Paket für Kowalski - Detlev Jänicke - E-Book

Paket für Kowalski E-Book

Detlev Jänicke

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Beschreibung

Old Firehand erzählt seinen Enkelkindern Vera und Paul an fünf Abenden im Advent seine höchst eigenwillige Version des Märchens vom Froschkönig, eine spannende Abenteuergeschichte um einen Prinzen und seine drei Lehrer, so wild und aufregend, gruselig und geheimnisvoll, dass die Kinder die Fortsetzungen kaum erwarten können. Sie erleben spektakuläre Fechtduelle und Verfolgungsjagden und begegnen neben bekannten Märchenfiguren einem bösartigen Grafen und einem noch bösartigeren und nahezu unbesiegbaren Hexenbiest, aber auch einem dichtenden Stinktier, Verzeihung, Skunk, der zu einem treuen Gefährten des Prinzen wird. Aber auch das alltägliche Leben hält einige Aufregungen für Old Firehand und seine Enkel bereit. Old Firehand muss sich mit recht anstrengenden Persönlichkeiten auseinandersetzen, wie der Zahnärztin mit den grünen Schlangenaugen, Frau Doktor Ungeheuer-Wichtig, die der Hexe in seiner Erzählung verdächtig ähnlich sieht, oder der größten Quasselstrippe des Planeten, Elfi Schlappenkötter; und Vera und Paul sind bedauernswerte Hauptakteure einer Schultheateraufführung, die gewaltig aus dem Ruder läuft. Und wo ist eigentlich Herr Kowalski, der mysteriöse Nachbar, der nie zu Hause zu sein scheint, und dessen Pakete Old Firehand allmorgendlich vom Postboten entgegennimmt? Die musikalische Begleitung dieser vorweihnachtlichen Geschichte übernehmen die "Lustigen Nikoläuse", die zu später Stunde durch die stillen Straßen des kleinen Städtchens ziehen und in angeheiterter Stimmung altbekannte Weihnachtslieder in den winterlichen Nachthimmel grölen.

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Seitenzahl: 169

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Old Firehand erzählt seinen Enkelkindern Vera und Paul an fünf Abenden im Advent seine höchst eigenwillige Version des Märchens vom Froschkönig, eine spannende Abenteuergeschichte um einen Prinzen und seine drei Lehrer, so wild und aufregend, gruselig und geheimnisvoll, dass die Kinder die Fortsetzungen kaum erwarten können.

Aber auch das alltägliche Leben hält einige Aufregungen für Old Firehand und seine Enkel bereit.

Der Autor studierte Germanistik, Publizistik und Soziologie in Münster und lebt heute in einer kleinen Gemeinde im südlichen Münsterland, die berühmt ist für ihr Schloss aus dem 18. Jahrhundert.

Paket für Kowalski

Ein Roman für Kinder

von

Detlev Jänicke

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© 2015 Detlev Jänicke

Umschlaggestaltung: Detlev Jänicke

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN Paperback 978-3-7323-2373-9

ISBN Hardcover 978-3-7323-2374-6

ISBN e-Book 978-3-7323-2375-3

Alle Rechte vorbehalten

INHALTSVERZEICHNIS

ERSTES KAPITEL

„Old Firehand muss her!“

ZWEITES KAPITEL

Old Firehand erzählt vom Prinzen Jamin und seinen drei Lehrern

DRITTES KAPITEL

Der betrunkene Weihnachtsmann

VIERTES KAPITEL

Old Firehand erzählt vom Gasthaus „Zum faulen Heinz und der dicken Trine“ und was dort geschah, von einer Verfolgungsjagd und einem neuen Freund

FÜNFTES KAPITEL

Frau Ungeheuer-Wichtig

SECHSTES KAPITEL

Old Firehand erzählt von der Hexe Drella und ihrem Pakt mit dem Roten Grafen und von einer Verwünschung

SIEBENTES KAPITEL

„Der kleine Muck“

ACHTES KAPITEL

Old Firehand erzählt von der List des Magisters Kowalski und dem Ende der Hexe Drella

NEUNTES KAPITEL

Elfi Schlappenkötter tritt auf und wieder ab

ZEHNTES KAPITEL

Old Firehand erzählt von der Prinzessin Kitty

ERSTES KAPITEL

„Old Firehand muss her!“

„Was? Ihr beide seid eine Woche lang nicht da?“

Die achtjährige Vera schaut ihre Eltern vorwurfsvoll an und stößt ihren kleinen Bruder Paul in die Seite, der jetzt versucht, ebenfalls vorwurfsvoll auszusehen.

Papa schaut aus dem Fenster. Ein milder Herbst hat die Bäume und Sträucher an der Alten Landstraße in leuchtendes Gelb und Rot gekleidet; nur hier und da sind die Blätter noch gesprenkelt vom Grün des vergangenen Sommers. Ein klarer Himmel zeigt sein schönstes Blau.

Das Haus der Familie Bergmann liegt am Ende des Städtchens in einem weitläufigen Obstgarten mit Apfel-, Birn- und Pflaumenbäumen.

Vor den Kindern, auf dem Esstisch, stehen ein noch warmer, duftender Marmorkuchen und eine Schüssel mit Schlagsahne. Kaffeelöffel und Kuchengabeln blitzen und funkeln in der hellen Oktobersonne.

„Also, Kinder“, sagt Papa, „Mama wird euch alles erklären.“

„Also, Kinder“, sagt auch Mama, „in der zweiten Dezemberwoche können Papa und ich nicht hier sein. Papa möchte gerne an einer Literaturveranstaltung in Hamburg teilnehmen, und ich mache eine kleine vorweihnachtliche Konzerttournee mit unserem Orchester.“

Franziska Bergmann spielt Geige, und ihr Mann, Anton, ist bei einer Zeitung angestellt und verantwortlich für die Kulturseite.

„Das bedeutet, dass wir jemanden finden müssen, der in dieser Zeit hier den Haushalt führt und für euch sorgt.“

Die Kinder sagen nichts. Sie warten ab und essen Kuchen mit Schlagsahne.

„Ich bitte um Vorschläge“, sagt Papa, verschränkt die Arme über der Brust und lehnt sich auf seinem Stuhl zurück.

In dem Haselnussstrauch mit den gelb-grünen Blättern, dessen Äste von einem leichten Wind bewegt werden, zwitschern zwei Blaumeisen, bis sie von einer dicken Amsel vertrieben werden.

„Wir könnten Kimberly Tiffany fragen“, sagt Mama vorsichtig und sieht ihren Mann an.

Der krümmt sich auf seinem Stuhl und stöhnt leise auf: „Ach nee, bitte nicht diese fleischgewordene Barbie. Die ist doch dümmer als hundert Meter Feldweg.“

„Sie hat doch schon auf die Kinder aufgepasst, wenn wir im Kino waren oder Freunde besucht haben. Paul, krümel nicht!“

„Die hat doch nur an deinem Schminktisch gesessen und sich angemalt. Und die armen Kinder auch.“ Er trinkt einen Schluck Kaffee. „Nebenbei bemerkt: Den Eltern sollte allein wegen der Namensgebung das Sorgerecht entzogen werden. Kimberly Tiffany Schlappenkötter! Kann man einen Menschen noch mehr stigmatisieren!?“

„Was heißt ‚stimagtisieren‘?“ fragt der kleine Paul.

„Einem Menschen ‚Ich bin doof‘ auf die Stirn tätowieren, mein Junge. Oder besser: ‚Ich habe doofe Eltern‘!“

Vera muss lachen und spuckt ein Stück Marmorkuchen auf die Tischdecke.

„Ach, Vera“, sagt Mama.

„Es heißt übrigens ‚s-t-i-g-m-a-t-i-s-i-e-r-e-n‘. Überlegt doch nur einmal, wie die Kinder in euren Klassen heißen: Pierre Luca Schultze. Maureen Pfeifenheimer. Oder Lara Chantal Piepenbrink. Eine Katastrophe! Das ist akustische Umweltverschmutzung!“

Papa ist bei seinem Lieblingsthema, das „Moderne Namensgebung“ heißt, und ihn immer furchtbar aufregt. Vera und Paul seufzen, Mama auch.

„Ach, Anton“, sagt Mama.

„Aber ich hab‘ doch recht!“

„Ja, du hast recht, aber das bringt uns im Augenblick nicht weiter.“

„Da hast du recht“, sagt Papa und nimmt sich einen Löffelvoll von der Schlagsahne. Er überlegt kurz. „Wie wäre es mit … äh … Großtante Ludmilla?“

Mama sieht die Kinder an. Deren Augen sind in heller Panik aufgerissen. Sie schütteln stumm die Köpfe.

Großtante Ludmilla – niemand kennt das genaue Verwandtschaftsverhältnis, sie wird einfach Großtante genannt – ist auf eine unbarmherzige und gnadenlose Art nett und kinderfreundlich. Die Kinder werden in die Wangen gekniffen, umarmt, dass ihnen fast die Luft ausgeht und den ganzen Tag mit nassen, schmatzenden Küssen terrorisiert.

„Ich glaube nicht, Anton“, sagt Mama, und Vera und Paul sehen für einen kurzen Augenblick einen Heiligenschein über ihrem Kopf aufleuchten.

Mama überlegt. „Da ist noch Cousine Meta, die wir bitten könnten.“

Meta, die Schreckliche! denkt Vera entsetzt.

Fragend sieht Mama Papa an.

„Meta! Die ist doch die Hartherzigkeit in Person. An ihr würde sogar Jesus verzweifeln.“

„Na ja, so schlimm …“

Nun muss man wissen, dass in der Verwandtschaft das hässliche Gerücht umgeht, Cousine Meta pflege, sobald bei ihrem Mann sich das geringste Zeichen einer Unpässlichkeit andeute, ihre Witwenrente auszurechnen. Das ist natürlich kein schöner Zug. Mama ist diesen üblen Nachreden, wenn es denn welche sind, immer auf das Entschiedenste entgegengetreten; aber Papa hat eine ähnlich ungünstige Meinung wie der Rest der Verwandtschaft über Cousine Meta entwickelt.

„Im Falle einer wie auch immer gearteten Krankheit hätte ich sie ungern in meiner Nähe“, sagt er.

„Aber Anton, du übertreibst.“

„Das tue ich nicht, liebes Weib. Das tue ich nicht.“

Jetzt bekommt Papa einen Heiligenschein.

Auf jeden Fall ist Cousine Meta fürs Erste auf die Ersatzbank verbannt, und die Kinder hoffen heimlich auf Stadionverbot.

Papa trinkt einen Schluck Kaffee. Dann nimmt er einen neuen Anlauf. „Meine Schwester ist sehr kinderlieb und …“

„Und kochen kann sie auch“, sagt Mama ironisch.

„Bäh“, machen Vera und Paul bei der Erinnerung an die Kochkünste ihrer Tante, die das Immunsystem der Kinder schon bei verschiedenen Gelegenheiten auf eine harte Probe gestellt haben.

Paul verplempert Kakao auf seinen grünen Pullover, weil es ihn bei der Erinnerung schüttelt.

„Ach, Paul“ sagt Mama.

„Dann weiß ich auch nicht weiter“, sagt Papa, hebt die Arme und lässt sie mutlos wieder fallen.

Mama trinkt einen Schluck Kaffee und sieht aus dem Fenster. Ein Buntspecht hat sich auf dem Haselnussstrauch niedergelassen und hämmert einen schnellen Trommelwirbel auf einem dicken Ast. Papa plumpst ein Stück Marmorkuchen von der Gabel in seine Kaffeetasse. Die weiße Tischdecke um seinen Platz herum ist mit braunen, feuchten Flecken gesprenkelt.

„Ach, Anton“, sagt Mama leicht vorwurfsvoll, „wie die Kinder.“

Vera und Paul grinsen.

Jetzt sieht Papa aus dem Fenster. Vera folgt seinem Blick. Der Buntspecht im Haselnussstrauch trommelt wieder, hebt kurz den Kopf und fliegt dann weg. Familie Bergmann sitzt schweigend um den Kaffeetisch.

Plötzlich geht ein Strahlen über Veras Gesicht. Ihr schulterlanges braunes Haar leuchtet in der herbstlichen Nachmittagssonne wie ein kupferfarbener Helm. Sie setzt sich kerzengerade hin und sagt: „Old Firehand muss her!“

Mama verschluckt sich und muss husten. Papa, Vera und Paul sagen im Chor: „Ach, Mama!“

„Warum eigentlich nicht?“ sagt Papa, als Mama sich wieder beruhigt hat.

„Papa ist ein Einsiedler“, antwortet Mama; denn besagter Old Firehand ist Mamas Papa und heißt eigentlich Franz Feuerhand. Der Name Old Firehand klebt seit Kindertagen an ihm und hat irgendwann seinen eigentlichen Namen fast vollständig ersetzt. „Ein alter Brummbär.“ Das stimmt. „Und wenn er hier mit einer Klatschbase wie Elfi Schlappenkötter zusammentrifft beziehungsweise zusammenstößt, wird sich das zwischenmenschliche Klima in unserer Nachbarschaft sehr zu unseren Ungunsten verändern.“

Old Firehand, das ist bekannt, neigt nämlich dazu, Menschen empfindlich vor den Kopf zu stoßen, weil er Höflichkeitsfloskeln und hohles Geschwätz verabscheut. Viele Verwandte und Bekannte pflegen daher keinen Umgang mehr mit ihm, den er, nebenbei bemerkt, nicht sehr vermisst.

Daher fürchtet Mama, dass er vielleicht auch in ihrer Straße für eine anhaltende Eiszeit sorgen könnte.

„Er ist nur ehrlich“, sagt Papa, der seinen Schwiegervater sehr schätzt. „Und nicht mehr von Frau Schlappenkötter zugequatscht zu werden, bedeutet doch auch eine Zunahme an Lebensqualität.“ Papa lacht Mama aufmunternd an.

Und Mama sieht ein, dass sie sowieso keine Wahl haben. „Also gut.“

„Old Firehand! Old Firehand!“ jubeln Vera und Paul.

Und so kommt es, dass sechs Wochen später, an einem Montagmorgen im Dezember, ein älterer Herr auf einem schwarzen Motorrad vor dem Haus an der Alten Landstraße hält. Franziska Bergmann öffnet die Tür und begrüßt ihren Vater.

„Hallo, Papa!“

„Hallo, Tochter“, sagt Old Firehand. „Wie ich sehe, bist du reisefertig.“

In der Garderobe stehen nämlich ein gepackter Koffer und der Geigenkasten. Mama zieht sich Stiefel und einen warmen Mantel an. Dann nimmt Old Firehand den Koffer, Mama ihren Geigenkasten, und zusammen gehen sie zum Marktplatz, wo schon der Reisebus wartet, mit dem das kleine Orchester während seiner knapp einwöchigen Weihnachtstournee unterwegs sein wird.

Der Weihnachtsmarkt ist seit Tagen eröffnet, und einige von Mamas Kolleginnen und Kollegen stehen an den verschiedenen Verkaufsständen herum und trinken Kaffee oder Tee.

Schließlich ist das Orchester komplett und als Mama mit den anderen Musikern in den Bus steigt und sich verabschiedet, sagt sie noch: „Und bitte keinen Ärger mit den Nachbarn, Papa.“

„Versprochen“, sagt Old Firehand, umarmt seine Tochter noch einmal und winkt dem abfahrenden Bus nach.

Auf dem Heimweg zieht er seinen Schal fester zu. Es ist empfindlich kalt geworden. Vor Ende der Woche wird es sicher schneien, denkt er.

Kaum hat Old Firehand die Haustür hinter sich geschlossen und seine Lederjacke an einen Garderobenhaken gehängt, klingelt es. Er öffnet und draußen steht ein Postbote.

„Guten Morgen“, sagt der Postbote.

„Guten Morgen“, sagt auch Old Firehand.

„Würden sie freundlicherweise ein Paket für Kowalski annehmen?“

„Kowalski?“

„Ja. Ihr Nachbar, Nummer 31.“

„Natürlich“, sagt Old Firehand, unterschreibt die Annahme und nimmt ein riesiges Paket entgegen.

„Danke“, sagt der Postbote und wünscht ihm noch einen schönen Tag.

Als die Kinder aus der Schule kommen, wird Old Firehand stürmisch begrüßt.

„Hallo, Opa!“

„Opa? Ich höre wohl nicht recht. Was sind denn das für Ausdrücke? Opa gibt’s hier nicht. Ich bin noch keine sechzig, und man nennt mich Old Firehand! Schon vergessen?“

Die Kinder sehen ihn an.

„Also?“

„Hallo, Old Firehand!“

„So ist’s gut. Und nun zu Tisch!“

Zum Mittagessen gibt es Pizza und als Nachtisch einen großen Becher mit Eiscreme. „Damit der Abschiedsschmerz nicht so groß wird“, hat Mama gesagt.

Nach dem Mittagessen werden die Hausaufgaben gemacht, und danach müssen die Kinder zur Theaterprobe in die Schule. Am kommenden Donnerstag soll das Stück „Die Geschichte von dem kleinen Muck“ unter der Regie der Deutschlehrerin Frau Gerlinde Rath aufgeführt werden. Eine zweite Aufführung folgt eine Woche später. Dann können auch Mama und Papa zusehen. Paul spielt die Titelfigur und Vera hat gleich zwei Rollen bekommen, sie ist die Frau Ahavzi und die Prinzessin Amarza.

Während die Kinder bei den Proben sind, richtet sich Old Firehand im Gästezimmer ein, räumt Kleidung und Wäsche in den Schrank und legt ein Buch auf den Nachttisch. Auf dem Einband steht in großen schwarzen Buchstaben „Alexandre Dumas“ und „Die drei Musketiere“. Dann streckt er sich auf dem Bett aus und wartet auf die Kinder.

Beim Abendbrot sagt Vera spitz zu ihrem Bruder, der gerade in ein Wurstbrötchen beißt: „Wegen mir müssen keine Kälbchen und kleine Ferkel ermordet werden.“

Paul sieht sie groß an. Vera legt sich betont langsam eine Scheibe Käse auf ihr Brot. Dann fragt sie Old Firehand: „Was machen wir heute Abend?“

„Wozu ihr Lust habt“, antwortet Old Firehand.

Da klingelt das Telefon.

„Mama!“ ruft Paul und stürzt an den Apparat. Old Firehand und Vera sind still und hören zu.

„Hallo, Mama … Ja … Ja … Was sind denn das für Ausdrücke, Mama. Opa gibt’s hier nicht … Nein … Ja … Vera!“

Schnell läuft Vera zum Telefon, um mit Mama zu sprechen. Dann legt sie auf und sagt zu Old Firehand: „Ich soll dich grüßen. Es ist gerade ziemlich hektisch, sagt sie. Bis morgen.“

„Danke“, sagt Old Firehand.

„Geschichte erzählen“, sagt Vera.

„Was?“ fragt Old Firehand.

„Du sollst heute Abend eine Geschichte erzählen.“

„Ach so. Was wollt ihr hören?“

„Ein Märchen“, sagt Paul.

Da gehen Old Firehands Augenbrauen in die Höhe. „Findet ihr denn alle Märchen, die ihr kennt, schön?“

Die Kinder sehen ihn an. „Ja.“

„Und ihr habt nichts an ihnen auszusetzen?“

„Warum fragst du?“ sagt Vera.

„Also ich finde Märchen oft ungerecht“, meint Old Firehand.

„Wieso?“

„Zum Beispiel versuchen viele Jahre lang tapfere Königssöhne, das Dornengestrüpp zu durchdringen, um das Dornröschen zu befreien, und lassen dabei ihr Leben. Dann kommt nach hundert Jahren irgendein Einfaltspinsel von Prinz daher und die Dornensträucher gehen von selbst auseinander und er erobert Dornröschen.“

Paul guckt Vera an, die nachdenklich auf ihrer Unterlippe kaut.

„Oder findet ihr den hartherzigen, goldgierigen König im Märchen vom Rumpelstilzchen, der die arme Müllerstochter schikaniert und alles bekommt, was er will, sympathisch?“

Wieder schauen sich die Kinder an.

„Oder“, fährt Old Firehand fort, „nehmt nur das Märchen vom Froschkönig. Eine dumme und verwöhnte Pute von Prinzessin, die ihr Versprechen nicht hält und den armen Frosch sogar an die Wand wirft, bekommt als Belohnung einen Prinzen und ein Königreich dazu. Also mir gefällt das nicht.“

„Aber so steht es in den Märchenbüchern“, sagt Vera.

„Mir gefällt das trotzdem nicht“, wiederholt Old Firehand.

Vera und Paul sehen ihn fragend an.

„Gut, dass ich die wahre Geschichte kenne“, murmelt Old Firehand.

„Was für eine wahre Geschichte?“ fragt Vera neugierig, die genau gehört hat, was Old Firehand da gebrummt hat.

Der lächelt jetzt und sagt: „Da hat aber jemand lange Ohren. Na, die wahre Geschichte vom Froschkönig.“

Jetzt machen die Kinder große Augen.

„Die wahre Geschichte vom Froschkönig?“ wiederholt Paul ungläubig.

In diesem Moment des größten Erstaunens klingelt erneut das Telefon.

Vera nimmt den Hörer ab und sagt: „Bei Bergmann.“ Und dann, kurz: „Gut.“ Und dann ruft sie Paul. Der sagt: „Hallo, Papa … Gut. Tschüss.“

In seinem Hotelzimmer im fernen Hamburg fragt sich Anton Bergmann gerade, ob er vielleicht eine falsche Nummer gewählt und mit fremden Kindern gesprochen hat. Obwohl … gesprochen hat er sie eigentlich nicht.

„Die musst du dann erzählen“, fordert Vera.

„Was muss ich erzählen?“ fragt Old Firehand.

„Na, die wahre Geschichte vom Froschkönig.“

„Also gut, weil ihr so liebe Enkelkinder seid. Versorgt euch mit Proviant für eine Reise ins Märchenland und macht es euch bequem. Dann erzähle ich euch den ersten Teil der Geschichte.“

„Nur den ersten Teil“, fragt Paul enttäuscht.

„Natürlich“, antwortet Old Firehand. „Die Geschichte ist sehr lang. Fünf Abende lang, um genau zu sein. Heute erzähle ich euch vom Prinzen Jamin und seinen drei Lehrern.“

ZWEITES KAPITEL

Old Firehand erzählt vom Prinzen Jamin und seinen drei Lehrern

In den alten Zeiten, als die Jahre der Aufklärung das Leben noch nicht aller Magie und Romantik entkleidet hatten, lebte in einem schönen Schloss aus weißem Stein, gekrönt von feuerroten Dachziegeln, ein kleiner Prinz mit seinen Eltern, dem König und der Königin. Er bewohnte ein gemütliches Turmzimmer, hoch oben, von wo er durch ein großes Fenster einen weiten Blick auf Wälder und Felder, den Fluss und einen in der Ferne blau glitzernden See hatte. Die Wände, die teilweise mit hellem Holz getäfelt waren, bestanden aus dicken Steinen. Ein Kamin, vor dem ein weicher, tiefer Teppich lag, sorgte im Winter für wohlige Wärme. Dieser kleine Prinz, Jamin geheißen, fand die größte Freude darin, in alten Folianten und neuen Romanen zu blättern und zu lesen, denn neben Freundlichkeit gegen jedermann und Heiterkeit des Gemüts waren Neugier, Wissensdrang und Freude an spannenden Geschichten seine herausragenden Charaktereigenschaften.

Seine Mutter, die Königin, unterstützte sein Interesse an Büchern und sagte: „Lesen bildet.“

Sein Vater, der König, der seiner Frau immer zustimmte, sagte: „Stimmt“, fügte jedoch hinzu: „Aber Reiten und Fechten muss der Junge auch lernen!“

Die Königin sagte: „Stimmt“, denn sie stimmte ihrem Mann auch (fast) immer zu.

Das Königspaar ließ nun im ganzen Land und darüber hinaus nach guten Erziehern und Lehrern für ihren Sohn suchen. Doch die Herrschaften, die sich im Schloss einfanden, erwiesen sich als denkbar ungeeignet: „Hochgelahrte Präzeptoren“, wie sie sich bezeichneten, konnten das Einmaleins nicht vom Alphabet unterscheiden und wussten weniger als nichts; selbsternannte „Meister der Klinge“, die über ihren Degen stolperten oder Gefahr liefen, sich mit der eigenen Waffe zu verletzen; und „Pferdekenner“, die dauernd vom Pferd fielen oder gar nicht erst in den Sattel kamen.

So gingen die Monate dahin, und der König und die Königin hatten in dieser Angelegenheit die Hoffnung fast aufgegeben.

Eines Spätnachmittages im Dezember – seit Tagen hatte heftiger Schneefall die Menschen in ihren Häusern festgehalten; erst heute hatte es endlich aufgehört zu schneien und ein klarer Himmel im schönsten Blau über einem märchenhaften Winterwald und einem vom Schnee zauberisch eingehüllten Schloss geleuchtet; und jetzt, gegen Abend, überzog die untergehende Sonne die glitzernde und funkelnde Schneelandschaft mit einem sanften rosafarbenen Schein – an diesem klirrend kalten Spätnachmittag im Dezember also hielten drei Reiter vor dem Schlosstor und baten um Herberge. Die Zugbrücke wurde herabgelassen und der Torwächter ließ die Männer in den Hof reiten.

Fremde Herren bäten um Quartier für sich und ihre Pferde, wurde dem König gemeldet. Es sei doch, so hätten die Herren gesagt, ein frösteln machendes Wetter und Hunger hätten sie auch. Dem Boten schienen sie weltgewandte Männer, die sich aber überaus zurückhaltend und angenehm verhielten und bescheiden auf Antwort warteten.

Obwohl der König und die Königin, die dem Unfrieden und der Hektik der lärmenden Welt nichts abzugewinnen vermochten, sich in der Abgeschiedenheit und Stille ihres Schlosses behaglich eingerichtet hatten, liebten sie es doch, Gäste zu empfangen und wussten ein anregendes Gespräch durchaus zu schätzen.

Die fremden Herren wurden also ohne Umstände in den großen Saal des Schlosses geführt, wo ein riesiger Kamin eine angenehme Wärme verbreitete, und dort vom Königspaar und dem kleinen Prinzen Jamin freundlich willkommen geheißen und an die üppig mit Speisen und Getränken besetzte Tafel geladen.

Es waren drei auffallende Männer, die sich da in dem hellen, einladenden Saal ihren Gastgebern präsentierten. Der Wortführer war ein kleiner, rundlicher Mann mit einem großen, schwarzen Schnurrbart. Er trug schlichte Kleidung: Ein braunes Wams, braune Lederhosen und Stulpenstiefel, die für seine Beine viel zu hoch waren und ihm ein merkwürdiges Aussehen verliehen. Ein schwarzer Mantel, der ihn vor Nässe und Kälte schützte, vervollständigte seine Garderobe. Beim gemeinsamen Mahl sollte sich Magister Kowalski, das war sein Name -

………………..

„Genau wie unser Nachbar“, ruft Paul dazwischen.

„Ja, so ein Zufall“, sagt Old Firehand grinsend.

„Großartiger Zufall“, knurrt Vera. „Kowalskis gibt’s wie Sand am Meer. Erzähl weiter.“

………………..

Beim gemeinsamen Mahl also sollte sich dieser Magister Kowalski als gebildeter Erzähler und scharfsinniger Beobachter und Kenner der modernen Zeitläufte erweisen.

Der Mann, der neben ihm ging, war mittelgroß und wie ein französischer Musketier gekleidet. Er trug eine rote, mit goldenen Tressen besetzte Uniform, darüber einen blauen Kasack, der auf Brust und Rücken mit einem weißen Kreuz versehen war, und einen schwarzen, breitkrempigen Hut mit einem weißen Federbusch, den er zur Begrüßung abgenommen hatte. Glänzendes, dunkles Haar rahmte ein pfiffiges, freundliches Gesicht, das ein gepflegter Knebelbart zierte. Als dieser Mann sich als Chevalier de Bredouille vorstellte, hob der König überrascht die Augenbrauen: Der Chevalier de Bredouille galt als bester Fechter Frankreichs, wenn nicht ganz Europas.

Sir Henry Horseface war der Dritte im Bunde. Er war ganz in Grün gewandet und hatte lange rote Haare und einen ebenso roten Vollbart. Er stammte von der Nebelinsel Britannien, wo er vor allem als Züchter der schnellsten Rennpferde des Landes berühmt geworden war. Intrigen, von missgünstigen und neidischen Konkurrenten gesponnen, hatten aus einem einst geachteten Mann bald einen gejagten Rebellen gemacht, der schließlich über den Kanal aufs Festland gegangen war und hier ein unstetes Wanderleben geführt hatte.

Diese außerordentlichen Männer waren am Hof eines europäischen Königs, bei dem sie Dienst taten, zusammengetroffen und hatten schnell Freundschaft geschlossen.