Operation Macho - Vicki Lewis Thompson - E-Book

Operation Macho E-Book

Vicki Lewis Thompson

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Beschreibung

Um die Ehe ihrer Eltern zu retten, ist der erfolgreichen Anwältin Lynn Morgan jedes Mittel recht. Sie beschließt, den ewig streitenden Erzeugern zur Ablenkung einen völlig unpassenden Macho-Verlobten zu präsentieren und überredet ihren frisch geschiedenen Kollegen Tony Russo, diesen Part zu übernehmen. Der sonst so seriöse Jurist findet rasch Gefallen an der ungewohnten Rolle und lässt keine Gelegenheit aus, seine "Braut" mit heißen Liebkosungen zu verwöhnen. Und plötzlich sieht Lynn den netten Tony mit völlig anderen Augen, und aus dem erregenden Spiel wird leidenschaftlicher Ernst …

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Seitenzahl: 205

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Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Vervielfältigung, des Ab- oder Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und bedürfen in jedem Fall der Zustimmung des Verlages.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Vicki Lewis Thompson

Operation Macho

Roman

Übersetzung aus dem Amerikanischen von

Johannes Heitmann

MIRA® TASCHENBUCH

Band 55635

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Operation Gigolo

Copyright © 1998 by Vicki Lewis Thompson

erschienen bei: Harlequin Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Harlequin Enterprises, S.A., Schweiz

Autorenfoto: © by Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN epub 978-3-86278-704-3

www.mira-taschenbuch.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

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1. KAPITEL

„Nach fünfunddreißig Ehejahren sollte dein Vater mich oben liegen lassen!“

Lynn Morgan klemmte sich den Telefonhörer zwischen Schulter und Wange und fing an, die Nachrichten auf ihrem Schreibtisch zu sortieren. „Ich begreife nicht, wieso es so wichtig ist, wer oben liegt, Mom.“ Sie blickte hoch und sah Tony Russo an der Tür zu ihrem Büro stehen. „Schließlich reden wir hier von Leichen“, fügte sie hinzu, damit Tony keinen falschen Eindruck bekam.

Verwundert hob er die Augenbrauen.

„Das spielt keine Rolle“, verkündete ihre Mutter. „Es geht ums Prinzip.“

Solche Unterhaltungen kannte Lynn bereits. Sie hatte schon zahlreiche Gefechte ihrer Eltern schlichten müssen, und ihre Freunde behaupteten, nur deswegen sei sie Anwältin geworden. Bei ihrer Mutter versuchte sie es jetzt mit Logik. „Sollte es nicht davon abhängen, wer von euch zuerst dahinscheidet?“

„Das behauptet er auch, aber das könnte ihm so passen! Nur aus Trotz würde er mich überleben, damit er auf mir liegen kann. Ich verlange eine Garantie, in welcher Position ich meine letzte Ruhe finde.“

Lynn sah zu Tony und verdrehte die Augen. „Nehmen wir an, du gehst als Erste. Willst du etwa wieder ausgegraben werden, damit jemand Dad unter dich schieben kann?“

„Wieso denn nicht?“

„Weil wir hier nicht darüber reden, dass man Lebensmittel im Kühlschrank umstellt! Also wirklich, Mom, das ist …“

„Mir wird klar, dass du mich nicht verstehst, und ich werde nicht die ganze Ewigkeit unter deinem Vater verbringen. Ich will die Scheidung. Kannst du mich vertreten?“

Fassungslos ließ Lynn die Mitteilungen wieder auf den Schreibtisch fallen. „Wie bitte?“

„Du bist doch Scheidungsanwältin, oder? Schicke deinem Vater die nötigen Unterlagen. Das wird ihm zeigen, was es ihm einbringt, wenn er bei Begräbnisangelegenheiten keinerlei Anstand zeigt.“

Konzentriert beugte Lynn sich vor. „Ich kann nicht glauben, dass du dich ernsthaft scheiden lassen willst.“

„Und ob.“

„Das ist nicht komisch.“

„Doch, das ist es.“

Lynn hätte nicht damit gerechnet, dass ihr Herz wie wild schlug, als sei sie ein kleines Kind, dessen Familie zerbricht. Sie war neunundzwanzig, und ein angesehenes Mitglied der Anwaltschaft von Illinois. „Hör doch zu, ihr kauft euch einfach zwei Grabstellen nebeneinander auf irgendeinem anderen Friedhof.“

„Nie im Leben! Das ist das Grab meiner Familie, und genau dort will ich beerdigt werden. Soll dein Vater sich doch ein eigenes Plätzchen suchen.“

„Sieh mal, Mom …“ Lynn unterbrach sich, als es am Telefon blinkte. „Ich bekomme gerade einen anderen Anruf. Bleib dran, ich bin gleich wieder bei dir.“ Lynn schaltete das Gespräch mit ihrer Mutter in die Warteschleife und sah zu Tony.

Er stieß sich vom Türrahmen ab. Lynns Stimmung konnte er immer genau erkennen, und deswegen schätzte sie ihn als Freund. „Anscheinend hast du einiges zu erledigen“, sagte er freundlich. „Ich komme lieber später wieder.“

„Bitte bleib. Ich habe den Eindruck, dass ich einen Gesprächspartner brauchen kann, wenn ich hiermit fertig bin.“

„Mehr wollte ich nicht hören.“ Tony kam herüber und setzte sich auf einen der Stühle vor ihrem Schreibtisch.

„Danke, ich mache es so kurz wie möglich.“ Sie lächelte ihn an, während sie das zweite Gespräch entgegennahm. „Lynn Morgan.“

„Deine Mutter ist komplett übergeschnappt“, polterte ihr Vater los.

„Und das sagst gerade du? Was ist denn das für ein Lärm im Hintergrund, Dad?“

„Mach dir um den Lärm keine Gedanken. Diesmal ist es endgültig soweit, Spätzchen. Wir lassen uns scheiden. Und ich will, dass du mich vertrittst.“

Lynn rieb sich die Stirn. „Du auch?“

„Was soll das heißen? Ich auch? Hat sie sich wieder vorgedrängelt?“

„Nein, denn ich werde keinen von euch vertreten. Ehrlich gesagt, ihr seid wie zwei Kinder, die sich darüber streiten, wer im Etagenbett oben schlafen darf.“

„Es geht nicht nur um die Grabstelle“, wandte ihr Vater ein. „Sie ist zu diesem Seminar gegangen. ‚Entdecke deine Kräfte‘. Seitdem ist sie wirklich unausstehlich, Spätzchen.“

„Aufbrausend war sie doch schon immer, Dad.“ Lynn erkannte, dass dieses Problem sich nicht so leicht würde lösen lassen. „Hör mir zu, wir werden uns in aller Ruhe unterhalten. Mach bloß nichts Unüberlegtes.“

„Wenn du damit meinst, ich soll nicht ausziehen, dann lass dir sagen, dass ich schon ein Zimmer im Rotlicht-Motel habe.“

„Du machst Witze.“ Ihr Vater hatte immer darüber gescherzt, dass er dort hinziehen würde, um ihre Mutter damit zu reizen. Sicher hatte er das nicht in die Tat umgesetzt.

„Zugegeben, das war wohl ein Fehler.“

„Du wohnst wirklich im Rotlicht-Motel?“ In Gedanken sah sie das schäbige Motel im Amüsierviertel von Springfield bereits vor sich. An jeder Ecke standen Zuhälter und Dealer.

„Ich hätte stattdessen ins ‚Holiday Inn‘ gehen sollen. Hier gibt es kein Telefon im Zimmer. Jetzt stehe ich gerade im Shop für Reizwäsche und Videos, um mit dir zu sprechen.“

Lynns Gedanken überschlugen sich. „Dad, du kannst dort nicht bleiben. Das ist eine wilde Gegend.“

„Ich wollte mir das hier immer schon mal ansehen, Spätzchen. Außerdem hatte ich gehofft, dass deine Mutter vor Wut platzen würde, wenn ich sie aus diesem Motel anrufen würde, aber das geht nun gar nicht.“

„Das ist auch ein Punkt. Wie soll ich dich denn erreichen?“

„Das überlege ich mir und rufe dich dann wieder an.“ Er senkte die Stimme. „Du würdest nicht glauben, wie sich einige der Frauen hier anziehen. Sie … oh, ich muss auflegen. Hier will jemand telefonieren, und die Dame sieht sehr entschlossen aus. Sie trägt einen Ring in der Unterlippe.“ Jetzt flüsterte er. „Und sie ist überall tätowiert.“ Dann legte er auf.

Lynn atmete tief durch, bevor sie wieder mit ihrer Mutter telefonierte. „Ich muss los, Mom. Heute Nachmittag rufe ich dich wieder an, und ich hoffe wirklich, dass du und Dad wieder vernünftig werdet.“

„Dann wende dich an den Sturkopf. Er will doch nicht einsehen, was das Vernünftigste ist.“

Ihrer Mutter zu erzählen, dass der Sturkopf gerade auf der anderen Leitung gewesen war, hielt Lynn für unklug. Sie brauchte nicht zu erfahren, dass ihr Ehemann jetzt die lebhafteren Viertel von Springfield erkundete. „Mach’s gut, Mom.“ Sie legte auf und sah zu Tony. „Ich kann das nicht glauben. Gestritten haben sie sich immer, aber es war noch nie so ernst.“

„Daraus schließe ich, dass es noch nie um Scheidung ging.“

„Niemals. Aber es scheint so, dass meine Mutter seit diesem Seminar zur Selbstfindung ihr gesamtes Leben umkrempeln will. Das überrascht mich alles nicht weiter, aber dieses Gerede von Scheidung … das ist einfach verrückt. Sie haben immer von der Zeit geträumt, wenn ich auf eigenen Füßen stehe und die Hypothek auf ihr Haus abbezahlt ist. Letztes Jahr ist Dad vorzeitig in Ruhestand gegangen, und …“ Sie blickte Tony an, als ihr die Wahrheit dämmerte. „Die beiden langweilen sich zu Tode, stimmt’s?“

„Sieht so aus. Von solchen Pärchen haben wir viele hier in der Kanzlei gesehen. Allerdings habe noch kein Paar erlebt, das sich scheiden lässt, weil es sich nicht darauf einigen kann, eine Grabstätte zu teilen.“

„Sie werden sich nicht scheiden lassen. Dafür werde ich sorgen.“ Entschlossen verschränkte sie die Arme und blickte Tony so wütend an, als wolle er das Gegenteil behaupten.

„Sicher geht das schnell wieder vorbei“, beteuerte Tony ernsthaft.

Gern hätte sie ihm das geglaubt. „Mir gefällt die ganze Sache nicht. Mein Dad nimmt sich ein Zimmer im Rotlichtviertel, und meine Mutter bricht wegen der Gräber einen Streit vom Zaun. Hier geht es nicht um das übliche Gezänk wie zum Beispiel darüber, wer in der Nase bohrt, wer mit dem Fuß wippt oder wer die Zeitung zuerst liest.“

Tonys Mundwinkel zuckten verräterisch.

„Lach jetzt bloß nicht.“

„Ich? Lachen? Niemals. Ich bin todernst.“

„Na ja, langweilig ist es mit meinen Eltern nie.“

„Und du warst immer diejenige, die die Ruhe bewahrt hat.“

Lynn lehnte sich zurück. „Ja, ich war immer die Stimme der Vernunft.“

„Ach, das würde ich nicht so sagen. Schließlich hast du nach meiner Scheidung vorgeschlagen, dass wir den Abend im Vergnügungspark verbringen.“

Bei dieser Erinnerung musste Lynn lächeln. Sie waren durch die Vororte gefahren, bis sie entdeckt hatte, wonach sie suchte. Autoscooter, Flippergeräte, bunte Lichter und viele Menschen. „Das war eine Ausnahme. Normalerweise tue ich so etwas nicht für Klienten.“

„Nur für besondere Fälle.“

„Du warst kein Klient. Soll ich etwa einem guten Freund und Kollegen Geld abnehmen? Außerdem hat Michelle dir damals derart …“ Sie sah seinen Gesichtsausdruck und verstummte.

„Michelle hat mir das Leben zur Hölle gemacht. Das wolltest du doch sagen.“

„Sie war schlichtweg dumm.“ Lynn konnte nicht begreifen, wieso Michelle einen Mann wie Tony betrog. Mit seiner italienischen Abstammung sah er blendend aus, und seine Intelligenz und Karriere machten ihn zu dem, was Lynns Mutter als guten Fang bezeichnet hätte, doch in erster Linie war er einfach ein unglaublich netter Kerl.

„Wir waren beide dumm. Eigentlich würde ich lieber über die Probleme deiner Eltern als über meine Eigenen reden.“

„Richtig. Tut mir leid.“ Sicher bedrückte ihn diese Sache immer noch. Die Scheidung lag erst ein halbes Jahr zurück, und Michelle war der Mittelpunkt seines Lebens gewesen.

„Also, wie willst du sie davon abhalten, sich zu trennen?“, erkundigte Tony sich.

„Tja …“ Lynn stützte die Ellbogen auf den Tisch und legte das Kinn auf die Hände. Im Grunde unterschied sich diese Situation nicht sonderlich von anderen Rechtsstreitigkeiten. „Du meinst, die beiden suchen Streit, weil sie keine wirklichen Probleme haben, ja?“

„Das würde ich sagen.“

„Und wenn ich für ein wirkliches Problem sorge?“

Tony verschränkte die Beine und lehnte sich zurück. „Was denn zum Beispiel?“

Lynn musste an ihre Kindheit denken. „Immer wenn ich in Schwierigkeiten geraten bin … zugegeben, das waren harmlose Dinge. Aber in Erziehungsfragen waren meine Eltern immer einer Meinung.“

„Du willst dich in Schwierigkeiten bringen?“

Während sie sich einen Plan zurechtlegte, spielte Lynn mit einem Notizblock. „Genau das werde ich. Es wird Zeit, dass die kühle nüchterne Tochter mal etwas über die Stränge schlägt. Ich denke, ich werde es auf die althergebrachte Art tun.“ Sie blickte ihm in die Augen. „Ich werde schwanger.“

Abrupt beugte Tony sich vor. „Moment mal, nicht so schnell! Gehst du da nicht einen Schritt zu weit?“

„Ach Unsinn.“ Lynn lächelte. „Das behaupte ich doch nur.“

„Oh, schon verstanden.“ Er ließ sich wieder zurücksinken. „Und ich hatte schon Angst, du läufst in die nächstbeste Bar, um dir jemanden aufzugabeln.“

„Um Himmels willen, nein. Hat das so geklungen? Außerdem würde das zu lange dauern. Ich muss jetzt sofort schwanger sein.“

„Sehr einfallsreich, Lynn. Aber du bist eine abgrundtief schlechte Lügnerin. Wenn ich dich schon jedes Mal durchschaue, wie willst du dann deine eigenen Eltern reinlegen?“

Nachdenklich tippte sie sich mit einem Kuli an das Kinn. „Wie üblich hast du den größten Schwachpunkt von meinem Plan erkannt. Aber die Idee gefällt mir einfach zu gut.“

„Du könntest ein bisschen üben.“

„Das muss ich auch. Hilfst du mir?“

„Na klar. Als Erstes musst du dir genau überlegen, wie der Vater deines Kindes aussieht.“

Lynn musste lächeln. „Anscheinend hast du Erfahrung im Erfinden von Geschichten.“

„Sagen wir mal, ich bin früher sicher öfter in Schwierigkeiten geraten als du.“

„Also schön, wer ist der Vater? Es muss jemand sein, über den meine Eltern sich schrecklich aufregen. Ein richtiger Macho, der ständig raucht, enge Jeans trägt und tätowiert ist. Er hat keinen Job, kann aber gut damit leben, dass ich arbeite und ihn mit Bier versorge. Kurz gesagt, ein richtiger Gigolo.“

Tony fing an zu lachen. „Übertreibst du da nicht etwas? Das werden sie dir nie abkaufen.“

„Es kommt doch häufiger vor, dass sich kluge, erfolgreiche Frauen in einen sexy Nichtsnutz verlieben. Abgesehen davon bin ich meinen Eltern gegenüber immer ehrlich gewesen. Sie würden niemals damit rechnen, dass ich so eine absurde Geschichte erfinde.“ Der Gedanke bereitete ihr ein schlechtes Gewissen, aber wenn sie nicht tatsächlich schwanger werden wollte, um ihre Eltern wieder zusammenzubringen, blieb ihr keine andere Wahl.

„Dennoch schätze ich, sie werden Beweise verlangen, um sich davon zu überzeugen, dass du wirklich auf so eine Niete hereingefallen bist.“

„Wahrscheinlich, aber wie könnte ich denn … hm.“ Prüfend sah sie ihn an und veränderte in Gedanken Tonys Aussehen. Vielleicht war er ja die Lösung ihres Problems.

Er rutschte auf dem Stuhl hin und her. „Weshalb siehst du mich so an?“

„Zieh mal dein Jackett aus.“

„Wieso?“ Augenscheinlich fühlte er sich unwohl.

„Nur so zum Spaß.“

Tony zuckte mit den Schultern. „Die Lady will, dass ich mein Jackett ausziehe, also werde ich es tun.“ Er stand auf und zog sich das Jackett seines Nadelstreifenanzugs aus.

„Und jetzt die Krawatte.“

Ungläubig sah er sie an.

„Komm schon, Tony. Ich arbeite hier einen Plan aus.“

Seufzend zog er sich die Krawatte aus dem Kragen.

„Und nun mach die obersten drei Knöpfe auf. Das Haar musst du dir auch zerzausen.“

„Was muss ich?“ Er sah sie an, als sei sie komplett verrückt geworden.

Lynn kam um den Schreibtisch herum. „So, das meine ich.“ Energisch fuhr sie ihm durchs Haar.

„Hey!“ Er sprang auf. „Wer sind Sie, und was haben Sie mit Lynn gemacht?“

„Irgendetwas passt mir an dem Anblick noch nicht.“ Sie trat einen Schritt näher.

Hastig wich Tony vor ihr zurück. „Bleib mir ja vom Leib, du wildes Weib!“

„Halt still, es dauert nicht lange.“ Sie hielt ihn an der Schulter und zerzauste ihm das Haar, sodass es ihm in die Stirn fiel und er nicht mehr so sehr, wie ein solider Geschäftsmann aussah. Überrascht stellte sie fest, wie seidig sich sein Haar anfühlte und was für feste Muskeln unter dem gebügelten Hemd verborgen waren.

Außerdem riecht er gut, dachte sie und atmete den Duft seines Rasierwassers ein. Bislang war ihr noch nie aufgefallen, wie aufregend Tony duftete. „Und jetzt zu den Knöpfen“, verkündete sie und öffnete gleich vier.

„Lynn, was soll das werden? Eine Verführung?“

„Nein, keine Bange. Ich wollte nur etwas überprüfen.“ Langsam trat sie einen Schritt zurück und begutachtete ihr Werk.

Die Veränderung war wirklich beachtlich. Der aufstrebende junge Anwalt, der sich jeden Tag in Akten vertiefte und vor Gericht seine Fälle vertrat, war verschwunden. Vor Lynn stand ein Tony, der Sex und Abenteuer ausstrahlte. Lynn spürte Verlangen in sich aufsteigen.

Tony passte perfekt in ihren Plan. Lächelnd sah sie ihn an. „Tony, wie wär’s, wenn …“

„Sprich es nicht aus.“ Kopfschüttelnd ging er einen Schritt zurück. „Ich hatte schon befürchtet, dass es darauf hinausläuft. Als Schauspieler bin ich eine absolute Niete.“ Er fing damit an, sich das Hemd wieder zuzuknöpfen.

„Machst Du Witze? Du bist Anwalt!“

Darüber musste er lächeln. „Stimmt schon, aber hier reden wir über etwas viel Komplizierteres.“

„Gar nicht wahr. Sobald du den Gerichtssaal betrittst, lieferst du eine Show. Hier ist das nicht viel anders. Du hattest mir mal Hilfe angeboten, darauf komme ich jetzt zurück.“

„Ich meinte rechtliche Hilfe.“ Tony band sich die Krawatte wieder um.

„Rechtsbeistand brauche ich nicht. Bei meinem ‚Unternehmen Gigolo‘ hilft nur ein sexy Kerl. Und es überrascht mich, dass du genau in diese Rolle passt.“

Mitten in der Bewegung hielt er inne und sah Lynn an. „Es überrascht dich? Das ist ja nicht gerade schmeichelhaft.“

Lynn errötete. „Tja, ich habe dich nie auf diese Art gesehen, weil du immer so korrekt wirkst.“

„Heißt das spießig?“ Er griff nach dem Jackett.

„Nein, nein. Du siehst wunderbar aus. Wie ein Model für Anzüge.“

„Manche Frauen stehen auf solche Männer.“

„Natürlich! Eine Menge.“

„Du aber nicht?“ Er zog das Jackett an und strich sich die Aufschläge glatt.

„Das habe ich nicht behauptet.“ Jetzt kamen sie in ein Gebiet, das sie lieber vermeiden wollte. Ein halbes Jahr nach seiner Scheidung sehnte er sich bestimmt nach einer neuen Beziehung, und Lynn wollte keine Affäre mit ihm. „Ich meine nur … wir kommen vom Thema ab. Bitte hilf mir, Tony. Du musst nur meine Eltern kennenlernen, und sobald sie dich sehen, werden sie sich einen Plan zurechtlegen, wie sie uns beide wieder auseinanderbringen können. Dadurch versöhnen sie sich wieder. Wir beide trennen uns, und ich verliere das Baby. Alles wird wie früher sein. Zufällig weiß ich, dass du dir in letzter Zeit keinen Tag freigenommen hast.“

„Und da empfiehlst du eine lustige Reise nach Springfield, wo ich mich wie ein Mistkerl aufführen soll, damit deine Eltern mich hochkant aus ihrem Haus werfen, ja? Na, du weißt wirklich, womit du einen Mann reizen kannst.“

„Eigentlich dachte ich nicht an Springfield. Bist du schon mal in Sedona in Arizona gewesen?“

„Nein, aber ich kenne Fotos von den roten Felsen dort. Wirklich beeindruckend.“

„Das ist es tatsächlich. Dort haben meine Eltern die Flitterwochen verbracht. Ich werde zwei Ferienhäuschen am Oak Creek reservieren, wo sie schon vor fünfunddreißig Jahren waren. Sicher kann ich meine Eltern überreden mitzukommen.“

Die Aussicht, nach Sedona zu fahren, schien ihn mehr zu interessieren. „Und wenn deine Eltern auf getrennten Zimmern bestehen?“

„Ich sage einfach, es gab nur noch zwei Doppelzimmer.“ Mit einem triumphierenden Lächeln verschränkte sie die Arme. Als Anwältin hatte sie gelernt, in den Gesichtern der Menschen zu lesen, und Tony verriet, dass er ernsthaft über den Vorschlag nachdachte. „Also: ein kostenloser Kurzurlaub an einem schönen Ort dafür, dass du enge Jeans trägst und ein bisschen die Muskeln spielen lässt.“

Er zögerte. „Neigt dein Dad zu Gewalttätigkeiten?“

„Auf keinen Fall. Vielleicht versucht er, dich totzureden, aber falls du einen Faustschlag befürchtest, liegst du falsch. Ich versichere dir, dass du in der Hinsicht kein Risiko eingehst.“

„Kennst du keinen anderen, der diese Rolle spielen könnte? Ich dachte, du hast dich eine Zeit lang mit einem Kerl namens Edgar getroffen.“

Sie verzog das Gesicht. „Richtig, aber den kennen meine Eltern schon, und außerdem habe ich die Beziehung vor ein paar Monaten beendet. Drittens könnte Edgar niemals überzeugend den wilden Mann spielen.“

„Stimmt das?“ Über diese Neuigkeit schien er sich zu freuen.

„Das stimmt.“ Tony ist wirklich riesig nett, stellte sie fest und wunderte sich, dass ihr erst jetzt klar wurde, wie viel er ihr bedeutete.

„Ich weiß nicht recht“, meinte er zweifelnd. „Es wird schwierig werden, mich so sehr umzukrempeln, meinst du nicht?“

Der Gedanke, aus Tony eine Art zweiten James Dean zu machen, versprach, aufregend zu werden. „Nein, das glaube ich nicht“, sagte sie langsam. „Allerdings wäre es sehr hilfreich, wenn du eine Tätowierung hättest.“

„Glaubst du, ja?“

„Ja, aber so ein Opfer kann ich von dir nicht verlangen. Vielleicht eine von diesen Tätowierungen, die nach einiger Zeit wieder verschwinden?“ Erwartungsvoll sah sie ihn an.

„Okay, ich werde es tun.“

Sie lächelte. „Danke, Tony. Du bist ein echter Freund. Ich gebe dir Bescheid, wenn ich alles geregelt habe. Gibt es irgendein Wochenende, an dem du nicht kannst?“

„Im Grunde nicht. Mit Verabredungen bin ich zurzeit nicht gerade ausgebucht.“

Dann trifft er sich also noch mit keiner Frau, stellte sie fest und nahm sich vor, besonders vorsichtig zu sein, dass sie nicht in eine flüchtige Affäre mit ihm hineinrutschte. „Nach einer Scheidung braucht man immer etwas Zeit für sich.“

„Ja. Aber was soll ich mich beschweren? Gerade bin ich eingeladen worden, ein langes Wochenende mit einer schönen Frau zu verbringen.“

Lynn lachte, als habe er einen Witz gemacht, aber es kam ihr nicht wie ein Scherz vor. „Danke für das Kompliment.“ Es gefiel ihr, dass er sie attraktiv fand, aber sie wollte ihn zu nichts ermutigen. „Aber ich fürchte, es wird ein rein freundschaftliches Wochenende.“

Er hob nur die Schultern. „Ist doch ein Anfang.“ Während er schon hinausging, drehte er sich noch einmal zu Lynn um. „Ach, und was die Tätowierung betrifft …“

„Keine Sorge. Ich werde mich nach diesen speziellen Tätowierungen erkundigen, die nach einiger Zeit wieder verblassen. Vielleicht ist es auch gar nicht so wichtig.“

„Du brauchst dich nach gar nichts zu erkundigen.“ Sein Lächeln war umwerfend. „Ich bin bereits tätowiert.“

2. KAPITEL

Am Abend vor der Abfahrt nach Sedona stöberte Tony in seinem Kleiderschrank und fand ein paar Jeans aus der Highschoolzeit. Diese Kleidungsstücke bildeten die letzte Verbindung zu jener Zeit. Er musste lächeln. Lynn konnte sich gar nicht vorstellen, dass er, Tony Russo, vor vierzehn Jahren genau der Typ Mann gewesen war, mit dem sie ihren Eltern die schlimmsten Albträume bereiten wollte.

Die Tätowierung auf dem Oberarm hatte er sich in seinem letzten Jahr an der Highschool zugelegt, um sich immer an seine Schulzeit zu erinnern. Eines Nachts hatte er sich mit seinen Kumpels betrunken und anschließend den Wagen des Schulleiters mit Farbe besprüht. Auf der daraufhin einberufenen Lehrerkonferenz wurde beschlossen, ihm den Schulabschluss zu verweigern, doch Tonys Mutter hatte so lange gefleht, bis Tony als Strafe alte Kaugummis von den Schultischen kratzen musste. Seit diesem Tag wurde Tony vom Geruch von Kaugummi übel.

Ganz hinten aus einer Schublade kramte er weiße T-Shirts hervor, die er kaum noch trug. Sie waren oft gewaschen worden und fühlten sich angenehm weich an. Ein Kurzärmliges behielt Tony für den Flug, die anderen verstaute er in einer großen Reisetasche. Genau in diesem Moment klingelte das Telefon auf seinem Nachttisch. Während er den Hörer abnahm, fragte er sich, ob Lynn ihm noch in letzter Minute irgendwelche Anweisungen geben wollte.

„Tony?“

Es war Michelle, und sie klang, als habe sie geweint. Tony bemühte sich, kein Mitgefühl zu empfinden. „Ja, Michelle?“

„Hast du zu tun?“

Er verspannte sich. „Eigentlich schon. Was gibt’s denn?“

„Ich würde gern …“ Sie schniefte. „Ich würde gern zu dir kommen, wenn das geht.“

Er blickte auf die Uhr. Wenn Michelle ihn abends um elf Uhr sprechen wollte, bedeutete das, dass sie Probleme mit Jerry hatte. Jerry hatte Tonys Aktien verwaltet, mit ihm zusammen Handball gespielt und sich nachmittags mit Tonys Frau amüsiert.

„Ich weiß, dass es schon spät ist.“ Michelles Stimme zitterte. „Aber ich muss einfach mit irgendjemandem reden.“

Tony seufzte. „Also schön.“

„Danke, Tony.“

„Keine Ursache. Dafür sind Exmänner doch da.“ Er legte auf und fragte sich, wieso er ihr nicht gesagt hatte, sie solle ihn einfach in Ruhe lassen. Nach allem, was sie ihm angetan hatte, hätte sie eine Abfuhr verdient, doch er hatte ihr trotz allem sein halbes Vermögen überlassen. Durch seinen Beruf wusste er, dass bei einer Scheidung niemand ganz unschuldig war. Er hatte sich zu sehr auf seine Karriere konzentriert und Michelle zu oft allein gelassen. Jerry hatte leichtes Spiel gehabt.

Die ersten Ehejahre waren wundervoll gewesen. Doch dann hatte Tony sich immer mehr in seinen Job gestürzt und nicht bemerkt, dass der Zauber in seiner Ehe langsam verflog.

Während er weiter einpackte, verdrängte er, so gut es ging, die Erinnerungen an Michelle. Als Lynn das „Unternehmen Gigolo“ zum ersten Mal vorschlug, hatte er sich innerlich dagegen gesträubt, aber schon seit Wochen wollte er sich mit Lynn verabreden. Er hatte sich nur zurückgehalten, weil er befürchtete, sie würde ihm unterstellen, er suche nur nach einer Frau, um sich von seiner gescheiterten Ehe abzulenken. Als Scheidungsanwälte wussten sie beide, dass Menschen in seiner Situation oft panisch und unüberlegt einen neuen Partner suchten.

Vielleicht suche ich wirklich nur Zerstreuung in einer Affäre, überlegte er sich. Dann ist es sicher gut, wenn Michelle jetzt kommt. Ich habe sie seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen.

Beim Blick in seine Reisetasche fragte er sich, ob er etwas vergessen hatte. Zigaretten. Lynn hatte etwas davon gesagt, dass er rauchen sollte, doch Tony hatte das Rauchen vor Jahren aufgegeben. Allerdings hatte Sam, ein Anwaltskollege, seine Packung bei Tony vergessen, und in der Küche fand Tony die angebrochene Schachtel in einer Schublade.

Er schüttelte eine Zigarette heraus und schirmte das Streichholz mit der Hand ab, während er sie anzündete. Seltsam, wie er nach all den Jahren sofort wieder in die alten Bewegungen verfiel. Wenn er darauf achtete, dass er nur in Gegenwart von Lynns Eltern hin und wieder rauchte, verfiel er vielleicht nicht wieder in die alte Sucht.

Es klingelte an der Tür, und er zog noch einmal, bevor er ging, um Michelle hereinzulassen.

„Tony!“ Schluchzend warf sie sich ihm dramatisch in die Arme.

Fast hätte er sie mit der Zigarette verbrannt, während er Michelle auffing. „Immer mit der Ruhe.“ Einen Arm legte er ihr um die Schultern und führte sie zum Sofa. „Was hast du denn für ein Problem?“