Perry Rhodan 3226: Die Exegeten - Michelle Stern - E-Book

Perry Rhodan 3226: Die Exegeten E-Book

Michelle Stern

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Beschreibung

Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Wie es aussieht, könnte Perry Rhodan, der als erster Mensch von der Erde auf Außerirdische gestoßen ist, sich endlich seinem großen Ziel nähern: der alte Traum von Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmung ein, man arbeitet intensiv und gleichberechtigt zusammen. Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit. Doch ES weilt nicht mehr in der Galaxis – das Geisteswesen scheint in ungezählte Fragmente zersplittert zu sein, die sich in verborgenen Fragmentrefugien ballen. Diese Refugien zu finden und die Fragmente wieder zu vereinen, ist Rhodans Ziel. In der Galaxis Morschaztas unweit Gruelfin befindet sich das erste Fragment, aber seine Wächter sind keineswegs bereit, es freizugeben. Rat wissen womöglich DIE EXEGETEN ... Dieses Material ist möglicherweise urheberrechtlich geschützt.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Nr. 3226

Die Exegeten

In einem Habitat aus Raumschiffswracks – sie lieben das Lösen von Rätseln

Michelle Stern

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Intrigant

2. Deponentin

3. Kommandantin

4. Thola

5. Krauck

6. Erstdenkerin

7. Optimiererin

8. Arkonide

9. Retterin

10. Kosmopsychologe

11. Pedotransferer

12. Exegeten

13. Zerebralbewahrer

14. Thornek

Stellaris 93

Vorwort

»Laichberechtigung« von Marie Erikson & Robert Corvus

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Wie es aussieht, könnte Perry Rhodan, der als erster Mensch von der Erde auf Außerirdische gestoßen ist, sich endlich seinem großen Ziel nähern: der alte Traum von Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmung ein, man arbeitet intensiv und gleichberechtigt zusammen.

Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit.

Doch ES weilt nicht mehr in der Galaxis – das Geisteswesen scheint in ungezählte Fragmente zersplittert zu sein, die sich in verborgenen Fragmentrefugien ballen. Diese Refugien zu finden und die Fragmente wieder zu vereinen, ist Rhodans Ziel. In der Galaxis Morschaztas unweit Gruelfin befindet sich das erste Fragment, aber seine Wächter sind keineswegs bereit, es freizugeben. Rat wissen womöglich DIE EXEGETEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

Shema Ghessow – Die Mutantin lernt die Thola kennen.

Atlan da Gonozal – Der Unsterbliche sorgt vor.

Sichu Dorksteiger – Die Wissenschaftlerin will Rätsel lösen.

Gondola Daubt – Die Swoon stößt auf Exegeten.

Kinur, der Schatten

Es ist ein Segen,

dass in jedem Zeitalter

jemand ausreichend Individualität

und genug Mut hatte,

um zu seinen eigenen Überzeugungen

zu stehen.

Ferdinand Magellan

1.

Intrigant

Ein unangenehm stechendes Aroma lag in der Luft. Es war die zum Geruch gewordene Angst des Gefangenen, die als Duftwolke in Kinurs Quartier hing. Nie zuvor hatte es eine solche Ausdünstung an Bord der GURTHASCHAT gegeben. Neue Wege verlangten neue Erfahrungen.

Kinur beobachtete den Thola, der – gehalten von einem Fesselfeld – viel aufrechter in der roten Sitzgruppe saß, als es Tholas sonst taten. Würde Kinur endlich einen Durchbruch erreichen und den Willen des störrischen, die Perfektion beleidigenden Kerls brechen?

»Thatharou ...«, sagte Kinur sinnend. Es war ein Name, der ihn, den Panjasen und ehemaligen Hüter der Vanoumswacht, kalt ließ. Doch der Thola, den Kinur in seiner Gewalt hatte, empfand das sicher anders. »Vermisst du sie?«

Der Name des Gefangenen lautete Thassum. Er hatte den typischen, zierlichen Körperbau der Thola und war gut zweieinhalb Meter hoch. Der abgeflachte, an den Seiten wie zusammengepresst wirkende Kopf war vollkommen kahl. In der dunkelbraunen Haut zeigte sich links und rechts je die Hälfte einer Besonderheit: das Haruum. Die beiden grau schimmernden Kontaktflächen saßen seitlich an den Schläfen und machten die Thola zu dem, was sie waren: besondere Ärgernisse für Kinur und die Panjasen.

Ohne diese Kontaktorgane hätte Kinur längst tun können, was notwendig war. Er hätte die Thola zur wahren Schönheit führen können. Sie fristeten ihr Dasein außerhalb des Großen Ganjats und waren kein Teil des erhabenen Reiches der Ewigen Ganja. Kinur wollte das ändern. Es war sein erster Auftrag, den ihm Viyesch, die Ewige, das Licht der Panjasen, seit dem Verlassen des Ganjavanoums gegeben hatte.

»Tha-tha-rou ...«, wiederholte Kinur und dehnte dabei jede einzelne Silbe. »Für eine Thola ist sie attraktiv nicht wahr? Ihre Haruumsflächen sind ungewöhnlich groß. Erinnerst du dich, wie es war, sich mit ihr zu vereinen?« Er machte eine nachlässige Handbewegung, die das vorbereitete Holo aktivierte.

Ein überlebensgroßes Bild leuchtete vor der Sitzgruppe in der Luft auf und zeigte Thatharou, die Erstdenkerin der Thola. Thatharou war einen halben Meter größer als Thassum und schaute mit großen, grauen Augen unruhig von links nach rechts. Sie wusste nicht, dass sie beobachtet wurde. Noch hatte Kinur keinen offiziellen Kontakt hergestellt.

Neben Thatharou wartete ein zierlicher Panjase mit langen, braunen Haaren, der wie ein Tänzer wirkte. Er trug aufwendig gearbeiteten Schmuck am Hals und an den Handgelenken, wie er im Verwertungshof der Thola aus den Panzern der Krauck gefertigt wurde. Selbstverständlich. Omporon, der Obligatorische Mentor der Thola, biederte sich gern an.

Kinur wandte sich seinem Gefangenen zu. »Du willst zu ihr zurück, nicht wahr?«

Thassum konnte nicht antworten. Durch die Art der Fixierung war es ihm unmöglich zu sprechen.

Kinur hatte keine Antwort erwartet. Er wollte Thassum weichklopfen, sein Haruum zum Schwingen bringen, wie die Thola es nannten. Tatsächlich pulsierten die beiden grauen Nervenkontaktflächen am Kopf des Gefangenen bei Thatharous Anblick stärker als zuvor.

Zufrieden lächelnd setzte Kinur sich und stellte die Verbindung her. Thatharou konnte nur ihn sehen, wie er auf seiner Hälfte der Sitzgruppe in den weichen, dunkelroten Polstern saß. Hinter ihm flimmerte die goldene Wand sinnverwirrend. Er wusste, dass die Thola solche Eindrücke nervös machten. Normalerweise umgaben sie sich nur mit dem Nötigsten, um ihre empfindlichen Sinne zu schonen. Ihre Station, der Verwertungshof AMATHUMA, war ein Inbild von Kargheit und Zurückhaltung.

Thatharou befand sich im Ausstellungsraum des Verwertungshofs, dem Saal der Findungen, der im Widerspruch zu dieser Einstellung zu stehen schien. Dieser Saal erinnerte Kinur an den Palast der erhabenen Ganja. Er war dank des Obligatorischen Mentors Omporon entstanden. In diesem Saal stellten die Thola die schönsten ihrer mentalen Entdeckungen aus. Selbst die Ewige Ganja war von der hohen Qualität der gefertigten Werke entzückt. Sie hatte sich bereits Kopfschmuck von den Thola fertigen lassen. Deshalb ging sie viel zu nachsichtig mit den störrischen Exegeten um.

Aber nun war Kinur da. Er würde es richten und die Thola auf den Weg bringen, auf den sie gehörten: hinein in das Reich der Panjasen, als wertvolle Mitglieder einer großen Gemeinschaft.

Kinur aktivierte die Verbindung und zwang sich zu einem Lächeln. Wenigsten war die Thola nicht so hässlich wie das Wesen, mit dem er es vor einiger Zeit zu tun bekommen hatte: einem Haluter. »Thatharou!«, rief er aus. »Ich freue mich, dass du meiner Bitte zu einem Gespräch nachkommst.«

Thatharou bewegte die langen, schlanken Finger als wollte sie nach etwas greifen. Sie schien nervös zu sein. »Natürlich, Sicherheitsgesandter der Ewigen Ganja. Was kann ich für dich tun?«

»Du hast mich gebeten, die Augen nach deinem verschwundenen Freund offen zu halten.«

Die sich nervös bewegenden Finger hielten inne. »Thassum? Hast du ihn gefunden?«

Thassum war ein Tüftler, der sich ein eigenes Raumschiff gebaut hatte. Eine winzige Nussschale, die er besser nicht selbst getestet hätte. Doch er hatte es getan und war in Raumnot geraten. Kinur hatte ihn gerettet – und zu seinem Gefangenen gemacht.

»Leider nein«, sagte Kinur bedauernd. »Doch ich werde weitersuchen. Es gibt eine Spur, der ich nachgehe. Vielleicht ein tholaisches Notsignal. Es kann sein, dass Thassum schon bald zu dir zurückkehrt.«

»Das wäre wunderbar!«

»Ich melde mich, sobald ich mehr weiß.« Kinur beendete die Verbindung und drehte sich zu Thassum um.

Das kurze Gespräch hatte die gewünschte Wirkung erzielt. Das Haruum des Gefangenen pulsierte heftig.

»Und?«, fragte Kinur. »Willst auch du bald gerettet werden?« Er desaktivierte einen Teil des Fesselfelds, sodass Thassum sprechen und den Kopf bewegen konnte. Die Haruumsteile pulsierten nun schneller.

»Du Daschuth!«, rief Thassum. »Wie kannst du nur! Thatharou braucht mich! Hast du nicht gesehen, wie blass sie ist? Ich muss zu ihr zurück, ehe sie krank wird und das Huutha bekommt!«

»Und ich möchte, dass du zu ihr zurückkehrst! Ich bin kein Daschuth, kein Monster aus deinen primitiven Märchen. Du hättest längst gehen dürfen, wenn du dich mir geöffnet hättest! Du bist derjenige, der den Fortschritt blockiert.«

»Du willst ein Einfallstor in mein Gehirn! In mein Heiligstes!«

»Nur vorübergehend. Und nur, wenn du mich zwingst. Wenn du freiwillig tust, was auf der Station zu tun ist, rühre ich dein Gehirn nicht an. Sei vernünftig! Ihr braucht ein neues Sicherheitssystem, und ihr müsst euch endlich der Idee der Vollkommenheit öffnen.«

»Deine Idee von Vollkommenheit ist eine Kette! Du solltest sie sprengen. Sie macht dich zu einem Sklaven. Einem Vehikel für etwas, das dich lenkt.«

Kinur lachte. »So spricht der Blinde. Auch du wirst es noch erkennen. Also, was ist nun? Arbeiten wir zusammen, oder zwingst du mich, in dein Allerheiligstes vorzudringen?«

Thassums Schultern zuckten. »Du willst wirklich einen chirurgischen Eingriff vornehmen?«

»Eine minimale Optimierung. Kaum der Rede wert.«

»Ich lasse mich nicht erpressen!«

Kinur seufzte. »Schade. Ich hatte so sehr gehofft, Thatharou zu sehen, könnte dich umstimmen. Denk an ihre Gesundheit! Wie du es selbst sagtest: Sie braucht dich!«

»Ich bin ein Thola! Warum sollte ich mich von dir fremdbestimmen lassen?«

»Vielleicht, weil ich dich in meiner Gewalt habe?«

»Mein Geist ist frei. Ich bin kein Sklave wie du! Was mit Thatharou geschieht oder nicht geschieht, hast allein du zu verantworten!«

Kinur stand auf. »Ich respektiere deine Stärke. In ihr liegt Schönheit. Doch das war mein letztes Angebot. Ich habe einen Auftrag erhalten. In Kürze schon werde ich helfen, ein Schiff aufzubringen. Eines aus einer anderen Galaxis, weit fort von Gruelfin. Mindestens zwei Unsterbliche sind an Bord. Der Name des Raumers ist MAGELLAN. Klingt das nicht exotisch? Es ist thorn.«

Beim Wort »thorn« zuckte Thassum erneut, doch dieses Mal lag ein wehmütiger Ausdruck auf seinem flachen Gesicht. Die kleine Nase wirkte wie die eines Tiers, das witterte. Die Mimik kam Kinur primitiv vor und widerte ihn an.

»Vielleicht ...«, sagte Kinur mit gesenkter Stimme, »gibt es sogar etwas an Bord, das thark ist.«

Dieses Wort war wie eine eiskalte Dusche, die sich unerwartet über Thassum ergoss. Der Thola schüttelte den Kopf, stieß dünne Laute aus.

»Ja«, bestätigte Kinur. »Du wirst dabei sein, wenn die Thola dieses fremde Schiff erforschen und ihm seine Geheimnisse entreißen. Und du wirst die anderen in meinem Sinn lenken. Ob du willst oder nicht. Mach es dir leichter! Arbeite mit mir zusammen!«

An Thassums störrischem Gesichtsausdruck mit den zusammengekniffenen, schwarzgrauen Augen und den aufeinandergepressten Lippen las Kinur die Antwort ab. Er spürte Bedauern. Es wäre ihm ein Fest gewesen, den Thola auf seine Seite zu ziehen. »Also gut. Dann soll es so sein. Ich werde dein Gehirn optimieren lassen. Bald werden wir einander besser kennen als du und Thatharou.«

Thassum wurde blass, doch seine Lippen blieben zusammengekniffen. Er würde der störrische Thola bleiben, der er nun einmal war. Ein Gegner der Schönheit, der wahrer Perfektion im Weg stand. Verblendet und unreif. Aber das würde Kinur nicht aufhalten.

2.

Deponentin

Rotes Lichtgewitter blitzte in der Zentrale der MAGELLAN und tanzte über die konzentrierten Gesichter der Besatzung. Mehrere Sesselpulks hatten sich umgruppiert und waren im Gefechtsmodus nah aneinandergerückt, sodass eine Unterhaltung auch ohne technische Mittel leicht wurde.

Sie waren auf der Flucht, entfernten sich mit einem Beschleunigungsvermögen von 250 Kilometern pro Sekundenquadrat von dem Blauen Überriesen, den sie Vater Indigo getauft hatten. Die hyperschnellen Orter und Taster konnten jeden Moment anschlagen und die gespannte Ruhe in der Zentrale zerreißen.

Die MAGELLAN war langsam im Vergleich zu ihren Jägern. Es standen ihnen bange Minuten bevor, ehe der Ultratender die halbe Lichtgeschwindigkeit erreichen konnte. Erst dann war ein Eintauchen in den Linearraum möglich.

Shema Ghessow war froh, dass der Alarm, den Perry Rhodan ausgerufen hatte, auf stumm geschaltet war. Ihre Nerven lagen blank, selbst ohne heulendes Gejaule, das jedes Wort zu übertönen drohte. Sie erinnerte sich mit einem Schaudern an die Zeit, in der die Panjasen die MAGELLAN beherrscht hatten. Keine zwanzig Meter von der Wissenschaftsstation entfernt hatten Techniker und Roboter einen Bereich komplett ersetzt, wegen der Schäden, die bei der Explosion einer panjasischen Hypertronik entstanden waren.

Während Perry Rhodan, Atlan da Gonozal und Mirabelle Eden heftig auf dem COMMAND-Podest diskutierten, versuchte Shema Ghessow sich auf den Asen Alschoran in seinem rot-blauen Schutzanzug zu konzentrieren. Der Galaktische Kastellan stülpte sich eine SEMT-Haube über die brünetten Haare. Er setzte sich und griff nach einer glatten, unpolierten Eisenkugel, die neben ihm auf einem Antigravfeld schwebte.

Der Gegenstand wirkte unscheinbar, beinahe banal, und doch sorgte er dafür, dass Shema flau im Magen wurde. Das war womöglich – schließlich stammte er von Aschvalum, dem gegenwärtigen Sitz eines ES-Fragments – eine Hinterlassenschaft von ES, einem Wesen, das die Geschicke der Menschheit immer wieder beeinflusst hatte und sich als Freund, Helfer, Retter, aber auch eine sehr große Herausforderung immer wieder in den Vordergrund der terranischen und galaktischen Geschichte drängte. Sie hatten das Artefakt vor der Vernichtung gerettet, und nun versuchte Sichu Dorksteiger es mithilfe eines Teams zu entschlüsseln. Dann würde sich zeigen, inwiefern es tatsächlich mit ES zusammenhing oder ein völlig anderer Hintergrund damit verknüpft war.

Weil die SAN ANTONIO ein verräterisches Hypersignal aussendete, das die Panjasen orten konnten, drängte die Zeit. Sie mussten das Rätsel der Eisenkugel lüften. Die Panjasen hatten wohl schon seit Jahrhunderten versucht dieses Rätsel auf der geheimnisvollen Welt des ES-Fragments zu lösen. Oder waren sie dabei übervorsichtig gewesen? Hatten sie wirklich alles getan? Oder fehlte ihnen letzten Endes der Mut, womöglich etwas daran zu verändern, was sie als Basis ihrer Macht betrachteten?

Shema sah, wie Alschoran die Kugel fester berührte und zusammenzuckte. Das Artefakt hatte einen Effekt auf diejenigen, die es hielten. Vielleicht hatte es die Panjasen beeinflusst? Aber selbst, wenn ... warum sollte es sich ausgerechnet ihnen öffnen und nicht den Bewohnern dieser Galaxis? Die Mentalsubstanz von ES machte die Panjasen zu dem, was sie waren. Wieso hatte sich das Artefakt ihnen nie enthüllt?

Die Gedanken halfen Shema, eine weitere Minute angespannten Wartens zu überbrücken. Sie strich sich nervös über die raspelkurzen, hellblonden Haare.

Antanas Lato war auf einem Nebenholo zuschaltet. Der Dimensiologe arbeitete gemeinsam mit dem Haluter Gno Seppter an einem anderen Problem. Während Gno Seppter den Sender in der Schiffshülle der SAN ANTONIO suchte, prüfte der Wissenschaftler, ob der höherdimensionale Schirm, in den sie die MAGELLAN gehüllt hatten, ausreichend Schutz bot. Bisher schien es so, als würden trotz des Schirms vereinzelt Signale nach außen dringen. Dabei nutzten die hoch entwickelten Peilsignale die Hülle selbst. Das war umso unerfreulicher, weil es bedeutete, selbst nach einer Flucht im Linearraum nicht sicher zu sein.

Der Überlichtfaktor lag bei maximal einer Million mit einer Etappenweite von 5000 Lichtjahren. Die Panjasen waren schneller. Sie würden dem Signal dorthin folgen, wo die MAGELLAN aus dem Linearraum austrat.

»Fühlst du etwas?«, fragte Sichu Dorksteiger mit einer Gelassenheit, als wären sie auf Terra irgendwo in einem Park während der kontrollierten Schönwetterphase. Ihr hellgrünes Gesicht zeigte mit keinem einzigen Muskel, wie gefährlich die Situation war.

Alschoran schüttelte unter der SEMT-Haube den Kopf. Er kniff die braunen Augen zusammen, als hätte Sichu etwas Unpassendes gesagt. »Meine Gabe ist nicht emotional.«

»Das weiß ich.« Sichu tippte in ein taktiles Holobild, in dem sie die Verbindung von Alschoran mit der Bordpositronik ELCANO justierte. »Aber diese Eisenkugel ist anders als alles, mit dem du bisher zu tun hattest. Achte auf jede Abweichung und jede noch so unbedeutende Empfindung.«

Alschoran schloss die Augen. Er versuchte wie vorab besprochen mit der Kugel Kontakt aufzunehmen. Dabei nutzte er seine Gabe als Semi-Pedotransferer. Es war ihm möglich, andere Lebewesen mental zu übernehmen.

Ob er damit mehr Erfolg hatte als die Sextatronik der RA und die Semitronik ELCANO? Bisher hatten sich das Gegenüber und das Bordgehirn der MAGELLAN an dem Artefakt die Schaltkreise müde gerechnet.

Es war Sichus Idee gewesen, die Parabegabten einzusetzen. Damar Feyerlant, der sich bestens mit Biopositroniken verstand, hatte es zuerst versucht. Nun war Alschoran als Pedotransferer an der Reihe. Was sie, Shema, beitragen sollte, war ihr unklar. Trotzdem war sie Sichus Ruf sofort gefolgt.

»Dieses Artefakt hat keinen Geist, den ich übernehmen könnte«, stellte Alschoran fest. »Aber ... Da ist auch nicht ... nichts.«

»Beschreib es genauer!«, forderte Sichu.

Alschoran zögerte. »Vielleicht ist es ein Hauch, der von ES darin steckt. Eine Art Präsenz. Vage. Sehr weit weg. Ich nehme sie gerade zum ersten Mal auf diese Weise wahr. Vorher hat sie mich lediglich zum Erschauern gebracht.«

Die SEMT-Haube auf Alschorans Kopf zeichnete das Experiment genauestens auf. Sie verdeckte die Insigne an der Schläfe des Asen, die wie ein Teil von Alschoran wirkte und ihn als Galaktischen Kastellan auswies. Als Mitglied einer speziellen, von ES installierten Eingreiftruppe zum Schutz der Milchstraße als zentralem Bestandteil seiner Mächtigkeitsballung.

Sichu tippte mit den Fingern auf die Sitzlehne ihrer bequemen, mobilen Einsatzstation. »Das habe ich vermutet.«

Alschoran zog die Augenbrauen zusammen. »Was bedeutet das? Enthältst du uns Informationen vor?«

»Ich bin Wissenschaftlerin«, antwortete Sichu trocken. »Ich versuche euch so wenig wie möglich zu beeinflussen. Je mehr Informationen ich euch vorab gebe, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Vorerwartungen habt, die das Ergebnis manipulieren.«

»Welche Vermutung hast du?«, fragte Shema nach. Sie berührte den Ring an ihrer Hand, den ihr Damar geschenkt hatte. Die kleine Geste beruhigte sie. Sie hatten eine weitere Minute überbrückt und würden bald in den Linearraum eintreten können. Hoffentlich fand sie dann ihren Seelenfrieden wieder. Lag es überhaupt allein an der gefährlichen Situation, in der sie wegen des Peilsenders steckten? Oder lag der Grund deutlich näher, sozusagen direkt vor ihrer Nase? Je länger Shema die eiserne Kugel betrachtete, desto schlechter fühlte sie sich.

Die goldenen Linien und Punkte auf Sichus hellgrüner Haut schienen sich zu bewegen, während sie die Stirn runzelte. Als sie sprach, schimmerte eine neue Welle von Warnlichtern auf ihren goldenen Zähnen. »Ich glaube, diese Kugel öffnet sich keiner Maschine. Weder eine Positronik noch ein Gegenüber werden ihr Geheimnis lüften. Das Wissen, das darin verborgen liegt, muss sich in einem biologischen Gehirn erschließen. So viel jedenfalls vermuten ich, ELCANO und das Gegenüber. Noch ist diese These allerdings nicht bestätigt.«

Shema rückte ihren Sitz ein Stück von Sichu und Alschoran fort. »Da kann ich wenig helfen. Oder soll ich mit dem Ding in den Hyperraum gehen?«

»Warum nicht?«, fragte Sichu.

Shema zögerte. Sie spürte einen Widerwillen, der sie von der Eisenkugel forttrieb. In diesem winzigen Ding schien eine Naturgewalt zu liegen, die ihr zum Verhängnis werden konnte. Es war, als würde Shema einen Wirbelsturm in weiter Ferne sehen, dem sie sich um keinen Meter nähern wollte. »Ich denke kaum, dadurch helfen zu können.«

Die Stimme von Oberst Mirabelle Eden wurde so laut, dass sie das Gespräch an der Wissenschaftsstation unterbrach. Auch in den anderen Stationen wurde es schlagartig ruhig.

»Wir müssen eine Entscheidung treffen!«, forderte die Kommandantin der MAGELLAN. Ihr herbes Gesicht wirkte älter und strenger als noch vor wenigen Minuten. »Sofort! Ich sage, dass wir die SAN ANTONIO vollständig evakuieren und zurücklassen. Sie ist hier an Bord ein viel zu großes Sicherheitsrisiko! Es tut mir leid, Chimamanda, aber wir müssen das Schiff aufgeben!«

Shema wandte sich dem COMMAND-Podest rechts der Wissenschaftsstation zu. Dort standen Mirabelle Eden, Perry Rhodan und Atlan. Im mittleren Sitz, in der Reihe vor der ersten Riege des Schiffs, ragte der Posbi Dynsweiler auf. Der Pilot war der Einzige, der sich nicht zu Mirabelle Eden und den beiden Aktivatorträgern umdrehte.

Chimamanda Schott, die im Holo zugeschaltete Kommandantin der SAN ANTONIO, machte ein Gesicht, als hätte sie gerade in ein epsalisches Bitterbrot gebissen. Ihre langen, schwarzen Flechtzöpfe schwangen wie die einer Boxerin, die auf den Zehen tänzelte. »Ich weiß ja, dass wir mehreren Blutstropfenraumern der Panjasen hoffnungslos unterlegen wären. Aber bekommen wir dieses Problem mit dem Signal wirklich nicht in den Griff?«

Die Frage ging an Antanas Lato, der nun als Holo zugeschaltet war. Der Wissenschaftler hielt sich wieder einmal auf der RA auf, seinem Lieblingsort. Obwohl er hochgewachsen war, machte er den Eindruck, klein zu sein. Er schien sich im Innern der Kastellan-Kapsel verstecken zu wollen.

»Nun ...« sagte Antanas Lato, »... es scheint; als wäre der Sender ausgesprochen mobil und flexibel organisiert. Bisher zeitigt das Perforieren der äußeren Umhüllungsschicht der SAN ANTONIO keine nennenswerten Ergebnisse.«

»Der Haluter zerfetzt mein Baby also umsonst«, übersetzte Chimamanda Schott. Ihre dunklen Lippen bildeten nach den Worten einen ungewohnt schmalen Strich.

»Äh, ja.« Lato blickte nervös zur Seite, als stünde Gno Seppter neben ihm. »Ich fürchte ... hm ... wir sind am Ende unserer Optionen. Jedenfalls in Anbetracht der eklatanten Umstände. Die Zeit gerinnt und trocknet uns aus, wie eines dieser ökologischen Gebiete, in denen die Erde ständig feucht ist und der Boden ...«

»Schon gut!«, unterbrach Atlan. »Wir haben es verstanden, Lato!« Der weißhaarige Arkonide sah Perry an. »Was denkst du, terranischer Barbar? Gäbe es nicht eine bessere Lösung?«

Perry lächelte. Es war ein verschmitztes Lächeln, das Shema daran erinnerte, mit wem sie hier draußen in Gruelfin war, über 35 Millionen Lichtjahre von Terra und der Milchstraße entfernt. Dieser Mann war als einer der Ersten zu den Sternen aufgebrochen und hatte das Tor weit aufgestoßen, das dank ihm seither allen Terranern offen stand.

»Ja!« Perry Rhodan wandte sich an die Kommandantin. »Ich weiß, dass die MAGELLAN dein Schiff ist, aber ich rate dazu, den Kreuzer als Lockmittel einzusetzen. Wenn die SAN ANTONIO die Panjasen von uns fortführt, wird ihre List sich gegen sie kehren.«

Shema biss sich auf die Unterlippe. Sie war dabei gewesen, als die SAN ANTONIO vermeintlich gegen den erbitterten Widerstand der Panjasen von Uschovo I geflohen war. Tatsächlich hatte es sich um eine Falle gehandelt. Die Panjasen hatten sie entkommen lassen – mit einem kontaminierten Schiff. Dieses Schiff sollte den Vollkommenen die MAGELLAN liefern.

Sie verdankten es Antanas Lato, dass dieser Plan bisher nicht aufgegangen war. Der Hyperphysiker und Dimensiologe hatte das schwache Signal entdeckt und sofort gehandelt.

Oberst Mirabelle Eden schaute über die leere Fläche, wo sonst der Hologlobus leuchtete. Sie hatten in der aktuellen Situation darauf verzichtet, ihn einzuschalten. An den Wänden zeigten genügend Projektionsbilder das trügerisch leere All, das sich jederzeit mit panjasischen Blutstropfenraumern füllen konnte. Der Blick der Kommandantin ging über die einzelnen Stationen, auch über Shema, Alschoran und Sichu im Wissenschaftsbereich, hin zum Posbi Dynsweiler in seinem Spezialsitz.

»Einverstanden!«, entschied die Kommandantin. »Aber ich verlange, dass die SAN ANTONIO zerstört wird! Sie soll den Panjasen nicht in die Hände fallen.«

Chimamanda Schott straffte sich im Holo. Dieser Moment musste schwer für sie sein. »Ich bleibe an Bord, bis die Panjasen kommen, und fliehe mit einer ZALTERTEPE-Jet. Die SAN ANTONIO ist mein Schiff. Wenn es jemand aus dem All pustet, bin ich das!«

Perry Rhodan kniff die Augen zusammen. »Aber nicht allein! Der größte Teil der Besatzung ist wegen der Reparaturarbeiten von Bord, richtig?«

»Richtig.«

»Dann such dir einen Piloten und zwei verbliebene Vertraute aus, die bei dir bleiben und das Geschehen analysieren können.«

Während Perry Rhodan sprach, leitete Mirabelle Eden sicher den Befehl zur endgültigen Evakuierung der Besatzung weiter. Die Fluchttransmitter wurden schon seit über fünf Minuten genutzt, seitdem sich die prekäre Lage des Schiffs abgezeichnet hatte. Die Zeit gerann tatsächlich, wie Lato es ausgedrückt hatte. Bald würde die MAGELLAN die notwendige Eintrittsgeschwindigkeit für den Linearraum erreichen. Die SAN ANTONIO musste vorher von Bord des Halbkugelschiffs.