Perfektionismus - Christine Altstötter-Gleich - E-Book

Perfektionismus E-Book

Christine Altstötter-Gleich

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Beschreibung

Dieser wissenschaftlich fundierte Ratgeber beschreibt Chancen und Risiken perfektionistischer Tendenzen. Sie erfahren, welche psychologischen Prozesse dazu führen, dass das Streben nach anspruchsvollen Zielen zur Belastung wird. Denkanstöße und Übungen unterstützen Sie darin, Ihren Perfektionismus zu verstehen und einen gesunden Umgang mit hohen Ansprüchen zu erlernen. Was unterscheidet gesunden vom ungesunden Perfektionismus? Wie entsteht Perfektionismus? Wann ist therapeutische Unterstützung notwendig? Wie ist es möglich, sich selbst wertzuschätzen, ohne anzunehmen, dafür perfekt sein zu müssen?

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Alles gut machen und sich schlecht fühlen?

»Charakteristisch für Menschen, die sich als Perfektionisten bezeichnen, ist zunächst einmal, dass sie sehr hohe Standards und Ansprüche an sich selbst haben. Eine objektive Norm dafür, wie hoch diese Ansprüche sein müssen, um als perfektionistisch bezeichnet zu werden, gibt es nicht. Entscheidend ist vielmehr, dass sie als fordernd für das einzelne Individuum erlebt werden und daher auch das Potenzial haben, als überfordernd wahrgenommen zu werden.«

Christine Altstötter-Gleich, Fay C. M. Geisler

Perfektionismus

Mit hohen Ansprüchen selbstbestimmt leben

BALANCE ratgeber

Christine Altstötter-Gleich, Fay C.M. Geisler

Perfektionismus

Mit hohen Ansprüchen selbstbestimmt leben

BALANCE ratgeber

1. Auflage 2018

ISBN-Print: 978-3-86739-165-8

ISBN-PDF: 978-3-86739-885-5

ISBN-ePub: 978-3-86739-900-5

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© BALANCE buch + medien verlag, Köln 2018

Der BALANCE buch + medien verlag ist ein Imprint

der Psychiatrie Verlag GmbH, Köln.

www.balance-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werks darf ohne Zustimmung des Verlags vervielfältigt, digitalisiert oder verbreitet werden.

Lektorat: Sandra Kieser, Köln

Illustrationen: Claus Ast, Nierstein

Foto, Umschlagkonzeption und -gestaltung: GRAFIKSCHMITZ, Köln, unter Verwendung von Bildern von naoto sonda / shutterstock.com und myshkovsky / istockphoto.com

Zum Schutz von Umwelt und Ressourcen wurde für dieses Buch FSC-zertifiziertes Papier verwendet.

Die Materialien zu diesem Buch können Sie unter www.balance-verlag.de/buecher/detail/book-detail/perfektionismus.html herunterladen und ausdrucken.

Einleitung

Perfektionismus – was genau ist das eigentlich?

Normaler und neurotischer Perfektionismus

Oder warum es gesünder ist, dem Misslingen nicht mehr Aufmerksamkeit zu schenken als dem Gelingen

Positiver und negativer Perfektionismus

Oder warum es gesünder ist, Erfolg haben zu wollen, als zu versuchen, Misserfolge zu vermeiden

Zwischenfrage:

Normalen oder positiven Perfektionismus – gibt es das überhaupt?

Klinisch relevanter Perfektionismus

Oder warum das Festhalten an hohen Ansprüchen zum Problem werden kann

Zwischenfrage:

Sind die Ansprüche von klinisch relevanten Perfektionisten zu hoch?

Gesunder und ungesunder Perfektionismus

Oder unter welchen Bedingungen anspruchsvolle Standards krank machen

Perfektionistische Bedenken

Oder was dazu beiträgt, dass Perfektionismus zum Problem wird

Die Ansprüche anderer

Oder warum nicht nur die Ansprüche an sich selbst zu psychischen Problemen führen können

Fazit

Oder wie man zusammenfassen kann, unter welchen Bedingungen hohe Ansprüche zum Problem werden können

Wie entsteht Perfektionismus?

Nochmal das Wichtigste

Therapie

Woran merken Sie, dass therapeutische Unterstützung notwendig ist?

Therapie? Das brauche ich nicht, ich krieg’ das schon selber hin!

Hilfe zur Selbsthilfe

Zur Erinnerung: Wann wird Perfektionismus zum Problem?

Ein Modell zum problematischen Perfektionismus

In Grautönen denken

Oder warum es für Perfektionisten hilfreich sein kann, ihren ersten Eindruck zu überprüfen

Ich denke, also fühle ich

Oder warum es gut tun kann, die eigenen Gedanken einem Realitätscheck zu unterziehen

Stellen Sie Ihre Ziele auf die Probe

Oder warum es lohnend sein kann, sich mit seinen Zielen etwas genauer auseinander zu setzen

Sich selbst wertschätzen statt zu bewerten

Oder wie es gelingen kann, Selbstwertkontingenzen zu entschärfen

Der unproblematische Perfektionismus

Zum Schluss

Danksagungen

Anhang

Emotionen

Literatur

Über die Autorinnen

Downloadmaterialien

Hoffnung auf Erfolg oder Angst vor Misserfolg – was motiviert Sie?

Vermeidungsverhalten unter der Lupe

Ein Blick zurück in die Kindheit

Nutzen und Kosten meines Perfektionismus

Perfektionismus auf der Waagschale

Nutzen und Kosten einer Veränderung

Wägen Sie Kosten und Nutzen einer Veränderung ab

Das Schwarz-Weiß-Tagebuch

Kriterien für eine depressive Episode

Das Gedankentagebuch

Sieben Fragen zum Realitätscheck Ihrer Gedanken

Alternative Gedanken zu einem Misserfolg

TIC-TOC-Liste

Was will ich wie verändern?

Weil ich es mir wert bin

Informationen zum Selbstwertgefühl

Zum Herunterladen und Ausdrucken unter www.balance-verlag.de/buecher/detail/book-detail/perfektionismus.html

Einleitung

Gibt man den Begriff Perfektionismus in eine Suchmaschine ein, findet man neben Ratgeberseiten, Selbsttests und Buchtipps eine Reihe von Zitaten. Von Aussagen wie der von Konrad Adenauer »Die Krankheit unserer Zeit ist der Perfektionismus« über Willi Brands Einschätzung »Perfektionismus ist ein schreckliches und nicht nur deutsches Laster« bis hin zur Schlagzeile auf dem Cover der Zeitschrift Stern »Lebst du schon? Oder bist du noch perfekt?« wird dabei ein in der Regel alles andere als positives Bild transportiert. Aber ist das auch so? Ist Perfektionismus eine Krankheit, ein Laster oder gar etwas, das uns am Leben hindert? Dieser Frage soll in diesem Buch nachgegangen werden, dessen Umfang allein schon deutlich macht, dass sie nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantwortet werden kann.

Auf der Ja-Seite stehen nicht nur Schlagzeilen und Zitate, sondern auch unzählige Beiträge in Internetforen und der Leidensdruck, den viele Menschen dort ausdrücken, die sich selbst als Perfektionisten bezeichnen, mit ihnen zusammen leben oder arbeiten. Auch vielen Therapeutinnen und Therapeuten ist das Phänomen vertraut und in psychosomatischen Kliniken gehört es nahezu zum täglich Brot, insbesondere dort wo die Behandlung von Depressionen, Burn-Out oder Essstörungen im Vordergrund steht.

Und auf der Nein-Seite? Hier fällt es sehr viel schwerer, Hinweise und Argumente zu finden. Und das gilt nicht nur für das Internet. Auch die Forschung zum Phänomen Perfektionismus zeichnet kein klares Bild, was nicht zuletzt daran liegt, dass es gar nicht so einfach ist, Perfektionismus frei von einer eher negativen Bewertung zu definieren. So beschreibt der Duden ihn als »(leicht abwertend) übertriebenes Streben nach Perfektion«. Erst wenn man auch den Begriff Perfektion nachschlägt, wird deutlich, dass weniger das Streben nach Perfektion das Problem sein könnte, als dessen Übertreibung und (leichte?) Abwertung.

Perfektion, laut Duden die »höchste Vollendung in der [technischen] Beherrschung, Ausführung von etwas« ist dagegen etwas, das wir uns in vielen Bereichen wünschen. Vollendung impliziert Vollkommenheit, Vollkommenheit Fehlerlosigkeit. Wer möchte nicht, dass sein Zahnarzt sein Geschäft perfekt beherrscht, oder diejenigen, die die Flugzeuge bauen, mit denen wir in den Urlaub fliegen? Wo stünden wir, wenn es nicht Menschen gäbe, die beharrlich daran arbeiten, Dinge zu vervollkommnen? Wir würden vermutlich heute noch unsere Wäsche an Flüssen waschen, als Schreibwerkzeuge Meißel und Steinplatten verwenden und Zähne ohne Betäubung mit der Zange gezogen bekommen. Gleichzeitig machen solche Beispiele eines deutlich: Wer Fehler beheben will, muss sie erst mal finden, und wer Lösungen sucht, setzt sich der Gefahr aus, dabei auch mal den falschen Weg einzuschlagen oder gar zu scheitern.

Dass die Stärke, Fehler zu finden, gleichzeitig auch Schwäche sein kann, liegt gerade im Zusammenhang mit dem Bild, das wir von Perfektionisten haben, auf der Hand. Sind das nicht die, die nie mit etwas zufrieden sind? Wie wir sehen werden, ist auch der Umgang mit der Möglichkeit zu scheitern und die Einschätzung der Bedeutung von Fehlern ein Kernelement des Perfektionismus und wesentlich für die Frage, ob Perfektionismus krank macht oder nicht.

Dieser Ratgeber ist von der Idee getragen, dass man der sogenannten »Perfektionismusfalle« nicht zwangsläufig dadurch entkommt, dass man alle fünfe gerade sein lässt, sich weniger anspruchsvolle Ziele setzt oder die Ansprüche an die eigene Leistung tiefer ansetzt. Sicher ist das eine Möglichkeit, aber mit diesem Gedanken ist für viele Perfektionistinnen und Perfektionisten auch die Angst verbunden, als Versager angesehen zu werden, nicht mehr wertgeschätzt zu werden und an Ansehen und Respekt zu verlieren. Der Gedanke, die Dinge nicht mehr so gut wie möglich zu machen, hat für sie etwas Beängstigendes. Angst haben sie aber auch vor dem Scheitern, das umso wahrscheinlicher wird, je höher die selbst gesetzten Ansprüche sind. Vielleicht ist es genau das, was Perfektionisten das Gefühl gibt, in der Falle zu sitzen: Das Gefangensein zwischen der Angst, ihre Ansprüche zu senken und der Angst, den eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden.

Wir haben dieses Buch geschrieben, um Wege aufzuzeigen, diese Ängste oder Bedenken als das zu erkennen, was sie in unseren Augen sind: Hindernisse auf dem Weg, sich selbstbestimmt auch anspruchsvolle Ziele zu setzen und konstruktive Lösungswege für Probleme zu finden, die einem auf dem Weg der Zielerreichung begegnen. Dazu werfen wir zunächst einen Blick in die Forschung zum Thema Perfektionismus. Wir zeigen auf, welche Prozesse daran beteiligt sind, dass Perfektionismus zum Problem wird, welche Wurzeln diese Eigenschaft hat und wie Ihren Problemen therapeutisch begegnet werden kann.

Dieses Buch beschränkt sich jedoch nicht auf die Analyse des Phänomens Perfektionismus. Vielmehr nutzen wir das Wissen über die Probleme, die mit perfektionistischen Tendenzen verbunden sind, um Mittel aufzuzeigen, die es ermöglichen, diesen Problemen zu begegnen. Wir schlagen vor, diesen Ratgeber von vorne durchzulesen. Lesen Sie erst was Perfektionismus ist und wie er entsteht, bevor Sie sich den Übungen zuwenden. Überspringen Sie auch nicht das Kapitel zur Therapie. Es ist ganz bewusst vor der Hilfe zur Selbsthilfe platziert. Ein letzter Tipp: Einige Abschnitte enthalten sehr viele Informationen, die erst einmal verdaut werden müssen. Nehmen Sie sich dafür Zeit. Legen Sie einfach ab und an Lesepausen zum Nachdenken ein und steigen Sie danach wieder ein.

Bei einigen Denkanstößen und Übungen in diesem Buch werden Sie aufgefordert, sich Notizen zu machen oder Fragen zu beantworten. Sie können dies direkt im Buch tun oder sich die jeweiligen Materialien unter www.balance-verlag.de/buecher/detail/book-detail/ perfektionismus.html herunterladen und ausdrucken.

Bevor es los geht, schauen Sie sich doch noch einmal das Bild auf dem Cover an. Sie sehen dort eine Teeschale, die mit der traditionellen japanischen »Kintsugi«-Methode bearbeitet wurde. Die Scherben des zu Bruch gegangenen Stücks werden dazu mit einer Kittmasse wieder zusammengesetzt, die feinstes Pulvergold enthält. Die Technik steht in der Tradition des Zen-Buddhismus und ist Ausdruck der Wertschätzung von Fehlerhaftigkeit. Damit ist diese Schale ein wunderbares Symbol: Fehler kann man nicht vermeiden. Sie zu machen ist etwas zutiefst Menschliches und viel häufiger, als wir vielleicht denken, bringen sie etwas hervor, was eine ganz neue, positive Qualität hat. Zu lernen, sie wertzuschätzen und die Auseinandersetzung mit der eigenen Fehlerhaftigkeit anzugehen, ist ein wichtiger Schritt hin zu dem Ziel, das der Titel dieses Buches anspricht: mit hohen Ansprüchen selbstbestimmt zu leben.

Perfektionismus – was genau ist das eigentlich?

Die systematische Forschung zum Thema Perfektionismus ist relativ jung. Erst 1980 erschien einer der ersten Artikel zu dem Thema im Fachjournal Psychology Today. Der Autor, David Burns, ein inzwischen emeritierter Professor der Stanford University of Medicine, zeichnet darin ein sehr dunkles Bild des Perfektionismus: Ängste und zwanghaftes Verhalten, Depressionen, eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, Selbstmord zu begehen, usw. – die Liste von psychischen Erkrankungen, die für den Pionier der Perfektionismusforschung mit diesem Persönlichkeitsmerkmal einhergehen, ist lang. Ergänzt werden muss sie heute um Ess- und sexuelle Funktionsstörungen, bei denen hohe Ansprüche an den eigenen Körper zu schweren psychischen Beeinträchtigungen führen können. Einen guten, kurz gefassten Überblick zum Zusammenhang zwischen Perfektionismus, körperlicher Gesundheit und psychischen Störungsbildern bietet der Psychotherapeut Nils SPITZER (2016). Auch die australische Psychologin Sarah Egan und ihre Kolleginnen fassen eine Vielzahl empirischer Studien zu den wichtigsten psychischen Störungen zusammen (EGAN u. a. 2011). Sie kommen zu dem Schluss, dass Perfektionismus sowohl ein Risikofaktor ist für das Entstehen so unterschiedlicher psychischer Erkrankungen wie Anorexie und Bulimie, Angst- und Zwangserkrankungen oder Depressionen und Selbstmordneigung, als auch ein wichtiger Faktor, der diese Störungen aufrechterhält.

Um zu verstehen, warum Perfektionismus ein Risiko für das physische und psychische Wohlergehen ist, und um daraus geeignete Maßnahmen abzuleiten, um den negativen Konsequenzen zu begegnen, ist es sinnvoll und notwendig, »den« Perfektionismus genauer zu betrachten. Schließlich erkranken ja nicht alle Menschen, die Perfektion erreichen wollen, sondern sie werden auch zu Erfindern, deren Erkenntnisse und Produkte unser Leben bereichern, zu Spitzensportlern, deren Leistungen wir bewundern, oder zu Künstlern, deren Können uns Freude macht und Respekt abverlangt.

Normaler und neurotischer Perfektionismus

Oder warum es gesünder ist, dem Misslingen nicht mehr Aufmerksamkeit zu schenken als dem Gelingen

Zwei Jahre vor David Burns beschreibt Don HAMACHEK (1978) von der University of Michigan Perfektionismus etwas differenzierter als dieser. Er unterscheidet zwischen einem normalenPerfektionismus und einem neurotischen Perfektionismus. Beide Formen des Perfektionismus haben gemeinsam, dass sich Menschen mit einer hohen Ausprägung in diesen Merkmalen sehr anspruchsvolle Ziele setzen. Um diese zu erreichen, sind sie bereit, große Anstrengungen auf sich zu nehmen. »Normale« Perfektionisten ziehen dabei aus ihrem Streben nach exzellenten Leistungen ein Gefühl von Befriedigung. Sie freuen sich über Erfolge, stärken so ihr Selbstwertgefühl. Bei »neurotischen« Perfektionisten ist das nicht der Fall. Sie empfinden nur selten Befriedigung über ihre Leistungen, weil sie kaum jemals etwas als gut genug beurteilen. Nach ihrer Einschätzung gibt es immer noch Spielraum für Verbesserungen, ist da immer noch etwas, das sie hätten besser machen können oder sollen.

Bringt man die Annahmen von Hamachek auf den Punkt, kann man sagen, dass die Aufmerksamkeit von »normalen« Perfektionisten auf das Gelingen dessen was sie tun gerichtet ist und auf das, was erforderlich ist, um Erfolg mit dem zu haben, was sie tun. Kleine Abweichungen von einem vollkommenen, idealen oder eben perfekten Ergebnis können so leichter akzeptiert werden oder werden sogar zum positiven Anreiz, sich noch ein bisschen mehr zu bemühen. Gleichzeitig ist der Blick auf das, was gelungen ist, Belohnung für die Mühen, macht stolz und trägt so zu einer Stärkung des Selbstwertgefühls bei.

»Neurotische« Perfektionisten richten ihre Aufmerksamkeit dagegen eher auf alles, was darauf hindeuten könnte, dass etwas nicht gelungen ist und auf das, was auf ein mögliches Scheitern hinweist. Dabei ist ihre Perspektive häufig durch ein ausgeprägtes Schwarz-Weiß-Denken geprägt. Pointiert ausgedrückt hat unter dieser Perspektive kaum etwas die Chance, als gelungen angesehen zu werden: selbst kleine Abweichungen werden registriert und als Hinweis auf ein Scheitern der eigenen Bemühungen interpretiert.

Damit keine Missverständnisse entstehen: Es ist wichtig, dass wir in der Lage sind, Fehler zu erkennen. Ohne diese Fähigkeit würden wir uns und anderen viel Schaden zufügen und ohne zu erkennen, was nicht optimal ist, wäre sozialer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Fortschritt nicht denkbar. Aber es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, dass eine zu starke Fokussierung auf die Defizite unseres Handelns kein Gefühl der Belohnung für die unternommenen Anstrengungen nach sich zieht, dass statt Stolz eher Schuld und Scham über das subjektive Versagen empfunden wird und dass dieses Erleben das Selbstwertgefühl eher schwächt als stärkt.

BOX 1 Wahrnehmungsübung Positiv-Negativ

Suchen Sie sich einen Platz in Ihrer Wohnung, an dem Sie sich wohlfühlen. Das kann Ihre Lieblingsecke in der Küche sein, ein Sessel oder Sofa, Ihr Bett oder auch Ihre Badewanne. Machen Sie es sich gemütlich, wo auch immer das ist und was auch immer Sie dazu brauchen. Fühlen Sie in sich hinein und nehmen Sie Ihre positiven Gefühle bewusst wahr.

Richten Sie dann Ihr Augenmerk auf Ihre Umgebung und überlegen Sie, was dort alles verändert werden müsste. Sollten vielleicht die Blumen gegossen oder überhaupt mal wieder welche gekauft werden? Hängt da vielleicht ein Bild ein bisschen schief oder würde es an einem anderen Platz besser wirken? Müsste der Boden vielleicht mal wieder gesaugt oder gewischt werden oder bräuchte das Zimmer eigentlich bald mal einen neuen Anstrich? Usw.

Schnell werden Sie merken, dass Ihr anfängliches Wohlgefühl verschwindet, vielleicht sogar einem Unbehagen weicht oder einem Gefühl der Anspannung. Deshalb sollten Sie die Übung auf keinen Fall zu lange ausdehnen. Es geht dabei ja nicht darum, Ihnen Ihren Lieblingsplatz zu vergällen. Vielmehr soll deutlich werden, wie schnell ein positives Gefühl verfliegen kann, wenn man die Aufmerksamkeit auf Defizite richtet.

Ja, es stimmt, bei genauerer Betrachtung kann vieles optimiert werden. Wenn uns nicht auffallen würde, dass unsere Pflanzen Wasser benötigen oder der Teppich mal wieder eine Runde Saugen vertragen könnte, würde dies auf Dauer sicher auch nicht zu unserem Wohlbefinden beitragen. Aber seine Aufmerksamkeit zu stark auf das zu richten, was verbessert werden könnte, führt auf Dauer zu einem Übermaß an negativen Gefühlen und zu Anspannung. Es ist für unser Wohlbefinden wichtig, die positiven Aspekte einer Situation nicht aus den Augen zu verlieren. Schließen Sie die Übung daher damit ab, dass Sie sich bewusst auf das konzentrieren, was Ihnen in Ihrem Umfeld gefällt. Sie können anschließend auch Ihre Blumen gießen oder den Boden putzen. Vergessen Sie aber auf keinen Fall, sich dann an dem Ergebnis zu freuen!

So kann als erster Faktor, der dazu beiträgt, dass man an seinen hohen Ansprüchen an sich selbst erkrankt, eine Tendenz festgestellt werden, seine Wahrnehmung zu stark auf mögliche Fehler und Defizite zu richten. Vor allem die Folgen für das eigene emotionale Erleben sind hierbei problematisch. Wenn Sie wollen, können Sie mit der Übung in Box 1 versuchen, sie am eigenen Leib zu spüren.

Positiver und negativer Perfektionismus

Oder warum es gesünder ist, Erfolg haben zu wollen, als zu versuchen, Misserfolge zu vermeiden

Peter SLADE und Glynn OWENS (1998) haben sich auch damit befasst, was Menschen, die unter ihren hohen Ansprüchen leiden, von denen unterscheidet, die gut damit zurechtkommen. Sie gehen ebenfalls davon aus, dass es zwei Arten von Perfektionismus gibt: positiven Perfektionismus und negativen Perfektionismus. Wie Hamachek sehen auch sie einen wesentlichen Unterschied der beiden Arten des Perfektionismus in der Bedeutung von Gelingen bzw. Erfolg und Scheitern bzw. Misserfolg für das Verhalten und Erleben. Sie stellen dabei zwei grundsätzlich unterschiedliche Motive in den Vordergrund, die dem für Perfektionisten typischen Setzen hoher Standards zugrunde liegen: den Wunsch, damit positive Konsequenzen zu erlangen, versus den Wunsch, damit negative Konsequenzen zu vermeiden.

Positive Perfektionisten setzen sich nach Slade und Owens anspruchsvolle Ziele, um Erfolg zu haben. Erfolg sichert ihnen das, was in der Psychologie positive Verstärkung genannt wird und umgangssprachlich am besten als Belohnung bezeichnet werden kann. Es kann sich dabei um Lob oder Anerkennung handeln oder auch um ein hohes Einkommen, das es einem erlaubt, sich den einen oder anderen Wunsch zu erfüllen. Wie Hamachek gehen sie davon aus, dass positiver Perfektionismus mit positiven Gefühlen verbunden ist, die sich bei einem Erfolg einstellen: Befriedigung, Freude, ja sogar Euphorie. Misserfolge rufen bei ihnen zwar durchaus negative Gefühle hervor, aber diese sind nicht übermäßig ausgeprägt und legen sich relativ schnell wieder. Frei nach dem Motto »Jetzt erst recht!« können sie sogar zum Ansporn werden, es beim nächsten Versuch besser zu machen und aus möglichen Fehlern zu lernen.

Negative Perfektionisten setzen sich ebenfalls anspruchsvolle Ziele. Diese dienen jedoch dazu, sich vor Misserfolgen zu schützen. Sie empfinden die Möglichkeit zu scheitern als hochgradig aversiv und versuchen, alles so gut wie irgend möglich zu machen, um ein Scheitern zu vermeiden bzw. zu verhindern. Ihr Verhalten und Erleben ist in Situationen, in denen es ihnen wichtig ist, etwas zu erreichen, geprägt von der Angst zu versagen. Angst ist per se ein wichtiger Motor und nicht grundsätzlich negativ. Sie schützt uns z. B. davor, uns in Gefahr zu begeben. Aber das Ausbleiben von Gefahr führt nicht zu positiven Gefühlen, sondern »nur« dazu, dass uns negative Gefühle erspart bleiben. Das perfektionistische Verhalten wird dadurch negativ verstärkt