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Jürgen Augst

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Beschreibung

Ein authentischer und fesselnder Roman eines Zeitzeugen, der eindrucksvoll schildert, was unsinniges Machtstreben Menschen Dinge tun lassen, die verabscheuungswürdig und grausam sind. Dieses Buch ist Aufklärung und Mahnung zugleich. Ein Schmetterling steht für die Hoffnung, dass sich in den Köpfen und Herzen der Menschen eines Tages eine Wandlung vollziehen kann. Philomena Franz Überlebende der KZ`s Auschwitz und Ravensbrück Bundesverdienstkreuzträgerin Frau Europas 2001

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Ähnliche


Jürgen Augst

Papilio

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

PAPILIO

 

Jürgen Augst

Papilio

Frank Richter gewidmet ✝

 

Aus der Sicht eines 20 jährigen

 

 

Vorahnungen

   Und wenn Freiheit und Gerechtigkeit in Ewigkeit nichts als eine schöne Morgenröte wäre, so will ich lieber mit der Morgenröte sterben, als den glühenden, ehernen Himmel der blinden Despotie über meinem Schädel brennen lassen.

 

Seume (1, 436), Apokryphen

Ich bin wie eine Fahne von Fernen umgeben. Ich ahne die Winde, die kommen, und muss sie leben, während die Dinge unten sich noch nicht rühren: die Türen schließen noch sanft, und in den Kaminen ist Stille; die Fenster zittern noch nicht, und der Staub ist noch schwer. Da weiß ich die Stürme schon und bin erregt wie das Meer. Und breite mich aus und falle in mich hinein und werfe mich ab und bin ganz allein in dem großen Sturm.Rainer Maria Rilke Das Buch der Bilder

 

Jürgen Augst, wurde 1954 in der Oberlausitz (DDR) geboren. 1974 unternahm er einen gefährlichen Fluchtversuch über Rumänien, geriet dabei in die Fänge der berüchtigten "Securitate" und erlebte die denkbar schlimmsten menschlichen Abgründe. Nach einer 10 jährigen Odyssee siedelte er 1984 in die Bundesrepublik Deutschland über. Jürgen Augst lebt und arbeitet heute in Bergisch Gladbach.

 

Eine besondere Rezension

Ein authentischer und fesselnder Roman eines Zeitzeugen, der eindrucksvoll schildert, was unsinniges Machtstreben Menschen Dinge tun lassen, die verabscheuungswürdig und grausam sind.

Dieses Buch ist Aufklärung und Mahnung zugleich. Ein Schmetterling steht für die Hoffnung, dass sich in den Köpfen und Herzen der Menschen eines Tages eine Wandlung vollziehen kann.

 Philomena Franz

Überlebende der KZ´s Auschwitz und Ravensbrück

Bundesverdienstkreuzträgerin

Frau Europas 2001

Prolog

 Prolog

Von der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 bis in den Juni 1990 verließen über 3,8 Millionen Menschen den Staat, davon viele illegal und unter großer Gefahr.

Die Freizügigkeit war für Bürger der DDR stark eingeschränkt. Eine pass- und visafreie Ausreise war seit 1971 nur in die Tschechoslowakei und zeitweilig (bis 1980) in die Volksrepublik Polen möglich, Privat- oder Urlaubsreisen mit Visum konnten normalerweise nur in wenige Staaten unternommen werden.

Ausreisen ins nichtsozialistische Ausland unterlagen dagegen starken Restriktionen und waren für den Durchschnittsbürger nahezu unmöglich. Ein Ausreiseantrag für ein einmaliges Verlassen der DDR (Übersiedeln in den Westen) wurde, wenn überhaupt, oft erst nach Jahren genehmigt, hatte für den Antragsteller (und oft auch für seine Angehörigen) meist Nachteile - zum Beispiel im beruflichen Bereich - und war verbunden mit Schikanen durch das Ministerium für Staatssicherheit, beispielsweise Zwangsumsiedlung, Bespitzelung durch Abhören, Drohanrufe. Mehrfache Antragstellung brachte Zehntausende ins Gefängnis. Dienstreisen von Wissenschaftlern, Managern, LKW-Fahrern, Piloten, Seeleuten, Lokführern, Journalisten, Bauarbeitern, Sportlern Künstlern etc. (sogenannte Reisekader) in den Westen wurden ebenfalls erst nach einer Sicherheitsüberprüfung auf politische Zuverlässigkeit durch das Ministerium für Staatssicherheit genehmigt. Der Mangel an legalen Möglichkeiten veranlasste viele Menschen, die im Rahmen einer erlaubten Westreise im Westen waren, ohne Genehmigung der DDR-Behörden nicht wieder in die DDR zurückzukehren. Eine legale Ausreise ohne Genehmigung der Behörden der DDR war erst im Vorfeld der Wiedervereinigung ab Sommer 1990 möglich.

Rechtslage in der DDR

 Der Straftatbestand, der die Flucht aus der DDR kriminalisierte, wurde in der DDR und auch in der Bundesrepublik Deutschland fast immer Republikflucht genannt. Nach § 213 Absatz 1 StGB-DDR vom 12. Januar 1968 war der Grundtatbestand des Ungesetzlichen Grenzübertritts im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren strafbewehrt. In der Rechtspraxis wurde jedoch häufig ein „schwerer Fall“ gemäß Absatz 2 angenommen, die Höchststrafe betrug dann 5 Jahre Freiheitsstrafe. Durch Gesetz vom 28. Juni 1979 wurde der § 213 neugefasst, der nunmehr in Absatz 3 geregelte „schwere Fall“ sah ab diesem Zeitpunkt eine Höchststrafe von 8 Jahren Freiheitsstrafe vor. Gemäß Absatz 3, Punkt 3 und 4, lag ein schwerer Fall bereits dann vor, wenn die Tat „mit besonderer Intensität“, „durch Urkundenfälschung“ oder „unter Ausnutzung eines Verstecks“ erfolgte. Die Regierung der DDR versuchte, die Zahl der „Republikflüchtlinge“ einerseits durch sozialpolitische Maßnahmen niedrig zu halten, andererseits aber auch durch massive Abriegelung der Grenzen mit Sperranlagen. Seit der Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und den westlichen Besatzungszonen vom 26. Mai 1952 wurde die innerdeutsche Grenze massiv abgeriegelt, ab dem 13. August 1961 wurde die Berliner Mauer errichtet.

Die Grenztruppen der DDR sollten diese – „Republikflucht“ genannten – Fluchtversuche auf jeden Fall verhindern. An der gesamten innerdeutschen Grenze standen Posten der Grenztruppen, die zur Verhinderung von Grenzdurchbrüchen auch Gebrauch von der Schusswaffe machten (Schießbefehl); dort waren auch Minen und Selbstschussanlagen installiert. Das hatte zur Folge, dass viele Menschen beim Versuch, die Sperranlagen zu überwinden, um die DDR zu verlassen, getötet wurden. Nach Angaben der Berliner „Arbeitsgemeinschaft 13. August“ starben zwischen 1949 und 1989 insgesamt 1135 Menschen bei Grenzzwischenfällen an der innerdeutschen Grenze.Quelle: Wikipedia

Für viele Ausreisewillige blieb angesichts der fast undurchdringlichen Sperranlagen nur die Möglichkeit, die Flucht über ein Drittland zu wagen. Die Chancen waren aber kaum besser. Wer Pech hatte geriet vom Regen in die Traufe. Besonders hart traf es Flüchtlinge, die ihr Glück über Rumänien versuchten. Die dort mit besonderer Brutalität wütende Securitate galt als die schärfste Geheimpolizei nach der Gestapo. Bekannt wurden ihre Gräueltaten erst nach dem Sturz des Diktators Ceaușescu. Die Aufarbeitung der Machenschaften und Verbrechen der Securitate erfolgte in Rumänien bisher recht unbefriedigend, wenngleich intensivere Bemühungen in den letzten Jahren nicht zu verkennen sind. Dies wirkt sich auch auf die Lage und Handlungsmöglichkeiten der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Opfer der politischen Polizei Rumäniens aus. Ihnen sind ihre Opferakten, wenn überhaupt, erst spät zugänglich geworden und die ausgehändigten Akten sind vielfach offenkundig unvollständig. Zudem ist bislang die nach rumänischer Rechtslage mögliche Auskunft der Klarnamen der Täter, also der Informanten und informellen Mitarbeiter der Securitate, nur zögerlich und lediglich in begrenzten Fällen erteilt worden.

Vor diesem Hintergrund wird der Leser in eine Zeit versetzt, in der 30 Jahre nach Ende der Nazi Diktatur immer noch Menschen verachtende Mechanismen funktionieren.

Die Geschichte ist keine Fiktion, sondern hat sich so zugetragen.

 Jürgen Augst

 

Das Verhör

Ich habe Angst. Gottverdammte Angst, hier zu verrecken. Es stinkt fürchterlich. Fremder und mein eigener Dreck kleben im und über dem Loch in der Ecke. Ich habe das Gefühl ständig kotzen zu müssen. Mir ist kalt und ich spüre jeden Knochen in mir. Schlafen, ich will endlich schlafen, aber das Durcheinander in meinem Kopf lässt mich nicht.

Immer wieder frage ich mich, wie es weitergehen soll. Eine Antwort finde ich nicht. Ich habe Durst. Am Boden neben der Liege steht eine Plastiktasse. Ich hebe sie an und stelle enttäuscht fest, dass sie leer ist. Kurz bevor das Licht ausging, hatte ich noch daraus getrunken. Alles auf einmal, und jetzt ärgere ich mich darüber. Nun muss ich wieder warten, bis sie mit ihrem entsetzlichen Geschrei das Tagesmahl bringen. Ein dunkles und dickflüssiges Etwas mit rotbraunen Bohnen, ein faustgroßes Stück Maisbrot und die Plastiktasse mit Tee. Wie oft ich das Zeug schon herunter gewürgt habe, weiß ich nicht mehr. Sind es Tage oder Wochen, die ich hier kampiere? Zu lange. Warten, immer nur warten. Das ist ihre Taktik. Was haben die mit mir vor? Die Ungewissheit zerreißt mich. Wann werden die mich endlich holen, damit ich es hinter mir habe?

Gespannt lausche ich auf jedes Geräusch außerhalb meiner Zelle. Die Schreie und das ständige Stöhnen der armen Schweine von Mitgefangenen halte ich kaum noch aus. Immer wieder und in unregelmäßigen Abständen höre ich sie; und sie machen mir Angst, denn ich ahne den Grund.

Dann wieder diese lähmende Stille, die mich fast in den Wahnsinn treibt. Ein unheimlicher Wechsel. Ich drehe mich zur Seite und ziehe die Decke über den Kopf. Nichts hören und nichts denken. Ich bin müde, möchte nur noch schlafen, träume wirres Zeug und wache wieder auf.

Schwere Schritte hallen durch den Gang - kommen näher. Ich halte den Atem an und lausche auf die Stimmen, die sie begleiten und jetzt ganz dicht vor meiner Tür sind. Die Stimmen verstummen. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Schlüssel rasseln und ein Riegel wird zurückgeschoben. Ich erschrecke und springe von meiner Liege auf. Jetzt wird es ernst, denke ich. Licht flammt auf. Es blendet und ich kneife meine Augen zusammen. An der Tür erkenne ich schemenhaft zwei Gestalten. Eine winkt mir zu.

„Los, mitkommen. Los, schnell, schnell!“

Ich soll ihrem Befehl folgen, aber meine Beine haben etwas dagegen. Als würden Tonnen von Blei daran hängen, ziehen und zerren sie an mir und halten mich zurück. Ich stehe immer noch auf der gleichen Stelle, ängstige mich. Will da nicht raus.

„Was ist? Hast du mich nicht gehört?“

Ich schweige. Der, der mich gerade aufgefordert hat, kommt auf mich zu und zerrt an meinem Hemd. Ich taumle. Kurz darauf stehe ich ihnen gegenüber. Erst jetzt kann ich sie genau erkennen. Es ist verdammt hell auf dem Flur. Ein dürrer großer Typ, mit auffallend auseinander stehenden dunklen Augen und üppiger Nase, lehnt an der Wand, während der andere Kerl, klein und dick, sich breitbeinig vor mir postiert. Grinsend betrachten mich beide von oben bis unten und unterhalten sich wahrscheinlich über mich. Ich verstehe ihre Sprache nicht. Urplötzlich schreit er mich wieder an:

„Was guckst du?“

Wohin soll ich denn sonst hinsehen, du Arsch? Am liebsten würde ich ihm in seine von Pickeln übersäte Fresse spucken. Irgendwie scheint der Dicke meine Gedanken zu erraten. Er tritt einen Schritt zurück und greift nach dem Schlagstock an seinem Gürtel.

„Was ist? Hast du Schiss?“

Der Dürre bricht nach dieser Frage in höhnisches Gelächter aus, in das der Dicke mit einstimmt. Gleichzeitig schlägt er mit dem Stock gegen seinen Oberschenkel. Diese perversen Schweine. Fühlen sich stark. Sie reden wieder in diesem Kauderwelsch, und der Dürre nickt und grinst mich an. Ich kann es nicht ertragen. Im nächsten Augenblick zwängt sich der Dürre an dem Dicken vorbei, fasst mich am Oberarm und reißt mich herum.

„Vorwärts!“, schnauft er.

Ich muss den Atem anhalten, denn er stinkt penetrant nach Schweiß. Aus seinem Mund trifft mich eine Kanonade aus Knoblauch und faulen Zähnen. Er stößt mich vor sich her, in die Richtung, in die ich anscheinend gehen soll. Vor mir liegt ein schier endlos langer Gang, nur einige Schritte breit. Rechts die Zellen, und mein Blick fällt auf ein hüfthohes Geländer gegenüber. Dahinter geht es tief abwärts. Mindestens drei oder vier Etagen, schätze ich. Den Boden kann ich von meinem Standort aus nicht erkennen. Man könnte mich hier hinunter stoßen, und kein Hahn würde nach mir krähen.

Die werden doch nicht etwa - nein, das bringen die nicht fertig. Ich muss an die zu Hause denken. Sie tun mir leid. Mutter läuft bestimmt wieder Amok. Das tut sie immer, wenn etwas nicht so läuft, wie sie es sich vorstellt. Mit Scheuklappen - Mitten durch. Das war nicht immer so. Erst seit Vaters Tod ist sie anders. Keine Spur mehr von der ruhigen und ausgeglichenen Frau. Eine Wende um nahezu einhundert achtzig Grad.

Mich wundert’s nicht. Man hat ihr übel mitgespielt. Warum musste er auch, so mir nichts dir nichts, von der Bühne abtreten? Sie mit allem überfordern? Selbst sein Abgang kam überraschend, wie so vieles. Zuerst kam er, immer er. Danach die Göre mit ihren Segelohren. Verhätschelt bis zum geht nicht mehr. Sie durfte alles. Sie hat nie eine hinter die „Binde“ bekommen, wenn sie nicht so funktionierte, wie er sich das vorstellte. Nur einmal bekam sie seine Hand zu spüren. Mit ihrem nagelneuen, weißen Rock wollte sie über einen Graben springen. Das ging gehörig daneben, und plumps lag sie im Dreck. Da war nichts mehr zuerkennen vom blütenweißen Stück Stoff. Die Tracht Prügel danach vergesse ich bis heute nicht. Irgendwie tat sie mir aber dann doch leid. Er konnte fest zuschlagen. Ich muss nur dran denken, dann zwirbelt es wieder. Immer am Wochenende gab es bei uns abwechselnd Butterbrötchen mit Kakao oder Eintopf. An so einem Samstag saßen wir wieder einmal zu dritt vor unserer flüssigen Nahrung. Er musste Arbeiten und sollte erst abends nach Hause kommen. Eine lästige Fliege wollte mir das Mahl einfach nicht gönnen. Ständig schwirrte sie um mich herum. An meinen Ausdünstungen konnte es nicht liegen, denn ich hatte mich zuvor gründlich gewaschen. Ohne groß nachzudenken griff ich nach dem Ledergürtel, der über dem freien Stuhl hing. So bewaffnet wollte ich das Viech beseitigen. Sie hatte sich inzwischen auf die kürzlich neu gekaufte Küchenlampe gesetzt. Eine ideale Position um ihr den Garaus zu machen. Das Dumme daran – sie war aus Glas. In meinem Jagdfieber vergaß ich das und schlug heftig zu. Es krachte. Die Fliege flog weg und die Lampe hinterher. Der erste Gedanke danach galt dem Teppichklopfer.

Ich bin zwar nicht der Mutigste unter der Sonne, aber die drohende Strafe führte schließlich dazu, dass ich aus dem Küchenfenster sprang. Na ja, vom Erdgeschoss ist das auch nicht besonders gefährlich. Nur weg hier. Als wäre der Teufel hinter mir her, rannte ich so schnell mich meine Beine trugen. Zwei Tage habe ich mich im Wald versteckt. Dem Teppichklopfer bin ich dennoch nicht entkommen.

Was würde er wohl jetzt sagen? Diese Flucht war eine ganz andere. Sein „Großer“, so nannte er mich immer, wenn er gut gelaunt war. Sein Großer traut sich endlich einmal was zu. Wann auch sonst? Solange ich denken kann, hat er mir alles abgenommen. Mit immer der gleichen Bemerkung:

„Komm lass, ich mache das schon.“