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Was ist die ide und was kann ich mir davon erwarten? - Jetzt die Zeitschrift für den Deutschunterricht in Wissenschaft und Schule kennenlernen! Diese besondere ide-Sonderausgabe vereint ausgewählte Beiträge aus unterschiedlichen Themenheften der Jahre 2013 bis 2016, die die Vielfalt der Zeitschrift aufzeigen und zum Weiterlesen im jeweiligen Heft einladen sollen. Die ide versteht sich als Fachmedium für DeutschlehrerInnen und FachdidaktikerInnen, wobei die einzelnen Themenhefte ein breites Spektrum umfassen, aber vor allem relevant für die Praxis des Deutschunterrichts sein sollen. Aus den Abschnitten 'Wissen, Lernen, Identität', 'Partizipatives, fächerübergreifendes, ästhetisches Lernen' und 'Literale Praxis von Jugendlichen' werden spannende Artikel vorgestellt. AUS DEM INHALT Wissen, Lernen, Identität Martin G.Weiss & Werner Wintersteiner (2015): Wissen und Macht, Wissen und Widerstand. Welches Wissen für wen? Georg Gombos (2015): Die Gegenwart ist mehrsprachig - die Zukunft auch! Mehrsprachigkeit als Herausforderung für Gesellschaft, Institutionen und Individuen Stefan Krammer (2013): Ich bin ich bin ich ...Identitätskonzepte in den Sozial-, Kultur- und Literaturwissenschaften Partizipatives, fächerübergreifendes, ästhetisches Lernen Marlies Breuss (2014): Wie Projekt(e) und Projektunterricht Schule machten. Einige Begriffe und ihr Wandel Ursula Esterl & Stefanie Petelin (2013): "Es wird so viel über Musik gesprochen ..." Musik im Deutschunterricht Hajnalka Nagy (2015): ErinnerungsORT Schule. Erinnern im sozialen, kulturellen und bildungspolitischen Wandel Literale Praxis von Jugendlichen Gerd Bräuer (2013): Mit authentischen Lernarrangements Schreib- und Lesekompetenz nachhaltig verzahnen Gunther Kress (2013): Texte als Spiegel sozialer Beziehungen. Ein sozialsemiotischer Zugang Madeleine Strauss (2016): Der Sachtext im fächerübergreifenden Unterricht. Eine verkannte Textsorte
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Seitenzahl: 200
Veröffentlichungsjahr: 2017
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informationen zur deutschdidaktikZeitschrift für den Deutschunterrichtin Wissenschaft und Schule
Herausgegeben vonUrsula Esterl und Werner Wintersteiner
Sonderheft online2016
StudienVerlag Innsbruck
Editorial
URSULA ESTERL, WERNER WINTERSTEINER: Editorial
Wissen, Lernen, Identität
MARTIN G. WEISS & WERNER WINTERSTEINER (2015): Wissen und Macht, Wissen und Widerstand. Welches Wissen für wen?
GEORG GOMBOS (2015): Die Gegenwart ist mehrsprachig – die Zukunft auch! Mehrsprachigkeit als Herausforderung für Gesellschaft, Institutionen und Individuen
STEFAN KRAMMER (2013): Ich bin ich bin ich... Identitätskonzepte in den Sozial-, Kultur- und Literaturwissenschaften
Partizipatives, fächerübergreifendes, ästhetisches Lernen
MARLIES BREUSS (2014): Wie Projekt(e) und Projektunterricht Schule machten. Einige Begriffe und ihr Wandel
URSULA ESTERL & STEFANIE PETELIN (2013): »Es wird so viel über Musik gesprochen ...«. Musik im Deutschunterricht
HAJNALKA NAGY (2015): ErinnerungsORT Schule. Erinnern im sozialen, kulturellen und bildungspolitischen Wandel
Literale Praxis von Jugendlichen
GERD BRÄUER (2013): Mit authentischen Lernarrangements Schreibund Lesekompetenz nachhaltig verzahnen
GUNTHER KRESS (2013): Texte als Spiegel sozialer Beziehungen. Ein sozialsemiotischer Zugang
MADELEINE STRAUSS (2016): Der Sachtext im fächerübergreifenden Unterricht. Eine verkannte Textsorte
Nachweise der Quellen
www.uni-klu.ac.at/ide
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www.uni-klu.ac.at/deutschdidaktik
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Liebe Leserinnen und Leser,
diese besondere online-Ausgabe der Zeitschrift ide. informationen zur deutschdidaktik soll zum Kennenlernen unserer Zeitschrift und der vielfältigen Themenbereiche rund um Deutschdidaktik und Deutschunterricht, mit denen sie sich beschäftigt, einladen. Die ide versteht sich als Fachmedium für DeutschlehrerInnen und FachdidaktikerInnen, wobei die einzelnen Themenhefte (erscheinen vier Mal im Jahr) ein breites Spektrum umfassen, aber vor allem relevant für die Praxis des Deutschunterrichts sein sollen.1 Erklärtes Ziel der Zeitschrift ist es, eine Verbindung zwischen Theorie und Praxis, Wissenschaft und Schule herzustellen. Denn »die Praxis braucht die kritische Reflexion der Wissenschaft, und die Wissenschaft muss sich an der Praxis bewähren« (Wintersteiner 2007, S. 173 f.) – und so machen wir es uns zur Aufgabe, diesen »Dialog unter Gleichberechtigten« (ebd., S. 174) kritisch und reflexiv in unterschiedlichen Kontexten zu führen.
Für die vorliegende online-Ausgabe wurden nun – dem Grundprinzip der Zeitschrift folgend – einführende und grundlegende theoretische, aber auch praktische Texte aus unterschiedlichen Themenheften der Jahre 2013 bis 2016 ausgewählt, die die Vielfalt der Zeitschrift aufzeigen und zum Weiterlesen im jeweiligen Heft einladen sollen.2
Die Texte wurden thematisch geordnet und möchten ein breites Spektrum von innovativen und orientierenden Zugängen zum Deutschunterricht heute abdecken. Wir haben uns dabei bemüht, vor allem auf die vielfältigen Möglichkeiten des Deutschunterrichts und auf das (neue) Potential der Unterrichtsgestaltung aufmerksam zu machen. Bewusst haben wir auf die Fragen der normativen Rahmenbedingungen wie Bildungsstandards oder Neue Reifeprüfung verzichtet, obwohl die ide sich auch damit permanent auseinandersetzt. So wollen wir der Tendenz entgegenwirken, dass die deutschdidaktische Diskussion allzu sehr auf diese, zweifelsohne wichtigen Fragen eingeschränkt wird, und stattdessen neue oder wieder neu zu belebende Ansätze für einen Deutschunterricht heute vorstellen. Vor allem aber geht es uns darum, für einen Deutschunterricht einzutreten, der die Emanzipation und Entfaltung der SchülerInnen durch sprachliche Bildung zum Ziel hat.
Im ersten Abschnitt – Wissen, Lernen, Identität – werden die Veränderungen diskutiert, die das heutige Aufwachsen in einer multinationalen, mehrsprachigen Mediengesellschaft wie auch die Bedingungen des Lernens und speziell des Deutschunterrichts nachhaltig beeinflussen.
Dazu setzen sich einleitend Martin G. Weiß und Werner Wintersteiner mit dem Begriff des Wissens auseinander. Wissen, also die traditionelle Beschreibung schulischen Lehrens und Lernens, hat durch den Kompetenzbegriff eine starke Konkurrenz erhalten, wodurch nach Ansicht der Autoren jedoch wesentliche Perspektiven verloren gehen. In ihrem das »Theoriekapitel« eröffnende Beitrag beleuchten die beiden Autoren zunächst das Verhältnis der Begriffe Wissen und Kompetenz. Dabei orten sie eine spürbare Wandlung des Kompetenzbegriffes. Während dieser ursprünglich eine kritische Stoßrichtung hatte, indem er die kreative Anwendung erworbenen Wissens einforderte, führte die Forderung nach psychometrisch messbaren Lernergebnissen paradoxerweise zu einer »gewaltige[n] Einschränkung dessen, was als für Bildung notwendiges und unverzichtbares Wissen zu gelten hat.« Deswegen stellt sich die Frage nach den Leistungen und Grenzen des Wissensbegriffs, um die Inhalte und Ziele des Deutschunterrichts begrifflich zu fassen.
Mit einem sprachdidaktisch, aber auch gesellschaftlich äußerst aktuellen Thema beschäftigt sich das ide-Themenheft Sprachliche Bildung im Kontext von Mehrsprachigkeit. Georg Gombos diskutiert in seinem einleitenden Beitrag die Herausforderungen, die Mehrsprachigkeit für Gesellschaft, Institutionen und Individuen mit sich bringt. Dabei ortet er auf allen drei Ebenen noch einiges an Entwicklungspotential: Erst wenn Österreich sich zu seiner Rolle als Einwanderungsland bekennt und die nötigen Integrationsmaßnahmen für ein Miteinander in gegenseitigem Respekt setzt, wenn in der Institution Schule entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden, um eine soziale und sprachliche Integration aller Kinder zu gewährleisten, und wenn individuelle Mehrsprachigkeit als Bildungschance gesehen wird und mehrsprachige SprecherInnen in ihrem Selbstbild gestärkt werden, können die Ressourcen, die eine multikulturelle mehrsprachige Gesellschaft in sich trägt, auch optimal genutzt werden.
Die Mehrsprachigkeit ist nur eine der Komponenten, die das Aufwachsen heutiger Jugendlicher beeinflusst. Für Schule und Deutschunterricht gilt es auch, Phänomene wie Individualisierung, Globalisierung und Medialisierung zu berücksichtigen. Damit stellt sich die – nicht nur, aber besonders für Jugendliche relevante – Frage nach der (oder den) eigenen Identität(en). Stefan Krammer greift diese Impulse auf und gibt in seinem Beitrag (zur Einführung in das ide-Heft Identitäten) nicht nur einen Überblick über den heute sehr kontrovers diskutierten Begriff der »Identität« und über verschiedene Identitätskonzepte in den Sozial-, Kultur- und Literaturwissenschaften, sondern macht auf die Notwendigkeit »einer kritischen Auseinandersetzung mit Identitätskonventionen« im deutschdidaktischen Feld aufmerksam.
Der zweite Abschnitt – Partizipatives, fächerübergreifendes, ästhetisches Lernen – zieht aus den obigen Befunden Konsequenzen für den Unterricht. Angesichts der aktuellen Veränderungen in der Schullandschaft erschien es uns angebracht, Projektunterricht – oder: projektorientierten Unterricht – unter den neuen Bedingungen der schulischen Wirklichkeit wieder zu thematisieren. Marlies Breuss nähert sich dem Thema aus historischer und didaktischer Perspektive und holt dabei etwas weiter aus. Sie macht sich auf eine »begriffliche Spurensuche«, um ausgehend von John Dewey WegbereiterInnen der Projektidee – egal ob als Projekt, als Projektorientierter Unterricht, als Projektmethode oder als Projektunterricht – bis ins Hier und Jetzt zu folgen und die Bedeutung des Projektlernens erfahrbar zu machen.
Die Reflexion der Bedeutung von Musik und die Frage, welche Rolle Musik im Deutschunterricht spielen kann und soll, steht im Fokus des ide-Themenheftes Musik. Beachtung finden ästhetische, philosophische, soziologische und pädagogische Faktoren, wobei besondere Aufmerksamkeit der (nicht nur lyrischen) Sprache und ihrer Musikalität gilt. Neben der »SprachMusik« soll allerdings auch eine intensive Auseinandersetzung mit der »Musik-Sprache« erfolgen und somit die ästhetische Bedeutung der Symbiose zwischen dieser Sprache und Musik aufgezeigt werden. Um dies zu illustrieren, geben Ursula Esterl und Stefanie Petelin in ihrem Basisartikel einen Überblick über die interdisziplinären Beziehungen der Musik – und zwar sowohl aus der Perspektive einer intermedial ausgerichteten Kulturwissenschaft, als auch aus didaktisch-pädagogischer Sicht.
Die für die eigene, aber auch für die kollektive Identität so bedeutsamen Erinnerungen sowie die Auswahl und Reflexion der für den Unterricht ausgewählten Erinnerungsorte prägen die Kulturen des Erinnerns. Hajnalka Nagy beleuchtet in ihrem Text die Rolle der Schule und speziell die des Deutschunterrichts in der »Konstruktion, Reproduktion und Hierarchisierung von offiziellen Narrativen« über Identität und Geschichte. Hierzu beschreibt sie jene Spannungsfelder, die die Erinnerungsarbeit im Deutschunterricht maßgeblich mitbestimmen und gestalten.
Im abschließenden, stärker praxisorientierten Kapitel – Literale Praxis von Jugendlichen – stehen die Grundkompetenzen Lesen und Schreiben und ihre Vermittlung im Fokus. Wie man mit Hilfe von authentischen Lernarrangements Schreib- und Lesekompetenz ineinandergreifend entwickeln und dabei sowohl auf aktuelle Anforderungen im schulischen und beruflichen Alltag als auch auf institutionalisierte Prüfungen vorbereiten kann, legt Gerd Bräuer in seinem Text im Themenheft Textkompetenz dar. Darüber hinaus zeigt er auf, wie Schreibende »Literacy Management« in Schule, Studium und Berufsausbildung aufbauen können. Der nächste Beitrag blickt auf das zunehmend an Bedeutung gewinnende Thema Schrift in multimodalen Textensembles, auf die Beziehung von Bild und Text und die sich wandelnde Literale Praxis von Jugendlichen, mit der sich dieses Themenheft auseinandersetzt. Gunther Kress beschreibt Texte als »Spiegel sozialer Beziehungen« und nähert sich ihnen aus sozialsemiotischer Sicht. Dabei plädiert er dafür, das Soziale in den Mittelpunkt zu rücken, wenn wir über Literalität als kulturelle Ressource sprechen. Anhand von Textauszügen wird erläutert, wie zum Beispiel »Autorität« in Linearität und Modalität von Texten zum Ausdruck kommt. Der abschließende Text ist dem höchst aktuellen, für alle Fächer und das Lernen allgemein so bedeutenden Themenheft Sachtexte entnommen. Die Praktikerin Madeleine Strauss plädiert ambitioniert für den Einsatz von Sachtexten auch im Deutschunterricht. Sie zeigt Möglichkeiten auf, wie SchülerInnen, »ausgehend von der Alltagssprache zu einer ihnen eigenen Bildungs- und Fachsprache finden können«. Dabei will auch sie die Grenzen des Faches gesprengt wissen, sodass SchülerInnen »Strategien zum Textverständnis in allen Fächern« trainieren.
Wir hoffen, mit dieser Auswahl anregende Einblicke in das vielfältige, weite Feld der Deutschdidaktik geboten und Ihr Interesse an unserer Zeitschrift geweckt zu haben.3
URSULA ESTERL &WERNER WINTERSTEINER
WINTERSTEINER, WERNER (2007): 30 Jahre ide. Ein subjektiver Rückblick. In: Glaboniat, Manuela; Rastner, Eva Maria; Wintersteiner, Werner (Hg.): Wir sind, was wir tun. Deutschdidaktik und Deutschunterricht vor neuen Herausforderungen. Innsbruck u. a.: StudienVerlag (= ide-extra, Bd. 13), S. 173–178.
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1 Nähere Informationen zur Zeitschrift finden Sie auf unserer Webeseite: www.uni-klu.ac.at/ide.
2 Editorial und Inhaltsverzeichnis zu jedem ide-Heft können Sie auf unserer Webseite nachlesen: www.uni-klu.ac.at/ide.
3 Alle Artikel können als vollständige Printausgabe in den jeweiligen Themenheften direkt beim Verlag erworben werden: StudienVerlag, Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck, www.studienverlag.at
Martin G. Weiß, Werner Wintersteiner
Die Enteignung des Wissens,sehr unzureichend kompensiert durch die mediale Vulgarisierung,stellt ein historisches Schlüsselproblem der kognitiven Demokratie dar.(Edgar Morin)
Wissen ist Macht, gesichertes Wissen, Wissensgesellschaft, Wissenstransfer, Wissenserwerb, Wissensvermittlung, Herrschaftswissen, totes Wissen, aber auch das Wissen der Wissenschaft und der etymologische Zusammenhang zwischen Wissen und Weisheit – all diese Formulierungen umreißen bereits die Spannweite des Wissensbegriffs, wie er heute verwendet wird:
• Wissen gilt zunächst als etwas, worüber wir verfügen können: Die SchülerInnen beherrschen den Stoff. Wissen ist dabei nicht Selbstzweck, sondern ein Mittel, um die Welt zu verstehen und handeln zu können. Im engeren Sinne ist es ein praktisch verwertbares Wissen, das Wissen der Wissensgesellschaft wird als Motor ökonomischer Entwicklung in modernen Gesellschaften verstanden.
• Wissen muss, in harter Arbeit, erworben werden, es kann vermittelt werden, wenn die, die über das Wissen bereits verfügen, es denen weitergeben, denen es noch fehlt. Die Wissenden verfügen nicht nur über Wissen, sondern auch über Wissen darüber, welches Wissen (wem) vermittelt werden soll. Zur Wissenselite zu gehören, verschafft Status und Prestige. Was man wissen muss, welchen Kanon des Wissens man kennen sollte, das ist allerdings umkämpftes Terrain, Kritiker werfen den VertreterInnen gegensätzlicher Kanones vor, nur totes Wissen zu vermitteln.
• Wissen ist kulturspezifisch, im doppelten Sinne: Auf der einen Seite werden in verschiedenen Gesellschaften unterschiedliche Erfahrungen gemacht bzw. unterschiedliches Wissen produziert. Auf der anderen Seite werden auch unterschiedliche Arten des Wissens als besonders wertvoll und prestigeträchtig betrachtet, zum Beispiel ein literarischer Kanon im Vergleich zu naturwissenschaftlichem Wissen. Die Globalisierung bringt die Tendenz, diese Unterschiede einzuebnen. Diese Kulturspezifik ist auch eine Form der Dominanz: Noch immer wird ein Großteil des wissenschaftlichen Wissens in den Ländern des globalen Nordens und über die Länder des Nordens produziert.
• Wissen ist uns zugleich immer nur beschränkt zugänglich – und paradoxerweise umso beschränkter, je mehr das Wissen wächst. Das Wissen der Menschheit erhöht sich ständig, durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse, aber auch durch neue Erfahrungen und durch neue Kommunikationsmittel, die uns den Zugang zu Wissen erleichtern. Dennoch bedeutet diese rasante Zunahme, die Wissensexplosion, dass der oder die Einzelne relativ immer weniger Anteil am Gesamtwissen der Menschheit haben kann. Allerdings gibt es eine Wissenshierarchie, und man kann nützliches von unnützem (aber oft vielleicht amüsantem und daher begehrtem) Wissen unterscheiden.
• Die Beschränkung hat aber nicht nur sachliche, sondern auch gesellschaftliche Gründe: Wenn Wissen Macht ist, so kann der Erwerb von Wissen entweder bestehende Hierarchien bestätigen oder eine Strategie des Machtausgleichs sein. Das heißt, dass auch der Prozess der Wissensvermittlung ein Akt ist, bei dem diese Macht zum Ausdruck kommt. Die verschiedenen Regelungen, wer Zugang zu welchem Wissen hat, zeugen davon. Das gesamte Bildungswesen ist so ein Regelmechanismus, der festlegt, wer welches Wissen erhalten darf, soll oder muss bzw. eben nicht erhält.
• Wissen ist zugleich ein Zentralbegriff jeder Aufklärung: Die Fähigkeit zu kritischem Urteil über Gegenstände, Meinungen und über sich selbst bedarf eines fundierten Wissens. Dieses Wissen wird nicht einfach vermittelt, sondern eher angeeignet. Es ist ein selbsttätiger mühevoller und langsamer Prozess des Wissenserwerbs, der zugleich Persönlichkeitsbildung ist. In diesem Prozess wird nicht nur bestehendes Wissen konsumiert, sondern es wird neues Wissen produziert. Dieses Verständnis setzt Wissen und Bildung (im emphatischen Sinne) in eins.
• Wissen ist in diesem Sinne nicht einfach gesichert und verfügbar, sondern zweifelhaft und unzugänglich. Jeder Prozess der Erkenntnissuche schließt die Möglichkeit des Irrtums ein, das Risiko, nicht alles Wissen erlangen zu können. Wissen ist grundsätzlich etwas Unfertiges, und Wissenserwerb ist ein nicht enden könnender Prozess sowohl für die oder den Einzelnen wie für die Gesellschaft insgesamt.
Schon diese erste Orientierung zeigt: Der Begriff des Wissens ist äußerst leistungsfähig. Er beinhaltet nicht nur ein Konzept, die Summe der menschlichen Erfahrungen begrifflich zu erfassen, er stellt auch einen Zusammenhang her zwischen Erfahrungen und Handeln. Er postuliert ferner die Möglichkeit, diese Erfahrungen, abgelöst von der Person, die sie macht, in allgemeiner Form zu beschreiben, als eine Art Artefakt zu verstehen und zu speichern. Das wiederum erlaubt erst eine systematische Weitergabe des Wissens an andere bzw. deren selbständigen Wissenserwerb. Somit enthält der Wissensbegriff auch eine eigene Pädagogik und Didaktik der Wissensvermittlung. Wissen als einen Gegenstand zu betrachten, der nicht an die wissende Person gebunden, sondern von ihr ablösbar ist, hat erst zu der Möglichkeit geführt, aufbauend auf bestehendem Wissen neues Wissen in dieser Quantität und Geschwindigkeit zu produzieren, wie es seit der Erfindung von Speichermedien wie der Schrift der Fall ist. Diese Art der Weitergabe von Wissen – in mündlicher Form wie auch über Speichermedien wie Bücher, Filme usw. – unterscheidet sich grundlegend von der Vermittlung von Fertigkeiten, wie sie in früheren Zeiten idealtypisch etwa ein Meister seinem Lehrling weitergab, indem er ihn zur Beobachtung und Nachahmung anhielt, also ein Lernen durch praktische Erkenntnis gegenüber einem Lernen als Aneignung von externalisierten Wissensinhalten. Innerhalb des Konzepts des Wissens wird diese, auf Aristoteles zurückgehende Unterscheidung heute als explizites und implizites Wissen bzw. deklaratives und prozedurales Wissen bezeichnet. Während explizites Wissen in der beschriebenen Form wie ein Gegenstand weitergereicht und vermittelt werden kann, ist implizites Wissen nicht so leicht intentional transferierbar, was nicht heißt, dass es nicht erworben werden kann, wie das Beispiel der Meisterlehre zeigt. Für unseren Zusammenhang ist hier aber lediglich wichtig, dass damit eine Grenze der Leistungsfähigkeit des Wissensbegriffs aufgezeigt wird.
Zugleich hat es am Konzept des Wissens wie auch an der Praxis der »Wissensmacht« immer wieder Kritik gegeben. Vor allem wurde sein Wert für Konzepte von Bildung und Theorien von Lehren und Lernen infrage gestellt. Drei Kritikpunkte spielen dabei für den pädagogisch-didaktischen Kontext eine besonders wichtige Rolle:
• Zunächst wurde der Herrschaftscharakter des Wissens angeprangert: Welches Wissen wer erhält, welches Wissen wem vorenthalten wird, besonders über den Zugang zum Bildungssystem, sei eine Machtfrage, die von (Wissens)Eliten entschieden wird.
• Zweitens wird auch der Warencharakter des Wissens kritisiert, wie etwa in Paulo Freires Kritik am »Bankierskonzept« des Lernens und Wissens (Freire 1973). Wissen werde auf diese Weise funktionalisiert, führe aber nicht zu Bewusstseinsbildung (conscientização), zur (allseitigen) Bildung der Persönlichkeit.
• Schließlich wurde auch die dem Bankierskonzept entsprechende Art der Wissensvermittlung als eine hierarchische pädagogische Strategie kritisiert, die unhinterfragte (eben kanonisierte) Wissensinhalte dogmatisch verkünde und deren gedankenlose Reproduktion erwarte – nicht nur in didaktischer, sondern vor allem in politischer Hinsicht bedenklich.
Es wurde kritisiert, dass der Wissensbegriff allzuhäufig auf Faktenwissen reduziert werde, dem aber noch kein Verstehen entspricht (auch in der Bloom’schen Taxonomie der Lernziele wird das Faktenwissen als unterste Stufe gewertet, als bloße Grundlage des Verstehens). Dieses Faktenwissen wird manchmal auch mit dem Begriff Information gleichgesetzt, womit sich die Unterscheidung zwischen Sach-und Orientierungswissen auftut. Auch wenn diese Reduktion auf Faktenwissen abgelehnt wird, bleibt der Wissensbegriff doch einer »materialen Bildungsvorstellung« (Schües 2010, S. 20) verhaftet, die auf die selbsttätige Kraft der Bildungs- oder Wissensgüter vertraut und die Rolle des lernenden Individuums unterschätzt. Die materiale Bildungsvorstellung setzt demnach auf den Kanon der Wissensgüter und erhofft sich von ihm, von seiner Erhaltung und seinem Ausbau alleine die nötige Wirkung.
Aufgrund all dieser Einschränkungen und Reduktionen ist der Wissensbegriff als Element eines Bildungskonzepts selbst stark in Misskredit geraten. Ihm wurde als progressive Alternative die Vermittlung von Fähigkeiten und Kompetenzen gegenübergestellt, die es den Lernenden erlaube, Neues sinnvoll aufzunehmen und es für ihre (als praktische gedachten) Zwecke zu nutzen. Statt einer materialen Bildungsvorstellung steht hier also eine »formale Bildungsvorstellung« (ebd.) dahinter, die Entfaltung der geistigen Kräfte der Lernenden bildet den Mittelpunkt. Diese Lernerzentrierung wurde als emanzipatorische und befreiende Bildung verstanden, im Gegensatz zur traditionellen Gegenstandszentrierung, die das »Wissen« gegenüber denen, die das Wissen erwerben wollen, privilegiere. Kompetenzen werden in diesem Sinne verstanden »als Selbstorganisationsdispositionen, die auf Handlungsfähigkeit in neuen Situationen abzielen« (Zürcher 2010, S. 3). Das ist der Grund, warum (etwa im Bereich der Politischen Bildung) die Kompetenzorientierung zunächst mit großem Enthusiasmus aufgenommen wurde – versprach sie doch eine Ablösung der alten Faktenhuberei, die keineswegs Verständnis gefördert hat. Gegenüber dieser Polarisierung hatten es andere Positionen schwer, die Wissen und Fähigkeiten (Kompetenzen) nicht als konkurrierende, sondern als komplementäre Konzepte verstehen wollten.1
Der Begriff der Kompetenz hat tatsächlich seit Beginn des neuen Jahrhunderts einen unerhörten Siegeszug angetreten. Er wird nicht nur als lernerorientierte Alternative zum gegenstandsorientierten Wissensbegriff angeboten, sondern auch als Voraussetzung empirischer Bildungs- und Unterrichtsforschung, ja als Grundlage eines leistungsfähigen Bildungssystems überhaupt. Dieses Konzept geht von der Annahme aus, dass das Problem der heutigen Bildung die Frage der Effizienz sei. Effizienz in der Bildung setze eben ein empirisch fundiertes (»evidence based«) Vorgehen voraus.
Der Begriff des Wissens findet sich allerdings nicht im Diskurs der Effizienz. Denn dafür ist der Begriff der psychometrisch messbaren Kompetenz wesentlich brauchbarer. Unter Kompetenzen werden jene im Bildungsprozess erworbenen Fähigkeiten verstanden, die es erlauben, auch in neuen oder unvorhergesehenen Situationen das erworbene Wissen sinnvoll zu aktivieren und anzuwenden. Sie sind ein theoretisches Konstrukt, um Lernprozesse zu modellieren und deren Ergebnisse zu beurteilen. Somit scheint der Kompetenzbegriff zunächst, wie oben ausgeführt, dem Wissensbegriff überlegen zu sein.
Es geht also vordergründig nicht um eine Infragestellung der Inhalte, sondern »bloß« um die Art der »effizienten« Vermittlung, letztlich um die Frage, ob – im Verhältnis zu den eingesetzten (personellen und finanziellen) Mitteln – auch genug gelernt wurde. Unter der Hand aber, und ohne dass dies offen argumentiert wird, werden auf diese Weise auch bestehende Inhalte infrage gestellt, abgewertet oder durch andere ersetzt. Denn eine effiziente Ausbildung ist am besten durch eine strikte Kontrolle von vorausbestimmten Ergebnissen der Lernprozesse zu erreichen. Das bedeutet aber, dass letztlich nur mehr diejenigen Lerninhalte, die auf diese Weise messbar sind, als das eigentliche Wissen gelten. Zu Ende gedacht bzw. konsequent praktiziert bedeutet dies eine gewaltige Einschränkung dessen, was als für Bildung notwendiges und unverzichtbares Wissen zu gelten hat.2
Damit werden der problematische Kontext der Einführung des Kompetenzbegriffs und vor allem der damit verbundene Totalitätsanspruch sichtbar. Er erfordert nämlich eine meist nicht explizit gemachte Einschränkung des Wissens auf verwertbares Wissen, nämlich jenes, das für den als homo faber oder homo oeconomicus verstandenen Menschen als die Voraussetzung für sein berufliches Fortkommen verstanden wird. Nur dieses Wissen – und auch davon wieder nur der Anwendungsbereich – kann einigermaßen praktikabel in die Sprache der Kompetenz übersetzt und somit überprüft werden.
Das Resultat ist die Ironie, dass die neoliberale Orientierung des Bildungswesens den Gegensatz von Wissen und Kompetenzen nochmals auf den Kopf gestellt hat. Indem sich eine – von ökonomischen Verwertungszwängen motivierte – Bildungspolitik seiner bemächtigt hat, hat sich der Kompetenzbegriff, der angetreten war, die Schwächen des Wissensbegriffs zu kompensieren, in sein Gegenteil verkehrt. Die psychometrische Verengung des Konzepts von Kompetenz – was nicht gemessen werden kann, ist keine Kompetenz, so der »monotheistische« Anspruch der Psychometrie – hat den »alten« Wissensbegriff de facto wieder rehabilitiert. Angesichts des »monomanischen« Versuchs, alles Lernen in der Sprache der Kompetenz auszudrücken, ist der Wissensbegriff unerwartet in die Rolle des Herolds emanzipatorischer Bildung, und damit von Bildung als solcher, aufgerückt. Das ist »systemtheoretisch« verständlich, tut aber der Sache nicht gut, da damit die bereits sichtbaren Schwächen und blinden Flecken des Wissensbegriffs wieder zugedeckt werden. Immerhin hat der Wissensbegriff aber auch den Vorteil, dass Wissen sich rechtfertigen muss, während die Notwendigkeit der jeweiligen Kompetenzen durch ihre (vorgebliche oder tatsächliche) praktische Qualität scheinbar unmittelbar einleuchtet und diese daher einer kritischen Prüfung meist entgeht.
Nun steht außer Zweifel, dass auch der psychometrisch enge Kompetenzbegriff gerade für Prüfungen, und besonders für Abschlussprüfungen, ein sinnvolles Konstrukt ist, um Leistungen zu vergleichen und somit zu möglichst objektiven Ergebnissen zu kommen. Wenn jedoch nicht nur die Bewertung spezieller schulischer Leistungen bei Abschlussprüfungen in die Sprache der Kompetenz umgeschrieben wird, sondern das Konzept der Kompetenz den Anspruch stellt, den gesamten Bildungsprozess abbilden zu können, entsteht eine neue Situation. Ein hypertropher »monokultureller« Kompetenzbegriff droht alle inhaltlichen Bemühungen um eine Neuausrichtung von Bildung zunichte zu machen. Aus der Sicht des Kompetenzbegriffs stellt sich gar nicht mehr die Aufgabe, die Inhalte der Bildung zu konzipieren und zu legitimieren.
Die Anstrengung, das Bildungswesen in Richtung einer solchen Kompetenzorientierung umzugestalten, hat zusätzlich dazu beigetragen, dass dem Wie der Kompetenzmodellierung, der Testung usw. größte Aufmerksamkeit zugewandt wurde, während die Inhalte der jeweiligen Kompetenzen – also die eigentliche Domäne des Wissensbegriffs – in den Schatten der Aufmerksamkeit getreten sind.
Erschwert wird die Situation dadurch, dass die Ablösung des Wissensbegriffs durch den Kompetenzbegriff in den Lehrplänen, den Unterrichtsmaterialien, in der Öffentlichkeit, aber eben auch bereits in Pädagogik und Didaktik, nicht dank der diskursiven Überlegenheit des Kompetenzbegriffs zustande gekommen ist, sondern durch bildungspolitische Weichenstellungen, die nur notdürftig legitimiert wurden und die auch nicht im nationalen, sondern im internationalen Rahmen entschieden worden sind, und dies nicht einmal von BildungspolitikerInnen und ihrer Bürokratie, sondern von VertreterInnen der Wirtschaft, wie der OECD. Internationale Vergleichsstudien (PISA, PIRLS …) haben sich als besonders effiziente Methoden herausgestellt, solche Neuorientierungen ohne allzu große Reibungsverluste durchzusetzen.
Diesen Studien liegt der Literacy- Begriff zugrunde, wie er im angelsächsischen Raum Verwendung findet. Seine ursprüngliche Bedeutung ist die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben. Heute wird er allerdings allgemein als die Kompetenz verstanden, Symbolsysteme zu entschlüsseln und selbst zu gebrauchen, sei es die Mathematik, seien es Bilder, der Umgang mit dem Computer und anderes. Für unseren Zusammenhang ist wichtig, dass der Literacy- Begriff nicht nur die technischen Fähigkeiten beschreibt, um die es beim Lesen und Schreiben geht, sondern dass ein tieferes Verstehen, das auf vielerlei Arten des Wissens beruht, mit eingeschlossen ist. Zumindest nach diesem, von der UNESCO forcierten Verständnis ist Literacy also die explizite Verbindung von Wissen und Kompetenzen. Es ist unschwer zu sehen, dass die UNESCO-Definition wesentlich weiter ist als das abstrakte, von allen kulturellen Spezifika »gereinigte« Kompetenzverständnis, wie es etwa den PISA- Lesetests zugrunde liegt: