Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Mein Name ist Paula und seit neun Monaten und achtzehn Tagen bin ich zehn Jahre alt. Also bin ich fast elf. Seit fast einem ganzen Schuljahr besuche ich die erste Klasse des Gymnasiums. Meine beste Freundin heißt Mia und du wirst ein bisschen von ihr erfahren, auch wenn sie in der folgenden Geschichte gar nicht vorkommen wird. Naja, fast nicht … davon aber später. Ich wohne mit meinen Eltern und meinem großen Bruder in einem schönen Haus am Rande der Stadt. Papa sagt immer, dass es ein kleines Häuschen sei. Ich finde, es ist groß genug. Früher haben wir uns – mein Bruder Peter und ich – ein großes Kinderzimmer unter dem Dach im ersten Stock geteilt. Dann sind wir älter geworden und es wurde eine Trennwand in den großen Raum gezogen. So hat jeder von uns ein eigenes Zimmer erhalten. Eigentlich heiße ich ja Paula Sidonie. Meine Eltern sind der Meinung gewesen, dass es hübsch wäre, wenn ich einen zweiten Vornamen bekäme. Ich hingegen bin nicht ganz sicher, ob mir der Name Sidonie gefällt. Am liebsten höre ich auf den Namen Paula. Meinen zweiten Vornamen verheimliche ich lieber. Mein Bruder Peter ist älter, er ist 12 Jahre alt und wird demnächst 13. Peter hat ebenfalls einen zweiten Namen: Leon. Also Peter Leon. Aber seit langer Zeit rufen wir ihn "Leonie" und das hat seinen besonderen Grund.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 62
Veröffentlichungsjahr: 2021
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Paula + Leonie
Das Bild der Ängste
Teil 1
Text und Bilder von
Elisabeth Sonja Ackerl
Eigentlich hatte Peter Leon geglaubt, dass es ganz einfach ist, als Mädchen zu leben. Schließlich sind seine Eltern tolerant und auch die kleine Schwester Paula hält zu ihm. Und mit langen Haaren und Mädchenklamotten wird aus dem Jungen Peter Leon eine starke, selbstbewusste Leonie.
Doch dann kommt Oma zu Besuch und die Katastrophe nimmt ihren Lauf.
Nichts ist mehr, wie es zuvor war und auf einmal muss sich auch Leonie seinen wildesten Ängsten stellen.
Aber wer entscheidet eigentlich, wie ein Mädchen auszusehen hat, und wie es sich zu verhalten hat? Und was passiert, wenn die neuen Freunde entdecken, dass man gar kein geborenes Mädchen ist?
Eine Abenteuer Geschichte um ein transidentes Mädchen.
Die komplette Geschichte kannst du in mehreren Teilen lesen.
I.
Mein Name ist Paula und seit neun Monaten und achtzehn Tagen bin ich zehn Jahre alt. Also bin ich fast elf. Seit fast einem ganzen Schuljahr besuche ich die erste Klasse des Gymnasiums. Meine beste Freundin heißt Mia und du wirst ein bisschen von ihr erfahren, auch wenn sie in der folgenden Geschichte gar nicht vorkommen wird. Naja, fast nicht ... davon aber später.
Ich wohne mit meinen Eltern und meinem großen Bruder in einem schönen Haus am Rande der Stadt. Papa sagt immer, dass es ein kleines Häuschen sei. Ich finde, es ist groß genug. Früher haben wir uns - mein Bruder Peter und ich - ein großes Kinderzimmer unter dem Dach im ersten Stock geteilt. Dann sind wir älter geworden und es wurde eine Trennwand in den großen Raum gezogen. So hat jeder von uns ein eigenes Zimmer erhalten.
Mein Zimmer ist nicht groß, aber es passt mein Bett hinein, ein Schreibtisch, ein großer Schrank und ein paar Regale, auf denen hauptsächlich meine Stofftiere sitzen. Dazwischen findet man Spiele und in einer Kommode bunkere ich meinen Bastelkram. Zusätzlich hätte ich gerne eine kleine Couch, die hat sicher auch noch Platz. Papa sagt, ich soll noch ein paar Monate warten, dann darf ich mir eine aussuchen.
Am Fensterbrett meines Zimmers habe ich alte und leergegessene Einmachgläser mit selbstgezogenen Bohnenpflanzen aufgereiht und wenn man aus dem Fenster sieht, hat man einen sehr schönen Blick über die Dächer unserer Stadt. Das ist so, weil unser Haus am Hang steht, zwischen anderen hübschen Häusern. Dazwischen gibt es Gärten und viele Bäume. Also ist der Blick von hier oben gesehen sehr Grün. Ich mag diesen Blick. Meine Bohnen mögen ihn auch, denn sie wachsen phantastisch.
Meine Eltern wohnen ein Stockwerk tiefer im Erdgeschoß. Dort ist auch das Wohnzimmer und die Küche. Das Badezimmer ist hier oben bei uns. Toiletten haben wir glücklicherweise zwei. Eine hier oben und eine unten.
„Das erspart uns einigen Kummer.“ Das sind Mamas Worte gewesen.
Mama hat noch ein Arbeitszimmer hier oben gegenüber von meinem Zimmer. Ihr Zimmer ist wirklich sehr klein. Es hat fast den gleichen schönen Ausblick, nur eben in die andere Richtung. Das Fenster von Mamas Arbeitszimmer ist sehr schön. Es ist rund und hat in der Mitte ein Kreuz aus Holz, an dem man es auch öffnen kann. Papa ist der Meinung, dass es wichtig ist, dass Mama ein besonderes Fenster mit einem besonderen Ausblick hat. Ich glaube, er hat das Haus deswegen ausgesucht. Mama meint, die Sache mit dem Fenster ist nicht so wichtig für sie. Aber wenn sie eine ihrer Geschichten am Computer schreibt und beim Geschichtenerfinden nicht weiterkommt, dann guckt sie oft hinaus und dann tippt sie wieder wie wild weiter, weil sie einen guten Einfall hatte. Ich denke also, Papa hat recht gehabt. Ich habe oft versucht, meine Hausübungen in Mamas Arbeitszimmer zu machen. Aber wenn ich aus dem Fenster sehe, dann vergesse ich, dass ich etwas zu tun habe und es vergehen Stunden, in denen ich in den Tag träume und meine Hausübungen sind anschließend immer noch nicht erledigt. Also mir hilft das Fenster leider nicht.
Eigentlich heiße ich ja Paula Sidonie. Meine Eltern sind der Meinung gewesen, dass es hübsch wäre, wenn ich einen zweiten Vornamen bekäme. Ich hingegen bin nicht ganz sicher, ob mir der Name Sidonie gefällt. Am liebsten höre ich auf den Namen Paula. Meinen zweiten Vornamen verheimliche ich lieber. Mein Bruder Peter ist älter, er ist 12 Jahre alt und wird demnächst 13. Peter hat ebenfalls einen zweiten Namen: Leon. Also Peter Leon. Aber seit langer Zeit rufen wir ihn „Leonie“ und das hat seinen besonderen Grund.
Es ist Abend und ich habe gerade das große Licht in meinem Zimmer eingeschaltet. Ich bin beim Basteln und es ist mittlerweile so dunkel geworden, dass ich ohne Licht nichts mehr sehen konnte. Ich bastle gerade große Schmetterlinge aus Karton. Die Flügel sind bunt, ich verwende dazu durchsichtiges, farbiges Papier. Das Papier habe ich schon ausgeschnitten, jetzt muss ich es nur mehr in die Flügelgerüste aus Karton kleben. Wenn alles getrocknet ist, werde ich die Fenster unseres Wohnzimmers mit den gebastelten Schmetterlingen schmücken. Die bunten Flügel werden sicher schön glänzen, wenn das Licht darauf fällt.
Mama und Papa haben heute Theaterabend. Wir Kinder sind schon öfter am Abend allein daheim, wir sind ja schließlich keine Babys mehr. Aber heute Abend ist Oma auch hier. Auch wenn sie nicht mehr auf uns aufpassen muss, kann man es ihr nicht ausreden. Also spielen Leonie und ich brave Kinder, damit sie sich anschließend nicht beschwert. Unsere Eltern spielen ebenfalls mit und zum Schluss haben wir alle zusammen die Oma glücklich gemacht. Das ist viel schöner als Gezanke. Mein Bruder Peter - den wir ja Leonie rufen - und Oma sind unten in der Küche gewesen, als ich sie das letzte Mal gesehen habe.
„AHH!! NEIN, NEIN, NEIN! Ich will das NICHT!!!!“
Ich zucke richtig zusammen, so laut ist Leonies Geschrei. Es ist wütend und auch verzweifelt. Ich höre Oma etwas sagen und dann wieder Leonies wildes Gezeter:
„SOS! HILFEEE!!!“
Das ist mein Stichwort.
„Ich KOMMEEEE!!“, brülle ich zurück.
Schnell springe ich auf und eile zu meinem Handy, das auf dem Bett liegt. Ich greife es und stecke es energisch in meine Hosentasche. Man kann ja nie wissen, ob man nicht auch die Rettung rufen muss. Meine Finger sind ganz schön pickig wegen des Klebstoffs, sie kleben ein wenig an dem Plastik des Handys. Aber dafür habe ich jetzt keine Zeit. Ich flitze aus meinem Zimmer. Das Gebrüll kommt aus dem Badezimmer hier bei uns im oberen Stockwerk.
Der Flur ist dunkel und ich stoße mich mit dem Ellbogen an der kleinen Kommode, die im Gang steht. Das Licht aus dem Badezimmer hingegen leuchtet hell heraus und weist mir den Weg im Dunkeln. Schnell sause ich um die Ecke und kralle mich am Rahmen der offenen Badezimmertüre fest, damit ich meinen Schwung abbremsen kann.
Im Bad sehe ich Oma, die dort mit dem Rücken zur Türe steht. Sie hält Leonies lange, blonde Haare in den Händen. Vor ihr steht Leonie, aber er ist von Omas Rücken verdeckt. Dennoch sehe ich ihn zappeln und höre ihn schreien. Leonie windet sich und versucht Omas Griff zu entwischen.