Out of Control – Es gibt kein Entkommen - André Gebel - E-Book

Out of Control – Es gibt kein Entkommen E-Book

André Gebel

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Beschreibung

Packender Thriller über künstliche Intelligenz und die menschliche Ignoranz – für Fans von 42 Grad und Andreas Brandhorst »Was, wenn wir nicht mehr zwischen echt und unecht unterscheiden können? Was, wenn jemand unsere geheimen Wünsche und Fantasien kennt und uns damit erpresst? Uns manipuliert, kontrolliert und gegeneinander aufhetzt? Was, wenn dieser jemand ein Computer ist?« Eine geheimnisvolle Todesserie erschüttert Los Angeles. Die einzige Verbindung scheint die neuartige Datenbrille zu sein, mit der in das virtuelle Universum der Dream Cloud eingetaucht wird. Ein Ort, abseits der Realität, an dem intimste Wünsche wahr, Neigungen gelebt und Geheimnisse gespeichert werden. Als der junge Mitarbeiter Bruno Warnik die Wahrheit hinter der virtuellen Welt entdeckt und diese zu zerstören versucht, gerät er nicht nur in den Blick des FBI –auch ein Killer ist auf seinen Fersen. »André Gebel versteht es eine kontinuierliche Spannung aufzubauen und dabei noch einiges an Wissen über die digitale Welt zu vermitteln. Er hat eine Welt erschaffen die mich gruseln lässt und ich hoffe, dass sie niemals in der Realität an den Start geht.« ((Leserstimme auf Netgalley)) »Ist man erst in der Geschichte drin, so wird die Neugierde geweckt und das Buch weg legen ist nicht mehr gegeben. Jetzt will man als Leser wissen welche Welt der Autor erschaffen hat. Das Lesen ist spannend bis zum Ende. Ich kann dieses Buch nur empfehlen.« ((Leserstimme auf Netgalley))

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© Piper Verlag GmbH, München 2023

Redaktion: Julia Feldbaum

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Giessel Design

Covermotiv: Bilder unter Lizienzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Wir behalten uns eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Zitat

Prolog

Safehouse Intermezzo

Kapitel 1

Safehouse Intermezzo

Kapitel 2

Safehouse Intermezzo

Kapitel 3

Kapitel 4

Safehouse Intermezzo

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Safehouse Intermezzo

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Safehouse Intermezzo

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Safehouse Intermezzo

Kapitel 14

Safehouse Intermezzo

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Safehouse Intermezzo

Kapitel 18

Kapitel 19

Safehouse Intermezzo

Kapitel 20

Kapitel 21

Safehouse Intermezzo

Kapitel 22

Kapitel 23

Safehouse Intermezzo

Kapitel 24

Safehouse Intermezzo

Kapitel 25

Kapitel 26

Safehouse Intermezzo

Kapitel 27

Kapitel 28

Safehouse Intermezzo

Kapitel 29

Safehouse Intermezzo

Kapitel 30

Safehouse Intermezzo

Kapitel 31

Kapitel 32

Epilog

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

 

 

 

Für MiggenIch sehe dich.

 

 

Die Gedanken sind frei,wer kann sie erraten,sie fliegen vorbeiwie nächtliche Schatten.

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben

Prolog

Es gab nichts mehr zu tun, nichts abzuhaken, keinen Grund, um wegzulaufen. Kein soziales Stressgewitter. Alles, was ich mir erträumt hatte, lag vor mir, und ich blickte in den Sonnenaufgang eines neuen Lebens. Die Wellen rollten sanft auf den perfekt gezogenen Streifen Quarz und Dünen zu und erzeugten einen Klang, der mich hinforttrug. Für immer. Ihre Hand lag wärmend auf der meinen, die Stimme bewirkte ein flüchtiges Gefühl von Liebe.

»Du hast mich gerettet, du hast uns gerettet. Wir sind auf ewig verbunden.«

Ich wollte sie küssen und das Gift auf ihren Lippen schmecken, wollte sie berühren, denn ich hatte keine Angst mehr. Nie mehr.

Eine Welle fraß sich den Strand hinauf und stopfte so viele Sandkörner in sich hinein, bis der Hunger versiegte und die Kraft am Ende nachließ. Mit einem letzten Seufzer zog sie eine Linie aus Luftblasen in den Sand und gab den Körper frei, der die Harmonie zerstörte. Ich erkannte das vom Salzwasser gebleichte ärmellose Shirt, die Bluejeans mit den gelben Nähten und auch die abgewetzten Sneakers. Mein Herz raste, auf den Armen bildete sich Gänsehaut. Wie in Trance griff ich zum Schopf der angespülten Leiche, um ihr ins Gesicht zu sehen, obwohl ich wusste, wer es war.

Mein neues Leben drohte zu zerplatzen wie ein Luftballon, der viel zu hoch geflogen war. Ich fasste durch das nasse Haar und …

… starrte auf ein vergammeltes Stück Pizza, das aus dem Rachen einer Pappschachtel von Big Daddys Pizza schaute. Ich versuchte aufzustehen und knallte vom Bett auf den zugemüllten Glastisch. Vollgekritzelte Notizen, nur zur Hälfte geleerte Gläser und ein längst zersetztes Essen segelten zu Boden. Ich blieb bei Bewusstsein, was in Anbetracht der Umstände fatal war, denn ich wusste plötzlich, wo ich war, und dass ich schnellstens hier verschwinden musste. Ich kannte das Apartment in Venice Beach zur Genüge und wünschte, ich wäre längst zurück in den Gedanken, die vielleicht schon nicht mehr meine eigenen waren. Bei der Überlegung realisierte ich, dass die Datenbrille verrutscht war und das Energie-Level bei null stand. Zero. Kein Saft mehr, was mein unsanftes Erwachen erklärte. War die Brille nicht mit dem Ladekabel verbunden gewesen? Hatte sie jemand herausgerissen?

Armeen von Adrenalin-Soldaten marschierten kriegsbereit durch meine Venen und ließen mich hochschnellen. Mir wurde schwindelig, und ich vergaß den potenziellen Eindringling, sortierte die Gedanken, zählte bis drei, weil zehn einfach zu viel gewesen wäre. Mein Magen knurrte wie ein gedrücktes Stofftier, und ich griff instinktiv in die Pizzaschachtel auf dem Boden, nur um angewidert innezuhalten. Was war nur mit mir passiert? War das die Realität oder nur eine schlechte Variante eines Traums? Die Jeans war rußgeschwärzt, das Shirt stank nach Benzin, und draußen heulten die Sirenen.

Ich musste nachsehen, was passiert war, und so schleifte ich mich ins Bad, das im Gegensatz zum verdreckten Schlafraum noch erstaunlich sauber war. Erstaunlich, wenn man die Kreatur im Spiegel betrachtete, die nur entfernt noch an die Fotos ihrer Social-Media-Profile erinnerte. Augen, so glasig wie zwei Flaschenböden mit Falten ringsherum, die zu einem veritablen Netzwerk ausgeufert waren. Die krausen Locken lagen fettig auf der Kopfhaut, Schorf klebte an der Nase, und die Zähne waren schwarz vom Suga Mint, jener Cannabis-Mischung, die das Schwindelgefühl, verursacht durch die Dream Cloud, kompensierte. Ich war verblasst und vor mir selbst auf der Flucht. Ein schiefes Lächeln wurde vom Spiegel eingefangen und zurückgeschleudert.

Ich schlich zurück zum Bett und starrte auf den Strand hinaus, der aus der Ferne nicht viel anders als in der Simulation aussah.

Und doch war diesmal alles anders gewesen. Da war eine Energie gewesen, so viel intensiver, als ich sie je zuvor gespürt hatte. Und dann hatte da diese Leiche gelegen – ein Zeichen, eine Warnung oder besser ein Befehl an mich, die Füße still zu halten. Ausgerechnet an mich, das kleinste Licht im Traumfabrikgebilde. So hatte ich mich einst bezeichnet, als alles seinen Anfang genommen hatte. Als ich glaubte, ein kleines Rad in einem mächtigen Ideengebilde zu sein, und selbst nicht so recht wusste, welchen Beitrag ich zu all dem würde leisten können. Hätte ich gewusst, wie alles einmal ausgehen würde, hätte ich niemals angefangen, ein Teil davon zu werden. Doch am Ende war man immer schlauer.

Ich kramte ein paar Anziehsachen aus dem Schrank und stopfte sie samt Reisepass und Portemonnaie in den Rucksack, bevor ich vom Geschrei der Menschen aufgerüttelt wurde. Beim Blick hinunter auf die Promenade sah ich Passanten hin und her wetzen. Vor etwas davonlaufen. Alle, bis auf den Riesen, der sich offensichtlich umsah. Er trug eine Schirmmütze der LA Rams, die nicht zum Anzug passte, und er hatte eine Anomalie an seiner rechten Hand – einen sechsten Finger. Es wurde Zeit für den Abgang, und so packte ich als letztes Utensil die Datenbrille in den Rucksack und zog die Tür zu.

Ich wollte mich von Rose verabschieden, die mir das Apartment einst zum Nulltarif vermietet hatte, doch als ich gegen die Eingangstür klopfte, gab diese nach und ein fauler Geruch schlug mir entgegen. Ich durchquerte die schmale Diele zum Wohnzimmer, wo Rose auf ihrem Fernsehsessel saß. Der Mund war aufgerissen, als würde sie laut schnarchen, doch kein Ton kam über ihre Lippen. Der Körper war steif und blass, die Haltung eingefroren. Auf dem Kopf klebte die Dream Lens, die ich ihr geschenkt hatte. Rose sah mager und verwahrlost aus, genau wie ich vorhin im Spiegel. Doch im Gegensatz zu mir hatte sie es überstanden. Ich hielt die Luft an, zirkelte um sie herum und inspizierte den künstlichen Kamin, auf dem die Familienfotos standen. Kein schlechter Platz für ein Versteck! Und so beugte ich mich vor, um nach einem Spalt zu suchen.

 

Schwarze Rauchwolken trübten den Himmel über Venice Beach, und ich entschied mich für die Richtung, wo noch etwas Morgensonne durch die Schwaden blitzte. Nur weg von diesem Ort, weit weg. Der Typ mit dem Anzug nahm mich sofort ins Visier, sodass ich auf der Stelle einen Slalom durch die aufgebrachte Menschenmenge startete. Ich schlug einen Haken und verließ die Promenade, um zwischen den Passanten einfach abzutauchen. Eine Gruppe von Studenten strömte mir in UCLA-Shirts entgegen und gestikulierte mich zurück in Richtung Meer.

»Es ist alles abgesperrt. Überall ist Polizei«, hörte ich ihre aufgeregten Rufe, doch es blieb keine Zeit, um anzuhalten, denn der Typ hatte aufgeholt und klebte wie Pech an meinen Fersen. Langsam ließ der Schwung an Menschen nach, und ich gaffte in eine Armada aus blinkenden Streifenwagen, die die Pacific Avenue blockierten. Es gab keinen Ausweg mehr, nur einen mit Graffiti beschmierten Schuttcontainer, der zu klein war, um sich darin zu verstecken. Ich musste mich entscheiden, denn der Glatzkopf zog eine Pistole und zielte direkt auf meine Stirn. Und plötzlich wusste ich, was ich zu tun hatte.

Safehouse Intermezzo

»Wie fühlen Sie sich?«

»Etwas benommen und hungrig. Wo bin ich überhaupt?«

»Was glauben Sie, wo Sie sind?«

»Keine Ahnung. Sieht nach Verhörraum aus. Es muss sich um ein Missverständnis handeln.«

»Wenn es so ist, können Sie das sicherlich aufklären.«

»Bin ich verhaftet oder so was?«

»Das wird sich gleich entscheiden.« Die Augen der Frau verrieten, dass sie sich auf dünnem Eis bewegte. Sie verzog die Lippen zu einem Strich und drehte mit den Fingern kleine Locken in die feuchten Haare. Sie kaute auf einer Lutschpastille herum, und ihr Atem roch dezent nach Pfefferminz.

»Brauche ich einen Anwalt?«

»Nur Schuldige brauchen einen Anwalt. Da es sich offensichtlich um ein Missverständnis handelt, können Sie sich das Geld vielleicht sparen. Aber es liegt bei Ihnen. Qua Gesetz steht Ihnen ein Anwalt zu.«

Kniffliger Auftakt in ein Verhör, in das ich mich selbst hineinmanövriert hatte. Die Polizei war der einzige Ausweg gewesen, um dem Widersacher zu entkommen.

»Warum bin ich überhaupt in diesem … Raum?« Ich schaute mich zu allen Seiten um und war überrascht, da ich mir ein Verhörzimmer beim LAPD – dem Los Angeles Police Department – anders vorgestellt hatte. Wie eine Gummizelle ohne Ausblick vielleicht, doch dieser Raum glich einem sterilen Hotelzimmer mit austauschbaren Möbeln. Es gab ein Sideboard mit Lampe, ein ausklappbares Stoffsofa, auf dem eine beige Decke lag, einen Kleiderschrank und einen Tisch mit zwei Stühlen, an dem mir die Frau gegenübersaß.

»Sie sind mit erhobenem Reisepass auf die Beamten eines Einsatzwagens zugelaufen und sagten, dass man Sie verfolgen würde. Deshalb sind Sie unter anderem hier. Aber fangen wir von vorn an. Mein Name ist Luisa Genaro, und ich leite die Ermittlungen. Verraten Sie mir Ihren Namen?«

»Den kennen Sie doch bereits. Verraten Sie mir lieber, warum ich hier bin? Ich bin derzeit etwas durcheinander, befürchte ich.« Das war nicht einmal gelogen, da zwischen der Flucht aus dem Apartment und dem Erwachen hier in diesem Raum ein großes Loch in meinem Gedächtnis klaffte.

»Natürlich, wissen wir, wer Sie sind. Aber ich möchte es von Ihnen hören. Schließlich geht es auch um Ihren Geisteszustand.«

»Also gut, mein Name ist Bruno Warnik, und ich komme aus München. Das ist in Deutschland, aber das wissen Sie wahrscheinlich auch.«

»Auch das, ja. Dennoch ist es wichtig, es von Ihnen zu hören, denn wie Sie sagten, sind Sie gerade etwas durcheinander und sehen ziemlich fertig aus. Stehen Sie unter Drogen?« Die Beamtin hatte damit aufgehört, in den aschblonden Naturlocken herumzuspielen, und blickte mich nun direkt an. Sie war etwa Mitte dreißig und hätte attraktiv sein können, wäre da nicht diese Nase, die wie ein abgesägter Kolben schräg nach unten abfiel.

»Wie gesagt, ich bin gerade etwas angespannt und ziemlich durch den Wind. Es waren überall Menschen auf der Straße, die vor irgendetwas davongelaufen sind. Da habe ich es mit der Angst zu tun bekommen und bin auf Ihre Kollegen zugegangen. Was ist denn überhaupt passiert?«

»Sie wurden laut Ihrer eigenen Aussage von einem Mann mit Schusswaffe verfolgt und hatten jede Menge THC im Blut. Das ist passiert.«

Luisa Genaro war niemand, der sich leicht abschütteln ließ, und ich musste aufpassen, dass ich mich nicht tiefer in den Sumpf hineinredete. »Es war die Aufregung um mich herum.«

»Und deshalb haben Sie sich einen Joint gedreht und sind auf einen Streifenwagen zugerannt, während gerade ein ziemlich großer Einsatz lief? Wissen Sie, warum die Menschen auf der Straße waren? Warum so viel Polizei und Feuerwehr in Venice Beach war?«

»Keine Ahnung. Ich bin in meinem Apartment aufgewacht und auf die Straße gegangen. Da war dieser Glatzkopf mit der Rams-Cap, und ich hatte das Gefühl, dass er mich verfolgte. Aber vielleicht war alles nur ein Missverständnis.«

»Dazu kommen wir noch. Fangen wir von vorn an. Was machen Sie hier in L. A.?«

»Arbeiten, ich besitze die doppelte Staatsbürgerschaft. Falls Sie glauben, dass ich illegal …«

»Glauben wir nicht. Wo sind Sie beschäftigt und was machen Sie da? Möglichst genau, bitte.«

»Das wissen Sie doch ebenfalls bereits.« Luisa Genaro verdrehte die Augen, und ich wusste, dass ich aus der Nummer nicht herauskommen würde. »Also schön, ich arbeite für ein Unternehmen namens Dream Factory. Die Büros befinden sich in dem Gebäude mit dem Graffiti an der Außenfassade. Also, mit dem Typen, der …«

»… Venice Beach erschaffen hat. Abbot Kinney. Wissen wir.«

»Wenn Sie alles wissen, dann sicher auch, dass ich keinerlei Vorstrafen habe oder jemals irgendeinen Kontakt zur Polizei hatte. Weder in den USA noch in Deutschland. Es war eine dumme Kurzschlusshandlung meinerseits, und die frisst jetzt Ihre Zeit auf.«

»Machen Sie sich keine Gedanken um meine Zeit, Mr. Warnik.«

»Sie können mich Bruno nennen.«

»Schön, Bruno. Ich würde gern nochmals zu Ihrem Job zurückkommen und wissen wollen, was Sie für die Dream Factory gemacht haben. Ich würde gern verstehen, was diese Traumfabrik generell tut.«

»Ich war dort nur ein kleines Licht und fürs Marketing verantwortlich. Die Dream Factory ist ein Tech-Start-up im VR-Sektor, wenn Sie verstehen, was ich meine, Mrs. Genaro.« Ich hatte keine Zeit und Lust, ins Detail zu gehen, und hoffte, Luisa Genaro mit Abkürzungen ein wenig abschrecken zu können.

»Ms. Genaro, doch nennen Sie mich Luisa.«

»Gern, Luisa. Haben Sie noch weitere Fragen oder kann ich jetzt gehen?«

»Sie haben die letzte nicht befriedigend beantwortet. Vielleicht geben Sie sich etwas mehr Mühe, damit ich es verstehe.«

»Na ja, wir haben eine Datenbrille mit Namen Dream Lens entwickelt, mit der man in virtuelle Welten eintauchen kann. Im Grunde nichts Besonderes, daran arbeiten all die großen Firmen aus dem Valley.«

»Wollen Sie nicht, können Sie nicht oder trauen Sie sich nicht?«

»Wie bitte?«

»Ich erkläre Ihnen gern, wie es bei mir läuft, Bruno. Im Grunde bin ich ein gutherziger Mensch, der immer von der Unschuld eines Menschen ausgeht, egal wie aussichtslos die Lage ist. Zudem bin ich eine leidenschaftliche Polizistin, die gern Rätsel löst, und sind sie noch so kompliziert. Ich würde sogar behaupten, dass ich gut darin bin.«

»Also eine Art ›Good Cop, good Cop‹?«

«Sozusagen. Und diese beiden Eigenschaften verraten mir, dass hier etwas faul ist. Allzu gern würde ich Sie als Spinner vor die Tür setzen, der aufgrund des Cannabis ein bisschen halluziniert hat. Doch dafür ist zu viel passiert, und ich vermute, dass Sie eine Rolle darin spielen.«

»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden. Was ist denn passiert?«

»Sagen Sie es mir, Bruno.«

»Ich wurde verfolgt, zumindest hatte ich den Eindruck. Aber wenn Sie sagen, dass es an dem Cannabis gelegen hat, dann war es wohl auch so. Von daher würde ich jetzt gern gehen oder soll ich doch meinen Anwalt kontaktieren?«

»Haben Sie denn einen?«

Ich schüttelte den Kopf und wusste insgeheim, dass mir ein Pflichtverteidiger kaum helfen würde.

»Hören Sie, Bruno. Sie stecken ziemlich in der Scheiße, und ich kann Ihnen dabei helfen, dort wieder herauszukommen. Doch dafür müssen Sie mir was erzählen.«

»Sie können mich nicht einfach hierbehalten, nur weil ich mich verfolgt gefühlt habe.«

»Tun wir auch nicht. Ich kann Sie jederzeit wegen Brandstiftung und Mord anklagen. Mehrfachen Mord.«

»Warum tun Sie es dann nicht? Warum sitze ich in diesem … Zimmer und nicht in einer Zelle?«

»Dieses … Zimmer ist ein kleiner Vorschussbonus, den ich Ihnen organisiert habe. Er garantiert Ihre Sicherheit, um die Sie angeblich besorgt sind. Aber wenn Sie wollen, können wir ihn gegen eine Zelle mit acht Insassen austauschen, denn der Haftbefehl ist schneller ausgestellt, als Sie sich einen Joint drehen können. Gern bekommen Sie in der Zeit Ihren Pflichtverteidiger gestellt, und in ein paar Wochen machen wir da weiter, wo wir an dieser Stelle aufhören werden. Liegt ganz bei Ihnen, Bruno.«

»Für eine einfache Polizistin können Sie ganz schön viel organisieren.«

»Sie reden nicht mit einer einfachen Polizistin!« Luisa Genaro legte ihren Ausweis auf den Tisch, der sie als FBI-Agentin auswies.

Der Tag hatte deutlich mehr Überraschungen parat, als ich vertragen konnte. »FBI? Ich bin doch nur ein kleiner Junkie mit Wahnvorstellungen …«

»Dann lassen Sie es darauf ankommen. Doch wenn Sie tatsächlich verfolgt werden und um Ihr Leben bangen, dann gibt es aktuell nur eine Person, die Ihnen helfen kann. Und die sitzt Ihnen gerade gegenüber.«

»Sie können mir nicht helfen. Ich weiß nicht mal selbst, ob der Verfolger echt war oder simuliert. Ich weiß nur, dass ich hier schleunigst rausmuss, um uns zu retten.«

»Uns? Im Sinne von uns beiden?«

»Uns, im Sinne von uns allen.«

»Das klingt nach ziemlich großen Worten. Vielleicht bringen wir etwas Licht ins Dunkel, indem Sie mir erzählen, was Sie und diese Dream Factory wirklich getrieben haben.«

»Sagen Sie mir erst, warum Sie mich wegen Mord und Brandstiftung drankriegen wollen. Ich hatte bisher nicht mal ein Parkticket.«

»Wie auch ohne Auto? Nein, Bruno. So läuft das nicht. Sie erzählen mir was, und dann erzähle ich Ihnen vielleicht auch was. Und wenn Sie nicht wissen, warum ich Sie verknacken könnte, dann ist das vielleicht ein gutes Zeichen.«

»Also gut, schießen Sie los, Luisa. Was wollen Sie wissen?«

»Alles. Einfach alles. Fangen Sie von vorn an.«

»Von vorn? Das kann dauern …«

»Ich habe Zeit.«

»Ich nicht, denn …«

»Sie müssen noch die Welt retten. Schon klar, Bruno. Doch wenn ich verstehe, worum es geht, kann ich Ihnen dabei helfen. Und glauben Sie mir, im Weltretten bin ich richtig gut.«

Luisa Genaro war tough und ich wollte ihr vertrauen. Vielleicht wollte ich auch nur die ganze Story endlich loswerden, um zu sehen, wie sie enden würde. Denn das Ende war für mich wie eine Blackbox, und ich musste wissen, ob es vorbei war oder von vorn beginnen würde.

Kapitel 1

Ein unschlagbares Angebot

Wir saßen zu sechst auf dem Steg am Starnberger See und sprachen über das Leben, das sich für mich bald ändern sollte. Ich war auf dem Sprung, Karriere zu machen, und vielleicht nahmen Daniel, Max, Takko, Rebekka und Hannah es mir deshalb übel, weil sie befürchteten, dass ich uns damit die Jugend stehlen würde. Dabei waren wir mit Ende zwanzig längst erwachsen und sollten eigene Wege gehen. Seit der Schulzeit hingen wir mehr oder minder intensiv zusammen und ergaben uns in unausgesprochener Abhängigkeit zueinander. Mit Takko und Max war ich aufgewachsen, mit Hannah hatte ich den ersten Sex, und Rebekka und Daniel wurden Teil der Clique, als ihre Eltern nach Lissabon auswanderten und die beiden als Strandgut zurückließen. Ob ich zu der Zeit mit Hannah zusammen war? Keine Ahnung, jedenfalls hing sie an mir wie eine Klette, obwohl wir aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten kamen. Im Gegensatz zu Hannah und den anderen vier Schnöseln gehörte mir im Grunde nichts, da ich immer noch in den vier Wänden meiner Mutter wohnte, die uns mit dem Job beim Arbeitsamt gerade so über Wasser halten konnte. Ein Skoda stand mir seit dem achtzehnten Geburtstag zur Verfügung, doch Skoda war in München so was wie ein Offenbarungseid, weshalb ich lieber Tram und S-Bahn fuhr. Der Umwelt zuliebe, wie ich stets betonte. Das kam gut an und verschaffte mir das ein oder andere Date außerhalb des Sechser-Klubs, der mich nur widerwillig ziehen lassen wollte.

»Was macht eigentlich diese Dream Factory genau? Der Name klingt nach einem Fake …«, riss mich der wie immer kunterbunt gekleidete Takko aus dem dahinrauschenden Gedankenzug.

»Sie haben eine Datenbrille entwickelt, mit der man in virtuelle Welten eintauchen kann. Sobald ich mehr weiß, bist du der Erste, der es hört«, sagte ich grinsend, ohne zu erahnen, dass es dazu nie kommen sollte.

»Und was ist deine Aufgabe?«, kam von Takko gleich die Gegenfrage, die ich nicht mal parieren konnte. »Du hast doch gerade erst dein Studium beendet …«, schoss er warnend hinterher, als wäre das ein K.-o.-Kriterium für einen echten Job.

»Sales und Marketing steht im Vertrag, den sie mir per Mail geschickt haben. Wie gesagt, in ein paar Tagen weiß ich mehr.«

»Und dann noch in L. A. … Alter, da hast du dir ein schönes Ei gelegt«, erwiderte Takko und ließ es damit gut sein. So wie die anderen vier auch, denn seitdem ich verkündet hatte, dass ich wegen eines Jobs nach Los Angeles ziehen würde, war das Thema im Prinzip tabu. Als würde Totschweigen den Vertrag zunichtemachen können. Doch es war an der Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen und etwas Neues zu beginnen. In München war die Welt stets wohlbehütet, und genauso langweilig fühlte es sich für mich auch an. Das gleiche Tempo seit den Achtzigern.

In einem Punkt musste ich Takkos Skepsis Tribut zollen, denn das Angebot der Dream Factory klang viel zu gut, um wahr zu sein. Ich würde nach Amerika ziehen, um in einem zukunftsweisenden Unternehmen die Vermarktung anzukurbeln. Nicht nur mitarbeiten, sondern den Bereich führen und aufbauen, so hatte es zumindest mein zukünftiger Chef, André Meininger, im Jobinterview gesagt. Dabei hatte ich gerade mal das Studium beendet und mein eigenes kleines Start-up für ein paar 1000 Euro an eine Berliner Dating-App verschleudert. Fünfundvierzig Minuten hatte der Video-Chat gedauert, da meinte André, ich sei genau der Mann, nachdem er suche, um sein Baby zukunftsreif zu machen. Da mein Dad mir außer einer doppelten Staatsangehörigkeit nichts weiter hinterlassen hatte, brauchte ich nicht einmal zu tricksen, um die Greencard zu bekommen. Ich war bereit für dieses Abenteuer und hatte nicht wirklich etwas zu verlieren. Außerdem brauchte ich Abstand zu den beiden Frauen in meinem Leben. Meine Mutter war eine herzensgute Frau, doch ein Stachel im Hintern, wenn es um Arbeitsmoral und Ordnung ging. Selbst einem dreißigjährigen Nesthocker ließ sie wenig durchgehen und plante den Tag für mich gleich mit. Hannah war keineswegs entspannter und jedes Mal enttäuscht, wenn es nicht nach ihrer Nase lief. Das Angebot war so was wie ein Exit-Ticket, und ich machte mit Hannah Schluss, ohne es ihr zu beichten. Wozu auch? Die Distanz würde den Job für mich diskret erledigen.

 

Zwei Tage später stand ich am Ankunftsterminal vom Los Angeles International Airport und wurde von der heißen Luft nahezu erdrückt. Das Hemd saugte sich an den Oberkörper, und die Reisetasche zog wie ein Sack Zement nach unten. Obwohl ich auf Businessclass gebucht war, hatte ich kein Auge zugemacht, da der Cocktail aus Versagensangst und freudiger Erregung wie ein Aufputschmittel durch meine Venen pumpte. Ich war im größten Haifischbecken der Arbeitswelt gelandet und hatte keine Ahnung, was dort auf mich warten würde. Ausgerechnet Kalifornien, jene Fata Morgana, in der alle an der Zukunft schraubten, um das nächste Google, Apple oder Facebook zu bauen.

Ich reihte mich in die Schlange für ein Uber ein und wurde kurze Zeit später von einem Toyota Corolla verschluckt, der mich nach dreißig Minuten im quirligen Venice Beach ausspuckte.

Das Abbot Kinney Building lag zwei Querstraßen entfernt vom Strandboulevard an einer stark befahrenen Kreuzung, die von zwei Cafés und einem Supermarkt flankiert wurde. Es sah wie eine ehemalige Fabrikhalle aus, mit dem roten Backstein und den schwarzen Stahltreppen, die sich vier Stockwerke in einen makellos blauen Himmel schraubten. An der Seite prangte als Graffiti das überlebensgroße Abbild eines alten Mannes, unter dem der Name Abbot Kinney stand. Eine Hand in der Hosentasche, die andere am Revers, schaute er etwas nachdenklich auf die umherlaufenden Passanten, ganz so, als wäre er lieber an einem anderen Ort verewigt worden.

Es war Mittag in L. A., und ich hoffte, dass man mich zunächst zum Duschen ins Hotel schicken würde, bevor es mit der Arbeit losging. Doch daraus wurde nichts, denn am Empfangstresen, einem groben Klotz aus Grafit, summte es wie in einem Bienenstock. Telefone klingelten, Handys brummten und E-Mails landeten geräuschvoll im Postfach der zwei Sekretärinnen, die mit ihren manikürten Fingern geschmeidig über Tasten tippten. Ruthie, eine irische Naturschönheit mit krausen roten Locken, formte ein Stoppsignal mit den Händen, während Brenda – brünetter Pferdeschwanz und Silberblick – unbeeindruckt auf den Bildschirm ihres Rechners starrte. Hinter einer Glaswand sah man auf das Mosaik aus Schreibtischen, an denen gut aussehende Menschen miteinander diskutierten und sich gegenseitig auf die Schulter klopften. In diesem Gebäude roch es förmlich nach Erfolg, und der Anblick ließ mich nahezu erstarren. Der Mythos Amerika war wahr geworden, und plötzlich hatte ich Angst davor, nicht mithalten zu können.

»Hallo, ich bin Ruthie, das ist Brenda, und du bist sicher Bruno«, begrüßte mich Ruthie und servierte mir ein Sonntagslächeln.

»Ich bin gerade angekommen und wollte fragen, wo mein Hotel ist, damit ich mich ein wenig …«

»Du wirst bereits erwartet, Bruno«, unterbrach mich Ruthie. »Noch einen Augenblick Geduld, und dann bringe ich dich zu André.«

»Mein Gepäck?«

»Kannst du in unsere vertrauensvollen Hände geben.« Ruthie blieb freundlich und bestimmend, sodass ich mich in die Sitzgruppe aus italienischen Designersesseln verzog, die von einem Flatscreen dominiert wurde, der Nachrichten und Börsenkurse zeigte. Ich schaute mich ein bisschen um und blieb am aufgepinselten Spruch über dem Granitklotz hängen.

Die Gedanken sind frei,wer kann sie erraten,sie fliehen vorbeiwie nächtliche Schatten.

Ich fühlte mich ertappt, obwohl ich an nichts Besonderes gedacht hatte. Die Textzeile des alten Volksliedes war auf Deutsch geschrieben, was sicher an der Herkunft der beiden Unternehmensgründer lag. André Meininger kam aus Berlin und war fünf Jahre zuvor in die USA ausgewandert, um zwei Jahre später die Dream Factory zu gründen.

»Jetzt ist er dein erster Termin«, erklärte Ruthie, und zählte anschließend die weiteren Meetings wie ein sprechender Kalender auf. »Danach Bodyscanning, Dream-Cloud-Simulation, Rundgang durchs Gebäude, Onboarding mit dem Projektteam und Coffeebreak mit Alex, unserem CFO. Solltest du dazu noch Fragen haben, musst du dich gedulden. André wartet bereits auf dich.«

Mit diesen Worten öffnete Ruthie die Glastür und entließ mich in einen gewaltigen Maschinenraum, in dem es vor jungen, euphorisch arbeitenden Menschen wimmelte. Und mitten im Zentrum des elektrischen Sturms stand André Meininger – im T-Shirt aus der eigenen Merchandising-Kollektion –, um mich in Empfang zu nehmen.

»Herzlich willkommen in der Traumfabrik. Wir haben auf dich gewartet«, sagte er schelmisch grinsend und reichte mir die Hand. Sie fühlte sich warm, kraftvoll und entschlossen an, im Gegensatz zu meiner Flosse, die feucht vor Aufregung und eiskalt von der Klimaanlage war. Ich kannte André zu diesem Zeitpunkt nur aus dem Videochat des Vorstellungsgesprächs und war sofort hin und weg. Trotz der legeren Freizeitkleidung sah er souverän, schlau und unglaublich jung aus, was er mit fünfundzwanzig Jahren ja auch war.

»Schön, hier zu sein«, erwiderte ich förmlich und japste in Anbetracht von zugeknöpftem Hemd und Leinen-Sakko.

»Das Kostüm kannst du direkt ausziehen. Bei uns wird nicht philosophiert, sondern angepackt«, erklärte André. »Doch bevor du die Welt verändern wirst, trinken wir einen Cappuccino, und ich erzähle dir, woran wir arbeiten.«

 

»Weißt du, wer das ist?«, frage mich André, als wir das Gebäude verlassen hatten. Er zeigte auf das Graffiti von dem Alten und zog dabei die Augenbrauen hoch.

»Abbot Kinney, schätze ich.«

»Er war ein amerikanischer Städteplaner und Wasserversorgungsexperte und nebenbei noch ein Genie. Abbot hat Venice Beach erschaffen, und ich wollte das Gebäude unbedingt als Firmensitz erwerben.«

»Es gehört euch?«, hakte ich nach.

»Gehören im Sinne von ›langfristig gemietet‹, genau wie die Bachelor’s Villa und ein paar andere Büros und Räumlichkeiten.«

»Bachelor’s Villa?«

»Dein neues Zuhause. Das wird dir gefallen.« André lachte und klopfte mir auf die Schulter, als wären wir seit Jahren gut befreundet.

Eine eigene Villa, glaubte ich für ein paar Stunden, und fühlte mich wie ein gottverdammter Rockstar.

»Glaub mir, Bruno, Venice Beach wird dich verändern. Die Sonne, das entspannte Leben und jede Menge positive Energie. Du musst alles in dich aufsaugen, es fühlen und verinnerlichen, denn die Essenz von all dem steckt in unserem Baby, der Dream Cloud. Keine Sorge …«, bemerkte er meinen überforderten Gesichtsausdruck, »du wirst es bald verstehen.«

Das Picazzos war ein Mix aus Diner, Café und Restaurant und so was wie der Nukleus unserer Firma. Hier traf man sich zum Quatschen, Flirten, Ideen spinnen und zum Feiern gleichermaßen und hatte das Abbot Kinney Building stets vor Augen. André bestellte Croissants und Cappuccino, und wir setzten uns an einen Fenstertisch, auf dem ein Sammelsurium an ausgelutschten Ketchupflaschen stand. Ich war gespannt wie ein Flitzebogen, der sogleich den ersten Pfeil zum Abschuss eingelegt bekam, da André, wie ich gleich bemerkte, ungern Zeit mit Small Talk verlor.

»Wir entwickeln Hard- und Software für die virtuelle Realität, genauso wie Microsoft, Meta, Apple oder Google das auch tun. Doch im Gegensatz zu den Big Playern, wollen wir den Alltag der Menschen nicht noch komplizierter machen und sie auch nicht mit dem Internet verschmelzen. Diese Welt ist gerade auf dem Absprung und wird mit virtuellen Gimmicks nicht zu retten sein. Deshalb gehen wir einen gewaltigen Schritt weiter als die anderen, und du wirst mit dabei sein«, wickelte mich André um den Finger, dippte das Croissant in ein Fass voll mit Erdbeerkonfitüre und nippte gelegentlich am Cappuccino. Er war konzentriert und enthusiastisch wie ein Unternehmer, der nur für seine Sache brennt. 100 Millionen Dollar an Investmentkapital hatte er in den letzten drei Jahren eingesammelt, was ihm den Respekt von Finanzpresse und Technik-Community gleichermaßen beschert hatte. Allerdings wuchs zuletzt auch die Kritik, da ein Prototyp noch immer auf sich warten ließ.

»Bevor ich tiefer einsteige, muss ich dich an deinen Arbeitsvertrag erinnern, da alles, was bei uns besprochen und entwickelt wird, vertraulich ist. Streng vertraulich. Das ist die Zukunft. Unsere Zukunft. Sie hat nur so lange einen Wert, wie sie nicht von einem anderen kopiert wird«, ließ André keinen Zweifel an der Bedeutung des Satzes aufkommen.

»Klar. Das ist doch immer so«, kommentierte ich lapidar, was André nicht zu schmecken schien.

»Nur ist es bei uns kein Kavaliersdelikt und auch kein Fall fürs Arbeitsgericht. Bei uns darf es nicht vorkommen. Gar nicht. Nie. Wie beim FBI«, ließ er die Worte wirken und bestellte gleich zwei neue Cappuccinos, obwohl ich den ersten nicht einmal angerührt hatte.

»Wir arbeiten hier an einer großen Sache, Bruno und ich bin froh, dass du so schnell zu uns stoßen konntest, denn Marketing und soziale Netzwerke werden den Vertrieb nach vorn bringen«, fuhr André unvermittelt fort. »Im Grunde stehen wir auch nach drei Jahren der Entwicklungsarbeit am Anfang unserer Dream Cloud, und bisher ahnt niemand, was wir damit leisten könnten. Mit Ausnahme unseres Investors, versteht sich.« Andrés Miene verdunkelte sich für den Bruchteil eines Augenblicks. »Wir wollen die Gedanken, Träume und Wünsche der Menschen in einer Parallelwelt virtuell verwirklichen. Einer Welt, in der jeder so sein kann, wie sie oder er gern sein möchte. Ohne Konventionen, Diskriminierung und sozialen Stress. Die Menschen werden das erleben, was ihnen in der echten Welt verwehrt bleibt. Aus finanziellen, politischen oder geografischen Gründen. Sie werden all die Dinge sehen, die es bald nicht mehr geben wird. Gletscher, Regenwälder, wilde Tiere, schneebedeckte Gipfel, kostbare Kunstwerke. Sie werden mit Menschen, wir nennen sie Charaktere, interagieren und sogar mit ihnen Sex haben. Die Dream Cloud wird zu einem Zufluchtsort, in dem es nur die schönen Dinge gibt und keine Kriege oder Pandemien. Und keiner wird den Unterschied bemerken, denn in der Dream Cloud gibt es keine plumpen Comic-Avatare oder Head-up-Displays. Sie ist vielmehr ein detailgetreues Abbild einer neuen Realität, für die wir lediglich zwei Komponenten brauchen. Eine VR-Brille – unsere Dream Lens – und Dream Gloves, also Handschuhe mit magnetischen Sensoren. So weit verstanden?«

André ließ meinen Mund weit offen stehen.

Ich hatte so ziemlich gar nichts verstanden, was am Jetlag und der Achterbahn im Kopf lag, die gerade einen Looping drehte. Für mich war die virtuelle Realität eher ein Konsolenspiel, also nickte ich artig und versuchte mich am ersten Cappuccino, der mittlerweile kalt war.

»Keine Sorge, du wirst es bald verstehen, denn wir sind seit ein paar Tagen einen gewaltigen Schritt weitergekommen und haben den Prototyp entwickelt. Wir sind ready to start, und es wird einen Testmarkt von tausend Leuten geben, die die Dream Cloud ausprobieren dürfen. Also benötigen wir User und auch Werbekunden, denn letztlich muss die Party finanziert werden. Und da kommst du ins Spiel, Bruno.«

»Okay …«, druckste ich herum, aus Sorge, gleich am Anfang überschätzt zu werden. »Bei der Vermarktung von VR-Anwendungen bin ich jedoch eher so was wie ein Rookie.«

»Verkaufe dich niemals unter Wert. Unsere Philosophie lautet, dass wir alles Vorstellbare erschaffen können«, entgegnete André.

»Verstanden. Nur, dass ich gerade erst mein Studium abgeschlossen habe …«

»… und nebenbei ein Start-up hochgezogen und mit Gewinn verkauft hast«, beendete André den Satz für mich.

Beim Vorstellungsgespräch hatte ich damit geprahlt, da es das Einzige war, was ich beruflich vorzuweisen hatte. Allerdings hatte ich unterschlagen, dass die Treffpunkt-App für Freizeitkontakte nur auf dem Papier existiert und ich die Idee an eine Berliner Dating-App verscherbelt hatte. Jeder Unternehmer mit ein bisschen Grips im Schädel hätte die 10.000 Euro abgelehnt, doch da ich bei der Hausbank in der Kreide gestanden war und keinerlei Budget besessen hatte, um Buddyship nach vorn zu bringen, hatte ich mich fürs Geld entschieden. Lieber ein schnelles Happy End als ein finanzieller Schrecken ohne Ende. Also sagte ich: »Vielleicht hast du recht. Aber im Vergleich zu dem, was du mir gerade erzählt hast, ist es völlig unbedeutend.«

»Und das ist nichts im Vergleich zu dem, was die Dream Cloud leisten kann. Bist du bereit für deinen allerersten Ausflug?« André stand auf und ignorierte meine volle Tasse.

»Ich schätze schon«, antwortete ich erwartungsvoll, obwohl mir bei dem Tempo etwas mulmig wurde.

Safehouse Intermezzo

»Er hat Ihnen aufgrund eines Video-Chats die Marketingleitung seines Unternehmens übertragen?« Luisa Genaro runzelte die Stirn, als hätte ich ihr einen Bären aufgebunden.

»Willkommen im 21. Jahrhundert. Vielleicht hatte ich ja einen Bonus, weil ich wie er aus Deutschland kam. Mir war es einerlei, denn ich brannte für den Job.«

»Was war denn so faszinierend an der Dream Factory?«

»Einfach alles. André Meininger war ein charismatischer Leader und die Dream Cloud der absolute Oberhammer. Jeder hätte in diesem Unternehmen arbeiten wollen.«

»Meine zehnjährige Tochter liegt mir in den Ohren wegen der Brille. Sie ist aktuell nicht zu bekommen und auf E-Bay absurde 20.000 Dollar wert. Aber jetzt sitze ich ja an der Quelle oder besser noch, ihr gegenüber.« Luisa schob ein Lächeln hinterher. Es wirkte echt und war ihr erstes.

»Reden sie es ihr aus. Das Teil ist nichts für kleine Mädchen und erst recht nichts für Erwachsene.«

»Gerade sagten Sie noch, dass diese Cloud der absolute Wahnsinn ist, und jetzt soll man Abstand davon nehmen? Wie passt das zusammen?«

»Absoluter Wahnsinn trifft es ziemlich gut. Die Dream Cloud kann Unglaubliches und wird zu einer Sucht. Und ja, sie treibt einen in den Wahnsinn …«

»Erklären Sie es mir, Bruno.«

Kapitel 2

Dream Cloud Rock ’n’ Roll

»Tut mir leid, aber du musst dich komplett blank machen«, waren Perris Roblingers einleitende Worte, als ich mein Hemd auszog, das mit Schweißflecken überzogen war. Mit etwas Fantasie hätte man an den Rändern den ersten Arbeitstag ablesen können, und ich schämte mich entsprechend. Perris schien das nicht zu interessieren, denn er tippte, ohne aufzusehen, Daten in einen Tablet-Computer ein, ganz so, als wäre ich ein x-beliebiger Patient in einer Warteschlange. Wir befanden uns in einem fensterlosen Raum des zweiten Stockwerks, der von allen Mitarbeitern »das Labor« genannt wurde und Heimat des ominösen Körperscanners war.

»Was macht das Ding mit mir?« Ich zeigte ängstlich auf das leuchtende Gebilde, das wie eine MRT-Röhre aussah.

»Es scannt den Körper, damit wir dich möglichst originalgetreu in die Dream Cloud überführen können. Schließlich soll es realistisch aussehen«, antwortete Perris, der mit seinen achtunddreißig Jahren so was wie der Oldie in der Firma war.

»Und dafür muss ich mich komplett ausziehen?«

»O ja. Wir brauchen auch dein bestes Stück, besser gesagt, du wirst es in der Dream Cloud brauchen.« Perris grinste und blickte zurück auf den Bildschirm.

»Aber vielleicht will ich in eurer Dream Cloud nicht so aussehen, wie ich gerade aussehe«, protestierte ich in Anbetracht von Schlafentzug und Achselnässe.

»Erstens ist es ab sofort auch deine Dream Cloud, und zweitens kannst du später noch entscheiden, wie du rüberkommen willst. Es sollte dir nur ähnlich sein, denn schließlich bauen wir keine Avatare. Aber das hat dir unser CEO sicherlich schon eingetrichtert. Und jetzt mach dich bitte frei«, erklärte er bestimmend und besprühte die Auflagefläche des Scanners mit einem Desinfektionsmittel. »Fühlt sich an wie im Solarium, geht nur deutlich schneller«, fügte er hinzu und gab mir das Zeichen für den Start.

Die Liegefläche bestand aus durchsichtigem Plexiglas und ähnelte in groben Zügen der Auflage eines Dokumentenscanners. Sie wurde von blauen Leuchten angestrahlt, die das Glas erwärmten und beim Hineinsehen stark blendeten. Über mir hing eine hässliche Stahlhaube, geformt wie einer dieser Tauchroboter, die automatisch runterfuhr, als ich auf der Liegefläche Platz nahm. Fünf Sekunden später lag ich in einem Vakuum und spürte die Panik in mir aufsteigen. Die Nase war dicht, und mein Mund japste nach Luft wie ein Fisch, der am Vertrocknen ist. Ich hatte vergessen, nach einem Panikknopf zu fragen, und Perris war durch die Scheibe nicht zu sehen.

»Hey, Perris, könntest du vielleicht die Trockenhaube noch mal hochfahren?«, versuchte ich entspannt zu klingen, doch die dicht abschließende Vorrichtung schluckte die Worte, als würde ich im Meer tauchen.

Anstatt einer Antwort huschte ein gleißender Lichtstrahl über meinen Körper, der mich zwang, die Augen zu schließen. Es wurde heiß, und ich spürte, wie das Licht jeden Winkel meines Körpers observierte, bis es irgendwann erlosch.

»Fertig. Das war’s schon«, meinte Perris keine fünf Minuten später, die sich nach einer Stunde angefühlt hatten.

»Das war übel, Mann …«, grummelte ich und entschuldigte mich sofort dafür.

»Glaub mir, das ist nichts im Vergleich zu unserem ersten Bodyscanner, unter dem man geschlagene vierzig Minuten schwitzen musste, nur um in der Dream Cloud wie ein ausgestopfter Hase auszusehen. Dagegen ist der neue Dream Scan rasend schnell wie eine Zeitmaschine«, bemerkte Perris stolz und kämmte sich mit der Hand eine schwarze Strähne aus der Stirn. Er sah wie ein Fotomodell für exklusive Brillengestelle aus, von denen er eines auf der Nase trug.

»Was passiert als Nächstes?«, fragte ich und fingerte nach den Anziehsachen.

»Als Nächstes konvertiert dieser Rechner deinen Körper in Daten, die anschließend in die Dream Cloud überführt werden.«

»Und irgendwann bin ich dann mein eigener Klon in der virtuellen Welt?«, zog ich rhetorisch einen Schluss.

»Nicht irgendwann. In exakt dreizehn Minuten und vierundzwanzig Sekunden«, meinte Perris und zeigte eine Reihe weiß gebleichter Zähne.

»Dreizehn Minuten. Ernsthaft jetzt?«

»Ernsthaft! Und deshalb bringe ich dich jetzt zum Meister der Illusion persönlich. Zum einzigartigen J. F. Sebastian«, tönte Felix und erhob sich vom Drehstuhl, als gelte es, in eine Schlacht zu ziehen.

»J. F. Sebastian?«

»Eigentlich Sebastian, aber in Anlehnung an den genetischen Designer aus Blade Runner nennen wir ihn liebevoll JF«, erklärte Perris und wirbelte über ein Touchpad, das Zahlenkolonnen zwischen drei Bildschirmen hin und her jonglierte.

JF saß mit dem Entwicklerteam im dritten Stock, doch im Gegensatz zur Glashauspolitik der unteren Etagen, waren die Fenster und Türen mit schwarzen Postern zugeklebt. Alle versehen mit dem Spruch in roten Lettern:

The revolution will not be televised.

»Ich muss dich vorwarnen. JF ist speziell und bei neuen Kollegen noch etwas spezieller. Aber wenn du ihn einmal als Freund gewonnen hast, bleibt er dir fürs ganze Leben. Habe ich zumindest gehört. Da das für mich nicht gilt, lasse ich dich besser allein hineingehen«, erklärte Perris mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck. »Viel Vergnügen mit der Dream Cloud. Und denk immer dran, es ist wie beim Sex: Das erste Mal vergisst man nie.«

»Selbst wenn es beschissen war?«, rutschte es mir heraus – in Gedenken an das erste Mal in Hannahs altem Kinderzimmer, während ihre Eltern, eine dünne Hauswand weit entfernt, die Tagesthemen anschauten.

»Glaub mir, es wird dich umhauen«, schluckte Perris den Spruch, drehte sich um die eigene Achse und verschwand im Korridor.

Ich klopfte zaghaft gegen die zugepflasterte Bürotür, ohne eine Antwort zu erhalten. Danach kräftiger, doch entweder saß JF auf den Ohren oder war vor mir geflüchtet. Also drückte ich die Klinke hinunter und öffnete die Tür zu einer Dunkelkammer.

Vor mir saß ein untersetzter Halbschatten mit Kopfhörern auf den Ohren, der tief gebeugt und konzentriert auf einen Bildschirm starrte. Der Schreibtisch war vollgepackt mit technischen Geräten und Figuren aus dem Star-Wars-Universum sowie mit einem Stapel futuristisch aussehender Datenbrillen. JF hatte die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und sah wie Post Malone in jungen Jahren aus, nur ohne all die Tätowierungen.