People to follow - Olivia Worley - E-Book

People to follow E-Book

Olivia Worley

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Beschreibung

Eine Realityshow auf einer einsamen Insel. Zehn Influencer. Eine Leiche.

Willkommen bei »In Real Life«, der heißen neuen Realityshow. Hier werden die amtierenden Königinnen und Könige von Social Media dazu gezwungen, offline zu gehen und im »echten Leben« zu leben. »IRL« soll für die Influencer eine einmalige Chance werden – verfolgt am Bildschirm von Scharen an treuen Followern. Aber schnell wird der Trip für die zehn zum absoluten Albtraum. Nachdem die Produzenten niemals auftauchen und einer von ihnen auf brutale Art ums Leben kommt, sitzen die übrigen neun auf einer karibischen Insel fest – ohne Möglichkeit, das Festland zu kontaktieren. Während die Zahl der Toten steigt, wird den anderen klar, dass sie in eine tödliche Falle gelockt wurden – und dass einer von ihnen die Fäden in der Hand hält.

»People to follow« vereint atemberaubende Spannung, unvorhersehbare Twists und mörderische Geheimnisse.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 507

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OLIVIA WORLEY

THRILLER

Aus dem Englischen

von Doris Attwood

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Für Mom und Dad

Erstmals als cbt Taschenbuch März 2024

© 2024 für die deutschsprachige Ausgabe cbj Kinder- und Jugendbuch Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Copyright © 2023 by Olivia Worley

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »People to follow« bei Wednesday Books, an imprint of St. Martin’s Publishing Group, New York

Aus dem Englischen von Doris Attwood

Lektorat: Ulla Mothes

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München, unter Verwendung mehrerer Motive von © Adobestock.com (rasica) und © iStockphoto (Viktoriia, Memory_Gallery, fongfong2, brickrena,

AndrisBarbans)

sh · Herstellung: UK

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN 978-3-641-30404-1V002

www.cbj-verlag.de

1

KIRA

Es ist eine Aussicht, für die man töten würde. Oder vielleicht trifft es »zum Sterben schön« besser. Während das Boot durch die Wellen schneidet, sind das jedenfalls die beiden Gedanken, die mir durch den Kopf gehen. Ich weiß selbst nicht genau, warum, aber sie fühlen sich einfach wahr an – weil das hier einer dieser Orte ist, die sich nur durch Klischees beschreiben lassen.

Lawrence Island ragt wie eine Fata Morgana aus dem Wasser auf, eine Oase aus Land nach meilenweitem, so klarem blauen Meer, dass es eigentlich nicht gar nicht real sein kann. Der Kai führt auf einen Strand, blendend weiß und von Palmen und glitzernden Felsen gesäumt. Ein Stück weiter warten eine Terrasse, ein Pool und – mit Blick auf alles andere – das Haus. Der Baustil wirkt spanisch: drei Stockwerke voller Stuck und ein Dach aus Tonziegeln, mit Bogenfenstern und eisernen Balkonbrüstungen, während weitere Palmen die Seiten flankieren wie eine königliche Garde.

Als wir uns dem Kai nähern, gönne ich mir einen Moment, um die salzige Luft einzuatmen. Die hohe Luftfeuchtigkeit lockt bereits die natürlichen Wellen aus meinem Haar. Ich rücke meinen Pferdeschwanz zurecht, kämme ein paar unbändige Strähnen wieder an ihren Platz, schließe dann die Augen und lasse die Sonne meine Wangen und meine nackten Schultern wärmen.

Dies wäre der perfekte Ort für den Content, den meine Follower:innen sehen wollen: Workout-Videos am Strand. Vlogs, in denen ich schuldfrei genießbare Virgin Daiquiris mixe. Bilder von mir in einem gesponserten Leggings-Set, beim Stretching vor einem Hintergrund aus Meer und Himmel. Aber ich habe mein Smartphone am Flughafen irgendeiner Produktionsassistentin übergeben, deshalb müssen sich meine Follower:innen in den nächsten drei Wochen mit Posts begnügen, die ich noch zu Hause in Dallas terminiert habe.

In den nächsten drei Wochen darf ich einfach mal verschwinden.

»Alles okay?«, fragt Max Overby von der anderen Seite des kleinen Boots.

Mein Gesicht wird ganz heiß. So viel zum Thema Verschwinden.

»Ja«, antworte ich. »Tut mir leid.«

Ich bereue es sofort. Ich entschuldige mich andauernd für Dinge, obwohl ich es gar nicht müsste – reiner Instinkt, nachdem ich mir jahrelang Ms Tammys krächzendes Gebrüll im Studio anhören durfte. Zehen gestreckt. Kein Sichelfuß. Augen nach oben, Lyons. Oder hast du Angst, der Boden könnte unter dir wegbrechen?

Max rückt seine Brille zurecht, seine Augen dahinter leuchtend blau. Es macht mich seltsam nervös, also richte ich den Blick stattdessen auf seine Kamera. Ich habe keine Ahnung, bei wem Max sich einschleimen musste, um die Kamera mitbringen zu dürfen, weil wir eigentlich sämtliche elektronischen Geräte zurücklassen sollten, aber er hat das Ding nicht aus der Hand gelegt, seit wir an Bord gegangen sind.

»Ist das hier ein Interview?«, frage ich und ziehe eine Augenbraue hoch.

»Nein. Nur aufrichtige Besorgnis.« Jetzt legt er die Kamera doch weg, ein schiefes Lächeln auf seinen Lippen. »Du siehst ein bisschen seekrank aus.«

Ein warmes, zittriges Gefühl, das ich nicht bestellt habe, rauscht durch mich hindurch, deshalb schaue ich lieber zu seinen Sneakers hinunter, aus denen die Crew-Socken rausgucken. Sie sind grün, mit kleinen Cartoon-Schildkröten drauf. Moment mal, hat Max Overby seine Socken etwa passend zu diesem maritimen Thema ausgewählt? Und warum finde ich das bitte so attraktiv?

Augen nach oben, Lyons.

»Ich bin nur kein Fan von Booten«, erwidere ich, weil es die erste Ausrede ist, die mir einfällt. »Ich hab Der weiße Hai und Titanic gesehen. Wenn man mich fragt, sollten Seereisen um jeden Preis vermieden werden.«

Max lacht, warm, freundlich. »Okay, aber was sagst du, wenn ich mit Der weiße Hai und Titanic mitgehe und um die komplette Final-Destination-Reihe erhöhe? Dann scheiden Flugreise, Autofahrten und Achterbahnen aus.«

Ein Lächeln zuckt um meine Lippen, aber ich unterdrücke es, weil es erstens total peinlich ist, mich in den erstbesten schlaksigen Typen zu verknallen, der mich fragt, wie es mir geht, und ich mir zweitens ziemlich sicher bin, dass Max den Leuten in seinen Dokumentarfilmen genau damit sämtliche Geheimnisse entlockt, bevor sie überhaupt mitkriegen, was los ist.

Ich bin Max heute zum ersten Mal begegnet, weiß aber, wer er ist, seit seine Doku auf YouTube letztes Jahr voll eingeschlagen hat – die, in der er enthüllt, dass Jared Sky, dem einer der meistgefolgten Commentary-Kanäle gehört, Serien-Catfish ist. Seitdem hat sich Max’ kleine Followerschar in eine riesige Fangemeinde verwandelt – von denen sich einige, wie ich vermuten würde, eher von seinem kantigen Kinn und seinen eins zweiundachtzig angezogen fühlen als von seinem journalistischen Können, aber das ist nur meine ganz persönliche Meinung. Ihr wisst schon, als eine Frau von vielen, die dem Charme dieser speziellen Attribute offensichtlich sofort erliegt – auch wenn ich deswegen am liebsten in ein Kissen schreien würde.

Logan Costello hingegen ist wenig beeindruckt.

»Willst du die ganze Zeit filmen?«, fragt sie Max und kneift ihre haselnussbraunen Augen zusammen. Die Meeresbrise bläst ein paar dunkle Strähnen aus ihrem lockeren Pferdeschwanz und lässt sie um ihr blasses Gesicht tanzen. »Ich meine, ich bin mir ziemlich sicher, die Crew hat alles im Griff. Es sei denn, die Kamera ist nur dein Fashionstatement als Filmnerd? In dem Fall würde ich dir eher eine Therapie vorschlagen.«

Max läuft knallpink an, und ich beiße mir auf die Wange, um ein Lachen zu unterdrücken. Logan kommt vielleicht ein bisschen krass rüber, aber nach allem, was ich von ihrem Content gesehen habe, ist bissiger, trockener Humor ihr Markenzeichen. Bevor sie sich Bounce House angeschlossen hat, konnte ich mich über Logans Videos ehrlich kaputtlachen – von ihren Tipps, wie man Typen auf der Tanzfläche abwehrt bis zu allen möglichen anderen Geschichten, die sie direkt in die Kamera erzählt. Doch nachdem sie vom aktuell größten TikTok-Kollektiv gekescht wurde, lieferte sie hauptsächlich das Übliche ab: Sponcon, Tänze und Vlogs. Dann, vor zwei Monaten, verließ sie Bounce House ohne Erklärung wieder. Es kursieren alle möglichen Gerüchte, warum, aber meiner Meinung nach war es die richtige Entscheidung. Ich weiß natürlich, dass man jemanden anhand seiner Socials nur bis zu einem gewissen Grad kennen kann, aber je länger Logan bei Bounce House war, desto weniger wirkte sie wie sie selbst.

»Tilly meinte, es wäre okay.« Max zuckt mit den Schultern und fährt sich mit einer Hand durch sein zerzaustes braunes Haar. »Keine Internetverbindung.«

Logan runzelt die Stirn. »Moment mal, machst du ernsthaft eine Doku über die ganze Nummer hier?«

»Ja, vielleicht.«

»Eine Doku über eine Fernsehshow, in der es darum geht, Abstand von den sozialen Medien zu gewinnen.« Corinne Lecompte lehnt sich gegen die Reling und rümpft nachdenklich die Nase. Ihre dunkle Haut ist von Sommersprossen übersät. »Echt meta.«

Ich lächle und wünschte, ich könnte Alex eine Nachricht schicken und ihm erzählen, dass ich die nächsten drei Wochen mit seinem Twitch-Idol verbringen werde. Mein fünfzehnjähriger Bruder guckt praktisch permanent irgendein Video auf seinem Handy, und meistens ist es eins von Corinnes Streams. Ich selbst bin keine große Gamerin, aber sie scheint ziemlich cool zu sein. Es stehen so gut wie keine Frauen auf den Listen der meistgefolgten Streamer:innen, schon gar keine Schwarzen Frauen. Corinne durchbricht also nicht nur Mauern, wie es aussieht, reißt sie sie komplett ein. Letztes Frühjahr, als irgendein toxischer Alphamännchen-Streamer angefangen hat, sie zu trollen, hat Corinne ihn zu einem Battle-Royale-Game herausgefordert und ihn – natürlich – vernichtend geschlagen. Ihre Followerzahl überholte seine innerhalb weniger Stunden und wächst seither stetig weiter. In letzter Zeit ist sie jedoch nicht mehr live gegangen, was ich allerdings nur weiß, weil Alex sich deswegen schon seit Wochen beschwert. Ich verspreche ihm im Stillen, Corinne zu fragen, was los ist, sobald ich mich nicht mehr davon eingeschüchtert fühle, wie ungezwungen cool sie in ihrem grünen Jumpsuit und den Plateau-Sneakers aussieht.

Ein höhnisches Schnauben lenkt meine Aufmerksamkeit auf Aaron Tyler Banks, der so weit weg wie möglich von allen anderen sitzt – was nicht sehr weit ist, weil das Boot kaum groß genug für uns fünf, den Skipper und unser ganzes Gepäck ist. Aaron funkelt Max finster an, quetscht Sonnencreme in seine offene Hand und schmiert sie auf seine blasse, sommersprossige Haut. »Was immer du hier auch zu filmen glaubst, du hast nicht die Erlaubnis, mein Gesicht zu verwenden.«

Max wirft ihm einen Blick zu. »Du hast die Einverständniserklärung doch unterschrieben, oder?«

»Ja, für die eigentliche Show. Nicht für dein kleines Nebenprojekt.«

Aarons abfälliger Ausdruck spiegelt genau den wider, den ich ständig im Fernsehen gesehen habe, als er noch der liebenswerte, schelmische Star in Die fabelhaften Millers war. Nur, dass dieses jugendliche Strahlen mittlerweile komplett verschwunden ist. Aaron kann nicht älter sein als zweiundzwanzig, aber er hat dunkle Ringe unter den Augen und sein rötlicher Haaransatz wandert bereits nach hinten. Er sieht sogar noch schlimmer aus als auf dem Polizeifoto, als er damals wegen Alkohol am Steuer verhaftet wurde. Sein schockiertes sechzehnjähriges Gesicht, verschwitzt und mit offen stehendem Mund, hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt, untermalt von Dads Stimme.

Okay, Kicks, hör mir gut zu, warnte er mich und zeigte auf Aarons Foto in den Nachrichten, nur ein paar Monate nach der Premiere von Dance It Out. Ich war damals zwölf und hatte mich noch immer nicht an die seltsame Realität gewöhnt, dass mein Tanzstudio in sämtliche Wohnzimmer des Landes gestreamt wurde. Die Show, dieses ganze Zeug in den sozialen Medien … Versprich mir, dass es dich nicht in jemand wie diesen Jungen verwandeln wird. Dad schwieg einen Moment. Und falls doch, dann versprich mir, dass dein Polizeifoto wenigstens besser aussehen wird. Wir lachten beide darüber, aber ich habe mir seinen Rat bis heute zu Herzen genommen.

Das Boot wird langsamer und hält schaukelnd am Kai an. Während der Motor zu einem dumpfen Dröhnen verebbt, legt mein Herzschlag an Tempo zu. Im Prinzip ist mir bewusst, dass das Ganze hier eine unglaublich dämliche Idee sein könnte. Ich sollte von allen am besten wissen, dass eine Realityshow nicht die beste Möglichkeit ist, sich eine Pause zu gönnen, selbst wenn das theoretisch der Sinn dieser ganzen Übung ist: unsere Smartphones zurückzulassen und IRL zu leben, wie es der etwas plumpe Titel der Show bereits verkündet. Nur habe ich dabei komplett ignoriert, dass ich in den drei Wochen weg vom Netz trotzdem rund um die Uhr eine Kamera im Gesicht haben werde.

Könnte also durchaus sein, dass ich diese ganze Sache nicht richtig durchdacht habe.

»Ihr habt es geschafft!« Eine winzige Gestalt winkt uns vom Kai aus zu: Tilly, die Produktionsassistentin, mit der wir während des kompletten Castingprozesses in Kontakt waren. »Kommt rauf, es sind schon alle hier.«

Tilly könnte alles zwischen achtzehn und fünfundzwanzig sein, ich habe wirklich keine Ahnung. Ihre Energie hat etwas Altersloses an sich: Sommercampleader trifft Vorstadtmom. Mit einem weiteren enthusiastischen Grinsen fängt sie an, Koffer, die so groß sind wie sie selbst, von dem anderen Boot zu hieven, das bereits angelegt hat, während die fünf anderen Showteilnehmer von Bord gehen.

Eine Frau steigt als Erstes aus, das seidig rote Haar unter dem Sonnenschlapphut wallend.

Nein. Ist das …

»Kira?« McKayleigh Hill starrt mich an, und ihr bleibt vor Schock ihr vor Lipgloss glänzender Mund offen stehen. Einen winzigen Moment lang fürchte ich ernsthaft, sie könnte einen Anfall kriegen und verlangen, dass ich sofort wieder verschwinde, aber dann setzt sie ein strahlend weißes Lächeln auf. Ihr Alabama-Akzent trieft Stevia-süß: »Komm verflucht noch mal hier rauf und drück mich, Süße! Das ist ja schon ewig her!«

Ich würde ehrlich lieber ins Karibische Meer springen, aber auch wenn Fitness mein Ding ist, glaube ich nicht, dass ich es schaffen würde, knapp fünfundzwanzig Kilometer zum Festland zurückzuschwimmen. Ich kann dem hier nicht entkommen. Also atme ich tief durch, schnappe mir mein Gepäck und steige aus dem Boot.

McKayleigh nimmt mich in einer festen Umarmung gefangen, ihr Parfüm – Marc Jacobs Daisy – übermächtig.

»Ich kann nicht glauben, dass du auch hier bist! Wir werden zusammen so viel Spaß haben!« Sie gibt mich wieder frei, und ihre grünen Augen glänzen verschwörerisch. »Ich meine, schau dir diese Insel doch nur mal an! Die anderen Dance-It-Out-Mädels werden sterben, wenn das hier ausgestrahlt wird, hab ich recht?«

»Ja, schätze schon.« Ich bringe keine elaboriertere Antwort zustande, weil ich zu perplex bin, um zu sprechen. Es ist Jahre her, seit ich McKayleigh zum letzten Mal persönlich begegnet bin, aber ihr Lächeln hat sich kein bisschen verändert. Es ist noch dasselbe wie das, das sie mit vierzehn immer aufgesetzt hat, um zweifelhafte Komplimente zu verschleiern oder die Tanzrichter von einem vergessenen Choreografie-Element abzulenken. Und jetzt strahlt es auf mich herab. McKayleigh Hill, die mich als Mädchen damals jahrelang im landesweiten Fernsehen gemobbt hat, steht direkt vor mir und tut, als wären wir die besten Freundinnen.

Und ich bin auch nicht die Einzige, die ein wenig verdutzt über ihre Anwesenheit zu sein scheint. Logan betritt den Kai und sieht aus, als hätte sie ein Gespenst gesehen.

McKayleigh starrt zurück, dieses falsche freundliche Lächeln weiter in ihr Gesicht getackert.

»Logan. Ist schon ’ne Weile her.«

Vor Verärgerung beginnen meine Nerven zu kribbeln. Ich hätte wissen müssen, dass die Produzenten irgend so einen Mist abziehen. Und scheinbar hat ihnen McKayleighs und meine gemeinsame Vergangenheit noch nicht gereicht, denn sie ist außerdem Mitbegründerin von Bounce House – genau: des Content-Kollektivs, das Logan erst vor Kurzem verlassen hat. Oder aus dem sie rausgeschmissen wurde, wenn man gewissen Gerüchten glaubt.

Aber ganz offensichtlich war auch dies den Produzenten noch nicht genug. Sämtliches Blut weicht aus Logans Gesicht, als zwei weitere Personen aus dem Boot steigen: Zane Rivers und Graham West komplettieren das Bounce-House-Trio. Sie erstarren beide, als sie Logan sehen.

Zane erholt sich als Erster wieder von seinem Schock. »Logan. Wusste gar nicht, dass du auch hier sein wirst.«

»Ja, ich erkenne allmählich ein Motto«, zischt sie.

Er lächelt und fährt sich mit einer Hand über seinen stoppeligen Kiefer. »Freundlich wie eh und je, was?«

Offiziell haben alle drei – Zane, McKayleigh und Graham – Bounce House gemeinsam gegründet, aber jeder weiß, dass es Zanes Baby war. Alles an ihm schreit förmlich »Anführer«: mit zweiundzwanzig ist Zane der Älteste – McKayleigh ist zwanzig, Graham neunzehn und Logan achtzehn – und er überragt sie alle auch körperlich. Ich persönlich finde allerdings, Zane wäre mit seinem Man Bun, seinem veganen Lifestyle-Content und den Tattoos auf seinen perfekt definierten Armen vor allem der ideale Anführer für einen Online-Spinning-Kurs oder einen Kult.

Graham lacht nervös, zieht sich die Beanie vom Kopf und fährt sich mit einer Hand durch sein rabenschwarzes Haar. Während Zane perfekt auf eine Karibikinsel passt, sieht Graham mit seinen komplett schwarzen Klamotten und seinem Porzellanteint aus, als gehörte er überallhin, nur nicht hierher. Ich bin aufrichtig beeindruckt von seiner völligen Hingabe an den E-Boy-Look, selbst bei achtundzwanzig Grad.

»Mom, Dad«, neckt Graham. »Hört auf zu streiten. Die anderen Kinder schauen zu.«

Zanes Lachen klingt halbherzig, und Graham schrumpft förmlich in sich zusammen und fummelt am Riemen seiner Gitarrenhülle herum. Wie der Rest von Bounce House hat Graham Millionen von Follower:innen, auch wenn sich mir nicht erschließt, warum. Nicht, dass Graham nicht gut wäre – er hat eine wirklich schöne Stimme –, aber irgendwas wirkt an allen dreien so … künstlich. Als wären sie lebendige, atmende Marken, was sie im Prinzip ja auch sind. Das sind wir alle. Meine Managerin redet ständig nur über meine Marke und davon, was wir tun müssen, um mich besser zu verkaufen. Es war einer der Gründe, warum ich hierhergekommen bin, eins der Dinge, von denen ich wegwollte.

Jetzt weiß ich allerdings selbst nicht mehr, was ich mir dabei gedacht habe.

Normalerweise stört mich Stille nicht, aber die Anspannung zwischen Bounce House und Logan steigt auf »brodelnd«. Irgendetwas an dieser ganzen Situation löst ein Kribbeln bei mir aus, ein Jucken am ganzen Körper. Als noch jemand auf dem Boot auftaucht, bin ich dankbar für die Ablenkung.

»O mein Gott.« Elody Hart schiebt ihre Designersonnenbrille in ihr blondes Haar und enthüllt ihre eisblauen Augen. »Das ist so süß. Es ist, na ja, wie eine echte Insel.«

»Im Gegensatz zu einer gefakten?«, murmelt Aaron und zupft die Ferse seines Segelschuhs zurecht.

Elody kommt an Land und starrt ihn unverwandt an, eine Hand in ihre Sanduhrhüfte gestemmt. Sie ist eine von diesen Frauen, die berühmt dafür sind, unfassbar heiß zu sein, ihr Grid ein bunter Flickenteppich aus Bikinifotos, sexy Lip-Syncs und Selfies mit toten Augen. Äußerlich ist Elody wahrscheinlich der Typ Achtzehnjährige, mit dem sich die Welt am wenigsten identifizieren kann, aber eine Menge Leute scheinen einen Bezug zu ihrer Geschichte gefunden zu haben: Elody ist bei ihrer alleinerziehenden Mutter in einem Trailerpark in Florida aufgewachsen, wo sich die Rechnungen auf dem Küchentisch stapelten, bis ein paar virale Fotos sie praktisch über Nacht berühmt machten.

Es ist immer cool, andere Creators zu sehen, die auch nicht aus reichem Haus stammen – im Gegensatz zu McKayleigh, deren Familie sofort von ihrer Multimillionen-Dollar-Villa in Alabama in ein neues hochherrschaftliches Anwesen in Highland Park umzog, als sie für Dance It Out gecastet wurde –, aber wenn ich Elody jetzt so ansehe, fühle ich mich trotzdem total eingeschüchtert. Ich dachte immer, sie fotoshoppt ihre Posts, bis es kein morgen mehr gibt, aber sie ist in echt genauso makellos, selbst als sie Aaron mit tiefem Stirnrunzeln beäugt, als würde sie versuchen, ihn einzuordnen.

Dann schnappt sie plötzlich nach Luft. »Moment mal – Aaron Tyler Banks. Ich dachte, du wärst seit, na, vier Jahren tot.«

Er blinzelt. »Was?«

»Oooh, sorry, mein Fehler, Babe.« Ein katzenhaftes Grinsen kriecht in ihre prall aufgespritzten Lippen. »Das war nur deine Karriere.«

Ein lautes Lachen ertönt auf dem Boot.

»Aaaalter, das war ein Volltreffer!« Cole Bryan wirft seine Taschen an Land und springt hinterher, während er sich eine Baseballkappe verkehrt herum auf seinen blonden Haarschopf setzt. Als er sieht, wie Aaron knallrot anläuft, lacht er nur noch lauter und klopft ihm verbindungstypenmäßig auf den Rücken. »Hey, Kumpel, ich will doch nur spielen. Schmier du schön Sonnencreme drauf, dann ist alles gut.« Er knufft Elody mit dem Ellenbogen in die Seite. »Hab ich recht?«

Sie verzieht das Gesicht. »Ähm, igitt?«

Aus irgendeinem Grund muss er darüber noch mehr lachen.

Ich unterdrücke ein Stöhnen. Wenn man mich gefragt hätte, wen ich hier am wenigsten zu sehen hoffe, hätte ich Cole Bryan geantwortet. Irgendwie hat er es geschafft, Millionen von Abonnenten mit seinen Prank-Videos zu sammeln, die alle derselbe »Humor« verbindet: Explosionen, Sirenen oder Frauenfeindlichkeit. Vor ein paar Monaten wurden ein paar Tweets von Cole enthüllt, die so ziemlich alles boten, was man von einem Typen wie ihm erwarten würde – und das auf die allerschlimmste Weise. Sein Entschuldigungsvideo hat sich tief in mein Hirn eingebrannt: falsche Tränen, sich in seinen trüben Augen spiegelndes Ringlicht und das unheimliche Gefühl, jemand auf der anderen Seite der Kamera würde ihn als Geisel festhalten. Es war ganz eindeutig ein Riesenhaufen Bullshit, aber wie’s aussieht, hat es IRL genügt, um über die ganze Sache hinwegzusehen und ihn zu der Show einzuladen. Es ist total beschissen, aber es sollte mich eigentlich nicht überraschen. Cole ist ein weißer hetero Cis-Mann, und die reagieren aufs Gecanceltwerden nun mal wie Ungeheuer, denen ein zweiter Kopf wächst, wenn man ihnen den ersten abhackt.

»Okay«, trällert Tilly. »Habt ihr alles aus den Booten?«

Als niemand etwas Gegenteiliges sagt, klatscht sie erneut ganz aufgeregt. »Großartig! Dann geht ruhig schon mal rauf zum Haus. Ich vergewissere mich nur, dass hier unten alles in Ordnung ist, dann zeige ich euch gleich eure Zimmer.«

Cole grölt laut. »Auf geht’s. Leute!«

Ich hole tief Luft und schnappe mir meinen Koffer. Jetzt gibt’s kein Zurück mehr.

Jemand flucht hinter mir. Logan hat Mühe, zwei vollgestopfte Reisetaschen über ihre knochigen Schultern zu hängen. Ich gehe auf sie zu, aber Zane ist schneller und streckt ihr eine markige Hand hin.

»Brauchst du Hilfe?«

Logan funkelt ihn an, ihre Augen grün in der Sonne blitzend. »Ich komm klar, danke.«

»Komm schon.« Er lacht, betont freundlich. »Du bist gebaut wie ein Streichholz. Es macht mir wirklich nichts aus …«

»Ich hab gesagt, ich komm klar.« Mit einem weiteren funkelnden Blick in Zanes Richtung hievt Logan ihre Taschen hoch und stürmt vom Kai.

Cole knufft Max in die Seite. »Hey, Kameratyp, fang mal lieber an zu filmen. Wir kriegen hier ein erstklassiges Bounce-House-Drama geboten. Bleib dran!« Er räuspert sich und fügt dann mit seiner schmierigsten Version einer Kommentatorenstimme hinzu: »Eilmeldung: Logan Costello, ehemals Bounce House, gibt ihrem Ex-Lover Zane Rivers vor der ganzen Insel einen Korb! Zane, Kumpel, was hast du den Leuten da draußen dazu zu sagen?«

Zane verzieht das Gesicht. »Wir sind keine ›Ex-Lover‹, Alter. Werd erwachsen.«

»Hey, ich erlaub mir kein Urteil, falls die Gerüchte wahr sind. Logan ist zwar ein bisschen zu groß gewachsen, aber ich würd sie definitiv ranlassen.«

Ich würde Cole wirklich gern ins Wasser schubsen, glaube ich.

»Ey, Mann«, sagt Max und lässt seine Kamera sinken. »Nicht cool.«

Cole lacht. »Entspann dich, Alter, ich will doch nur spielen. Ich meine, bin total geläutert und alles, ehrlich. Ich respektiere Frauen jetzt.«

Max rollt mit den Augen und geht schneller, um Cole abzuhängen.

»Alter, das war nur ein Witz!«, ruft der ihm hinterher. »Stimmt’s, Fitnessgirl?«

Er zwinkert mir zu, als wäre das Ganze ein Insiderwitz zwischen uns. Mein Magen verkrampft sich. Wenn ich schon am ersten Tag einen Spitznamen von Cole Bryan verpasst bekomme, vielleicht muss ich dann wirklich ins Karibische Meer springen – und darüber hinaus jede einzelne Entscheidung überdenken, die ich je in meinem Leben getroffen habe. Stattdessen atme ich durch die Nase aus und erinnere mich wieder daran, was mir durch die letzten fünf Jahre meines Lebens in der Öffentlichkeit geholfen hat: cool bleiben. Keine Dramen heraufbeschwören. Und definitiv Leuten wie Cole Bryan nicht die Aufmerksamkeit schenken, die sie gerne wollen, aber nicht verdienen.

Ich beschleunige meinen Schritt und halte den Blick auf das Haus gerichtet.

»Ernsthaft?«, murmelt Cole. »Keiner von euch hier kann auch nur den kleinsten Witz vertragen.«

»Komisch«, erwidert Corinne, als sie ihn überholt, »mir ist gar nicht aufgefallen, dass du welche reißt.«

Er verzieht das Gesicht. »Und ich dachte, Gamerinnen wären so cool.«

»Ja, na ja …« Sie dreht sich um und geht rückwärts weiter, während sie mit Fingerpistolen auf ihn zielt. »Ich zerstöre nun mal gern Stereotypen.«

Corinne wirft mir im Vorbeigehen einen Blick zu: Gott steh uns bei. Ich erwidere mit einem, der sagt: Bitte, halt mich zurück, wenn ich versuche, Cole Bryan zum Schweigen zu bringen – oder obwohl, vielleicht lieber nicht. Sie lacht, und als ich ihr nachsehe, bin ich dankbar, dass wenigstens eine da ist, die normal zu sein scheint. Vielleicht finde ich hier zumindest eine neue Freundin.

Als ich ein weiteres Augenpaar auf mir spüre, drehe ich mich um und sehe meinen bisher einzigen anderen potenziellen Freund: Max, dasselbe schiefe Grinsen im Gesicht.

»Fühlst du dich besser?«

»Was?« Es flattert in meiner Brust. Okay, also, »potenzieller Freund« ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck, wenn wir es ganz genau nehmen wollen, aber das ist jetzt nicht der Punkt.

Er gestikuliert in Richtung Kai. »Jetzt, da wir wieder festen Boden unter den Füßen haben.«

Ich verschränke die Arme. »Das wird sich noch rausstellen.«

»Verstehe.« Er lacht. »Halt mich auf dem Laufenden.«

»Immer noch scharf auf dieses Interview?«

»Zu offensichtlich?«

»Nein, überhaupt nicht.« Ich zeige auf seine Kamera. »Du hattest dieses Ding nur … die ganze Zeit im Anschlag, seit wir hier sind?«

Er legt eine Hand auf sein Herz, als hätte ich ihm ein Messer in die Brust gerammt. »Brutal. Aber ich weiß diesen journalistischen Ratschlag zu schätzen. Ich werde versuchen, weniger offensichtlich zu sein, Fitnessgirl.«

Irgendwie klingt Coles Spitzname weniger grässlich, wenn er von Max kommt.

Ich versuche zu lächeln, während ich zur Antwort ebenfalls Cole zitiere: »Gern geschehen, Kameratyp.«

Als ich mich umdrehe und weitergehe, kann ich nicht verhindern, dass sich das Lächeln noch weiter auf meinem Gesicht ausbreitet, warm und beinahe übermütig. Es ist durchaus möglich, dass diese Show in einer Katastrophe endet. Aber vielleicht ist das ja genau das, was ich brauche.

Fünfundzwanzig Kilometer vom Festland entfernt und noch viel weiter von zu Hause, von allem, was dort auf mich wartet: Collegebewerbungen und berufliche Entscheidungen. Endlose Nachrichten, Kommentare und E-Mails von allen möglichen Leuten, für die ich etwas sein soll, das ich vielleicht nicht mehr sein kann.

Aber hier, auf dieser Insel, habe ich die Chance, einfach nur zu sein. Ich könnte mich an den Strand stellen und ins Meer schreien, und niemand würde es hören.

Wir sind hier vollkommen allein – herrlich.

2

ELODY

O mein Gott, endlich. Als ich Tilly in das klimatisierte Haus folge, könnte ich echt losheulen. Ernsthaft, wenn sie nur noch eine Sekunde länger gebraucht hätte, um aufzuschließen – ich schwöre, man könnte meinen, die Gute hätte in ihrem Leben noch nie eine Tür gesehen –, dann wäre ich an ’nem Hitzschlag gestorben. Und anschließend wäre ich definitiv als Geist zurückgekommen und hätte das dürre Ding heimgesucht, weil diese Luftfeuchtigkeit mir total den Blow-out ruiniert, und das ist ein noch schlimmeres Verbrechen, als mich mit ’nem Hitzschlag umzubringen.

»Willkommen«, sagt Tilly, »im realen Leben.«

Ich rolle mit den Augen. Wir haben uns hier also voll und ganz der Marke verschrieben, ja? Als ich in den Spiegel in der Diele schaue – mein Haar hält sich besser, als ich dachte, Gott sei Dank –, erhasche ich einen Blick auf die Gesichter der anderen bei ihrem ersten Eindruck des Hauses. Und sie drehen praktisch total durch.

Ich wende mich von meinem Spiegelbild ab und nehme mir auch einen Moment Zeit, um alles auf mich wirken zu lassen. Es ist ein ziemlich nettes Haus, auch wenn das Dekor vielleicht ein bisschen übertrieben ist mit all den Topfpalmen und den Korbmöbeln und überall Weiß, Weiß, Weiß, damit das leuchtend blaue Wasser durch die gigantischen Fenster noch mehr knallt. Ich meine, wir haben’s kapiert, Leute. Wir sind auf ’ner Insel. Ein paar Schritte vor mir hat Max Overby seine Kamera in der Hand und schwenkt sie wie ein eifriger kleiner Filmemacher. Er filmt das komplette offen geschnittene Erdgeschoss, von der großen Sofalandschaft, den plüschigen Sesseln und dem Fernseher im Wohnbereich bis zum Birkenholz und Edelstahl in der Küche. Einen Essbereich gibt’s auch, mit langem Tisch und zehn Stühlen, als würden wir uns alle gleich zu einem zauberhaften Familienessen niederlassen. Bei dem Gedanken würde ich am liebsten laut loslachen – und auch ein bisschen würgen, denn stellt euch bitte nur mal vor, ich würde mit jemand Dahergelaufenem wie Aaron Tyler Banks zu Abend essen. Freiwillig. Meine Follower:innen würden mich umbringen.

Als wir das Wohnzimmer betreten, zupft Logan an einem der Piercings rum, die sich an ihrem Ohr aneinanderreihen. Sie ist eins von diesen superunkonventionellen Mädels, die sich mindestens, na, vier Löcher in jedes Ohr stechen lassen müssen, als Leck-mich an die Gesellschaft oder was weiß ich. Aber vielleicht würde ich das auch tun, wenn ganz TikTok Gerüchte darüber in die Welt setzen würde, warum ich Bounce House verlassen habe. Ich meine: Bounce House. Ich weiß, aber könnt ihr euch vorstellen, zu etwas zu gehören, das einen so bescheuerten Namen hat? Ich hab zwar keine Ahnung, warum sie da weg ist, aber vielleicht hatte Logan ja den richtigen Riecher. Im Augenblick sieht sie allerdings hauptsächlich nervös aus.

»Nicht viele Ecken hier, in denen man sich verstecken kann«, sagt sie und starrt in den ersten Stock hinauf.

Da hat Logan nicht ganz unrecht. Es ist definitiv die perfekte Kulisse für eine Realityshow. Die weiße Holztreppe führt zu einer Art Innenbalkon hinauf, der die komplette erste Etage säumt und aussieht, als würde gleich jemand darauf erscheinen und diese eine Szene aus diesem einen Shakespeare-Stück aufführen, in dem am Schluss alle tot sind. Man kann da oben aus jeder der Türen kommen, sich übers Balkongeländer lehnen und alles sehen, was unten vor sich geht. Der einzige Ort, der ein bisschen versteckter ist, ist der zweite Stock, in den sich eine weitere Treppe hinaufschlängelt und schließlich verschwindet.

»Was hat’s mit den ganzen Kameras auf sich?«, fragt Corinne und schaut zu einer der vielen hinauf, die auf uns herunterzeigen.

Ich lockere mein Haar mit den Fingern auf, in der Hoffnung, dass es immer noch gut aussieht, weil ich meine Stylistin nicht dafür bezahle, nicht die heißeste Frau im Raum zu sein, noch nicht mal aus der Vogelperspektive.

»Oh, ja. Die Kameras«, erwidert Tilly. »Ich weiß, das ist wahrscheinlich ein bisschen komisch, aber bei Realityshows sind die Standard, Big-Brother-Style. Sie sind so ziemlich überall. Außer in den Badezimmern natürlich.« Sie lacht. »Keine Sorge.«

»Apropos«, wirft Cole ein. »Ich färbe später noch die Schüssel. Nur zur Vorwarnung.«

McKayleigh rümpft die Nase. »Igitt. Wie alt bist du, vier?«

»Flughafen-Burritos, Leute.«

Widerlich. Eigentlich hatte ich mich auf diese ganze Erfahrung gefreut, aber bei der Vorstellung, mit Cole auf einer Insel festzusitzen, würde ich am liebsten sofort wieder ins Boot steigen. Ich meine, ich weiß von seinen alten Tweets, aber das Beleidigendste an Cole Bryan ist seine gesamte Persönlichkeit.

»Aber das Haus ist unglaublich, oder?«, fährt Tilly fort. »Wir hatten wirklich Glück damit. Die Eigentümer leben ziemlich zurückgezogen.«

»Die Lawrences?«, fragt Corinne und betrachtet eine Topfpalme, als wollte sie versuchen, herauszufinden, ob sie echt ist. Newsflash: Ist sie definitiv nicht.

»Ehrlich gesagt bin ich mir gar nicht ganz sicher, wer sie sind«, gesteht Tilly. »Ich meine, ich weiß nicht, ob Lawrence ihr richtiger Name ist. Alles, was ich weiß, ist, dass ihnen die Insel schon seit Jahrzehnten gehört. Außer Familie und Freunden haben sie bisher noch nie jemanden hierher eingeladen. Unser Showrunner hat irgendwelche Connections zu ihnen, nur deshalb haben wir sie bekommen.«

»Na, wenn das nicht ein Sechser im Lotto war.« McKayleigh lächelt und spielt mit einer ihrer aufgedrehten roten Locken. »Wir müssen ja was ganz Besonderes sein.«

Ich meine, eins muss ich ihr lassen: McKayleighs Name mag zwar ein echtes Verbrechen sein, aber er passt perfekt zu ihr, oder?

»Ja, das ist echt krass«, erwidert Graham und spielt an seinem baumelnden Kreuzohrhänger rum.

Argh. Ich hab echt keinen Schimmer, warum alle diese Dinger jetzt tragen. Man könnte meinen, die Wiederkunft Christi stünde bevor oder so, dabei bin ich mir ziemlich sicher, die einzig göttliche Inspiration dabei haben wir K-Pop oder Harry Styles zu verdanken. Zu Graham passt es aber. Sein Ding ist es schließlich, Leute zu kopieren, die tatsächlich Persönlichkeit haben. Er tut, als wäre er Musiker, aber die einzigen Songs, die er postet, sind Coverversionen, featuring das verstopfungsmäßigste Gesangsgesicht, das ich je gesehen habe.

Neben Graham checkt Zane sein Spiegelbild in einem der Panoramafenster mit Blick auf den Strand und streicht über die Bartstoppeln an seinem Kiefer. »Ich kann’s kaum erwarten, da draußen zu meditieren, Mann.«

Mir fallen definitiv demnächst die Augen aus dem Kopf, wenn ich sie weiter so rollen muss, ehrlich. Aber ich schätze, eigentlich sollten Bounce House mir leidtun. Sie waren für ungefähr zwei Sekunden lang der neueste heiße Scheiß, aber jetzt sind die Leute allmählich schon von ihnen und diesem ganzen TikTok-House-Ding gelangweilt. Vielleicht wäre ich auch supernervig, wenn meine Karriere so peinlich verlaufen wäre.

Ein Handy klingelt, und ich greife instinktiv nach meiner Handtasche, obwohl ich meins immer stumm schalte, weil, hallo? Ich bin keine Soziopathin. Auch die anderen bewegen alle die Hand in Richtung Tasche, obwohl wir genau wissen, dass es in diesem Raum nur ein einziges Smartphone gibt. Alle anderen sind auf dem Festland.

Tilly holt das Handy aus ihrer Bauchtasche und blickt mit zusammengekniffenen Augen auf den Bildschirm.

»Oh! Wenn man vom Showrunner spricht … Ich muss da rangehen. Ihr könnt schon mal raufgehen und euch häuslich einrichten. Eure Zimmer sind beschriftet, also sucht einfach nach eurem Namen, und dann treffen wir uns in zehn Minuten zur Hausführung wieder.«

Tilly huscht davon und lässt uns allein.

»Dann auf nach oben, Kinder.« Aaron klatscht in die Hände, als wäre er unser Dad oder so.

Apropos Leute mit peinlicher Karriere.

Alle fangen an, ihre Sachen in den ersten Stock zu schleppen, aber als ich mir die vielen Stufen so anschaue – und weil ich weiß, wie viele Outfits ich in meine Taschen gestopft habe –, kommt mir eine bessere Idee.

»Hey, Babe.«

Max erschrickt richtig und schiebt seine Brille auf seiner Nase hoch, als könnte er gar nicht glauben, dass ich weiß, dass er überhaupt existiert. Ich lächle und stupse meine Taschen mit meiner Sandale an.

»Hilfst du mir damit? Ich schwöre, ich bin eine starke, unabhängige Frau und was weiß ich, aber ich bin gerade echt nicht in Stimmung für körperliche Anstrengung und würde wetten, diese dünnen Arme sind kräftiger, als sie aussehen.«

»Oh.« Er blinzelt, als hätte er original einen Kurzschluss. Es ist echt süß. »Ähm …«

»Danke.«

Ich drücke im Vorbeigehen sein Ärmchen, entschwinde die Treppe hinauf und gönne ihm die perfekte Aussicht darauf, wie gut ich in diesen Shorts aussehe.

Was soll ich sagen? Ich hab eben eine Schwäche für künstlerische Nerds. Es ist so süß, dass sie sich selbst so ernst nehmen und total selbstbewusst und charmant tun, obwohl sie schon nicht mehr wissen, wo oben und unten ist, wenn man mal zwei Sekunden mit ihnen flirtet.

Und, na ja, Max Overby ist auch nicht direkt der Hässlichste.

Oben ziehen Kira und Corinne bereits ins erste Zimmer rechts ein. Als ich näher komme, kann ich das Schild an der Tür lesen, auf dem unsere drei Namen stehen. Natürlich teile ich mir mit den zwei Leuten ein Zimmer, die totale Lehrers-Liebling-Vibes ausstrahlen, aber eigentlich kann ich mich nicht beschweren. Eine Tür weiter verschwinden Logan und McKayleigh gerade in ihrem gemeinsamen Zimmer und sehen jetzt schon aus, als wollten sie sich gegenseitig umbringen. Also, ja, ich nehme gern unsere kleine Miss Cardio und unser Gamer Girl.

»O mein Gott, megasüß«, verkünde ich und pose im Türrahmen. »Ich will nicht lügen, ich hatte auf ein eigenes Zimmer gehofft, aber das hier ist super für uns drei. Drei kleine Bettchen. Wie im Sommerlager oder so.«

Ich mache natürlich Witze, weil igitt, wer geht bitte ins Sommerlager? Aber keine von den anderen lacht, sie starren beide nur an die Decke.

»Ja, wenn das Sommerlager eine Art Hochsicherheitstrakt wäre«, erwidert Corinne und dreht nervös eine ihrer Locken auf.

Kira rubbelt sich die Arme, als wäre ihr kalt. »Ist irgendwie komisch, oder? Kameras in unseren Zimmern?«

»Na ja, klar.« Ich lasse mich auf das am gemütlichsten aussehende Bett fallen. »Aber so läuft das eben. Habt ihr mal diese Datingshows gesehen, ihr wisst schon, bei denen sie die Leute mit diesen seltsamen Nachtsichtfiltern beim Rummachen filmen? Wartet, igitt, glaubt ihr, die Dinger sind dafür?«

Ich setze mich auf und schaue sie mir genauer an. »Obwohl, das klingt eigentlich ziemlich heiß. Vielleicht mache ich es ja.«

Corinne starrt mich mit aufrichtigem Entsetzen an. »Oder vielleicht auch … nicht?«

»O mein Gott, ich mach doch nur Spaß. Du bist so prüde.«

Es klopft.

»Elody?« Max öffnet die Tür einen Spalt, ohne reinzuschauen.

Wo wir gerade von Leuten sprechen, mit denen ich vielleicht vor der Kamera rummachen würde …

»Deine Sachen sind hier draußen«, sagt er.

Ich grinse. »Du musst dich nicht verstecken, Babe. Wir sind nicht nackt.«

Er öffnet die Tür ein Stück weiter, damit ich sein Gesicht sehen kann.

»Noch nicht«, füge ich hinzu.

Max läuft knallrot an und schaut überallhin, nur nicht mich an.

Gott, es ist echt zu easy.

»Danke, dass du meine Sachen hochgebracht hast, Babe. Du bist ein wahrer Held.«

»Max!« Cole trampelt den Flur runter, bevor Max etwas erwidern kann. »Du, ich und Graham sind im zweiten Stock, Kumpel. Gleich geht’s hier richtig ab!«

Cole marschiert davon und Max stößt ein Seufzen aus. »Na, davon würde ich ungern auch nur eine Sekunde verpassen, also …«

Er schließt knarrend die Tür hinter sich und verschwindet den Flur runter. Kira glotzt ihm mit ihren großen braunen Augen hinterher, wie ein Reh im Scheinwerferlicht.

»Starrst du immer so?«, frage ich sie. Ich schätze, ich bin nicht die Einzige, die ein Auge auf Max geworfen hat, aber von mir aus. Kira scheint echt nett zu sein und alles, aber kommt schon. Sie ist definitiv keine Konkurrenz.

»Tut mir leid, ich hab nur …« Kira verstummt, als sie eine der Schubladen an ihrem Nachttisch öffnet. Als sie sieht, was sich darin befindet, runzelt sie die Stirn. »Hier ist lauter Zeugs drin.«

»Was für Zeugs?«, fragt Corinne.

Kira fasst in die Schublade, holt eine kleine Karte heraus und liest vor: »Liebe Influencer:innen.«

Corinne seufzt, während sie eine nach Secondhand aussehende Latzhose und – ernsthaft – drei verschiedene Comicshirts auspackt, als müsste sie unbedingt allen klarmachen, dass sie nicht so ist wie andere Girls. »Ich hasse dieses Wort.«

»Aber sind wir das denn nicht?«, frage ich.

»Na ja, sicher, aber allein die Tatsache, dass sich Influencer:innen selbst de facto als Personen mit Einfluss bezeichnen …« Corinne verzieht das Gesicht. »Das stößt mir einfach irgendwie auf.«

»Oh, bist du eine von denen, die lieber als ›Creatorin‹ bezeichnet werden wollen, weil sie was erschaffen?« Ich male dabei Anführungszeichen in die Luft. »Nichts für ungut, aber ist das nicht noch peinlicher?«

Sie muss darauf nicht antworten, weil, klarer Fall: Ist so. Ich »erschaffe« nichts außer irgendwelcher Posts, bei denen die Leute entweder geil oder eifersüchtig oder beides werden. Mich stört es jedenfalls nicht, wenn es dabei schön in der Kasse klingelt, Babe.

»Was steht da sonst noch?«, fragt Corinne Kira und ignoriert mich.

Kira liest wieder laut vor: »Willkommen auf Lawrence Island. In diesen Schubladen findet ihr alle ein paar kleine Geschenke von unserem Sponsor – und ihr seid vertraglich dazu verpflichtet, sie vor der Kamera zu benutzen. Also, viel Spaß mit den Geschenken und viel Spaß auf der Insel.«

»Natürlich wollen sie, dass wir irgendwas verkaufen«, grummelt Corinne.

»Siehst du? Einfluss, Babe. Das ist nun mal unser Job.« Ich lege mich auf den Bauch, öffne meine eigene Schublade und schaue mir den Inhalt an: ein paar Bikinioberteile, eine Sonnenbrille und eine Smartwatch – bereits ausgepackt. Ich nehme sie heraus und halte sie hoch.

»Okay, die Dinger sind so was von 2015, aber …« Ich lege sie mir an. »Zu was Pinkem kann ich nie Nein sagen.«

Corinne tippt auf ihre Uhr und betrachtet sie mit zusammengekniffenen Augen, als wollte sie versuchen, das Ding auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen. »Hier ist eine Messaging-App drauf. Komische Vorstellung von ›offline‹, aber ich hör mich nicht Nein sagen.«

»Sie scheinen aber nicht mit dem WLAN verbunden zu sein oder so«, erwidert Kira.

Corinne seufzt. »Ja, ich hab gerade versucht, meiner Familie ein Update zu schicken, aber die Nachrichten gehen nicht raus.«

Ich stöhne. »Ernsthaft? Ich meine, schaut euch den Schuppen doch nur mal an. Zumindest WLAN sollte im Budget doch wohl drin sein.«

»Der Preis, den wir für das reale Leben bezahlen«, bemerkt Corinne trocken.

Ich lehne mich mit besonders dramatischer Geste auf meine Kissen zurück. Ich weiß, der ganze Sinn der Übung hier ist, dass wir keine Handys haben, aber es wird härter werden, als ich dachte. Ich sollte mich zumindest darüber beschweren dürfen.

»Na, falls jemand Spitzentanzschuhe braucht … offenbar hab ich welche?« Mit einem verwirrten Blick fasst Kira in ihre Schublade und zieht ein Paar rosa Ballettschuhe heraus. »Auch wenn ich keine Ahnung habe, wie ich diese Dinger ihrer Meinung nach vor der Kamera benutzen soll.«

»O mein Gott, du solltest unbedingt einen kleinen Tanz für die Show aufführen«, erwidere ich.

Sie legt die Schuhe wieder zurück. »Das mach ich nicht mehr.«

»Was, angeben?«

»Tanzen«, antwortet sie und macht die Schublade zu.

Es klopft erneut an der Tür und Gott sei Dank, weil ich wirklich keinen Monolog über Kiras Tanzwettkampftrauma brauche oder was auch immer. Ich setze mich auf und überlege, ob Max sich doch noch mal hergetraut hat, aber dann öffnet McKayleigh die Tür und schenkt uns das falscheste Lächeln, das ich je gesehen habe. Ich tue noch nicht mal so, als wäre ich nicht enttäuscht.

»Hi, Mädels!« Sie blickt sich im Zimmer um und dreht an der Uhr an ihrem Handgelenk, als wäre es ein nervöser Tic. »Sorry, dass ich hier einfach so reinplatze, aber ich glaube, Tilly ist bereit für die große Tour.«

McKayleigh blickt über ihre Schulter, und erst jetzt sehe ich Logan gut zwei Meter hinter ihr im Flur stehen und böse gucken. Als sie merkt, dass ich sie anschaue, senkt sie den Blick und zupft ihren Pferdeschwanz zurecht, als würde sie ihn nicht absichtlich als Messy Bun tragen. Ich muss beinahe laut lachen. Logan und McKayleigh, ehemals fake BFFs, teilen sich notgedrungen seit zehn Minuten ein Zimmer und sind jetzt schon so weit, sich gegenseitig den Kopf abzureißen.

Plötzlich verspüre ich neue Energie und springe auf, als hätte ich gerade fünf Espressi intus. Die einen schwören auf Cardio, ich auf die Dramen anderer Leute. Und ich hab so langsam das Gefühl, das hier könnte doch ein großer Spaß werden.

Ich stolziere durch die Tür in den Flur hinaus.

»Na, dann kommt mit, Ladys«, rufe ich meinen Zimmergenossinnen in meiner besten Tilly-Parodie zu und schenke McKayleigh ein Grinsen. »Zeit für das reale Leben!«

3

MAX

Inseln sind mir unheimlich. Besonders Privatinseln. Für mich haben sie etwas vollkommen Weltfremdes. Allein die Vorstellung, dass Leute davon träumen, meilenweit vom nächsten Krankenhaus entfernt zu sein – als Entspannungsmethode.

Trotzdem muss ich zugeben, dass der Anblick absolut unglaublich ist. Als Tilly uns auf die Veranda hinter dem Haus führt, hole ich meine Kamera heraus, um alles einzufangen: Strand ringsum und Wasser, so weit das Auge reicht. Ohne das Haus als Orientierungshilfe wäre es schwer zu wissen, was wo ist. Nichts als Sand, Bäume und felsige Abhänge zum Meer, das sich bis zum Horizont erstreckt.

Vielleicht ist es der New Yorker in mir, aber ich vertraue dem Ganzen hier nicht. Diese Weite macht mich klaustrophobisch, so als würden das endlose Wasser und der Himmel die Insel noch kleiner machen, als sie ist. Beengter. Dies hier ist ein Ort, an dem man wilde Dinge sagt und tut, nur um ihn mit etwas auszufüllen – ein Ort, der Wahrheit von Lügen trennt wie ein Sieb.

Zum Glück habe ich jedoch eine Kamera, die festhält, was immer auch durch die Löcher rieselt.

»Was für ein Ausblick, oder?«, fragt Tilly und legt eine Hand über die Augen, als sie aufs Wasser hinausschaut. »Wirklich atemberaubend.«

Zane nickt nachdenklich, als würde er ein Gemälde betrachten. »Der Ozean ist so kraftvoll, Mann.«

Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir hier auf ein Meer schauen, aber ich werde mich wegen irgendwelcher semantischer Kleinigkeiten sicher nicht wie ein Idiot aufführen. Egal wie man es nennt, Zane hat nicht ganz unrecht. Ich muss daran denken, was Kira vorhin über Der weiße Hai und Titanic gesagt hat. Wir haben nur Witze gemacht, aber gigantische Gewässer haben etwas einzigartig Furchteinflößendes an sich.

»Wir sind ziemlich weit vom Festland entfernt, oder?«, frage ich und versuche, bei dem Gedanken nicht allzu panisch zu klingen.

»Fünfundzwanzig Kilometer«, antwortet Kira. Ich drehe mich zu ihr um, aber sie weicht meinem Blick aus und macht eine Geste, als wollte sie sich eine ihrer hellbraunen Strähnen hinters Ohr streichen, obwohl ihr Haar zu einem kurzen Pferdeschwanz zusammengefasst ist. »Richtig?«

»Fünfundzwanzig Kilometer«, bestätigt Tilly und zeigt mit einem Nicken nach rechts. »Kommt, wir gehen hier lang.«

Während wir Tilly folgen, schaue ich erneut zu Kira. Ich bin nicht wirklich der Typ für Fitnessvideos – was Elody mit ihrer Bemerkung zu meinen Armen vorhin ziemlich klargemacht hat –, deshalb habe ich Kira Lyons nicht sonderlich viel Aufmerksamkeit geschenkt, seit sie bei dieser Tanzshow war, die meine Schwester immer geguckt hat. Den Folgen nach zu urteilen, die ich gesehen habe, war Kira richtig gut – unglaublich gut, ehrlich gesagt, und das nicht nur für eine Zwölfjährige –, aber sie schien nie im Zentrum des Geschehens zu sein. Dieser Platz war immer für McKayleigh und ihre Eislaufmutter – oder besser gesagt, Tanzmutter aller Tanzmütter – reserviert. Auch jetzt strahlt Kira immer noch diesen niedlichen, rehäugigen Charme aus, nur irgendwie härter, mit aufrechter Haltung und angespannten Schultern. Außerdem kann sie nicht größer sein als eins sechzig und hat trotzdem etwas Einschüchterndes an sich. Vielleicht liegt es an der Tatsache, dass sie mir wahrscheinlich so richtig in den Arsch treten könnte, wenn sie wollte.

»Da wären wir.« Tilly bleibt auf der Terrasse vor dem Haus stehen. »Zurück, wo wir losgegangen sind.«

Sie zeigt mit ausladender Geste auf den Strand, wo noch immer eins der Boote, die uns hierhergebracht haben, auf dem Wasser schaukelt. Das andere muss wieder weggefahren sein, während wir eingezogen sind. Die Wellen branden an, was ein Tonproblem bedeuten könnte, aber darüber mache ich mir Sorgen, sobald ich weiß, wohin ich mit diesem Projekt überhaupt will. Das ist das Beste an dem, was ich tue: einem Impuls zu folgen und eine Lage nach der anderen abtragen, bis die Geschichte wie eine Statue in einem Marmorblock zu erkennen ist. Und bei zehn auf einer Insel festsitzenden Influencerinnen und Influencern ohne Smartphones muss es hier eine Geschichte geben. Und zwar eine gute. Ich konnte mein Glück ja schon kaum fassen, als ich an Bord gegangen bin und Logan gesehen habe – und als die drei anderen umstrittensten Mitglieder von Bounce House dann auch noch auf dem Kai auftauchten, war es, als hätte ich den Jackpot geknackt.

Ich hab Gerüchte über allen möglichen irren Scheiß gehört, der bei ihren Partys abgegangen sein soll, von wahrscheinlich wahren Geschichten – eine kleine Schadenersatzklage, weil ein Feuerwerk das bekanntermaßen hochversicherte Haar eines Models ansengte – bis hin zu definitiv großzügig ausgeschmückten Storys – Möchtegern-TikToker, die sich in den labyrinthartigen Hallen der Villa so hoffnungslos verlaufen haben sollen, dass niemand je wieder etwas von ihnen gehört oder gesehen hat. Und jetzt wird mir eine neue Dokumentation über das ganze Drama um Logans Abgang praktisch auf dem Silbertablett serviert.

Trotzdem kann ich dieses seltsame Gefühl nicht abschütteln, seit wir angelegt haben – das Gefühl, dass hier irgendwas komisch ist. Als ich zum Haus zurückschwenke, wird mir bewusst, was es ist: die Kameras. Noch mehr von ihnen sind – wie klassische Überwachungskameras – auf dem Dach angebracht und auf uns nach unten gerichtet. Und sicher, als YouTuber sollte mich das wahrscheinlich nicht so nervös machen, aber die Sache ist: Normalerweise ist die einzige Kamera, vor die ich mich stelle, meine eigene.

»Ihr dürft gerne in den Meerwasserpool springen, wann immer ihr wollt«, sagt Tilly und lenkt meine Aufmerksamkeit wieder zurück auf die Terrasse. »Und ins Poolhaus könnt ihr natürlich ebenfalls, auch wenn es nicht viel zu bieten hat.«

Ich filme das kleine Häuschen links neben dem Pool, das Blau des Salzwassers spiegelt sich in den geschlossenen Türen.

»Wirklich, fühlt euch ganz wie zu Hause. Wir wollen, dass alles so natürlich und spaßig rüberkommt wie möglich. Ihr seid einfach ein paar coole Creator:innen, die auf einer privaten Insel abhängen!« Tilly lächelt und wirft einen Blick auf ihr Smartphone. Eine Sorgenfalte gräbt sich in ihre Stirn.

»Okay, versteh das jetzt nicht falsch«, sagt Elody, »aber sind wir hier fertig? Hier draußen sind ungefähr eine Million Grad.«

»Natürlich.« Tilly steckt ihr Handy wieder in die Hosentasche. »Wir gehen wieder rein und treffen uns gleich im Wohnzimmer. Ich will noch kurz ein paar Sachen mit euch durchgehen.«

Während sich alle ins Haus zurückbewegen, mache ich einen letzten Schwenk und lande bei Zane. Er funkelt mich über seine tätowierte Schulter hinweg an, und ich lasse die Kamera sinken. Ich bin kein Fan von Zane Rivers – ich meine, das meistgesehene TikTok-Video von dem Typen ist eine Thirst Trap mit einer Zucchini, der, ganz ernsthaft, eine finanzielle Entschädigung zusteht –, aber ich sollte mich mit dem Filmen vielleicht zurückhalten, wenn ich will, dass irgendjemand von Bounce House irgendwann mal vor der Kamera mit mir redet.

Als ich sie wieder in die Tasche packe und den Reißverschluss zumache, materialisiert sich plötzlich jemand wie ein Geist neben mir.

»Gott, Aaron.«

»Ich hab das vorhin ernst gemeint«, sagt er und nickt mit seinem sommersprossigen Kinn in Richtung meiner Kamera. »Ich gebe dir nicht die Erlaubnis, mein Gesicht für den Müll zu verwenden, den du hier drehst.«

»Komisch.« Ich schiebe die Brille auf meiner Nase höher. »Vor ein paar Monaten warst du noch ganz wild darauf, auf meinem Kanal aufzutauchen.« Ich sehe zu, wie sein Blick noch finsterer wird, und zucke mit den Schultern. »Ich meine, wir werden ein paar Wochen lang hier sein. Wenn du deine Story immer noch loswerden willst, bin ich ganz Ohr.«

Aaron starrt mich ein paar Sekunden lang an, wendet dann den Blick ab und kneift die Augen gegen das Sonnenlicht zusammen. »Danke, aber nein, danke. Für diese Story braucht es mehr als einen Typen, der nur dank Mommys und Daddys Connections irgendwas gebacken kriegt.«

Ich spanne den Kiefer an. Sicher, meine Eltern sind beide in der Film- und Fernsehbranche tätig, aber keiner von ihnen hat irgendwas mit Dokus zu tun. Meine Mom produziert romantische Komödien und mein Dad hat eine Late-Night-Talkshow. Es ist nicht so, als hätte jeder von ihnen achthunderttausend Freunde angerufen und sie gezwungen, meinen Kanal zu abonnieren. Und es ist auch nicht so, als hätten sie die ganze Arbeit für mich gemacht, die stundenlangen Recherchen, die Aufnahmen und den Schnitt.

Aber ich lasse die Sache auf sich beruhen. Ich bin mir ohnehin ziemlich sicher, die große, streng geheime Story, bei der Aaron vor ein paar Monaten mit mir zusammenarbeiten wollte, existiert gar nicht wirklich. Er hat mir irgendwelche schmutzige Wäsche eines nicht namentlich benannten Hollywoodagenten versprochen, aber ich habe seinen Kanal gesehen. Sämtliche Videos tragen Titel wie Die düstere Wahrheit über eure Lieblingsserien und Wie Timothee Chalamet mir meine Karriere stahl, nur dass Aaron darin nie irgendwas anderes tut, als vage Andeutungen zu machen, die er dann für Werbung für Pickelcremes oder Online-Therapien unterbricht. Aaron Tyler Banks braucht im Moment entschieden dringender einen Sieg als ich. Also lasse ich ihm diesen.

Zurück im Haus haben sich bereits alle im Wohnzimmer versammelt. Aaron saust förmlich zu dem letzten freien Sessel, und ich stoße ein Seufzen aus und gebe mich mit dem Fußboden zufrieden.

»Okay, hört mir bitte kurz zu«, ruft Tilly. Sie holt tief Luft. »Also, es gibt da ein kleines Problem. Aufgrund einer unvorhergesehenen Wetterlage wurden die Flüge des Produktionsteams gestrichen.«

»Wegen des Wetters?« Ich schaue zum Fenster hinaus auf den strahlend sonnigen Himmel. Ich meine, ich trage zwar eine Brille, aber das Fehlen von Gewitterwolken kann sogar ich erkennen.

Tilly nickt. »Der Sturm kommt erst heute Abend hier an, aber es sieht ziemlich übel aus, vor allem in der Nähe des Flughafens. Unser Team konnte zwar einen anderen Flug buchen, aber unglücklicherweise …«, sie atmet erneut tief durch, als müsste sie all ihren Mut zusammennehmen, bevor sie den Rest runterrattert, »… werden sie nicht vor morgen früh hier sein.«

Okay, ich bin nicht begeistert darüber, worauf das hier hinausläuft, vor allem, weil wir hier praktisch fernab jeglicher Zivilisation sind.

»Moment mal«, beginnt McKayleigh, »ich würde wirklich nie jemandem vorwerfen, dass er seinen Job nicht richtig macht, aber ich bin ein bisschen verwirrt. Hätte die Crew nicht eigentlich schon vor uns hier sein sollen?«

»Oder um es ohne die typische Höflichkeit einer Südstaatenschönheit auszudrücken«, fügt Aaron sarkastisch hinzu, »das ist total unprofessionell. Ich habe mein ganzes Leben an Sets verbracht und so was ist mir wirklich noch nie untergekommen.«

»Hast du in ’ner Fernsehserie mitgespielt oder so?«, fragt Logan mit gespielter Überraschung.

Aarons allzeit präsenter düsterer Blick erreicht ganz neue Sphären der Finsternis, und ich muss zugeben, dass ich es sehr genieße.

»Ich weiß, das ist nicht ideal«, räumt Tilly ein, »aber es ist, wie es ist. Und …« Sie schluckt. »Sie brauchen mich zurück auf dem Festland. Noch heute Abend.«

»Moment mal, heute Abend?«, wiederholt Corinne. »Soll das heißen, du willst uns hier alleinlassen?«

»Es gibt ein paar dringende Sachen, um die ich mich kümmern muss, also … leider ja.«

»Alter.« Cole grinst und lehnt sich mit hinter dem Kopf gefalteten Händen auf der Couch zurück. »Das ist exakt die Stelle, an der der Horrorfilm anfängt.«

»Aber ist das überhaupt, na ja … erlaubt?«, fragt Graham. »Uns einfach hier zurückzulassen?«

Elody rollt mit den Augen. »Wir brauchen schließlich keinen Babysitter, Babe.«

»Ein paar von uns vielleicht schon«, murmelt Corinne und wirft Cole einen Blick zu.

Tilly ignoriert ihre Sticheleien und fährt in klassischer Produktionsassistentinnenmanier unbeirrt fort: »Ich verstehe eure Bedenken, aber ich komme gleich morgen früh wieder zurück. Mit dem kompletten Team.«

»Was machen wir, falls irgendwas passiert?« Kira steht hinter der Couch und wippt auf den Fußballen, als wollte sie jede Sekunde abheben. Sie blickt zu McKayleigh, und ich frage mich, ob zwischen den beiden noch mehr ist als ihre alte Rivalität aus der Fernsehshow. Während mir dieser Gedanke durch den Kopf geht, bemerkt Kira, dass ich sie anschaue, und ich wende den Blick ab und komme mir seltsamerweise vor wie damals in der zehnten Klasse, als ich einem Türsteher meinen McLovin-Level-miesen falschen Ausweis präsentiert habe. Normalerweise bin ich ziemlich gut darin, Leute einzuschätzen, aber Kira hat irgendetwas an sich, das ich nicht richtig einordnen kann. In einem Moment wirkt sie total nervös und schüchtern und im nächsten irgendwie, als könne sie direkt in meine Seele blicken.

»Ich versichere euch, euch kann hier nichts passieren«, antwortet Tilly. »Im Schrank ist ein Erste-Hilfe-Set, und für den Fall, dass es doch einen ernsthaften Notfall gibt, lasse ich euch ein Handy da, also zögert nicht, auch anzurufen. Der Mobilfunkempfang ist ziemlich zuverlässig, selbst so weit vom Festland entfernt.«

Tilly fasst in ihre Tasche und holt ein Smartphone heraus. Sie verbindet es mit dem Ladekabel, steckt es ein, und ich entspanne mich. Und es sieht aus, als täten alle anderen es auch. Wenigstens haben wir überhaupt eine Verbindung zur Außenwelt.

Als niemand mehr etwas erwidert, seufzt Tilly und sieht genauso erleichtert aus wie wir anderen.

»Betrachtet es doch mal so«, sagt sie dann. »Ihr habt heute Abend die Chance, genau das zu tun, weshalb ihr hergekommen seid – ihr wisst schon: abschalten und euch wirklich kennenlernen. Und jetzt könnt ihr es sogar tun, ohne dass euch eine komplette Kameracrew dabei stört.«

Richtig, der Grund, warum wir alle hier sind. Wenn ich den Blick über diese Gruppe schweifen lasse, habe ich allerdings eher nicht den Eindruck, als wäre abschalten das Hauptziel von irgendjemandem hier.

»Wann fangen die Dreharbeiten morgen an?«, will McKayleigh wissen. Sie blickt zu der Kamera an der Wand hinauf, zupft ihr Haar zurecht und verdeutlicht damit meinen Standpunkt: Angeblich sind wir alle hier, um von unseren Smartphones wegzukommen, aber wir sind eine Gruppe von Influencer:innen. Die anderen tun vielleicht genervt, wenn ich sie filme, aber keiner von ihnen wäre hier, wenn die Kameras nicht wären.

Na ja, vielleicht nicht keiner, denke ich und schaue zu Kira. Obwohl sie praktisch in einer Realityshow großgeworden ist, scheint sie sich mit den Kameras genauso unwohl zu fühlen wie ich.

»Wir hoffen, dass wir alle um acht wieder hier und startklar sind«, antwortet Tilly. »Und macht euch keine Gedanken wegen des Essens. Die Vorratskammer ist voll. Außerdem kommt ihr heute Abend dank unseres großzügigen Sponsors in den Genuss eines Catering-Dinners.«

Sie zeigt in Richtung der Küche, wo eine Ansammlung zugedeckter Tabletts auf der Theke steht.

»Es gibt doch auch vegane Optionen, oder?«, fragt Zane. »Außerdem sollte euch mein Manager mitteilen, dass ich keine Nüsse essen kann. Ich habe eine …«

»Wir haben’s kapiert«, unterbricht Aaron ihn grummelnd und wedelt mit einer Hand vor Zanes Kopf herum. »Der Man Bun ist ein ziemlich schriller Ich-hab-supernervige-eingeschränkte-Essensgewohnheiten-Alarm.«

Zane erwidert nichts, aber seinem Ausdruck nach zu urteilen, wäre die Retourkutsche, die ihm vermutlich auf der Zunge brennt, so was wie: Wenigstens hab ich genug Haare für einen Man Bun, Arschloch.

»Ja, natürlich«, versichert Tilly. »Es werden all eure ernährungsspezifischen Bedürfnisse erfüllt. Und als zusätzliches Extra«, sie setzt ein schelmisches Grinsen auf, »hat unser Sponsor noch eine großzügig gefüllte Bar draufgelegt.«

»Nice!«, grölt Cole.

»Das klingt schon besser, Babe«, stimmt Elody ihm zu.

Tilly entspannt sich. »Was das gesetzliche Mindestalter für Alkoholkonsum angeht, ist die Situation in internationalen Gewässern ein wenig schwammig. Aber bitte, bitte, bitte seid vorsichtig.«

Ich bin mir ziemlich sicher, vorsichtig ist das genaue Gegenteil von dem, was die Produktionsfirma will. Realityshows leben davon, dass die Teilnehmenden so betrunken wie möglich sind. Außerdem ist das sicher nicht das Schlimmste, was uns hätte passieren können: eine Privatinsel, Alkohol und keinerlei Aufpasser … Vielleicht kommen mir ja gleich ein paar Ideen für diese Doku.

Tillys Handy piepst und sie wirft einen Blick darauf.

»Ich sollte jetzt aufbrechen«, sagt sie und schaut wieder uns an. »Vielen Dank für euer Verständnis. Ab morgen läuft alles nach Plan – und ich bin nur einen Anruf entfernt, okay?«

»Okay«, antwortet Elody, als niemand sonst es tut. Sie fläzt auf dem Sofa, die Beine auf den Couchtisch gelegt, als würde ihr der ganze Schuppen gehören, ihre Shorts sind gefährlich weit an ihren Schenkeln nach oben gerutscht. Sie erwischt mich beim Starren und grinst wie eine Raubkatze. »Wir sind schließlich schon groß, hab ich recht?«

Mein Gesicht glüht ganz heiß, was ihr Grinsen nur umso süffisanter macht. Gott, Max. Reiß dich zusammen. Vergiss die zehnte Klasse – ich komme mir eher vor, als wäre ich wieder in der Achten, wahrscheinlich, weil Elody mich an all die Mädchen erinnert, die ich mich damals noch nicht mal getraut habe anzuschauen. Ich wende den Blick von ihr ab und lasse ihn über den Rest der Gruppe schweifen, die zum allerersten Mal in kollektive Sprachlosigkeit verfallen zu sein scheint.

»Okay.« Tilly faltet die Hände wie zum Gebet. »Ich bin dann weg.«

4

LOGAN

Ich bin in der Hölle. In der echten biblischen Hölle. Es ist die einzig plausible Erklärung, warum ich auf dieser Insel gefangen bin, mit exakt den drei Personen, wegen denen ich hierhergekommen bin, weil ich von ihnen wegwollte. Und das Schlimmste ist: Es ist meine eigene Schuld. Sicher, die Liste der Teilnehmenden war streng geheim, aber ich hätte trotzdem irgendetwas unternehmen sollen, egal was. Zum Beispiel Tilly erklären, dass ich mich weigere, mit irgendjemandem zu arbeiten, der auch nur im Entferntesten etwas mit Bounce House zu tun hat. Oder sie erpressen, damit sie vorab die Liste rausrückt. Oder mich einfach sofort vom Kai stürzen und losschwimmen, als ich die drei Reiter der Apokalypse – ich meine natürlich: meine ehemaligen Freunde – vorhin auf mich habe zukommen sehen.

Na ja. Wenn das hier wirklich die Hölle ist, ist wenigstens das Wetter gut.

Noch.

»Wow.« Ich lasse mich auf meine Kissen zurücksinken und starre meine Hashtag-Zimmergenossin an. »Tilly ist seit zwanzig Minuten weg und du hast noch kein Wort gesagt. Das ist ein neuer Rekord.«

Schweigend breitet McKayleigh zwei Kleider nebeneinander auf ihrem Bett aus und streicht sie so energisch glatt, dass man meinen könnte, sie hätten persönlich ihre komplette Familie angegriffen.

»Oh, cool. Wir ziehen immer noch die Nummer ab, bei der du so tust, als wäre ich tot. Alles klar.« Ich schnappe mir ein Kissen, wedle damit durch die Luft und gebe geisterhafte Geräusche von mir. »Huuuuuuu, es schwebt!«

»Du bist nicht so lustig, wie du glaubst.«

Ich lasse das Kissen wieder sinken und versuche, das ungute Gefühl in meinem Magen zu ignorieren. Objektiv betrachtet führe ich mich auf wie eine Zweijährige, aber es tut mir immer noch weh, wenn mir jemand sagt, ich wäre nicht lustig. Vor allem, wenn dieser jemand mich früher verdammt noch mal zum Totlachen fand.