahrlich keine Intelligenzbestie sein!“
Ben lachte. „Wie praktisch für Sie!“
„Machen Sie sich jetzt auch noch über mich lustig?“
„Dasselbe könnte ich Sie fragen. Halten Sie sich tatsächlich für so wichtig, wie es den Anschein hat? Was stellen Sie sich eigentlich vor? Dass ich aufgeregt die VIP-Gästelisten des komplett ausgebuchten Hotels nach dem Namen Harrington durchforste, in der Hoffnung auf irgendein unsinniges Machtspielchen? Ich fürchte, ich muss Sie enttäuschen, Olivia Harrington. Ihre Anwesenheit während der Berlinale ist weder Gesprächsthema des Tages noch Schlagzeile in der heutigen Klatschausgabe.“
Verunsichert durch seinen harschen Ton hob Olivia die Schultern. „Ich kann mir auch nicht erklären, woher Sie es wussten, aber …“
„Oh, bitte!“, unterbrach er sie grob. „Gönnen Sie mir eine Pause. Wenn ich überhaupt einen Gedanken an Ihre Familie verschwenden würde, dann ich Richtung New York, wo sich mein Bruder um die Übernahme der Harrington-Hotels kümmert.“
„Was für eine Übernahme?“, echote Olivia verblüfft. „Meine Schwester hat sich doch geweigert …“
„Ich glaube nicht, dass sich sogenannte feindliche Übernahmen so einfach verhindern lassen“, unterbrach Ben sie abermals. „Aber das Ganze hat glücklicherweise nichts mit mir zu tun, da ich nicht in Chatsfield-Transaktionen involviert bin.“
„Außer, dass Sie das Hotel in Berlin managen?“, fragte Olivia ironisch und traf damit bei ihm einen wunden Punkt.
Irgendwie konnte Ben immer noch nicht glauben, dass er sich tatsächlich von Spencer dazu hatte breitschlagen lassen. Und über seine eigenen Motive wollte er lieber gar nicht nachdenken. „Nur für die Dauer der Berlinale.“
Olivia schürzte die Lippen. Sekundenlang musterten sie einander abschätzend, feindselig und … da war noch etwas anderes zwischen ihnen, das sie nicht benennen konnte und das Ben für sich als widerwillige Anziehung interpretierte.
Olivia Harrington war unbestritten eine äußerst attraktive Frau. Eine faszinierend lebendige, sexy Erscheinung. Mit den wunderschönen Augen, die vor selbstgerechter Empörung funkelten, und der schimmernden Lockenmähne, die ihr ins gerötete Gesicht fiel, wirkte sie gleichzeitig wütend und erregt. Vielleicht ist sie ja beides …
Ich selbst bin es auf jeden Fall! Unbehaglich trat Ben von einem Fuß auf den anderen und dachte, dass es kaum einen schlechteren Zeitpunkt für eine derartige Erkenntnis geben konnte. „Ich werde veranlassen, dass Sie ein anderes Zimmer bekommen“, versprach er kühl. „Und als Entschädigung für den erlittenen Ärger ist die erste Übernachtung gratis.“
Olivias Augen weiteten sich überrascht, doch dann hatte sie sich auch schon wieder gefangen und nickte.
„Danke“, sagte sie leichthin, was Ben mit einem knappen Nicken quittierte. Je eher er diese Nervensäge los war, umso besser.
„Zu Ihren Diensten, Miss Harrington“, murmelte er und zog sich zurück.
Keine Stunde später betrat Olivia eine der exquisitesten Suiten vom Chatsfield Berlin und riss die Augen auf. Dies war definitiv kein Standardhotelzimmer. Nicht annähernd!
Ein livrierter Page hatte bereits ihren Koffer im Vorraum abgestellt, und nachdem die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, wanderte Olivia staunend und voller Neugier durch ihr neues Reich. Neben dem eleganten Foyer gab es einen großzügigen Wohnraum, eine Küche und ein Schlafzimmer mit angrenzendem Bad, inklusive einer in den Boden eingelassenen Wanne aus Marmor.
Welch dekadenter Luxus!
Augenblicklich fühlte Olivia sich versucht, heißes Wasser einzulassen, um für eine gefühlte Ewigkeit im duftenden Schaumbad zu versinken. Doch egal, wie fantastisch all das war, konnte sie ein gewisses Unbehagen nicht abschütteln. Unabhängig von dem Versprechen einer Gratisübernachtung hatte Ben Chatsfield sie in einer Suite untergebracht, die normalerweise ein Vielfaches ihres ursprünglich gebuchten Hotelzimmers kostete.
Ob er sie damit vom exzellenten Service überzeugen wollte, für den die Chatsfield Hotels berühmt waren? Oder fühlte er sich vielleicht doch schuldig, nachdem er sie vorsätzlich in dem unzumutbaren Loch untergebracht hatte?
Energisch verbot Olivia sich, weiter darüber nachzudenken.
Egal, welche Motive ihn bewegt haben mochten, sie bewohnte jetzt eine Luxus-Suite für weniger Geld als veranschlagt. Und da sie beschlossen hatte, keinen Penny des Harrington-Vermögens anzutasten, um ihre ganz privaten Träume zu verwirklichen, kam ihr das sehr entgegen.
Vor sich hin summend öffnete sie ihren Koffer und hängte alle für die nächsten Tage mit Bedacht ausgesuchten Outfits in den riesigen Kleiderschrank. Dann ließ sie Wasser in die Marmorwanne ein, inklusive hoteleigenem Badezusatz, und versank mit einem tiefen Seufzer im duftenden Schaum.
Doch sosehr sie die wohltuende Wärme auch genoss, das nagende Unbehagen in ihrem Hinterkopf blieb bestehen. Vielleicht war Unbehagen das falsche Wort. Erhöhte Sensibilität oder gesteigerte Wahrnehmung trafen wohl eher zu.
Verdammt! Warum muss dieser Kerl auch so unglaublich attraktiv sein? Richtig sexy!
Selbst mit geschlossenen Augen sah sie ihn glasklar vor sich. Das dichte, etwas unordentliche dunkle Haar, die glitzernden haselnussbraunen Augen, das feste Kinn mit den lässigen Bartstoppeln. Einfach umwerfend! Aber noch aufregender war die fast greifbare Energie, die er nur unvollkommen hinter der mühsam beherrschten Fassade verbarg.
Wild und ungezügelt! schoss es ihr durch den Kopf. Typ Freibeuter …
Olivia lachte animiert. Wenn ein Typ wie Ben Chatsfield sich je für sie interessieren würde, wüsste sie auf jeden Fall etwas mit ihm anzufangen. Die wenigen Beziehungen, die sie bisher eher halbherzig eingegangen war, waren durchweg kontrolliert und langweilig verlaufen. Ohne einen Hauch von Abenteuer oder Gefahr.
Und genauso will ich es doch auch, oder nicht?
Bereits in ihrem zwölften Lebensjahr hatte Olivia beschlossen, tiefergehende Gefühle zu meiden. Sie hatte damals schon nicht mit ihnen umgehen können und es bis heute nicht gelernt – oder hielt sich zumindest bewusst davon fern. Und aus diesem Grund war es geradezu unerlässlich, einen Mann wie Ben Chatsfield zu ignorieren.
Olivia ließ sich noch ein wenig tiefer in den duftenden Schaum sinken und überlegte, was es für ein Gefühl sein mochte, den selbst gewählten Schutzmechanismus wenigstens für einen kurzen Moment außer Acht zu lassen.
Bevor ihre Fantasie sie auf gefährliche Ideen brachte, beschloss sie, ihre ‚Badeorgie‘ zu beenden, in ihren gemütlichen Pyjama zu schlüpfen, sich in das weiche Bett vor dem XXL-Fernseher zu kuscheln und sich mit einem banalen Film abzulenken. Anschließend würde sie mindestens acht Stunden schlafen!
Der morgige Tag war vollgestopft mit Interviews über ihren gerade abgedrehten Film, weshalb sie wahrscheinlich bis in die Nacht unterwegs sein würde. Ein Mammut-Programm, das ihr absolut entgegenkam. Für sie war es nämlich deutlich einfacher, Olivia Harrington, die aufstrebende Schauspielerin, zu sein als irgendjemand sonst.
Zum Beispiel einfach sie selbst …
Anstatt sich durch den Schmollmund der berühmten Schauspielerin animiert zu fühlen, knirschte Ben lautlos mit den Zähnen. Die Frau, deren Namen ihm nicht einfiel, sah zugegebenermaßen umwerfend aus, benahm sich aber ebenso irritierend und nervtötend wie diese Olivia Harrington.
„Tut mir leid, der Empfangsbereich des Hotels steht für private Events nicht zur Verfügung“, teilte er der Diva kühl mit. Auch ohne sich mit den Launen verwöhnter Celebrities auseinanderzusetzen, strengte es ihn enorm an, sich in der Lobby vom Chatsfield aufhalten zu müssen. Wohin er sich auch drehte und wendete, wurde er von unwillkommenen Erinnerungen heimgesucht, obwohl er noch nie zuvor in Berlin gewesen war.
Dafür aber lange genug in anderen familieneigenen Hotels …
Schon beim Betreten des Gebäudes hatte er sich wie mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit katapultiert gefühlt. Der Duft von Leder und Möbelpolitur, das Klingen von kostbarem Kristall, das leise Ping, bevor sich die Lifts öffneten.
Er fühlte sich wieder wie der eifrige kleine Junge von früher, propper herausgeputzt, der in der Hotellobby darauf wartete, dass sein Vater endlich den langen Arbeitstag beendete und ihm vielleicht sogar einmal zulächelte. Und wenn sein Vater das schon nicht tat, dann wenigstens Spencer.
„Es wäre der perfekte Rahmen für meinen Geburtstagsempfang.“ Anstatt zu schmollen, versuchte die Diva ihn jetzt mit einem verführerischen Lächeln zu bezirzen und holte Ben damit in die Gegenwart zurück.
„Die Lobby ist ein öffentlicher Raum“, erklärte er noch einmal kühl und streifte ihre schmale, perfekt manikürte Hand von seinem Jackenärmel, wie er es auch bei einem lästigen Insekt getan hätte. „Sie werden den anderen Gästen sicher kaum zumuten wollen, ihre Zimmer durch den Service-Eingang zu erreichen.“
An die Filmdiva war Bens unverhohlener Sarkasmus offensichtlich verschwendet, dafür entlockte er den Rezeptionsangestellten ein anerkennendes Schmunzeln.
„Aber wir sind natürlich gern bereit, einen passenderen Rahmen für Ihr Event nach Ihren persönlichen Wünschen zu gestalten. Ich habe hier jemanden, der Ihnen verschiedene Lokalitäten präsentieren kann. Der Pariser Salon zum Beispiel ist geradezu spektakulär.“
Sobald er allein war, schnitt Ben eine angewiderte Grimasse angesichts der Leichtigkeit, mit der ihm derartige Plattitüden über die Lippen kamen. Seit vierzehn Jahren war er dafür bekannt, bis zur Schmerzgrenze aufrichtig und gerade heraus zu sein. Wer in seine Bistros kam, wusste, was ihn erwartete.
Kaum zurück im Chatsfield – in dem unsichtbaren Spinnennetz, in das seine Eltern ihn seit frühester Kindheit eingesponnen hatten –, mimte er den professionellen Schmeichler und Blender. Wie Spencer es von ihm erwartete.
„Gratulation, Mr. Chatsfield.“ Ein Page, der die Auseinandersetzung gespannt mitverfolgt hatte, grinste anerkennend. „Das nennt man: erfolgreich abgewimmelt. Die Frau ist eine echte Nervensäge. Acht bleischwere Gepäckstücke und kein Cent Trinkgeld.“
„Das überrascht mich kein bisschen“, murmelte Ben und wusste, dass ein seriöser Hotelmanager den vorlauten Pagen für den mangelnden Respekt einem Gast gegenüber unter Garantie gemaßregelt hätte. Doch er würde das nicht tun. In der kurzen Zeit, die er seinen Vertretungsjob bislang ausübte, hatte er sich von der Professionalität des gesamten Personals überzeugen können. Und gerade dieser Page verhielt sich den Gästen gegenüber stets untadelig. Aber etwas Dampf ablassen musste jeder mal, oder nicht?
Ben entließ den jungen Pagen mit flüchtigem Lächeln und einem Nicken in Richtung des Gepäck-Trolleys, der darauf wartete, seinem Zielort zugeführt zu werden.
„Mr. Chatsfield?“
Angesichts der vertrauten Stimme und dem energischen Klacken von High Heels auf dem polierten Marmorboden seufzte Ben innerlich. Der Eine war noch nicht außer Sicht, da forderte bereits die Nächste seine Aufmerksamkeit.
„Ja, Rebecca?“, wandte er sich mit gezwungenem Lächeln an seine temporäre PA. „Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Der Reporter wegen des Interviews zum Catering für die Teilnehmer der Berlinale …“
„Oh, richtig. Geben Sie mir noch eine Minute.“
Zwölf Stunden später, um kurz vor Mitternacht, konnte Ben endlich Feierabend machen. Im Verlauf des Tages war es ihm gelungen, etliche Katastrophen abzuwenden, inklusive eines Fast-Zimmerbrandes, nachdem eine von vierzig Aromatherapie-Kerzen in der Penthouse-Suite umgestoßen worden war. Daneben hatte er mehr übersteigerte Egos streicheln müssen als in seinem gesamten bisherigen Leben.
Und nicht einmal hatte er die Beherrschung verloren. Allerdings hämmerte es hinter seinen Schläfen, und seine verspannte Nackenmuskulatur schmerzte höllisch.
Ich hätte mich niemals von Spencer zu diesem verdammten Job überreden lassen dürfen! ging er mit sich ins Gericht und beschloss spontan, noch ein paar Bahnen im Swimmingpool auf der Dachterrasse zu ziehen. Der Pool war eines der absoluten Highlights des Hotels, mit olympischen Ausmaßen und – durch die bodentiefe Rundumverglasung – einem fantastischen Blick auf die City.
Zum Glück war der Pool um diese Zeit verwaist, sodass Ben sich mit einem zufriedenen Seufzer ins Wasser gleiten ließ, nachdem er sich in der Männerkabine umgezogen hatte. Tief unter ihm erstreckte sich das nächtliche Berlin als funkelnder Lichterteppich. Trotz der Dunkelheit konnte er sowohl das Schloss Bellevue wie die Siegessäule inmitten des Tiergartengeländes ausmachen, das unter einer dünnen Schneedecke lag. Es war sein erster Besuch hier, doch Ben bezweifelte, dass er während seines zweiwöchigen Aufenthalts Zeit finden würde, um sich die Stadt näher anzuschauen.
Nicht, dass es ihm etwas ausmachte. Er wollte einfach nur so schnell wie möglich zurück nach Frankreich. Zurück in sein gewohntes Leben.
Und wenn Spencer dir anbietet, in sämtlichen Chatsfield-Dependancen Bistros zu eröffnen?
Diese brisante Frage trieb ihn um, seit er von seinem Bruder eine Gegenleistung für seine Bereitschaft verlangt hatte, während der Berlinale einzuspringen. Dabei war er sich seiner Sache längst nicht mehr so sicher, wie er es anfangs geglaubt hatte. Er brauchte weder zusätzlichen Reichtum noch Publicity, und der Gedanke, sich erneut derart eng mit dem Chatsfield und seiner Familie zu vernetzen, machte Ben eher Angst, als dass er ihn mit Genugtuung erfüllte.
Eine echte Rückkehr zu den alten Zeiten gab es nicht. Selbst, wenn er sich danach gesehnt hätte. Aber das tue ich nicht … oder vielleicht doch?
Grübeln zwecklos! sagte sich Ben energisch und tauchte mit einem Kopfsprung in den Pool ein. Das Wasser fühlte sich kühl und erfrischend auf der Haut an, und nach ein paar Bahnen lockerte sich seine verkrampfte Muskulatur und der Druck hinter den Schläfen ließ langsam nach. Ben ging in Rückenlage, starrte zur Decke hoch und ließ alles los …
Als sich eine Tür öffnete, sah er aus seiner Position nicht mehr als ein Paar langer, schlanker Beine, die in aufregend weibliche Hüften übergingen und sich zielstrebig dem Pool näherten. Es sah aus, als hätte jemand die gleiche Idee gehabt wie er.
Seufzend wechselte er in Brustlage und schwamm Richtung Ausstieg. Damit war sein Entspannungsbad nach kaum fünfzehn Minuten beendet. Er war keinen Meter von der Kante entfernt, als er einen Schatten über sich wahrnahm. In der nächsten Sekunde kollidierte er ziemlich unsanft mit dem weiblichen Hotelgast, der, wie er selbst kurz zuvor, via Kopfsprung den Pool enterte.
Anstatt in erfrischendes Nass einzutauchen, hatte Olivia das Gefühl, gegen eine Betonwand geprallt zu sein. Keuchend kam sie hoch. Vor ihren Augen tanzten Sterne, und als sie sich von fremden Armen wie von Eisenklammern umfangen fühlte, kreischte sie hysterisch auf und wehrte sich mit aller Kraft.
„Machen Sie das immer so?“, fragte eine tiefe Männerstimme. „Einfach irgendwo reinzuspringen, ohne zu gucken?“
Olivia blinzelte, warf das nasse Haar, das ihr die Sicht versperrte, mit einem Ruck über die Schultern zurück und starrte in Ben Chatsfields Gesicht. Seine Wangen waren vor Ärger gerötet, und hätten Blicke töten können, wäre es in diesem Moment wohl mit ihr zu Ende gewesen. Er wirkte wie ein rachsüchtiger Meeresgott aus der Antike, angsteinflößend und unglaublich eindrucksvoll.
Dann setzte ihr Verstand wieder ein. Endlich. Olivia hustete, spuckte Wasser und versuchte erneut, sich von ihm loszumachen. „Ich habe niemanden im Pool gesehen.“ Jede unkontrollierte Abwehrbewegung brachte sie nur noch näher an die muskulöse Männerbrust heran. Unter Wasser schienen sich ihre Beine miteinander zu verflechten.
Olivias Herz klopfte bis zum Hals, vor Panik und etwas anderem, weitaus Verstörenderem …
Ben knurrte etwas Unverständliches und bewegte sich mit ihr im Schlepptau zum Poolrand, als transportiere er eine Bewusstlose.
„Moment!“ Sie hustete erneut.
Ohne zu zögern, schwang Ben sich auf die Kante und zog Olivia zu sich hoch, neben sich. Dann legte er einen Arm um ihre Schulter und wartete stumm, bis sich der Hustenkrampf gelegt hatte.
„Danke …“, murmelte sie irgendwann erschöpft. „Ich habe wohl etwas Chlorwasser geschluckt.“
„Sieht so aus.“
Warum, um alles in der Welt, muss ich auch ausgerechnet ihm auf den Kopf springen? haderte Olivia mit sich und versuchte, die Wassertropfen zu ignorieren, die an den dichten dunklen Wimpern ihres Gegenübers hingen und über die schmalen Wangen perlten. Hastig senkte sie den Blick, nur um fasziniert am bronzefarbenen Sixpack neben sich hängen zu bleiben.
Nicht schlecht … registrierte sie für sich, hob den Kopf und lächelte.
Gegen seinen Willen erwiderte Ben das zittrige Lächeln. „Also?“
„Was, also?“
„Warum springen Sie immer blind drauflos?“
„Wie gesagt, ich habe Sie nicht gesehen.“ Vielleicht war sie auch einfach zu müde oder abgelenkt gewesen nach einem Tag voller Enttäuschungen. Zwei abgesagte Interviews, dazu ein Reporter, der sie als zu unwichtig einstufte, da der Film, von dem sie sich ihren Durchbruch erhoffte, erst nächste Woche präsentiert wurde. Und dann hatte sie auch noch erfahren, dass von ihren zweiunddreißig Zeilen Text in Blue Skies Forever zwölf Zeilen rausgekürzt worden waren.
Mit zusammengepressten Lippen rückte sie ein Stück von Ben ab. Einen Augenblick später ließ Ben seinen Arm von ihrer Schulter gleiten. Olivia fröstelte und hoffte nur, dass er es nicht bemerkte.
„Außerdem, warum eigentlich immer?“, wandte sie ein.
„Weil sie offenbar nicht nur Hals über Kopf in fremde Pools, sondern auch in verwegene Mutmaßungen springen“, präzisierte Ben. „So wie gestern, als Sie mich beschuldigten, Sie bewusst in diesem Loch untergebracht zu haben.“
„In meinen Augen eine durchaus wahrscheinliche Schlussfolgerung angesichts des besonderen Verhältnisses unserer Familien zueinander. Und ich bin auch jetzt noch nicht vom Gegenteil überzeugt.“
„Darauf wette ich.“
„Was soll das denn nun wieder heißen?“
Ben ließ sich abrupt in den Pool gleiten und schaute zu ihr hoch. In den dunklen Augen blitzte es gefährlich auf. „Das heißt, dass ich Sie nach wie vor als ebenso verwöhntes wie selbstsüchtiges und egozentrisches Geschöpf und Möchtegern-Filmsternchen ansehe, das sich offensichtlich für den Nabel der Welt hält und glaubt, der Familienname allein reiche aus, um Extraprivilegien in Anspruch zu nehmen. Lassen Sie sich gesagt sein, Miss Harrington, nichts könnte für mich uninteressanter sein als Ihr Domizil in einem Hotel, in dem ich nur für zwei kurze Wochen den Manager vertrete.“
Damit schwamm Ben mit wenigen kräftigen Schwimmstößen zum entlegenen Poolende, hob sich elegant aus dem Wasser und verschwand im Männerumkleidebereich, ohne sich noch einmal nach ihr umzudrehen.
Okay, einiges von dem, was gerade aus ihm rausgeplatzt war, hätte er sich sparen können. Eigentlich sogar alles. Aber es tat gut, endlich einmal Dampf abzulassen, selbst wenn Olivia Harrington nur zum Teil für seine üble Laune verantwortlich war.
Ben stellte sich unter die Dusche und hielt sein Gesicht dem harten Wasserstrahl entgegen, als könnte er so sein latent schlechtes Gewissen reinwaschen.
Verdammt! Olivia Harrington war eine verwöhnte Beauty, die richtig Stress machen konnte, wenn sie sich schlecht behandelt fühlte. Was, wenn sie nun einen Riesenwirbel vor den Pressefritzen veranstaltete, die momentan überall herumlungerten, auf der Jagd nach Sensationen und Skandalen?
Frustriert lehnte Ben die Stirn gegen den kühlen Marmor. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Beziehungsweise warum habe ich mir nicht einen Moment Zeit genommen, um mein Gehirn einzuschalten und über etwaige Folgen meines Benehmens nachzudenken? Ob er sich entschuldigen sollte?
Viel würde es wohl nicht bringen, aber einen Versuch war es zumindest wert.
Mit einem tiefen Seufzer stellte er das Wasser ab, trat aus der Dusche und schlang sich ein Handtuch um die schmalen Hüften. Kurz darauf war er bereits in Workout-Shorts und T-Shirt und machte sich auf die Suche nach Olivia Harrington, die den Poolbereich offenbar längst verlassen hatte.
Nachdem er einfach gegangen war, saß Olivia fröstelnd auf dem Poolrand, während Bens Worte in ihrem Kopf widerhallten. So grob war sie noch nie attackiert worden, zumindest nicht seit der sechsten Klasse, als eine Bande niederträchtiger Mitschülerinnen sie niedergemacht hatte. Doch egal, was die gemeinen Biester ihr damals an den Kopf geworfen hatten, es hatte sie nicht wirklich treffen können. Dafür war sie viel zu beschäftigt mit dem Kummer und Schmerz um ihre im Sterben liegende Mutter gewesen.
Und was Ben Chatsfield betraf …
Sticks and stones may break my bones, but words will never hurt me, ging Olivia ein altes Sprichwort durch den Kopf. Stock und Stein brechen mein Gebein, doch Worte bereiten mir keine Pein. Nein, sie würde sich weder durch Ben Chatsfields Worte noch durch die unverhohlene Geringschätzung in seinen dunklen Augen verletzen lassen.
Und sie war weder selbstsüchtig noch egozentrisch, sondern eine engagierte, ernsthafte Schauspielerin, von der die Welt ein selbstbewusstes, sicheres Auftreten erwartete. Von wegen Möchtegern-Filmsternchen! Das fasste sie tatsächlich als persönliche Beleidigung auf.
Mit zusammengekniffenen Lippen rappelte sich Olivia von der Poolkante hoch und marschierte mit steifen Schritten zur Damen-Umkleidekabine. Gut, vielleicht hatte sie wegen des winzigen Zimmers wirklich etwas überreagiert, gestand sie sich ein, während sie unter der Dusche stand. Aber reguläre Hotelzimmer sahen ihrer Erfahrung nach nun einmal anders aus. Und mit der Luxus-Suite plus einer Gratisübernachtung hatte sich Ben Chatsfield schließlich doch noch überraschend großzügig gezeigt.
Vielleicht sollte ich mich souverän und erwachsen zeigen, meine Anschuldigung zurücknehmen und ihm dabei elegant die Chance einräumen, sich ebenfalls für seine verbalen Ausfälle zu entschuldigen? Gleich morgen früh sollte er die Gelegenheit bekommen, ihr eine Kostprobe vom geradezu legendären Gäste-Service des Hauses zu gewähren.
Nur sechs Stunden später war Olivia schon wieder auf den Beinen und dressed to kill oder zumindest perfekt durchgestylt, um die Presse und den Rest der Welt zu beeindrucken. Während ihr schimmerndes Haar offen und kunstvoll zerzaust über die Schultern herabfiel, schwang der duftige Rock des fliederfarbenen Seidenkleids bei jedem Schritt um ihre Knie. Eine halbe Stunde hatte sie für ihr bedacht zurückhaltendes Make-up gebraucht. Als Schmuck trug sie neben einem breiten Silberreif ums Handgelenk nur die passende Kette mit dem silbernen Herz. Sie hatte sie von ihrer Mutter kurz vor deren Tod bekommen und legte sie seitdem nie ab.
Olivia hoffte, die richtige Mischung zwischen professionell und umwerfend getroffen zu haben, die ihr für einen Tag mit Interviews und Fototerminen im kontinentalen Februarwind Berlins vorschwebte. Auf jeden Fall brauchte sie noch einen passenden Mantel.
Nach einem kleinen Imbiss, bestehend aus einer Tasse Kaffee und etwas frischem Obst, machte sie sich auf die Suche nach Ben Chatsfield, den sie unbedingt sprechen wollte, bevor sie ihren ersten Interviewtermin wahrnahm. Obwohl es erst kurz nach sieben war, saß er bereits an seinem Schreibtisch und wirkte wie beim ersten Mal auf eine attraktive Weise nachlässig.
„Hallo …“, sagte Olivia mit breitem Lächeln, entschlossen, sich kurz und sachlich zu entschuldigen und dann seine Entschuldigung gelassen und graziös zu akzeptieren, bevor sie sich zurückzog und Ben Chatsfield ein für allemal aus ihrem Gedächtnis strich.
Ben schaute vom Bildschirm hoch und schob die Brauen zusammen, als er den frühen Besuch erkannte. „Grundgütiger! Sagen Sie jetzt nicht, dass schon wieder etwas mit Ihrem Zimmer nicht in Ordnung ist.“
„Nein, im Gegenteil“, beeilte sich Olivia zu versichern und fühlte sich etwas aus dem Tritt gebracht. Obwohl Ben Chatsfield ganz ruhig dasaß, schien sein muskulöser Körper vor unterdrückter Energie zu vibrieren. „Unfassbar, dass eine derartige Luxus-Suite überhaupt frei war. Ich dachte, das Hotel ist völlig ausgebucht.“
„Nicht diese Suite“, kam es knapp zurück.
Olivia setzte ihr einstudiertes Ich-danke-der-Akademie-von-Herzen-für-diese-Auszeichnung-Lächeln auf. „Nun, ich bin gekommen, um Ihnen zu danken, dass ich dieses wundervolle Domizil bewohnen darf“, formulierte sie artig. „Es muss Sie einige Anstrengung gekostet haben, das zu ermöglichen. Außerdem möchte ich mich entschuldigen, falls ich mich hinsichtlich Ihrer Motive für die Auswahl meiner ersten Bleibe geirrt haben sollte.“
Immer noch lächelnd wartete sie geduldig auf seine anstehende Entschuldigung, doch das Einzige, was sie als Antwort bekam, war ein knappes Nicken.
Ist das etwa alles als Entschädigung für verwöhnt, selbstsüchtig, egozentrisch und Möchtegern-Filmsternchen?
„Wie sich herausstellte, hat ein neu eingestelltes Mitglied der Rezeptions-Crew Ihr reserviertes Zimmer an einen sehr bestimmt auftretenden Gast weitergegeben und Sie unwissend in ein Zimmer umgebucht, das in einem Trakt des Hotels liegt, der in Kürze renoviert wird“, erklärte ihr Gegenüber, ohne vom Bildschirm aufzusehen.
„Okay …“ Da nichts weiter kam, wollte sie sich gerade abwenden, als Ben Chatsfield mit einem Ruck den Stuhl zurückschob und Olivias Blick suchte.
„Tut mir leid, dass ich gestern Abend die Beherrschung verloren habe.“ Er spuckte die Worte förmlich aus, sodass sie eher wie ein Vorwurf klangen. „Das hätte nicht passieren dürfen. Ich kann nur hoffen, dass Sie meine Entschuldigung annehmen.“
„Entschuldigung akzeptiert“, erwiderte Olivia und versuchte es diesmal mit einem ironischen Schmunzeln. „Aber das gilt nicht für das Möchtegern-Filmsternchen.“
Zu ihrer Überraschung zuckten Bens Mundwinkel verdächtig, und in den dunklen Augen blitzte ein herausfordernder Funke auf. „Dachte ich mir, dass die Bemerkung Sie am meisten stört.“
„Mitten ins Schwarze getroffen“, bestätigte Olivia offen.
„Ich werfe mich vor Ihnen in den Staub, Miss Harrington …“
Wow! Ist das etwa ein Flirtversuch? Anfühlen tut es sich jedenfalls so, und das ist ziemlich … stimulierend. Reiß dich zusammen, dummes Ding! rief Olivia sich rasch zur Ordnung. „Nur aus Neugier. Wie kommt es eigentlich, dass eine der größten Suiten frei war? Ich nehme kaum an, dass Sie meinetwegen einen anderen Gast vor die Tür gesetzt haben.“
„Nein.“
Vorbei, der kurze Moment der Vertrautheit! Aber so schnell gab sich Olivia nicht geschlagen. „Dann stand sie also leer?“
„Nein … nicht direkt.“
„Warum habe ich das Gefühl, dass Sie mir nicht alles erzählen?“
Lässiges Schulterzucken. „Ich habe darin gewohnt.“
„Sie?“ Olivia riss die Augen auf. „Und wo wohnen Sie jetzt?“
Seine Augen glitzerten sardonisch. „Na, raten Sie mal.“
Es dauerte einen Moment, bis sie begriff. „Doch nicht …“
„Ich habe auf frischem Bettzeug bestanden. Aber wie Sie selbst richtig bemerkt haben, das Hotel ist bis unters Dach ausgebucht.“
Olivia konnte ihr Gegenüber nur fassungslos anstarren. Ben Chatsfield nächtigte in diesem fiesen, engen Wandschrank? Und wäre nicht mal damit herausgerückt, wenn sie ihn nicht quasi dazu gezwungen hätte?
Plötzlich fühlte sich Olivia in jedem Punkt schuldig, den er ihr vorgeworfen hatte – bis auf das Möchtegern-Filmsternchen natürlich. „Danke“, murmelte sie lahm und begegnete wieder diesem seltsamen Augenausdruck, der dem einer lauernden Wildkatze glich.
Er wartet, aber worauf? Wahrscheinlich, dass ich endlich gehe …
Und das tat sie dann auch, hoch erhobenen Hauptes und mit einer Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung.
Eine Stunde später hatte Olivia die Episode mit Ben Chatsfield so gut wie vergessen, zumindest fast, während sie die Reporterfragen bezüglich der geplanten Filmrolle beantwortete, die sie hoffentlich in die Riege der A-Promis katapultieren würde. Sie plauderte frei heraus, lachte charmant und winkte sogar kurz in die Kamera – ein einstudierter Auftritt, den sie nahezu perfekt beherrschte.
Nachdem sie noch bereitwillig eine kleine Anekdote zum Besten gegeben hatte, meldete sich eine weibliche Journalistin zu Wort. „Dürfen wir erfahren, welcher Art Ihre Beziehung zu Ben Chatsfield ist, Miss Harrington?“
Meine was? Völlig perplex starrte sie die Reporterin einer Unterhaltungswebsite an, mit der sie bisher eigentlich ganz gut ausgekommen war. Meine Beziehung zu Ben Chatsfield? Wie, um Himmels willen, kam diese Frau auf eine derart absurde Idee?
Nach einem endlosen Moment setzte ihr Hirn wieder ein, allerdings sehr zögerlich. „Darüber möchte ich zu diesem Zeitpunkt keinen Kommentar abgeben“, erklärte sie kühl, während sich ihre Gedanken überschlugen. Woher wusste diese Frau überhaupt von ihrem Gespräch mit Ben Chatsfield?
„Nicht einmal zu diesem Foto?“, fragte die Reporterin mit einem Lächeln, das man nur als selbstgefällig bezeichnen konnte. Olivia blinzelte und starrte auf die Doppelseite der aufgeschlagenen Tageszeitung, die plötzlich auf dem Tisch vor ihr lag.
Grundgütiger! Wie ist dieses Bild nur zustande gekommen? Und warum wirken wir beide so … intim miteinander?
Hinterhältige Paparazzi mussten ihnen im Poolbereich aufgelauert und genau den Moment mit ihren Kameras eingefangen haben, als Ben sie an der Schulter angefasst hatte und drauf und dran war, sie aufs Übelste zu beleidigen. Für uneingeweihte Betrachter mochte es so aussehen, als würde er sie an sich ziehen und im nächsten Moment küssen. Aber es gab auch noch andere Fotos wie das, als sie halb erstickt auf der Poolkante hockte und Ben den Arm um ihre Schulter gelegt hatte, um sie in ihrem Hustenkrampf zu stützen. Dabei kam ihr Gesicht seinem nackten Oberkörper sehr nah …
Und dann die dazugehörige Schlagzeile: Promikoch und Restaurantbesitzer Ben Chatsfield begutachtet Starlet persönlich und aus nächster Nähe.
Starlet? Man hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihren Namen herauszufinden? Olivia schluckte Wut und Empörung tapfer herunter und schenkte der widerlichen Reporterin ihr schönstes Lächeln. „Wie gesagt, kein Kommentar.“
Jedes weitere Interview an diesem schrecklichen Tag verlief nach dem gleichen Muster. Man spulte hastig vorgefertigte Fragen über den geplanten Film ab, nur um schnell zu dem Thema zu kommen, das wirklich interessierte: ihre Beziehung zum Starkoch Ben Chatsfield. Sie selbst konnte man momentan vielleicht noch als Starlet bezeichnen, aber ihr Bekanntheitsgrad war zumindest in den letzten Stunden brisant gestiegen.
Olivia hielt die Kein-Kommentar-Masche noch weitere fünf Interviews durch, inklusive Dauerlächeln, animiertem Gekicher und versteckten Anspielungen. Doch als ein besonders dreister Reporter am späten Nachmittag darauf bestand zu erfahren, was genau Ben Chatsfield an ihr fand, reichte es ihr.
„In Wahrheit sehen wir uns schon länger“, behauptete Olivia zu ihrer Ehrenrettung. „Und zwar seit Chatsfield versucht, die Harrington Group zu übernehmen. Es ist ein wenig wie bei Romeo und Julia, finden Sie nicht?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, erhob sie sich und verließ mit kühlem Nicken den Raum.
Ihre Agentin Melissa folgte Olivia mit klappernden Stilettos. „Na, das wird einschlagen wie eine Bombe!“, prophezeite sie begeistert. „Ich wusste ja gar nicht, dass du dich mit Ben Chatsfield triffst.“
„Das tue ich auch nicht“, murmelte Olivia, wobei sie ihrer Agentin vorsichtshalber immer noch den Rücken zuwandte.
„Wie bitte?“
Olivia wirbelte herum und grinste anscheinend unbekümmert. „Ich habe Ben Chatsfield vor zwei Tagen zum ersten Mal im Leben gesehen und das nur behauptet, weil dieser Reporter ebenso unverschämt wie anmaßend war.“
„Oh!“ Melissa runzelte besorgt die Stirn.
„Was?“ Olivia lachte. „Das ist doch nur oberflächlicher Hollywood-Klatsch. Morgen werden sich die Boulevardblätter schon jemand anderem widmen.“
„Ja, aber …“ Melissas Stirn war immer noch gefurcht, und Olivia überlief ein seltsames Frösteln, weil sie ihre Agentin noch nie so missbilligend gesehen hatte.
„Ist doch keine große Sache“, beharrte Olivia, glaubte aber selbst nicht mehr daran.
„Du selbst hast von einer längerfristigen Beziehung gesprochen. Damit ist es nicht länger nur ein Gerücht oder eine Klatschgeschichte, sondern Fakt.“
Olivia spürte, wie sich ihre Nackenhärchen aufrichteten. Wie hatte sie sich nur in diese unmögliche Situation manövrieren können? Die Antwort lag auf der Hand: Weil sie es satt hatte, den ganzen Tag über als Ben Chatsfields favorisiertes Dummchen zu gelten!
„Sag ihnen doch einfach, dass der Reporter mich unerträglich genervt hat und …“
Melissa schüttelte den Kopf. „Das würde dich wie eine Idiotin aussehen lassen. Ein unbedarftes Ding, das sich nicht scheut, in aller Öffentlichkeit Lügen zu verbreiten.“
Machen Sie das immer so? Einfach irgendwo reinzuspringen, ohne zu gucken?