Pascha Abu Hassan und sein Wesir - Frederick Marryat - E-Book

Pascha Abu Hassan und sein Wesir E-Book

Frederick Marryat

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Beschreibung

Abu Hassan wird zum Pascha über Kairo und die umliegenden Provinzen des Osmanischen Reiches ernannt. Zum WESIR machte er seinen Barbier Mustapha, der ihm unterwürfigst diente. Beide begaben sich spätabends und unerkannt auf die Straßen Kairos, stets auf der Suche nach neuen Geschichten zur Abendunterhaltung des arg gelangweilten Paschas. Dort belauschten sie die Gespräche zwischen herumlungernden Menschen. Wenn dabei Äußerungen fielen, die des Pascha's Interesse weckten, wurde dem betreffenden Sprecher befohlen, gleich am nächsten Tag im Palast zu erscheinen, um näheres darüber zu erzählen.    So gerieten in Kairo lebende Sklaven ins Blickfeld des Paschas, der großen Wert auf spannende Geschichten legte. Wurde diese Forderung nicht erfüllt, drohte dem Erzähler die Bastonade, schlimmstenfalls sogar die Enthauptung.    In diesem Buch wird Licht geworfen auf die Verhältnisse im Osmanischen Reich zu jener Zeit, die von Habgier, Intrigen, Geltungssucht und Grausamkeiten geprägt wurde, insbesondere auf das totalitäre, gesetzlose Gebaren der Sultane, Kalifen, Paschas sowie ihrer Vasallen.  

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Frederick Marryat

Pascha Abu Hassan und sein Wesir

Die Geschichten seiner Sklaven

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Pascha Abu Hassan und sein Wesir

Pascha Abu Hassan und sein Wesir

 Die Geschichten ihrer Sklaven

 

nach Captain Frederick Marryat

1782 - 1848

Aus der zweiten Auflage von 1857

Herausgegeben von der

Hoffmann’schen Verlags-Buchhandlung

Stuttgart

  

Text in Neufassung

und 2016 als E-Book veröffentlicht 

von Claus H. Stumpff - www.chsautor.de

 

 

 

 

Zum Inhalt

Abu Hassan, ehemaliger Barbier und Heerführer, wurde vom Kalifen zu Bagdad als Pascha über Kairo und die umliegenden Provinzen des Osmanischen Reiches eingesetzt. Zu seinem WeSir ernannte dieser wiederum Mustapha, seinen persönlichen Barbier, der ihm unterwürfigst zur Seite stand.

Pascha Abu Hassan war von Geltungssucht beherscht und wollte es dem berühmten Kalifen Harun Al Raschid gleich tun, dem es allein darum ging, von den Sorgen und Nöten der Bewohner zu erfahren. Auch Abu Hassan und Mustapha begaben sich spätabends und unerkannt – wie einst Harun Al Raschid – auf die Straßen Kairos, allerdings auf der Suche nach Geschichten zur Abendunterhaltung des amtsmüden und stets gelangweilten Paschas. Begegneten sie dort Menschengruppen, dann belauschten sie deren Gespräche. Wenn dabei Äußerungen fielen, die des Pascha’s Interesse weckten, wurde dem betreffenden Sprecher befohlen, gleich am nächsten Tag im Palast zu erscheinen, um ihm näheres darüber zu erzählen.

 

So gerieten immer wieder Menschen ins Blickfeld des Paschas – zumeist in Kairo lebende Sklaven – die von ihren zumeist seltsamen Erlebnissen erzählen mussten. Dabei legte der Pascha großen Wert auf spannende Geschichten. Wurde diese Forderung nicht erfüllt, drohte dem Erzähler die Bastonade, schlimmstenfalls die Enthauptung.

 

In diesem Buch wird Licht geworfen auf die Verhältnisse im Osmanischen Reich zu jener Zeit, die von Habgier, Intrigen, Geltungssucht und Grausamkeiten geprägt wurde, insbesondere auf das totalitäre, gesetzlose Gebaren der Sultane, Kalifen, Paschas sowie ihrer Vasallen.

 

 

Vorwort des Herausgebers

Das vorliegende E-Book ist die Neufassung des 1845 unter dem Titel »DER PASCHA« im Verlag Adolph Krabbe, Stuttgart, erschienenen Werkes. Der englische Originaltitel lautet »The Pasha of Many Tales«. Die Übersetzung aus dem Englischen muss als total misslungen bezeichnet werden; sie erfolgte anscheinend nur mithilfe eines englisch-deutschen Wörterbuchs. Infolge falscher Wortwahl, überlanger und unverständlicher Satzkonstruktionen war der deutschsprachige Text bislang so gut wie unlesbar. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass dieses großartige Werk Frederick Marryat’s im deutschen Sprachraum kaum bekannt wurde, denn alle Veröffentlichungen deutscher Verlage basieren auf der Original-Übersetzung.*

(*Siehe unter http://gutenberg.spiegel.de/buch/der-pascha-3829/2)

 

Um dieses Werk überhaupt lesbar zu machen, war eine Überarbeitung erforderlich, ohne dass dadurch der Charme des im 19. Jahrhundert üblichen, ausschweifenden Schreibstils ganz verloren geht. Allerdings mussten allzu schwülstige Passagen dem heutigen Sprachgebrauch behutsam angepasst und widersprüchliche Folgerungen berichtigt werden. Bei komplizierten und nicht mehr zeitgemäßen Formulierungen bzw. Satzkonstruktionen erfolgte eine Neufassung.

 

Frederick Marryat darf man als großartigen, fantasiereichen und humorvollen Erzähler bezeichnen. Allerdings hätte sein Werk eines Lektorats bedurft; es enthält sehr viele gravierende Fehler hinsichtlich Handlungsablauf und Ausdrucksweise. Oft ist auch die Erzähl-Logik lückenhaft und musste ergänzt werden. Nicht zu Unrecht wurden Marryatֹ’s viel zu hastigen, schriftstellerischen Aktivitäten kritisiert, denn innerhalb von nur neunzehn Jahren schuf er etwa 30 Werke.

 

Dieses Buch gibt aufschlussreiche, spannend beschriebene Einblicke in das Leben der Menschen im Osmanischen Reich unter der Herrschaft despotischer Paschas und Sultane sowie über das Seefahrertum im 18.  Jahrhundert.

 

Claus H. Stumpff

 

 

 

 

Prolog

Wer mit den früheren Sitten und Gebräuchen des Orients vertraut ist, weiß vielleicht auch, dass kein hoher Posten risikoreicher für ihren jeweiligen Inhaber war, als der eines Paschas. Wurde jemand vom Sultan zum Pascha ernannt, musste er befürchten, dass es ihm eines Tages ebenso wie vielen seiner Vorgänger ergehen könnte. Denn etliche türkische Sultane ließen einem missliebigen Untertan je nach Lust und Laune die Seidene Schnur überreichen, was einer Aufforderung zum Selbstmord gleich kam oder die bevorstehende Erdrosselung durch den Scharfrichter ankündigte. Hin und wieder holte sich einer dieser Despoten jemanden aus einer Protestversammlung heraus, um ihm dann schwungvoll den Kopf mit einem Scimetar (Krummsäbel) abzuschlagen. Das war eine grausame Gepflogenheit, die nur durch den König von Dahomy überboten wurde. Der Sage nach ließ dieser jeden Morgen die Stufen seines Palastes mit frisch abgeschlagenen Köpfen verzieren.

 

Aber wer wurde zum Pascha ernannt? Kalifen, Könige oder Sultane belohnten einen unterwürfigen Vertrauten gern mit einem solchen Ehrenamt, das es dem zumeist ungebildeten Inhaber gestattete, auf seine ehemaligen Standesgenossen würdevoll herabzuschauen, gleichzeitig von ihnen höchste Ehrerbietung zu verlangen. Niemand erfuhr den Grund, warum jemand zum Pascha einer Provinz und Herrscher über deren Bewohner erhoben wurde.

 

 

 

 

1. Kapitel

Erzählung des Kamelverleihers

 

Pascha Abu Hassan, von dem hier die Rede ist, hatte zunächst den Beruf des Barbiers erlernt. Über seine Beziehungen zu regierungsnahen Kreisen wurde ihm eine bedeutende Position in der Armee verschafft. Schließlich wurde er zum Befehlshaber über die Truppen erhoben, eine Aufgabe, die er mit viel Geschick ausführte. Alles ging ihm gut von der Hand. Sein Vorgänger war nach seiner und des Sultans Meinung schon viel zu lange im Dienst. Man hatte daher beschlossen, ihn auf die damals übliche Weise loszuwerden und ihm die ›Seidene Schnur‹ überreicht. Durch einen Erlass des Sultans wurde nun Abu Hassan zum Paschalick (anstatt Fußnote: bezeichnet die Würde und das Amt eines Paschas) bestimmt. Seine Befähigung für das hohe Amt bestand aus lauter Superlativen. Er war sehr klein, sehr beleibt, sehr unwissend, sehr jähzornig und sehr einfältig.

 

Am Morgen nach seinem Amtsantritt befand er sich unter den Händen seines Barbiers namens Mustapha. Barbiere sind aus vielerlei Gründen privilegierte Leute. Da sie von einem Kunden zum anderen wechseln, so gewinnen sie auch Unterhaltungsstoff, der auch dazu dient, die Langeweile bei einer Rasur zu überbrücken. Außerdem steht man gern in gutem Verhältniss zu einem Mann, in dessen Macht es steht, jedermann – falls es ihm beliebt – die Kehle durchzuschneiden. Und schließlich machen die persönlichen Freiheiten, die dieser Beruf mit sich bringt, alles andere zur Nebensache. Denn dem Mann, der seinen Herrscher bei der Rasur an die Nase fasst, kann wohl kaum die Freiheit der Rede verweigert werden.

Mustapha war gebürtiger Grieche, der die Klugheit und Gewandtheit seiner Ethnie besaß. Er war als Sklave für dieses Gewerbe ausgebildet worden, begleitete aber mit neunzehn Jahren seinen Herrn an Bord eines Kauffahrers, der nach Scio fuhr. Dieses Schiff wurde von Seeräubern überfallen, und Demetrius – das war sein richtiger Name – schloss sich dieser räuberischen Bande an, getreulich eine Lehrzeit als Gurgelabschneider durchmachend, bis das Schiff von einer englischen Fregatte gekapert wurde. Da er sich als ein vernünftig wirkender Mann gab, wurde er in die Schiffsmannschaft aufgenommen. Er machte mehrere Seegefechte mit und kam, nachdem er drei Jahre gedient hatte, nach England, wo das Schiff abgewrackt wurde.

Eine zeitlang versuchte Demetrius sein Glück zu machen, aber ohne Erfolg, und erst als er fast seinen letzten Schilling ausgegeben hatte, nahm er einen Hausiererhandel mit Rhabarberpulver auf, das er in Schächtelchen verkaufte. Dieses Geschäft erwies sich als so einträglich, dass er nach kurzer Zeit ein Schiff nach seiner Heimat Smyrna nehmen konnte. Dieses wurde allerdings von einem französischen Kaperer aufgebracht. Man setzte ihn an Land und ließ ihn, da man ihn nicht als Gefangenen betrachtete, nach Gutdünken handeln.

Nach einiger Zeit trat er die Stelle eines Kammerdieners und Barbiers bei einem steinreichen Bonzen an, den er um einige hundert Napoleons (franz. Goldmünze zu 20 Francs ab 1803) bestahl, worauf er entfliehen musste. Demetrius hatte inzwischen viel von der Welt erfahren und und hielt es für notwendig, ein gläubiger Mohammedaner zu werden. Denn dadurch bestand für ihn die beste Aussicht, in dem Osmanischen Reich beruflichen Erfolg zu haben. Er wünschte den Patriarchen zum Teufel und kleidete sich in Turban und Kaftan. Dann verließ er den Schauplatz seines bisherigen Lebens und betrieb das Barbiergewerbe in dem Territorium des Paschas Abu Hassan, dessen Geneigteit er sich zu gewinnen gewusst hatte, noch ehe dieser das Paschalick angetreten hatte.

 

»Mustapha«, sagte eines Tages der Pascha Abu Hassan zu seinem Barbier, »Du weißt doch, dass ich all denen, die ihre Pantoffeln vor der Tür des vormaligen Paschas stehen ließen, die Köpfe abschlug.«

 »Allah Kebur! Gott ist mächtig! So gehen die Feinde Eurer erhabenen Hoheit zu Grunde. Waren sie nicht die Söhne von Shitan?)«, fragte Mustapha. (anstatt Fußnote: Shitan bedeutet Teufel)

»Sehr wahr, aber Mustapha, die Folge davon ist, dass es mir an einem Wesir (anstatt Fußnote:: hoher Staatsbeamter) fehlt. Welchen fähigen Mann könnte ich wohl auf diesen Posten befördern?«

»Solange Eure erhabene Hoheit Pascha ist, muss sogar ein Kind diesem Amt gewachsen sein. Wer könnte noch straucheln, wenn er durch Eure niemals irrende Weisheit geleitet wird?«

»Ich weiß das recht wohl«, erwiderte Abu Hassan, ›aber wenn ich ihm immer Anweisungen geben müsste, so könnte ich ebenso gut selber den Wesir machen. Und außerdem – wen hätte ich dann, auf den sich die Schuld schieben ließe, wenn die Dinge schlecht beim Sultan verlaufen? Insch allah!, so Gott will, kann der Kopf des Wesirs bisweilen meinen eigenen retten.«

»Sind wir nichts als bloß Hunde vor Euch?«, meinte Mustapha. »Gepriesen sei der Mann, der durch die Opferung seines eigenen Kopfes den von Eurer erlauchten Hoheit retten kann! Es müsste der stolzeste Tag seines Lebens sein.«

»Jedenfalls wäre es auch sein  letzter«, entgegnete Abu Hassan.

»Möge Eure durchlauchtigste Hoheit geruhen«, bemerkte Mustapha nach einer Pause – »wenn Euer Sklave so hoch geehrt würde, in Eurer Gegenwart sprechen zu dürfen, so sollte ein Wesir eine Person von großem Können sein, er muss die Linie so genau ziehen können, wie ich, wenn ich Euren durchlauchtigen Kopf rasiere – keine Spur eines Haars darf stehen bleiben, während zugleich auch der leichteste Einschnitt in die Haut vermieden werden muss.«

»Sehr wahr, Mustapha!«

»Er muss ein scharfes Auge haben auf alle, die mit der Regierung unzufrieden sind, sie auswählen und aus dem Volk entfernen wie ich es mit den wenigen weißen Haaren mir erlaube, die sich unter Euren durchlauchtigen und großartigen Bart mischen.«

»Sehr wahr, Mustapha.«

»Er muss sorgfältig alle Unsauberkeiten aus dem Staat entfernen, wie ich es soeben mit Euren durchlauchtigen Ohren gehalten habe.«

»Ganz richtig, Mustapha!«

›Außerdem sollte er Eurer Hoheit stets dankbar sein für die große Ehre, die ihm übertragen wurde.«

»All dies ist richtig, Mustapha, aber wo sollte ich einen solchen Mann finden?«

»Diese Welt ist manchmal recht bequem«, fuhr Mustapha fort, ›denn wenn man einen Dummkopf oder Schurken haben möchte, so braucht man nicht lange zu suchen. Aber es ist keine leichte Aufgabe, die Person aufzufinden, die Ihr braucht. Ich kenne nur eine einzige.«

»Und wer wäre diese?«

»Jemand, der seinen Kopf nur als Euren Fußschemel betrachtet«, antwortete der Barbier, sich vor dem Pascha niederwerfend. »Euer durchlauchtigsten Hoheit unterwürfigster Sklave, Mustapha.«

»›Heiliger Prophet! So meinst Du also Dich selbst – na, wenn ich mir die Sache überlege, so sehe ich nicht ein, warum ein Barbier nicht Wesir werden könnte, da ein anderer Barbier Pascha geworden ist. Aber woher soll ich einen neuen Barbier bekommen? Nein, nein, Mustapha – ein guter Wesir ist leicht zu finden, aber Du weißt so gut, wie ich, dass zu einem guten Barbier einiges Talent gehört.«

»Euer Sklave sieht dies wohl ein«, sagte Mustapha, aber er ist in Ländern herumgekommen, wo nicht selten Männer mehrere Regierungsämter bekleiden, die noch weniger zueinander passen als die Posten eines Barbiers und eines Wesirs, die stets in persönlicher Verbindung stehen. Die Machthaber dieser Welt pflegen ihre Probleme während ihrer Morgentoilette zu lösen. Solange ich den Kopf Eurer durchlauchtigen Hoheit rasiere, kann ich Eure Befehle, anderen die Kehlen durchzuschneiden, entgegennehmen, und Ihr habt dann Euch selbst und Eure Provinz zur gleichen Zeit in Ordnung gebracht.«

»Sehr wahr, Mustapha. Nur unter der Bedingung also, dass Du das Amt des Barbiers weiterführst, habe ich nichts dagegen, Dir auch das eines Wesirs zu übertragen.«

Mustapha warf sich, sein Rasiermesser in der Hand, abermals zu Boden, stand dann wieder auf und setzte seine Arbeit fort.

»Du kannst auch schreiben, Mustapha?«, fragte Abu Hassan nach kurzem Schweigen.

»Min Allah! Gott verhüte, dass ich Euch etwas Derartiges eingestehen müsste, denn dann würde ich mich für ganz ungeeignet halten, das Amt zu übernehmen, womit mich Eure durchlauchtige Hoheit bekleidet hat.«

»Obwohl es für mich nicht wichtig ist, meine ich doch, schreiben zu können dürfte von einem Wesir verlangt werden«, bemerkte Abu Hassan.

»Lesen zu können mag wohl wichtig sein, wie ich zugeben muss«, erwiderte Mustapha, ›aber ich getraue mir, Eurer Hoheit bald den Beweis zu liefern, dass das Schreiben ebenso gefährlich wie nutzlos sein kann. Durch diese unglückselige Kunst sind mehr Menschen zu Grunde gerichtet worden, als durch irgendeine andere. Sie ist nicht nur gefährlich für alle – insbesondere für Männer, die höchste Verantwortung tragen. Eure durchlauchtige Hoheit schickt zum Beispiel eine schriftliche Depesche ab, die keine gute Aufnahme findet und nun gegen Euch gerichtet wird. Wäre der Auftrag mündlich erteilt worden, so könntet Ihr das ableugnen und dem Tartaren, der sie überbrachte, zum Beweis Eurer Aufrichtigkeit eine Bastonade (Hiebe auf die nackten Fußsohlen) erteilen lassen, bis er nicht mehr laufen kann.«

»Sehr wahr, Mustapha.«

»Der Großvater Eures Sklaven«, fuhr der Barbier-Wesir fort, »›war Generaleinnehmer im Zollhaus und geriet stets in Wut, wenn er sich genötigt sah, die Schreibfeder in die Hand zu nehmen. Er hielt sich an das Glaubensbekenntnis, dass keine Regierung gedeihen könne, wenn das Schreiben allgemein in Brauch komme. ›Gib Acht, Mustapha‹, sagte er eines Tages zu mir, ›welch’ ein Fluch in dem Schreiben liegt. Für alles Geld, das bei mir eingezahlt wird, muss ich eine Quittung ausstellen. Was ist die Folge davon? Dass die Regierung jedes Jahr viele tausend Zechinen verliert, denn wenn ich von den Leuten eine nochmalige Bezahlung verlange, weisen sie eine Quittung vor. Wenn nun diese verfluchte Erfindung des Schreibens nicht wäre – Insh-allah! – so hätten sie zweimal wenn nicht gar dreimal zahlen müssen. ›Merke Dir’s wohl, Mustapha‹, sagte er mir, ›dass Lesen und Schreiben nur Hemmblöcke unter den Rädern der Regierung sind.‹«

»Sehr wahr, Mustapha«, bemerkte der Pascha. »Wir wollen also nichts vom Schreiben wissen.«

»Ja, Eure durchlauchtige Hoheit – alles Schriftliche muss von anderen kommen, nur nicht von uns. Ich kenne einen jungen griechischen Sklaven, den man hierfür einsetzen könnte. Er kann gut lesen und ich hatte ihn einmal darum gebeten, mir die Märchen von ›Tausendundeine Nacht‹ vorzulesen.«

»Von was handeln sie?«, rief Abu Hassan freudig aus. »Ich habe noch nie etwas davon gehört und bin ein großer Freund von Märchen.«

»Wenn Eure durchlauchtige Hoheit geruhen wollen, diese Märchen anzuhören, so wird der Sklave Eurer Befehle gewärtig sein«, entgegnete der neue Wesir.

»Bring’ ihn heute Abend her, Mustapha, wir wollen zusammen eine Pfeife rauchen und ihm zuhören. Märchen führen mich immer in einen sanften Schlaf.«

 

Die Arbeit des Tages wurde von den beiden ehemaligen Barbieren eiligst erledigt. Sie bewiesen sich damit, wie leicht es war, zu herrschen, wenn es nicht ›Die drei Stände‹ gäbe. Diese hatten sich an der Landstraße angesiedelt, und für jeden, der dort vorbei kam, hieß es: ›Deine Börse oder Dein Leben!‹

Zur üblichen Zeit schloss der Hof, die Wachen zogen sich zurück, das Geld wurde in die Schatzkammer gebracht, der Henker wischte sein Schwert ab, und die Untertanen des Paschas wiegten sich in Sicherheit, bis die Streitfälle der Provinz am nächsten Tag wieder behandelt werden konnten.

 

In Erfüllung von Pascha Abu Hassans Wunsch erschien Mustapha am Nachmittag mit dem jungen griechischen Sklaven. Der neue Wesir hatte auf einem Kissen zu Füßen des Pascha’s Platz genommen, die Pfeifen wurden angezündet und der Sklave erhielt Weisung, mit seiner Erzählung zu beginnen.

Der Grieche war beim Ende der ersten Nacht angelangt, worin Sherezade ihr Märchen vorträgt und der Sultan, der dessen Ende zu hören verlangt, ihre Hinrichtung auf den folgenden Tag verschiebt.

»Halt«, rief Abu Hassan, die Pfeife aus seinem Munde nehmend, »wie lange vor Tagesanbruch weckte diese Frau ihre Schwester?«

»Ungefähr eine halbe Stunde, durchlauchtige Hoheit.«

»Wallah!, ist das alles, was sie von ihrem Märlein in einer halben Stunde erzählen konnte? In meinem Harem gibt es nicht ein einziges Weib, welches nicht dasselbe in fünf Minuten hätte sagen können.«

Der Pascha ergötzte sich dann doch so sehr an den Märchen, dass er nicht ein einzigesmal zum Einschlafen kam, im Gegenteil sah sich der griechische Sklave genötigt, jeden Nachmittag vorzulesen, bis seine Beine so müde waren, dass er kaum noch stehen konnte, und seine Lunge ihm fast den Dienst versagte. Das Buch war deshalb schon bald zu Ende gelesen, und da Mustapha keine weiteren Märlein beizuschaffen wusste, so kamen die bisherigen zum zweiten Male dran.

Bald aber missfiel Abu Hassan der Mangel an Abendunterhaltung. Er wusste anfangs nicht, womit er die Zeit verbringen sollte, wurde dann hypochondrisch und zuletzt so reizbar, dass sogar Mustapha sich ihm zeitweilig nicht ohne Bangen näherte.

»Ich habe nachgedacht«, bemerkte Abu Hassan eines Morgens, als er sich gerade unter Mustapha’s Barbierhänden befand, »dass es mir gleichfalls ermöglicht werden sollte, einen eigenen Märchenerzähler zu haben, wie der Kalif in den arabischen Nächten.«

»Es wundert mich nicht, dass Eure Hoheit Verlangen darnach tragen. Diese Märchen gleichen dem Opium, sie erfüllen die Seele für einen Augenblick mit reizvollen Geschichten, lassen aber, wenn die Wirkung vorbei ist, durch Überreizung eine gewisse Lähmung spüren. Wie gedenken Eure durchlauchtige Hoheit dieses Ziel zu erreichen, und auf welche Weise kann Euch Euer Sklave dabei behilflich sein?«

»Ich werde das ohne Deinen Beistand schaffen. Komm heute Abend, Mustapha, und Du wirst es sehen.«

 

Mustapha erschien wie ihm aufgetragen wurde. Abu Hassan rauchte weiter seine Pfeife und schien mit sich selbst zu Rat zu gehen. Dann legte er seinen Rauchapparat weg, klatschte in die Hände und befahl einem Sklaven, seiner Favoritin Zeinab zu melden, dass sie zu ihm kommen möge.

Zeinab trat mit heruntergelassenem Schleier ein.

»Deine Sklavin harrt der Befehle ihres Herrn.«

»Zeinab«, sagte Abu Hassan, »liebst Du mich?«

»Bete ich nicht den Staub an, auf den der Fuß meines Gebieters tritt?«

»Sehr wahr! Dann habe ich also eine Gunst zu erbitten – merke auf, Zeinab – es ist mein Wunsch, dass« – hier nahm der Pascha wieder einige Züge aus seiner Pfeife – »die Sache verhält sich nämlich so: Ich verlange von Dir, dass Du meinen Harem so bald wie möglich verlässt.«

»Wallah sel Nebi!! – Bei Allah und dem Propheten! Deine Hoheit ist heute Abend in einer heiteren Laune«, erwiderte Zeinab, indem sie sich umwandte um das Gemach zu verlassen.

»Im Gegenteil, es ist mein völliger Ernst, und ich erwarte, dass Du meinen Wünschen nachkommen wirst.«

»Ist mein Gebieter ganz von Sinnen, oder hat er zu reichlich genossen von dem Saft der Trauben, was unser Prophet verboten hat? Allah Kebur! Gott ist höchst gewaltig – man muss nach dem Hakim (Arzt) schicken.«

»Willst Du nun tun, was ich Dir befehle?«, sagte Abu Hassan zornig.

»Hat mein Herr nach seiner Sklavin geschickt, um sie zu kränken? Mein Blut wird wie Wasser bei dem schrecklichen Gedanken. Den Harem entehren! Min Allah! Gott verhüte! Würde da nicht schnell der Eunuch bereit sein und der Sack?«

»Allerdings, ich gebe es zu – aber dennoch muss es geschehen.«

»Es darf nicht geschehen«, schluchzte die junge Sklavin. »Ist mein Herr vom Himmel heimgesucht worden oder von dem Shitan besessen?« Sie brach in Tränen der Wut und des Ärgers aus und verließ eilig das Gemach.

»Da haben wir die Halsstarrigkeit – Weiber sind nichts als reinster Widerspruch. Glaubt man sie seien treu, so versuchen sie Tag und Nacht, einen zu täuschen. Gibt man aber ihren Begierden nach, so weigern sie sich. Alles war so gut eingeleitet – ich hätte allen die Köpfe abschneiden lassen können und jede Nacht ein frisches Weib gehabt, bis mir eine über den Weg gelaufen wäre, die Märchen erzählen konnte. Dann würde auch ich ihre Hinrichtung auf den folgenden Tag verschoben haben.«

Mustapha, der sich zunächst über den sonderbaren Einfall des Paschas in’s Fäustchen gelacht hatte, wurde jetzt doch ziemlich nervös, denn er erkannte aus der fanatischen Leidenschaft seines Gebieters, dass es für ihn recht unangenehm werden könnte, sollte er dieser keine Befriedigung verschaffen. Da fiel ihm ein Weg ein, die Wünsche Abu Hassans zu erfüllen, ohne dass es zu gewaltsamen Maßnahmen kam. Er wartete ab, bis sich die Glut des Zorns und Ärgers im Gesicht Abu Hassans gelegt hatte, und sagte dann:

»Der Plan Eurer durchlauchtigen Hoheit war so, wie es sich von Eurer unendlichen Weisheit erwarten ließ, aber hat nicht der Prophet gesagt, dass auch die weisesten Männer nur zu oft in der Torheit und dem Starrsinn des andern Geschlechts Widerspruch finden? Möge es Eurem Sklaven erlaubt sein, zu bemerken, dass der Kalif Harun und sein Wesir Messrur viele sehr schöne Märchen hörten, als sie verkleidet durch die Stadt gingen. Aller Wahrscheinlichkeit nach ließe sich ein ähnliches Resultat erzielen, wenn Eure Hoheit, von Mustapha begleitet, dem niedrigsten Eurer Sklaven, einen solchen Schritt einschlagen wollten.«

»Sehr wahr«, meinte Abu Hassan, hoch entzückt über diese Aussicht. »Halte ein paar Verkleidungen bereit, und wir wollen in weniger als einer Stunde aufbrechen. Insh-Allah! so es dem Herrn beliebt, haben wir endlich den rechten Weg gefunden!«

 

Mustapha war zufrieden, die Ideen seines Paschas in einem harmloseren Kanal umgeleitet zu haben, und beschaffte zwei Kaufmannsanzüge, weil dies die üblichen Kleidungsstücke waren, in denen der Kalif Harun und sein Wesir in Tausendundeiner Nacht auszugehen pflegten. Er wusste wohl, dass sein eitler Gebieter sich nichts sehnlicher wünschte, als es einer so berühmten Person wie Harun gleich zu tun.

Es war bereits dunkel, als ihr Abenteuer begann. Mustapha hatte einigen Sklaven die Weisung erteilt, ihnen gut bewaffnet zu folgen, um notfalls zur Hand zu sein. Die maßvollen Befehle, die der neue Pascha bei seinem Amtsantritt erlassen hatte, um Tumulten und Volksaufständen vorzubeugen, wurden durch ständige Patrouillen von Soldaten ausgeführt und die nächtlichen Straßen waren daher völlig menschenleer.

Eine Zeitlang gingen Pascha Abu Hassan und Mustapha die Straßen hinauf und hinunter, ohne etwas zu erblicken, was ihren geheimen Wünschen entsprach. Der Pascha, der in letzter Zeit kaum viel Bewegung gehabt hatte, begann schon zu keuchen und zeigte bereits Merkmale von Verdruss und Müdigkeit, als sie an einer Straßenecke zwei Männer antrafen, die im Gespräch beisammen saßen. Als sie sich den beiden leise näherten, sagte der eine zum andern:

»Ich sage Dir, Coja, glücklich ist der Mensch, dem stets eine harte Kruste, wie diese, die nun meine Zähne abnutzt, zu Gebot steht.«

»Ich will den Grund zu dieser Behauptung erfahren«, flüsterte Abu Hassan. »Messrur – äh – Mustapha, wollte ich sagen – Du wirst mir morgen diesen Mann bringen.«

Mustapha verbeugte sich unterwürfig, befahl den nachfolgenden Sklaven, den Mann in Haft zu nehmen und folgte Abu Hassan, der – von der ungewohnten Anstrengung erschöpft – sich wieder zum Palast begab, wo er gleich sein Bett aufsuchte.

Zeinab, die noch lange wach lag, um der durchlauchtigen Hoheit mit einer Vorlesung über Anstand und Nüchternheit zuzusetzen, war zuletzt eingeschlafen, und der müde Pascha konnte daher ungestört das Gleiche tun.

Als Mustapha in seiner Wohnung anlangte, ließ er den verhafteten Mann zu sich bringen. »Lieber Mann«, sagte er, »Du hast heute Abend eine Bemerkung gemacht, die Seine Hoheit, der Pascha Abu Hassan, zufällig mithörte. Er wünscht nun zu erfahren, was Dich zu der Äußerung veranlasste, glücklich sei der Mann, dem stets eine harte Kruste wie diejenige zu Gebote stehe, die Deine Zähne abnutze.«

Der Mann fiel zitternd auf seine Kniee nieder und sagte mit stockender Stimme:

»Ich beteure Eurer Hoheit bei dem Kamele des heiligen Propheten, dass mir dabei keinerlei Aufwiegelung gegen die Regierung in den Sinn kam.«

»Davon bin ich nicht ganz überzeugt, Sklave«, erklärte Mustapha streng, darauf hoffend, durch Einschüchterung den Mann zum Reden zu bringen. »Es lag etwas sehr Rätselhaftes in diesen Deinen Worten. Mit der ›harten Kruste‹ könntest Du Seine durchlauchtige Hoheit den Pascha Abu Hassan gemeint haben, und das ›Abnützen der Zähne‹ zielt möglicherweise auf die verschärften Maßnahmen der Regierung. Da Du ferner behauptet hast, glücklich sei der Mann, dem die ›harte Kruste zu Gebot‹ stehe, so könnte man daraus schließen, dass Du eine Rebellion anzuzetteln wagst.«

»Heiliger Prophet! Möge die Seele Eures Sklaven nie in den ersten Himmel eingehen«, rief der Mann, »wenn er je etwas anderes meinte, als das, was er sagte. Und wenn Eure Hoheit so oft ohne Brot gewesen wäre, wie Euer Sklave, so würdet Ihr das Wahre in meiner Bemerkung besser verstehen.«

»Es ist kaum von Belang, ob ich mit Dir übereinstimme, oder nicht«, erwiderte der Wesir. »Ich habe Dir nur zu sagen, dass Seine durchlauchtige Hoheit, der Pascha Abu Hassan nicht zufrieden sein wird, solltest Du Deine Bemerkungen nicht durch ein entsprechendes Märchen begründen.«

»Min Allah! Gott verhüte, dass Euer Sklave ein Märlein erzählen sollte, um Seine Hoheit zu täuschen.«

»Der Herr habe Erbarmen mit Dir, falls Du es nicht tust! Aber, um es kurz zu machen wenn Du ein gutes und interessantes Märlein erfinden und so den Argwohn des Pascha beseitigen kannst, so wirst Du wahrscheinlich mit einigen Geldstücken belohnt werden. Andernfalls aber musst Du Dich auf die Bastonade oder gar auf den Tod gefasst machen. Du wirst nicht vor morgen Nachmittag vor der durchlauchtigen Hoheit zu erscheinen haben, es bleibt Dir daher noch hinreichend Zeit, ein Märchen zu erfinden.«

»Wollen Eure Hoheit Eurem Sklaven erlauben, nach Haus zu gehen und sein Weib um Rat zu fragen? Weiber haben großes Talent für’s Märchenerzählen. Mit ihrer Unterstützung könnte es mir gelingen, Eurem Verlangen nachzukommen.«

»Nein«, entgegnete Mustapha, »Du musst in Haft bleiben. Aber da sie Dir in dieser Angelegenheit wahrscheinlich am besten Hilfe leisten kann, so magst Du sie holen lassen. Weiber haben allerdings ein Talent: Wie das junge Krokodil instinktiv in den Nil läuft, sobald es die Schale seines Eies zerbrochen hat, so neigt das Weib von Natur aus zur Täuschung, noch ehe ihre Zunge den Lügen, die ihre fruchtbare Einbildungskraft ersinnt, Worte verleihen kann.«

Mit diesem Angriff gegen das zarte Geschlecht erteilte Mustapha seine abschließenden Befehle und legte sich zur Ruhe.

 

* * * * *

 

Ob der unglückliche, des Hochverrats beschuldigte Mann durch den ihm zugewiesenen Rechtsbeistand einen Freispruch erzielte, erfährt man aus der Geschichte, die der Sklave am darauffolgenden Tag dem Pascha vortrug:

 

»Dass Eure Hoheit eine Erklärung wünscht über die sehr zweideutige Bemerkung, die Ihr gestern Nacht mit anhörtet, wundert mich nicht; ich hoffe jedoch, Ihr werdet sie gerechtfertigt finden, wenn ich meine Erzählung zu Ende gebracht habe. Wie aus meiner einfachen Bekleidung ersichtlich ist, bin ich ein Fellah (Ackerbauer) dieses Landes, obwohl ich nicht immer so arm war wie jetzt. Mein Vater besaß zahlreiche Kamele, die er an Kaufleute der verschiedenen Karavanen, die alljährlich diese Stadt verlassen, vermietete. Nach seinem Tod gelangte ich in den Besitz all seines Eigentums und übernahm auch die Kundschaft, die er jahrelang auf’s Treueste bedient hatte. Die Folge davon war, dass ich immer voll beschäftigt war und meine Kamele ständig verleihen konnte. Da ich die Karavanen oft begleitete, um dafür zu sorgen, dass die Kamele gut behandelt werden, bin ich auch mehrmals nach Mekka gekommen, wie mein zerlumpter, grüner Turban bezeugen kann. Mein Leben bestand aus einem Wechsel zwischen Mühsal und Zufriedenheit. Nach den Entbehrungen auf meinen langen Reisen kehrte ich freudig zu Weib und Kindern zurück und lernte in der wenigen freien Zeit, die mir neben meinem Geschäft noch verblieb, den wahren Wert meiner Heimat zu würdigen. Ich arbeitete hart und wurde ein wohlhabender Mann.

Eines Tages, während eines beschwerlichen Marsches durch die Wüste, brachte eines meiner wertvollsten Kamele ein Junges zur Welt. Anfangs wollte ich das Fohlen seinem Schicksal überlassen, da meine Kamele bereits viel erlitten hatten. Aber das junge Tier zeigte eine solche Lebenskraft und Wohlgestalt, dass ich es aufzuziehen beschloss. Ich teilte daher eine halbe Kamellast unter die anderen Kamele auf und band das Fohlen an ein Tier, das ich dafür von seiner Last befreit hatte. Wir gelangten wohlbehalten in Kairo an, und das Fohlen entwickelte sich prächtig sodass ich glücklich darüber war, es vor dem sonst sicheren Tod gerettet zu haben. Alle Sachkundigen betrachteten das Jungtier als ein wahres Wunder an Schönheit und Kraft und prophezeiten mir, dass es eines Tages als ›Heiliges Kamel‹ dafür auserwählt werde, um während der Pilgerfahrt nach Mekka den Koran zu tragen. Das traf tatsächlich fünf Jahre später zu, während ich die Karavanen wie immer begleitete und mein Reichtum von Jahr zu Jahr anwuchs.

Mein Kamel hatte inzwischen größte Vollkommenheit erreicht. Es war um fast drei Fuß größer, als alle übrigen, und als die Karavane vorbereitet wurde, führte ich es den Scheichs vor, um es ihnen als Kandidaten anzubieten. Sie würden es auch gleich genommen haben, wenn nicht ein Marabut (islamischer Heiliger) die Behauptung aufgestellt hatte, die Karavane werde ein Unglück erleiden, sollte mein Kamel den heiligen Koran tragen.

Da man jenen Mann als einen Propheten ansah, weigerten sich die Scheichs und wollten sich nicht für mein Kamel entscheiden. Aufgebracht über dessen Einmischung beschimpfte ich den Marabut, der sich daraufhin gegen mich erhob. Das Volk stimmte für ihn und wollte mich umbringen. Als ich eilig davonlief, warf mir der Elende eine Handvoll Sand hinterher und schrie: ›So soll die Karavane zugrunde gehen durch das Gericht des Himmels, falls man diesem verfluchten Kamel gestattet, das heilige Wort des Propheten zu tragen.‹ Die Folge davon war, dass man zu meiner Enttäuschung ein nicht so gutes Kamel auswählte.

Im Jahr darauf aber war der Marabut nicht mehr in Kairo dabei, und da kein Tier dem Meinigen an schönem Wuchs glich, so wurde es von den Scheichs einstimmig auserwählt. Dankbar über diese Entscheidung kehrte ich zu meinem Weib zurück. Sie war gleichfalls erfreut und auch mein Kamel schien der Ehre, die ihm zuteil wurde, bewusst zu sein, denn es erwiderte unsere Liebkosungen, indem es – den langen Hals drehend – seinen Kopf auf unsere Schultern legte.

 

Die Karavane versammelte sich. Es war die umfangreichste, die seit vielen Jahren Kairo verlassen hatte, da sie aus achthundert Kamelen bestand. Man möge sich meinen Stolz vorstellen, als die Prozession durch die Straßen zog und ich meinem Weib das herrliche Tier mit dem goldbestickten Zügel zeigte, wie es von den Scheichs in ihrer grünen Kleidung geführt wurde und auf seinem Rücken die Kiste trug, die das Gesetzbuch unseres Propheten enthielt. Es sah sich im Weiterziehen stolz nach allen Seiten um, während hinter ihm Musik und der laute Chor der singenden Männer und Weiber erschallte.

Da sich am nächsten Tag die Karavane vor der Stadt aufstellen sollte, kehrte ich zu meiner Familie zurück, um mich ihrer Gesellschaft zu erfreuen. Meine übrigen Kamele, die von den Pilgern angemietet waren, überließ ich der Obhut eines Gehilfen, der mich auf meinen Reisen zu begleiten pflegte.

Am nächsten Morgen sagte ich meinem Weib und meinen Kindern Lebewohl. Ich wollte gerade das Haus verlassen, als mein jüngstes Kind, das ungefähr zwei Jahre alt war, mir nachrief und mich darum bat, zurückzukehren und ihm einen Abschiedskuss zu geben. Als ich das Mädchen auf den Arm. nahm, fuhr es wie gewohnt mit der Hand in meine Tasche um darin – wie ich vermutete – nach der süßen Frucht zu suchen, die ich ihr immer mitbrachte, wenn ich vom Bazar zurückkehrte. Sie fand aber nichts darin, und nachdem ich sie ihrer Mutter zurückgegeben hatte, eilte ich hinweg, um nicht zu spät auf meinen Posten zu gelangen. Ich muss nun Euerer Hoheit verraten, dass wir nicht hintereinander davonzogen, wie es die meisten Karavanen tun, sondern in einer geraden Linie, Seite an Seite. Die Vorbereitungen dauerten den ganzen Tag vor der Reise, die gleich nach Sonnenuntergang begann. Wir brachen am selben Abend auf und erreichten nach einem Marsch von zwei Nächten Ascherot, wo wir drei Tage blieben, um vom Suez Wasservorrat herbeizuschaffen und die Tiere zu erfrischen, ehe wir unseren Weg durch die Wüste el Teih antraten.

Am letzten Tage unserer Ruhezeit, als ich gerade meine Pfeife rauchte und alle Kamele um mich herum knieten, sah ich ein Dromedar schnellen Laufs aus Richtung Kairo kommen. Es flog wie ein Blitz an mir vorbei, aber dennoch erkannte ich in seinem Reiter den Marabut, der bei der Pilgerfahrt des vorigen Jahres Unheil prophezeit hatte, sollte mein Kamel zum Tragen des Koran herangezogen werden. Der Marabut ließ sein Dromedar vor dem Zelt des Emirs Hadschi, der die Karavane leitete, anhalten. Wissbegierig zu erfahren, aus welchem Grund er uns gefolgt war, und mit einer bösen Vorahnung, dass sein Erscheinen wegen meines Kamels geschah, begab ich mich zu dem Zelt. Dort musste ich mit anhören, dass er dem Emir und allen umherstehenden Pilgern Weh und Tod der ganzen Karavane ankündigte, sollte mein Kamel nicht sofort getötet und ein anderes auserwählt werden. Nachdem er mit seiner Prophezeiung überall im Lager Bestürzung ausgelöst hatte, wandte er sein Dromedar wieder gen Westen und war nach einigen Minuten außer Sicht.

Der Emir war nun im Zweifel, wie er sich verhalten sollte. Unter den Pilgrims kam es nun zu einer lautstarken Beratung. Ich befürchtete,  man würde den Andeutungen des Emirs Gehör schenken, und da ich mein Kamel nicht opfern und die ihm zugedachte Ehre nicht aufgeben wollte, so machte ich mich einer Lüge schuldig.

›O Emir‹, sagte ich, ›höre nicht auf diesen Mann, der mein Feind ist. Er kam in mein Haus, aß von meinem Brote und machte sich des schnödesten Undanks schuldig, indem er die Mutter meiner Kinder zu verführen suchte. Ich jagte ihn davon und jetzt will er sich an mir rächen. Möge es mir und der Karavane so ergehen, wie ich die Wahrheit spreche!‹

Diese meine falsche Beschuldigung wurde von allen geglaubt. Man achtete nicht mehr auf die Warnungen des Marabut, und in der kommenden Nacht traten wir unsern Marsch durch die Ebene von el Teih an.

Da Ihr, gnädigste Hoheit, eine solche Pilgerfahrt vielleicht noch nie gemacht haben, so könnt Ihr Euch auch keine Vorstellung von dem riesigen Gebiet machen, das wir nun durchqueren mussten. Es war eine endlose Sandwüste, wo die Spuren der darüber Wandernden gleich vom Wind verweht wurden – ein weites Meer ohne Wasser – eine unabsehbare, öde Fläche. Als die gewaltige Menge von Kamelen lautlos dahinzog, hatte es den Anschein, als wären es Gespenster.

 

Trotz der Prophezeiungen des Marabut blieben wir ohne einen Unfall. Wir erreichten nach sieben Nachtmärschen wohlbehalten Nakhel, wo wir unsere leeren Wasserschläuche wieder füllten. Am Brunnen spotteten alle über die falschen Prophezeiungen meines Feindes. Indes hatten wir noch immer drei lange Tagesmärsche vor uns, bevor wir das Schloss Akaba erreichten, und so begann wieder eine beschwerliche Reise. Am Morgen des zweiten Tages – ungefähr eine Stunde, nachdem wir unsere Zelte eingeschlagen hatten – traf die verhängnisvolle Prophezeiung des Marabut ein und Allahs Gericht strafte mich wegen meiner Verleumdung.

Eine dunkle Wolke zeigte sich am Horizont, die allmählich größer wurde und eine hellgelbe Farbe annahm: Sie erhob sich immer weiter, bis sie den Himmel zur Hälfte bedeckt hatte. Dann brach ein Orkan aus, der alles vor sich herfegte, ganze Sandberge über unsere dem Tod geweihte Häupter schüttete. Das prachtvolle Zelt des Emirs, das der Windstoß zuerst erreichte, flog mit der Geschwindigkeit eines galoppierenden Dromedars an mir vorbei, während alles andere entweder dem Boden gleich gemacht oder in der Luft herumgewirbelt wurde. Sich drehende Sandsäulen schossen über alles hinweg und erstickten Mensch und Vieh. Die Kamele steckten ihre Nüstern in den Sand, und ihren Instinkt zum Vorbild nehmend, taten wir das Gleiche, bangend unserem weiteren Schicksal entgegensehend. Aber der Sandsturm hatte sich noch nicht ausgetobt, schon bald konnte man so gut wie nichts mehr sehen. Alles um uns herum war dunkel, eine grauenvolle Finsternis. Diese wurde noch schrecklicher durch das Umherirren der den sicheren Tod erwartenden Menschen, das Geschrei der Weiber und das Toben der Tiere, die dem Wüstensturm zu entkommen suchten und dabei zahlreiche Menschen niedertrampelten.

Ich hatte meinen Kopf auf die Flanke eines meiner Kamele gelegt und sah meinem Tod entgegen mit dem Gefühl, zu recht vom Zorn des Himmels getroffen worden zu sein. Eine Stunde verharrte ich in dieser Lage, und gewiss können die Schmerzen in der Hölle nicht größer sein, als  jene, die ich damals empfand. Der Sand drang in meine Kleider und verschloss die Poren meiner Haut. Ich wagte es kaum, die heiße Luft einzuatmen. Als ich endlich wieder freien Atem holen konnte, war von dem Geheule des Sturmes nichts mehr zu hören. Langsam erhob ich meinen Kopf, aber ich sah nichts anderes als ein grelles Gelb. Ich glaubte schon, erblindet und somit in der Wüste von el Teih verloren zu sein. Abermals legte ich mein Haupt nieder, dachte an Weib und Kinder und weinte verzweifelt.

Die Tränen übten eine belebende Wirkung auf meinen Körper aus. Ich fühlte neue Kraft in mir, erhob meinen Kopf und konnte wieder sehen. Demütig warf ich mich zu Boden und dankte Allah. Ja, ich konnte wirklich sehen – aber was für ein Anblick bot sich meinen Augen! Wie würde ich Allah gedankt haben, hätte ich sie für immer schließen dürfen! Der Himmel war wieder heiter und ich hatte wie zuvor endlose Fernsicht, aber wo befanden sich die Tausende, die mich begleitet hatten, die unzähligen Menschen und Tiere? Wo waren der Emir Hadschi und seine Garde? Wo die Mamelucken, die Agas, die Janitscharen und die heiligen Scheichs – das heilige Kamel, die Sänger und Musiker – die Menschen aus verschiedenen Völkern und Stämmen, die sich der Karavane angeschlossen hatten? Sie waren alle zugrunde gegangen! Berge von Sand bezeichneten die Stellen, wo sie begraben lagen. Überall erblickte ich Teile menschlicher Körper oder Tierleiber, die nicht von den Sandwellen der Wüste bedeckt wurden. Alle Menschen waren tot – bis auf einen, und dieser eine, der einzig Schuldige – war ich selber. Mir war es auferlegt worden, zu leben, damit ich Zeuge dieses entsetzlichen Unglücks sein möge, das ich durch meine Vermessenheit und Sünde herbeigeführt hatte.

Für kurze Zeit betrachtete ich die Szene mit verzweifelnder Gleichgültigkeit, denn ich glaubte, ich sei vorerst verschont geblieben, um dann eines noch grausameren Todes zu sterben. Aber mein Weib und meine Kinder traten vor mein geistiges Auge, und um ihretwillen beschloss ich, alles zu tun, um am Leben zu bleiben. Ich riss ein Stück von meinem Turban ab, reinigte meine blutigen Nasenlöcher von dem Sand und ging langsam über dieses Todesfeld. Ich wusste zwar, dass ich nur eine Tagreise von den Quellen entfernt war, aber wenig Hoffnung bestand, sie zu erreichen. Der Tag war fast zu Ende, und ich beschloss, mich trotz geringer Aussicht auf ein Gelingen dieses Vorhabens auf den Weg zu machen. Zum Glück wusste ich, welche Richtung ich einschlagen musste.

 

Nach Sonnenuntergang stand ich auf und trat – mit meinem noch viertelvollen Wasserschlauch auf dem Rücken –  den langen Weg an. Ich lief die ganze Nacht durch und war mir sicher, mit Tagesanbruch etwa die Hälfte des Karavanenweges zurückgelegt zu haben. Noch einen Tag also sollte ich in der Wüste zubringen, ohne Schutz gegen die verzehrende Hitze, und dann stand mir immer noch eine schwere Nacht bevor. Zwar befand sich noch ausreichend Wasser im Schlauch, aber ich hatte nichts zu essen dabei und verspürte großen Hunger. Als die Sonne aufging, ließ ich mich in den heißen Sand niederfallen und war nun zwölf Stunden lang der sengenden Hitze ausgesetzt. Noch bevor es Mittag wurde, fühlte ich mich derart erhitzt, dass ich den Verstand zu verlieren glaubte. Ich sah Dinge, die gar nicht existierten. Das eine Mal war es eine ausgedehnte Seenlandschaft. Ich stand auf und lief auf sie zu, bis ich erschöpft zusammenbrach. Ein andermal erblickte ich in der Ferne Bäume, und ich konnte die Akazienzweige in der Luft wehen sehen. Ich eilte hinzu, um mich unter ihren Schatten zu legen; es war aber nur ein niedriger Strauch, der sich mir vergrößert dargestellt hatte.

So quälend und irreführend wurde mir jener schreckliche Tag, der mich auch jetzt noch in meinen Träumen verfolgt. Endlich brach die Nacht an, die Sterne funkelten und winkten mir, meine Reise fortzusetzen. Nach einem kräftigen Schluck aus meinem Wasserschlauch nahm ich meinen einsamen Weg wieder auf. Ich folgte einer aus den Knochen von Kamelen und Pferden bestehenden Spur einstiger Karavanen, die in der Wüste zugrunde gegangen waren. Als der Tag anbrach, glaubte ich, von weitem Bäume und grüne Wiesen zu erkennen; vielleicht eine Oase? Jedoch diesmal trügten mich meine Augen nicht. Von neuem Lebensmut erfüllt lief ich immer schneller und legte mich bald darauf an einer kühlen Quelle nieder, nachdem ich mich an ihrem erfrischenden Nass erlabt hatte. Wie glücklich fühlte ich mich jetzt! Welch’ ein himmlischer Genuss, unter dem Schatten zu liegen, die kühle Luft zu atmen, dem Trillern der Vögel zu lauschen und den Wohlgeruch der Blumen einzuatmen, die dort üppig gediehen. Ich zog später meine Kleider aus, nahm ein Bad, erfrischte mich erneut mit einem Trunk köstlichen Quellwassers und sank in einen tiefen Schlaf.

 

Ich erwachte neu belebt, litt aber nun unter einem verzehrenden Hunger, der mit jeder Stunde quälender wurde. Ich hoffte auf den Vorbeizug einer Karawane, aber vergeblich. Dann kehrte ich wieder zu der Quelle zurück. Zwei weitere Tage vergingen, ohne dass ich Hilfe bekam. Meine Kräfte ließen nach und ich fühlte mich wieder dem Tode nahe. Die Quelle murmelte zwar weiter, die Vögel sangen und die kühle Luft fächelte meine Wangen. Aber dann dachte ich, es wäre doch besser gewesen, der Sand der Wüste hätte mich begraben. Ich legte mich nieder, um zu sterben, denn ich konnte nicht mehr aufrecht sitzen. Als ich mich umwandte, drückte etwas Hartes an meine Seite. Ich vermutete, dass es ein Stein wäre, aber dann fühlte ich, dass etwas in meiner Hosentasche steckte und griff danach. Als ich aber den mich drückenden Gegenstand herauszog erkannte ich, dass es ein Stück harten, trockenen Brotes war. Ich meinte zunächst, es sei mir vom Himmel geschickt worden. Aber  es war eine Gabe der Unschuld und Liebe – nämlich das Stück Brot, das meine liebe, kleine Tochter zum Frühstück erhalten und – als ich annahm, es suche nach einer Frucht –  vor meiner Abreise in die Hosentasche gesteckt hatte. Ich kroch zur Quelle hin, feuchtete es an und aß es, dem Himmel von Herzen dankend, während ich von der innigsten Sehnsucht nach meinem Kind erfüllt war. Die Brotkruste rettete mein Leben, denn am nächsten Tage zog eine kleine Karavane – mit Kairo als Ziel – vorbei. Die Kaufleute behandelten mich sehr wohlwollend, banden mich auf eines der Kamele, und schon bald durfte ich wieder alle meine Lieben umarmen, die ich nimmermehr zu sehen erwartet hatte. Seitdem bin ich zwar arm, aber zufrieden – ich verdiente wegen meiner Gottlosigkeit, dass ich all mein Eigentum verlor, und fügte mich ergeben in Allahs Arme.

Und nun hoffe ich, dass Eure Hoheit mir zugestehen wird, dass ich befugt bin zu sagen: Glücklich der Mann, welchem stets eine Brotkruste zu Gebote steht!«

 

»Sehr wahr«, bemerkte Abu Hassan. »Das war keine üble Geschichte. Mustapha gib ihm fünf Goldstücke und lass ihn ziehen.«

Der Kameltreiber warf sich vor dem Pascha nieder und verließ dann den Divan, hocherfreut über den glücklichen Ausgang dieser Vorladung.

 

Pascha Abu Hassan schwieg eine ganze Weile und rauchte weiter seine Pfeife – schließlich aber sagte er:

»Allah Kebur! Gott ist gewaltig! Dieser Mann hat viel gelitten – und was hat er dafür zu zeigen? – Einen grünen Turban. – Er ist ein Hadschi. Ich hätte nie gedacht, wegen einer Brotkruste eine so gute Geschichte hören zu können. Was meinst du, Mustapha – kann ein wahrer Gläubiger in den Himmel kommen, ohne dass er das Grab des Propheten besucht hat?«

»Der heilige Koran fordert dies nicht ausdrücklich, durchlauchtigste Hoheit, es steht darin nur geschrieben, dass diejenigen, welche in der Lage dazu sind, es tun sollen, um sich den Pfad dahin zu erleichtern. Mie Allah! Gott verhüte! Hat Eure Hoheit je Zeit gehabt, nach Mekka zu gehen – und ist nicht Eure Hoheit auf dem geraden Wege in den Himmel?«

»Sehr wahr, Mustapha, ich habe nie Zeit dazu gehabt. In meiner Jugend musste ich stets Köpfe rasieren, und jetzt – Waliah! – bin ich nicht von der Aufgabe in Anspruch genommen, sie abschlagen zu lassen? Ist’s nicht so Mustapha, – sind meine Worte nicht der Wahrheit gemäß?«

»Eure Hoheit ist die Weisheit selbst. Es gibt nur Einen Gott und Mohamed ist sein Prophet. Wenn nun dieser erkkärt, ein Besuch bei dem heiligen Sarg sei ein Pass für den Himmel, so sind damit nur wahre Gläubige gemeint, die sich im Namen des Allerhöchsten auf die anstrengende Reise begeben.«

»Min Allah! Gott behüte! Der Fall ist klar«, entgegnete der Pascha. »Wenn jedermann nach Mekka gehen wollte, wie stünde es dann, Mustapha?«

»Eure Hoheit, – wenn dies stattfinden sollte, so ist es die Ansicht Eures Sklaven, dass auch alle Narren das Land würden verlassen haben.«

»Sehr wahr, Mustapha. Aber mein Mund ist von der Erzählung über den Sandsturm ganz ausgetrocknet. Scherbet kann ich nicht trinken, den Rakie hat mir der Hakim verboten, was rätst Du mir, Mustapha?«

»Hat nicht der heilige Prophet den wahren Gläubigen bei Krankheit den Wein genehmigt? Fühlt sich nicht Eure Hoheit wie krank? Hat Allah den Wein von Schiras gegeben, damit man ihn wegschütte? Allah Kerim! Gott ist höchst barmherzig! Und der Wein musste wachsen, damit die wahren Gläubigen in dieser Welt einen Vorschmack gewannen von den Freuden, die ihrer im Himmelreiche harren.«

»Mustapha«, sagte Abu Hassan erfreut, indem er seine Pfeife aus dem Munde nahm, »bei dem Wort des heiligen Propheten, Deine Worte sind Worte der Weisheit. Soll ein Pascha von Wassermelonen leben? Steffir Allah, glauben wir weniger, wenn wir Wein trinken? Sklave, bring mir den Krug! Es gibt nur Einen Gott und Mohamed ist sein Prophet.«

»Die Worte des Propheten sind eindeutig, durchlauchtige Hoheit. Er sagt: ›Wahre Gläubige trinken keinen Wein‹, was soviel heißen will, sie laufen nicht betrunken wie die Giaurs (Ungläubige) von Frankistan (anstatt Fußnote: orientalische Bezeichnung für Europa) – die von ihren Schiffen zu uns kommen – auf den Straßen umher. Warum also ist der Wein verboten? Weil er den Menschen trunken macht. Wenn wir uns aber nicht betrinken, so bewegen wir uns innerhalb des Gesetzes. Warum wurde das Gesetz gemacht? Gesetze können nicht für alle gemacht werden und haben nur die Anleitung der Mehrheit zum Ziel, – ist’s nicht so? Woraus besteht aber diese Mehrheit? Aus den Armen. Wenn man nur für die Reichen und Mächtigen Gesetze machte, so könnten sie nicht für die Allgemeinheit passen. Maschallah! Es gibt keine Gesetze für Pascha’s, welche bloß zu glauben haben, dass es nur Einen Gott gibt und Mohamed sein Prophet ist. Hat Euer Sklave recht gesprochen?«

»Ausgezeichnet gut, Mustapha«, erwiderte Abu Hassan, indem er den Krug für eine Minute an seinen Mund brachte und ihn dann Mustapha hinreichte.

»Allah Kerim! Gott ist höchst barmherzig, Euer Sklave muss trinken, denn ist es nicht der Wille Eurer Hoheit? Wie der Wein, der durch Eurer Hoheit Kehle hinunterfließt, durch Euren edlen Körper bis zu den äußersten Gliedspitzen dringt, so ergießt sich auch Euer Wohlwollen auf Euren Sklaven. Sitze ich nicht in Eurer erhabenen Gegenwart? Kann die Sonne scheinen, ohne Wärme zu verbreiten? Wenn daher Eure Hoheit trinken, muss ich nicht auch trinken? Allah Akbar! wer dürfte sich erdreisten, nicht dem Beispiel des Pascha zu folgen?«

Mit diesen Worten erhob Mustapha den Krug, der kurze Zeit an seinen Lippen angewachsen zu sein schien.

»Ich denke, diese Geschichte sollte aufgeschrieben werden«, bemerkte Abu Hassan nach einer kurzen Pause.«

»Ich habe bereits entsprechende Anweisung dazu gegeben, durchlauchtige Hoheit, und der griechische Sklave ist gerade damit beschäftigt, seine Ausdrucksweise zu verbessern, um sie wohlklingender für die Ohren Eurer durchlauchtigsten Hoheit zu machen, falls es Euch belieben sollte, sie Euch künftig noch einmal vorlesen zu lassen.«

»Das ist recht, Mustapha. Wenn ich nicht irre, so pflegte der Kalif Harun zu gebieten, dass die Geschichten mit goldenen Buchstaben aufgeschrieben und in dem Archiv niedergelegt werden sollten. Wir müssen das Gleiche veranlassen.«

»Man versteht diese Kunst nicht mehr, durchlauchtige Hoheit.«

»Dann müssen wir uns mit indischer Tinte begnügen«, erwiderte Abu Hassan, indem er den Krug wieder an seinen Mund hob und mit einem Zug leerte. »Die Sonne wird bald untergegangen sein, Mustapha, und wir müssen uns auf den Heimweg machen.«

 

 

 

2. Kapitel

Erzählung des griechischen Weinhändlers

 

Der Pascha Abu Hassan ließ sich Kaffee reichen und zog danach, von Mustapha und dem bewaffneten Sklaven begleitet, durch die Stadt, um nach einem weiteren Geschichtenerzähler zu suchen. Das Glück begünstigte ihn abermals, denn schon bald vernahm er einen lautstark ausgetragenen Streit. Diesen gab es zwischen zwei Männern, die vor der Tür eines kleinen, von Griechen und Franken häufig besuchten Weinlokals standen. In dieses sah man hin und wieder Sklaven schleichen, die von dort mit einem gefüllten Krug für den Abendschmaus ihres türkischen Gebieters zurückkehrten, denn es gab unter den Gläubigen viele – die genauso wie ihre Herrscher – heimlich die Gebote des Korans umgingen.

Abu Hassan blieb stehen, um zu lauschen, und einer der Streitenden rief nun:

»Ich sage Dir, Anselmo, es war das übelste Gemisch, das jemals getrunken wurde. Ich muss es wohl wissen, nachdem ich die Essenz eines Äthiopiers, eines Juden und eines Türken destilliert habe.«

»Was gehen mich Deine Destillate an, Charis«, erwiderte der andere, »ich bin ein weitaus besserer Sachverständiger als du. Ich bin nicht fünfzehn Jahre lang Mönch der Dominikaner gewesen, ohne alle Arten des Weines genossen zu haben.«

 

»Ich möchte gern wissen, was der Kerl mit dem Destillieren von Äthiopiern und anderen Leuten meint, bemerkte Abu Hassan, »und warum ein Dominikanermönch sich besser mit Weinen auskennen soll, als alle anderen Leute. Mustapha, Du musst mir diese beiden Männer herbeischaffen.«

 

Am nächsten Morgen wurden die zwei Männer vor den Pascha geführt, der eine Aufklärung von jenem verlangte, der zuerst gesprochen hatte. Der Mann warf sich vor der durchlauchtigen Hoheit nieder, berührte mit dem Kopf den Boden des Divans und sagte:

»Durchlauchtige Hoheit, versprecht mir zuerst, bei dem Schwerte des Propheten, dass mir kein Leid geschehen soll, wenn ich Eurem Befehle nachkomme, dann will ich Euch mit Vergnügen Gehorsam zeigen.«

»Maschallah! Vor was fürchtet sich der Kafir? Welche Verbrechen hat er begangen, dass er Begnadigung verlangt, ehe er seine Geschichte erzählt?«, sagte Abu Hassan zu Mustapha.

»Kein Verbrechen gegen Euren Staat, durchlauchtige Hoheit, aber in einem anderen Land wurde ich deswegen verklagt«, setzte der Mann fort. »Ich kann meine Geschichte nicht erzählen, wenn sich Eure Hoheit nicht bereit findet, mir dieses Versprechen zu geben.«

»Eure Hoheit mag es immerhin tun«, wandte sich Mustapha an Abu Hassan, »da er behauptet, sein Verbrechen sei in einem anderen Staat begangen worden. Ich vermute fast, dass es sich um einen Mord handelt. Aber obwohl wir die Blumen schützen, die unsere Gärten zieren, und alle die bestrafen, die sie umknicken, so kümmern wir uns doch nicht darum, wer unsere Nachbarn belästigt und beraubt. Das Gleiche trifft meiner Ansicht nach auf andere Staaten zu, durchlauchtige Hoheit, und es obliegt deren Herrschern, über Leben und Tod ihrer eigenen Untertanen zu entscheiden.«

»Sehr wahr Mustapha«, erwiderte Abu Hassan. »Kafir, Du hast unser Versprechen und magst fortfahren.«

Der Mann erhob sich sodann und trug seine Geschichte vor.

 

»Ich bin Grieche von Geburt und meine Eltern waren arme Leute, die in Smyrna lebten. Als ihr einziger Sohn erlernte ich den Beruf meines Vaters – eines Küfers. Als ich zwanzig Jahre alt war, waren meine Eltern bereits tot und ich musste für mich allein sorgen. Eine zeitlang stand ich im Dienste eines jüdischen Weinhändlers und blieb bei diesem noch drei Jahre nach meines Vaters Tod, bis sich etwas ereignete, das zunächst zu meinem Wohlstand, später aber zu meiner Verarmung führte.

In jener Zeit hatte ich durch Fleiß und Verzicht auf alkoholische Getränke so sehr das Vertrauen meines Brotherrn gewonnen, dass er mich zu seinem Obergehilfen beförderte. Obwohl ich nur hin und wieder in der Küferei arbeitete, wurde doch mir allein das Abziehen und Verfeinern der Weine überlassen, um sie für den Markt vorzubereiten. Wir hatten einen äthiopischen Sklaven im Hause, der unter meiner Anleitung arbeitete, einen kräftigen, breitschultrigen und boshaften Kerl, den mein Herr kaum zu bändigen vermochte, denn er lachte über die Bastonade wie über jede andere Züchtigung und wurde danach noch starrköpfiger als zuvor. Wenn ich einer seiner Nachlässigkeiten auf die Spur kam, so machte er mir solche Drohgebärden, dass ich Tag für Tag befürchten musste, von ihm umgebracht zu werden. Deshalb bat ich meinen Herrn wiederholt, er möge diesen Mann davonjagen. Aber der Äthiopier war ein sehr kräftiger Mensch und konnte, wenn er wollte, ein Fass Wein alleine wegtragen, weshalb sich der geizige Jude nicht bereit fand, meiner Bitte nachzukommen.

Eines Morgens betrat ich die Küferei und entdeckte den Äthiopier neben einem Fass schlafend liegen. Da ich mich scheute, ihn allein zu strafen, holte ich meinen Herrn herbei, damit sich dieser von dem Zustand des Trunkenboldes überzeugen konnte. Der Jude, über dessen Trägheit erbost, schlug ihn mit einer Daube (anstatt Fußnote: Längsholz zur Fassherstellung) auf den Kopf. Der Äthiopier erhob sich wütend, als er jedoch seinen Gebieter mit der Daube in der Hand erkannte, murmelte er nur vor sich hin, dass er sich nicht noch einmal auf diese Weise schlagen lasse und nahm seine Arbeit wieder auf. Sobald aber mein Gebieter die Küferei verlassen hatte, richtete der Äthiopier seine ganze Wut gegen mich, weil ich ihn verraten hätte. Er ergriff ebenfalls eine Daube und stürzte auf mich zu, um mir den Schädel einzuschlagen. Ich schlüpfte hinter das Fass, wohin er mir folgte. Zu meiner Selbstverteidigung ergriff ich einen Dächsel (anstatt Fußnote: Krummeisen zur Herstellung eines Fasses aus Dauben), als er über einen Schemel stolperte. Er sprang wieder auf, um mich erneut anzugreifen, aber ich versetzte ihm mit dem Dächsel einen so kräftigen Hieb, dass er tot zusammenbrach. (anstatt Fußnote: Die Bezeichnung ›Jude‹ bezieht sich allein auf die Herkunft eines Menschen und ist hier keine rassistische Diskriminierung)

Ich erschrack darüber sehr, denn obwohl ich aus Notwehr gehandelt hatte, wusste ich doch wohl, dass der Herr über den Verlust seines Sklaven sehr erzürnt sein würde. Da keine Zeugen zugegen gewesen waren, konnte es mir schlimm ergehen, wenn ich vor den Kadi gebracht würde. Nach einiger Überlegung beschloss ich, seine Leiche zu verstecken und meinen Herrn glauben zu lassen, dass er weggelaufen sei. Freilich war dies sehr schwierig, da ich ihn kaum unbemerkt aus der Küferei hinwegschaffen konnte. Dann kam ich auf den Gedanken, ihn in ein Fass zu stecken und dieses wieder aufzustellen. Ich musste zwar meine ganze Kraft aufbieten, um die Leiche hineinzustecken, aber schließlich gelang es mir doch. Nachdem ich den Deckel aufgesetzt und die Reifen hinab gehämmert hatte, rollte ich das Fass ins Magazin, wo es für den Bedarf des nächsten Jahres mit Wein gefüllt werden sollte. Sobald es dort feststand, pumpte ich den Wein aus der Kufe, füllte das Fass und schlug den Spund ein. Es war mir damit eine schwere Last von der Seele genommen, denn ich musste für die nächste Zeit keine Aufdeckung befürchten.

Kaum war diese Arbeit getan, als mein Herr hereintrat und sich nach dem Verbleib des Sklaven erkundigte. Ich erklärte ihm, dass er die Küferei verlassen und geschworen habe, hier nicht mehr arbeiten zu wollen. Der Jude, der ihn nicht verlieren wollte, meldete das den Behörden in der Hoffnung, dass man den Äthiopier wieder einfänge. Aber da man geraume Zeit nichts mehr von dem vermeintlich Entlaufenen hörte, so glaubte man, er habe auf irgendeine Weise den Tod gefunden und bereits nach kurzer Zeit dachte niemand mehr an ihn.

Inzwischen arbeitete ich weiter wie zuvor, und da mir die Verantwortung über alles anvertraut war, hoffte ich darauf, zu gegebener Zeit eine Möglichkeit zur Wegschaffung der Leiche zu finden.

 

Im darauffolgenden Frühjahr war ich gerade dabei, nach unserem Brauch den Wein aus einem Fass ins andere zu pumpen, als der Janitscharen Aga (Leibwächter des Sultans) eintrat. Er war ein ausgezeichneter Weinkenner und einer unserer besten Kunden. Da man seine gesamte Dienerschaft kannte, ließ er den Wein nicht durch einen daraus abholen, sondern kam selbst in das Magazin, um sich ein Fässchen auszuwählen. Dieses wurde dann von acht starken Sklaven in einer Sänfte, deren Vorhänge heruntergelassen waren, weggeschafft, damit man glauben sollte, er habe einen neuen Ankauf für seinen Harem getätigt. Mein Herr zeigte ihm die Fässer, die für den Verkauf desselben Jahres bestimmt und in zwei Reihen aufgestellt waren. Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, dass das Fass mit dem Äthiopier nicht in der vordersten Reihe stand. Nachdem der Aga ein paar Proben gekostet hatte, die ihm allerdings nicht zuzusagen schienen, sagte er: ›Freund Issaschar, Dein Stamm will stets womöglich die schlechtste Ware zuerst absetzen, und ich glaube daher, dass Du die besseren Sorten in der zweiten Reihe, nicht aber in der hast, die Du mir da empfehlen willst. Lass Deinen Griechen den Heber in dieses Fass setzen‹, fuhr er fort, indem er auf das Fass deutete, in das ich den schwarzen Sklaven gesteckt hatte. In der Überzeugung, er werde den Inhalt – sobald er ihn gekostet habe – gleich wieder ausspucken, zögerte ich nicht, ihm ein Glas von diesem Weine anzubieten. Er kostete davon, hielt ihn ans Licht, kostete wieder, schmatzte mit den Lippen und wandte sich dann mit dem Ausruf an meinen Herrn: ›Du Hund von einem Juden – willst mir da Dein elendes Gedresche anhängen, während Du doch hier einen Wein hast, wie ihn die Houris im Paradies nicht besser trinken können.‹

Der Jude sagte, dass dieser Wein von der gleichen Qualität wie der andere sei, und ich bestätigte seine Behauptung.

›So koste ihn!‹, befahl der Aga, ›und koste dann den, welchen Du mir zuerst empfohlen hattest‹.

Mein Herr tat es und geriet in großes Erstaunen.

›Er hat freilich mehr Körper‹, meinte er, ›aber warum das so ist, kann ich mir nicht erklären. Da – koste einmal, Charis!‹.

Ich hielt das Glas an meine Lippen, hätte aber um nichts in der Welt vom Inhalt kosten mögen. Ich begnügte mich, die Auffassung meines Meisters zu bekräftigen, indem ich sagte, dass er mehr Körper habe, als die übrigen.

Der Aga war von diesem Wein so begeistert, dass er gleich von drei weiteren Fässer in der hinteren Reihe Proben entnahm, um vielleicht noch mehr Wein ähnlicher Qualität zu finden, wovon er sich einen größeren Vorrat anzulegen gedachte. Da sich aber kein Wein mit der gleichen Blume finden ließ, befahl er seinen Sklaven, dasjenige Fass, das die Leiche enthielt, in die Sänfte zu rollen und es zu seinem Haus zu schaffen.«

 

»Halt ein, Du lügenhafter Kafir!«, schrie der Pascha. »Willst Du uns wirklich glaubhaft machen, dass dieser Wein besser gewesen sei als der andere?«

»Warum sollte ich Eure durchlauchtige Hoheit belügen? Bin ich nicht ein Wurm, den Ihr erdrücken könnt? Aber wie ich bereits bemerkte, hatte ich ihn nicht gekostet.

Nachdem sich der Aga wieder entfernt hatte, drückte mein Gebieter seine Überraschung über die Vortrefflichkeit des Weines aus, den er für den besten hielt, den er jemals gekostet hatte. Es tat ihm daher leid, dass der Aga das Fass mitgenommen hatte, da es ihm nun nicht mehr möglich war, die Ursache dieser besonderen Qualität herauszufinden. Aber eines Tages erzählte ich einem Franken von meinem Erlebnis, den es gar nicht wunderte, dass der Wein durch die Leiche darin eine bessere Qualität erreicht hatte. Dieser Mann war ein englischer Weinhändler und erklärte mir, es sei in seinem Lande seit jeher Brauch, große Stücke rohen Ochsenfleisches in den Wein zu werfen, was zu einer Veredelung bestimmter Weinsorten führen würde.«

 

»Allah Kebur! Gott ist groß!«, rief der Pascha. ›Dann muss es wohl so sein – ich habe gehört, dass die Engländer große Freunde von Ochsenfleisch sind. Nun, so fahre fort mit Deiner Geschichte.«

 

»Eure Hoheit kann sich den riesigen Schrecken vorstellen, den ich empfand, als das Fass von den Sklaven des Aga weggeschafft wurde. Ich hielt mich bereits für einen des Mordes verdächtigten Mann und beschloss, baldigst aus Smyrna zu fliehen. Ich berechnete die Zeit, die der Aga wohl zum Trinken des Weines benötigte und traf Vorbereitungen zur Flucht. Meinem Herrn erklärte ich, dass ich ihn zu verlassen beabsichtige, weil mir angeboten worden sei, in das Geschäft eines Verwandten in Zante einzutreten. Mein Herr, der mich nicht mehr entbehren wollte, bat mich, zu bleiben, aber ich beharrte auf meinem Entschluss, sogar als er mir einen Anteil seines Geschäftes abtreten wollte. Bei jedem Klopfen an der Türe meinte ich, der Aga werde mit seinen Janitscharen kommen, um mich zu ergreifen. Ich beeilte mich mit den Vorbereitungen für meine Abreise am darauffolgenden Tag, als abends mein Herr mit einem Papier in der Hand zu mir ins Magazin kam.