Out of Spite - Tara Rakely - E-Book

Out of Spite E-Book

Tara Rakely

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Beschreibung

Gordon Lassiter gilt in der Unterwelt als gefürchteter Mann. Zuständig für die Drecksarbeit seines illegalen Familienunternehmens regelt er die Dinge vorzugsweise mit den Fäusten. Für gewöhnlich wagt es niemand, seinen Zorn heraufzubeschwören. Bis auf El Delaney, die ihn eines Nachts kaltblütig in die Mündung ihres Revolvers blicken lässt. Ihre Anmaßung bettelt förmlich nach Rache, doch als Schwester des größten Gangsters der Stadt ist sie unantastbar. Und schon bald weiß Gordon nicht mehr, was heftiger in ihm lodert. Sein grollender Zorn oder die glühende Leidenschaft, die diese Frau in ihm entfacht?

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ähnliche


 

 

 

Impressum

 

Copyright © 2025 by Tara Rakely

Alle Rechte vorbehalten.

 

Covergestaltung: Julia Zeiner-Haring

 

Bildnachweise:

© khius – stock.adobe.com

© id512 – stock.adobe.com

© Mr. Music – stock.adobe.com

© Stock-Realm – stock.adobe.com

© SpicyTruffel – stock.adobe.com

 

Kontakt unter:

[email protected]

 

Mehr auf:

www.tharahmeester.com

 

Tharah Meester

Hammersteinstr. 19

5280 Braunau/Inn

Österreich

 

Inhaltsverzeichnis

 

Impressum

Inhalt

Widmung

Vorwort

Content Notes

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Epilog

Nachwort

Danksagung

Über die Autorin

Leseprobe

 

 

 

 

Für Emely und Jessi.

Ihr wisst, warum.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

»Eine Krähe kratzt der anderen kein Auge aus«,

hat Martin Luther einst gesagt.

 

 

Tja. Der Mann hatte leider keine Gelegenheit, Bekanntschaft mit El und Gordie zu machen. Die beiden hätten ihn eines Besseren belehrt.

 

 

 

 

 

Content Notes

 

Dieser Roman beinhaltet körperliche, seelische und sexualisierte Gewalt und behandelt gemäß der Zeit, in der er spielt, die Themen Krieg und daraus entstandene Traumata. Des Weiteren kommen Suizid und Tod vor sowie Unfruchtbarkeit und Gewalt gegen Tiere (diese wird nur erwähnt, nicht gezeigt).

 

Prolog

 

Das ausgelassene Gelächter seiner Brüder verfolgte ihn wie ein zu lauter Attentäter, während er mit zerschundenen Händen die Türen zum Morrison’s aufstieß und die menschenleere Bar betrat. Das Licht ging an und stach in seinen Augen, die sich gerade erst an die Dunkelheit gewöhnt hatten.

»Was für eine Nacht! Der alte Drecksack pisst uns garantiert nicht mehr ins Territorium.« Archie drängte sich an ihm vorbei und ging breit grinsend ein paar Schritte rückwärts. Sein Mantel hing ihm wie eine bewusstlose Geliebte über der Schulter. Ein Blutfleck zierte seinen linken Wangenknochen.

»Mhm«, brummte Joe, den Blick auf das Adressbuch gerichtet, das sie O’Malley abgenommen hatten.

»So deftig, wie du zugeschlagen hast, Gordie, wird er die nächste Zeit sowieso nur noch Blut pissen«, sagte Archie lachend, aber Gordon schwieg.

Joe nickte, ohne den Blick zu heben. »Falls er die Nacht übersteht, wird er sich in Zukunft gut überlegen, in wessen Gebiet er den Hosenschlitz aufmacht.«

»Zeit für einen Drink, würde ich sagen,« meinte Archie.

Joe klappte das Buch zu. »Ich sage, wir arbeiten uns erst mal durch die Namen hier«, erwiderte er mit befehlsgewohnter Stimme. »Nicht, dass uns da ein Fisch entgeht, den wir noch aus dem Teich ziehen müssen, bevor er uns alles verpestet. Gordie kann schon mal Feierabend machen. Hast deine Sache gut gemacht.« Er klopfte ihm kräftig auf die Schulter und wandte sich an Archie. »Na, los.«

»Das lässt dir keine Ruhe, was?«, murrte Archie, setzte sich aber in Bewegung, um Joe nach oben zu folgen. Ihre Schritte brachten die Treppe zum Knarren.

»Nicht, solange noch die Möglichkeit besteht, dass irgendjemand da draußen glaubt, er könnte seine Wetten an mir vorbei abschließen«, sagte Joe auf halbem Wege, was Archie dazu verführte, sich zu Gordon umzudrehen und die Augen zu verdrehen.

Gordon sah ihnen nach, bis sich die Tür zu Joes Büro hinter ihnen schloss und die Stille zurückkehrte, in die die Bar zuvor gehüllt gewesen war.

Doch in seinem Kopf war es alles andere als still. Dort hallte der Kampf nach, der erst vor einer halben Stunde ein Ende gefunden hatte – und auf andere Weise niemals ein Ende fand.

Das ist alles, was du kannst, oder? Kaum mehr Verstand als dein dummer Köter.

Das waren O’Malleys vorerst letzte Worte geblieben, bevor Gordons nächster Schlag ihn das Bewusstsein gekostet hatte. Gut möglich, dass es tatsächlich seine letzten blieben. Gordon hatte sich nicht zurückgehalten. Tat er nie.

Das Licht, das ihm beim Eintreten so grell erschienen war, hatte inzwischen die gewohnte Schummrigkeit angenommen. Es beschien Tische aus dunklem Holz, von denen die meisten auf den Kopf gedrehte Stühle beherbergten. Unzählige angeschlagene Stuhlbeine ragten in die Höhe.

Er ging über den frisch gebohnerten Boden zur Bar und stellte sich mit einem Bein auf den Fußlauf, um blind über den Tresen zu greifen. Seine blutbesprenkelten Finger fanden einen Flaschenhals und den dicken Rand eines Glases, um den sie sich schließen konnten.

Dumpf landete beides auf dem makelbehafteten Holz, über das täglich eine beachtliche Menge Drinks gereicht wurde. Gleich darauf plätscherte Gin aus der Flasche in das Glas. Er leerte es in einem Zug und schenkte sich nach.

Aus dem Spiegel hinter der Bar blickte ihm eine matt wirkende Version seiner selbst entgegen. Der Kampf hatte jeden Rest einer Frisur aus seinen Haaren vertrieben. Die Strähnen hingen ihm form- und orientierungslos über die rasierten Seiten seines Schädels und ins Gesicht. Er strich sie in einer müden Handbewegung zurück und wischte sich über Augen und Wangen. Für einen Moment irritierte ihn die Tatsache, dass er die Kühle seiner Ringe nicht spürte. Dann erinnerte er sich daran, dass er sie vor der Prügelei abgenommen hatte.

Oben in Joes Büro lachte Archie übertrieben laut. Gordon verzog unwillkürlich das Gesicht, das dort oben in diesem Büro unerwünscht war. Jeder muss die Arbeit machen, die ihm liegt, Gordie. Und Kopfarbeit liegt dir nun mal nicht.

Sein Blick streifte die gerahmten Fotos neben der Spiegelwand, ohne sie wirklich wahrzunehmen, während er aus Mantel und Jackett schlüpfte.

Er warf beides auf den Kleiderständer neben der Tür zum Lager und hängte sein Holster dazu, bevor er zu seinem Gin an den Tresen zurückkehrte. Seine ausgedörrten Lippen lechzten danach, erneut befeuchtet zu werden, und er setzte das zweite Glas an, um auch dieses in einem Zug zu leeren.

Das angenehme Brennen in seiner Kehle war noch nicht abgeklungen, als er im Spiegel sah, wie die Eingangstür aufschwang. »Wir haben geschlossen«, verkündete er forsch, was eigentlich jeder Idiot mit Augen im Kopf sehen konnte.

»Dann sollten Sie vielleicht beim nächsten Mal die Türen abschließen, Mr. Lassiter«, antwortete die Frau in Schwarz und ließ ihn ungerührt in die Mündung eines Revolvers blicken.

Ein dunkler Punkt voller Leere und Erlösung, auf den er sich unweigerlich konzentrierte, während sein Herz dumpfer pochte.

»Beim nächsten Mal«, wiederholte sie mit einem spöttischen kleinen Schnauben. »Wie dumm von mir.«

Drei Schüsse.

Kein einziger ließ ihn zusammenzucken.

Kein einziger traf.

Erst in der Stille danach schoss ihm das Blut unerträglich heiß durch die Adern und Zorn explodierte hellrot vor seinen Augen. Wie konnte man drei Mal hintereinander sein Ziel verfehlen, wenn es regungslos vor einem stand?!

Mit einem wütenden Knurren tat er einen Satz auf die Frau zu und riss ihr den Revolver mit der Linken aus den Händen, weil er in den Rechten immer noch sein Glas hielt. Er hob die Waffe drohend über ihren Kopf und ruckte mit dem Arm, als würde er mit dem Griff auf sie einschlagen wollen. Träge und beinahe trotzig wich sie zurück und landete mit dem Hintern auf einem der Stühle, von welchem aus sie ihm kalt entgegenblickte.

»Wenn du wenigstens zielen könntest, du unfähiges Miststück!«

Lautstark stellte er sein Glas auf den Tisch und leerte den Revolver daneben aus. Golden schimmernde Patronen rollten über das Holz. Ein paar davon landeten klimpernd auf dem Boden.

»Gordie, was zum Teufel?!« Seine Brüder stürzten die Treppe herunter.

»Die Schlampe hier dachte, sie könnte mich erschießen«, knurrte Gordon und trat einen Schritt zurück, um Joe das Feld zu überlassen.

Doch der verschwand wortlos hinter dem Tresen. Es war Archie, der an die Frau herantrat und sie am Kinn packte. »Du wolltest also meinen Bruder erschießen, huh?«

Sie sah genauso kalt zu seinem jüngeren Bruder auf wie einen Moment zuvor zu ihm. »Es war lediglich eine Warnung«, sagte sie.

Archie grunzte abfällig, doch Joe fragte: »Eine Warnung von wem?«

»Mickey Donovan.«

»Red’ keinen Scheiß«, spuckte Archie und drückte fester zu, sodass ihre Haut um seine Finger erblasste und porzellanweiß schimmerte. »Als würde Donovan seine hässliche kleine Gouvernante vorschicken, um Denkzettel zu verpassen.«

»Mickey Donovan«, wiederholte Joe und kam langsam näher, die Hand um einen der Bilderrahmen geschlossen, die er hinter dem Tresen von der Wand genommen haben musste. »Dann bist du El Delaney? Die Schwarze Witwe?«

Da Archie sie mit seinem Griff zwang, das Gesicht ihm zuzuwenden, huschten nur ihre dunklen Augen zu Joe hinüber. Doch Antwort gab sie ihm keine.

Bösartig sah sie aus. Von feminin konnte nicht die Rede sein. Ihre Züge waren scharf wie die eines Raubvogels. Dazu tiefschwarzes Haar und schmale Augenbrauen, die wie Rabenflügel in ihr blasses Gesicht gemalt schienen.

»Wovon zur Hölle redest du?«, zischte Archie, der es hasste, nicht zu wissen, worum sich eine Unterhaltung drehte.

»Nimm endlich die Finger von ihr«, befahl Joe und schlug Archie mit dem Handrücken auf den Oberarm. »Sie ist eine Donovan. Dem Bruder wie aus dem Gesicht geschnitten. Wenn Mickey nicht so fett wäre, würd’s mehr auffallen.«

Archie drückte ihr Kinn zusammen und machte ihr einen Schmollmund, wie man es bei einem Flegel von der Straße tun würde, der einen zu beklauen versuchte. »Erklärt, warum sie so hässlich ist.« Er gab sie frei und spuckte auf den Boden neben ihren Schuhen. »Ich glaub’ ihr kein Wort. Sie hat ihn verfehlt und tut jetzt so, als wär’s Absicht gewesen. Zu dumm zum Zielen und dann große Töne spucken.«

»Zu dumm zum Zielen, ja?« Joe legte das Foto auf den Tisch, das er vorhin von der Wand genommen hatte. Es zeigte sie drei auf der Straße vor der Bar am Tag der Eröffnung. Nur hatte keiner von ihnen länger ein Gesicht. Drei Köpfe. Drei Schüsse. Drei Kugeln, die Glas und Fotografie zerschlagen hatten.

Gordon fühlte, wie seine Augenbrauen anerkennend nach oben wandern wollten, und hinderte sie daran, indem er eine noch grimmigere Miene zog.

»Ich würd’ sogar meinen, die Lady zielt besser als du, mein Freund«, sagte Joe, woraufhin Archie mit den Zähnen knirschte. »Was will Mickey von mir? Warum hält er es für nötig, mich zu warnen?«

»Er will reden«, antwortete sie. »Und damit du seine Einladung nicht ausschlägst, hielt er eine Warnung für angebracht.«

»Charmant wie eh und je. Scheint in der Familie zu liegen.«

»Morgen Abend. Neun Uhr. Draußen in Pinecrest. Ihr sollt euch darauf einstellen, über Nacht zu bleiben, sagt er.«

Joe nickte. »Wir werden da sein.«

»Sind wir dann hier fertig?« Ohne die Antwort abzuwarten, stand sie auf und griff nach ihrer Waffe. Mit schlanken Fingern sammelte sie die Patronen ein, die auf dem Tisch geblieben waren. Ihre Hände zitterten keine Spur.

»Brauchst du eine Anstandsdame, El Delaney?«, fragte Joe spöttelnd. »Geleitschutz? Ist immerhin schon spät.«

»Dein Bruder scheint ihn nötiger zu haben als ich.«

Ihre gleichgültig hingeworfene Demütigung landete ohne Umschweife einen Volltreffer in Gordons Ego. »Hätt’ ich mich doch nicht zurückhalten, sondern lieber zuschlagen sollen, huh?«

Auf ihrem Weg zur Tür warf sie ihm einen Blick blanker Verachtung über die Schulter zu. »Lernen Sie aus Ihren Fehlern des heutigen Abends, Mr. Lassiter. Im Zuschlagen sind Sie ja bekanntlich geübt, wie ich mir habe sagen lassen.«

Damit war sie verschwunden, doch ihre kalte, selbstgefällige Miene hatte sich bereits in sein Gedächtnis gebrannt. Blind griff er nach seinem leeren Glas und warf es ihr verspätet hinterher. Statt ein Loch in ihren Schädel schlug er bloß ein Spinnennetz in das eingesetzte Milchglas der Tür und bedeckte den Boden mit Scherben.

»Verdammte Schlampe«, murmelte Archie und zog durch die Nase hoch.

Joe durchquerte den Raum, riss hörbar etwas vom Garderobenhaken und knallte Gordon kurz darauf sein eigenes Holster gegen die Brust. Ein Blick in sein Gesicht reichte, um zu erkennen, dass die aufgesetzte Lässigkeit, die er vor der Frau bewahrt hatte, nun verflogen war. »Das hier nimmst du die nächsten Wochen nicht mehr ab, verdammter Vollidiot! Schlaf damit, bade damit, fick damit, wenn’s sein muss, aber erspar mir die Schmach, dass sich ein Lassiter von irgendeinem dahergelaufenen Weibsbild abknallen lässt!«

Widerwillig griff Gordon nach Leder und Stahl und Joe wandte sich von ihm ab, um die Treppe nach oben zu nehmen. »Ich muss nachdenken.«

Zehn weitere Schritte, dann knallte die Tür seines Büros hinter ihm zu.

»Warum zum Teufel hat er sie die Schwarze Witwe genannt?«, fragte Archie. »Ich hab noch nie von ihr gehört.«

Nach einem Schulterzucken lief Gordon ein paar Mal auf und ab, bevor er den Stuhl, auf dem das Miststück gesessen hatte, an der Lehne packte und schwer atmend die Finger darum schloss.

War doch scheißegal, wie Joe sie nannte. Ganz und gar nicht egal war ihm hingegen die Schmach, die sie ihm gerade angetan hatte.

»Dafür wird sie bezahlen«, knurrte er. Das Holz protestierte mit einem Knacken gegen den Druck seiner Fäuste. Er riss den Stuhl hoch und zerschmetterte ihn an der Wand.

 

Kapitel 1

 

Dichter Qualm stieg von der Zigarre auf, die auf dem Rand des Aschenbechers ruhte, bis kräftige Finger sie zurück in deren Obhut holten. »Ich würd’ mich bei Gordon Lassiter nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.«

El überschlug die Beine und sah auf die Standuhr. Pünktlich auf die Sekunde erstarben vor den gekippten Fenstern die Motorengeräusche und das Licht der Scheinwerfer erlosch. Noch zehn Minuten, bevor der Vorhang aufzugehen hatte. »Du weißt, was Mickey gesagt hat.«

Das ist die perfekte Aufgabe für dich. Du wirst zu einer lebenden Provokation für den Mistkerl. Du wolltest dich nützlich machen, Schwesterherz. Wie du mir von Nutzen sein kannst, wirst du allerdings mich entscheiden lassen müssen.

Autotüren gingen auf und wieder zu. Kies knirschte unter schweren Schritten.

»Das ist ein Spiel mit dem Feuer eines Irren.«

»Ich vermute, genau das ist der Punkt, Charlie.«

Der Alte, an dessen Stuhl ein walnussfarbener Gehstock lehnte, schüttelte den Kopf und brachte damit seine herabhängenden Backen in Bewegung. »Gefällt mir nicht.«

»Spielt keine Rolle, was dir gefällt und was nicht«, sagte Tommy und reichte El ein Glas Gin. Zur Belebung des Gemüts, wie ihre Großmutter gesagt hätte. Er tat es nicht, weil ihn ihr Befinden kümmerte, sondern weil Mickey es ihm aufgetragen hatte.

El nahm ein paar großzügige Schlucke, während sich die Männer mit feindseligen Blicken maßen. Unten in der Eingangshalle legten Mickeys Gäste vermutlich gerade ihre Mäntel und Schirmkappen ab.

Charlie blies Rauchwolken in Tommys Richtung und dachte nicht daran, das Kinn zu senken. »Du findest Lassiter also völlig normal, ja?«

»Er fickt sich durch die Hurenhäuser der Stadt, prügelt sich durch die Boxringe, säuft sich durch die Bars«, zählte Tommy auf und zog eine nachdenkliche Miene, bevor er nickte. »Klingt in meinen Ohren ziemlich normal.«

Sie konnte Tommy nicht leiden, doch der Einwurf war gelungen.

»Gordon Lassiter ist ein Tier«, beharrte Charlie. »Und ihr alle wisst es.« Sein erhobener Zeigefinger wanderte durch den Raum, der in dunkle Rottöne, Zigarettenrauch und schummriges Licht getaucht war.

Freddy tat ihm den Gefallen einer Zustimmung, den Blick auf das Kartenspiel gerichtet. »Der Typ ist krank im Kopf, da hat Charlie schon recht.«

Noch sechs Minuten. El nahm einen weiteren Schluck und fühlte dem Brennen nach, das der Alkohol in ihrer Kehle hinterließ. Hitze machte sich in ihrem leeren Magen breit, doch die schwere, ihr gut vertraute Art von Ruhe verharrte auf ihre Schultern gesunken. Von einer Belebung jedweder Art war nichts zu spüren.

Connor warf eine Karte auf den Tisch und wälzte Kautabak von der einen in die andere Wange. »Sie sagen, er hat in Frankreich den Verstand verloren.«

»Nenn mir einen Mann, der bei heilem Verstand aus dem Krieg zurückgekommen ist«, konterte Tommy und warf sich in den Lehnsessel, um die Füße auf den Beistelltisch zu legen. Zeitungen raschelten unter seinen Stiefelfersen.

»Du musst es ja wissen, Tommy«, meinte Charlie, bevor er grunzte. »Ach nein, warte, du hast unserem König doch gar nicht gedient.«

Tommy fuhr sich ungerührt durchs Haar. »Fick dich, alter Krüppel.«

El leerte ihr Glas, stellte es auf den Tisch und stand auf. Es war Zeit, sich auf ihren Auftritt vorzubereiten. Auf die Szene, die Mickey genauestens durchorchestriert hatte. Als hätten ihn die unzähligen Stunden, die er im Grove Street Cinema verbrachte, zum Regisseur seines eigenen Stummfilms gemacht. Manchmal machte es den Anschein, als glaubte er das wirklich.

Der rote Läufer, der den Holzboden bedeckte, führte sie zur Hintertreppe nach unten ins kleinere Esszimmer, an deren Podest sie stehen blieb.

Mickeys Stimme drang zu ihr herauf. Obwohl Joseph Lassiter ihren Beinamen gekannt hatte, zog ihr Bruder es offenbar vor, ihren Lebenslauf noch einmal vor seinen Gästen auszubreiten. »… sie nach Übersee geschickt und mit einem guten Mann verheiratet. Einem wirklich guten Mann, der auch was vom Geschäft verstand.« Vor allem davon, wie man Alkohol in ein Land schmuggelte, in dem er verboten war. »Aber er hat ihr nicht besonders gefallen, das gebe ich zu. Ich hätte diesem Umstand mehr Beachtung schenken sollen. Dann wäre der arme Harry vielleicht noch am Leben.« Mickey seufzte so schwer wie ein Theaterschauspieler, den man auch in der letzten Reihe noch hören sollte. »Leider hat meine Schwester die Dinge selbst in die Hand genommen. Und mit Dinge meine ich ihr Schicksal und ein Fläschchen Arsen.« Er lachte auch wie ein Schauspieler. Ohne jede Emotion dahinter.

»Warum baumelt sie dann nicht in Übersee an irgend’nem Galgen, wenn sie ihren Mann umgebracht hat?«, fragte Archie, der Jüngste der Brüder.

»Sie ist eine Donovan, Mr. Lassiter.« In Mickeys Stimme lag Stolz, der mühelos die Grenze zum Hochmut überschritt. »Sie hat die Schuld natürlich einem anderen angehängt.« Er schnippte mit den Fingern, woraufhin einer seiner Lakaien aus dem Raum eilte und El im Stillen rückwärts zu zählen begann. Sie war bei neun angelangt, als unten etwas auf den gedeckten Esstisch gestellt wurde.

»Aber lassen wir die unschöne Vergangenheit ruhen«, sagte Mickey. »Ich habe gehört, Shepherd’s Pie ist Ihr Lieblingsessen, Mr. Lassiter.«

Als hätte er diese beiden Sätze tausende Male geprobt, brauchte er genau jene acht Sekunden, die noch übrig waren. Mit einer provokanten Bedachtheit nahm El zehn Stufen nach unten, genau wie Mickey es gewollt hatte. Dann strich sie das schwarze Kleid über ihrem Hinterteil glatt und setzte sich auf die Treppe, um durch die Stäbe des Geländers nach unten zu schauen.

Ihren Bruder sah sie nur von hinten, doch Gordon Lassiters Blick ruhte auf ihr. Stechend, brennend, schneidend.

Hass und Abscheu loderten in seinen Augen. Die Schmach darüber, wie sie ihn zum Gespött gemacht hatte, arbeitete in seinem Gesicht. Seine Lippen waren zu einer schmalen Linie geworden und zuckten drohend nach oben. Er hatte sich in einem Stuhl zwischen seinen Brüdern zurückgelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. El ließ den Blick über seine Erscheinung schweifen – weißes Hemd, goldene Ärmelhalter knapp über den Ellenbogen, schwarze Weste, dunkelbraunes Schulterholster, in dem keine Waffe steckte. Keine Krawatte. Lediglich ein goldener Knopf zierte das ausladende V, das sein Ansteckkragen bildete.

»Meine Schwester hat ihn gemacht«, fügte Mickey hinzu und deutete auf den Shepherd’s Pie, der in der Mitte des Tisches stand. El hörte, dass er grinste.

»Was soll das, Donovan?«, fragte Joe. »Hast du uns nur herbestellt, um meinen Bruder weiter zu provozieren? Ein Blick in seine Miene sollte dir verraten, dass dieses Feuer kein Öl mehr braucht.«

»Dein Miststück von Schwester sollte in Zukunft besser mit offenen Augen schlafen«, knurrte Archie und reagierte sich an Mickeys Silberbesteck ab, indem er es in einer Faust mit weiß hervortretenden Knöcheln knetete.

»Diese Drohung läuft ins Leere«, tat Mickey ungerührt ab. »Er kann sich gerne an ihr abreagieren, wenn das hilft, seinen zu Boden gegangenen Stolz wieder aufzurichten. Das macht mir nichts aus.«

»Für gewöhnlich heißt es doch immer: Keiner rührt unsere Frauen an«, konterte Joe und klang, als wäre er nun besonders auf der Hut.

»Ich handhabe das anders«, sagte Mickey.

»Könnte man dir als Schwäche auslegen.«

»Warum sollte man? Beschützen muss ich nur, was zerbrechlich und empfindlich ist. Das trifft auf meine Schwester nicht zu. Sie ist eine Donovan. Sie wusste, worauf sie sich einlässt, als sie gestern Abend das Haus verlassen hat. Ihr ist klar, dass eine Ehrverletzung nicht ohne Sühne bleiben kann.«

Gordon Lassiter hatte noch kein Wort gesagt und für keine Sekunde die Augen von ihr genommen, während die anderen ihren Disput führten. Sein Schnurrbart war von demselben schmutzigen Haselnussbraun wie sein Haar. Er sah eigentlich nicht übel aus, auch wenn ihr darin viele Frauen widersprechen würden. Ein wenig verbraucht vielleicht und etwas älter, als er mit seinen fast vierzig war.

Mit einem Zähneknirschen, das sie am Zucken seines Kiefers erahnte, beugte er sich vor und tat sich von ihrem Shepherd’s Pie auf. Die Knöchel seiner Finger waren geschwollen, die Haut blau-violett gefleckt, zwei Finger mit weißem Heftpflaster verbunden.

Sein Bruder packte ihn am Oberarm und zischte ihm seinen Kosenamen zu, doch Gordon Lassiter schüttelte ihn ab, ohne den Blick von ihr zu nehmen. Er stopfte sich einen Bissen in den Mund und kaute gründlich, bevor er schluckte.

Damit sollte die Sache erledigt sein. Er hatte allen bewiesen, wie mutig er war. Obwohl sie eher den Verdacht hegte, es sei ihm gleichgültig, ob das Essen vergiftet war oder nicht. Ebenso gleichgültig, wie er gestern vor ihr gestanden hatte, als sie die Waffe auf ihn gerichtet hielt. Es hatte nicht den Anschein gemacht, als würde er besonders an seinem Leben hängen. Tat es auch jetzt nicht.

Anstatt das Besteck beiseitezulegen, senkte er den durchdringenden Blick und aß einfach weiter.

Mickey gab ein überraschtes Glucksen von sich, legte den Kopf schief und griff nach dem Servierbesteck, um sich ebenfalls eine Portion aufzutun. »Ich schätze, wir können jetzt zum Geschäft kommen.«

 

*

 

Grimmig starrte er gegen zwei Uhr morgens in den kalten Kamin des Gästezimmers, in dem er untergebracht war. Stimmen jagten einander durch seinen Kopf, doch in dieser Nacht bellten sie zur Ausnahme kein Deutsch.

Es grenzt direkt an das Zimmer meiner Schwester, ist das nicht ein amüsanter Zufall? Die Erinnerung an Mickey Donovans selbstgefälliges Lächeln am Treppenabsatz blitzte vor ihm auf, gleich darauf wurde es von Joes Gesicht abgelöst, der mit verkniffenen Lippen auf ihn einredete.

Es ist eine Falle, Herrgott noch mal. Nenn es meinetwegen einen verfickten Test, aber tu mir den Gefallen und bleib in diesem Scheißzimmer, bis er uns zum Frühstück holt. Hältst du das aus? Hast du dich so weit im Griff, dass ich mich auf dich verlassen kann?

Ich finde, die hat’s verdient, dass man ihr zumindest einen kleinen Schrecken einjagt.

Was du findest, interessiert mich nicht, Archie. Sie hat in der Abgeschiedenheit einer verlassenen Bar eine Waffe auf ihn gerichtet, nicht vor den Augen der ganzen Stadt, also erspart mir euer Gefasel von Schmach und Schande.

Donovans Männer wissen davon, auch ohne dabei gewesen zu sein. Worüber, glaubst du, machen sie sich die nächsten Wochen lustig, huh? Doch wohl über unseren Br-

Es interessiert mich nicht, Archie! Das, was Mickey Donovan uns anbietet, hat mehr Wert als das Gerede von ein paar Handlangern. Gordon, hast du mich gehört? Kannst du dich ein einziges Mal unter Kontrolle halten, bitte, ja?

Sein Bruder hatte ihn an der Hemdbrust gepackt, um ihn zu einer Antwort zu zwingen, doch Gordon hatte bloß knurrend seine Hände fortgeschlagen.

Für gewöhnlich war es Joe nur recht, wenn Gordon die Kontrolle über sich verlor. Wenn es zum Beispiel darum ging, die Drecksarbeit zu erledigen – Leute einschüchtern, Lektionen erteilen, Feinde aus dem Weg schaffen. Dann fand sein Bruder es sogar ganz wunderbar, wenn ihm die Kontrolle entglitt.

Reiß dich zusammen und lass die Finger von dieser Giftschlange. Vermassel uns die Sache nicht. Das hier kann was Großes werden, also sei kein Vollidiot!

»Sei kein Vollidiot«, wiederholte er mit knirschenden Zähnen und fuhr sich grob durchs Haar. »Sei kein Vollidiot.« Er kaute auf den Silben wie auf blutigem Blei. Seit Jahren immer wieder dieselbe Ermahnung, die sich ein Mann nicht von seinem Bruder gefallen lassen sollte. Schon gar nicht von einem Bruder, der drei Jahre weniger zählte. Doch obwohl Gordon der Älteste von ihnen war, stand er in der Hierarchie eine Stufe unter Joe seit … Seit dem Tag, an dem ihr Vater gestorben war. Vielleicht schon davor. Vielleicht schon immer.

Er bleckte die Zähne wie ein drohender Wolf und als die fast schmerzvolle Grimasse auch nach mehreren Herzschlägen nicht verschwinden wollte, musste er sie sich mit der Hand aus dem Gesicht wischen.

In seinem Bemühen, vor der in tiefschwarzer Nacht aufblühenden Erinnerung zu fliehen, lenkte er seine Gedanken zurück zu El Delaney und all die Wut seines gesamten Lebens schoss sich gnädigerweise sofort auf sie ein.

Auf ihre Anmaßung, in seiner Bar eine Waffe auf ihn zu richten und dabei auch noch dermaßen kalt und ungerührt zu sein. Auf die Tatsache, dass sie nicht vor ihm zurückgewichen war. Ja, dass sie nicht einmal so anständig gewesen war, wenigstens zu blinzeln, als er ihr mit erhobenem Arm gedroht hatte!

Was dachte dieses kleine Miststück eigentlich, wer zur Hölle sie war?!

Ruckartig kam er auf die Beine und traktierte mit den Schuhsohlen den Holzboden, indem er in dem spärlich beleuchteten Zimmer auf und ab lief. Es war zu eng und zu klein, um ihm Erleichterung zu verschaffen, aber er setzte sich trotzdem nicht wieder hin.

Er hatte viele Gründe, diese Frau zu verabscheuen, und das wusste sie. Doch am allerübelsten nahm er ihr eine Sache, von der sie nicht einmal ahnen konnte. Diesen verdammten Traum, aus dem er verschwitzt und mit pochender Erektion hochgefahren war; seine Haut prickelnd wie elektrisiert. Der Traum, in dem sie ihm mit erhobener Waffe gegenüberstand und ihm befahl, vor ihr auf die Knie zu gehen. Der Traum, in dem er gehorchte.

Das Geräusch einer aufgehenden Tür draußen im Gang war wie ein Schlag ins Gesicht und seine Reaktion fiel genauso aus, als hätte er gerade einen einstecken müssen. Nur wenige Sekunden und ein paar harte Herzschläge. Mehr brauchte er nicht, um aus dem Zimmer in den Flur zu stürzen und sich zu vergewissern, dass sein Zorn das richtige Opfer treffen würde.

Mit dem nächsten Atemzug hatte er sie gepackt und mit dem Rücken an seine Brust gerissen. Ein Ruck ging durch ihren Körper – endlich, Herrgott noch mal!

Doch nach dem ersten Schrecken stand sie vollkommen still und ließ sich die Klinge seines Lever-Lock an die Kehle drücken. Erst als sich das Mondlicht darin reflektierte, bemerkte er, dass er das Springmesser aus der Tasche gezogen und hatte aufschnappen lassen. Seine Hand vibrierte vor Anspannung.

»Dein Bruder sagt, ich soll mich an dir abreagieren«, knurrte er schwer atmend in ihr Ohr, wobei ihn eine Strähne ihres Haares an der Wange kitzelte. »Ich finde auch, dass ich das tun sollte. Wenn du mich schon zum Gespött machst, sollst du wenigstens wissen, mit wem du dich anlegst.« Er ließ den Griff um ihre schmale Taille fester werden.

Sie gab keine Antwort – weder gesprochen noch in Form einer Geste. Andere Frauen legten einem meistens die Hände an den Arm, wenn man sie auf so drohende Weise anfasste. El Delaney tat nichts dergleichen. Frustrierend.

Ebenso frustrierend wie die Irritation, die ihm ihr Duft aufdrängte. Der war feminin, ohne damenhaft oder gar zart zu wirken. Schwer. Rauchig. Von dunkler Sinnlichkeit. Seine Nasenspitze ließ sich gar nicht von dem Punkt wegbewegen, an den sie ihr Parfum getupft hatte. »Gefällt es dir, mich zu demütigen, hm?«, fragte er mit angerauter Stimme. »Wirst du zukünftig damit angeben, wenn du mit einem von Donovans Handlangern fickst?«

»Ich bezweifle stark, dass du auch nur flüchtig meine Gedanken kreuzen wirst, wenn ich jemanden ficke, Lassiter.«

Aus irgendeinem Grund machte ihn nicht nur ihr kalter, überheblicher Tonfall wütend, sondern auch das, was sie sagte. »Vielleicht sollte ich hier meine Signatur hinterlassen, damit du ganz sicher an mich denkst.« Er ließ die Klinge tiefer gleiten, wanderte langsam zum Ausschnitt ihres Nachtkleides hinunter, bis sich die Schneide des Messers in etwas verhakte und er sie wieder an ihre Kehle hob. Sein irritierter Blick suchte und entdeckte das Hindernis.

»Hast du deinen Mann deswegen umgebracht? Weil er dir dieses scheußliche Ding da geschenkt hat?« Er griff mit der freien Hand nach der Kette, schloss die Finger um den dunklen Anhänger und riss ihr das Schmuckstück vom Hals.

Das metallische Klicken, ihr Ausstoßen von Luft und die durch den Gang hallende Ohrfeige, die folgten, schienen alle in einen einzigen Herzschlag zu passen.

Er hob eine Hand an seine brennende Wange, spürte warmes Nass an den Fingern der anderen und kämpfte mit seiner Verwirrung.

El Delaney hatte sich losgerissen und ihm die Kette abgenommen. Ihr Blick versprühte blanken Hass – kalt und hart wie Stahl. »Rühr diese Kette noch einmal an und deine billigen Nutten können dir den Schwanz lutschen, ohne dass du dich auch nur im selben Stadtviertel aufhalten musst.«

Gordon schluckte schwer. Nicht wegen der Drohung, sondern weil er das Blut bemerkte, das ihre fahle Haut hinabströmte und innerhalb von Sekunden ihren weißen Kragen tränkte. Im schummrigen Dunkel der Nacht hatte das hell schimmernde Rot etwas Obszönes. Der einzige makabere Farbtupfer in einer Welt aus Grautönen. Ein Anblick, den er eigentlich gewohnt war. Doch der hier traf ihn bis ins Mark.

Sie machte auf dem Absatz kehrt und ließ ihn im Flur stehen. Ihr Rücken war durchgedrückt, ihr Kinn stolz gereckt. Bevor sie um die Ecke verschwand, hob sie die Hand in einer knappen, verärgerten Geste an ihren Hals, als wäre ihr die Verletzung höchst zuwider.

Benommen zog Gordon sich in sein Zimmer zurück. Das Messer ließ er vor dem Kamin fallen, bevor er die Hand zur Faust ballte und warmes Nass darin einschloss, das dort nicht sein sollte. Seine verkniffen gebleckten Lippen formten stumme Flüche, bis er sich mit der Linken über den Mund fuhr. Dann legte er sie mit gestreckten Fingern an die Wand und lehnte sich dagegen, um mit der Rechten so lange auf die Holzverkleidung einzudreschen, bis eine der Latten zerbarst und sich sein eigenes Blut mit ihrem mischte.

 

*

 

Mit vor dem Oberkörper verschränkten Armen und einer Schulter an die Wand gelehnt stand El am Ende des Ganges, der zur Galerie im ersten Stock führte. Sie wartete auf das Stichwort ihres Bruders, das er unten in der Eingangshalle bald fallen lassen würde – das er den Lassiters vor die Füße spucken würde, während er sich von ihnen verabschiedete.

Seine weiche, volle Stimme drang die Treppe herauf, schwadronierte noch von der Einrichtung, für die sich bestimmt keiner der Brüder interessierte.

Genauso wenig wie sie. Ihre Gedanken schweiften ab und wandten sich der letzten Nacht zu. Mickey, in dessen Auftrag sie gestern so spät noch aus dem Zimmer gekommen war – um Angriffsfläche zu bieten – war geradezu begeistert gewesen von der Wunde, die Lassiters Schnappmesser an ihrem Hals hinterlassen hatte. Der arme alte Charlie hatte sich in seiner Meinung bestätigt gefühlt, während er sie wortlos brummend verarztete.

Keinem der beiden hatte sie erzählt, dass Lassiter sie nicht mit Absicht verletzt hatte. Weil sie erstens nicht wissen konnte, ob er seiner Drohung nicht doch noch hätte Taten folgen lassen. Und zweitens, weil sie die Neugier ihres Bruders nicht wecken wollte. Die Sache würde ihm keine Ruhe lassen. Seine Gedanken würden fortwährend und immer fieberhafter um die Frage kreisen, wie Lassiter mit ihr verfahren wäre, wenn sie ihm freie Hand mit sich gelassen hätte. Er würde ein neues Schauspiel inszenieren wollen und obwohl sie Gordon Lassiter nicht im Mindesten scheute, hatte sie keine Lust auf ein sinnloses Theater, das nur das Ziel verfolgte, Mickeys überzogenen Wissensdurst zu stillen.

»Nehmen Sie sich eine kleine Bedenkzeit, meine Herren«, sagte Mickey unten in der Halle. »Falls Ihre Entscheidung zugunsten einer Zusammenarbeit ausfällt, kommen wir heute in einer Woche wieder hier zusammen. Samstag, elf Uhr vormittags, der Brunch wird bereitstehen. Und falls Sie nicht auftauchen, wird die Dienerschaft eben speisen wie an Weihnachten. Na, wie klingt das?«

In Joes zustimmende Antwort hinein stieß El sich von der Wand ab und tat die wenigen Schritte bis zum Geländer der Galerie. Sie trug Schuhe mit Absatz und achtete darauf, dass sie mit dem Holzboden aneinandergerieten, um Mickey ausreichend Chance zu verschaffen, ihr Kommen zu bemerken. Das rhythmische Klacken hallte durch die hohe Halle. Mickey drehte sich zu ihr um und legte in gespielter Überraschung den Kopf schief, während auch die Brüder zu ihr hochblickten. Der Verband um ihren Hals war nicht zu übersehen und verlangte nach Reaktionen. Während Archie grinste und Gordon auf die Schulter klopfte, senkte dieser nur schnell den Kopf und verschränkte die Hände vor sich wie ein Kerl, der vor einem offenen Grab einen letzten Abschied murmelte.

Mickey gab einen undefinierbaren Laut von sich. »Ich sehe, der Lassiter-Kronprinz hat die Gunst der Stunde genutzt und sich seinen Stolz zurückgeholt.«

Joes Miene nahm nach einem Anflug von Wut eine brüchige Undurchdringlichkeit an, bevor er für seinen Bruder in die Bresche sprang. »Du hast ihn gewissermaßen dazu aufgefordert. Hast du etwa nicht ernst gemeint, was du gestern gesagt hast? Kann man dein Wort nicht für bare Münze nehmen?«

Mickey warf ein vielsagendes Lächeln zu ihr hinauf, ehe er sich den Männern zuwandte. »Durchaus kann man das«, erwiderte er im Tonfall eines Schlangenbeschwörers. »Ich habe nur eine Feststellung getätigt, mein Freund. Ich stehe zu meinem Wort. Ohne Ausnahme.«

Joe nickte, wirkte jedoch alles andere als zufrieden. Eher gespannt wie der Hahn einer geladenen Waffe, obwohl er es zu verbergen versuchte.

Der Rest der Verabschiedung bestand aus den üblichen Floskeln und dem obligatorischen Händeschütteln, von dem Mickey nicht viel hielt.

Kaum waren die Brüder aus der Tür, wischte er sich die Hand an der Hose ab und murmelte: »Fehlt nur noch, dass er sich in die Handfläche spuckt, wenn wir den Deal besiegeln.«

»Du wirst es überleben.« El strich mit den Fingerspitzen über das Mahagoni-Geländer, bevor sie davon wegtrat.

»Würdest. Sag bitte würdest«, stöhnte Mickey, während er die Treppe heraufkam und aufgrund seiner Leibesfülle ins Schnaufen geriet. »Vielleicht habe ich ja Glück und es kommt nicht dazu. Obwohl … sie sind wirklich fürchterlich primitiv, diese Lassiters, findest du nicht?«

El gab keine Antwort, während sie sich in den Erker stellte und den Vorhang eine Winzigkeit zur Seite schob. »Du sagtest, Joe hat Potential.«

Mickey tat es ihr auf der anderen Seite des Fensters gleich. »Ehrgeiz. Den hat er im Übermaß. Der Mann geht über Leichen, um seinen Status zu verbessern.«

Draußen vor dem Haus wanderten drei Gestalten durch den Nebel des Herbstmorgens auf ihre Autos zu. Sie trugen ihr Gewand – Dreiteiler, weißes Hemd, Mantel und Schirmkappe – wie eine Uniform. Gewissermaßen die Uniform der Arbeiterklasse, doch an den Brüdern wirkte der Aufzug irgendwie teurer.

Gordon Lassiters Gang hatte etwas Aggressives an sich. Als versuchte er wettzumachen, dass seine Statur eher schmächtig wirkte.

»Der Älteste macht auf mich den Eindruck eines Kostverächters«, sagte sie.

Mickey lachte. »Na, deinen Shep gestern hat er sich reingestopft, als gäb’s kein Morgen. Hat sich sogar Nachschlag genommen.«

»Vielleicht hat er gehofft, dass es danach tatsächlich kein Morgen gibt.«

»Denkst du, er ist des Lebens müde?«

»Möglich.«

»Möglich«, wiederholte Mickey mit einem merkwürdigen Unterton, als wüsste er etwas, wovon er nicht gedachte, ihr zu erzählen. Mit spürbar wachsender Spannung beobachtete er, wie Joe sich an Gordons Seite gesellte und auf ihn einzureden begann. »Aber lass dich von seinem hageren Körperbau nicht täuschen. Er ist dürr, ja, aber das, was da ist, sind alles Muskeln. Du findest kein Gramm Fett an dem Kerl. Ich habe ihn boxen sehen und ich habe ihn kämpfen sehen. Im Ring und in der Gosse – besonders in der Gosse – wird er zum Tier, gegen das ein gewöhnlicher Mensch keine Chance hat. Wenn diesem Mann die Kontrolle entgleitet, dann gnade dir der Teufel. Ah, sieh an …«

Bei den Wagen angekommen, die vom Tau noch beschlagen waren, packte Joe Gordon am Revers und wurde jäh zurückgestoßen, was ihn auf dem weißen Kies fast die Balance gekostet hätte. Gordon hob den Zeigefinger in Richtung seines Bruders und warf ihm zwischen gefletschten Zähnen ein paar Worte hin, bevor er in seinen Wagen stieg und die Tür mit Gewalt zuknallte.

»Joe hat ihm offenbar verboten, seine Rache an dir zu nehmen«, sagte Mickey. »Ich hab’s ihm schon von der Nasenspitze abgelesen, als du aufgetaucht bist.«

Der Motor wurde angelassen und Gordon fuhr so dicht an Joe vorbei, dass den gewiss ein Luftzug streifte. Archie hob die Hände, als stellte er stumme Fragen.

»Der Ältere hat deinen Blick gemieden«, sagte Mickey, während die verbliebenen Lassiters in das zweite Auto stiegen. »Reue?«

Innerlich aufseufzend sah sie Gordon Lassiters Wagen nach. Er folgte der Landstraße zwischen zwei Feldern und verschwand bald im Nebel. Nun war Mickeys Neugier geweckt, ohne dass sie etwas dazu beigetragen hätte. »Vielleicht hat er auch einfach bloß mit der Sache abgeschlossen. So, wie du es auch tun solltest. Du hattest dein Vergnügen, Mickey, jetzt kommt das Geschäft.«

Er schürzte die Lippen und blieb ihr eine Antwort schuldig. Kurz bevor auch der zweite Wagen vom Nebel verschluckt wurde, schnaubte er. »Ich hoffe, Joe hat seinen Kettenhund besser im Griff, wenn es darauf ankommt. Ich will keine unschönen Überraschungen erleben, nur weil Gordon Lassiter nicht länger auf das Sitz, Platz, Aus seines kleinen Bruders spurt.«

»Dann solltest du vielleicht kein weiteres Öl ins Feuer gießen, indem du ihn als den Lassiter-Kronprinzen bezeichnest und die offenbar bereits etablierte Rangordnung zwischen ihnen in Frage stellst.«

Mickey ließ den Vorhang an seinen Platz zurückfallen und bleckte in einem Grinsen die Zähne. »Du kennst mich, El. Öl ist mein zweiter Vorname.«

 

Kapitel 2

Ein einziger Blick reichte ihr, um in der hageren Gestalt vor Mickeys protzigem Landhaus Gordon Lassiter zu erkennen. Und das, obwohl er ihr den Rücken zuwandte, während er langsamen Schrittes Furchen in den Kies wanderte. Er war allein und – wie vermutlich die meiste Zeit – in die Uniform seines Standes gehüllt. Der schwarze Mantel reichte ihm bis zu den Kniekehlen und man sah schon von hinten, dass er ihn offen trug. Die schwarzen Hosen betonten die Schlankheit seiner Beine. Eine Säule hellen Rauchs stieg über seinen Kopf samt Schirmkappe empor und franste in der leichten Brise aus.

Die Lassiters hatten sich also für eine Zusammenarbeit entschieden. Oder besser gesagt: Joe hatte sich entschieden.

Mehrere Wagen desselben Modells standen auf dem Kiesplatz und wirkten in ihrem einheitlichen Schwarz wie eine sonderbare Begräbnisgesellschaft.

Ein paar Kerle, die vermutlich zu den Lassiters gehörten, rauchten und redeten vorne bei dem schmiedeeisernen Tor zu den Stallungen. Neben dem Brunnen in der Mitte des Platzes spielten Ed und Freddy eine Partie Karten, wobei ein ebenfalls schwarzer Regenschirm besagte Karten vor dem Niesel schützte, dem El sich schutzlos auslieferte. Sie mochte das Gefühl von Regen auf der Haut.

Jetzt zog sie das Schultertuch enger um ihren Körper und wich der Pfütze aus, die nach jedem Wolkenguss in dem Schlagloch stand, das sich kurz vor dem Ziel in die unbefestigte Zufahrtsstraße gefressen hatte.

Sie ging hinter den Autos entlang, die alle in dieselbe Richtung geparkt waren, und besah sich ohne Interesse die schlammbespritzten Nummernschilder, als aus einem der Wagen ein zurückhaltendes Boof ertönte.

Gleich darauf streckte ein Hund den wuchtigen Kopf durch das offene Fenster auf der Rückbank. Tiefschwarzes Fell wies kastanienbraune Zeichnungen um die Lefzen auf und spitze Ohren zuckten misstrauisch, während dunkle Augen sie fixierten – das rechte war von einer schlecht verheilten Narbe gezeichnet, die sich bis zwischen zwei imposante Stehohren zog. Weitere Narben fanden sich auf dem muskulösen Körper des Tieres wieder.

»Schönen guten Morgen auch, der Gentleman oder die Lady.«

Ihre sanfte Begrüßung entlockte diesem Ungetüm von Hund ein überraschend hohes Fiepen und besagter muskulöser Körper verlor alle Anspannung, bevor er begann, von einem Stummelschwänzchen ausgehend zu pendeln.

Früher, als ihre Lippen es noch nicht verlernt hatten, hätte ihr das ein Lächeln entlockt. Heutzutage nicht mehr. Der Aufforderung kam sie natürlich trotzdem nach und kraulte geschmeidig glattes Fell an genau den richtigen Stellen, wenn sie das wohlige Brummen richtig interpretierte, das das Klimpern der großgliedrigen Kette um den Hals des Tieres übertönte. Ein großer Hundekopf wurde ihr in allen möglichen Verrenkungen in die Hände gedrückt und zwei Pfoten schmatzten rhythmisch auf dem Leder des Rücksitzes, das der Hund bearbeitete wie ein hungriges Kitten den Bauch der Mutter. Ein prüfender Blick verriet El, dass sie einen Gentleman und keine Lady vor sich hatte.

»Ich muss dann wieder, Sweetheart«, murmelte sie bedauernd und knetete ein letztes Mal den Ansatz eines Stehohrs, bevor sie sich zurückzog.

Ein enttäuschtes Schnauben wurde ihr hinterhergeschickt und zu einem kleinen Niesen, während sie über knirschenden Kies auf das Haus zusteuerte.

Gordon Lassiter wandte ihr nicht länger den Rücken zu. Er wanderte auch nicht mehr über den Platz, sondern stand vor dem Nebengebäude und sah zu ihr herüber. Diesmal trug er statt keinem Halsschmuck eine dunkle Fliege. Die Linke hatte er in die Westentasche geschoben, daneben blitzte eine Uhrenkette golden auf. Mit der Rechten führte er eine Zigarette zum Mund. Der Qualm verschwand in seinen Lungen und El betrat die Villa, bevor er das Tageslicht erneut erblickte.

Schon bevor die Eingangstür ins Schloss fiel, flogen ihr die gebellten Befehle ihres Bruders um die Ohren.

»… fahrt auf der Stelle zu Boswick rüber und erinnert ihn daran, was er mir versprochen hat. Es kann nicht sein, dass er in einem derart kritischen Moment beginnt, seine Loyalitäten zu hinterfragen.«

»Wann wäre so ein Moment jemals nicht kritisch?«, warf Joe ein, der neben Mickey die Treppe herunterkam. Sein Mantel ruhte in seiner Armbeuge.

»Auch wieder wahr«, gestand Mickey ihm zu und zog einen Schmollmund, der verriet, wie widerwillig ihm diese Worte über die Lippen kamen. »Ich nehme an, ich darf bei Ihnen den Beifahrersitz belegen, Mr. Lassiter? Dann können wir das Gespräch auf der Fahrt in die Stadt weiterführen.« Sobald Joe genickt hatte, wandte Mickey sich wieder an seine bereits ausschwärmenden Handlanger und gab Anweisungen wie der Regisseur, für den er sich hielt. »… zwei Wagen hinter uns her. Tommy, du fährst mit Con voraus und checkst die Straße. Ich will heute keine Überraschungen. Los jetzt, nehmt die Beine in die Hand.«

El stand in der Halle neben der Kommode und ließ die Männer vorbei, die der Reihe nach Hüte und Mäntel von den Garderobenhaken pflückten wie artige Schuljungen nach dem Läuten der Glocke. Tommy schnappte sich einen Schlüsselbund aus der Schale und warf ihn durch die Luft, um seine Lässigkeit zu betonen, während alle anderen sichtlich angespannt aus dem Haus strömten.

»El!« Mickey trippelte die letzten Stufen herab und wedelte mit einem braunen Umschlag in der schwer beringten Hand. »Du hast was zu erledigen. Mantel und Holster, hopphopp.« Er verschwand mit seinem neuesten Schatten namens Joe Lassiter aus der Tür, die offen stehen blieb. Die Geräusche und der Geruch von startenden Motoren drangen in die leere Halle.

El legte ihr Holster an, schob die Waffe in die Halterung und griff nach ihrem Mantel, den sie im Wagen nicht brauchen würde und daher nicht überstreifte.

Draußen am Absatz der Freitreppe, die nur aus fünf steinernen Stufen bestand, scheuchte Mickey einen der Pferdeburschen vom Hof, der wohl die abfahrenden Autos hatte bestaunen wollen.

»Sie sind so fürchterlich neugierig, solange sie neu sind«, murrte er Joe zu, der verständig nickte. »Halten ständig Maulaffen feil.«

Gordon Lassiter stand nur drei Schritte von seinem Bruder entfernt. Als El nun neben dem ihren ankam, drückte Mickey ihr den Umschlag in die Hand.

»Der hier muss auf schnellstem Wege in der Innentasche von Dick Harris’ geschmacklosem Jackett landen«, sagte er.

»Wo finde ich ihn?«

»Das ist, als würdest du mich fragen, wo man den Teufel findet.«

Auf der Pferderennbahn also. »Hätte ja sein können, dass er seine Gewohnheiten während meiner Abwesenheit geändert hat.«

Mickey schüttelte den Kopf. »Immer noch fleißig bei den alten Gaunereien.«

»Wer fährt mich?«, fragte sie und hoffte auf zwei Silben, die Charlie bildeten.

»Ich würde mir wünschen, dass das der erstgeborene Lassiter übernimmt«, erwiderte Mickey mit zuckenden Mundwinkeln.

Joe stieß Luft aus. »Ich bin mir sicher, dass sich jemand anderes finden lässt. Ich stelle selbstverständlich einen meiner Männer dafür ab, da die Sache ja vor allem unsere Seite betrifft. Von mir aus auch zwei.«

»Ich möchte aber, dass meine Schwester dort mit einem Lassiter gesehen wird. Dort sind alle möglichen wichtigen Leute versammelt. Die sollen sich schon beim ersten Blick fragen, mit welcher unheiligen Verbindung sie es von nun an zu tun bekommen, und keinen zweiten hinwerfen müssen, um sich erst dann zu fragen, ob das etwa einer von Ihren Männern ist, Joe.« Mickey warf einen scheinbar beiläufigen Blick auf seine Taschenuhr – alles Teil seiner Show. »Uns fehlt die Zeit zum Diskutieren. Können wir?«

Die Brüder wechselten einen Blick. Der von Gordon Lassiter stach brennend wie Höllenfeuer aus seinem wutverzerrten Gesicht hervor, während Joe ihm eine stumme Warnung entgegenschickte. Alles andere als stumm war der Fluch, den Gordon ausstieß, bevor er die Zigarette so gewaltsam zu Boden warf, als könnte er sie auf dem Kies zerschmettern, und sich in Bewegung setzte. Sein Gang war wie gewohnt aggressiv. Er hielt die Fäuste geballt, als müsste er gleich jemandem in die Fresse schlagen. Primitiv, wie Mickey sagen würde.

Nach zehn Schritten, die er mit weiteren kreativen Flüchen untermalte, warf er ihr einen Blick über die Schulter zu. »Wie wär’s, wenn du langsam in die Gänge kommst, Weibsbild? Soll ich dir erst den roten Teppich ausrollen, oder was?«

El versprach Mickey, der seine Erheiterung nur schlecht verbarg, für später ein langes qualvolles Leiden, ohne dass sie dazu mehr als ihre Augen benutzen musste, und folgte dem Mann, mit dem sie gleich für zwei Stunden in einem Wagen eingepfercht sein würde.

Zu ihrer Überraschung stieg Lassiter ausgerechnet in jenes Auto, aus dem sie vorhin um eine Streicheleinheit angebettelt worden war. Der Hund begrüßte seinen Herrn überschwänglich, bekam jedoch bloß so flüchtig den Hals getätschelt, dass sie sich die Berührung ebenso gut eingebildet haben könnte. Kein Wunder, dass das bemitleidenswerte Tier nach Aufmerksamkeit lechzte, wenn dieses halbherzige Abklopfen alles an Liebkosung war, wozu sein Besitzer sich durchringen konnte.

Kaum zog sie die Wagentür auf, wurde sie sich des Anhängers ihrer Halskette bewusst, der sonderbar kalt auf ihrer Haut ruhte, als wäre ihm Gordon Lassiters Gegenwart unangenehm. Auch das wäre kein Wunder.

Begleitet von neu entflammter Wut ließ sie sich auf die Bank fallen und knallte die Tür zu. Gleich darauf fuhr ihr ohne Umschweife eine kühle Hundeschnauze ins Gesicht und wollte sich tapfer ihrem Zorn entgegenstellen, doch Gordon Lassiter schob diesen Bemühungen spürbar verärgert einen Riegel vor. »Zurück.« Aus seinem Mund klang das Wort wie ein einziger Zischlaut – wie der Knall einer Peitsche, mit der man ein Pferd züchtigte.

Der Hund gehorchte noch im selben Atemzug und rollte sich mit einem Fiepen auf der Rückbank zu einem Bündel zusammen. Sie warf einen Blick nach hinten, während der Motor angelassen wurde, und brachte die Narben auf dem Körper des Hundes letztendlich mit dem Arschloch hinter dem Steuer in Verbindung. »Ist er dein Schutzschild oder dein Prügelknabe?«

Lassiter lenkte den Wagen von Mickeys Anwesen. Ein Muskel in seinem Kiefer zuckte. »Wie wär’s, wenn du das Maul hältst?« Er zog sich die Schirmkappe vom Kopf und warf sie auf die Bank neben sich, bevor er sich durchs Haar fuhr.

Zu einem anderen Zeitpunkt hätte sie die ruppige Geste – die schlanken Finger in den haselnussbraunen Strähnen – vielleicht anziehend gefunden. Im Augenblick fand sie den Mann einfach nur widerlich.

»Ich hoffe, ich werde auf der Rennbahn zu Tode getrampelt«, sagte sie. »Dann bleibt mir wenigstens die Rückfahrt erspart.«

»Wie wär’s, wenn ich uns in den nächsten zehn Minuten totfahre? Dann hätten wir’s früher hinter uns.«

»Wie wär’s, wenn du den nächsten Satz zur Ausnahme nicht mit wie wär’s einleitest?«, spottete sie, während sie in ihren Mantel schlüpfte. Die hinteren Fenster standen offen und ihr Chauffeur machte keine Anstalten, sie zu schließen. »Aber dein Vorschlag gefällt mir. Du würdest mir einen Gefallen tun.«

»Dann will ich es nicht mehr«, sagte er.

»Dann fick dich.«

»Na, wenn du’s schon anbietest.« Er tat, als würde er seine Hosen aufmachen, winkte aber schon vor dem ersten offenen Knopf ab. »Vergiss es. Wenn ich dich anschaue, vergeht mir die Lust auf alles.«

»Wäre schön, wenn dir die Lust aufs Reden verginge.«

Dieser Wunsch erfüllte sich nicht. Stattdessen bewies Gordon Lassiter in einem weiteren Satz, dass er mit einem sehr viel ausgeprägteren Gossenakzent sprach als seine Brüder. »Verfolgt Donovan mit dieser Scheiße eigentlich irgendein Ziel oder was soll das hier werden?«

»Das hier«, begann sie und seufzte einmal tief, den Blick durch den Rückspiegel auf den Wagen gerichtet, in dem ihr Bruder hockte und sich königlich amüsierte, »ist Mickeys Art von Humor.«

 

*

 

Grüne Bäume und graue Wolken zogen an ihnen vorbei. Ihm blieben noch fünf Minuten. In einer kurzen Pinkelpause, die Hunter auf halbem Wege verlangt hatte, hatte El Delaney ihn gefragt, wie der Hund hieß. Seither war kein Wort mehr zwischen ihnen gefallen. Was hätten sie sich auch zu sagen? Nur der Fahrtwind, in den Hunter gelegentlich die Nase steckte, sorgte dafür, dass es im Wagen nicht vollkommen still war. Bald würden sie die Rennbahn erreicht haben. Er sah sie schon von hier aus. Vermutlich wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, sich eine Entschuldigung von der Zunge zu zwingen. Oder, na ja … Entschuldigungen waren nicht sein Ding, aber er wollte ihr zumindest sagen, dass es nicht seine Absicht gewesen war, ihr wehzutun. Dieses befremdliche Bedürfnis überkam ihn jedes Mal, sobald sein Blick auf den Verband um ihren Hals fiel. Er war nicht mehr so gut gepolstert wie letzte Woche, aber er war noch da. Ein blendend weißer Fleck inmitten ihrer ansonsten komplett schwarzen Aufmachung.

Aber was dann? Was würde sie darauf erwidern?

Wahrscheinlich würde sie auf ihre herablassende, belehrende Art antworten, dass er ihr dann besser keine scharfe Klinge an die Kehle hätte drücken sollen.

Und weil sie damit vollkommen recht hätte, fiele ihm sicher keine Erwiderung ein und sie hätte schon wieder das letzte Wort. Unerträglicher Gedanke.

Seine Finger schlossen sich fester um das Lenkrad und er knurrte in die Faust, auf die er seinen Kopf stützte, bevor er einen verstohlenen Blick auf sie riskierte.

El Delaney starrte geradeaus, ohne zu blinzeln. Ihre scharfen Züge waren zu einer kalten Maske erstarrt, ihr Körper völlig regungslos. Einzig und allein der Wind, der über die Rückbank von einem Fenster zum anderen fegte, verriet, dass sie nicht aus Stein gehauen war, indem er die Härchen um ihren knapp über dem ungeschützten Nacken ruhenden Haarknoten verwehte.

Er kannte außer ihr keine Frau, deren Haar lang genug wäre, um sich so einen Knoten zu binden. Aber das tat ja wohl einen Scheißdreck zur Sache.

Zur Sache taten nur der Verband und die golden schimmernde Kette mit dem Smaragd, die seit ihrer letzten Begegnung jemand repariert haben musste.

Er räusperte sich. »Reich mir mal die Flasche aus dem Handschuhfach.«

Destillierter Mut in Reinform war es, was er jetzt brauchte.

Schweigend beugte sie sich vor, ließ besagtes Fach aufschnappen und zog die durchsichtige Flasche an deren Hals heraus, um sie ihm blind hinzuhalten.

Er entkorkte sie mit den Zähnen und nahm einen Schluck, der weder heiß noch scharf genug war, um ihm die Schuldgefühle aus dem Magen zu brennen. Auch in der Stärkung seines Rückgrats schien er zu versagen, wie er schon bemerkte, als er El Delaney die Flasche zurückgab.

Anstatt sie wieder im Handschuhfach zu verstauen, zog sie den Korken ab und murmelte: »Hast hier Gin und sagst kein Wort, verdammter Scheißkerl.«

Und dann besaß dieses eingebildete Weibsbild allen Ernstes die Dreistigkeit, das Mundstück mit dem Ärmel abzuwischen, als hätte er irgendeine beschissene Krankheit!

So jäh wie seine Wut aufflammte, so ruckartig tippte er auf die Bremse, sobald sie die Flasche zum Trinken ansetzte.

Ein zorniger Laut entrang sich ihr und ihre Zähne klirrten gegen Glas, während sich Gin über ihr schmales Kinn und ihren Mantel ergoss. Einen Herzschlag später versuchten ihre dunklen Augen, ihn zu ermorden. Versuchten es wirklich.

»Oh, Verzeihung«, presste er zwischen den Zähnen hervor. »Da war eine Feldmaus, die ich nicht überfahren wollte.«

»Mach das noch mal und ich stopf’ dir die nächste Feldmaus, die uns unterkommt, in den Rachen.« Sie setzte die Flasche erneut an – mutig, mutig – und er ließ sie ungestört ein paar Schlucke nehmen, obwohl es ihn in den Zehenspitzen juckte, sein Bremsmanöver zu wiederholen.

»Der arme Kerl kann wahrscheinlich froh sein, dass er tot ist«, murrte er statt eines weiteren tätlichen Angriffs.

»Es war ein Akt der Gnade.«

»So gnädig wirkst du auf mich gar nicht.«

»Vielleicht hatte ich ja doch etwas für ihn übrig.«

Gordon schürzte unzufrieden die Lippen und wich ein paar Schlaglöchern aus. Warum hatte sie auf jede seiner Bemerkungen einen überheblich-schlagfertigen Konter parat? Wenn er sich für gewöhnlich jemandem unterlegen fühlte, regelte er das mit den Fäusten. War diesmal wohl keine Option.

Hunters Kopf füllte den halben Seitenspiegel aus, während er genießerisch die Nase in den Himmel hob und sich alle möglichen Gerüche direkt ins Hirn hämmern ließ wie ein Drogensüchtiger.

Als der Gin wieder im Handschuhfach verschwunden war, fuhren sie an einer Kuhweide vorbei. »Die Viecher erinnern mich an deinen aufgedunsenen Bruder. Bestimmt siehst du auch so aus, wenn du erst in sein Alter kommst.«

»Ich bin knapp über dreißig«, gab sie ungerührt zurück. »Schätze, der Prozess der Verwandlung hätte bereits begonnen, wenn es so wäre.«

»Verlass dich nicht drauf. Alle Weiber verwelken früher oder später.« Scheiße, könnte man ihm das als Kompliment auslegen?

»Vielleicht würden mich deine weisen Ratschläge mehr interessieren, wenn du nicht jetzt schon wie fünfzig aussehen würdest, du abgehalfterter Buchmacher.«

»Ach ja?«, zischte er und erwiderte ihren boshaften Blick. »Lieber ein abgehalfterter Buchmacher als so eine hexengesichtige, zänkische, alte Vettel.«

Sie rollte mit den Augen und stieß einen angestrengten Seufzer aus. »Du gehst mir fürchterlich auf den Sack.«

»Würde mich wundern, wenn du einen hättest.«

»Da siehst du mal, was für eine Meisterleistung du vollbringst. Gehst mir auf einen Sack, der gar nicht existiert.«

Da. Schon wieder. Kein dummer Spruch blieb unpariert. Es machte ihn rasend.

»Dann sag deinem Bruder, er soll seinen Humor anders ausleben. Meine Scheißidee war das hier nicht.« Er fuhr eine Gasse zwischen den Autos entlang, die vor der Rennbahn parkten, und hupte einen Kerl an, der ihm nicht schnell genug zur Seite sprang. Der Bastard zeigte ihm den Mittelfinger. »Ja ja, fick dich selbst«, murmelte er und prägte sich das bartlose Gesicht unter dem Bowler ein. Für den Fall, dass es ihn später in der Faust jucken sollte.

Dann erspähte er etwas, das seine Laune ein wenig hob. Eine ziemlich tief wirkende Schlammpfütze, die das kurz gestutzte Gras überflutet hatte. Die anderen Fahrer hatten den Platz großräumig freigelassen, doch er lenkte den Wagen mit der Beifahrerseite geradewegs in den braunen See und stellte den Motor ab.

El Delaney verdrehte die Augen und murmelte beim Aussteigen ein paar Worte, von denen er nur das letzte halb verstand. »…kopf.«

Sofort pulsierte brennend heiße Wut durch seine Adern. Dummkopf. Schwachkopf. Hohlkopf. Alles schon tausend Mal gehört, aber er wollte zu gerne wissen, welcher Variante sie sich bediente. Er beeilte sich, aus dem Wagen zu kommen, und knallte die Tür zu. »Wie wär’s, wenn du das wiederholst, huh?! Und zwar so laut, dass ich dich hören kann! Oder bist du dafür zu feige?!«

Sie wandte sich ruckartig zu ihm um und schrie ihn über das Dach des Wagens hinweg an: »Ich sagte, dass du ein alberner Kindskopf bist!«

Während ihn seine maßlose Überraschung an Ort und Stelle fesselte, stapfte sie ungerührt durch die Pfütze und entfernte sich ohne einen Blick zurück Richtung Rennbahn. Ihre wadenhohen Schnürstiefel waren dreckverschmiert und auch ihr Kleid hatte einiges abbekommen. Verschiedenste Nuancen von Braun tummelten sich auf dem kalten Schwarz.

Kindskopf. Das war neu. Und definitiv sehr viel harmloser als die Beschimpfungen, die er sonst ins Gesicht gespuckt bekam. So harmlos, dass er sich genau genommen nicht einmal ansatzweise beleidigt fühlte.

Erst, als Hunter ihn durch das Fenster mit der Schnauze anstupste, konnte er die Augen von dieser Frau nehmen. Er räusperte sich irgendwie mechanisch und steckte verstohlen eine Hand in den Wagen, um ebenso heimlichtuerisch seinen Hund zu kraulen, während er mit einem Blick kontrollierte, ob noch genügend Wasser in dem Napf unten im Fußraum war.

»Sei ein braver Junge, ja?«, flüsterte er belegt von schlechtem Gewissen, weil er Hunter für den heutigen Tag eigentlich etwas anderes versprochen hatte als ewig lange Autofahrten und öde Warterei.

Ein letztes Mal tätschelte er Hunters Brust, bevor er El Delaney hinterherging.

 

*

 

Sogar an einem bewölkten Tag wie heute war die Rennbahn gut besucht. Die Leute drängten sich dicht an dicht auf den Tribünen und vor den Ständen der Buchmacher standen zahlreiche Männer in abgetragenen, billigen Anzügen, um ihre Wetten abzugeben. Gordon warf einen Blick zu den Bookies hinüber, die zu ihnen gehörten – beide schwer beschäftigt umgeben von Scheinen und Münzen und beide gewissermaßen mit einem Markenzeichen versehen. Abner hatte sich wie immer seinen halb zu Tode gespitzten Glücksbleistift hinters Ohr geklemmt, mit dem er niemals auch nur einen Buchstaben schrieb. Theo kaute Kaugummi.

Der Geruch von feuchtem Gras, Zigarrenrauch und Schmalzgebäck hing in der Luft, darunter lag eine alles durchdringende Note von Pferd.

Das Donnern der Hufe wob sich in das rege Geplapper der Leute. Gelegentlich ertönten Jubel und Beifall von den Tribünen.

Zwischen all den farbenprächtig herausgeputzten Frauen wirkte El Delaney, als hätte er die Ausfahrt zu einer Beerdigung verpasst und sie am falschen Ort abgesetzt. Eine gehässige kleine Krähe inmitten von Paradiesvögeln. Eine zielstrebige kleine Krähe, die so tat, als wäre er nicht da, obwohl er ihr an den schlammbespritzten Fersen klebte. Sie schien nicht halb so scharf darauf, mit einem Lassiter gesehen zu werden, wie ihr Bruder. Aber sie wurden gesehen und von einigen sogar neugierig beäugt. Genau so, wie Mickey Donovan sich das vermutlich vorgestellt hatte. Wie viel wussten die Leute wohl über ihre ersten beiden Begegnungen? Wussten sie, dass er für den einzigen blassen Farbtupfer in ihrer düsteren Aufmachung verantwortlich war? Oder dass sie ihn hätte erschießen können, wenn sie gewollt hätte? Die schlimmste Vorstellung war eine völlig absurde und doch hatte er plötzlich das Gefühl, dass ihm dieser gottverdammte Traum mitten ins Gesicht geschrieben stand.

Kurz geschnittene Fingernägel drückten sich innerhalb seiner geballten Fäuste in seine Handflächen und er rempelte einen jungen Kerl aus dem Weg, nur um sich an jemandem abzureagieren. »Pass gefälligst auf, wo du hinläufst«, knurrte er dem erschrocken dreinblickenden Trottel zu.

Die krähenhafte Personifizierung seiner Demütigung drehte sich nicht einmal flüchtig nach ihm um, sondern stolzierte unbeirrt auf die Wendeltreppe aus weiß lackiertem Stahl zu, die den Aufgang zu Dick Harris’ Reich markierte.

Einer von dessen grobschlächtigen Aufpassern versperrte ihnen den Weg. »Sieh an, sieh an. El Delaney und Gordon Lassiter.«

»Das sind unsere Namen«, gab sie kalt zurück. »An deinen kann ich mich nicht erinnern. War wohl nicht von Belang. Ich hab’ hier was für deinen Boss.«

Am oberen Ende der Treppe grunzte jemand erheitert. Matt Evans lehnte am Geländer und grinste herunter. »Die Süße kann raufkommen. Er nich’.« Ein Nicken in Gordons Richtung. »Boss is’ nich’ in Stimmung für ’nen Lassiter.«

El Delaney war in etwa so süß wie eine Schachtel voll spitzer Nägel mit Teer übergossen, aber Evans war über Sechzig, hatte weniger Zähne im Maul als Gliedmaßen und die Fresse eines Boxers, der nicht einen einzigen Sieg errungen hatte. Der fand vermutlich alles süß, was keinen Schwanz hatte.

Als wäre die Zurückweisung seiner Person nicht schon schlimm genug für sein Ego, wandte El Delaney sich ihm zu, als hätte man sie gerade erst darauf aufmerksam gemacht, dass er existierte. Wie immer musterte sie ihn, als wäre er der Dreck, den sie sich abends aus den Stiefelsohlen kratzte.

»Du hast ihn gehört.« Sie warf ihm die Worte wie einen Mundvoll Spucke vor die Füße und drängte sich an dem Grobschlächtigen vorbei, um die Treppe nach oben zu nehmen.

Gordon sah ihr zähneknirschend hinterher, bis sie oben ankam und von dort aus noch einmal seinen Blick erwiderte. Wohl mit Genugtuung. Sie kam sich ja schon als was Besseres vor, wenn sie von ihrer gewöhnlichen Größe aus zu ihm aufsah. Wie überlegen musste sie sich ihm in diesem Augenblick erst fühlen?

Scheiße, wie ihm dieser geringschätzige Blick an die Nieren ging!

Er fuhr sich grob mit der Faust über den Mund und machte auf dem Absatz kehrt, um sich einen Weg durch die Menge nach draußen zu pflügen. Die, die ihn kannten, machten ihm Platz. Den Rest rannte er einfach nieder. Ein hirnloser Hutträger mit Zigarre in der Hand hielt pikiert dagegen, als Gordon ihn an der Schulter anrempelte. »Entschuldigen Sie mal, sehen Sie nicht, dass …«