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Ein Inselurlaub mit Surfen, Segeln und Faulenzen sollte es werden. Doch es kommt ganz anders. Als Dani bei einem Ausflug früh am Morgen in die Büsche muss, stolpert er im wahrsten Sinne des Wortes über einen einäugigen Riesenjungen – einen Zyklopen! Obwohl diese Begegnung nur einen Augenblick dauert, ist Dani nun darauf versessen, diesen Jungen wiederzufinden. Trotz der Sage über den menschenfressenden Zyklopen. Der Junge, seine Schwester Miri und ein Freund begegnen dann tatsächlich Pepe Quinto, dem Zyklopenjungen und es beginnt die aufregendste Zeit in Danis Leben ...
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Seitenzahl: 161
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Wichtig zu wissen
Vom Ende zurück zum Anfang
Auf nach Sizilien
Eine merkwürdige Begegnung
Fahrräder gesucht
Die Sage von Polyphem
Eine lange Weile
Jetzt wird’s spannend
Pepe Quinto
Pepes Kindheit
Besuch bei Pepe V.
Ganz normale Urlaubstage
Übermut tut selten gut
Alle wollen zu Pepe V.
Eingeschlossen
Alle lieben Pepe V.
Miriams Müll-Meuterei
Viele Fragen
Pepe V. verschwindet
Ende gut, alles gut
Diese Geschichte spielt lange vor der Zeit von Handys, Navis, Smartphones und so weiter.
Das heißt, wer telefonieren wollte, musste ein Telefon oder ein Telefonhäuschen suchen. Auch im Notfall!
Wer einen Urlaub plante, konnte nicht kurz ins Internet gehen, um sich zu informieren oder gar zu buchen. Man musste sich durch viele Kataloge arbeiten und ins Reisebüro gehen.
Wer einen bestimmten Ort suchte, musste eine Landkarte zu Hilfe nehmen – oder einen Menschen fragen.
Wer etwas wissen oder erforschen wollte, musste Bücher lesen oder schlaue Leute fragen.
Wer ein Bild von etwas machen wollte, brauchte einen Fotoapparat.
Und statt Musikstreaming, Internet und Mp3 gab es damals nur Kassetten und Kassettenrekorder, die man mitschleppen musste … Ein ganz schön anstrengendes Leben!
»Pepe, komm, setz mich auf den Turm!«, tönt es laut durch das Steineichenwäldchen. Ich sitze hier an einen uralten Baum gelehnt und bin froh, dass der Ruf nicht an mich gerichtet ist. Mir steigen nämlich langsam, aber unaufhaltsam die Tränen in die Augen, denn heute ist mein letzter Tag hier auf Sizilien. Ein paar Wochen Sonne, Meer, Abenteuer und vor allem eine tiefe und ungewöhnliche Freundschaft sollen heute Abend vorbei sein. Was ist in dieser Zeit nicht alles passiert! Unglaubliches, Gefährliches, Wunderschönes …
»Oh, Pepe, Pepe, komm doch!« Und Pepe kam.
Ihr dürft nun nicht denken, dass dieser Pepe ein Pepe di Noto oder sonst ein ganz normaler Pepe auf Sizilien ist. Nein, Pepe heißt mit vollem Namen Pepe Salvatore Quinto und er ist der letzte lebende Zyklop Siziliens. Ihr habt richtig gelesen. Ein Zyklop!
Vielleicht überlegt ihr nun, was ein Zyklop ist und wer von diesem Pepe auf welchen Turm gesetzt werden will. Ich werde es euch verraten: Es ist meine Schwester Miriam, die von Pepe auf den Aussichtsturm in Ciare gesetzt werden will, einen echten Wachturm mit richtigen Zinnen – wie auf einer Ritterburg …
Jemand soll eine andere Person auf einen Turm setzen? Wie soll das denn gehen?
Ich glaube, langsam wird die Sache für euch zu kompliziert. Es wird besser sein, wenn ich, wie man es normalerweise macht, am Anfang beginne …
Ja, angefangen hat es an einem kalten Januarabend bei einer Familie in Stuttgart. »Ich will auf jeden Fall surfen!« Das war für mich das Wichtigste im Urlaub. Das brachte ich immer wieder nachdrücklich ins Gespräch, wenn nötig auch mehrmals am Tag.
»Surfen, surfen, ich stell mich doch nicht im Wasser auf ein Brett und lass mich vom Wind umpusten! Ich will meine Ruhe und ein bisschen Sonne, alles andere ist mir egal.« Dieses »Ich will« stammte von meiner Mutter.
Ihm folgte ein »Ich will wohin, wo was los ist« von meiner Schwester und ein »Ich will nicht den ganzen Tag rumliegen« von meinem Vater. Es ist übrigens jedes Jahr dasselbe, Ende Januar gibt’s Krach. Es fallen Namen über Namen – von Allgäu bis Zypern – und die meisten werden gleich wieder verworfen.
Diesmal blieben im Gespräch: England, die französische Atlantikküste, Griechenland und Sizilien.
Auch über andere Gebiete, z. B. über den Alpsee, wurde noch hitzig debattiert und ich kapiere heute noch nicht, warum dort keiner außer mir hinwollte.
Trotz der sich über Wochen hinziehenden Diskussionen waren wir noch zu keinem Resultat gekommen. Oder doch? Zwei Gebiete hatten das Glück, von uns nicht aus dem Rennen geworfen zu werden. Die französische Atlantikküste, weil es dort tolle Wellen und meistens gutes Wetter gibt. Und Sizilien, weil die Landschaft dort super ist und es viel zu entdecken gibt. Ich meine kulturell. Das heißt, es gibt viele Tempel, Ruinen, Kirchen und andere alte Gemäuer und so kann man richtig viel lernen. Und wen freute das? Und wer wollte trotz »Hitzegefahr« eventuell dort hin? Klar, die Mama. Lehrerin halt! Meine Schwester wurde also ins Reisebüro geschickt und mit Hilfe einiger Kilo Kataloge beschäftigten wir uns die nächsten Abende mit Sizilien und der Atlantikküste. Oh je, ich rede immer von mir, Papa, Mama und Miriam, aber soweit ich weiß, habe ich uns noch gar nicht vorgestellt. Ich werde dies nun nachholen, und zwar gemäß dem dummen Spruch »Alter vor Schönheit«.
Da wäre zuerst Papa zu nennen, ein meistens netter, ruhiger Mittvierziger mit dem Namen Karl-Heinz. Auf ihn kann man sich immer hundert pro verlassen. Am tollsten finde ich, dass er mit mir alle möglichen Modelle baut und am Fahrrad herumschraubt. Manchmal kann er sich allerdings auch richtig aufregen. Er zeigt auch gerne sich und seiner Umwelt, wie fit und jung er ist. Deshalb ist »Rumliegen« im Urlaub nichts für ihn. Außerdem macht er oft Musik, er spielt ganz gut Gitarre. Und Schach findet er ganz prima und will es mir immer beibringen. Er wird gefolgt von Mama, einer sehr offenen, meistens lustigen Lehrerin, die allerdings auch recht streng sein kann. Sie ist Anfang vierzig, heißt Helen und engagiert sich für alles Mögliche. Dadurch bringt sie die Familie manchmal etwas in Stress. Zum Beispiel findet sie, dass man nur fair gehandelten Kaffee trinken sollte. Und wen verdonnert sie dann zum Verkauf auf dem Weihnachtsmarkt? Natürlich meine Schwester und mich! Das nervt manchmal ziemlich! Andererseits ist sie immer bedingungslos für uns da. Auch wenn wir mal Mist machen. Wenn sie mal nichts zu tun hat, »frisst« sie Bücher. Sie wird ganz kribbelig, wenn sie nichts zu lesen hat.
Meine Schwester Miriam ist fünfzehn, aber nicht ganz so doof, wie man sich ein Mädchen ihres Alters vorstellt. Sie hat zwar ab und zu ihre »Anfälle«. Zum Beispiel, wenn sie im Spiegel einen neuen Pickel am Kinn entdeckt oder sie mit ihrer Frisur nicht zufrieden ist. Und das ist sie oft, denn ihre Haare führen ehrlich gesagt ein Eigenleben und machen, was sie wollen. Auch wenn sie mich – einen zwölfjährigen Jungen namens Daniel – mit »Danybaby« anflötet, packt mich die Wut. Andererseits kann man aber oft wunderbar mit ihr reden und Blödsinn machen. Mir ist es ja ein Rätsel, dass man so gespalten sein kann. Einmal kann ich lustig und ausgelassen mit ihr spielen und herumtoben. Und dann wieder stelzt sie angemalt wie ein Model auf hochhackigen Schuhen daher und redet dummes Zeug. Meine Mama behauptet, das läge an der Pubertät. Und die als Fachmann oder eher Fachfrau muss es ja wissen. Ich finde, das hört sich auch gut an, hoffe aber immer, dass ich davon verschont bleibe.
Wie ihr gerade gelesen habt, heiße ich Daniel und bin zwölf Jahre alt. Ich komme mir irgendwie ziemlich »normal« vor. Das heißt, ich schraube gerne an irgendwelchen Fahrrädern herum und mag fast jede Sportart – am liebsten das Surfen. Aber das geht ja leider nur im Urlaub. Den Rest des Jahres kicke ich hauptsächlich mit meinen Kumpels oder ich kurve mit meinem BMX herum. Hin und wieder mache ich auch Musik. Gitarre spiele ich halt dann, wenn ich Lust habe. So ist es in der Schule auch. Wenn mich was interessiert, arbeite ich richtig. Ansonsten mache ich eher nur das Nötigste. Aber das reicht zum Glück.
Das also wären wir, und ihr wisst nun, mit wem ihr es zu tun habt.
»Ey cool, das sieht ja super aus!«, schrie meine Schwester entzückt, als sie das Bild von Taormina anschaute. Auch meine Mutter war von Sizilien – wie ihr ja wisst – nicht unbeeindruckt. Für die Tempel, griechischen und römischen Theater und vieles mehr, was es dort gibt, würde sie sogar auf ihre Ruhe verzichten. Paps und ich hatten erforscht, dass man auf Sizilien surfen, segeln und Wasserski fahren kann.
So waren auch wir einverstanden, als endlich der Beschluss gefasst wurde: »Wir gehen nach Sizilien!«. Nicht zu vergessen, dass Sizilien ja auch »Italien« ist. Und wer liebt nicht italienisches Essen? Und auch die Sprache finden wir alle schön. Das veranlasste Mama, einige Kassetten mit Italienisch-Lektionen zu kaufen. Und zu ihrem Erstaunen lernte nicht nur sie ab und zu ein bisschen. Auch Paps, Miri und ich büffelten ein paar Lektionen.
Dass wir danach wirklich Italienisch konnten, kann ich nicht behaupten. Aber ich verstand immerhin ein paar Brocken – wenn langsam gesprochen wurde. Woher ich das weiß? Ich habe einen italienischen Schulfreund, der ein oder zweimal mit mir übte.
Der Urlaub rückte näher und bald hatte wieder jedes Familienmitglied sein eigenes Problem. Papa zermarterte sich das Gehirn mit der Frage, ob er für die Surfbretter die teure Frachtgebühr bezahlen oder an Ort und Stelle welche mieten sollte. Mama dagegen nervte mit der Forderung, uns mit sizilianischer Geschichte und Kultur zu befassen. Zu diesem Zweck schleppte sie angefangen bei Goethes »Italienischer Reise« über »Sagen des Klassischen Altertums« bis zum »Reiseführer Sizilien« alles an, was es an Gedrucktem über diese Insel gibt. Typisch Lehrerin halt. Ätzend. Da sich keiner außer ihr für diese Bücher interessierte, schimpfte sie. Seid froh, wenn ihr eine Mutter mit normalem Beruf habt!
Meine Schwester wiederum jagte von einer Boutique in die andere, um sich mit Sonnentops und Bikinis einzudecken. Außerdem jammerte sie fortwährend über ihren Haarfresser und schnippelte dauernd an den Spitzen ihrer Haare herum. So hatte in den Monaten bis zum Sommer jeder seine Sorgen.
Ich will mir sparen, das Theater beim Packen näher auszumalen. Außer mir waren schließlich alle einem Nervenzusammenbruch nahe. Aus Rache an meiner guten Laune hackten sie dann alle gemeinsam auf mir herum. »Hast du wieder meine Pinzette zum Modellbau genommen?«, »Wieso hast du die »Brigitte« mit den Sommerfrisuren zerschnitten?«, »Was soll dieses riesige Spiel in meinem Koffer?« und und und. Immer geht es auf die Kleinen.
Dem Taxichauffeur, der uns vier samt Koffer und Taschen nur mit Mühe und Not unterbringen konnte, tat ich wohl auch leid. Er zwinkerte mir aufmunternd im Rückspiegel zu, als meine Mutter losstöhnte: »Karl-Heinz, bist du sicher, dass du die Tickets hast?«
Karl-Heinz, der diese Frage zwar schon seit Jahren kennt, hat sich anscheinend immer noch nicht daran gewöhnt, denn er motzte: »Was soll diese ewige Fragerei, ich fahre nächstes Mal alleine, mit euch wird man ja wahnsinnig!«
Doch plötzlich wurde er ganz still. Er griff sich hektisch in sämtliche Kleidertaschen. Er schlug dem verdutzten Fahrer auf die Schulter und flehte: »Zurück, schnell! Ich habe die ganze Brieftasche vergessen!« Der Fahrer, nun doch etwas unwirsch, sagte: »Hallo, können Sie mir auch sagen, wie ich mitten auf der Schnellstraße wenden soll?«
Doch als er merkte, dass Papa echt der Verzweiflung nahe war, fuhr er von der Schnellstraße herunter und wieder Richtung Heimat.
Mir war alles wurst. Ich saß eingequetscht zwischen Muttis und Miriams Parfüm, mir war übel und der Schweiß lief mir übers Gesicht. »Mir ist schlecht, ich glaub, ich muss gleich spucken …«, murmelte ich. »Oh Gott, nicht das! Vielleicht hilft ein offenes Fenster?«, meinte Mama.
Inzwischen waren wir wieder bei unserem Haus. Papa raste hinein, im Auto wurden alle Türen zum Lüften aufgerissen, Papa kam zurück, wir rasten mit quietschenden Reifen los und in letzter Sekunde erreichten wir noch unser Flugzeug.
Dort ließen wir uns total erschöpft in unsere Sitze fallen. Meine Schwester vergaß sogar, mir den Fensterplatz streitig zu machen. Daran war jedoch, wie ich nachher begriff, kein plötzlicher Anfall von Nächstenliebe schuld. Schuld war vielmehr ein junger Mann, der ebenfalls am Mittelgang saß und dem sie ein hinreißendes Lächeln schenkte.
Der sogenannte Transfer vom Flughafen in Catania nach Taormina verlief ganz normal. Meine Schwester und ich rutschten allerdings vor Lachen beinahe unter die Sitze, denn vor uns saß ein Ehepaar, das alles, was draußen zu sehen war, laut kommentierte. Die Frau flötete: »Was meinst du, was dies für eine Pflanze ist, Frank?«
»Ich nehme an, dass das Bananen sind, Simone. Ja, ich bin sicher, das sind Bananen. Schau, die Blätter, daran erkennt man, dass es eine Bananenstaude ist.« Und so weiter. Die ganze Zeit. Ich bin ja kein Biologe, aber so wenig, wie die gezeigte Pflanze eine Bananenstaude war, so wenig war der Orangenbaum ein Kaktus. Aber wie die so redeten, war echt witzig und wir hatten unsere Unterhaltung. Wir bedauerten es sehr, als dieses Ehepaar uns in Naxos verließ.
Allerdings kamen jetzt andere Attraktionen. Die Straßen wurden nämlich teilweise so eng, dass der Busfahrer zurücksetzen musste, um die Kurve zu kriegen. Das verursachte, wie ihr euch leicht vorstellen könnt, einige Verkehrsstaus, und das Gehupe und Geschrei war eine Freude. Was haben die Sizilianer doch für ein Temperament! Immer, wenn wir haarscharf an entgegenkommenden Fahrzeugen vorbeifuhren, brüllte Mirilein wie am Spieß. Uns hätte eine Kollision zwar nichts ausgemacht, denn mit einem kleinen Fiat wird so ein richtiger Bus schon fertig, aber meine Schwester ist eben sensibel.
Am Taorminer Bus-Terminal, das eigentlich nur ein einfacher Parkplatz war, wurden wir gebeten, auszusteigen und auf einen Kleinbus zu warten. Das taten wir. Wir zerrten Koffer und Taschen aus dem großen Bus, schichteten alles sorgfältig auf und stopften es dann in einen herbeigekommenen Kleinstbus. Schließlich zwängten wir uns selbst hinein.
Dann fuhren wir sage und schreibe fünfzig Meter, ja, Meter, nicht Kilometer, da hieß es: »Hier sind wir!«
»Was ist los?«, fragte mein Vater. »Du aussteigen«, antwortete der Fahrer höflich, hüpfte hinaus und beförderte einen Koffer nach dem andern auf die Straße. »Das hat sich aber gelohnt«, ächzte Mutti, die mühsam zwischen zwei dicken Damen hervorkroch.
»Wo geht es denn hin?«, fragte sie. »Prego?«, kam es vom Fahrer. »Wo gehen hin?«
»Ach, da unten, Signora«, meinte der freundlich und deutete auf einen steil abfallenden Weg, der in Serpentinen einen Garten hinunterging. »Buona sera, buona sera!« und schon war er verschwunden. Nun mussten wir die vier Koffer und die vier Taschen gerecht verteilen, denn natürlich hatte jeder Angst, zu schwer zu tragen. Aber da erschien freundlicherweise auch schon ein Hausdiener, der uns half.
Wir bekamen dann in unserem Hotel zum Glück noch ein gutes Essen und fielen schon um halb zehn todmüde ins Bett.
Die erste Begebenheit unseres ersten Ferientages ereignete sich schon mitten in der Nacht, genau um Viertel nach eins. Meine Eltern wollten den Einzelzimmerzuschlag sparen. So mussten meine Schwester und ich – natürlich gegen unseren Willen – ein Zimmer miteinander teilen.
Ich hasse es, wenn meine Schwester mitten in der Nacht anfängt zu plappern, und zwar so, dass man nur ab und zu ein sinnvolles Wort aufschnappen kann. Erinnere ich sie am nächsten Morgen daran, will sie von nichts wissen und behauptet, ich sei es, der spinne und träume. »Unser Danybaby tickt nicht richtig!«, heißt es dann. Außerdem behauptet sie, ich würde mich im Bett wälzen wie ein Nilpferd, so dass kein Mensch ein Auge zutun könne.
Nun gut, zurück zur ersten Nacht auf Sizilien. Mitten in meinen ersten Träumen weckte mich eine grobe, rüttelnde Hand. Ich zuckte zusammen, riss die Augen auf und blickte in Miriams entsetztes Gesicht. »Hörst du, hörst du, das sind Taranteln und Schwarze Witwen!« Ich hörte außer dem Gezeter von Miriam zwar auch ein merkwürdiges Geräusch. Das war weder mit Singen noch Zirpen richtig zu beschreiben. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass so hinterhältige Tiere wie Taranteln und Spinnen einen solchen Lärm machen und somit ihre Opfer warnen würden. Das sagte ich zu Miriam, aber sie war dadurch überhaupt nicht beeindruckt. Sie zerrte weiter an meinem Arm und wimmerte: »Mach doch die Tür zu, bitte!«
»Spinnst du, wenn wir die Tür zumachen, ersticken wir doch bei der Hitze!«, widersprach ich. »Oh bitte, bitte, ich hab solche Angst!«, zeterte sie weiter. »Du dummes Jammerweib, dann mach eben zu und lass mich in Ruhe!« Von wegen Ruhe. Sie stieg zwar aus ihrem Bett, schloss sämtliche Öffnungen und leuchtete mit ihrer Taschenlampe jeden Winkel aus, aber Ruhe gab sie nicht. »Vielleicht sitzt die Spinne jetzt unter dem Bett!«, »Ich glaub, mir ist etwas auf den Bauch gefallen!« und so weiter. Ich konnte jedenfalls bis auf Weiteres nicht mehr schlafen!
Doch manchmal geschehen Wunder, plötzlich riss der Redeschwall meiner Schwester ab und ich hörte sie ruhig und gleichmäßig atmen. Sie schlief – und ich war nun wach! Die Hitze im Zimmer wurde immer schlimmer und ich glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. Man weiß ja, wie man sich in ein solches Gefühl hineinsteigern kann. Jedenfalls, kurz bevor mich ein Atemstillstand lähmen würde, sprang ich aus dem Bett und riss die Balkontür auf.
Wie der Rest der Nacht verlief, soll sich jeder selbst ausmalen.
Morgens um halb neun pochte es donnernd an die Tür und Papa rief in bester Ferienstimmung: »Aufstehen, Kinder, aufstehen! Wir haben viel vor.« Wir Kinder schälten uns mehr schlecht als recht aus den Betten. Miriam rannte rasend schnell ins Bad. Eigentlich hätte sie ja wissen müssen, dass ihr von meiner Seite in Bezug auf Waschen keine Gefahr drohte. Aber wahrscheinlich hatte sie vergessen, dass Mutti ein eigenes Bad hatte. Mit lauter Stimme beklagte sie ihr Aussehen, insbesondere ihren Pickel, und malte an ihrem Gesicht herum. Dabei fiel ihr ein, dass auch ihr Bruder sich die Zähne zu putzen hätte. Sie stürzte sich mit der Zahnbürste auf mich. Während unseres Gerangels wurde ihr Gesicht durch weiße Punkte in Mitleidenschaft gezogen. Das hatte eine erneute Renovierung zur Folge – armer Papa.
Als wir schließlich zum Frühstück erschienen, waren Mutti und Paps beinahe fertig. Als ich ihnen von den Taranteln erzählte, lachte Paps. Er erklärte uns, dass Taranteln völlig ungefährlich seien und dass nur der alte Aberglaube sie zu gefährlichen Bestien mache. Miriam ließ sich zwar nicht ganz überzeugen, aber ich hoffte, dass sie in Zukunft Ruhe geben würde.
Dann trennten sich meine Eltern und wir. Die beiden gingen in den Ort, um eine Film-Dia-Schau über die Ferienmöglichkeiten auf Sizilien anzusehen. Wir zwei beschlossen, mittels Seilbahn hinunter zum Meer zu fahren und die Gegend ohne Dias zu erforschen. Wenn ihr mal im Atlas nachschaut, stellt ihr fest, dass Taormina oben am Berg, also nicht am Meer liegt. Man hat zwar eine wunderbare Sicht aufs Meer, muss aber zum Baden hinunterfahren oder Treppen steigen. Kurz und gut, wir beide begaben uns zur Seilbahn. Doch – oh Schreck – vor dem kleinen Bahnhof war eine riesige Menschenschlange, lauter Spätaufsteher, die zum Baden wollten. »Du, Miri, da gehen wir lieber zu Fuß, unter einer Stunde kommen wir hier nicht weg.«
»Bist du noch gescheit? Bei der Hitze laufen!«