Opa heißt jetzt Alzheimer - Peter Tonn - E-Book

Opa heißt jetzt Alzheimer E-Book

Peter Tonn

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Beschreibung

Demenz ist ein Problem der Gesellschaft unserer Tage - aber es ist eigentlich ein ganz privates Thema in den betroffenen Familien. Wie erklärt man einem Kind, warum Opa oder Oma nun so ganz verändert sind? Diese Geschichte versucht es – am Beispiel von Opa Kurt und seinem Enkel Lucas wird die Entwicklung einer Demenz von Alzheimer-Typ dargestellt, werden Schwierigkeiten, aber auch Chancen und Möglichkeiten im Umgang mit einander beschrieben.

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Seitenzahl: 125

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Hinweis

Alle handelnden Personen sind frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Menschen sind rein zufällig. Die Spielbudenplatz-Gang ist frei erfunden, viele andere Begebenheiten auch.

Danksagung

Ich bedanke mich bei Anja Enders, die mir hilfreich mit Korrekturlesen zur Seite gestanden hat, bei Izabela Möller, die das gleiche später auch noch einmal getan hat. Natürlich bei Silja, Lucas und Paul, die mich unterstützt haben und mir gezeigt haben, dass sie an mich glauben. Sehr wichtig ist mir auch die Hilfe von Julia Pelzer, die ihre wundervollen Zeichnungen angefertigt hat und dadurch das ganze Buch noch erheblich aufgewertet hat.

Hamburg, im April 2015Peter Tonn

Zeichnungen

Julia Pelzer

Peter Tonn

Inhaltsverzeichnis

Prolog.

So ist die Welt noch in Ordnung

Freitag - als ob es ein 13. wäre

Die alte Frau

Sonntagmorgen

Schule, Aufgaben und ein Stink-Attentat

Die Einladung

Das große Vergessen beginnt

Das ist nicht zu begreifen

Wer soll hier ins Heim?

Mir war kalt – wo kommt das Wasser her?

Wo fahren wir denn hin?

Der langsame Abschied beginnt

Spielen, vergessen, rasieren und waschen

Demenz, Demenz,....

Alles geht, wenn es geht

Epilog.

Erklärungen

Prolog.

Ein Prolog ist der Teil der Geschichte, der spielt, bevor die Geschichte überhaupt angefangen hat. Also sozusagen der Vorlauf. Hier ist der Vorlauf ganz einfach. Es geht um einen Jungen, der Lucas heißt. Lucas und seine Eltern leben in einer Wohnung, mitten in einer großen Stadt. Lucas´ Mama hat einen Papa. Das ist der Opa von Lucas, Opa Kurt. Die Geschichte handelt von Opa Kurt, der am Rand der Stadt in einem kleinen Häuschen lebt, von Lucas und ein bisschen von einem Mann, der schon fast seit 100 Jahren tot ist, nämlich dem Forscher Alois Alzheimer. Aber von diesem Alois Alzheimer handelt die Geschichte nur am Rande, sehr am Rande. Am Anfang unserer Geschichte ist die Welt von Lucas auch noch ziemlich in Ordnung. Das wird sich später ändern, und dabei spielt eine Entdeckung vom alten Forscher Alois Alzheimer eine gewisse Rolle.

1. So ist die Welt noch in Ordnung

An ganz früher, als er noch ein kleines Kind war, hatte Lucas nur sehr wenige Erinnerungen. Das geht wohl allen Kindern so und auch fast allen Erwachsenen. Die ersten Jahre im Leben sind immer so schrecklich aufregend, dass man sie sich gar nicht richtig merken kann. Zum Beispiel die Zeit als echtes Baby. Da muss man immer nur auf dem Rücken liegen und schlafen und wird gestillt oder muss Milch aus einem Fläschchen trinken und schlafen und trinken - an diese Zeit konnte Lucas sich gar nicht erinnern. Auch wenn Papa immer wieder sagte, dass es eine wirklich schöne Babyzeit mit Lucas überhaupt nicht gegeben hätte, denn Lucas sei schon immer ein echter „Schreizwerg“ gewesen. Aber dann musste Papa lächeln und Lucas wusste, dass er doch nur Spaß gemacht hatte.

Trotzdem hätte sich auch Lucas gern an die Zeit erinnert, als er noch ganz klein gewesen war. So blieb ihm nichts anderes übrig, als Fotos und Filme anzuschauen, die Mama und Papa von ihm gemacht hatten. Lucas in seiner Kinderwiege, Lucas auf der Krabbeldecke, Lucas beim „Nacktkrabbeln“. Das er diese Geschichte vergessen hatte, war nun doch nicht so schlimm, das war nämlich ziemlich peinlich. Angeblich hatte er als Baby mit Mama und Papa jeden Morgen in seinem Zimmer auf einer Decke nackt gelegen und dann geübt, sich vom Rücken auf den Bauch zu drehen und wieder zurück. Er hatte auch schon krabbeln geübt.

Peinlich, wenn das seine Freunde von der Spielbuden-Gang wüssten.

Andererseits hatte er schon mit 7 Monaten in dem großen Park in der Nähe seiner Wohnung nach Enten gejagt, auch wenn er noch nicht einmal richtig laufen konnte - und das wiederum wäre ziemlich cool, wenn er es seinen Kumpels erzählen könnte. Aber er selbst konnte sich nicht erinnern und nur das Beweisfoto und die Erzählung von Mama und Papa waren dann auch nicht genug für die Spielbuden-Gang.

Jetzt war Lucas 8 Jahre alt, in der zweiten Schulklasse und eigentlich schon so groß, dass er bald erwachsen sein müsste. Umso schlimmer war es für ihn, dass aus seinem Leben sozusagen die ersten Jahre im Gedächtnis fehlten. Aus dieser Zeit hatte er einfach so viele tolle Abenteuer und Ereignisse vergessen. Seine eigene Taufe zum Beispiel – da waren seine Eltern extra zu Oma und Opa weit weg gefahren, damit dort die Taufe stattfinden konnte. Oder die ersten Jahre in der Kita, obwohl die von seinen Eltern extra ausgesucht worden war, damit er sich richtig austoben konnte. Direkt am Fußballstadion. Lucas konnte sich an die Zeit, als die Mannschaft sogar in der ersten Liga spielte, nicht erinnern und das war nun wirklich traurig.

Er hatte auch die Geschichte vergessen, als er das erste Mal bei seinem Opa zu Besuch war. Eigentlich waren seine Eltern zu Besuch, weil Opa sein letztes Konzert gegeben hatte. Er hatte gewaltige Probleme mit einem Dirigenten bekommen, woraufhin er beschlossen hatte, nun aufzuhören und nur noch zuhause zu spielen. Bei seinem letzten Konzert, was sicherlich richtig schön gewesen war, konnten Mama und Papa dann aber doch nicht dabei sein, weil die Babysitterin sie kurzfristig im Stich gelassen hatte.

Da kam dann wieder das böse Wort „Schreizwerg“. Papa hatte gesagt, dass man nicht mit einem solchen Schreizwerg Opas letztes Konzert zerstören könne, also warteten sie bei Opa zuhause. Auch an diese Geschichte konnte sich Lucas nicht erinnern, dabei gab es sogar davon Bilder. Opa war nach dem Konzert noch mit einigen Musiker-Freunden nach Hause gekommen, sie hatten ein kleines Buffet aufgebaut und gegessen und getrunken und Lucas hatte zum ersten Mal in seinem Leben ein Stück Fisch gegessen. Dann hatte er, genau zu dem Zeitpunkt als Opa ihn auf dem Arm gehalten hatte, sich erbrechen müssen. Leider war die Bescherung zu einem großen Teil in den Flügel gefallen, der bei Opa im Wohnzimmer stand. Mama und Papa waren schrecklich aufgeregt, denn Opas Flügel war ein heiliges Gerät - doch Opa war ganz entspannt geblieben und hatte nur gesagt, dass es schon traurig sei, wenn sein eigener Enkel seine Musik zum Kotzen finde. Alles das hatte ein Freund von Opa auf Video aufgenommen und so gab es ein schreckliches Video, in dem Lucas mitten auf einer Feier peinlicherweise in einen Flügel kotzte und alle ganz schnell ganz still wurden, nur Opa eben nicht. Damals war er noch sehr klein gewesen, so etwa eineinhalb Jahre, und er konnte sich nicht erinnern. Wenn der Film gezeigt wurde und Mama oder Papa oder auch Opa von der Geschichte erzählten, spürte er insgeheim, dass er wirklich dabei gewesen war. Dann kroch er ganz tief in den Sessel zurück und hoffte, dass diese Geschichte einmal für immer vergessen werden würde.

Als er sich mit seinen Freunden von der Spielbuden-Gang einmal unterhalten hatte über Opas und Omas und Sachen, die man früher gemacht hatte, war ihnen aufgefallen, dass sie sich alle nicht erinnern konnten an ihre Zeit als Baby oder als kleines Kind. Erst an die Zeit mit 2 oder 3 Jahren hatten sie eigene Erinnerungen. Das fanden sie spannend, denn auch diese früheren Jahre hatten sie erlebt. Nur ihr Gedächtnis war irgendwie für diese Jahre nicht dabei gewesen oder gelöscht. Niemand konnte ihnen erklären, warum sie sich nicht erinnern konnten. Sie hatten einmal die Lehrerin gefragt, doch die wusste es auch nicht. Matthis, der beste Freund von Lucas, hatte dann gesagt „es ist, als ob man 3 Jahre gar nicht gelebt hat - und das sind sicher die besten 3 Jahre gewesen, die wir je hatten“. Dabei hatte er ganz bedeutungsvoll geschaut und mit dem Kopf genickt, als müsste er sich selbst zustimmen. Aber alle anderen Kinder hatten auch genickt, Matthis konnte so komplizierte Sachen so schön aussprechen. Das war aber auch kein Wunder, Matthis Mutter war schließlich auch selbst Lehrerin.

Eine komische Sache mit dem Gedächtnis. Aber nicht nur, dass man so schnell die Erlebnisse von früher vergessen hatte, auch andere Dinge, etwa Schulaufgaben, konnte man leider sehr schnell vergessen. Und hatte am nächsten Morgen in der Schule unter Umständen ein echtes Problem. Lucas kannte das gut, er war besonders vergesslich auf dem Gebiet der Hausaufgaben. Wenn es nicht Opa Kurt gegeben hätte. Der war ja nun Rentner seit einigen Jahren. Als alter Mann hatte er seine Erfahrungen und konnte so wunderbar erklären. Aber er konnte auch ganz herrlich spielen, wie ein richtiger Junge. Obwohl Lucas damals Opa in den Flügel gekotzt hatte, durfte er wiederkommen. Immer wieder war er bei seinem Opa, nachmittags nach der Kita, wenn Mama und Papa noch arbeiten mussten. Oder am Wochenende, wenn sie sich einmal entspannen wollten und in die Sauna gingen. Mit Opa Kurt verging die Zeit wie im Flug und als er etwas älter wurde, konnte sich Lucas an viele Dinge auch selbst erinnern. Zum Beispiel an die Momente, wenn er mit Opa Kurt im Garten Verstecken spielte. Der Garten war eigentlich „pflegeleicht“, so sagte es Mama immer, sehr viel Wiese und wenig Abwechslung. Aber ein paar Büsche und Bäume gab es eben doch, hinter denen man sich verstecken konnte. Opa Kurt fand ihn nie, aber Lucas fand seinen Opa immer sehr schnell, der war einfach zu groß, als dass er sich hinter einem kleinen Busch wirklich erfolgreich verkriechen konnte. Sie spielten Ball auf der großen Wiese. Ab und an war sogar Matthis einmal dabei und spielte auch mit.

Das war meist am Wochenende so, dann kamen auch Mama und Anna, die Mutter von Matthis, mit. Mama half ein bisschen in Opas Haushalt, Anna bewunderte die ganzen Sammlerstücke in der Wohnung, die Opa aus der ganzen Welt herbei geschafft hatte und Opa und Matthis und Lucas spielten im Garten.

Wenn sie genug gespielt hatten und Mama genug im Haushalt gemacht hatte und Anna fertig war mit dem Bewundern der schönen und aufregenden Dinge, setzten sie sich zusammen an den Tisch im Esszimmer oder bei schönem Wetter auch auf die Terrasse und tranken Kaffee oder Kakao und aßen Kuchen. Dann ging Opa noch einmal an den Flügel und spielte ein bisschen. Und das war ebenfalls eine der Erinnerungen, die Lucas tatsächlich selbst hatte.

Er konnte sich an diese Ruhe erinnern, wenn Spielen und Essen fertig waren und Opa dann einfach nur ein bisschen am Flügel saß und ganz viele Lieder spielte.

.

Dann war es so, als ob die vielen Töne durch die Wohnung schwebten und tanzten, als ob sie kleine Kreise drehten und sich letztlich in der Zimmerdecke wieder einfangen ließen. In diesen Momenten spürten alle eine große Ruhe und Gelassenheit, eine friedliche Entspanntheit in der ganzen Wohnung und in den Herzen der Zuhörer, die einfach nur ein gutes Gefühl war. Das war dann oft ein besonders friedvoller Abschluss eines schönen Tages. Obwohl Lucas eigentlich ein Rabauke und Schreizwerg war, war er fasziniert von diesen Momenten, wenn Opa vom Flügel aus ganz viele Töne durch die Wohnung tanzen ließ.

Als Lucas aus dem Kindergarten in die Schule kam, war er zusammen mit Matthis und Greta und Paula zu viert die Spielbuden-Gang, die sich in der Gegend herumtrieb und eigentlich jeden Nachmittag etwas zu tun hatte.

Ab und an ging er aber auch zu seinem Opa, vor allem wenn keine der Mamas und Papas der Spielbuden-Gang Zeit hatte, sich um die Kinder zu kümmern. So hätte es eigentlich immer weitergehen können. Vormittags in die Schule, nachmittags Beschäftigung im Hort, mit der Spielbuden-Gang oder bei seinem Opa.

Aber wie das so im Leben ist, wenn einmal etwas gerade richtig gut läuft, läuft es wieder schief. Das passiert immer wieder und nun passierte es Lucas und seiner Familie, wie es jeden Tag bei irgendeiner Familie irgendwo auch passieren kann.

2. Freitag - als ob es ein 13. wäre

Lucas klingelte. Er freute sich schon. Wieder einmal ein Nachmittag bei Opa. Heute morgen hatte Mama ihm erst gesagt, dass sie wieder Termine hatte und arbeiten musste. Deswegen sollte er zu Opa Kurt. Opa Kurt war der Papa von Mama, also sein "Großvater". Lucas hatte nur noch den einen Großvater und den liebte er heiß und innig. Opa Kurt oder einfach nur Opa war ein richtig toller Mann. Er hatte schon so viel erlebt und konnte davon ganz herrliche Geschichten erzählen. Er war schon überall auf der Welt gewesen, war viel gereist und hatte sich mit vielen Dingen beschäftigt.

Immer, wenn Lucas bei ihm war, wurde bestimmt mindestens eine spannende Geschichte erzählt. Opa hatte außerdem die schönsten und aufregendsten Sachen in seiner Wohnung. Solche Sachen, die man sonst nur in einem Museum oder auf einem wirklich großen Flohmarkt sehen kann. Bei Opa Kurt waren solche Sachen alle in der Wohnung. Aus Holz geschnitzte Figuren, merkwürdige Amulette und Zauberstäbe aus Stein und Masken und Speere wie aus einem Film. Manchmal dachte Lucas tatsächlich, wenn er bei Opa in der Wohnung war und sich umschaute, dass nun gleich Indianer Jones oder ein anderer Abenteuer-Cowboy aus einer der Ecken kommen müsste und ihn begrüßen würde. Aber es war ja gar kein Film, sondern das richtige Leben.

Lucas klingelte noch einmal. Opa hatte ihn wohl nicht gehört. Manchmal, wenn Opa sehr versunken oder gar zu sehr beschäftigt war, hörte er nicht richtig hin. Dann konnte er sehr merkwürdig sein und gar nicht darauf achten, was gerade passierte. Vielleicht war es gerade so ein Moment. Lucas wollte gerade mit den Fäusten gegen die Tür pochen, um Opa aus seiner Versunkenheit zu reißen, als die Tür doch noch geöffnet wurde. Im ersten Moment schien es so, als wäre Opa ein bisschen überrascht.

"Du hier - ach ja, deine Mutter hatte mich heute morgen angerufen. Komm doch rein.", sagte Opa Kurt und ließ Lucas in die Wohnung. Das schummerige Licht im Flur machte den Gang zu einem geheimnisvollen Weg, an dessen Ende ein helles Licht durch die geöffnete Tür eines Zimmers fiel.

"Was hast Du gemacht, Opa?", fragte Lucas und ging mit federnden Schritten den Gang entlang.

Trotz des schummerigen Lichtes konnte er an den Wänden im Flur die vielen Bilder und Plakate sehen, die dort hingen. Ganz kleine Zettelchen, auf denen man nur noch den Namen seines Opas lesen konnte "Kurt Schneeberger" und dazu das Wort "Piano"; es gab aber auch große Plakate mit dem Bild seines Opas als junger Mann und ganz großen Texten. "Metropolitan Opera New York" stand auf einem der Plakate. Ein anderes war aus Rom, es gab Poster und Plakate aus Wien, aus Athen und aus ganz vielen anderen Städten. Früher hatten Lucas und sein Opa oft ein Plakat genommen und betrachtet und dann hatte Opa erzählt, wo die Stadt ist, die auf dem Plakat abgebildet war, was er dort gemacht hatte und was er erlebt hatte. Dann waren sie zusammen in das Zimmer gegangen, in dem Opa das Klavier stehen hatte, und Opa hatte ganz schöne Lieder gespielt. Er kann für einen alten Mann ziemlich gut Musik machen, hatte Lucas sich schon immer gedacht. Kein Wunder, dass er früher durch die ganze Welt gereist war, um überall für die Menschen Musik zu machen und Klavier zu spielen.