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Ein Ritt auf einem wildgewordenen Esel, süße Diebeszüge durch die Obstgärten der Nachbarn und Wasserschlachten von epischem Ausmaß. Siggi nimmt den Leser mit in einen Sommer seiner Kindheit im ehemaligen Jugoslawien. In eine Zeit seines Lebens als die Sommerferien noch unendlich erschienen, Wasserpistolen selbst gebastelt werden mussten, und die Kinderbanden das Leben bestimmten.
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Seitenzahl: 148
Veröffentlichungsjahr: 2020
Opas Lausbubengeschichten
Vogelgezwitscher
Devil und Dickschädel
Obstgärten
Daniel und der Seidenbub
Eselsritt
Mutti
Auf in den Dschungel
Gespenster
Verschnaufpause mit Wasserschlacht
Der Panzer
Rache ist süß
Ärger
Ende
SIMONE UND VERENA FOLGEN IHREM STERN
Vita: Georg Blumenschein
Es war ein schöner Tag, als der Großvater mit seinem Enkel spazieren ging. Die Sonne strahlte angenehm warm herab. Die Vögel zwitscherten lustig. Die Bäume und die Sträucher erstrahlten leuchtend grün in ihrem frischen Sommerkleid. Alles war wie neu. Selbst das Feld, das man von dem kleinen Hügel aus am Waldrand überblicken konnte, war sauber grün.
„Ihr solltet öfter mal in den Wald gehen und nicht immer nur auf dem Asphalt und auf der Straße spielen“, sagte der Großvater und blieb kurz stehen, um dem lustigen Vogelzwitschern zu lauschen. Dominik hatte mitbekommen, dass der Großvater etwas gesagt hatte, aber er hatte nicht ein Wort davon verstanden. Er rief laut: „Was hast du gesagt, Opa?“
„Warum schreist du so? Ich bin noch nicht schwerhörig.“
Dann erst bemerkte er, dass Dominik einen kleinen Kassettenrecorder in der Hand hielt und die Kopfhörer schon aufgesetzt hatte. Er nahm ihm die Kopfhörer behutsam vom Kopf und sagte: „Wenn du in den Wald spazieren gehst, dann sollst du nicht deine Kassetten hören, sondern lauschen, was dir die Vögel sagen wollen.“
Dominik schaute seinen Großvater misstrauisch an und fragte: „Opa, willst du mich verkohlen, die Vögel können doch gar nicht reden.“
„Horch mal“, sagte der Großvater. „Hörst du, wie lustig sie zwitschern. Was meinst du, was das ist? Sie unterhalten sich. Und wenn sie sich nicht unterhalten, dann singen sie einfach für uns Menschen. Und warum sollen wir sie dann nicht anhören, wenn sie das schon so gerne für uns tun?“
Dominik war sieben und Andreas drei Jahre alt. Dominik schien von dem Gedanken nicht begeistert zu sein, dass es schöner sein sollte, den Vögeln zuzuhören, die man sowieso nicht versteht, anstatt eine Geschichte oder Musik auf seinem Kassettenrecorder zu hören. Er schaute seinen Großvater an und mit einem Hauch von Protest fragte er: „Opa, warst du nicht auch mal klein?“
Der Großvater schaute ihn an und erwiderte lächelnd: „Sicher war ich auch mal klein. Ich bin nicht als Opa auf die Welt gekommen.“
„Hast du dann nicht auch gern Musik auf deinem Kassettenrecorder gehört?“ meinte Dominik.
Der Großvater legte die Hand auf Dominiks Kopf und streichelte ihn. Er merkte, dass in Dominiks Worten eine Art Protest war.
„Nein, mein Kleiner! Als ich klein war, da gab es noch keine Kassettenrecorder, keine Transistorradios und keine Fernseher. Wir hatten nur ein Kastenradio und wir, meine Schwester und ich, durften nur dann Musik hören, wenn es Mutter oder Vater für uns eingeschaltet hatten.“
„Und womit hast du dann gespielt?“ wollte Dominik wissen.
„Mit meinen Freunden, meinem Hund oder meinem Schafbock“, erwiderte Opa.
„Ooh“, gab Dominik von sich, „du hast einen Hund und einen Schafbock gehabt! Komm Opa, erzähl. Womit habt ihr sonst noch gespielt?“
„Wir haben manchmal Räuber und Gendarm, manchmal Nachlaufen oder Verstecken in unserem Dschungel gespielt, und immer waren mein Hund und mein Schafbock dabei.“
Dominik wunderte sich: „Ihr habt auch einen Dschungel gehabt?“
„Ja“, bestätigte der Großvater. „So haben wir es wenigstens genannt.“
Dominik fasste seinen Großvater bei der Hand und bat ihn:
„Opa, erzähl uns, wie du mit deinen Freunden gespielt hast!“
„Gut“, meinte der Großvater. „Kommt, wir setzen uns auf die Bank dort am Waldrand, dann erzähle ich euch von meiner Kindheit.“
Als sie weiter gehen wollten, stellte sich Andreas vor seinen Großvater, hob beide Hände hoch und sagte: „Opa Arm!“
Der Großvater nahm Andreas auf den Arm, und sie gingen bis zur nächsten Bank, die aus einem gespalteten Baumstamm gemacht und am Waldrand aufgestellt worden war. Dort setzten sie sich nieder.
Der Großvater nahm beide auf den Schoß und sagte: „Ich erzähle euch jetzt, wie ich mir mit meinen Freunden die Zeit vertrieben habe.“
Andreas wandte sich an Großvater und drückte seine kleine Hand auf Großvaters Wange. „Opa Schichte zählen.“
Vor vielen Jahren, als Siegfried noch Siggi hieß, lebte er mit seiner Mutter und seiner jüngeren Schwester allein. Sein Vater war als Soldat in einem fremden Land. Ab und zu bekam die Mutter einen Brief von ihm. Und während sie ihn las, wischte sie sich die Tränen aus den Augen. Anschließend nahm sie Siggi und seine kleine Schwester zu sich, umarmte sie, küsste sie und dann sagte sie: „Euer Vater lässt euch küssen.“ Dabei entwich meist ein tiefer Seufzer aus ihrer Brust und sie flüsterte leise: „O, Gott, lass ihn wieder zu uns kommen.“
Und mit der Spitze ihrer Schürze trocknete sie ihre Augen. Siggi verstand nicht, warum der Vater nicht mehr kommen sollte.
Es war Sommer. Für Siggi war das die schönste Zeit. Nicht nur, weil es warm war und er von morgens bis abends draußen spielen konnte, sondern auch weil das die Zeit der Schulferien war. Nicht dass er ungern zur Schule ging, aber irgendwie waren ihm die Schulferien doch lieber. Während der Schulferien musste er sich nicht mit den langweiligen Hausaufgaben herumquälen. Stattdessen nahm er seinen Rucksack und packte ein paar Schmalzbrote und eine Flasche mit Trinkwasser ein. Und so verbrachte er manchen Tag mit seinen Freunden draußen am Bach oder im Wald. An so einem Tag nahm er dann auch seinen Hund und seinen Schafbock mit.
Für Siggi waren es schon die zweiten Schulferien in seinem Leben. Als er die erste Schulklasse beendet hatte und seine Mutter sah, dass er ein fleißiger Schüler war, bekam Siggi einen kleinen Hund geschenkt. Er hatte ein seidig glänzendes, schwarzes Fell und am Hals einen weißen Streifen, der wie ein Kragen aussah.
Zu jener Zeit hatte Siggi gerade ein Comicheft über ein Phantom und dessen Hund Devil gelesen. Darum war es für Siggi auch ganz selbstverständlich, dass auch sein Hund Devil heißen sollte.
Ungefähr zur gleichen Zeit bekam Siggis Mutter von einer Bäuerin, für die sie genäht hatte, ein Lamm geschenkt. Und die Bäuerin sagte noch, als sie das Lamm brachte: „Das wird ein schöner Sonntagsbraten werden.“
Als Siggi das hörte, nahm er das Lamm an sich, streichelte es und drückte seinen Kopf auf das wuschelige Fell.
„Nein, nein, ihr werdet es nicht schlachten.“ Siggis Worte klangen sehr energisch und er presste das Lamm noch fester an sich. „Wir essen lieber nur Kartoffeln, aber schlachten werdet ihr es nicht.“
Siggi blieb hart und seine Mutter gab nach. Die Mutter strich ihm über seinen Kopf. „Wenn du es so gerne hast“, meinte sie, „dann essen wir eben Kartoffeln ohne Fleisch.“
Siggis kleine fünfjährige Schwester meldete sich von der Seite: „Mama, ich esse auch lieber Bratkartoffeln ohne Fleisch.“
Siggi griff nach der Hand seiner Mutter und küsste sie vor Freude.
Die Mutter strich beiden über den Kopf und sagte zu Siggi: „So Siggi, ab heute bist du Besitzer eines Hundes und eines Lamms. Du musst sie beide füttern und pflegen. Das wird von nun an deine Aufgabe sein.“
„Ja Mutter, das mach ich.“ Erwiderte Siggi und sprang erfreut auf. „Juchhe“, schrie er laut, „ich besitze einen Hund und ein Lamm.“ So hatte Siggi zwei Spielgefährten mehr.
Devil und das Lamm wuchsen zusammen auf. Siggi hatte sie nicht nur gefüttert, sondern auch so erzogen, dass sie seinen Befehlen auch gehorchten.
Wie das Lamm größer wurde, stellte Siggi fest, dass es immer öfter seinen Kopf benutzte, um irgendetwas anzuschubsen. Siggi hielt ihm manchmal seine Faust entgegen und das Lamm senkte den Kopf und stieß gegen seine Faust.
„Du hast aber einen dicken Schädel“, sagte Siggi, und dann rief er aus: „Ja, ein Dickschädel bist du und so wirst du auch heißen.“ So bekam das Lamm auch einen Namen.
Devil und Dickschädel waren Siggis fast ständige Begleiter. Wenn Devil den Dickschädel anbellte, dann senkte der Dickschädel seinen Kopf und griff ihn an. Devil lief im Kreis um den Dickschädel herum und bellte ihn an. Wenn dann Siggi laut rief: „Aufhören! Genug!“, blieben sie beide stehen.
Devil senkte den Schwanz und kam gehorsam zu Siggi. Der Dickschädel blieb stehen, hob den Kopf und schaute stolz um sich herum. Wenn dann Siggi wieder sagte: „Jetzt, los!“, dann ging das Spiel wieder von vorne los.
Siggi pflegte Dickschädel und Devil liebevoll. Beide wuchsen schnell. Und bis zu den nächsten Sommerferien entwickelte sich Devil zu einem schönen kräftigen Hund und aus dem Dickschädel wurde ein kräftiger Schafbock.
Siggi hatte im Schuppen eine Ecke abgetrennt und für Dickschädel eine Schlafstelle eingerichtet. Und für Devil wurde eine große Kiste in eine Ecke gestellt. Auf einer Seite schnitt er eine Öffnung aus, legte einige Lumpen hinein und das war von da an Devils Schlafstelle.
Devil war nicht nur Siggis guter Freund und Spielgefährte, sondern auch ein guter Wachhund. Niemand konnte in den Hof kommen, ohne dass Devil seine Ankunft nicht gemeldet hätte. Wenn jemand aus dem Bekanntenkreis den Hof betrat, dann bellte Devil nur ein paarmal, so, als wollte er ihn nur begrüßen, wedelte mit dem Schwanz und ging ihm entgegen. Wenn aber ein Fremder in den Hof kam, dann bellte ihn Devil so lange an, bis sich Siggi oder seine Mutter draußen zeigten.
Der Dickschädel verbrachte die Tage im Obstgarten. Der Obstgarten war umzäunt und dort gab es genug saftiges Gras. In den Morgenstunden zupfte der Dickschädel am Gras und wenn die Sonne warm schien, legte er sich in den Schatten. Der Obstgarten war Dickschädels Revier. Wenn jemand ohne Siggi in den Obstgarten kam, dann richtete sich der Dickschädel auf und lief auf ihn los. So hatte sich niemand von den Kindern in diesem Sommer getraut, über den Zaun zu klettern und die Kirschen oder die Äpfel zu klauen, wie das in all den Jahren vorher der Fall gewesen war.
Siggis Schwester war ein zartes Mädchen. Sie spielte lieber allein oder mit anderen Mädchen als mit Siggi und seinen Freunden. Und den Schafbock betrachtete sie lieber von der anderen Seite des Zaunes. Siggi war froh darüber, dass er, wenn er mit seinen Freunden über die Felder zog, sich nicht noch um seine Schwester kümmern musste. Nur vor der Haustür zu spielen bedeutete für Siggi keine Freiheit. Da fühlte er sich wie in einem Käfig. Wenn er nicht seine Freunde bei sich hatte, um etwas zu unternehmen, dann ging er wenigstens in den Obstgarten und spielte mit dem Hund und dem Schafbock. Während der Sommerzeit und besonders während der Schulferien war es kaum möglich, Siggi im Haus zu halten. Siggis Mutter hatte auch Verständnis dafür. Sie ließ ihn seine sorglosen Kinderjahre voll und ganz genießen. Aber trotzdem lag ständig eine Rute auf dem Küchenschrank. Und die wurde auch ab und zu gebraucht, wenn Siggi die Freiheit, die er hatte, zu falschen Zwecken benützte.
Nach dem Mittagessen sammelte Siggi die Tischreste in ein kleines Gefäß. Die Mutter schaute ihn mit einem liebevollen Blick an. Siggi und seine kleine Schwester Rosi waren das Allerliebste, was sie besaß. Wenn sie die beiden gesund und munter vor sich sah, dann war sie von Glück und Zufriedenheit erfüllt. Siggi schaute in das Gefäß und fragte: „Mutter, hast du noch etwas für Devil?“
Die Mutter stand auf und schöpfte noch ein paar Schöpflöffel aus dem Kochtopf dazu. Siggi lächelte sie an und sagte: „Mutter, ich bleibe im Obstgarten.“ Die Mutter erwiderte sein Lächeln und nickte nur mit dem Kopf.
Draußen vor der Tür wartete schon Devil auf seine Mahlzeit. Er sprang erfreut um Siggi herum. „Warte, Devil, du bekommst es gleich“, sagte Siggi, um Devil zu beruhigen. Er trug es zum Schuppen und schüttete es in seinen Fressnapf. „So, Devil, jetzt lass es dir schmecken.“
Siggi holte aus dem Schuppen einen alten Korb und ging in den Obstgarten. Wie Siggi in den Obstgarten kam, richtete sich der Dickschädel sofort auf und ging Siggi entgegen. Als er vor Siggi stand, hob Siggi den Korb hoch und mit beiden Händen hielt er diesen vor sich hin. „Na, los, Dickschädel, greife an! Jetzt! Greif an!“
Siggi reizte Dickschädel immer wieder aufs Neue, bis Dickschädel den Kopf senkte und gegen den Korb stieß. Siggi drückte ihm den Korb fest entgegen. Und je mehr Dickschädel den Widerstand spürte, desto fester drückte er dagegen. Dann ging er etwa einen Meter zurück, nahm Anlauf und stieß mit voller Wucht gegen den Korb. Unter dem starken Druck musste Siggi zurückspringen und ließ den Korb fallen. Dickschädel blieb siegreich stehen. Siggi bückte sich, um den Korb aufzuheben. Dabei drehte er nur für einen kurzen Augenblick Dickschädel den Rücken zu. Und im selben Moment spürte er einen festen Stoß gegen seinen Hintern, und er fiel der Länge nach auf den Boden.
„Aufhören!“, rief Siggi, der immer noch auf dem Boden lag. „Genug! Aufhören!“
Dickschädel blieb stehen. Siggi traute sich nicht sofort aufzustehen. Noch auf dem Boden liegend griff Siggi in die Hosentasche und holte einen Salzstreuer heraus. Er streute etwas Salz auf die Handfläche und gab es dem Dickschädel zu lecken. Dickschädel leckte die Hand ab und nickte dabei mit dem Kopf, als wollte er sagen, dass er noch mehr von diesem Leckerbissen haben möchte.
Siggi hörte jemanden lachen. Sein Freund Stefan war gerade dabei, über den Zaun zu springen, als er diesen Zweikampf sah. Er blieb am Zaun angelehnt stehen, um den Ausgang dieses Spiels zu sehen.
„Komm her!“, rief Siggi Stefan zu, noch immer auf dem Boden sitzend.
„Du hast Dickschädel kampfscharf gemacht. Schau, wie neugierig er mich nur anstarrt.“
Dickschädel betrachtete Stefan mit gehobenem Kopf, als wartete er nur darauf, dass Stefan über den Zaun springen würde. Devil hatte inzwischen seine Schüssel blank geleckt und winselte schon am Tor zum Obstgarten. Er war nicht daran gewöhnt, ausgesperrt zu sein, besonders dann nicht, wenn etwas los war. Stefan überlegte, wie er Dickschädel überlisten könnte. Dann kletterte er über den Zaun. Dickschädel senkte sofort den Kopf und ging zum Angriff über. Aber Stefan lief so schnell er konnte zum Gartentor, öffnete es und ließ Devil in den Obstgarten hinein. Devil sprang bellend auf Dickschädel. Dickschädel wechselte die Richtung und ging auf Devil los. Devil lief mit großen Sprüngen durch den Obstgarten und Dickschädel hinter ihm her. Wenn Dickschädel stehen blieb, bellte ihn Devil an und Dickschädel griff wieder an.
Stefan hatte sich neben Siggi gesetzt und sie schauten zu, wie Devil und Dickschädel abwechselnd angriffen. Auf der anderen Seite des Gartens kletterte Thomas über den Zaun in den Garten. Noch bevor er zu Siggi und Stefan kommen konnte, ging Dickschädel auf ihn los. „Dickschädel kommt!“, rief Stefan als erster.
Sie sprangen hoch und liefen jeder auf einen anderen Baum zu und kletterten, so schnell sie konnten, hinauf. Oben angekommen suchte sich jeder einen geeigneten Ast und setzte sich darauf. Dickschädel ging von einem Baum zum anderen, und schließlich legte er sich unter einem Baum nieder. In einigem Abstand lag Devil lang ausgestreckt da und ließ hechelnd seine Zunge heraushängen.
Thomas war auch Siggis Freund und er verbrachte viele Stunden mit Siggi. Thomas gehörte zu den ärmsten Kindern im Dorf. Er hatte noch fünf Geschwister. Sein Vater arbeitete nur als Gelegenheitsarbeiter. Er arbeitete bei verschiedenen Bauern in der Umgebung. Thomas und seine Geschwister waren schon zufrieden, wenn sie genug zu essen hatten. Seine Eltern kauften ihm selten etwas Neues zum Anziehen, sondern er trug das, was er im Dorf von den Leuten geschenkt bekam. Sein Vater wurde für seine Arbeit meistens mit Lebensmitteln entlohnt. Und wenn er ab und zu etwas Geld in die Hände bekam, dann ging er ins Wirtshaus und vertrank es. Thomas Kleidung war immer mit vielen Flickstellen übersät. Und Thomas ging vom Frühjahr an bis spät in den Herbst barfuß. Wenn er mal von irgendjemandem ein Paar Schuhe bekam, dann hob er sie für die kalte Jahreszeit auf.
Aus diesem Grund wollten viele Kinder im Dorf mit Thomas nicht spielen. Sie ließen ihn nicht mal in den Hof kommen. Selbst in der Schule wurde er von vielen Kindern gehänselt, und wenn er manchen zu nah kam, dann stießen sie ihn von sich weg. Siggi und sein Freund Stefan hatten ihn oft in Schutz genommen und sich deswegen mit anderen Kindern gerauft. So wurden Siggi, Stefan und Thomas die besten Freunde. Thomas war um einiges kleiner und schmächtiger als Siggi. So schenkte Siggi alle seine Kleider, die er nicht mehr tragen konnte, seinem Freund Thomas.
Siggi, Thomas und Stefan saßen immer noch auf den Bäumen. Sie hatten es sich darauf bequem gemacht, und obwohl sich auch Dickschädel schon beruhigt hatte, blieben sie noch oben sitzen.
„Ich habe einen Plan für morgen“, sagte Siggi und fuhr gleich fort. „Ich habe gedacht, dass wir morgen in den Dschungel gehen und den ganzen Tag dort verbringen könnten.“
„O, ja“, stimmten Thomas und Stefan fast einstimmig zu.
Siggi war derjenige, der immer neue Ideen hatte oder sich neue Spielarten ausdachte. Darum war er auch der Anführer seiner Bande. Wenn sie Räuber und Gendarm spielten, dann war es auch selbstverständlich, für ihn und auch für seine Freunde, dass er sich Räuberhauptmann nennen durfte.
„Wir werden jetzt zu Daniel gehen und ihm sagen, dass er auch seine Gruppe zusammentrommelt und morgen in den Dschungel kommen soll.“
„Dschungel“ nannten sie ein Stück Land, das völlig von Büschen überwuchert war und sich am Bach entlang zog. Früher war das alles Wald, der gerodet wurde. Nur da und dort standen noch ein paar wilde Kirschbäume. Dieses verwilderte Stück Land war der liebste Spielplatz für Siggi und seine Freunde. Und wenn sie im Dschungel spielten, dann nahmen sie in ihren Rucksäcken genug zum Essen und Trinken mit und verbrachten dort den ganzen Tag.
„Daniel würde bestimmt gerne mitkommen“, meinte Stefan. „Aber er hat Besuch bekommen. Seine Tante, seine Cousine und sein Cousin aus der Stadt sind bei ihm.“
„Du weißt doch, Siggi. Das fein angezogene Mädchen und der fein angezogene Junge“, ergänzte Thomas.