Pech im Spiel - Lena Häfermann - E-Book

Pech im Spiel E-Book

Lena Hafermann

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Beschreibung

Der Bremer Privatdetektiv Paale Paulsen hat die Ehe zu seiner Frau Ilka bisher als den größten Erfolg seines Lebens verbucht. Doch auch damit ist nun Schluss. Ilka war den brummigen Seebären satt und hat ihr Glück bei einem anderen Mann zwar nicht gesucht, aber trotzdem gefunden. Als Paales Schwiegermutter Margarete seine Hilfe benötigt, sieht er seine Chance gekommen, sich zu beweisen und seine große Liebe zurückzugewinnen. Margaretes Stiefsohn, dem sie bald seinen Erbteil hätte ausbezahlen müssen, ist tot aufgefunden worden. Die berüchtigterweise schon dreimal geschiedene Witwe ist hochgradig verdächtig, und sie bittet Paulsen, den Fall zu lösen. Paales erster Mordfall!

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Ähnliche


Lena Häfermann

Pech im Spiel

Paale Paulsens erster richtiger Fall

Cover erstellt mit canva.com

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Epilog

Impressum

Pech im Spiel

Paale Paulsens erster richtiger Fall

Lena Häfermann

Kapitel 1

Mürrisch nahm Paale Paulsen den letzten Zug seiner Mentholzigarette, ehe er sie nachlässig auf den staubigen Boden warf. Als er sich der vertrockneten Gräser unter seinen Füßen bewusstwurde, trat er rasch auf den noch glühenden Stummel. Aufmerksamkeit war das Letzte, das er gebrauchen konnte. Das erleuchtete Fenster und die schöne Brünette, die sich dort in der Küche betätigte, behielt er nach wie vor im Blick. Hatte sie die hastigen Bewegungen im Gebüsch etwa mitbekommen? Nein, offenbar nicht, stellte er erleichtert fest, als sie in aller Ruhe weiter aufräumte. Obwohl sie eine ausgesprochen hübsche Frau war, machte es ihm keine Freude, sie zu beobachten. Trübselig nahm er wahr, wie sie den Käse mit einer schützenden Glasglocke versah und ihn zur Seite stellte. Herrje, eine Käseglocke! Er sah genauer hin. Und überhaupt: Wer steckte sein schwer verdientes Geld denn ernsthaft in eine so übertrieben edle Küche? Pft, machte er dann leise, schwer verdient! Darunter verstand er ohnehin etwas anderes! Dieser hemdtragende Bürostuhlpupser, dem das Haus gehörte, kannte harte Arbeit doch nur vom Hörensagen. Als feiner Finanzbeamter war er doch bloß hinter dem Geld anderer Menschen her. Verschickte Steuerbescheide und Zahlungsaufforderungen, ohne sich darum zu kümmern, woher der Empfänger das Geld dafür nehmen sollte. Und natürlich auch ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob der dann möglicherweise Eheprobleme bekäme, verlassen würde und Monate auf See verbringen müsse. Und schließlich in fremden Gärten stünde und Frauen durchs Küchenfenster beobachtete. Paale seufzte. Es machte vielleicht nicht unbedingt glücklich, viel Geld zu haben. Aber keines zu haben, war im Umkehrschluss eben auch kein Garant dafür, ein schönes Leben zu führen. Ob jetzt ein Finanzbeamter daran Schuld hatte, oder, wie es ja meist im Leben der Fall ist, man selbst.

Die moderne Küche glänzte protzig, soweit er das erkennen konnte, mit dunklen Fronten und goldenen Armaturen. Kein Vergleich zu dem traditionsbewussten Miele-Weißgelb, das in seiner eigenen Küche vorherrschte, oder besser: vorgeherrscht hatte. Vor wenigen Monaten hatte er nahezu sein gesamtes Hab und Gut seinem dankbaren Nachmieter überlassen, der nach einer hässlichen Trennung dringend ein neues Zuhause benötigte – egal, wie scheußlich die Einrichtung war. Was bedeutete, dass Paale jetzt gar keine Küche mehr besaß. Nicht mal mehr eine altmodische. Lächelnd wusch die Frau in der Küche Teller ab und schien leise vor sich hin zu summen. Sie tanzte sogar ein wenig, was Paales Herz schmelzen ließ. Jetzt kam ein kleiner Junge in Schlafanzug hinein und streckte mit langen Armen einen Teddy in die Höhe. Paulsen konnte an seinen Lippen ablesen, dass er für seinen Bären auch ein Küsschen einforderte.

Das breite Grinsen, das sich glücklich auf seinem Gesicht ausgebreitet hatte, fiel in sich zusammen. Er schluckte. Er vermisste seine Familie. Die Mutter in der Küche lachte hingegen fröhlich, küsste den Teddy auf die glatte, abgeknuddelte Nasenspitze und hob das Duo hoch, um es ins Bett zu bringen.

Paulsen verfolgte das Geschehen, bis die Beiden samt Bär aus seinem Blickfeld verschwanden. Als die Küchentür zufiel, zuckte er zusammen und wurde sich seiner Situation bewusst. Was stand er überhaupt noch immer draußen in der Dämmerung in dieser gottverlassenen Gegend und drückte sich im Schatten der bereits jetzt im April behämmert grünen Büsche herum?

Wie konnten nur die Blätter schon so grün und der Boden schon so vertrocknet sein, dachte er mies gelaunt und schob mit dem Fuß trotzig ein wenig Gestrüpp beiseite. Er wünschte sich die frische Brise herbei, die üblicherweise hier im Norden herrschte. Es war für Bremer Verhältnisse ein ungewöhnlich warmer Apriltag gewesen. Paulsen schwitzte jetzt am Abend noch immer in seiner abgetragenen, leicht gefütterten Lederjacke, die er normalerweise wenigstens bis in den Juni hineintrug.

Seufzend fuhr er sich mit dem Handrücken über die feuchte Stirn. Nicht nur die Temperaturen machten ihm zu schaffen. Dass er hier im hintersten Winkel eines fremden Gartens stand und heimlich seine Frau und sein Kind beobachtete, trug, gelinde gesagt, auch nicht zu seinem Wohlbefinden bei.

Er seufzte und musste plötzlich an seine Schwiegermutter denken. Sie wüsste, was zu tun wäre. Er konnte förmlich hören, was sie sagen würde, wenn sie ihn so sehen könnte.

›Meine Güte, Paale, das kann doch nun wirklich nicht dein Ernst sein! Hoch erhobenen Hauptes habe ich gesagt, hoch erhobenen Hauptes! Nicht eingezogenen Schwanzes.‹

Margarete Hinrichs war eine exzentrische, selbstverliebte und nicht selten äußerst enervierende Person, aber sie hatte ihr Herz am rechten Fleck und Paale schätzte sie sehr. Er störte sich bei den meisten Menschen an übertriebener Extravaganz und gepflegten Schrullen. Zu Margarete gehörte das wie Matjes zum Mai, wie Sahne zum Tee, wie Sturm zur Flut. Ja, letzteres beschrieb ihr Gemüt wohl am besten.

„Verdammt“, fluchte er halblaut. Er schlug einen Ast zur Seite und bahnte sich den Weg aus seinem Versteck. „Niemand kann mir verbieten, meinen Sohn zu sehen. Niemand. Und dieser jämmerliche Hanswurst schon gar nicht. So eine halbe Portion ...“ Schimpfend klopfte er sich Dreck und Ästchen ab, um in angemessenem Zustand an der Haustür zu klingeln. Dass er sich seit beinahe einer Stunde hier hinten aufgehalten hatte, musste ja niemand wissen. Mit seiner mächtigen Statur schob er sich durch das Geäst und konnte nicht verhindern, dass hier und da ein Bäumchen Blätter lassen musste. Paulsen war kräftig, nicht unbedingt durchtrainiert, aber doch ganz gut in Form. Die Schultern waren breit, die Arme muskulös, ein kleiner Bauchansatz wies darauf hin, dass er trotz allem ein Genussmensch war.

Er würde läuten, guten Abend sagen und darauf bestehen, Ben und Berti auch einen Gute-Nacht-Kuss geben zu dürfen. Genau so würde er das machen.

Plötzlich aber wurde die Terrassentür beiseitegeschoben und ein schlanker Mann trat hinaus, beinahe grazil, nahm einen tiefen Atemzug, und sah zufrieden auf den gepflegten Rasen. Irritiert ließ er seinen Blick einen Moment auf einer von der nachmittäglichen Gartenarbeit liegengebliebenen Harke ruhen. Man sah ihm an, dass er mit sich kämpfte, den Schandfleck beiseitezuräumen, doch dann rief er über die Schultern nach innen: „Trinken wir noch ein Glas Wein, Liebling?“

Eilig zog sich Paulsen wieder tiefer in sein Versteck zurück.

„Es ist herrlich draußen“, fügte der Mann noch hinzu. „Lass uns auf die Terrasse setzen.“ Er hatte eine angenehme und freundliche Stimme. Das fand sogar Paulsen.

„Eine schöne Idee“, hörte der nun seine (!) Frau antworten. „Was möchtest du lieber trinken? Den Riesling oder lieber ein Glas von dem Spätburgunder?“

„Nein, nein, bitte setz dich doch schon mal und lass mich das machen!“

Pah, Riesling oder Spätburgunder! Dass er nicht lachte. Was für ein Blödsinn. Früher hatten sie beide am liebsten Bier aus der Flasche getrunken und auf einmal saß sie hier und trank mit diesem Schnösel Wein.

Maximilian Kirchner.

Wie lange würde Ilka wohl noch Paulsen heißen? Bald wäre sie wieder Hinrichs, oder aber, er traute sich kaum, das zu denken, Kirchner. Der Gedanke ließ ihn ächzen. Gleichzeitig wurde ihm noch heißer als sowieso schon. Das wollte er jetzt gar nicht weiter vertiefen. Nein, nein. Noch trug sie den Namen Paulsen. Das einst enge und derzeit leider eher lose Band von Ehe und Familie hielt sie noch zusammen. Erst in vier Monaten, im August, wäre ihr Trennungsjahr vorbei. Zeit, endlich aktiv zu werden! Dass Ilka schon einen Neuen hatte, hielt Paulsen verständlicherweise für groben Unfug. Man wohnte doch nicht nach acht Monaten schon zusammen!

Verärgert und etwas hilflos hatte Paulsen sich neulich am Telefon anhören müssen, wie einsam sein kleiner Junge in dem neuen Stadtviertel war, das sich für ihn anfühlte, als sei es auf einem anderen Planeten und nicht nur wenige Kilometer von der alten Heimat entfernt. Er hatte Ben Mut machen wollen, ihm gesagt, dass er nur immer nach vorne schauen müsse, und dann würde alles gut werden.

Dat löpt sich allens torecht, sagte er seufzend.

Und jetzt stand er selbst zwischen den erblühenden Bäumen im Garten von Maximilian Kirchner, der ihm seine Frau weggenommen hatte, und fragte sich, ob wirklich immer alles gut würde, wenn man nur nach vorne schaute.

À propos laufen. Mit unangenehmem Ziepen kündigte sich seine Blase an. Mehr als zehn Minuten würde er es nicht mehr halten können, befürchtete er.

Hoffnungsvoll sah er zum Himmel. Vielleicht würde ein Regenschauer die beiden ins Haus treiben? Hatten die das nicht heute bei „buten un binnen“ angekündigt? Leider sah es danach überhaupt nicht aus. Die Wolken waberten nach wie vor zart gezupft über ihn hinweg. Der Gedanke an plätschernde Regentropfen hingegen stimmte ihn nur noch ungeduldiger.

Nun los, trinkt aus und geht rein, es ist schließlich erst April. Es gibt noch genügend Sommerabende, die ihr draußen verbringen könnt, schickte er einen stummen Befehl Richtung Terrasse. „Ich hole uns die Flasche raus, ja?“, hörte er Maximilian in dem Moment sagen und sah, wie er aufstand. „Am ersten schönen Tag im Jahr kann man ruhig auch noch ein zweites Gläschen trinken.“

Ach, du ahnst es nicht, dachte Paulsen giftig, ein zweites Gläschen, was war das denn für ein Langweiler? Margarete hatte also mal wieder Recht gehabt.

Margarete Hinrichs war Ilkas Mutter. Sie schätzte Paulsen sehr, ungeachtet dessen, dass er ein so popeliges Einkommen nach Hause brachte und sie immer wieder mit Finanzspritzen aushelfen musste. Doch ihren Enkel liebte sie, wie jede Großmutter, nahezu abgöttisch. Nun redete sie Paale immer wieder gut zu, nicht vorschnell aufzugeben und ignorierte dabei gekonnt den Willen ihrer Tochter. „Maximilian ist vielleicht ein netter Kerl. Gut aussehen tut er ja auch. Aber er ist einfach so unglaublich öde. Sicher tut sie das alles nur, um mir eins auszuwischen.“ An dieser Stelle hatte Paulsen husten müssen. Unbekümmert war sie fortgefahren: „Ich sage dir, Paale. Das geht nicht gut. Ilka liebt dich. Ganz bestimmt. Gib ihr eben etwas Zeit, wenn sie so sehr darauf besteht. Aber“, sie hatte mahnend den Zeigefinger erhoben, „lass dich nicht gehen. Auch du kannst eure kleine Zwangspause genießen. Das macht dich interessant“, schloss sie ihren Monolog mit einem vielsagenden Augenzwinkern.

Interessant. Paale ließ das Gespräch Revue passieren. Das hier hatte sie sicher nicht gemeint. Sich in diesem blöden Garten wie ein Krimineller zu verstecken. Herrje, er konnte sich überhaupt nicht mehr konzentrieren, so sehr drückte das mittlerweile. Es hilft ja alles nichts, entschuldigte er sich im Stillen, und knöpfte seinen Hosenstall auf. Behutsam und so leise es nur irgend ging, gab er dem Druck seiner Blase nach.

Ja, so war es gut, dachte er erleichtert. Es war völlig okay, heimlich in die Büsche seines Widersachers zu strullen, redete er sich ein. Peinlich war im Grunde nur, dass er es heimlich tat. Echte Männer erledigten das mit mehr Stolz. ›Da hast du, was du verdienst‹ rufend.

Die einsetzende Entspannung wurde jäh unterbrochen, als sich eine übergewichtige Ratte mit einem entsetzten Kiekser vor Paales Urinstrahl rettete, erst weglief, sich dann wieder umdrehte und auf ihn zuschoss. Paale erschrak, schloss notdürftig die Hose, stolperte und hastete eilig aus dem Gebüsch. Leider übersah er dabei die liegengebliebene Harke. Er trat auf das Unterteil, mit einem dumpfen Geräusch knallte das Stilende an seine Stirn und Paale fiel inmitten des Kirchner-Gartens und mit halbgeschlossener Hose in Ohnmacht.

„Paale?“, hörte er Ilka noch fragen. „Bist du das? Was zur Hölle tust du denn hier?“

Als er wieder zu sich kam, lag er in einem hell erleuchteten Krankenwagen.

„Da sind Sie ja wieder“, sagte der Sanitäter freundlich. „Wie geht es uns denn?“

Verständnislos starrte Paale ihn an. „Woher soll ich denn wissen, wie es Ihnen …“

„Ist er wach?“, wurde er von einem Rufen unterbrochen. „Ich möchte zu ihm.“ Schritte kamen näher.

Paale riss die Augen auf. „Tun Sie was“, flüsterte er dem jungen Mann zu. „Bitte.“

Der begriff schnell. Rasch streckte er seinen Kopf aus dem Wagen und rief: „Einen kleinen Augenblick noch, Frau Paulsen, wir sind sofort fertig. Gehen Sie ruhig wieder rein. Wir melden uns gleich!“

Und an Paale gerichtet: „Sie haben Glück gehabt. Wie es aussieht, sind Sie mit einer Platzwunde davongekommen. Für eine Gehirnerschütterung gibt es keine Anzeichen. Aber bitte schonen Sie sich etwas. Und falls Sie sich übergeben müssen oder Ihnen erneut schwindelig wird, gehen Sie zum Arzt. In Ordnung?“

„Jaja“, wiegelte Paulsen ab. Beinahe alles gibt sich auch wieder von allein.

Dat löpt sich allens torecht. Das sagte er laut und stand mit einer unbedachten Bewegung auf, die ihn eines Besseren belehrte. „N büschen vorsichtig müssen Sie schon sein.“ Der Sani verkniff sich ein Grinsen. Paale konnte es ihm nicht mal verübeln. Für Außenstehende waren die Ereignisse sicher unterhaltsam. Ein Mann, der beim Pinkeln von einer Ratte überrascht wurde, dann auf eine Harke trat und in Ohnmacht fiel. Und all das, während er sich im Gebüsch versteckte und seiner Ex-Frau auflauerte. Mit gequältem Lächeln bedankte sich Paulsen für die Hilfe und wollte sich unauffällig davonstehlen. Aber vor dem Krankenwagen stand Ilka. Die Arme verschränkt. Mit einem Blick, den Paulsen nur allzu gut kannte und fürchtete. „Also?“, fragte sie. „Ich höre!“ Paulsen zuckte mit den Schultern. „Entschuldige.“ Dann eierte er von dannen. „Ist das etwa alles?“ Fassungslos ließ seine baldige Ex-Frau die Arme sinken. „Nur ›entschuldige‹?“

Paulsen gab keine Antwort. Nein, dachte er aber, das soll nicht alles gewesen sein. Es fing gerade erst an.

Kapitel 2

Wie hatte es bloß soweit kommen können? Es war doch erst ein paar Monate her, dass Ilka ihm gesagt hatte, er solle sich jetzt mal am Riemen reißen. Es hatte nicht den einen großen Streit gegeben, der sie zum Gehen veranlasste. Nein, das nicht. Wenn er recht überlegte, hatten sie sich schon lange nicht mehr gezankt. Zanken tat man um Kleinigkeiten. Um die Zahnpastaflecken im Waschbecken, um liegengebliebene Socken, darum, wie umständlich der andere die Spülmaschine einräumte. Wer zankte, führte eine gute Ehe.

Nur wer sich nicht mehr zoffte, sollte anfangen, sich Sorgen zu machen.

Es waren Geldprobleme, weil die Detektei nicht wirklich lief. Das Alleinsein, weil Paale, wenn er denn mal einen Auftrag hatte, am Abend und am Wochenende damit beschäftigt war, vermeintlich fremdgehende Ehemänner zu beschatten. Und nicht zu vergessen das muffelige Schweigen, weil er verständlicherweise partout nicht darüber sprechen wollte, dass er ein Versager war. Ilka, die Zeit ihres Lebens eigentlich immer sehr verständnisvoll gewesen war, hatte genau das irgendwann nicht mehr akzeptiert. Sie wollte reden und sich aussprechen. Mit Worten alles wieder gutmachen.

Wie er sie am Abend zuvor so zufrieden und ausgeglichen mit Maximilian gesehen hatte, fragte er sich, warum er es selbst nicht geschafft hatte, sie dauerhaft so glücklich zu machen.

Er nahm er ihr ja gar nicht mal übel, dass sie für eine kleine unbedeutende Liebelei empfänglich gewesen war. Er wusste ja mittlerweile selbst, welch schlechte Performanz er als Ehemann in letzter Zeit abgeliefert hatte. Doch er war sich sicher, dass das vorbei ging. In guten wie in schlechten Tagen, so hatten sie es sich schließlich in dem kleinen, etwas renovierungsbedürftigen Standesamt an der schleswig-holsteinischen Küste geschworen.

Jetzt, als das erste Morgenlicht in das heruntergekommene Pensionszimmer fiel, in dem er vorläufig wohnte, machte er sich die größten Vorwürfe.

„Ich bin ein verdammter Idiot“, murmelte er.

Nur mit Shirt und Unterbux lag er auf dem Bett und hatte die Decke von sich geworfen. Auch das Pflaster hatte er sich längst von der Stirn gerissen, damit er nicht so idiotisch aussah, wie er sich fühlte. Allein mit frischem Sauerstoff konnten Wunden schließlich richtig heilen. Das hatte schon seine Oma immer gesagt. Wenn sie ihn jetzt so sehen könnte, würde sie vermutlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. „Junge“, würde sie sagen, „was machst du nur für Sachen? Jetzt geh und entschuldige dich bei Ilka.“ Sie hätte sich sicher großartig mit Margarete verstanden.

Entschuldigen, genau das würde er tun, beschloss Paulsen in einem Anflug von Tatendrang. Das Wie musste noch geklärt werden. Keine schnöden Blumen oder eine einfache Einladung zum Essen. Es müsste etwas Größeres sein. Etwas Gewaltiges. Etwas, das nicht nur sein Bedauern ausdrückte, sondern sie zugleich weg von dem dusseligen Kirchner und zurück in seine Arme trieb.

Der Teufel musste sich ins Fäustchen gelacht haben, als er Ilka und Maximilian zusammenführte. Just in dem Moment, als Paale beschlossen hatte, sein Leben aufzuräumen, seinen wenig erträglichen Job als Detektiv an den Nagel zu hängen und sich eine anständige Arbeit in einem Büro zu suchen.

Ilka aber hatte ihren Worten zufolge allzu lange versucht, ihm, dem brummigen Seebären, seine Gefühle zu entlocken und nun hatte sie jemanden gefunden, der auch dann den Mund aufmachte, wenn er nicht direkt gefragt wurde. Der gerne erzählte und der gerne zuhörte. Jemand, der lebenslustig war und keine Geldsorgen hatte.

Ilka Paulsen hatte Maximilian Kirchner gefunden, fasste Paale für sich zusammen, während er unter der Dusche stand und das Wasser auf „Kalt“ stellte. Offenbar eine Geschichte wie aus einem dieser unsäglichen Liebesfilme, die Ilka manchmal statt des Tatorts am Sonntagabend hatte sehen wollen: Angesäuselt war sie aus einer Gaststätte, die sie mit ihren Freundinnen besucht hatte, auf die Straße gelaufen, um frische Luft zu schnappen. Maximilian, ein passionierter, aber unbegabter Rennradfahrer, konnte nur mit Mühe ausweichen, krachte mit lautem Geschepper gegen einen Laternenpfahl und blickte, als er wieder aufwachte, in Ilkas Gesicht. Und Ilka hatte sich anscheinend augenblicklich verguckt: in die weichen Gesichtszüge, das sanfte Wesen und die ausgeglichene Art von Maximilian Kirchner, der es im Gegensatz zu ihrem Einsiedler von Ehemann liebte, sich mit Freunden und Bekannten zu umgeben und das Leben gerne, wenn auch stets in Maßen, genoss. All das wusste Paale von Margarete. Eine kurze Affäre, das hätte Paulsen ihr verzeihen können. In welch bitterer Misere er steckte, merkte er erst, als Ilka mitsamt Ben auf dem Weg in Kirchners Leben war.

Im dunkel vertäfelten Speiseraum seiner Pension in der Nähe des Hauptbahnhofs nahm Paale unter den strengen Augen der Wirtin ein schnelles Frühstück zu sich, das lediglich aus einer Tasse Tee bestand. Er häufte Zucker hinein und kippte zwei Töpfchen Sahne hinzu. Hastig rührte er um und setzte zum Trinken an.

„Wollen Sie kein ordentliches Frühstück?“, fragte die Wirtin Frau Dahlmeier missbilligend und beobachtete, wie Paulsen das Gebräu in einem Zug leerte. Haben Sie denn doch eins, lag es Paale auf der Zunge, der sich an das karge Angebot am ersten Morgen nach seiner Ankunft erinnerte.

„Nein, danke schön“, erwiderte er jetzt aber höflich und entschuldigte sich damit, es leider etwas eilig zu haben.

Der Detektiv hatte einen vermeintlich untreuen Ehemann aus Hannover zu beobachten. Die Idee, einen braven Bürojob auszuüben, hatte er längst wieder verworfen. Dafür war er einfach nicht gemacht. Er wollte sich nicht den Hintern an einem Schreibtisch platt sitzen, auf einen Monitor starren, bis er eine Brille brauchte und seine Zeit mit Menschen verbringen, die er vermutlich nicht leiden könnte.

Sein aktueller Auftrag war simpel. Dr. Eberhard-Gustav Schmitt, ein Facharzt für Urologie aus Hannover, hatte seiner Frau gegenüber behauptet, für einen Ärzte-Kongress in die Hansestadt reisen zu müssen. Sie vermutete aber eine Affäre.

Damit lag sie falsch, wie Paulsen feststellen konnte. Paale hatte sich im Rücken des Catering-Personals in die Hallen der Messe Bremen geschlichen und, als er dabei von zwei Aushilfen entdeckt wurde, ein bisschen mit ihnen geschäkert, damit sie ihn nicht verpfiffen. Sie hatten davon abgesehen, die Security zu rufen, die ihn wieder hinauskomplimentiert hätte, sondern ließen ihn Richtung der Veranstaltungsräume ziehen.

Dr. Schmitt hielt zwei Vorträge, einen am Vormittag, einen am späten Nachmittag, gönnte sich ab und an eine kurze Raucherpause und Paulsen konnte sehen, dass er den Salat beim Mittagsbuffet links liegen ließ und sich stattdessen über das Schnitzel samt Bratkartoffeln und fetter Hollandaise Sauce hermachte. Beim Nachtisch konnte er sich schwer entscheiden. Nach einer Weile griff er einfach zweimal zu: Schokoladenpudding und ein Stück Käsekuchen. Nur eines konnte Paulsen nicht beobachten: nämlich, dass der beschattete Arzt eine andere Frau als seine Ehefrau vernaschte. Gut für Frau Schmitt, schlecht für Paulsens Finanzen.

Und so berichtete Paulsen der Frau Doktor abends am Telefon, dass er noch nicht ganz sicher sein könne, was ihren Gatten nach Bremen geführt haben könnte. Ja, sicher, der Kongress, das könnte schon sein, behauptete er, doch ab und zu habe er die Spur verloren. Was er zwischen den Vorträgen getrieben hatte, das könnte er beim besten Willen nicht mit letzter Gewissheit sagen. So kam es, dass Frau Schmitt ihn für zwei weitere Tage bis zum Ende des Kongresses als Detektiv verpflichtete. Zufrieden, wenn auch mit schlechtem Gewissen, legte Paulsen auf.

Die Ehe der Schmitts war in Ordnung, da war er sich ziemlich sicher. Sie, in den mittleren Jahren und mit etwas künstlichem Äußeren, liebte ihren Eberhard-Gustav aufrichtig. Paale vermutete, lediglich Langeweile und ein Hang zur Theatralik hatte sie auf die Idee gebracht, ihr Ehemann könnte eine Affäre haben.

Er erinnerte sich daran, wie er Frau Schmitt das erste Mal getroffen hatte. Sie hatten sich, in Ermangelung eines eigenes Detektei-Büros, in der Filiale einer Bäckereikette verabredet. Cordula Schmitt war schon da gewesen, als er eintrat, und hatte ihn zaghaft zu sich gewunken.

„Herr Paulsen?“, hatte sie ihn fragend begrüßt. Ihre Augen hatte sie hinter einer großen Sonnenbrille verborgen. Sie hatte sich sorgfältig zurecht gemacht. Das helle Kostüm war modern und von guter Qualität, höchstens etwas zu eng. Vor ihr hatten ein großer Milchkaffee und ein Stück Torte gestanden. Zwei leere Zuckertüten hatten sich auf dem Rand der Untertasse befunden. Kategorie Frust-Esser, hatte Paale geurteilt.

„Frau Schmitt, schön, Sie kennenzulernen.“

„Ich wünschte, unser Zusammentreffen wäre vermeidbar.“ Sie hatte geseufzt.

„Natürlich, natürlich“, hatte er sich beeilt, ihr zuzustimmen. „Das verstehe ich. Aber ich bin sicher, Ihre Sorge ist ganz unbegründet. Sehen Sie sich doch an“, hatte er geschmeichelt, während er sich zu ihr setzte, „er wäre doch sehr dumm, sich eine andere Frau zu suchen.“

Frau Schmitt hatte gestutzt, nahm ihre Sonnenbrille abgenommen und den Mund zu einem dankbaren Lächeln verzogen. „Wie freundlich Sie sind.“

Schmeicheleien gehörten üblicherweise nicht zu Paales Repertoire. Aber er hatte Mitleid mit seinem Gegenüber gehabt. Wenn man glaubte, eine Liebe ging zu Ende, war das eben traurig. Egal, ob man Schmitt hieß oder Paulsen.

Die rot geränderten und glänzenden Augen von Frau Schmitt hatten ihm verraten, dass sie, Theatralik hin oder her, eben wirklich an die Affäre glaubte und sie das tief erschütterte. Die Indizien, die sie ihm geliefert hatte, waren indes dürftig. Das hatte Paale ihr auch klipp und klar gesagt. Aber sie hatte darauf bestanden, dass er ihren Fall trotzdem übernahm. Und Paale hatte es nicht übers Herz gebracht, sie abzuweisen. Mit den wenigen Hinweisen von „er nimmt sein Handy mit ins Bad“ über „er arbeitet oft lange“ bis hin zu „neulich hat er mir Blumen geschenkt“ sollte er also nun versuchen, Herrn Schmitt des Ehebruchs zu überführen.

Zum Glück hatte er dafür heute keine Beweise finden können.

Mittlerweile war es spät geworden. Die Dämmerung brach herein und hüllte das ohnehin schon wenig freundlich wirkende Hotelzimmer in düsteres Licht. Paulsen juckte es in den Fingern, sich eine Zigarette anzustecken.

Doch Ilka hatte das Rauchen mit steigendem Alter kritisch gesehen. In jungen Jahren hatte sie selbst gerne geraucht, nur keine Zigaretten. Paale war sich sicher, dass der gute Maximilian alleine bei dem Gedanken an eine Zigarette zu husten anfangen würde. Maximilian, der Sport machte. Maximilian, der als Finanzbeamter ein regelmäßiges Einkommen nach Hause brachte. Maximilian, der sich täglich rasierte und dessen dunkles Haar weich und gepflegt war.

Ätzend, dachte Paulsen und holte trotzig eine Schachtel Mentholzigaretten aus seiner Jackentasche. Bevor er sich aber eine anstecken konnte, klingelte sein Handy.

„Paulsen?“

„Paale, ich bin es, Margarete.“

„Moin“, entgegnete Paulsen wenig begeistert.

„Du scheinst dich ja über alle Maße zu freuen, meine Stimme zu hören“, sagte seine Schwiegermutter fröhlich lachend.

„Ja sicher“, gab er brummend zurück.

„Du, ich habe einen Auftrag für dich.“ Margarete Hinrichs war es gewohnt, über die Ablehnung anderer Leute hinwegzuhören.

Paulsen horchte auf. „Was gibt es?“

„Es ist sehr wichtig für mich“, fuhr Margarete fort. „Es gibt nur ein Problem ...“

„Ja?“

„Ich brauche dich hier. In Bremen. Wie lange versteckt du dich noch auf See vor deinen Eheproblemen?“ Paulsen erwiderte, dass er bereits zurück sei. „Wegen Ilka? Ach, da bin ich aber stolz auf dich.“ Margarete war erleichtert. „Wusste ich’s doch, dass du dir nicht so einfach die Butter vom Brot nehmen lässt.“ Paulsen dachte an den Abend zuvor und sagte nichts.

„Bist du noch dran?“

„Natürlich. Warum sollte ich einfach auflegen?“

„Paale“, tadelte Margarete, „sei nicht immer gleich so brummelig. Wie schön, dass du zurück bist. Ich reserviere uns einen Tisch!“

„Also, worum geht’s?“ Paulsen saß seiner Schwiegermutter in der eleganten Cocktailbar in der Böttcherstraße gegenüber. Das Licht war gedämpft. Im Hintergrund dudelten leise elegante Jazztöne. Die jungen Kellner trugen enge, schwarze Hemden und sahen mit ihren überlangen Haarschnitten und rosigen Gesichtern aus, als seien sie den Werbepostern eines Herrensalons entsprungen.

Zufrieden sah Margarete sich um.

Paulsen spürte die Blicke der anderen Besucher. Aber das kümmerte ihn nicht. Er war unrasiert wie eh und je, die Ereignisse des letzten Abends, ach was der letzten Monate, hatten Spuren in Form von Augenringen und müder Gesichtshaut hinterlassen. Das Mal auf seiner Stirn, das besser unter einem Pflaster verborgen geblieben wäre, regte die Gäste zum Tuscheln an. Hinzu kamen die zerknitterte Leinenhose und die abgetragene Lederjacke. Paale Paulsen wirkte in der edlen Bar in etwa so unauffällig wie ein Zebra auf Grönland.

Auch Margarete Hinrichs war ein echter Hingucker, nur auf ganz andere Weise als Paale. Seine Schwiegermutter hatte mit Ende 60 die Figur einer leichtfüßigen Ballerina. Ihre grauen Haare waren glatt und schulterlang, sie trug ein enges buntes Kleid, das ihr bis zu den Knöcheln reichte und über dem flachen Busen baumelte eine riesige Kette. Nicht nur ihr anziehendes Äußeres, auch ihre lebensbejahende Art hatten im Laufe der Jahre dafür gesorgt, dass sie selten alleine war. Insgesamt kam sie bisher auf drei Ehemänner und unzählige Liebschaften. Diese unterhielt sie aber nur ungebunden. Als verheiratete Frau war sie treu. Das war einer ihrer Grundsätze. Einer der wenigen, wie sie selbst zugab. Denn eigentlich lag ihr nichts ferner, als sich das Leben von Prinzipien vermiesen zu lassen.

„Es geht um Jonathan“, sagte Margarete jetzt. Das war ihr dritter Mann, der im letzten Jahr verstorben war. „Oder besser: um sein Erbe. Wie du vielleicht weißt, hat Jonathan einen Sohn.“

Paulsen zuckte mit den Schultern. Er musste zugeben, bei Margaretes Männern nicht ganz so genau aufzupassen. Kaum, dass man sich mit einem angefreundet hatte, hatte sie ja schon den nächsten.

„Hubertus“, seufzte Margarete zur Erklärung, „ein echtes Sorgenkind. Sensibel, blass, ständig krank. Jonathan hat ihn auf ein teures Internat geschickt, als er erst 13 Jahre alt war. Die Mutter war gerade, viel zu jung, an Krebs gestorben und Jonathan war mit der Erziehung von Hubertus überfordert. Die Nannys auch. So ist er dann im Internat groß geworden, später ging er auf eine private Universität mit gutem Ruf. Das war eine Fehlinvestition, so würde man wohl im Wirtschaftsjargon sagen. Er ist ja nicht dumm. Aber faul! Dazu die Drogen. Erst Hasch, dann Ecstasy, das war damals noch in Mode, weißt du“, schob Margarete ein.

Paulsen schüttelte den Kopf. Woher Margarete Kenntnis darüber hatte, welche Drogen in Mode waren, wollte er gar nicht so genau wissen.

Sie fuhr fort: „Das dicke Ende kommt erst noch: Er hatte sich die falschen Freunde ausgesucht. Wahrscheinlich vom Internat oder vielleicht auch von der Uni. Wie das eben so ist, wenn verzogene, reiche Sprösslinge auf ihresgleichen treffen. Jonathan hat die Clique seines Sohnes aber nie persönlich kennengelernt. Es muss ganz harmlos angefangen haben. Hier und da eine Runde Poker oder eine Partie Roulette im Casino. Bald musste er Schulden machen und geriet immer tiefer in die Sucht.“ Margarete seufzte wieder. „Jonathan hat ihm natürlich ausgeholfen. Was hätte er auch sonst tun sollen? Aber das war nicht das Richtige! Immer wieder verspielte er erst sein eigenes Geld, und dann das seines Vaters.“ Traurig machte sie eine Pause.

„Und was hat das mit mir zu tun?“, wollte Paulsen wissen. Eine erschütternde Geschichte, ja, aber was konnte er schon für den verwöhnten Spross einer reichen Familie?

„Einen Moment noch, Paale“, bat Margarete ihn um Geduld, „dazu komme ich gleich. Griesgrämig wie eh und je.“ Sie lächelte.

„Ich bin nicht ...“

„Und ob du das bist“, unterbrach sie ihn. „Griesgrämig, sauertöpfisch, übellaunig – Such dir was aus.“

„So wird es sicher nicht besser“, murrte Paulsen.

„Entschuldige.“ Kurz legte Margarete ihre Hand auf Paulsens Oberarm. „Es ist wegen Ilka, nicht wahr?“

Paulsen antwortete nicht sofort. Er warf seiner Schwiegermutter einen langen Blick zu. „Wieso denn Ilka? Was hat sie denn damit zu tun?“, stellte er sich dumm.

Margarete Hinrichs lächelte milde. Ihr Schwiegersohn war von der schweigsamen Sorte. Ganz besonders, wenn es um seine Gefühle ging. Ein echter Kerl eben. Das war es auch, was Ilka so sehr an ihm geliebt hatte: ein Mann wie ein Baum. Unerschütterlich und stark. Und jetzt war sie mit diesem Maximilian zusammen. Er war nett, keine Frage, aber viel zu vernünftig. Ein bisschen langweilig. Aber ihre Meinung interessierte Ilka natürlich nicht. Und wenn doch, dann nur, um das Gegenteil zu machen.

Paulsen saß Margarete wortlos gegenüber und wartete darauf, dass sie fortfuhr. Derweil hatte er sich eine Zigarette angesteckt

„Das macht faltig“, wies sie ihn zurecht.

Ungerührt nahm Paulsen einen besonders tiefen Zug.

„Wieso sitzen wir überhaupt in der Raucherecke?“, fragte Margarete und sah sich um.

„Du hast doch den Tisch reserviert.“

„Nun gut“, winkte sie ab. „Wo war ich?“

„Bei Hubertus. Er ist spielsüchtig, sagtest du.“

„Falsch“, entgegnete Margarete, „er war spielsüchtig.“

„Er ist tot?“, fragte Paulsen nun doch etwas bestürzt.

„Quatsch“, verbesserte Margarete, „ich meinte, er war spielsüchtig und jetzt angeblich nicht mehr. Und da kommst du ins Spiel, mein lieber Paale.”

„Na endlich“, murmelte er ergeben.

„Jonathan hat in seinem Testament festgelegt, dass Hubertus nur dann seinen Teil des Erbes bekommen soll, wenn er nicht wieder mit dem Spielen anfängt. Er hat nämlich vor zwei Jahren eine Therapie begonnen. Wenn er die durchhält, soll er die Hälfte von Jonathans Vermögen erhalten. Das war sein letzter Wille. Und in drei Tagen, also am 1. Mai“, erklärte Margarete nun, „sind diese zwei Jahre vorbei. Und du“, sie beugte sich vor und bohrte Paulsen ihren rot lackierten Fingernagel in die Brust, „wirst nun herausfinden, ob Hubertus wirklich nicht mehr spielt.“ Erwartungsvoll sah sie ihren Schwiegersohn an.

„In Ordnung“, gab Paulsen unbeeindruckt zurück. „Mein Stundensatz liegt bei 125 Euro. Für dich 120.“

„Wie großzügig von dir.“

„Keine Ursache. Wer verwaltet denn das Vermögen aktuell? Ein Anwalt?“

„Aktuell noch, ja“, gab Margarete zurück.

„Das heißt?“

„Wenn er noch oder wieder spielt, gehört seine Hälfte mir.“

„Oha. Dann darfst du das gesamte Geld behalten?“

„Du weißt, dass ich das nicht nötig habe, lieber Paale.“ Margarete lehnte sich zurück und nahm einen Schluck von ihrem Cocktail. „Natürlich wäre es mir lieb, wenn ich Hubertus seinen Anteil nun endlich auszahlen darf“, behauptete sie, „aber ich möchte nicht, dass Jonathans halbes Vermögen an irgendwelche zwielichtigen Kerle geht, denen sein missratener Sohn noch Geld schuldet. Also liefere mir den Beweis dafür, dass er therapiert ist und mit dem Erbe was Vernünftiges anstellt. Eine Familie gründen, oder was weiß ich.“

„Was Vernünftiges ...“ Paale lachte bitter auf und erntete dafür einen mitfühlenden Blick seiner Schwiegermutter, der an ihm abprallte wie ein Flummi vom Linoleumboden.

„Dann mal danke für die Einladung, Margarete. Mach‘s gut“, verabschiedete er sich, ehe seine Schwiegermutter wieder einen Versuch starten konnte, ihm mit ein paar ermutigenden Worten seine wahren Gedanken zu entlocken.

Er stand auf und drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange, der, wie sie wusste, das Höchste seiner Gefühle war. „Ich melde mich, sobald ich was weiß.“

Kapitel 3

Hubertus van Bergen lebte in Schwachhausen in einer eleganten Altbauvilla von jener Sorte, die die meisten Menschen beeindruckt von außen bestaunen, aber nur wenige je von innen sehen dürfen. Paale war noch nie hier gewesen, und dass, obwohl seine Schwiegermutter einst ebenfalls für eine Weile mit Hubertus’ Vater Jonathan hier gelebt hatte. Warum eigentlich nicht, fragte er sich nun.

Das Gebäude zählte zu den schicksten Villen, die Bremen zu bieten hatte. Selten hatte Paale ein so prächtiges Haus gesehen. Nicht, dass man ihm eine besondere Expertise oder auch nur eine besondere Vorliebe für klassizistische Villen zuschreiben konnte, er selbst lebte seit seiner Rückkehr schließlich in der Pension, aber hübsch anzuschauen war so eine Altbremer-Villa schon. Er würde nie über das nötige Kleingeld verfügen, um sich eine derart gediegene Unterkunft leisten zu können. Aber so wie es derzeit aussah, hatte er ja sowieso keine Familie mehr, die mit ihm in einem so großen Schuppen wohnen könnte.

Hastig überquerte er die Straße. Ganz so, als könne er seine miese Laune auf der anderen Seite lassen. Er hatte beschlossen, sich ein wenig in dem Haus umsehen, solange Hubertus bei der Arbeit war. Erstmal einen Eindruck verschaffen, wie der so lebte und wie er seine Freizeit verbrachte.

Paulsen sah auf die Uhr. Kurz nach 9. Hubertus van Bergen müsste die Villa zu dieser Zeit bereits verlassen haben und in seinem Büro angekommen sein. Hubertus arbeitete als Immobilienmakler, der einzige Job, den er, nach Paulsens Meinung, auch ohne großes Können ergattern konnte und der ihm dennoch ein erträgliches Einkommen sicherte. Mit dem Namen seines Vaters hielt man ihn auf diesem Gebiet zudem bestimmt für kompetent. Jonathan van Bergen war ein angesehener Architekt gewesen. Auch Hubertus wollte laut Margarete sein Architekturstudium fortsetzen, sobald er sein Leben wieder auf die Reihe bekommen hätte.

Paale blickte rechts und links die Straße hinunter. Niemand zu sehen, stellte er fest. Würden die Nachbarn wohl bemerken, dass er hier eigentlich nichts zu suchen hatte? Langsam wie bei einem Spaziergang schlenderte er zu dem schmiedeeisernen Tor. Er drückte es nach einem erneuten Schulterblick auf und verschwand mit einer raschen Bewegung hinter den hohen Büschen, die das Anwesen von der Straße trennten. Der weiße Kies knirschte leise unter seinen Füßen, als er zum Eingang schlich. Vom Nachbarhaus hatte man eine gute Sicht auf den Vorgarten, doch dort war zum Glück niemand zu sehen. Breite, steinerne Treppenstufen führten hinauf zu der majestätischen Haustür, die zu Paales Verblüffung einen Spalt offenstand. Abrupt blieb er stehen. Er konnte besser nachdenken, wenn er sich nicht bewegte.

Was nun? Hatte Hubertus van Bergen einfach nur vergessen, die Tür beim Verlassen des Hauses zu schließen oder war es vielleicht möglich, dass er doch zuhause war? Hatte er etwas liegen lassen und war nur eben zurückgekommen, um es zu holen?

Doch Paulsen spürte, so instinktiv wie es für einen erfolglosen Privatdetektiv möglich war, dass es eine andere Erklärung für die nicht geschlossene Haustür gab. Eine, die weniger harmlos sein musste als eine vergessene Tasche. Vielleicht war es die Stille, die ihn alarmierte. Ein hektisch Suchender würde doch herumpoltern. So war es jedenfalls, wenn er etwas vergessen hatte und dafür umdrehen musste.

Entschlossen, aber lautlos trat er ein und befand sich in einer imposant großen Eingangshalle. Fast wie in einem Hotel. Links und rechts führten breite, mit rotem Teppich ausgelegte Stufen in die obere Etage. Über ihm schwebte ein mächtiger Kronleuchter mit Dutzenden von Glühlampen. Er horchte. Kein Ton drang zu ihm in die Halle.

Von Margarete wusste er bereits, dass sich in der ersten Etage Hubertus’ Büro, zwei Schlafzimmer sowie zwei Badezimmer befanden. Unten im Erdgeschoss sollte es ein Kaminzimmer, einen Salon und ein Herrenzimmer geben. Die Küche lag, wie das in diesen Kreisen wohl so üblich war, im Keller. Auch die Räume für das Personal waren hier untergebracht.

Personal! Paulsen hatte verächtlich schnauben müssen, als Margarete das erwähnte. Für derart antiquierte Lebensmodelle hatte er wenig übrig.

Jetzt wog Paulsen sein weiteres Vorgehen ab. Er war Detektiv, kein Superheld. Er beschattete hier und da fremdgehende Eheleute oder stellte Nachforschungen für Gläubiger an. Das war es eigentlich auch schon.

Sein bisher riskantester Job war ein Raubüberfall in Delmenhorst gewesen. Jugendliche hatten die dortige Fischbude ausgeraubt und den Besitzer mit ihren Gürteln gefesselt. Anschließend hatten sie einen völlig unbeteiligten Mitschüler als treibende Kraft hinter der Sache beschuldigt. Nur dank Paulsens Hartnäckigkeit (und eines illegalen Eindringens in die Wohnhäuser der Übeltäter, wo er die Kasse der Fischbude fand) konnte die Wahrheit doch noch ans Licht gebracht werden.

Der Fall erregte in der Region einige Aufmerksamkeit. Zum einen, weil der Sohn eines hiesigen Großindustriellen in die Sache verwickelt war und zum anderen, weil genau der Paulsen zwischenzeitlich ziemlich deutlich drohte, er solle seine Schnüffeleien besser einstellen. Dieses Gespräch wurde, einem glücklichen Zufall sei Dank, versehentlich aufgezeichnet. Paale hatte kurz zuvor versucht, Ilka zu erreichen und das Handy in die Tasche gleiten lassen, als sich der feiste Firmenchef ihm mit fernsehkrimitauglichen Drohungen in den Weg stellte. Ilkas Mailbox nahm den Anruf entgegen und die ganze Schmierenkomödie auf.

Dem Ruf des Stahlmagnaten hatten weder das Tun des Sohns noch der Erpressungsversuch geschadet. Der galt schon vorher als ruiniert. Und zu Ilkas Bedauern gelang es auch Paulsen nicht, aus dem kurzzeitigen Ruhm, den die Medien ihm bescherten, eine nachhaltige Karriere zu machen.

So leise es mit 90 Kilogramm eben ging, schlich Paulsen jetzt die Treppe hinauf. Oben, gleich links neben dem Treppenabsatz, stand eine Tür offen. Paulsen lugte vorsichtig nur mit dem Kopf hinein. Mit dem Körper presste er sich an die Wand im Flur. Nichts. Der Raum war leer. Nur ein großes, ordentlich gemachtes Bett sowie ein kleines Nachtschränkchen waren zu sehen. Das Schlafzimmer also.

Paulsen huschte weiter zur nächsten Tür. Was würde er Hubertus sagen, falls dieser selbst und kein Einbrecher gleich vor ihm stünde und ihn fragte, wieso er hier herumschlich? Aber, wischte er die Frage doch wieder beiseite, darüber könnte er sich auch noch Gedanken machen, wenn es so weit war.

Behutsam drückte Paulsen die Klinke des nächsten Zimmers hinunter und stieß die Tür mit Schwung auf. Falls sich dort ein Eindringling aufhalten würde, so wollte er das Überraschungsmoment nutzen und ihn überrumpeln.

Doch nun war es Paulsen selbst, der verdattert stehen blieb und große Augen machte. Kraftlos ließ er die Hände sinken und konnte kaum glauben, was er da sah.

Hinter dem königlichen Schreibtisch aus dunklem Holz in einem gepolsterten Ledersessel saß mit zusammengesackten Schultern und nach hinten hängendem Kopf ein junger Mann.

Hubertus van Bergen, nahm Paulsen an. Tot.

Die Augen hinter dem schmalen Brillengestell starrten leblos zur Decke, der Kopf lehnte nach hinten, der Mund war aufgerissen, als habe er noch etwas sagen wollen, was ihm förmlich im Halse stecken geblieben war.

Noch nie zuvor hatte Paale eine Leiche aufgefunden. Noch nie war er als Erster an einem Tatort gewesen. Anblicke wie diesen kannte er nur aus Filmen. Was sollte er jetzt tun? Flüchten? Die Polizei rufen? War er allein im Haus? War der Mörder noch hier? Er sah sich um, trat ein paar Schritte zurück in den Flur hinaus und hielt den Atem an, um zu lauschen. Aber nichts. Noch immer deuteten kein Rascheln und kein Laut darauf hin, dass neben ihm und Hubertus noch weitere Personen in der Villa waren.

Paale betrat das Arbeitszimmer des Toten erneut und nahm es nach dem ersten Schreck genauer unter die Lupe. Hubertus war gut angezogen, vielleicht hätte er wichtige Kundentermine an diesem Tag vor sich gehabt. Nun hing er schlaff in dem gepolsterten Bürosessel. Er trug lederne hellbraune Halbschuhe, eine dunkle Stoffhose, einen offenen Mantel in Beige und dazu ein hellblau gestreiftes Hemd. Einzig die leblose Haltung störte das vornehme Erscheinungsbild.

Und … Nein! War das …? Fehlte da etwa …? Paale schlich näher.

Zweifelnd beugte er sich über die massive Tischplatte und begutachtete den Toten aus der Nähe.

Nein! Wer tat denn so was?

Die rechte Hand war mit einem Messer auf der Tischplatte fixiert. Der Ringfinger blutete stark. Die obere Hälfte des Fingers war lose und lag merkwürdig abgespreizt neben der Hand, so als gehörte er nicht mehr dazu. Was nicht ganz stimmte. Fleisch und Haut schienen durchtrennt, aber Sehne und Knochen schimmerten durch das tiefrote Blut hindurch und verband die beiden Fingerglieder noch immer miteinander.

Paulsen verspürte beim Betrachten der klaffenden Wunden und Fingerkomponenten bohrenden Ekel. Er wandte sich ab und entließ mit einem kleinen Rülpser die Magensäure, die in ihm aufgestiegen war. Dann zwang er sich, wieder hinzusehen.

Das Blut lief in einem steten kleinen Strom über den Schreibtisch, bis es sachte in einem Stapel von Briefen versickerte. Der Tisch musste etwas schief stehen und die Tat konnte noch nicht lange her sein, schlussfolgerte Paale. Aber was sollte er jetzt tun? Einfach verschwinden? Oder jemandem Bescheid geben? Der Polizei, sagte er sich. Doch wie sollte er erklären, dass er sich unerlaubt Zutritt zu der Villa verschafft hatte?

Während er noch grübelnd neben der Leiche stand, kündigten lauter werdenden Sirenen bereits das Anrücken der Polizei an. Vielleicht hatte der Nachbar von nebenan Hubertus’ Hilfeschreie oder den Lärm eines Streits gehört und die Beamten gerufen, vermutete Paulsen und er wollte zusehen, dass er vom Tatort wegkam. Als Schwiegersohn der Haupterbin, noch dazu mit erheblichen eigenen finanziellen Nöten, wollte er besser nicht gesehen werden.

Bevor Paulsen sich auf den Weg machte, zückte er noch schnell sein Handy, um ein Bild vom Tatort zu machen. Er fotografierte auch die Hand und den angeschnittenen Finger sowie das Messer rasch ab.

Es war ein ganz und gar ungewöhnliches Messer, stellte er fest, mit fein gezackter Klinge, jedenfalls soweit man das halb in der Hand steckend erkennen konnte, und einem grünen Griff voller Patina und Verzierungen. Betrachtete man die unregelmäßige Wunde an der Hand des Toten, so war wohl auch der Finger mit der gezackten Waffe bearbeitet worden. Ein glatter, klarer Schnitt war das nicht. Sah eher aus, als hätte der Täter ziemlich herumsäbeln müssen, fand Paulsen und konnte nicht verhindern, dass sich erneut etwas Magensäure den Weg nach oben bahnte.

Das gesamte Arbeitszimmer war penibel aufgeräumt. Es sah nicht so aus, als hätte hier ein Kampf stattgefunden. Wurde er so schnell überwältigt? Auch auf dem Schreibtisch befanden sich nur ein paar säuberlich gestapelte Briefe. Keine Unordnung. Keine durcheinander gebrachten Unterlagen. Fraglich war, wieso Hubertus den kleinen Schnitt nicht überlebt hatte. Doch Paale hatte keine Zeit, sich weiter umzusehen. Das Martinshorn kam immer näher.

Na, dachte Paulsen mit Galgenhumor, während er die Treppe hinuntereilte und nach einem prüfenden Blick aus der Haustür schlüpfte, seine Spielsucht war der gute Hubertus nun zumindest los. So viel war sicher.

Als er die quietschenden Reifen des Streifenwagens und nur Sekunden darauf herannahende Schritte vernahm, drückte er sich hastig hinter die Büsche im Vorgarten. Geduldig lauschte er, wie die Beamten sich absprachen.

„Geh du hintenrum, Manfred!“, rief einer von zwei Polizisten, die Paulsen von seinem Standort aus sehen konnte. Er war dick und aufgedunsen und schwitzte schon jetzt nach ein paar wenigen Laufschritten. „Ich mache vorne dicht. Der entwischt uns nicht.“

Geräuschlos trat Paulsen noch ein Stück zurück, duckte sich unter die blühenden Zweige und wie ihm einer der Äste zischend ins Gesicht schlug, hatte er plötzlich ein Déjà-vu allererster Sahne: Eine fette Ratte, eine Harke und Ilkas verblüfftes Gesicht tauchten vor seinem inneren Auge auf. Ein wenig besorgt sah er sich zu seinen Füßen nach angriffslustigen Nagern um und lugte dann vorsichtig durch die Blätter. Aber die beiden Beamten hatten keinerlei Notiz von ihm und seinem Versteck genommen.

Eine Weile verging, bis die Polizisten ganz aus seinem Blickfeld verschwunden waren und er sich sicher sein konnte, dass vorne auf der Straße kein Dritter wartete.

Dann trat er den Rückzug an und beeilte sich, die prächtige Villa, in der Margaretes Stiefsohn ein so schauerliches wie mysteriöses Ende gefunden hatte, hinter sich zu lassen.

Kapitel 4

Als Stefan Schreiber wie immer als einer der ersten früh am Morgen im Polizeipräsidium aufgeschlagen war, hatte er nicht mal im Ansatz ahnen können, welche Überraschung der Tag für ihn bereithielt. Er war jung und ehrgeizig und wegen eines glücklichen Zufalls, oder besser: eines Masernausbruchs in dem Kindergarten, den die Tochter seines Vorgesetzten besuchte, plötzlich der einzige ermittelnde Kriminalkommissar im Mordfall Hubertus van Bergen. Wie lange hatte er auf diese Chance gewartet! Telefonisch hatte sein Chef, Kurt Kunze, ihn gebeten, die Ermittlungen temporär zu übernehmen, bis er wieder genesen wäre. Seine Stimme klang gepresst, er schien trotz des spektakulären Todesfalls abgelenkt und seine kleine Ansprache, wie er die Untersuchungen idealerweise angehen sollte, war von Pausen unterbrochen, in denen Schreiber meinte, ein hartnäckiges Schubbern gefolgt von erleichterten Grunzlauten zu vernehmen. Er hatte den Chef abgewürgt, ihn in dem Glauben gelassen, er würde das schon alles so handhaben wie das für gewöhnlich seinen Gang ging, und sich dann voller Tatendrang und Selbstbewusstsein auf seine Aufgabe gestürzt.

Für ihn lag der Fall nun schon nach kurzer Recherche ziemlich klar auf der Hand: Margarete Hinrichs, die raffgierige Alte, hatte den unerwünschten Miterben eben kurzerhand aus dem Weg geräumt. Das Motiv war astrein. Und dass sie schon auf insgesamt drei Ehemänner zurückblicken konnte, sprach auch nicht unbedingt für sie. Seine liebe Mutter hat es ja auch nicht immer einfach mit dem Vater. Da hat es sicher den einen oder anderen Seitensprung gegeben, so genau wollte er das gar nicht wissen. Aber Trennung?

---ENDE DER LESEPROBE---