P. S. I Hate You – Auf dem schmalen Grat zwischen Hass und Liebe - Donna Marchetti - E-Book
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P. S. I Hate You – Auf dem schmalen Grat zwischen Hass und Liebe E-Book

Donna Marchetti

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Beschreibung

Rache ist süß ... und so spicy! 

Naomi und Luca sind seit der fünften Klasse Brieffreunde. Wobei … eigentlich sind sie eher erbitterte Rivalen, die sich eine epische Schlacht voller Beleidigungen liefern. Zwölf Jahre lang schreiben sie sich Hassnachrichten. Doch dann kommt plötzlich keine Antwort mehr. Jahre später landet ein gemeiner Brief auf Naomis Schreibtisch im Radiosender. Sofort weiß sie, wer dahintersteckt. Und dass sie Luca dieses Mal nicht das letzte Wort überlassen wird ... 

Der Bestseller aus UK: eine einmalig abgründige Enemies to Lovers RomCom mit Dual POV und prickelndem Spice.

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Seitenzahl: 491

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Cover for EPUB

Über das Buch

Ich war in der fünften Klasse, als ich meinen ersten Brief an Luca schrieb. Meine Lehrerin ließ uns Zettel aus einer Schüssel ziehen, und so bekam ich einen Brieffreund, der in Kalifornien wohnte. Ich freute mich riesig und schrieb sofort drauf los.

Zwei Wochen später bekamen wir unsere Antwortbriefe.

Ich war stinksauer. Wie konnte man nur so gemein und ekelhaft sein? Mit bebenden Händen faltete ich den Brief zusammen und schwor mir, diesem unhöflichen Typen nie wieder zu schreiben.

»Aber dann hast du ihm doch noch geantwortet, oder?«, fragt Anne.

»Ja, irgendwann schon. Zuerst war ich wirklich wütend. Aber dann wollte ich herausfinden, wie gemein er werden konnte. Und irgendwann wurde es mein persönliches Ziel, schlimmer zu sein als er.«

Anne schaut auf den Brief, der zwischen uns auf dem Tisch liegt. »Scheint, als wärst du jetzt am Zug.«

»Kein Absender«, sage ich. »Wie soll ich da zurückschreiben?«

»Er will dich herausfordern«, sagt Anne nach einer Weile.

»Mich herausfordern?«

»Ihn zu finden«, erklärt sie. »Wenn du nicht reagierst, hat er das letzte Wort in eurem zehn Jahre andauernden Briefkampf. Bist du etwa bereit, ihn gewinnen zu lassen?«

Ich schüttele den Kopf. »Auf keinen Fall. Ich werde ihn suchen.« 

Über Donna Marchetti

Donna Marchetti hat in ihrer Kindheit an den verschiedensten Orten gelebt, von Florida über Chile bis Arizona, bevor sie sich schließlich in Upstate New York niederließ. Sie arbeitet als Buchhaltungsassistentin und verbringt den Rest ihrer Zeit mit ihren Buchideen. Wenn sie mal gerade nicht schreibt, geht sie mit ihren drei Hunden wandern oder nimmt mit ihrem Dalmatiner an Wettbewerben teil. Derzeit arbeitet sie an ihrem nächsten Roman.

Katharina Naumann ist Autorin, freie Lektorin und Übersetzerin und lebt in Hamburg. Sie hat unter anderem Werke von Emily Henry, Jojo Moyes und Anna McPartlin übersetzt.

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Donna Marchetti

P. S. I Hate You – Auf dem schmalen Grat zwischen Hass und Liebe

Roman

Aus dem Englischen von Katharina Naumann

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Playlist

Eins: Hübsche Mädchen haben Feinde — Naomi

Zwei: Brüder und Schwestern — Luca

Drei: Namen und andere Schwierigkeiten — Naomi

Vier: Der Niednagel-Fluch — Luca

Fünf: Auf der Suche nach besseren Stränden — Naomi

Sechs: Teuflische Husky-Augen

Sieben: Die arme blinde Frau — Luca

Acht: Wie man ein Stalker wird — Naomi

Neun: Nur noch ein Tag — Luca

Zehn: Der schlimme Brief — Naomi

Elf: Die Rache an den Walen

Zwölf: Das Fleischwurst-Dilemma

Dreizehn: Ein bisschen fischig

Vierzehn: Unangemessenes Flurverhalten

Fünfzehn: Penny Pickles

Sechzehn: Komm, wir hauen zusammen ab — Luca

Siebzehn: Die Beziehungszerstörerin — Naomi

Achtzehn: Die Erstes-Date-Regel

Neunzehn: Dressed to impress

Zwanzig: Das körperlose Wettermädchen

Einundzwanzig: Fanpost

Zweiundzwanzig: Denk an mich

Dreiundzwanzig: Es ist ein Problem

Vierundzwanzig: Komm nach Miami — Luca

Fünfundzwanzig: Mr. Pickles wird vorgestellt — Naomi

Sechsundzwanzig: Die berüchtigten Kegelkätzchen

Siebenundzwanzig: Doppelleben

Achtundzwanzig: Der Erpresserbrief

Neunundzwanzig: Gute Eindrücke

Dreißig: Ausgerechnet dieses Haus — Luca

Einunddreißig: Sag meinen Namen — Naomi

Zweiunddreißig: Schlecht im Bett

Dreiunddreißig: Die seltsamste Freundschaft der Welt — Luca

Vierunddreißig: Die Exhumierung der Naomi Light — Naomi

Fünfunddreißig: Die Brieffreundzone

Sechsunddreißig: Süß und unschuldig — Luca

Siebenunddreißig: Worte und Waffen — Naomi

Achtunddreißig: Das Ende des Weges — Luca

Neununddreißig: Schreib mir — Naomi

Epilog: Zwei Jahre später

Impressum

Wer von diesem Roman begeistert ist, liest auch ...

Playlist

Invisible String– Taylor Swift

No I’m In It– HAIM

Mess It Up– Gracie Abrams

Late Night Talking– Harry Styles

Ghost of You– Mimi Webb

Feel Again– OneRepublic

Nonsense– Sabrina Carpenter

Get Him Back!– Olivia Rodrigo

Someone To You– BANNERS

I Wish You Would– Taylor Swift

Motivation– Normani

People Watching– Conan Gray

Die For You– The Weekend, Ariana Grande

Stuck In The Middle– Tai Verdes

Goodnight N Go– Ariana Grande

Kiss Me– Sixpence None The Richer

Death By A Thousand Cuts– Taylor Swift

Complicated– Olivia O’Brien

Heaven– Niall Horan

Back To You– Selena Gomez

Paper Rings– Taylor Swift

What If– Collie Caillat

This Love– Taylor Swift

Eins

Hübsche Mädchen haben Feinde

Naomi

»Ich glaube, das ist ein neuer Rekord. Du bist erst zwei Wochen auf Sendung und kriegst schon Fanpost.«

Anne hat die Angewohnheit, sich an die Leute heranzuschleichen. Als ich ihre Stimme direkt hinter mir höre, wirbele ich erschrocken mit meinem Drehstuhl herum. Ich glaube, es liegt an ihren Schuhen. Sie sind zu leise, selbst auf dem Fliesenboden. Meine Freundin lächelt mich an und wedelt mit einem Brief.

»Ich wusste gar nicht, dass Meteorologinnen Fanpost bekommen. Muss ich mir Sorgen machen?«

»Die hübschen schon«, sagt Anne und zwinkert mir zu. »Aber wie ich schon sagte, zwei Wochen sind ein neuer Rekord. Hoffen wir, dass sich dein neuer Fan nicht als Stalker entpuppt.«

Ich nehme ihr den Brief aus der Hand und drehe den weißen Umschlag um. Mein Name und die Adresse des Senders sind mit der Hand darauf geschrieben. Anne schaut mir zu und gibt sich keine Mühe, ihre Neugier zu verbergen. Ich schiebe den Finger unter die Lasche und reiße den Umschlag auf, wobei ich ihn aus Versehen fast entzweireiße.

»Nimm doch einen Brieföffner«, sagt Anne. Sie wirkt ungeduldig.

»Wer braucht den schon? Mit den Fingern geht es doch wunderbar.«

»Gleich schneidest du dich am Papier«, warnt sie.

Und wenn schon. Ich zucke die Achseln. »Ich habe meine Briefe schon immer so geöffnet.«

Ich fische ein einzelnes, gefaltetes Notizbuchblatt aus den Überresten des Umschlags. Der Brief ist handgeschrieben. Kurz, schlicht, direkt auf den Punkt:

Liebe Naomi,

ich hoffe, bei deiner nächsten Wettervorhersage wirst du vom Blitz getroffen. Wäre das nicht eine Ironie des Schicksals?

–L

Ich pruste los, bevor ich etwas dagegen tun kann. Erst versuche ich noch, mich zu beherrschen, aber da ist das nächste Lachen schon raus, und dann kann ich gar nicht mehr aufhören. Anne runzelt die Stirn und schnappt sich den Brief, um zu sehen, was daran so lustig ist. Durch meine Lachtränen hindurch sehe ich, wie ihre Augen ganz groß werden und ihr Gesicht rot anläuft.

»O mein Gott«, sagt sie. »Es tut mir so leid. Ich wusste nicht, was das hier ist. Ich habe nicht … geht es dir gut? Warum lachst du?«

Ich atme tief durch, um mich zu beruhigen, dann nehme ich den zerfetzten Briefumschlag in die Hand. Enttäuscht muss ich feststellen, dass kein Absender darauf steht.

»Woher kommt der?«

Anne schüttelt den Kopf. Sie ist ganz eindeutig verwirrt von meiner Reaktion. »Er war heute Morgen in der Post. Kein Absender. Weißt du, von wem er ist?«

Ich nicke und kann spüren, wie sich schon wieder ein Grinsen auf meinem Gesicht ausbreitet. »Ich habe seit zwei Jahren nichts mehr von diesem Menschen gehört.«

Meine Antwort verwirrt Anne nur noch mehr. »Ist das ein Scherz? Oder hast du einen kranken Stalker, von dem wir wissen sollten?«

»Nein. Wobei … Es ist eine lange Geschichte. Schwer zu erklären.«

Anne zieht einen Stuhl vom Schreibtisch nebenan heran und setzt sich darauf. »Ich hab Zeit.«

Ich stehe auf und sammele meine Sachen zusammen. Für heute bin ich fertig, und ich will nicht, dass das gesamte Kollegium unser Gespräch mitbekommt. »Ich wollte gerade Feierabend machen«, sage ich. Anne sieht enttäuscht aus. »Wollen wir einen Kaffee trinken gehen? Dann erzähle ich dir alles.«

Lieber Luca,

ich freue mich ganz doll, dass du mein neuer Brieffreund bist. Meine Lehrerin sagt, du wohnst in Kalifornien. Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der in Kalifornien wohnt. Ich finde das so cool! Gehst du jeden Tag an den Strand? Ich glaube, ich würde das machen, wenn ich da wohnen würde. Du findest es bestimmt auch ganz toll.

Ich wohne in Oklahoma. Aber eigentlich wollte ich immer irgendwo in der Nähe vom Meer wohnen, damit ich baden kann, wann ich will. In meiner Stadt kann man nicht viel machen, außer ins Einkaufszentrum gehen oder zum Fluss, was nicht annähernd so toll ist wie das echte Meer.

Was machst du in Kalifornien am liebsten? Hast du Haustiere? Ich habe einen Hamster, aber eigentlich hätte ich gern eine Katze. Meine Mom sagt, ich kann eine haben, wenn ich ein bisschen älter bin, aber das sagt sie schon seit Jahren. Ich bin jetzt zehn, und ich finde, das ist alt genug, um sich um eine Katze kümmern zu können. Oder um ein Frettchen. Wenn ich keine Katze haben darf, dann will ich unbedingt ein Frettchen. Und du? Magst du Frettchen?

Alles Liebe

Naomi Light

Ich war in der fünften Klasse, als ich meinen ersten Brief an Luca schrieb. Meine Lehrerin ließ uns Namenszettel aus einer Schüssel ziehen, und so bekam ich einen Jungen namens Luca Pichler als Brieffreund, der in Kalifornien wohnte. Ich freute mich riesig, nun einen Freund in einem anderen Bundesstaat zu haben. Allerdings hatte ich noch nie einen Brieffreund gehabt, und ich war mir nicht sicher, wie ich den Brief beenden sollte. Meine Mutter hatte mir beigebracht, unter alle Briefe »Alles Liebe, Naomi« zu schreiben, also machte ich das jetzt auch so. Erst als ich die Worte hingeschrieben hatte, fragte ich mich, ob es vielleicht ein bisschen komisch war, einem Jungen Liebe zu schicken, den ich noch nie gesehen hatte. Bisher hatte ich nur an Verwandte Briefe geschrieben, da hatte ich mir nie Gedanken darüber gemacht.

Aber es war zu spät, um den Brief neu zu verfassen, und ich wollte es auch nicht durchkritzeln und dadurch wie eine unordentliche Schreiberin wirken. In diesem Moment kam Mrs. Goble, die alle Briefe einsammelte, zu meinem Tisch. Ich stopfte meinen also in den Umschlag und gab ihn ihr.

Sie verkündete, dass alle Briefe am nächsten Morgen mit der Post der Schule abgeholt würden, und dann würde es ein paar Tage brauchen, bis unsere Brieffreunde sie bekämen. Dann wiederum würde es noch ein paar Tage dauern, bis wir von unseren neuen Freunden in Kalifornien hören würden.

Zwei Wochen später bekamen wir unsere Antwortbriefe. Für mich war es völlig neu und aufregend, Post von jemandem zu bekommen, der kein Verwandter war. Als ich den Brief öffnete, bemerkte ich als Erstes, dass Luca Pichlers Handschrift grauenhaft war. Ich brauchte doppelt so lange, alles zu entziffern, wie ich gebraucht hätte, wenn er ordentlich geschrieben hätte.

Liebe Naomi,

du klingst echt langweilig. Meine Mom sagt, Oklahoma liegt mitten im Bibelgürtel und dass du vermutlich mit sechzehn schwanger wirst. Außerdem stinken Frettchen. Wenn du ein echtes Haustier willst, dann hol dir einen Hund, denn Katzen sind langweilig. Aber vielleicht würde eine Katze deshalb auch perfekt zu dir passen.

Habt Ihr Tornados in Oklahoma?

Alles Liebe

Luca Pichler

Die Tatsache, dass ich mir auch noch so viel Mühe geben musste, das unfreundliche Gekrakel zu entziffern, machte mich nur noch wütender. Mein Brief war so nett und fröhlich gewesen, und er reagierte … so? Mein Kinn zitterte. Mrs. Goble durfte mich auf keinen Fall so sehen. Ich faltete den Brief wieder zusammen, atmete tief durch und blinzelte die Tränen weg. Dann entfaltete ich den Brief doch wieder und las ihn von vorn. Er hatte mit »Alles Liebe« unterschrieben, genau wie ich. Ob ihm das auch seine Mutter beigebracht hatte? Oder machte er mich bloß nach? Vielleicht war es nach diesem gemeinen Brief aber auch nur ironisch gemeint? Aber waren kalifornische Jungs in der fünften Klasse zu solch zielgerichteter Ironie überhaupt fähig? Ich bezweifelte es. Vermutlich machte er sich einfach über mich lustig, wie im Rest seines Briefes.

Ich riss vorsichtig eine frische Seite aus meinem Collegeblock, nahm meinen Füller und schrieb zurück.

Lieber Luca,

deine Handschrift ist schrecklich. Ich konnte nicht einmal richtig lesen, was du in deinem Brief geschrieben hast. Offenbar wolltest du aber sagen, dass du fünf Katzen hast und am Wochenende am allerliebsten ihre Klos sauber machst. Das kommt mir doch ein bisschen komisch vor. Vielleicht solltest du aufhören, so viel Salzwasser zu trinken. Es ist wohl doch ganz gut, dass ich so weit weg vom Meer wohne.

Und ja, wir haben hier auch Tornados.

Alles Liebe

Naomi

Lucas nächster Brief war lesbarer. Es war zu erkennen, dass er sich Zeit genommen und auf seine Handschrift konzentriert hatte. Das fühlte sich wie ein kleiner Sieg an, obwohl der Brief noch fieser war als der erste.

Liebe Naomi,

ich habe diesen Brief jetzt langsamer geschrieben, damit dein schlichtes Oklahoma-Hirn mitkommt. Tut mir leid, dass deine Eltern Geschwister sind. Ich habe gehört, dass Inzest eine Menge Geburtsdefekte verursachen kann, was erklärt, warum du so geworden bist.

Ich freue mich zu hören, dass es in Oklahoma Tornados gibt. Mit etwas Glück zerstört einer von ihnen euer Haus. Dann können deine Eltern nicht noch mehr von deiner Sorte bekommen.

Alles Liebe

Luca

Ich war stinksauer, als ich diesen zweiten Brief bekam. Wie konnte man nur so gemein und ekelhaft sein? Mit bebenden Händen faltete ich den Brief zusammen, steckte ihn in die Schublade meines Schreibtisches und schwor mir, diesem unhöflichen Typen nie wieder zu schreiben. Irgendwas in mir hatte bis zuletzt gehofft, dass er beim ersten Brief vielleicht einfach einen schlechten Tag gehabt hatte, aber jetzt stand fest, dass er einfach ein ganz furchtbarer, furchtbarer Mensch war.

»Aber dann hast du ihm doch noch geantwortet, oder?«, fragt Anne. »Du hast gesagt, es sei zwei Jahre her, seit du von ihm gehört hast. Hat er dir die ganze Zeit geschrieben, und du hast nicht reagiert?«

»Ich habe geantwortet. Irgendwann.«

»Hat deine Lehrerin seine Briefe gesehen?«

Ich zucke mit den Schultern. »Nein. Sie hat uns die Umschläge immer verschlossen gegeben. Ich glaube, weil sich keiner von uns beschwert hat, dachte sie, dass sich unsere Brieffreunde alle gut benehmen würden. Im Grunde war das aber gut für mich, weil ich danach auch ziemlich fies wurde.«

»Warst du denn wirklich sauer, oder wolltest du ihn nur provozieren?«

Darüber muss ich kurz nachdenken. »Zuerst war ich wirklich sauer. Aber ich glaube, nach einiger Zeit habe ich mich auch irgendwie auf seine Briefe gefreut. Ich wollte herausfinden, wie gemein er werden konnte. Und irgendwann wurde es mein persönliches Ziel, schlimmer zu sein als er.«

Anne schaut auf den Brief, der zwischen uns auf dem Tisch liegt. »Scheint, als wärst du jetzt am Zug.«

Ich nehme den Brief in die Hand und überfliege die vertraute Handschrift. »Kein Absender«, sage ich. »Wie soll ich da zurückschreiben?«

»Versuch es mit der Adresse von vor zwei Jahren«, schlägt sie vor.

»Habe ich schon. Vor anderthalb Jahren. Aber der Brief kam zurück. Wenn einer von uns weggezogen ist, stand eigentlich immer die neue Adresse auf dem nächsten Brief. Aber diesmal hat er mir keine neue Adresse geschrieben.«

Anne schürzt nachdenklich die Lippen. »Er will dich herausfordern«, sagt sie nach einer Weile.

»Mich herausfordern?«

»Ihn zu finden«, erklärt sie. »Wenn du nicht reagierst, hat er das letzte Wort in eurem zehn Jahre andauernden Briefkampf. Bist du etwa bereit, ihn gewinnen zu lassen?«

Ich schüttele den Kopf. »Auf keinen Fall. Ich werde ihn suchen.«

Zwei

Brüder und Schwestern

Luca

Eigentlich fand ich es bescheuert, eine Brieffreundin zu haben. Ich hatte irgendeinem Kind in irgendeinem anderen Bundesstaat nichts zu sagen. Offenbar war ich aber der Einzige in der ganzen Klasse, der sich nicht über diese ganze Aktion freute. Die anderen Schüler lasen einander ihre Briefe vor und überlegten zusammen, was sie antworten sollten, nur ich saß ganz hinten in der Klasse und wünschte mir, zu Hause in meinem Zimmer zu sein und Videospiele zu spielen.

Es war auch nicht so, als würden wir für die Briefeschreiberei Noten bekommen. Mrs. Martin wollte unsere Briefe vermutlich nicht einmal lesen.

»Luca«, sagte sie, und ich schaute hoch. »Möchtest du deinen Brief mit der Klasse teilen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht.«

Sie lächelte mich verständnisvoll an. »Dann lies ihn doch immerhin Ben vor.«

Mein Freund Ben saß neben mir. Er sah ungefähr so begeistert aus, wie ich mich fühlte. Lustlos schob ich ihm den Brief hin. Er las ihn und schob ihn wieder zurück.

»Die redet aber viel übers Meer«, bemerkte er.

»Finde ich auch.«

»Was willst du antworten?«

»Weiß nicht. Das ist doch bescheuert.

»Du findest alles bescheuert.

»Es ist ja auch alles bescheuert.«

»Du musst ihr zurückschreiben«, sagte Ben.

»Warum?«

»Sonst ist sie die Einzige in ihrer Klasse, die keinen Brief bekommt.«

Ich verdrehte die Augen und schlug seufzend eine neue Seite in meinem Heft auf. Nach einem letzten Blick auf Naomis Brief schrieb ich meinen eigenen. Als ich fertig war, musste ich grinsen. Ich riss die Seite heraus und gab sie Ben.

»Das kannst du nicht abschicken«, flüsterte er. »Du kriegst richtig Ärger.«

»Mrs. Martin wird das überhaupt nicht lesen«, flüsterte ich zurück.

»Das ist aber so gemein«, sagte er. »Sie weint dann bestimmt.«

»Na und? Ich kenne sie ja nicht.«

Ich nahm ihm den Zettel wieder aus der Hand, faltete ihn und steckte ihn in den Umschlag, den unsere Lehrerin uns gegeben hatte. Und ich dachte wirklich, damit wär’s das. Naomi Light würde um einen anderen Brieffreund bitten, und ich müsste keine Briefe mehr schreiben.

Aber das war nicht das Ende. Zwei Wochen später verteilte Mrs. Martin die neuen Briefe. Naomi hatte mir doch tatsächlich geantwortet. Ben wirkte ebenso überrascht. Er wartete ab, bis ich meinen Brief geöffnet hatte, dann erst schaute er sich seinen an.

»Was schreibt sie denn?«, wollte er schon wissen, bevor ich überhaupt alles gelesen hatte.

Ihr Brief machte mich richtig sauer. »Sie hat überhaupt nicht kapiert, was ich letztes Mal geschrieben habe, und denkt sich jetzt was aus.«

Ich öffnete mein Heft und begann, mir zu überlegen, was ich jetzt schreiben sollte. Gerade mal einen halben Satz hatte ich geschrieben, als ich es plötzlich verstand. Sie hatte recht. Meine Handschrift war wirklich chaotisch. Mrs. Martin bat mich auch immer, leserlicher zu schreiben, und selbst meine Mom hatte gesagt, ich müsse daran arbeiten. Ich blätterte zur nächsten Seite und begann von vorn. Diesmal ganz langsam, und ich achtete darauf, alle Buchstaben voneinander getrennt und klar und deutlich zu schreiben.

Als ich fertig war, zeigte ich Ben den Brief. Er zog die Brauen hoch, als er ihn las, und dann sah er mich mit gerunzelter Stirn an. »Das ist eklig«, sagte er. »Machen das Leute in Oklahoma wirklich? Ihre Brüder und Schwestern heiraten?«

Ich zuckte die Achseln. »Vermutlich nicht.«

Ich nahm ihm den Zettel wieder weg und steckte ihn in den Umschlag.

»Warum bist du immer noch so fies zu ihr? Sie hat sich vielleicht darauf gefreut, einen Brieffreund zu haben.«

Ben schaute sich um, und ich folgte seinem Blick. Alle Mädchen lächelten, als sie die Briefe lasen, die sie bekommen hatten. Sie überlegten gemeinsam, was sie zurückschreiben sollten. Ich wusste, was er erreichen wollte. Er versuchte, mich dazu zu bringen, Naomi als eine von ihnen zu sehen: als einen echten Menschen, nicht nur als ein Stück Papier, das mit der Post kam.

»Ich will nicht das ganze Jahr mit jemandem schreiben müssen. Wenn sie nicht mehr antwortet, dann ist das nicht meine Schuld, und Mrs. Martin lässt mich in Ruhe.«

Zufrieden mit mir und meiner Idee klebte ich den Umschlag zu und schrieb Naomis Namen und Schuladresse drauf, dann warf ich ihn in den Korb, in dem wir unsere Briefe sammeln sollten. Ich war der Erste, der seinen abgab. Mrs. Martin lächelte mich an.

»Das ging ja schnell«, sagte sie.

Ich zuckte mit den Schultern und lächelte sie so charmant an, wie ich konnte. »Mit meiner Brieffreundin fällt mir das Schreiben leicht. Ich kann es kaum erwarten, wieder von ihr zu hören.«

Es dauerte weitere zwei Wochen, bis wir eine Antwort von unseren Brieffreunden bekamen. Mrs. Martin ging durch die Klasse und verteilte die Briefe. Als sie an meinem Tisch stehen blieb, blätterte sie durch den Briefestapel in ihrer Hand. Sie zog einen heraus und gab ihn Ben. Dann war sie beim untersten Brief angekommen und begann, wieder von vorn zu blättern.

»Hmm«, sagte sie, als klar war, dass da kein Brief für mich im Stapel steckte. »Tut mir leid, Luca. Diesmal scheint keiner für dich dabei zu sein. Vielleicht ist er nicht mit den anderen gekommen. Das passiert manchmal. Vermutlich kommt er in ein, zwei Tagen an.«

»Oh.« Ich versuchte, enttäuscht zu klingen, aber eigentlich musste ich mir nicht viel Mühe geben. Überraschenderweise war ich wirklich ein wenig enttäuscht. Während der letzten zwei Wochen hatte ich mich dabei ertappt, dass ich hoffte, Naomi würde mir noch mal etwas Bissiges antworten, so dass ich mir etwas noch Gemeineres für sie ausdenken konnte.

Eigentlich war es ja Sinn und Zweck der fiesen Briefe gewesen, sie dazu zu bringen, mir nicht mehr zu schreiben, aber ich hätte nie gedacht, dass ich das so schnell schaffen würde. Jetzt war ich der Einzige in der Klasse, der keinen Brief bekam.

Am nächsten Tag ging ich nach dem Unterricht zu Mrs. Martins Pult.

»Kam heute ein Brief für mich?«, fragte ich.

Sie schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Luca. Bisher nicht. Vielleicht morgen?«

Aber am nächsten Tag kam auch nichts. Auch nicht am Tag darauf.

Als der nächste Schwung Briefe für die anderen mit der Post kam, hatte ich es schon aufgegeben. Ich schaute nicht einmal hoch, als Mrs. Martin sie verteilte, sondern machte weiter meine Hausaufgaben, als sie einen Umschlag auf meinen Tisch fallen ließ. Ich war überrascht. Sie zwinkerte mir zu und ging dann weiter, um den Rest der Briefe auszugeben.

»Offenbar hat dein Plan doch nicht so super geklappt«, bemerkte Ben.

Ich achtete nicht auf ihn und riss den Umschlag auf.

Lieber Luca,

eigentlich wollte ich nach dem, was du mir das letzte Mal geschrieben hast, gar nicht mehr antworten. Ich mag normalerweise keine Schimpfwörter, aber möchte dich trotzdem wissen lassen, dass du ein Arschloch bist. Ich glaube inzwischen, dass du diese fiesen Dinge nur gesagt hast, damit ich nicht mehr antworte. Deswegen finde ich, die beste Strafe für dich ist es, dass ich dir weiter schreibe.

Ich will dir außerdem sagen, dass meine Eltern keine Geschwister sind. Allerdings finde ich es echt komisch, dass du überhaupt auf diese Idee gekommen bist. Du hast wirklich ziemlich abstoßende Phantasien. Hoffentlich hast du keine Geschwister, aber wenn du welche hättest, würden sie dich vermutlich nicht einmal mit der Kneifzange anfassen. Du hast einen hässlichen Charakter, und ich wette, dass du auch hässlich aussiehst.

Übrigens, wie ist das Wetter gerade in Kalifornien?

Alles Liebe

Naomi

Liebe Naomi,

ich bin tatsächlich kein bisschen hässlich. Die Mädchen in meiner Klasse finden mich alle heiß. Meine Lehrerin hat zwei von ihnen dabei erwischt, wie sie sich Zettelchen geschrieben haben, und das stand darauf. Also liegst du da schon mal falsch. Außerdem habe ich keine Geschwister. Es ist echt eklig, dass du denkst, ich hätte Phantasien von Brüdern und Schwestern. Wie kommst du darauf? Hast du solche Phantasien? Eklig.

Das Wetter ist ganz schön in letzter Zeit. Heute sind es fast 26 Grad draußen. Ich glaube, nach der Schule gehe ich an den Strand.

Alles Liebe

Luca

Lieber Luca,

die Mädchen in deiner Klasse haben keine Ahnung, denn Jungs in der fünften Klasse sind nicht heiß. Wenn die Mädchen in deiner Klasse sagen, dass du heiß bist, meinen sie damit vermutlich nur, dass du dünn bist. Meine ältere Cousine sagt, dass Jungs erst in der Highschool heiß werden. Aber na ja, wenn es dir hilft.

Auf das Wetter bei euch bin ich echt neidisch. Es ist total kalt und bewölkt hier. Ich würde jetzt auch gern am Strand liegen. Bist du so richtig braun? Ich wäre das auch gern.

Alles Liebe

Naomi

Liebe Naomi,

gib dir keine Mühe, dich mit mir anzufreunden, indem du übers Wetter und das Braunwerden schreibst. Das klappt nicht. Außerdem solltest du dich lieber nicht an den Strand legen, weil man dich mit einem Wal verwechseln könnte. Und dann müssen ganz viele Menschen mit anpacken, um dich zurück ins Meer zu schieben.

Ist mir egal, was deine Cousine über Jungs sagt. Wenn sie älter ist als wir, dann ist es doch klar, dass sie Jungs aus der Fünften nicht heiß findet. Außerdem bin ich nicht nur dünn. Ich habe auch Bauchmuskeln.

Alles Liebe

Luca

Als die Winterferien begannen, war ich einer von wenigen in der Klasse, die noch regelmäßig Briefe bekamen. Selbst Ben fand die Briefeschreiberei irgendwann langweilig. Als ich im Januar wieder in die Schule kam, wartete nur ein Brief auf uns alle. Und der war für mich. Die ganze Klasse drehte sich zu mir um, als Mrs. Martin verkündete, dass ich einen Brief von meiner Brieffreundin erhalten hätte. Alle guckten so überrascht, als hätten sie ihre Brieffreunde schon längst vergessen.

Ich steckte den Brief schnell in meinen Rucksack, um ihn später allein zu lesen. Auf den Umschlag meines Antwortbriefes schrieb ich später meine Adresse, nicht die der Schule. Ich wollte nicht, dass die anderen wussten, dass ich meiner Brieffreundin immer noch schrieb.

Drei

Namen und andere Schwierigkeiten

Naomi

»Irgendwie habe ich das Gefühl, dass das noch nicht alles ist«, sagt Anne. »Es hört doch nicht einfach damit auf, dass ihr euch als Fünftklässler ein paar Beleidigungen an den Kopf schmeißt.«

»Es geht auch noch weiter. Viel weiter. Ich habe dir ja gesagt, dass das eine lange Geschichte wird.«

»Hast du die Briefe aufbewahrt?«

Ich zucke mit den Schultern. »Irgendwo liegen die bestimmt noch rum.«

Das ist eine Lüge. Ich weiß ganz genau, wo die Briefe sind. Sie liegen im obersten Fach meines Kleiderschranks und sind chronologisch geordnet. Ich habe sogar die ungeöffneten Briefe aufbewahrt, die zurückgekommen sind, nachdem Luca weggezogen war.

»Ich kann nicht glauben, dass du mir noch nie davon erzählt hast«, sagt Anne. »Muss man seiner besten Freundin nicht alles sagen?«

»Wir haben uns doch erst kennengelernt, als zwischen ihm und mir schon Funkstille war«, erinnere ich sie. »Ich glaube, es hat sich einfach nie ergeben.«

Die Wahrheit ist, dass ich noch nie jemandem von Luca erzählt habe. Meine Eltern wussten nur davon, weil die Briefe bei uns zu Hause ankamen. Meine Mitbewohnerin im College wusste es, weil sie mich dabei gesehen hat, wie ich ihm schrieb, aber wir redeten nicht viel darüber, und sie hat auch nie einen Brief gelesen.

Ich höre, wie sich hinter mir die Cafétür öffnet, und Annes Blick gleitet zu dem neuen Gast. Sie ist jetzt zwar abgelenkt, redet aber weiter. »Wie willst du ihn finden?«

»Keine Ahnung. Staatsarchiv? Ich habe wirklich keinen blassen Schimmer, wo ich anfangen soll.«

»Immerhin hast du seinen Vor- und Nachnamen.«

»Stimmt, aber ich weiß nicht, wo er jetzt wohnt.«

»Schau doch auf Facebook nach.«

Ich hole mein Handy aus der Tasche. »Stimmt«, sage ich. »Wieso bin ich nicht selbst darauf gekommen?«

Sie reißt die Augen auf, dann runzelt sie die Stirn. »Du hast noch nie nach ihm gesucht? Warst du nicht neugierig, wie er aussieht?«

»Natürlich habe ich nach ihm gesucht, aber das ist schon lange her. Er hatte eins von diesen Profilbildern mit ungefähr fünf anderen Typen darauf, daher weiß ich nicht genau, welcher von denen er war.«

Annes Blick gleitet wieder an mir vorbei. Sie schaut jetzt zum Tresen. Ich drehe mich um und erkenne einen meiner Nachbarn, der sich gerade einen Kaffee bestellt. Kein Wunder, dass sie ihn anstarrt. Selbst mit dem Rücken zu uns ist Jake Dubois ein gut aussehender Typ. Er hat dunkle Haare und Muskeln, die sein Shirt ausfüllen. Die kurzen Ärmel liegen stramm um seinen Bizeps, als er die Hand ausstreckt, um seinen Kaffee zu bezahlen. Wir genießen den Anblick noch einen Moment, dann drehe ich mich wieder um und schaue auf das Display meines Handys. Ich öffne Facebook und tippe ›Luca Pichler‹ ins Suchfeld. Ein paar Accounts ploppen auf.

»Meinst du, er ist einer von denen?«, fragt Anne und beugt sich über den Tisch, um einen Blick auf mein Display zu werfen.

Ich scrolle durch die Liste. »Keiner von diesen Typen wohnt in Amerika. Ich weiß es nicht. Womöglich ist er ausgewandert, aber das glaube ich eigentlich nicht. Ich muss später einfach noch mal intensiver recherchieren.«

Eine Gestalt ragt über unserem Tisch auf. Anne schaut zuerst zu Jake hoch und schluckt ein überraschtes Quieken herunter. »Hi«, sagt sie und wird rot. Ich bin mir sicher, mein Gesicht ist genauso rot wie ihres. Ob er wohl gemerkt hat, dass wir ihn eben angestarrt haben?

Er sagt »Hey« zu Anne und wendet sich dann an mich. Seine eisblauen Augen machen mich immer etwas unruhig, wenn er mich ansieht. Man kann sich von seinem Blick nicht losreißen. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, wenn ich ihn weiter ansehe, kann er in meinen Augen irgendwie meine dunkelsten Geheimnisse sehen. »Dachte ich’s mir doch, dass du es bist«, sagt er. »Schon fertig mit Wettervorhersagen für heute?«

»Wow. Zwei Fans an einem Tag«, bemerkt Anne. »Sieh mal einer an.«

Ich schnaube und setze den Becher an die Lippen, um mich dann daran zu erinnern, dass er leer ist. »Anne, er ist mein Nachbar.«

»Oh.« Sie lacht nervös auf und schaut weg.

Einen Moment lang schweigt Jake. Ich merke, dass er auf mein Handy schaut, auf dessen Display immer noch alle Luca Pichlers der Welt zu sehen sind. Hastig sperre ich den Bildschirm, und er wendet seine Aufmerksamkeit wieder mir zu. »Ich wollte nur fragen, ob du Lust hättest, mal mit mir abendessen zu gehen. Äh, vielleicht dieses Wochenende?«

Völlig überrumpelt von dieser Frage brauche ich eine Weile, um zu begreifen, dass er mit mir ausgehen will. Ich habe ihn schon oft in meinem Wohnhaus gesehen, aber wir haben erst zweimal überhaupt miteinander geredet. Das erste Mal, als er vor ungefähr einem halben Jahr eingezogen ist und ich ihm auf dem Weg nach draußen die Tür aufgehalten habe, damit er einen Umzugskarton hereinbringen konnte. Er hat »Danke« gesagt und ich »Gern geschehen.«

Das zweite Mal war erst vor einer Woche. Ich ging gerade die Treppe nach unten, um in meinen Briefkasten zu schauen, als er mir entgegenkam. Er blieb direkt vor mir stehen, so dass ich nicht ausweichen konnte, und fragte: »Hey, bist du nicht dieses Wettermädchen? Naomi Light?«

»Äh, ja, das bin ich«, antwortete ich.

Dabei erhaschte ich einen Blick auf das Namensschild auf dem OP‑Kittel, den er trug, konnte aber nicht erkennen, wo er arbeitete.

»Cool«, sagte er nur, bevor er mir Platz machte und die Treppe hinaufeilte. Danach habe ich ihn noch ein paar Mal gesehen, aber abgesehen von einem höflichen Nicken, wenn überhaupt, ist nie etwas passiert.

Jetzt erst merke ich, dass wir schon eine ganze Weile schweigen und ich seine Frage noch nicht beantwortet habe.

»Ja, äh, klar«, stammele ich und klinge genauso nervös wie er, als er die Frage gestellt hat.

»Toll«, sagt er. Sein Blick fällt auf meinen leeren Becher. »Kann ich dich noch auf einen Kaffee einladen?«

Das hier ist zwar schon mein dritter heute, aber ich höre mich selbst sagen: »Ja, äh, klar«, um dann vor Peinlichkeit zu sterben, weil ich schon seine vorherige Frage haargenau so beantwortet habe. Ich reiße mich zusammen. »Wobei, eigentlich wollte ich gerade gehen.«

»Dann bestell ich ihn to go.«

Er dreht sich um und geht zurück zum Tresen. Ich schaue ihm über die Schulter hinterher, und mein Herz pocht schneller. Anne räuspert sich, aber ich weiche ihrem Blick aus. Mein ganzer Körper fühlt sich plötzlich ganz heiß an, daher ist mein Gesicht vermutlich so rot wie meine Haare. Als ich sie endlich ansehe, grinst sie breit.

»Das war gleichzeitig das Peinlichste und Aufregendste, was ich je gesehen habe«, sagt sie.

»Dann müsstest du deine Kriterien für peinliche und aufregende Dinge vielleicht überdenken.« Ich streiche mir das Haar aus dem Gesicht, um mich etwas abzukühlen. »Was ist daran schon so besonders?«

»Naomi Light hat am Wochenende ein heißes Date«, singt sie und tanzt im Sitzen dazu. »Und das ganz ohne Dating-App. Was ziehst du an?«

Ich verdrehe die Augen, muss aber ein Lächeln unterdrücken. »Ich hatte leider noch keine Zeit, darüber nachzudenken.«

»Du hast mir nie erzählt, dass du so einen heißen Nachbarn hast. Du hast nur über den lauten gesprochen.«

Ich bringe sie mit einem »Pscht!« zum Schweigen und werfe dann wieder einen Blick über die Schulter, um sicherzugehen, dass Jake uns nicht hören kann. Gerade hält er seine Karte vor das Lesegerät. Ich wende mich wieder zu Anne um. »Warum soll ich dir all meine Nachbarn beschreiben?«

»Du musst sie mir nicht alle beschreiben, aber …« Sie hält inne, und ihr Blick gleitet wieder zu Jake. »Dieser ist es auf jeden Fall wert, beschrieben zu werden.«

Jake kommt mit einem Becher frischen Kaffee für mich zurück. Anne und ich stehen auf. Sie beugt sich zu mir und flüstert: »Du musst mir sofort erzählen, wenn du Luca Pichlers Adresse findest. Ich will wissen, wie es weitergeht.«

»Keine Sorge, du erfährst es als Erste.«

Anne geht in dem Moment, in dem Jake wieder am Tisch ankommt. Ich bedanke mich für den Kaffee, und dann gehen wir hinaus.

»Ich könnte dich noch nach Hause bringen«, bietet er an.

Ich lache und schaue zu unserem Wohnhaus hinüber, das direkt gegenüberliegt. »Was würdest du tun, wenn ich Nein sage?«

Er denkt kurz nach. »Vermutlich zehn Sekunden warten und dir dann peinlich berührt folgen.«

»Okay. Du darfst mich nach Hause bringen.«

Die Art, wie er mich anlächelt, löst etwas in mir aus. Ich habe ihn schon vorher lächeln sehen, aber jetzt, wo dieses Lächeln mir gilt, schlägt mein Herz schneller, und ich fühle mich, als müsste man mich über die Straße tragen. Ich zwinge mich, ihn nicht direkt anzusehen, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nur so diesen Heimweg überleben kann. Stattdessen fällt mein Blick auf seinen Arm, und prompt stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn er mich tragen und ich mit meinem Kopf an dieser muskulösen Brust liegen würde … Okay, vielleicht sollte ich ihn gar nicht mehr ansehen. Ich richte den Blick auf die Straße und hoffe, dass der Effekt, den er auf mich hat, nicht zu offensichtlich ist.

Wir warten, bis der Verkehr etwas nachlässt, dann überqueren wir die Straße. Obwohl ich ihn nicht mehr ansehe, bin ich mir jedes Schrittes bewusst, den er tut, weiß genau, wie weit er in jeder Sekunde von mir entfernt ist, und merke es jedes Mal, wenn er in meine Richtung schaut. Ich schaffe es zur anderen Seite, ohne über meine eigenen Füße zu stolpern. Er hält mir die Tür unseres Wohnhauses auf. Als ich an ihm vorbeigehe, rieche ich sein Rasierwasser, vielleicht ist es auch Duschgel, gemischt mit dem milden Duft des Kaffees in seiner Hand. Gerade will ich zur Treppe gehen, als ich sehe, dass er auf den Aufzug zusteuert. Ich zögere. Das letzte Mal, als ich den Aufzug genommen habe, ist er stecken geblieben, und ich war eine halbe Stunde darin gefangen, bis die Feuerwehr kam und mich gerettet hat. Die anderen Bewohner sagen, er sei längst repariert, und die meisten im Gebäude benutzen ihn wieder, aber ich will eigentlich kein Risiko eingehen.

Jake sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, als ich mich wieder umdrehe und trotzdem zum Aufzug gehe. Ich werde ihm sicher nicht auf die Nase binden, dass ich Angst habe, Aufzug zu fahren, also versuche ich, cool zu bleiben. Er drückt auf den Knopf, und die Türen gleiten auf. Ich atme tief durch und folge ihm.

»Was ist los?«, fragt er und drückt auf den Knopf mit der Nummer drei.

»Nichts.« Ich drücke auf den Knopf für den zweiten Stock und versuche, nicht darauf zu achten, dass ich meinen Herzschlag in meinen Ohren hämmern hören kann.

»Sicher? Irgendwie wirkt es nämlich so, als hättest du Angst vor dem Aufzug.«

»Ne. Gar nicht.«

Seine Brauen ziehen sich zusammen. »Du bist so weiß wie ein Gespenst. Leidest du unter Klaustrophobie?«

»Das ist einfach mein Hautton«, erwidere ich und lache gezwungen. »Vielen Dank auch.«

»Ach, komm. Wir können auch die Treppe nehmen, wenn du willst.« Er streckt die Hand nach dem Knopf aus, aber als er ihn drückt, hat sich der Aufzug schon in Bewegung gesetzt. Kurz darauf rüttelt er und bleibt dann zwischen Lobby und erstem Stock stecken.

Ich gebe ein Geräusch von mir, das wie eine Mischung aus einem Kreischen und einem Aufkeuchen klingt. Meine freie Hand legt sich auf meinen Mund.

»Ups.« Er drückt erneut auf den Knopf, aber das scheint nichts zu bewirken.

»Und genau deshalb wollte ich nicht in den Aufzug«, stöhne ich. »Das passiert mir nämlich immer.«

»Echt?« Seine Augen werden ganz groß. »Oh. Deswegen hattest du Angst.« Er schaut auf die Knöpfe. »Und ich habe es nur noch schlimmer gemacht, oder?«

Ich drücke mich mit dem Rücken an die Wand und atme tief ein. Dann lasse ich den Atem extra langsam wieder raus, um mich zu beruhigen. Ich hole mein Handy heraus, um nachzusehen, ob ich Empfang habe, aber ich weiß, dass es hier drin keinen gibt. Die ganze halbe Stunde, die ich beim letzten Mal hier drin gefangen war, hatte ich auch keinen Empfang.

»Bitte sag mir, dass du Netz hast.«

Er wirft einen Blick auf sein Handy. »Nein. Sorry.« Dann untersucht er noch einmal das Bedienfeld mit den Knöpfen und drückt schließlich auf einen von ihnen. Man hört kurz einen Wählton, dann erkenne ich die Stimme vom Sicherheitsmann, der in der Lobby sitzt. Zumindest haben sie den Notknopf wieder repariert, seit ich das letzte Mal hier festsaß.

»Hey Joel«, sagt er. »Wir sitzen im Aufzug fest.«

»Ist Naomi bei dir?« Joel Stimme klingt rau und tief durch den Lautsprecher. »Scheint so, als hätte sie ziemliches Pech mit diesem Ding.«

»Das habe ich schon gehört.«

»Ich hole Hilfe«, sagt Joel. »Bleibt ganz ruhig.«

Die Verbindung wird unterbrochen, und wir sind wieder allein. Irgendwie ist es jetzt noch stiller hier drin. Gäbe es doch wenigstens Musik, dann wäre die Situation etwas weniger unangenehm.

Ich schaue zur Decke hoch und überlege, ob ich wohl den ersten Stock erreichen kann, wenn ich eine Deckenfliese beiseiteschiebe und hindurch klettere, um oben auf den Aufzug zu steigen. Letztes Mal gab es diese Möglichkeit nicht, weil niemand hier drin war, der so groß ist wie Jake. Ich könnte vielleicht auf seine Schultern steigen, und …

»Das klappt nicht«, sagt er und unterbricht damit meine Gedanken.

Ich sehe ihn stirnrunzelnd an. »Was klappt nicht?«

Er deutet mit seinem Kaffeebecher in Richtung Decke. »Du würdest es nicht schaffen, die Türen aufzuziehen, selbst wenn du sie erreichen könntest.«

Mir bleibt der Mund offen stehen. »Habe ich das laut gesagt?«

Er lacht. »Nein. Aber ich habe in deinem Gesicht gesehen, wie sich der Plan in deinem Hirn geformt hat.«

»Klar würde ich die Türen aufbekommen. Ich bin stark.«

»Kann sein, aber das ist echt gefährlich. Wenn du da oben bist und sich der Aufzug dann zum Beispiel plötzlich in Bewegung setzt, was dann?«

Ich seufze. »Darüber habe ich gar nicht nachgedacht.«

»Dann lass uns einfach ruhig bleiben und auf Hilfe warten.«

Ich nicke. Er hat ja recht, aber mich macht diese Situation nun mal total nervös. Ich weiß auch nicht warum. Es ist ja nicht so, als müsste ich dringend zu irgendeinem Termin.

»Immerhin haben wir Kaffee«, sagt er.

»Und uns«, füge ich hinzu. »Letztes Mal war ich ganz allein hier drin. Ich dachte, ich werde verrückt.«

»Ist denn bei dir alles gut so weit? Du fängst jetzt nicht an zu hyperventilieren und zu schreien, oder?«

Ich beginne, in der kleinen Kiste auf und abzugehen, in der wir uns befinden. »Nee, ich komm klar. Solange sie uns hier demnächst wieder rausholen.«

»Die kriegen das bestimmt schnell hin.«

Trotz seiner optimistischen Worte steigt die Panik in mir hoch. Erneut atme ich tief durch, um mich zu beruhigen.

»Was hast du denn das letzte Mal gemacht, als du festgesessen hast?«

Ich denke kurz darüber nach. »Die ersten zehn Minuten habe ich damit verbracht zu versuchen, doch irgendwie Empfang zu bekommen. Dann habe ich mit den Fäusten gegen die Tür geschlagen und um Hilfe geschrien, bis mir der Hals wehtat. Irgendwann habe ich die Hoffnung aufgegeben, jemals wieder rauszukommen, und überlegt, welches Körperteil von mir ich zuerst aufessen würde. Dann kam endlich die Feuerwehr und hat die Türen geöffnet.«

Seine Brauen sind besorgt zusammengezogen, aber jetzt zuckt ein Lächeln in seinen Mundwinkeln, als wüsste er nicht recht, ob er über mein Elend lachen dürfe oder nicht.

»Es waren finstere Zeiten«, füge ich hinzu. »Ich bin hier gerade so lebend herausgekommen.«

»Klingt schlimm«, sagt er und unterdrückt immer noch ein Lächeln. »Dann wird dich sicher freuen, wenn ich dir sagen, dass ich nicht glaube, dass einer von uns heute noch zu einem Kannibalen wird.«

»Schön, dass du das glaubst, aber ich bin noch nicht bereit, diese Möglichkeit zu verwerfen.«

Er schnaubt. »Okay. Erinnere mich daran, dass ich niemals mit dir zelten fahre.«

Bei der Vorstellung, mit Jake in einem Zelt zu liegen, wird mir warm. Ich lüpfe das T‑Shirt von meinem Bauch, um mich etwas abzukühlen. »Mit Zelten komme ich zurecht. In der Wildnis gibt es ja zum Glück keine Aufzüge.«

Sein Blick senkt sich auf meinen Bauch, und ich begreife, dass es so aussehen muss, als wollte ich das Shirt ausziehen. Ich lasse den Stoff los, räuspere mich und ziehe mein Oberteil glatt. Jake dreht sich weg, während seine Ohren einen zarten Rotton annehmen.

»Ich kann einfach nicht glauben, dass ich die ganze Zeit diesen Aufzug gemieden habe, nur um jetzt schon wieder darin festzusitzen.«

»Du warst seitdem wirklich kein einziges Mal wieder hier drin?«

Ich schüttele den Kopf. »Ich nehme immer die Treppe.«

Er schaut auf den Knopf mit der Zwei darauf, der immer noch leuchtet. »Zwei Stockwerke, zweimal am Tag? Und das nervt dich nicht?«

Ich zucke die Schultern und mache eine Geste, die uns und den Fahrstuhl miteinschließt. »Das hier würde mich wohl weitaus schneller nerven.«

»Stimmt«, sagt er. »Ich habe gehört, dass ich ziemlich unerträglich sein kann.«

Ich gebe ihm einen Klaps auf den Arm. »Das habe ich nicht gemeint.«

Er zieht den Arm weg und tut so, als hätte ich ihm Schmerzen zugefügt. »Autsch!«

Ich lache. »Das kann doch gar nicht wehgetan haben.«

»Doch, hat es wohl. Du bist stärker, als du aussiehst.« Er zeigt auf die Aufzugstür. »Wetten, du könntest sie aufziehen?«

Ich verdrehe die Augen. Dann gebe ich ihm meinen Kaffeebecher, trete an die Tür und versuche, die beiden Teile auseinander zu ziehen. Natürlich weiß ich, dass das nicht funktioniert. Das habe ich ja letztes Mal schon ausprobiert.

»Nope«, sage ich und nehme ihm meinen Kaffee wieder aus der Hand. »Ich muss wohl öfter ins Gym gehen.«

»Nee. Du brauchst kein Gym. Lauf einfach in Zukunft auf den Händen hoch in den zweiten Stock. Dann bist du in Nullkommanichts stark.«

Beinahe schnaube ich meinen Kaffee aus. »Dann wäre ich bestimmt die Attraktion des Hauses.« Ich schaue auf mein Handy nach der Uhr. »O Mann. Wie lange sitzen wir hier eigentlich schon drin?«

Ich trinke noch einen Schluck, was ich sofort bereue, weil mir jetzt nämlich bewusst wird, dass ich dringend pinkeln muss und mir wirklich keinen Gefallen tue, wenn ich noch mehr Flüssigkeit in meinen Körper pumpe. Ich setze mich im Schneidersitz auf den Boden, und Jake setzt sich neben mich. Unwillkürlich ziehe ich scharf die Luft ein. Seine Nähe lässt mich vergessen, wie sehr ich den Aufzug hasse, wenn auch nur für den Moment.

Jake hingegen wirkt ganz ruhig neben mir. Offenbar hat er es nicht so eilig wie ich, hier herauszukommen.

»Also«, sagt er. Ich drehe mich zu ihm um und warte, dass er weiterspricht. Seine Mundwinkel kräuseln sich. Mit Mühe reiße ich den Blick von seinem Mund, um ihm in die Augen zu sehen, die mich direkt anschauen. Mir stockt der Atem. »Ich habe gehört, dass du und deine Freundin über mich geredet habt.«

Mein Gesicht wird ganz heiß, während ich mich an alles erinnere, was Anne gesagt hat. Ich will es eigentlich gar nicht wissen, aber ich muss einfach fragen. »Was genau hast du denn verstanden?«

Er lächelt. »Dass du einen lauten Nachbarn hast.«

Prompt wünschte ich, mich hier irgendwo verstecken zu können. Wenn er das gehört hat, dann garantiert auch alles andere.

»Darf ich mal dein Handy sehen?«, fragt er.

Ich reiche es ihm. »Warum?«

»Damit ich dir meine Nummer geben kann.«

Er beginnt, seine Kontaktdaten einzutippen. Ich schaue ihm über die Schulter. Gerade schreibt er: »Heißer Nachbar«.

Ich verdrehe die Augen. »Du bist wohl ziemlich von dir überzeugt, was?«

Er zuckt die Schultern und gibt mir das Handy zurück. »Ich nehme nur den Titel an, den man mir verliehen hat.«

Ich schicke ihm eine Nachricht, und zu meiner Überraschung geht sie durch, obwohl wir keinen Empfang im Aufzug haben. »Da. Jetzt hast du meine Nummer.«

Als die Nachricht auf seinem Display erscheint, beobachte ich sein Gesicht. Er versucht gar nicht, sein Lächeln zu verstecken.

»Unter welchem Namen speicherst du mich ab? Komisches Aufzugmädchen?«

Er lacht. »Auf keinen Fall.«

Ich schaue zu, wie er »Süßes Wettermädchen« eintippt und spüre, wie sich meine Mundwinkel nach oben ziehen, während mein Gesicht schon wieder rot wird.

»Süß also?«, necke ich ihn. »Wie viele Wettermädchen kennst du denn noch?«

»Viele. Du wärst überrascht. Ich musste mir schon ein Zählsystem für all die durchschnittlichen Wettermädchen in meiner Adressliste ausdenken.«

Ich lehne mich gegen die Wand. »Ich bin schon ein bisschen enttäuscht, nicht eine von ihnen zu sein. ›Durchschnittliches Wettermädchen Nummer Sieben‹ klingt irgendwie toll.«

Er schüttelt den Kopf und wedelt mit dem Handy. »Nee. Der Name hier passt besser zu dir.«

Der Aufzug erzittert, ich erschrecke, und dann fahren wir nach oben. »Oh, Gott sei Dank!«

Als sich die Tür im zweiten Stock öffnet, stehen wir beide auf. Ich gehe raus in den Flur, und Jake legt die Hand auf die Türkante, damit sie sich nicht schließt. »Wir sollten das irgendwann mal wiederholen«, sagt er.

Ich werfe einen Blick in den Aufzug und schaudere. »Auf keinen Fall.«

Jake schiebt schmollend die Unterlippe vor.

»Ich lasse mich von dir zum Essen einladen, solange Aufzüge dabei keine Rolle spielen.«

Er lächelt. »Deal.«

Als ich in meiner Wohnung bin, suche ich weiter auf Facebook nach Luca Pichler. Dieses Mal versuche ich, die Suche auf all die Städte einzugrenzen, von denen ich weiß, dass er dort gewohnt hat. Mit San Diego fange ich an, da kamen die ersten und letzten Briefe her, bevor er sich quasi in Luft aufgelöst hat. Keine Ergebnisse. Ich versuche es mit der nächsten und übernächsten Stadt, ebenfalls ohne Erfolg. Offenbar wohnen alle Luca Pichlers, die der Browser findet, außerhalb der USA. Ich beginne, mir ihre Profile genauer anzuschauen. Es ist schließlich möglich, dass er in ein anderes Land gezogen ist. Aber keiner der Accounts sieht vielversprechend aus.

Über mir stampft mein Nachbar umher. Ich höre, dass er etwas über den Boden zieht – oder vielleicht rollt? Und dann höre ich ein lautes Krachen von der anderen Seite seiner Wohnung. Unwillkürlich ziehe ich den Kopf ein, als käme das Geräusch aus meiner Wohnung. Es klingt, als hätte sich der Mensch da oben eine Bowlingbahn in die Wohnung gebaut. Schließlich mache ich Musik an, um den Lärm zu übertönen.

Trotz meines lauten Nachbarn und des unzuverlässigen Aufzugs ist das hier keine schlechte Wohnung. Sie liegt in einem der netteren Wohnhäuser meines Viertels, und das ist jetzt auch nicht das schlechteste von Miami. Wir haben keinen Eingangsportier, aber immerhin Joel, den Sicherheitsmann. Manchmal, wenn er sich langweilt – was ziemlich oft der Fall zu sein scheint –, hält er den Leuten, die hier wohnen, die Tür auf. Er arbeitet schon so lange hier, dass er jeden beim Namen kennt. Wenn ich so darüber nachdenke, glaube ich, Joel ist einer der wenigen festen Bestandteile meines Lebens hier, die ich vermissen werde, wenn ich mir demnächst ein Haus kaufe und hier ausziehe.

Ich mache mir etwas zum Mittag und als ich zu essen beginne, summt mein Handy. Ich werfe einen Blick aufs Display und hoffe, eine Nachricht von Jake darauf zu sehen, aber sie ist nicht von ihm. Sondern von Anne. Sie hat mir einen Link zu einer Website namens PeopleFinder geschickt.

Anne: Man muss aber etwas bezahlen, wenn man seine Adresse und all das haben will.

Ich klicke auf den Link und tippe Lucas Namen in das Suchfeld. Mir werden ein paar unterschiedliche Männer desselben Namens angezeigt, aber die freie Version verrät ansonsten nur noch ihr Alter und die Stadt, in der sie wohnen. Die Ergebnisse sind ziemlich ernüchternd. Einer der Männer ist schon Mitte fünfzig, einer erst Anfang zwanzig und der letzte schon fast achtzig. Entweder kennt PeopleFinder meinen Luca Pichler nicht, oder ihm wurde ein falsches Alter zugeordnet. Ich beschließe, trotzdem ein Abo abzuschließen. Ich kann es ja jederzeit wieder kündigen, wenn ich habe, was ich brauche.

Als ich bezahlt habe, lädt sich die Seite neu, diesmal mit den vollständigen Informationen. Jetzt kann ich sehen, dass der sehr alte Luca Pichler in einem Pflegeheim in Seattle wohnt. Der Luca Pichler Mitte fünfzig wohnt mit seiner Frau, seinen Schwiegereltern und sechs Kindern in Rhode Island. Und der jüngere Luca Pichler wohnt in einem Heim für erwachsene Menschen mit Behinderungen. Ich seufze. Nichts davon sieht vielversprechend aus. Jetzt bin ich um zwanzig Dollar ärmer, und meine Identität ist vermutlich bereits an den Höchstbietenden verschachert worden.

Ich: Fehlanzeige. Hätte ich nicht heute diesen Brief bekommen, würde ich fast glauben, Luca sei tot.

Anne: Komisch.

Anne: Ich frage mich, ob seine Eltern wohl noch in dem Haus von damals wohnen. Hast du noch seine letzte Adresse?

Stimmt, der Gedanke ist mir auch schon gekommen, bevor sie mir den Link zu PeopleFinder geschickt hatte. Ich gehe in mein Schlafzimmer und hole den Schuhkarton aus dem Schrank. Die neuesten Briefe liegen ganz oben, die allerersten ganz unten. Auf jedem Brief hatte ich mir hinten seine aktuelle Adresse notiert, damit ich wusste, wohin ich den nächsten meiner Briefe schicken musste – selbst, wenn ich aus Versehen den Umschlag weggeworfen hätte.

Mit dem Handy fotografiere ich die San-Diego-Adresse. Gerade will ich den Karton zurückstellen, als mir etwas einfällt. Ich blättere durch die Briefe und fotografiere jede neue Adresse darauf. Die Briefe der ersten acht Jahre sind alle von derselben Adresse in San Diego abgeschickt worden. Danach kamen die Briefe aus allen möglichen Gegenden des Landes. Luca ist oft umgezogen, hat aber immer darauf geachtet, dass ich jeweils seine neue Adresse bekam – bis vor zwei Jahren.

Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass er nun wieder an einer seiner alten Adressen lebt, aber es ist immerhin ein Anfang. Irgendwer irgendwo muss doch wissen, wo er ist.

Ich habe schon zwei Becher Kaffee intus, als Anne mit einem dritten für mich im Sender auftaucht. Gerade lese ich die Satelliten- und Radardaten, um meine Wettervorhersage für den Tag vorzubereiten, als sie den dampfenden Becher vor mich hinstellt.

»Danke.«

Ohne den Blick vom Bildschirm zu lösen, greife ich nach dem heißen Becher und nehme einen Schluck. Ich höre, dass sie einen Stuhl heranzieht und sich neben mich setzt.

»Hast du keine richtige Arbeit zu tun? Oder hat dir Patrick befohlen, mir dabei zuzuschauen, wie ich Kaffee trinke?«

»Ich war nur neugierig, ob du vielleicht deinen Breind gefunden hast.«

»Meinen was?«

»Deinen Breind«, wiederholt sie. »Kapierst du? Wie ein Brieffreund, aber stattdessen dein Feind. Brieffeind. Breind.«

»Schlau.« Mein Blick ist immer noch konzentriert auf den Bildschirm gerichtet. In zehn Minuten bin ich auf Sendung. »Ich habe dir doch schon erzählt, dass ich bei PeopleFinder nicht erfolgreich war. Abgesehen von einem Ausflug nach San Diego weiß ich nicht, wie ich ihn finden soll.«

»Machen Sie schon die erste Pause, Anette?«

Wir drehen uns beide um und sehen Patrick mit einem Stapel Papiere in den Raum schlendern. Er trägt immer dieselben Papiere im Sender mit sich herum, wenn er beschäftigt aussehen, aber nicht wirklich arbeiten will. Er hat Anne außerdem noch nie mit ihrem richtigen Namen angesprochen, aber ich nehme an, dass »Anette« immerhin nah genug dran ist, dass alle wissen, mit wem er spricht.

»Ich habe Naomi nur ihren Kaffee gebracht«, sagt sie.

»Ich wusste gar nicht, dass man sich dazu hinsetzen muss.«

Ich wende mich wieder meinem Computer zu, damit er nicht sieht, wie ich die Augen verdrehe. Anne murmelt eine hastige Entschuldigung und eilt davon. Wie immer machen ihre Schuhe kein Geräusch. Patrick schaut ihr hinterher und wendet sich dann mir zu.

»Ich wollte Ihnen eigentlich nur sagen, dass Sie ganz hervorragende Arbeit leisten, Naomi.«

Er ist einer von den Menschen, die meinen Namen Nai‑oh-mie aussprechen, obwohl ich ihn schon tausendmal verbessert habe. Mittlerweile ist es mir egal, allerdings frage ich mich schon, ob er gar nicht merkt, dass er der Einzige im Sender ist, der meinen Namen so ausspricht.

»Danke, Patrick. Das weiß ich sehr zu schätzen.«

»Sie sind ein Naturtalent«, fährt er fort. »Und Ihre Graphiken sehen beeindruckend aus. Ihre Vorhersagen sind auch immer total präzise. Wirklich gute Arbeit. Emmanuel wäre stolz auf Sie.«

»Oh. Danke. Aber wussten Sie eigentlich, dass ich, seit ich hier bin, alle Graphiken für Emmanuel gemacht habe? Die letzten zwei Jahre vor seinem Ruhestand hat er selbst nicht auf ein einziges Radarbild geschaut.«

»Sie sind schon zwei Jahre hier?«, sagt Patrick. »Hm. Kommt mir gar nicht so lang vor.«

»Jep. Wie die Zeit verfliegt, oder?«

Sein Gesicht wird ganz rot, und er zupft an den Papieren herum, die er in den Händen hält. Ich lächle ihn an, damit er sich nicht ganz so sehr schämt. Dann verlässt er den Raum, und kurz darauf kehrt Anne zurück.

»Du bekommst Ärger«, warne ich sie.

Sie verdreht die Augen. »Was soll er machen? Mich rausschmeißen?«

»Vermutlich.«

Sie lacht. »Erzähl mir lieber von San Diego.«

Ich brauche einen Moment, um mich daran zu erinnern, worüber wir geredet haben, bevor uns Patrick unterbrochen hat. »Von da kommt Lucas erster und auch sein letzter Brief. Vielleicht ist er noch dort.«

»Er hat deine Wettersendung geschaut.«

»Na und? Das könnte er von überall her. Man muss nicht im Sendebereich einer TV‑Station wohnen, um den Wetterbericht zu empfangen.«

»Und was willst du jetzt machen?«

»Ich warte, bis er mir den nächsten Brief schickt. Vielleicht schreibt er dann ja seinen Absender drauf.«

»Und wenn er keinen mehr schickt?«

Abgesehen von der zweijährigen Pause hatte ich nie länger als einen Monat auf einen Brief von Luca warten müssen. Aber jetzt kann ich nicht zurückschreiben. Unwillkürlich frage ich mich, ob er seine Absenderadresse absichtlich weggelassen hat. Ja, so muss es sein. Vielleicht will er mich auch ärgern. Oder er will nicht, dass seine Frau erfährt, dass er mir wieder schreibt. Meine bislang beste Theorie ist, dass sie der Grund ist, warum ich zwei Jahre lang nichts von ihm gehört habe. Falls sie meinen letzten Brief an Luca gelesen hat, könnte ich es ihr nicht verübeln. Genau genommen war es der letzte, bevor die Post mir meine Briefe wieder zurückgeschickt hat. Dass jemand anderes als Luca die Briefe lesen könnte, fiel mir erst ein, als er nicht mehr antwortete. Die vielen Briefe, die ungelesen und postwendend zurückkamen, machten es dann nicht besser. Und so fühlte ich mich in den letzten beiden Jahren, als hätte ich einen Teil von mir verloren. Jetzt ist er wieder da – aber stimmt das wirklich? Wenn Luca wieder mit mir Kontakt haben wollte, würde er doch nicht einfach so nach zwei Jahren einen Brief schicken, ohne seine Adresse darauf zu schreiben.

»Es kommt noch ein Brief«, sage ich. Ich bin mir ganz sicher.

Vier

Der Niednagel-Fluch

Luca

In den drei Jahren zwischen der fünften und dem Ende der achten Klasse hatte sich viel verändert. Während der Sommerferien vor dem Beginn der sechsten Klasse hatte ich zum ersten Mal ein Mädchen geküsst. Seitdem hatte ich sieben Freundinnen. Meine Mom und mein Dad holten uns einen Welpen, als ich in der siebten war. Ich nannte ihn Rocky, und er wurde mein bester Freund. Mittlerweile war ich nicht mehr dieser dünne Grundschüler, sondern eher das, was Naomis ältere Cousine vermutlich Highschool-heiß nannte. Nach ihrem Brief damals hatte ich mich einmal lang und schonungslos im Spiegel angesehen und erkannt, dass Naomi vermutlich gar nicht so falsch lag. Ich war einfach nur dünn und hatte nichts für die Bauchmuskeln getan, auf die ich so stolz war. Doch noch im selben Sommer kaufte Dad ein paar Geräte für ein Home-Gym in der Garage, und wir fingen an, gemeinsam Sport zu machen.

Es war aber auch vieles gleich geblieben seit damals. Ben und ich fuhren nach wie vor jeden Morgen zusammen mit dem Fahrrad zur Schule und saßen in fast allen Kursen nebeneinander. Ich wohnte immer noch im selben Haus in derselben Stadt. Manchmal, wenn ich rausging und die salzige Meeresluft roch, dachte ich an Naomi und musste lächeln, weil ich wusste, dass sie neidisch darauf wäre.

Ich schrieb ihr immer noch. In den drei Jahren hätte ich ihr so viel erzählen können, von mir und meinem Leben, und doch hatte nach wie vor nichts von dem, was wir uns schrieben, irgendeine Substanz.

Stattdessen war unser Briefwechsel zu einer Art Wettkampf geworden, in dem wir versuchten, uns immer wieder zu übertrumpfen. Und doch waren wir nicht dauerhaft gemein zueinander. Manchmal spürte ich, dass es sie langeweilte, mir zu schreiben. Dann waren ihre Briefe das Uninteressanteste, was ich je zu lesen bekommen hatte. Zur Strafe schrieb ich ihr dann einen Brief, der genauso oder hoffentlich sogar noch langweiliger war.

Lieber Luca,

heute Morgen bin ich aufgewacht. Ich habe mir die Zähne geputzt. Ich bin zur Schule gegangen. Ich habe Hausaufgaben gemacht. Ich bin ins Bett gegangen. Dazwischen habe ich etwas gegessen.

Xoxo

Naomi

Liebe Naomi,

heute habe ich vergessen, die Klobrille beim Pinkeln hochzuklappen, und ein bisschen ist darauf gespritzt. Ich habe es nicht weggewischt.

Xoxo

Luca

Die einzigen beiden Menschen, die wussten, dass Naomi und ich uns noch immer schrieben, waren meine Eltern. Meine Mom fand es süß, aber das lag vermutlich daran, dass sie nie einen unserer Briefe las. Mein Dad hatte keine Meinung zu der ganzen Sache. Ben hatte nur einmal nach Naomi gefragt, kurz nachdem ich begonnen hatte, ihre Briefe an meine eigene Adresse schicken zu lassen statt an die Schule. Ich hatte mit den Schultern gezuckt und so getan, als wüsste ich gar nicht, wovon er sprach.

An einem Morgen schob ich den neuesten Brief von Naomi in meinen Rucksack. Das war in der letzten Woche der achten Klasse. Meine Mom hatte vergessen, am Tag zuvor zum Briefkasten zu gehen, und ich hatte aus Neugierde auf dem Weg hinaus noch kurz reingeschaut. Ben kam schon mit seinem Fahrrad angefahren und sah, wie ich den verschlossenen Umschlag einsteckte.

»Was ist das denn?«, fragte er.

»Nichts.«