OUR GHOST HARRY - Peter De Geesewell - E-Book

OUR GHOST HARRY E-Book

Peter De Geesewell

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Beschreibung

Was macht ein schottisches Gespenst, das nach fünf Jahrhunderten erfolgreichen Spukens seit bald zweihundert Jahren niemanden mehr erschreckt hat, weil seine Burg verfallen ist und von den Menschen gemieden wird? Es reist als blinder Passagier im Auto eines jungen Paares in die Schweiz, wo es endlich wieder nach Herzenslust herumspuken kann. Seine ahnungslosen Gastgeber sind zu Tode erschrocken, als sich das Gespenst ihnen zum ersten Mal zeigt. Trotz grosser Vorbehalte freunden sie sich mit der Zeit aber mit ihrem neuen Mitbewohner an. Dabei entwickelt sich das schreckliche Gespenst allmählich zum sympathischen und amüsanten Hausgespenst, das gewissenhaft über seine neue Familie wacht und mit den Kindern Spass hat, bis es endlich von seinem Fluch erlöst wird. In den Worten des Grossvaters und des Gespenstes erzählt "Our Ghost Harry" augenzwinkernd die spannende, berührende, aber manchmal auch erschütternde Geschichte des schottischen Gespenstes Lord Henry of Urquhart, den seine Freunde «Harry» nennen. Die Geschichte wendet sich an Kinder ab etwa zehn Jahren bis hin zu Erwachsenen und eignet sich gut zum Erzählen und Vorlesen.

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Seitenzahl: 372

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Für

Rico, Milena, Yara, Juno und Noah

Inhalt

Hufeisen und Distel

Neues Daheim

Harry trifft Peter

Kampf mit dem Drachen

Eingemauert

Spuk auf Urquhart Castle

Spuk in der Familie

Hüter des Hauses

Going Home

Autor und Illustrator

I. Hufeisen und Distel

Zeit zum Schlafengehen! Gute Nacht und schlaft gut, meine Lieben«, sagt Grossvater zu seinen beiden Enkelkindern und will das Licht im Kinderzimmer löschen.

»Nein, nein, Opapa. Nicht Zeit zum Schlafengehen, sondern Zeit zum Geschichten erzählen!«, bitten Rico und Milena ihren Grossvater so eindringlich, dass er nicht widerstehen kann.

»Also gut, aber nur eine kurze. Erfunden oder wahr?« Opapa geniesst es, seinen Grosskindern Geschichten zu erzählen, wenn sie bei Omi und ihm übernachten.

»Die Geschichte von einem kleinen Mädchen mit pinken Schuhen und langen, goldenen Haaren«, sagt Milena rasch. »Zum Beispiel von einem Mädchen wie mir!«

»Sicher nicht, Milena! Mädchengeschichten sind so langweilig!«, widerspricht Rico, ihr Cousin. »Ich will eine richtige Geschichte hören, von einem grossen Jungen wie mir!«

Opapa überlegt kurz. »Wie wär’s denn mit einer wahren Geschichte? Einer, in der ihr beide selbst vorkommt?«

»Au, ja!«, rufen beide sofort.

»Also gut, kommt mit ins Treppenhaus!«

Schnell stehen die zwei Kinder wieder auf. Sie sind gespannt darauf, was Opapa ihnen zeigen will – und was das für eine Geschichte sein soll, in der sie beide drin vorkommen.

»Was seht ihr dort oben an der Wand?«, fragt Opapa und zeigt auf ein golden glänzendes Hufeisen, das unter dem Firstbalken des Dachs an der Wand hängt.

»Ein Hufeisen!«

»Und weshalb hängt es dort?«

»Weil du es da aufgehängt hast, natürlich!«

»Denkste! Es ist nicht immer alles so, wie es auf den ersten Blick scheint! Es hängt dort, weil einmal ein Pferd bei uns zur Haustür hereingaloppierte. Als es im Haus drin war, erschrak es heftig, weil es nicht mehr wenden und deshalb nicht mehr zurück konnte. So geriet es in Panik, galoppierte die Treppe hoch und sprang mit einem gewaltigen Satz durch das kleine, offene Fensterchen in Nachbars Garten hinüber. Dabei trat es mit seinem linken hinteren Huf so kräftig gegen die Wand, dass sein Hufeisen drin stecken blieb – bis heute!«

»Aber Opapa! Du hast uns eine wahre Geschichte versprochen! Und das mit dem Pferd ist doch frei erfunden. Ein Pferd kann sicher nicht eine Wendeltreppe hinaufgaloppieren und dann noch durch ein so kleines Fensterchen hinausspringen!«

»Also wenn ihr nicht einmal das glauben könnt, wie wollt ihr mir denn die Geschichte glauben, die ich euch erzählen möchte? Für diese wahre Geschichte müsst ihr mindestens zehn Tonnen Glauben haben.«

»Aber wir glauben dir doch fast alles – auch für zwanzig Tonnen!«, beteuern die beiden im Brustton der Überzeugung und mit so treuherzigen Blicken, dass sie ein Herz aus Stein hätten erweichen können.

»Also gut, zurück ins Bett mit euch!«

Während die beiden es sich in ihren Betten gemütlich machen, holt Grossvater seinen Sessel aus der Bibliothek nebenan und setzt sich bequem hin.

»Die Geschichte, die ich euch jetzt erzähle, ist hundertprozentig wahr – oder, wie euer Ur-Opa gesagt hätte, ›Tatsach‹ wahr!‹ Omi und ich haben sie selbst erlebt. Sie beginnt vor gut vierzig Jahren, als wir noch nicht Omi und Opapa waren, ja noch nicht einmal Mami und Papi, sondern einfach zwei junge, verliebte Leute. Und jetzt hört gut zu, denn ihr seid die ersten, denen ich diese Geschichte erzähle.

Es war einmal eine Burg in Schottland …

»Aber Opapa, jetzt erzählst du uns doch ein Märchen – und dafür sind wir schon viel zu alt«, reklamiert Rico, der soeben seinen fünften Geburtstag gefeiert hat.

»Nein, Rico«, lacht Opapa, »das ist kein Märchen! Du wirst schon sehen, wenn du mich weitererzählen lässt.«

»Doch! Wenn es mit ›Es war einmal …‹ beginnt, dann ist es ein Märchen. Das weiss doch jedes kleine Kind! Das weiss sogar Milena – und die ist viel jünger als ich!«

»Jetzt lass doch Opapa weitererzählen!«, sagt Milena und nimmt vertrauensvoll Grossvaters rechte Hand in ihre zwei kleinen Händchen. »Wenn du nicht zuhören willst, kannst du ja schon mal schlafen und Opapa erzählt seine Geschichte nur mir ganz allein.«

»Soll ich euch jetzt meine Geschichte erzählen, oder wollt ihr ohne einschlafen?«

»Bitte, erzähl, Opapa!«, bettelt Milena.

»Ja, aber kein Märchen«, sagt Rico.

»Ich hab’ euch doch gesagt, dass es eine wahre Geschichte ist!«

»Aber sie muss spannend sein!«, verlangt Rico.

»Das verspreche ich euch. Wenn ihr dann aber nicht schlafen könnt, weil sie so spannend war, seid ihr selber schuld! Ihr wolltet ja kein Märchen von einer schönen Prinzessin und einem tapferen Prinzen hören!«

»Ha!«, lacht Rico, »Ich und nicht einschlafen können wegen so einem Geschichtchen! Ich bin doch kein Bubi mehr!«, meint Rico grossartig.

»Und wir kommen wirklich drin vor?«, will Milena wissen.

»Versprochen!«, sagt Opapa. »Vielleicht noch nicht heute, aber sicher das nächste oder übernächste Mal! Und jetzt macht es euch gemütlich – aber nicht so bequem, dass ihr dabei einschläft!«

»Dann bist du aber selber schuld, weil du so langweilig erzählt hast!«, spottet Rico.

»Da hast du auch wieder recht! Also hört jetzt genau zu!«

Es war einmal eine Burg in Schottland. Sie hiess Urquhart Castle und ist heute nur noch eine Ruine. Sie liegt am Loch Ness, einem schmalen, langen und sehr tiefen See mitten im schottischen Hochland. Die Tiefe des Sees hat aber nichts mit dem Namen ›Loch‹ zu tun, denn in Schottland heisst jeder See ›Loch‹.

In dieser Burg lebte vor über siebenhundert Jahren Sir Henry, Lord Urquhart, Laird of the Great Glen, zusammen mit seiner geliebten Frau Eleanor. Früher besassen wichtige Adelige jede Menge solcher Titel. Die beiden hatten zwei Kinder, einen Sohn namens Simon und eine Tochter, die Moira hiess. Moira ist die gälische Form von ›Maria‹. Eleanor verstarb leider bei Moiras Geburt. Das passierte im Mittelalter oft, da es ja noch keine Ärzte und Krankenhäuser gab und die Leute deshalb viel früher starben als heute.

Es waren wilde Zeiten, und die vielen Clans, oder Sippen, des Landes bekämpften sich dauernd. Deshalb war es wichtig, dass ein Clan sich bei Gefahr in einer gut befestigten Burg verschanzen konnte. Und eine solche Burg war Urquhart Castle. Sie galt als die stärkste und wichtigste Burg des schottischen Hochlands und seine Besitzer, die Urquharts, zählten zu den mächtigsten Clans.

Der gefährlichste Feind der Urquharts war der Clan MacDougall, der seine Burg und Ländereien beim Loch Linnhe hatte, etwa hundert Meilen südwestlich von Sir Henrys Ländereien. Immer wieder brachen die MacDougalls ins Great Glen ein, raubten Kühe und Schafe und zündeten die einfachen Hütten der Crofters an. ›Crofter‹ ist der Name für einen einfachen Pächter in Schottland. Mehrfach versuchten die MacDougalls auch, Urquhart Castle zu erobern. Aber das gelang ihnen nie.

Lord Henry, oder Harry, wie ihn seine Familie nannte, war ein mutiger und kämpferischer Haudegen, dem es gelang, die MacDougalls aus dem Great Glen fernzuhalten, so lange er lebte. Er war aber auch ein sehr wilder Mann und konnte jähzornig werden, wenn jemand es wagte, ihm zu widersprechen.

Seine Freunde und Anhänger nannten ihn ›Red Harry‹, weil er, wie viele Schotten, rote Haare und einen buschigen, roten Bart hatte. Jeden Tag trug er einen grün-blauen Kilt mit dem Schottenmuster seiner Familie und eine Brosche, auf der das Motto des Clans Urquhart stand: ›Meane weil, speak weil and doe weil.‹ Das bedeutet ›Mein’ es gut, sprich gut und tu Gutes!‹ Aber dieses Motto, und auch die drei Wildschweinköpfe auf seinem Wappen, passten ihm je länger desto weniger. So wählte er nach dem Kampf mit dem Drachen (von dem ich euch später noch erzählen werde) ein neues Motto: ›Stand fast‹. Das heisst auf Deutsch ›Steh fest!‹ oder ›Harre aus!‹ Dazu änderte er auch sein Wappen. Den roten Hintergrund mit dem brennenden Berg, der so gut zu seiner Haarfarbe passte, behielt er. Aber die drei Wildschweinköpfe ersetzte er durch einen feuerspeienden Drachen.

»Opapa, du erzählst ja, wie wenn du Sir Henry persönlich gekannt hättest!«, unterbricht Milena ihren Grossvater.

»Das weiss Opapa, weil er Geschichtslehrer ist, oder er hat’s im Internet gefunden«, erklärt Rico seiner jüngeren Cousine.

»Nein, Rico. Milena hat schon recht. Ich kenne Sir Henry seit langer Zeit persönlich.«

»Aber das ist ja gar nicht möglich. Wenn Sir Henry vor über siebenhundert Jahren gelebt hat, müsstest du ja auch schon siebenhundert Jahre alt sein. Und so alt bist du ja noch nicht – auch wenn du an schlechten Tagen manchmal fast so aussiehst!«

»Das war jetzt aber gemein, Rico!«, tadelt Milena ihn.

»Nur ein Witzchen! Du bist doch nicht beleidigt, Opapa, oder?« Rico schämt sich und ist ganz rot geworden. Das ist ihm einfach so herausgerutscht.

Doch Opapa versteht Spass und beruhigt ihn: »Das hab’ ich schon richtig verstanden. Ich kenne Sir Henry ja auch nicht schon seit seiner Geburt, sondern habe ihn erst viel später kennengelernt, als er schon siebenhundert Jahre alt war.«

»Jetzt bindest du uns schon wieder einen riesigen Bären auf, Opapa!«, ruft Rico empört. »Wer soll denn so etwas glauben?«

»Ich hab’ euch ja gesagt, dass ihr für meine Geschichte mindestens zehn Tonnen Glauben haben müsst!«, wiederholt Grossvater.

»Aber wie kann denn jemand siebenhundert Jahre alt werden?«

»Wenn Opapa das sagt, wird es wohl stimmen«, unterstützt Milena ihren Grossvater.

»Danke, Milena!«

»Dann erzähl uns doch, wie, wann und wo du Sir Henry kennengelernt hast!«

»Omi und ich waren im Sommer 1981 mit dem Zelt in Schottland in den Ferien. Da waren wir noch nicht verheiratet, ja noch nicht einmal verlobt. – Und übrigens, wenn ich jetzt weitererzähle, spreche ich nicht mehr von ›Omi‹ und ›Opapa‹, sondern von ›Jackie‹ und ›Peter‹, den beiden jungen Leuten, die wir damals waren. Klar?«

»Alles klar, Opapa!«, nicken die beiden.

Jackie und Peter wollen in diesem Jahr möglichst viel von Grossbritannien sehen und sind deshalb mit Auto und Zelt fünf Wochen im Vereinigten Königreich unterwegs. Nach zwei Wochen kommen sie im schottischen Hochland an und stellen in Inverness, auf einem Zeltplatz direkt neben dem Caledonian Canal, ihr Zelt auf. Am nächsten Tag wollen sie dem Loch Ness entlang bis zur Westküste weiterfahren. Nach dem Nachtessen studieren sie bei Kaffee und Kuchen ihren Reiseführer.

»Und, was schlägst du für morgen vor?«, fragt Jackie.

»Ich würde gerne die Ausstellung über das Loch Ness Monster in Drumnadrochit besuchen und dann die Ruinen von Urquhart Castle sehen«, sagt Peter. Im Kopf hat er noch einen ganz anderen Plan – aber den verrät er seiner Freundin noch nicht. Er will Jackie morgen damit überraschen.

»Da spricht wieder der Geschichtslehrer aus dir! Wie viele alte Steine habe ich bis jetzt schon mit dir ansehen müssen?«

»Noch lange nicht genug, dass es für den Rest deines Lebens reichen würde«, scherzt Peter.

»Oh, je! Aber die Monsterausstellung interessiert mich auch. Nessie ist ein typisches Beispiel dafür, wie es den Schotten gelingt, aus nichts Geld zu machen!«

»Ja, glaubst du denn nicht ans Loch Ness Monster?«, will Peter wissen.

»Genau so wenig wie an Geister und Gespenster.«

»Aber in England und Schottland gibt es so viele Gespenstergeschichten und Spukhäuser. Da muss einfach etwas dran sein!«

»Gespenster sind doch nur für Kinder – und Erwachsene, die etwas kindlich geblieben sind!«

»Da bin ich mir nicht so sicher. Ich denke, es könnte schon Gespenster geben!«

Am nächsten Morgen packen sie ihr Zelt zusammen und fahren dem Loch Ness entlang nach Drumnadrochit.

»Allein schon der Name ›Drumnadrochit‹ ist doch ein Grund, um hier anzuhalten«, sagt Peter. »Er vergeht einem so richtig auf der Zunge.«

Obwohl die Monsterausstellung gut gemacht ist, kann sie Jackie nicht von Nessies Existenz überzeugen.

Nach einer kurzen Teepause fahren sie weiter nach Urquhart Castle, einer grossen, malerischen Ruine direkt am See. Der Parkplatz ist schon gut besetzt und viele Touristen tummeln sich in der Ruine. Peter ist von der Blide fasziniert, die vor der Ruine steht.

»Opapa, was ist eine Blide?« fragt Rico.

»Das ist eine Belagerungsmaschine aus dem Mittelalter, mit der man riesige Steinbrocken gegen die Mauern einer Burg oder Stadt schleudern konnte. Ich kann euch morgen ein Bild davon zeigen, wenn ihr wollt.«

Die Burg musste riesig gewesen sein. Aber heute steht nicht mehr viel davon, ausser dem Grant Tower und dem Verlies, das natürlich alle Touristen besuchen. Vom Turm aus hat man einen grossartigen Blick über das Loch Ness.

Als die beiden alles gesehen haben, macht Peter seiner Freundin in verschwörerischem Ton plötzlich einen überraschenden Vorschlag. »Wie wäre es, wenn wir heute Nacht hier, in der Burg, übernachten würden? Wäre das nicht romantisch? Du brauchst ja auch keine Angst zu haben, weil du nicht an Gespenster glaubst. Obwohl …! Also für mich ist das ein Ort, der direkt nach einem Geist schreit!«

»Aber es ist doch verboten, hier zu übernachten! Hast du die Schilder ›Übernachten verboten‹ nicht gesehen? Um acht Uhr muss man draussen sein.«

»Klar, und spätestens um neun können wir uns wieder hineinschleichen, denn dann sind alle Angestellten weg. Und da am Morgen erst um halb zehn geöffnet wird, können wir fast ausschlafen, bevor wir unser Zelt abbrechen und wieder verschwinden. Das wird ein Abenteuer, von dem wir noch unseren Kindern und Enkelkindern erzählen werden!«

»Jetzt staune ich also schon. Sonst bist du doch immer so korrekt. Du hältst dich an jede Geschwindigkeitsbegrenzung und würdest nie bei Rot eine Strasse überqueren – auch wenn weit und breit nichts zu sehen ist. Und jetzt kommst du mit so einer Idee!«

»Siehst du, jetzt kennst du mich schon fast drei Jahre lang und entdeckst immer noch Neues an mir!«

Als sie sich um neun Uhr in die Ruine schleichen, ist ausser ihnen beiden tatsächlich kein Mensch mehr da. Das Kassenhäuschen ist leer, das Besucherzentrum verlassen, die ganze Burganlage aufgeräumt und der wolkenlose, blaue Himmel verspricht eine klare Nacht.

»Was habe ich gesagt? Wir sind mutterseelenallein!«, sagt Peter, als er das Zelt auspackt.

»Ja, keine Menschenseele hier«, pflichtet Jackie ihm bei.

Aber da haben sich die beiden getäuscht. So allein, wie sie meinen, sind sie nämlich nicht. Aus den alten, eingestürzten Mauern beobachtet sie jemand ganz genau. Und was sieht dieser unsichtbare Beobachter?

»Jackie, ich habe eine Überraschung für dich, respektive eine Überraschungsfrage«, sagt Peter plötzlich.

Der Beobachter versteht zwar die Sprache der beiden jungen Leute nicht, aber man braucht nur genau hinzuschauen, um zu sehen, was das werden soll. Er, der nur gesehen wird, wenn er gesehen werden will, ist begeistert. Endlich wieder einmal Leute, die auf seiner Burg übernachten wollen. Das ist fast zu schön, um wahr zu sein! Er stellt sich schon lebhaft vor, wie sie schreien, ja kreischen werden, wenn er sich ihnen um Mitternacht zeigen wird.

›Das wird ein Heidenspass heute Nacht!‹, denkt Sir Henry, das Burggespenst von Urquhart Castle, und er schwelgt in Erinnerungen an einige seiner grössten Taten. Ist es seine Urgrosscousine Roxanne gewesen, die er irgendwann im fünfzehnten Jahrhundert in den Wahnsinn getrieben hat? Er kann sich nicht mehr genau erinnern. Er weiss nur noch, dass er in einer blutigen Metzgerschürze als ›George der Schlächter‹ neben ihrem Bett gestanden, sie durch ein lautes ›Buhuu!‹ geweckt und dabei so erschreckt hat, dass sie sich von diesem Schock nie mehr erholt hat.

Oder die Küchenmagd, deren Schürze Feuer fing, als er ein Zipfelchen davon in die offene Flamme des Herdes hielt. Dummerweise reagierte der Küchenbursche zu rasch und löschte das Feuer, bevor die Magd ganz in Flammen aufging. Am nächsten Morgen verliess sie die Burg und erzählte im ganzen Great Glen herum, dass auf Urquhart Castle ein Geist umgehe. Das hat ihn berühmt gemacht – und berüchtigt!

Ja, es ist schon so lange her – viel zu lange – seit er hier dutzende von Leuten fast zu Tode erschreckt hat.

Leider verliessen 1692 die letzten Soldaten die Burg und sprengten Teile davon in die Luft. Seither ist niemand mehr da gewesen, den er hätte erschrecken können, und so muss er seit über dreihundert Jahren in leeren Gemäuern herumspuken. Was für eine Verschwendung seines Gespenstertalents!

Manchmal setzt er sich auf seinen nun sinnlos gewordenen Spukrunden auch einfach nur irgendwo auf die Burgmauer und seufzt, stöhnt oder heult ein wenig vor sich hin. Erschrecken tut er damit niemanden mehr, nicht einmal die Tiere in der Umgebung, die sich schon lange an seine Auftritte gewöhnt haben. Und manchmal heulen die Wölfe im nahegelegenen Wald sogar im Chor mit.

Einmal hat er aus lauter Langeweile und Verzweiflung seinen Kopf nicht nur einfach hängen lassen, sondern abgenommen und neben sich auf eine Zinne gestellt. Sollte der Kopf doch alleine stöhnen! Bald gesellten sich zwei Raben dazu, hockten sich links und rechts neben seinen Kopf hin und unterstützten sein Geheul mit ihrem Gekrächze. Als sie wieder wegflogen, hätte der eine mit einem Flügelschlag beinahe den Kopf von der Mauer gestossen! Im sprichwörtlich letzten Augenblick konnte Sir Henry seinen Kopf retten und schnell wieder aufsetzen. Seither hat er ihn nie mehr abgenommen.

Klar, in den letzten hundert Jahren sind immer wieder Leute gekommen, um die Ruinen anzuschauen. Aber das sind nur Tagestouristen, die spätestens bei Sonnenuntergang wieder verschwinden.

Und jetzt das: Zwei junge Leute, die auf der Burg übernachten wollen! Sir Henry kann sein Glück kaum fassen. Vor lauter Vorfreude läuft ihm das Wasser im Mund zusammen.

Jetzt kniet sich Peter vor Jackie auf den Boden. Der junge Mann, noch kaum erwachsen in Sir Henrys Augen, höchstens fünfundzwanzig Jahre alt, greift in seine Hosentasche und hält eine kleine, quadratische Schachtel in der Hand.

›Nein, wie kitschig!‹, denkt Sir Henry.

Peter öffnet die Schachtel und zeigt Jackie den Ring, den er ihr zur Verlobung schenken will.

Sir Henry beobachtet sie genau. Auch sie ist sehr jung. ›A bonnie wee lass – and charming‹, stellt Sir Henry für sich fest.

Jackie schaut sich den sehr schmalen Ring in der Schachtel an, und noch bevor Peter jetzt seine Frage stellen kann, die Frage aller Fragen, platzt Jackie ungläubig heraus: »Ist das Silber?«

»Ja, echtes Silber!«, freut sich Peter ob der gelungenen Überraschung.

›Trottel!‹, denkt das Gespenst. ›Welcher normale Mann schenkt seiner Geliebten einen Ring aus Silber? So was schenkt man seiner Tochter zum fünften Geburtstag – aber doch nicht seiner Freundin zur Verlobung!‹

Ihrem Gesicht nach scheint Jackie ähnlich zu denken, aber sie bleibt still und ist zu anständig für einen Kommentar. Peter merkt, zu spät, dass seine Überraschung nicht wie geplant verlaufen ist und versucht zu retten, was noch zu retten ist.

»Der Ring ist nur als Symbol gedacht«, stottert er. »Sobald wir zu Hause sind, werde ich zwei richtige Ringe kaufen – aus Weissgold und auch etwas breiter.«

›Der arme Junge könnte einem fast leidtun‹, denkt Sir Henry. Zum Glück scheint die junge Frau gleich zu überlegen und reitet nicht auf Peters Fehler herum.

»Was für ein schöner Gedanke – und Ring.«

»Aber zuerst musst du meine Frage beantworten!«

»Welche Frage? Du hast mir gar keine gestellt«, lächelt Jackie.

Das hat er in seiner Aufregung und Verlegenheit tatsächlich ganz vergessen! Er nimmt all seinen Mut zusammen und fragt dann laut und deutlich: »Jackie, willst du meine Frau werden?« Unsicher, schüchtern und bis über beide Ohren verliebt schaut er hoffnungsvoll zu ihr hoch.

»Ja, natürlich, mein Schatz!« Peter steht auf und sie küssen sich lange. Dann zieht er den Ring über ihren Finger und sie betrachtet ihn im Licht der sinkenden Abendsonne. Es mag ja ein hübscher Freundschaftsring sein, aber als Verlobungsring taugt er wirklich nicht!

Nachdem Peter sich das Gegenstück ebenfalls über seinen Ringfinger gestreift hat, nimmt er eine Flasche Champagner aus einer Tasche und öffnet sie mit einem lauten ›Plopp‹. Dann füllt er zwei Gläser, und die beiden frisch Verlobten prosten sich zu.

»Deshalb wolltest du also hier übernachten! Jetzt ist mir alles klar.«

»Als du gestern in der Buchhandlung warst, habe ich schnell diese Flasche gekauft und gut versteckt. Ich wollte, dass der heutige Tag für dich eine Überraschung wird, ein Tag, an den wir uns unser ganzes Leben lang erinnern werden.«

›Ich bin sicher, dass ihr euch den Rest eures Lebens an diesen Tag erinnern werdet!‹, lacht das Gespenst in sich hinein. ›Dafür werde ich heute Nacht höchst persönlich sorgen.‹

»Du bist so lieb!«, sagt Jackie und sie küssen sich wieder, noch länger als vorhin. »Aber, die richtigen Ringe wählen wir dann zusammen aus, nicht wahr?«

Das ist wie ein Schwimmring, der einem Ertrinkenden zugeworfen wird, und Peter greift dankbar danach. »Ja, natürlich.«

»Komm, stellen wir das Zelt auf, bevor es dunkel wird.«

Sir Henry schaut zu, wie sie das Zelt ausrollen, die vier Eck-Heringe einschlagen, die Stangen in die Löcher setzen, die Firststange montieren und das Innenzelt aufhängen. Dann werfen sie das Aussenzelt übers Innenzelt und machen es mit Heringen fest. Das ist nicht ganz einfach, da auf dem felsigen Untergrund nicht sehr viel Humus liegt. Peter schwingt den Hammer, um einen Zeltpflock einzuschlagen. Aber dieser verbiegt sich sofort. Peter klopft ihn gerade und versucht es ein wenig weiter links – mit dem gleichen Resultat. ›Da muss ein Stein drunter sein‹, denkt er und will ihn ausgraben.

»Jackie, schau, was ich gefunden habe. Ein goldenes Hufeisen! Ist das nicht phantastisch?«

Sir Henry versteht nur ›fantastic‹ und schaut genauer hin. Was hat der junge Mann da gefunden? Ein Hufeisen! Das muss von seinem Lieblingspferd stammen, das hier im Hof einmal ein Hufeisen verloren hat. Der Junge scheint ein Glückshändchen zu haben! Aber woher weiss er nur, dass Sir Henrys Pferd ›Fantastic‹ geheissen hat?

»Ich glaube nicht, dass das Gold ist«, sagt Jackie, nachdem sie das Hufeisen gebührend bewundert hat. »Aber es könnte Messing sein, was ja auch sehr speziell wäre. Das ist sicher ein ganz besonderes Fundstück und gehört ins Burgmuseum.«

»Aber wir können es doch nicht dort abgeben, sonst bekommen wir noch eine Busse, weil wir verbotenerweise hier übernachtet haben. Und überhaupt, das Hufeisen gefällt mir so gut, dass ich es als Glücksbringer nach Hause mitnehmen werde. Es soll mich immer an dein ›Ja‹ erinnern!«

»Dann brauche ich aber auch noch ein Souvenir von unserem Verlobungstag«, sagt Jackie und schaut sich im schwindenden Licht der untergehenden Sonne im Burghof um. »Da, schau diese wundervolle Distel! Ist sie nicht ein Symbol für Schottland? Ich glaube, ich nehme diese als Erinnerung mit nach Hause.« Sorgfältig gräbt sie die Distel aus und schaut, dass genügend Erde an den Wurzeln hängen bleibt. Wenn sie die Distel während der Reise immer feucht hält, kann sie sie zu Hause wieder einpflanzen.

Sir Henry zieht sich in sein Verlies zurück, um seine Pläne für Mitternacht zu schmieden. Alles passt: Es ist eine wolkenlose Nacht mit einem Vollmond am Himmel. Da werden sie ihn noch deutlicher sehen können: seine leeren Augenhöhlen unter den feuerroten Haaren und den struppigen, wilden, fuchsroten Bart. Er wird seinen schönsten Kilt anziehen, mit dem grün-blauen Schottenmuster der Urquharts, und dazu das schneeweisse Leichenhemd unter der schwarzen Weste tragen, deren Knöpfe einen feuerspeienden Drachen zeigen, sein persönliches Wappentier.

Wie soll er sie zu Tode erschrecken? Er wird in weiter Entfernung zu heulen beginnen und dann immer näher und näher kommen, bis sie vor Angst erschaudern. Dann wird er ihnen auf die Brust hocken und ihnen den Atem abschnüren. Oder er könnte ihnen eiskalte Luft den Rücken hinunterblasen und sie mit seinen jahrhundertelang nicht mehr geschnittenen Fingernägeln kratzen, bis sie bluten.

Vielleicht werden sie vor Angst wie angewurzelt stehen bleiben, so dass er ihnen schauerliche Worte ins Ohr flüstern kann. Vielleicht werden sie auch einfach in Panik aus der Burg rennen und sich ins kalte, tiefe Wasser von Loch Ness stürzen, um dem Schrecken zu entkommen.

Während Sir Henry seine Kleidung bereitlegt und seinen Plänen nachstudiert, haben Jackie und Peter fertig gegessen, die Flasche Champagner ausgetrunken und kuscheln sich an ihrem kleinen Lagerfeuer aneinander, um Zukunftspläne zu schmieden.

Sir Henry wartet, bis die Turmuhr der nahegelegenen Kirche Mitternacht schlägt. Er versteht zwar ihre Sprache nicht, kann aber jeden Gedanken der beiden Verliebten lesen. Sie wollen mindestens drei Kinder haben und träumen von einem eigenen Haus mit kleinem Garten.

›Träumt ruhig weiter!‹, denkt Sir Henry. ›Aber leider werden sich eure Pläne nach dieser grässlichen Nacht nicht erfüllen! Euer Problem, nicht meines!‹

Oder vielleicht doch? Seit mehr als zweihundert Jahren sind dies die ersten Menschen, die in seiner Burg übernachten. Und wer weiss, wie lange es dauern wird, bis wieder jemand eine Nacht hier verbringen wird, wenn sich herumspricht, was er mit diesen beiden Besuchern heute Nacht angestellt hat? Nochmals zweihundert Jahre? Wie soll er denn je von diesem verdammten Fluch erlöst werden, der ihn dazu zwingt, Nacht für Nacht in der Burg zu spuken, wenn er nicht unter Leute kommt? Wie soll er je die Chance erhalten, seine Sünden vielleicht doch noch zu bereuen?

Er ist so müde. Seit über siebenhundert Jahren hat er nicht mehr geschlafen. Das ist vielleicht die letzte Chance, seinem Schicksal zu entrinnen. Innerhalb dieser Mauern wird er den Fluch niemals brechen können. Er muss Urquhart Castle verlassen – und das ist nur möglich, wenn ihn jemand dazu einlädt. Wenn er seine Chance packen will, muss er jetzt äusserst sorgfältig und strategisch vorgehen.

Jetzt sprechen die beiden vom Heiraten – und in diesem Moment fällt Sir Henry – wie aus heiterem Himmel – DER PLAN ein.

Anstatt sie heute Nacht zu erschrecken, wird er sich hübsch ruhig verhalten und über ihren Schlaf wachen. Und wenn sie dann morgen früh weiterreisen, wird er sich klammheimlich in ihr Auto stehlen und als blinder Passagier mit ihnen mitreisen. Dann ist er endlich wieder unter Menschen. Es wird ihm zwar sehr schwerfallen, auf diese einmalige Gelegenheit zum schrecklichen Gespensterauftritt heute Nacht zu verzichten. Aber er denkt sich, nach über siebenhundert Jahren wird es langsam Zeit, etwas Neues zu wagen. Vielleicht kann er ja doch noch endlich mit dem da oben seinen Frieden schliessen! Wenn er diese Chance nicht verspielen will, muss er sich von Grund auf ändern und vom bösen Gespenst zum guten Schutzgeist dieser beiden jungen Leute werden. Es wird eine riesige Herausforderung sein, diese Umstellung zu meistern. Und es wird wehtun, seine Burg zu verlassen. Aber das muss jetzt sein! Was wird ihn wohl erwarten? So, wie die zwei aussehen, werden sie nicht in einem Palast wohnen. Doch das stört ihn nicht, denn Reichtum und Macht bedeuten ihm schon lange nichts mehr.

Jetzt bleibt nur noch ein grosses Problem. Er kann diesen Ort ja gar nicht verlassen, da er als Geist an Urquhart Castle gebunden ist. Mindestens ein Teil der Burg müsste mitreisen. Es braucht ja nicht gerade der Grosse Turm zu sein, oder noch besser, das Verlies. Schon ein Stückchen Erde, einer seiner verbeulten Trinkbecher oder sonst irgendetwas, das ihn mit Urquhart Castle persönlich verbindet, würde dafür reichen.

Und dann schiesst ihm der rettende Gedanke durch den Kopf! Heute ist nicht nur der Glückstag des jungen Paares, sondern auch seiner. Peter hat doch gesagt, er nehme das Hufeisen von Sir Henrys Lieblingspferd mit. Und hat Jackie nicht die Distel ausgegraben, samt einem Klumpen schottischer Erde? ›Hurra!‹ Die Frage ist nur, ob dies als Fahrschein aus der Burg heraus reichen wird. Er hofft es innigst. Wenn sie ihre Pläne am Morgen nicht wieder ändern, werden die beiden Souvenirs nicht nur ihre Glücksbringer sein, sondern auch seine: Ticket und Pass in ein neues Leben!

»So,« sagt Grossvater, »jetzt wisst ihr, woher das Hufeisen in unserem Treppenhaus kommt!«

»Ja, und …?«, will Rico wissen.

»Was, ja und …?«

»Ja, und was ist mit Sir Henry passiert? Ist er wirklich mit euch in die Schweiz mitgereist? – Und wohnt er …, ja, wohnt er jetzt tatsächlich in diesem Haus?«

»Eine gute Frage! Aber wenn ich sie beantworten wollte, müsste ich noch eine Stunde lang weitererzählen. Und dafür ist es jetzt definitiv viel zu spät!«

»Doch, Opapa, bitte, erzähl weiter!«, bettelt nun auch Milena, die die ganze Zeit an seinen Lippen gehangen hat.

Grossvater wirft einen kurzen Blick auf die Uhr. »Kinder, wollt ihr, dass ich Ärger mit Omi kriege? Nein, jetzt ist höchste Zeit zum Schlafen. Ihr könnt ja vom Hufeisen und der Distel träumen, wenn ihr wollt!«

»Opapa, bitte, bitte, erzähl doch weiter! Dann bist du der beste Opapa der Welt!«, schmeicheln die beiden Kinder.

»Also gut, ich erzähle weiter – aber erst morgen Abend. Und nur, wenn ihr den ganzen Tag schön brav gewesen seid!«

»Wir sind immer brav, das weisst du doch!«, sagt Milena treuherzig.

»Ja, da hast du recht. Ihr seid die bravsten Grosskinder der Welt. Und deshalb schläft ihr jetzt auch gleich ein. Wollen wir noch zusammen beten? «

Die beiden Kinder falten ihre Hände und alle drei beten:

»Gott, du hast mich ganz fest lieb!

Meine Fehler mir vergib!

Beschütze mich in dieser Nacht

Mit deiner Liebe, Gnad und Macht!

Lass deine Engel bei mir steh’n

Und auch nach meinen Liebsten seh’n.

Und wenn wir morgen früh erwachen,

Danken wir dir mit unserm Lachen.

Amen!«

»Jetzt schlaft gut, meine Lieben!« Er gibt beiden einen Gute-Nacht-Kuss, segnet sie mit einem Kreuzzeichen auf der Stirn und löscht das Licht.

Milena und Rico flüstern noch eine ganze Weile miteinander. Die Geschichte war ja sehr spannend, aber stimmt sie auch? Opapa hat zwar gesagt ›Tatsach‹ wahr!‹, aber was er da erzählt hat, ist einfach zu phantastisch, als dass man es ihm einfach so glauben könnte – selbst wenn man zehn oder sogar zwanzig Tonnen Glauben hätte! Hat Opapa sie angelogen, oder nur ein bisschen geflunkert? Auf jeden Fall sind sie gespannt, wie die Geschichte morgen Abend weitergehen wird – und langsam fallen ihnen die Augen zu. Und, wer weiss, vielleicht führen ihre Träume sie ja wirklich nach Schottland, zum Burggespenst, zum Hufeisen und zur Distel!

II. Neues Daheim

Am nächsten Abend sitzen Rico und Milena schon früh in ihren Betten: umgezogen, gewaschen, gekämmt, gestriegelt, gezähneputzt, geallest – bereit für ihre Gute-Nacht-Geschichte. Sie haben sich den ganzen Tag von ihrer guten, ja von ihrer allerbesten, Seite gezeigt und sind jetzt gespannt, was Opapa ihnen erzählen wird.

»Möchtet ihr noch ein Geschichtchen vor dem Einschlafen hören?«, fragt Grossvater ganz unschuldig.

»Jaaaaaaaa, Opapa!«, rufen die beiden mit leuchtenden Augen.

»Seid ihr denn auch den ganzen Tag schön brav gewesen?«, will Opapa wissen.

»Jaaaaaaaa, Opapa!«, schreien sie im Chor.

»Na gut! Was soll ich euch denn erzählen? Das Märchen von Schneewittchen, Frau Holle oder …?«

»Neieieiein, Opapa!«, tönt es wie aus der Pistole geschossen.

»Ja, was wollt ihr denn hören?« Grossvater tut so, als hätte er keine Ahnung. Manchmal ist er ein echter Schauspieler – und das lieben die Kinder.

»Die Geschichte von Sir Henry!«, verlangt Rico bestimmt.

»Ja! Erzähl deine Geschichte von gestern weiter! Bitte, bitte, Opapa!«, bettelt Milena.

»Na dann, macht es euch bequem!«

Schon morgens um sechs Uhr stehen Jackie und Peter am nächsten Tag auf und packen ihr vom Tau feuchtes Zelt zusammen. Dann tragen sie ihre Siebensachen zum Parkplatz, verstauen sie im Auto und fahren gleich los, damit niemand sieht, dass sie verbotenerweise auf der Burg übernachtet haben.

»Und das Gespenst?«, will Rico wissen.

Das Gespenst? Dass sie einen blinden Passagier im Auto mitführen, bemerken die beiden nicht. Peter hat das Hufeisen eingepackt und Jackie die Distel – und diese beiden Gegenstände erlauben es Sir Henry tatsächlich, Urquhart Castle zu verlassen. Er ist gespannt, wohin die Reise gehen wird.

Ihr Fahrzeug fährt schneller als die schnellste Kutsche, in der Sir Henry je gefahren ist. Und auch Sir Henrys Pferd ›Fantastic‹ hätte bei diesem rasenden Tempo nicht mithalten können. Die Fahrt geht dem See entlang nach Südwesten. Dieses ganze Land gehört seiner Familie – aber wie hat es sich verändert! Verschwunden sind die einfachen Holzhütten seiner armen Crofters. Überall stehen Häuser aus Stein! Den Leuten muss es heute viel besser gehen als zu seiner Zeit.

Schneller als gedacht sind sie am Ende von Loch Ness und fahren durch Fort Augustus weiter nach Spean Bridge und Fort William, wo Jackie und Peter anhalten und aussteigen, um sich das Städtchen anzuschauen. Keine zwei Stunden hat das gedauert. Unglaublich!

Sir Henry fragt sich, in welche Richtung die Reise wohl weitergehen wird. Werden sie im Westen bleiben und dem Loch Linnhe entlang durchs Land seiner Feinde, der MacDougalls, nach Oban fahren? Oder werden sie nach Südosten in Richtung Glasgow reisen?

Als die beiden weiterfahren, nehmen sie die Strasse, die zum Loch Lomond führt. Dann geht es immer weiter Richtung Süden durch Gegenden, die Sir Henry noch nie gesehen hat. Bald hat er die Orientierung völlig verloren. Er versucht, den Gesprächen seiner beiden ›Gastgeber‹ zu folgen, aber er versteht kein Wort. So hängt er auf der langen Fahrt durch Grossbritannien einfach seinen Gedanken nach und verhält sich mucksmäuschenstill. Nicht das leiseste Poltern, nicht einen einzigen, schauerlich-kalten Atemhauch in den Nacken der beiden jungen Leute leistet er sich. Sogar auf eine Berührung mit seinen eiskalten Knochenfingern verzichtet er. Er ist stolz auf seine Selbstbeherrschung. Dass er so vollkommen auf seine gruseligen Streiche verzichten könnte, hätte er nie gedacht!

Drei Wochen nach der Abfahrt von Urquhart Castle erreichen sie das Meer, wo Jackie und Peter ihr kleines, blaues Auto auf eine riesige Fähre verladen. Sir Henry realisiert, dass sie jetzt die Insel, auf der er seit Jahrhunderten gelebt und gespukt hat, verlassen werden. Und so summt er ganz leise die Melodie von ›Auld Lang Syne‹ vor sich hin.

»Was summst du da?«, fragt Jackie ihren Verlobten.

Peter ist es gar nicht aufgefallen, dass er etwas summt. Er muss sich zuerst einen Moment lang selbst zuhören, bis er die Melodie erkennt.

»Ah, das ist ›Auld Lang Syne‹, das berühmteste Lied des schottischen Nationaldichters Robbie Burns. Wusstest du, dass die Schotten dieses Lied singen, wenn sie für längere Zeit oder für immer ihre Heimat verlassen? Komisch, dass mir das gerade jetzt in den Sinn kommt, wo wir Grossbritannien verlassen und nicht wissen, ob wir je wieder zurückkommen werden.«

Es dauert noch zwei weitere Tage, bis sie zu Hause in der Schweiz ankommen. Und jetzt passiert etwas, womit Sir Henry nicht gerechnet hat. Peter hält vor einem Haus und die beiden laden Jackies Sachen aus. Dann verabschieden sie sich mit einem langen Kuss. Das ist ja grässlich – und damit meint er nicht den Kuss! Die beiden wohnen offensichtlich nicht zusammen!

Jetzt muss sich Sir Henry schnell entscheiden. Bei wem soll er bleiben: bei Peter mit dem Hufeisen, oder bei Jackie mit der Distel? Er entscheidet sich für das Hufeisen, weil dieses ihm näher liegt als die Distel.

Als Peter wieder losfährt, spürt Sir Henry einen stechenden Schmerz in seiner Brust. Je weiter sie sich von der Distel entfernen, desto grauenhafter werden die Schmerzen, die ihm zuletzt fast die Brust zerreissen. Er kann kaum noch atmen oder zusammenhängend denken. ›Hufeisen und Distel dürfen doch nicht getrennt werden!‹ Wäre er vielleicht nicht doch gescheiter bei der Distel geblieben? So zerrissen ist er kein richtiges Gespenst mehr. Diese Trennung raubt ihm alle seine Geisterkräfte. So kann er nicht spuken!

Zum Glück fährt Peter nur etwa drei Meilen weiter, bis er bei sich zu Hause ankommt und das Auto ausräumt. Aber anstatt das Hufeisen an einem Ehrenplatz aufzuhängen, schmeisst Peter es ganz respektlos in eine zerdrückte Kartonschachtel mit alten Fotos, Postkarten und anderem Kram. Diese legt er auf einen verstaubten Schrank in seinem Zimmer – und vergisst sie. Wäre Sir Henry doch nur bei der Distel geblieben! Dort wäre es ihm sicher besser ergangen.

In den nächsten Wochen und Monaten ist Sir Henry völlig kraftlos, niedergeschlagen, ja verzweifelt. Er kann das Hufeisen nicht verlassen und muss sich damit begnügen, Peters Familie zu beobachten. Als Gespenst kann er ihre Gedanken zwar lesen, aber ihre Sprache versteht er nicht. Vom Klang her ist sie gar nicht so verschieden von der schottischen. Sätze, wie ›Jetzt chasch in d’Chuchi cho choche‹, sind ihm zwar unverständlich, tönen aber ganz vertraut und wecken in ihm das Heimweh nach Schottland. So setzt er sich ein Ziel: Er will ihre Sprache verstehen und auch selbst sprechen.

Sir Henry macht schnell Fortschritte, aber es gibt immer wieder Missverständnisse. Als Peter einmal sagt, er habe ›ä Loch‹ in seiner Socke, ist Sir Henry völlig verdutzt. Ist das eine Übertreibung? Will Peter damit sagen, er habe ›nasse Socken‹ oder ›seine Schuhe seien voll Wasser‹? Erst später begreift Sir Henry, dass im Schweizerdeutschen ›ä Loch‹ nicht ›ein See‹ wie im Schottischen ist, sondern ›a hole‹!

Die Zeit in der Kartonschachtel, die Zeit der Trennung und inneren Zerrissenheit, geht zum Glück nach einem Jahr zu Ende. Jackie und Peter ziehen zusammen in eine kleine Wohnung – und Jackie bringt die blühende Distel in einem schönen Topf mit! Sir Henry erwacht wie aus einem Tiefschlaf. Er spürt, wie seine Kräfte zurückkehren. Er merkt, wie er wieder klar denken und Pläne schmieden kann.

Allerdings liegt das Hufeisen nach wie vor völlig vergessenen in der verstaubten Schachtel auf dem Schrank. Eine solche Respektlosigkeit gehört bestraft! Wie sich Sir Henry für diese Unverschämtheit rächen will, weiss er allerdings noch nicht genau. Aber er hat ja alle Zeit dieser Welt, um sich etwas wirklich Boshaftes einfallen zu lassen. Aber halt! Er ist doch mit Peter und Jackie mitgereist, um ein gutes Gespenst zu werden! Deshalb wird es also nichts mit einer Strafe. Doch schliesslich kann sich Sir Henry für seine Verbannung in der verstaubten Schachtel doch noch ›revanchieren‹, ohne sich die Hände selbst schmutzig machen zu müssen. Und das geht so:

Kaum sind Jackie und Peter zusammengezogen, beginnen sie ihre Hochzeit zu planen. Das gibt natürlich viel zu tun. Wer wird eingeladen? Wo und wie wird gefeiert? Wer sitzt neben wem? Ein Punkt nach dem anderen wird abgehakt. Nur bei der Kleidung sprechen sich die beiden nicht miteinander ab. Sie wollen sich damit am Hochzeitstag gegenseitig überraschen. Deshalb verbringen sie auch die Nacht vor der Hochzeit nicht in der gemeinsamen Wohnung, sondern getrennt bei ihren Eltern.

Am Hochzeitsmorgen, als Sir Henry allein in der Wohnung ist, hört er plötzlich, wie der Schlüssel im Schloss der Wohnungstür gedreht wird. Hat einer der beiden etwas vergessen?

Nein, zwei unbekannte Männer, die ganz aufgekratzt miteinander tuscheln, betreten die Wohnung: Einbrecher! Soll Sir Henry sie verscheuchen oder nur Alarm schlagen? Schliesslich will er ja ein gutes Gespenst sein! Er wartet zuerst ab und beobachtet die zwei Eindringlinge misstrauisch. Die beiden lachen und strahlen übers ganze Gesicht. Das können keine Einbrecher sein, denn sie suchen nicht nach Geld, Schmuck und anderen Wertsachen, sondern sie bringen sogar etwas mit!

Zuerst schliessen sie alle Zimmer ab und deponieren die Schlüssel in einem Plastiksäckchen in der Badewanne. Sie füllen sie mit Wasser und werfen ihr ›Hochzeitsgeschenk‹ hinein. Zuletzt hängen sie noch ein schönes Plakat an die Dusche. Zum Glück ist es auf Englisch geschrieben. Als Sir Henry den Text liest, muss er sich zusammenreissen, um nicht schallend herauszulachen. Diese ›Einbrecher‹ wird er sicher nicht verscheuchen. Er freut sich schon jetzt auf Peters Gesicht, wenn er ihr ›Hochzeitsgeschenk‹ entdeckt. Ja, das ist die wohlverdiente Strafe für Peters Respektlosigkeit dem Hufeisen gegenüber!

Es geht schon gegen vier Uhr morgens, als Sir Henry hört, wie Jackie und Peter nach Hause kommen. Jackie schlüpft schnell aus ihren schönen Schuhen, die sie immer stärker gedrückt haben und will sich im Schlafzimmer umziehen. Aber die Tür ist verschlossen und der Schlüssel steckt nicht im Schloss. Peter will in die Küche gehen, um ein Glas Wasser zu trinken – aber auch diese Tür ist verschlossen.

»Peter, ich kann nicht ins Schlafzimmer.«

»Jackie, weshalb hast du die Küche abgeschlossen?«

Jetzt erst bemerken sie, dass auch alle anderen Zimmertüren verschlossen und die Schlüssel verschwunden sind. Sie schauen einander verwundert an und können sich das nicht erklären.

»Was tropft denn da?«, fragt Jackie plötzlich. Sie hat ein Geräusch aus dem Badezimmer gehört. Diese Tür ist als einzige nicht verschlossen.

»Ja, was ist denn das?«, fragt Jackie entsetzt, als sie die drei prächtigen Forellen sieht, die majestätisch in der Badewanne herumschwimmen. Der Hahn tropft ein wenig – und dieses Geräusch hat sie im Korridor gehört.

»Oh, nein!«, stöhnt Peter – und dann entdeckt er das Plakat an der Dusche:

›This is our wedding wish:

Be happy like a pair of fish.

Now go to bed, switch off the light

and enjoy your wedding night.

Tomorrow then these lovely fish

will make a tasty Sunday dish.‹

»Was für Idioten waren das? Und wie konnten sie überhaupt in unsere Wohnung eindringen?« Er reisst das Plakat wütend herunter und stampft in hilfloser Wut darauf herum. In diesem Moment hört er ein nur schlecht unterdrücktes, leises Lachen.

»Was gibt’s denn da zu lachen?«, fährt er Jackie verärgert an.

»Ich habe nicht gelacht!«

Jetzt muss sich Sir Henry aber wirklich zusammenreissen. Als er Peter so wütend sieht, kann er sich das Lachen fast nicht verkneifen.

»Und was machen wir jetzt mit den Fischen?«, fragt Jackie. »Wir können sie ja nicht in unsere Flitterwochen mitnehmen!«

»Schmeissen wir sie in den Rhein!«

Peter schaut sich die drei Forellen genauer an. Es sind richtige Prachtstücke! Es wird nicht einfach werden, sie zu fangen. Plötzlich sieht er am Boden der Badewanne das Plastiksäckchen mit den Zimmerschlüsseln. Er holt es heraus, und jetzt können sie sich mindestens für den Fischfang umziehen.

Peter versucht zuerst, die Fische mit blossen Händen zu packen, aber sie entwischen immer wieder. Dafür ist er völlig durchnässt und der Boden des Badezimmers sieht aus wie nach einem Tsunami. Die Stimmung der beiden Brautleute ist im Keller. Schliesslich lässt Peter das Wasser in der Wanne ab und wirft ein Frotteetuch über die wild zappelnden Fische. Dann schmeisst er sie in einen Kessel voll Wasser.

Während er die Fische zum Rhein bringt, putzt Jackie das überschwemmte Badezimmer. Es wird sechs Uhr morgens, bis die Brautleute endlich völlig erschöpft ins Bett fallen. An diese Hochzeitsnacht werden sie sich ein Leben lang erinnern – und Sir Henry ebenfalls.

Das Hufeisen bleibt weiterhin vergessen in der Schachtel auf dem Schrank liegen. Wenn Peter es doch nur endlich irgendwo in ihrer Wohnung aufhängen würde! Schliesslich verliert Sir Henry die Geduld.

»Das muss sich jetzt ändern!«, sagt er und geht in die Offensive. In der nächsten Nacht, als die beiden friedlich schlafen, schwebt Sir Henry an ihr Bett und stöhnt so lange in Peters Ohr, bis dieser endlich aus seinem Tiefschlaf aufwacht. Er nimmt Jackie in seine Arme und murmelt: »Hast du schlecht geträumt?«

»Warum weckst du mich?«, antwortet sie ganz verschlafen.

»Du hast gestöhnt!«

»Hab’ ich nicht! Das hast du sicher geträumt.«

Sie dreht sich um, und auch Peter versucht weiterzuschlafen. Jetzt, wo Sir Henry weiss, dass beide wach sind, setzt er den zweiten Teil seines Plans um. Er schwebt ins Gästezimmer und stösst die Kartonschachtel mit dem Hufeisen vom Schrank. Mit einem lauten Knall fällt sie hinunter, und das Hufeisen, die Fotos und der ganze übrige Plunder liegen auf dem Boden verstreut. Jetzt sind Jackie und Peter hellwach.

»Was war das?«, flüstert Jackie ängstlich. »Einbrecher?«

Peter knipst eine Taschenlampe an und nimmt seine Pistole aus der Schublade. Er steht auf, um dem Lärm nachzugehen.

»Spinnst du?«, wispert Jackie. »Leg die Pistole weg – sonst erschiesst du noch jemanden!«

Peter legt die Pistole in die Schublade zurück und bewaffnet sich stattdessen mit einer grossen, schweren Taschenlampe, mit der er im Notfall auch zuschlagen könnte. Er schleicht sich auf leisen Sohlen barfuss aus dem Schlafzimmer. Der Korridor ist leer, die Küche ebenfalls. Wenn jemand da ist, muss er im Gästezimmer sein. Er löscht seine Taschenlampe und schleicht dorthin. Die Tür ist angelehnt. Im Zimmer scheint ein fahles Licht – aber es ist nur der Mondschein, der durchs Fenster hineinfällt. Peter hört ein leises Atmen. Das ist Sir Henry, der versucht, ihn so ins Zimmer zu locken. Peter gibt sich einen Ruck, stösst die Tür weit auf und tritt todesmutig ins Zimmer.

»Auaa!«, schreit er laut auf.

»Was ist passiert?«, ruft Jackie und rennt auch zum Gästezimmer.

Peter hat das Licht im Zimmer eingeschaltet und hält sich die grosse Zehe seines linken Fusses.

»Ich habe meine Zehe an diesem Scheisshufeisen angeschlagen. Oh, tut das weh!«

»Was ist denn hier los? Da liegt ja alles mögliche Zeug herum.«

»Das sind verschiedene Souvenirs, die ich in dieser Kartonschachtel auf dem Schrank aufbewahre. Sie muss heruntergefallen sein.«

»Vielleicht ein Erdbeben?«, versucht Jackie zu erklären. Aber in der ganzen Wohnung ist sonst nichts zu Boden gefallen. Es ist völlig unerklärlich.

Als Peter beginnt, alles wieder in die Schachtel zu stopfen, fragt Jackie: »Was willst du denn mit diesem ganzen Kram? Wozu alte Postkarten aufbewahren?«

»Du hast Recht, das könnte ich eigentlich alles wegwerfen – zusammen mit dem Hufeisen!«

»Sicher nicht! Das ist dein Souvenir an unsere Verlobung in Schottland. Sobald wir in unser neues Haus einziehen, musst du es dort aufhängen.«

Ja, das neue Haus: ihr grosses Projekt. Heute Abend wird Jackies Vater, ein Baumeister, ihnen die definitiven Pläne zeigen. Sie sind beide sehr gespannt. Seit Jackies Vater gehört hat, dass seine Tochter schwanger ist, hat er alle Hebel in Bewegung gesetzt, um ihnen ein eigenes Haus zu ermöglichen. »So ein Kind braucht doch einen Garten zum Aufwachsen!«, sagt er immer.