Organspende - Dieter Birnbacher - E-Book

Organspende E-Book

Dieter Birnbacher

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  • Herausgeber: Westend Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

In Deutschland stehen derzeit rund 8.500 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Dem gegenüber stehen 933 Organspenden im Jahr 2021. Muss es anhand dieses Missverhältnisses nicht als Pflicht empfunden werden, die eigenen Organe zur Spende freizugeben? Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob der Moment, in dem die Organe entnommen werden müssen, tatsächlich mit dem Ende des Lebens zusammenfällt. Während Dieter Birnbacher davon überzeugt ist, dass das Kriterium des Hirntodes uns nicht nur dazu verhilft, sondern gar auffordern sollte, der moralischen Pflicht der Lebensrettung nachzukommen, hat Sigrid Graumann entschiedene Zweifel: Birgt dieses Kriterium nicht die große Gefahr einer Reduzierung des Menschen auf kognitive und rationale Fähigkeiten, die schwerwiegende gesellschaftliche Folgen mit sich bringt? Wer sich eine kritische und fundierte Meinung bilden will, kommt an der Reihe "Streitfragen" nicht vorbei!

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Ebook Edition

Dieter Birnbacher Sigrid Graumann

Organspende?

Herausgegeben von Lea Mara Eßer

Inhalt

Titel

Vorbemerkungen

Dieter Birnbacher: Organspende – eine Sache der Moral

Einleitung

Solidarität: ein moralischer Grundwert

Transplantation: die einzige Lebenschance

Hirntod: ein irreversibler Zustand

Der Tod: ein verdrängtes Thema

Kann es ein Recht auf Organe geben?

Ein Mangel an Fürsorge

Organspende als Chance

Sigrid Graumann: Leben durch den Tod

Hirntod und Organtransplantation – ethisch relevante Fragen

Umstrittene Voraussetzung: das Hirntodkriterium

Moralischer Druck ist nicht die Lösung

Mangelndes Vertrauen durch Manipulationen und andere Skandale

Menschliches Selbstverständnis und ungewöhnliche Beziehungen

Die Praxis der Transplantationsmedizin

Organmangel – ein nur begrenzt lösbares Problem

Wer ist wirklich ›schuld‹ am Organmangel?

Anthropologische und ethische Grundlagen

Körperhaben und Leibsein

Person mit gleicher Würde und gleichen Rechten

Eine interdisziplinär-ethische Beurteilung von Hirntod und Organtransplantation

Die Hirntoddefinition macht Organspende erst möglich

»Sterben auf der Warteliste«

Fazit und Ausblick

Anmerkungen

Orientierungspunkte

Titel

Inhaltsverzeichnis

Mehr über unsere Autor:innen und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN: 978-3-86489-846-4

Streitfragen

Originalausgabe

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2023

Motiv: Westend Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz: Publikations Atelier, Dreieich

Wir fangen etwas an; wir schlagen unseren Faden in ein Netz der Beziehungen. Was daraus wird, wissen wir nie. […] Das gilt für alles Handeln. Einfach ganz konkret, weil man es nicht wissen kann. Das ist ein Wagnis. Und nun würde ich sagen, dass dieses Wagnis nur möglich ist im Vertrauen auf die Menschen. Das heißt, in einem – schwer genau zu fassenden, aber grund­sätzlichen – Vertrauen auf das Menschliche aller Menschen. Anders könnte man es nicht.

Hannah Arendt

Vorbemerkungen

Dies ist der Versuch, Sie in die Frage zu verführen. Das Bild der Schlange, das Sie auf dem Titel sehen, ist keineswegs Zufall: In der Genesis ist sie es, die die Frage in die Welt bringt, die dazu verführt, das Selbstverständliche zu prüfen, dazu, sich ein ganz eigenes Urteil zu bilden. Auf diesem Weg bringt sie zugleich die Gefahr dieses Fragens in die Welt, denn zu fragen heißt immer, dem allzu Selbstverständlichen seine vermeintliche Alternativlosigkeit – und somit die darin liegende trügerische Sicherheit – zu nehmen.

Die Reihe Streitfragen stellt umstrittene Themen und Debatten zur Diskussion. Sie möchte Lust am Selberdenken und dem Entwerfen einer eigenen Position wecken wie auch das offene Gespräch verteidigen. Es ist ein großes Gut und Zeichen von Freiheit, dass es andere Standpunkte gibt, die den eigenen in Frage stellen. Nur so können Gedanken sich formen und umformen, nur so kann Neues entstehen, kann Gesellschaft wachsen und sich entwickeln.

Woran es unserer Zeit nicht mangelt, sind Formate des Streits, die in Lager einteilen und Kontrahenten in die Arena treten lassen. Diese Art der Debatte befördert eine Vertiefung und Verfestigung nicht mehr übertretbarer Frontlinien, sie zieht diese sogar oftmals erst. Auf diese Weise wird zur Linie verkürzt, was Gesellschaft und Öffentlichkeit einzig ermöglicht, nämlich der gemeinsame Raum des Gesprächs. Eine vielstimmige Gesellschaft ist aber weder selbstverständlich noch natürlich, sie bildet sich einzig im Dialog und endet, sobald ein solcher nicht mehr möglich ist, sobald es nur noch darum geht, den anderen mit allen Mitteln zu übertrumpfen, sobald Debatte zum Wettkampfspektakel verkommt.

Diese Reihe möchte dem entgegenwirken. Bei dem hier ausgetragenen Streit soll es nicht um Angriff und Verteidigung gehen, sondern darum, beiden Standpunkten ausreichend Platz zur Entfaltung zu lassen. Aus diesem Grund werden beide Beiträge ohne Kenntnis des jeweils anderen verfasst, und damit ohne dem (unterschwelligen) Zwang zu unterliegen, sich für seine eigene Position rechtfertigen zu müssen.

Nach der Lektüre sollen sich beide Standpunkte erheben wie die Teile eines Vorhangs und so den Platz eröffnen, der Ihren Gedanken, Ihrer Meinung zukommt. Der so entstehende Zwischenraum für eine eigeneSichtweise ist es, der eine lebendige Gesellschaft hervorbringt: die Leerstelle, die offene Frage, die auffordert zu Austausch, Diskussion und Überprüfung der eigenen Überzeugungen.

Lea Mara Eßer, Frankfurt am Main 2023

Dieter Birnbacher: Organspende – eine Sache der Moral

Wie kann man einem solchen Menschen danken? Kann man denn sagen: »Danke für mein Leben«?

Slavenka Drakulić

Einleitung

In diesem Essay möchte ich eine These vertreten, von der ich mir vorstellen kann, dass sie vielen aus dem Herzen spricht, die zugleich aber von anderen mit bestenfalls gemischten Gefühlen aufgenommen werden wird: Gemeint ist die These, dass die erklärte Bereitschaft, die transplantierbaren Organe des eigenen Körpers für eine postmortale Organspende zur Verfügung zu stellen, nicht nur eine löbliche und wünschenswerte Handlung, sondern nicht weniger als eine moralische Verpflichtung ist. Sie sollte meines Erachtens deshalb sowohl in die moralische Erziehung der nachwachsenden Generation aufgenommen als auch gesellschaftlich nach Kräften unterstützt werden.

Ich bin mir im Klaren darüber, dass diese These auf mehreren Seiten auf Widerstand stoßen wird. Besonders mit zwei Formen von Kritik ist zu rechnen: Die erste Form ist vor allem unter Vertretern öffentlicher Institutionen wie den christlichen Kirchen, den politischen Parteien und einigen Ärzteorganisationen verbreitet, die es als ihre Aufgabe sehen, mithilfe der Medien auf die gesellschaftlichen Moralvorstellungen einzuwirken. In dieser Form besagt die Kritik, dass die Bereitschaft zur Organspende zwar als moralisch verdienstvoll gelten und privat und öffentlich ermutigt werden sollte, dass es aber verfehlt sei, sie geradewegs zu einer moralischen Pflicht zu machen. Die Organspende sollte – ebenso wie die Blutspende – als ein löblicher Akt mitmenschlicher Solidarität gelten, der Anerkennung verdient und für den durchaus auch öffentlich geworben werden kann. Ich aber möchte dafür eintreten, einen Schritt weiterzugehen, indem diese verdienstvolle Handlungsweise in den Rang einer moralischen Pflicht erhoben wird und sie damit eindeutigeren und fragloser akzeptierten Pflichten gleichzustellen, etwa der Pflicht für die Sorge für die eigenen Kinder. Im gegenwärtigen Verständnis müsste man aber – in der Terminologie der philosophischen Ethik gesprochen – in Bezug auf die Bereitschaft zur Organspende von einer »überpflichtmäßigen« Handlungsweise sprechen, einer Handlungsweise, die zwar durch und durch moralisch gut ist, die jedoch nicht eingefordert werden kann oder sollte. Das traditionelle Modell für ein »überpflichtmäßiges« Handeln sind Helden und Heilige. Helden und Heilige gelten als solche, weil sie sich ungewöhnliche Verdienste der einen oder anderen Art erworben haben. Sie dienen als Modelle von Selbstlosigkeit und Tatkraft. Eine Verpflichtung, ihnen nachzuleben, liefe jedoch auf eine Überforderung, auf eine »Hypermoral«1 hinaus.

Dass wir zwischen moralisch »verdienstlichem« Handeln und Handeln, zu dem wir moralisch verpflichtet sind, unterscheiden müssen, ist mehr oder weniger offenkundig. Es ist verdienstvoll, einen substanziellen Teil seines Einkommens für karitative Zwecke zu spenden, aber es ist zweifelhaft, ob dies im Namen der Moral verlangt werden kann. Unterscheiden lassen sich die beiden moralischen Beurteilungsformen etwa anhand der Reaktionen, die wir bei ihrer Nicht-Ausführung für angemessen halten. Bei jemandem, der eine verpflichtende Handlung nicht ausführt, obwohl er sie ausführen könnte, halten wir einen (je nachdem milderen oder strengeren) Vorwurf für angebracht. Anders bei jemandem, der eine überpflichtmäßige Handlung, die er ausführen könnte, nicht ausführt. Dass jemand lediglich einen kleineren Teil seines Einkommens für karitative Zwecke spendet, obwohl er mehr spenden könnte, ohne sich Entbehrungen aufzuladen, ist in diesem Sinne kein Anlass für einen moralischen Vorwurf. Umstritten ist jedoch, welche Handlungsweise, in die eine und welche in die andere Kategorie fallen. Wie umstritten Thesen sein können, die ein üblicherweise verdienstvolles Handeln zu einem gesollten erklären, zeigte sich in den 1970er Jahren, als der australische Philosoph Peter Singer in einem fulminanten Artikel forderte, dass die Bewohner der reichen Industrieländer moralisch verpflichtet seien, ein Zehntel ihres Einkommens den Entwicklungsländern zukommen zu lassen.2 Diese Forderung wurde weithin als Überforderung zurückgewiesen. Die Auffassung, die ich im Folgenden vertreten möchte, ist die, dass die Bereitschaft zur Organspende in die erste, verpflichtende Kategorie gehört.

Eine zweite Form der Kritik geht davon aus, dass das Postulat einer moralischen Pflicht zur Organspende auf nichts weniger als auf eine Kollektivierung des eigenen Körpers hinausläuft. Eine Verpflichtung des Individuums, seine Organe für die Transplantation zur Verfügung zu stellen, bedeute nicht weniger, als der Gesellschaft, dem Medizinsystem oder gar dem Staat das Recht zuzuerkennen, sich der Organe des Einzelnen zu bemächtigen. Ein solches Recht komme jedoch einer Teilenteignung des eigenen Körpers gleich. Der eigene Körper müsse aber als der Inbegriff von Privateigentum gelten, auf den andere und insbesondere der Staat kein Recht hätten. Schließlich gibt es kein anderes Besitztum, zu dem wir in einem vergleichbar intimen Verhältnis stehen.

Auch diese Kritik werde ich im Folgenden zurückweisen. Ich werde argumentieren, dass ein derartiges Recht in der Tat als klarer Fall von unzulässiger Übergriffigkeit gelten muss, dass jedoch eine moralische Verpflichtung kein Recht eines anderen beinhaltet, sich das, was der Verpflichtete zu geben verpflichtet ist, unabhängig von dessen Zustimmung zu nehmen. Das Verhältnis zwischen Pflichten und Rechten ist vielschichtiger, als die zweite Kritik unterstellt. Nicht jede Pflicht begründet auf der Gegenseite auch ein entsprechendes Recht.