Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Wie es aussieht, könnte Perry Rhodan, der als erster Mensch von der Erde auf Außerirdische gestoßen ist, sich endlich seinem großen Ziel nähern: der alte Traum von Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmung ein, man arbeitet intensiv und gleichberechtigt zusammen. Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit. Doch ES weilt nicht mehr in der Galaxis – das Geisteswesen scheint in Fragmente zersplittert zu sein, die sich in verborgenen Fragmentrefugien ballen. Eines dieser Refugien befindet sich in der Kondor-Galaxis, wo sich im Heimatsystem der Sorgoren ein Übergang in ein anderes Universum öffnet: Es ist DAS KATACHRONE PORTAL ...
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 189
Veröffentlichungsjahr: 2024
Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Nr. 3256
Das Katachrone Portal
Sie erreichen die Stadt zwischen den Universen – stranden sie in der Zeit?
Michelle Stern
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog: Shikiris Ruf
1. Ein fremder Mond
2. Die Zeitstadt
3. Ein seltsamer Empfang
4. Gestrandet
5. Der Besucher
6. Der Gejagte
7. Gmay
8. Erinnerte Zukunft
9. Im Xenolabor
10. In der Tiefe
11. Shikiri
12. Jashtan
13. Das Katachrone Portal
Epilog: An goldenen Knochen
Report
Leserkontaktseite
Glossar
Impressum
Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Wie es aussieht, könnte Perry Rhodan, der als erster Mensch von der Erde auf Außerirdische gestoßen ist, sich endlich seinem großen Ziel nähern: der alte Traum von Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmung ein, man arbeitet intensiv und gleichberechtigt zusammen.
Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit.
Doch ES weilt nicht mehr in der Galaxis – das Geisteswesen scheint in Fragmente zersplittert zu sein, die sich in verborgenen Fragmentrefugien ballen. Eines dieser Refugien befindet sich in der Kondor-Galaxis, wo sich im Heimatsystem der Sorgoren ein Übergang in ein anderes Universum öffnet: Es ist DAS KATACHRONE PORTAL ...
Perry Rhodan – Der Terraner landet zwischen Universen.
Antanas Lato – Der Wissenschaftler erforscht eine Stadt ohnegleichen.
Varsaisch – Die Sorgorin erinnert sich an die Zukunft.
Poquandar – Der Onquore hat Bedenken.
Shikiri
Prolog
Shikiris Ruf
Shikiri hatte die Kontrolle verloren. Das war nicht schlimm. Sie saß in der goldenen Höhlung, umgeben vom Ay der Goldenen Stadt. Es gab keine Gedanken, die sie störten. Der harte Boden unter ihr bot Halt, er trug sie. Luft zum Atmen umgab sie, sie hatte den Bronzeflaum zur Nahrung und trank aus einem dünnen Rinnsal Wasser, das leise plätschernd an der Wand hinabrann. Was brauchte es mehr?
Im Vergessen lag Geborgenheit. Nur wer sich verlor, konnte sich finden.
Die Höhlung bot Shikiri Schutz. An diesem Ort musste sie den roten Helm nicht tragen. Er lag wenige Schritte entfernt in der Finsternis auf dem Boden und glomm kaum wahrnehmbar.
Aus den Wänden drang der Atem der Stadt, mehr Gefühl als echter Hauch. Eine Schwingung lag in der Luft, die Shikiri trösten wollte und sie zugleich warnte. Wann immer diese Vibration sich ausbreitete, stand eine Sichtung bevor. Es würde bald geschehen. Hoffentlich ging es schnell vorüber und erforderte keine Veränderung.
Shikiri mochte die Schlichtheit dieses Orts. Sie wollte an ihm sein, in ihm, ein Teil davon. Die wandelnden Hallen und die Weiten des Außen lockten sie nicht. Sie war der Gefahren müde, selbst wenn das bedeutete, dass sie ihren Torak nie wiederfinden würde.
Die Vibration steigerte sich, wurde zu einem Prickeln, bei dem sich Shikiris blau-silbriges Fell aufstellte und der Knochenwulst über den Großaugen pulsierte. Der Geschmack von Zeitensud kitzelte ihre Mundzipfel und die Innerlippen.
Licht brach in die Dunkelheit der Gegenwart. Es war das Licht des Erinnerns. Die Vision kam gewaltvoll über sie und erschien ihr realer als die Höhle. Shikiri saß nicht mehr neben ihrem roten Helm. Sie stand aufrecht in der Halle der Gestrandeten. Zahlreiche Atashia umgaben sie.
Ein fremdes Schiff war auf dem Mond angekommen. Aus dessen Inneren hatten fünf Besucher den Weg in die Halle gefunden. Sie machten zaghafte Schritte, wobei sie im Verhältnis zu ihrer Größe kaum vorankamen.
Mindestens sieben verschiedene Atashia-Gruppen umlagerten die Neuankömmlinge. Sie stürzten sich in Euphorie auf die Unglücklichen, angeführt von Ashamion. Blaue Felle drängten sich aneinander.
Zwischen ihnen ragte die hohe, instabil wirkende Gestalt eines Ankömmlings mit einem viel zu schmalen Becken auf. Auch er hatte Augen, doch es waren nur zwei, und sie hatten eine Farbe wie bläulicher Graustein. Eine Schwingung ging von ihm aus, anders als die der Stadt oder der Atashia. Die Vibration war disharmonisch und doch betörend. Sie kündete von großer Entfernung und einer Andersartigkeit über die Norm hinaus.
Es musste wieder so weit sein. Ein Andermond war übergewechselt und hatte für eine Phasenfluktuation gesorgt. Der Fremde stammte offensichtlich aus einem fernseitigen Universum. Atashia umringten ihn, kamen immer näher, drohten, ihm die Geschichten und Erzählungen zu entreißen, die er in seinem Körper verwahrte. Ob er sie im Kopf trug wie die Atashia? Sein Schädel war im Vergleich zum Leib mickrig; zu klein für ein brauchbares Gehirn. Hatte er Nebenhirne im Rumpf, im Bauch oder den langen Armen und Beinen?
Es schien so, als wäre das nicht der Fall, denn die zahlreichen Neugierigen versuchten, mit zarten Rinnententakeln zu seiner Stirn und den Ohren zu gelangen. Der Fremde vom Fernseitsmond war in großer Gefahr! Er brauchte Hilfe, sonst würde er an diesem Ort schneller stranden und vergehen, als das Wasser ihrer Höhlung über Bronzeflaum rann.
Das Bild verblasste und mit ihm das Licht.
»Die Zukunft«, murmelte Shikiri und übertönte mit ihrer Stimme das flüsternde Wasser. »Ja, die Zukunft. Fünf Fremde werden kommen.«
Was sollte sie tun? Einst hatte sie geschworen, Wesen wie diese zu schützen. Damals war sie mehr sie selbst gewesen. Wenn sie helfen wollte, musste sie die Höhlung verlassen.
Sie atmete tief ein, nahm wahr, dass sie saß und nicht stand, und wartete auf die Sichtung, die ihr Rat geben würde. Sie hatte die Zukunft geschaut, nun war es Zeit, in die Vergangenheit zu gleiten.
Nach wenigen Atemzügen kam erneut Licht, doch dieses Mal war es flimmernd blau. In seinem Schein stand Eshtumu, ihr Torak. Eshtumu war es gewesen, der ihr den Helm geschenkt, ihr eine Rüstung gefertigt und sie in die Weiten der Akzeptanz geführt hatte. Dank seiner war sie älter geworden als die meisten, die sie kannte.
Eshtumu hielt ihr einen goldenen Haftstreifen hin, so lang, wie ihr Arm breit war. »Du weißt, was deine Aufgabe ist.«
»Atme mit der Schwingung«, wiederholte Shikiri, was er es ihr und den anderen beigebracht hatte. »Folge den Weisungen der Goldenen Stadt. Schütze die Neuankömmlinge und hilf ihnen, wenn du es kannst.« Sie nahm den Haftstreifen und klebte ihn in die Innenseite ihres Helms.
»So ist es. Khamu wird es offenbaren. Versprich mir, dass du dich an die Weisungen der unhörbaren Stimme hältst.«
»Ich verspreche es.«
»Das tröstet mich, denn ich muss nun gehen, und es ist gut zu wissen, dass mein Werk bleibt.«
»Kehrst du zurück?«
»Ich weiß es nicht. Es ist die Stadt, die entscheidet.«
Die Schwingung, die von Eshtumu ausging, war klar wie eh und je, und doch kam es Shikiri wie ein Abschied für immer vor. Als hätte die Stadt ihre Entscheidung längst getroffen.
»Die Stadt ...«, sagte Shikiri. »Khamu ...«
Das Bild ihres Torak verschwamm und löste sich auf.
Shikiri saß in der Dunkelheit der Höhle und blickte auf den glimmenden, rötlichen Helm. Die Kraft sickerte ihr aus den Beinen. Sollte sie wirklich hinaufgehen? Zu den anderen, die nur darauf warteten, sich auf sie zu stürzen?
Das Bild des Fremden mit den graublauen Augen und dieser ganz besonderen Schwingung stand deutlich vor ihr.
1.
Ein fremder Mond
Er war auf dem Mond gelandet. Doch es war nicht sein Mond. Luna lag unerreichbar weit entfernt. Selbst die Galaxis Spaphu, die über zweihundert Millionen Lichtjahre von der Milchstraße trennten, war ihm entrückt, unerreichbar. Der Mond Sharund war mit allem, was er trug, vom Gangoniasystem in ein anderes Universum gewechselt und hatte im Sternenarm Spa-Garacht lediglich eine Art Schatten als Andenken hinterlassen. Wann er zurückkehrte, blieb ungewiss.
Perry Rhodan hielt die Augen weit geöffnet, um keines der zahlreichen Details zu übersehen, die ihn umgaben. Dabei suchte er nach Veränderungen, verglich das, was ihm bei der Anreise begegnet war, mit diesem Moment. Er schmeckte die Fremdheit, wartete auf die Strangeness-Effekte, die sich wegen des Übergangs in ein anderes Universum einstellen sollten.
Ein leichter Schwindel ergriff ihn. Er meinte zu schweben und zugleich in einen Abgrund zu tauchen, dunkler als das Schwarz jenseits des Mondes. Silbriger Staub wirbelte vor der Sichtfront der Raumgondel auf, legte sich und stieg erneut in die Höhe. Es war, als erlebte er den gleichen Moment zwei Mal hintereinander. Ein Ziehen im Magen und im Rücken breitete sich aus. Es blieb allerdings erträglich und erinnerte Rhodan an einen heftigen Muskelkater.
Im aufgewirbelten Staub, der sich überraschend lange in der Luft hielt, verschwammen die Konturen der fernen Kraterränder. Ein zittriges Flimmern lag in der dünnen Atmosphäre. Dahinter glommen Sterne auf. Rhodan begriff, dass sie die ganze Zeit über da gewesen waren, doch erst in diesem Augenblick konnte er sie sehen. So wie eine Kamera eine lange Belichtungszeit brauchte, um bei einer hellen Oberfläche Sterne von einem Mond aus aufzunehmen, brauchten seine Augen und sein Gehirn Zeit, sich an dieses Universum anzupassen. Langsam schob sich ein halbrunder, verschwommener Planet in sein Gesichtsfeld, rückte an seinen Platz und gewann an Kontur und Schärfe.
Der Vorgang faszinierte Rhodan. Er war weiter fort als jemals zuvor. Nicht mehr zwischen den Sternen, sondern hinter ihnen; in einer Fremde und Ferne, die kein Terraner je zuvor erreicht hatte.
»Kalt«, flüsterte Varsaisch, die Sorgorin, die vielleicht schon einmal in diesem Universum gewesen war. »Fremd und doch vertraut.«
»Wunderschön«, sagte Poquandar, der sich auf den langen, schwarzen Truimou stützte. Die hellblauen Babyaugen waren weit aufgerissen. »Vielleicht sogar zum Sterben schön.«
Antanas Lato stand reglos und stumm da. Aufrecht, schmal und groß. Sein Mund war leicht geöffnet, die Brauen gehoben. Er starrte aus der transparenten Kugel der sorgorischen Raumgondel in das Unbekannte. Neben ihm ragte die sattelartige Erhöhung auf, die dem Piloten als Sitz diente. Das Licht in den Steuergruben war erloschen. Überhaupt schien das Schiff energetisch nahezu tot zu sein. Die in einem Dreiviertelkreis angeordneten Instrumentenanzeigen hatten sich um mehr als die Hälfte reduziert.
Auch Rhodans Begleiter waren ihm unscharf erschienen. Erst nach und nach schälten sie sich aus der Schwammigkeit heraus, als zöge jemand einen Schleier fort.
Poquandars borkiger Ganzkörperanzug zeigte mehr und mehr Strukturen. Auf dem Truimou, dem Stab, den der kleine Onquore bei sich trug, traten Knicke und Muster hervor. Einen Moment erschien all das Rhodan überscharf, als würde sein Sehsinn in die andere Richtung ausschlagen. Staubkörner lagen auf dem schwarzen Stab wie winzige Steine. Am Hals Poquandars, der unterhalb der Rückenwölbung herausragte, wurde der Übergang zwischen dem borkigen Schutzanzug und den jadeähnlich schimmernden, sechseckigen Schuppen zu einer kantigen Hervorhebung, die viel zu groß wirkte.
Varsaischs Gesicht veränderte sich. Rhodan erkannte hauchfeine Rillen zwischen den achteckigen, strohfarbenen Hautplättchen, die ihm zuvor nie aufgefallen waren. Die weit hervorstehenden, murmelartigen orangeroten Augen wirkten feuchter als zuvor, und Rhodan suchte unwillkürlich nach winzigen Tropfen, die sie benetzten.
Auch Antanas Lato durchlief eine Wandlung. Er wurde überreal, das Kinn erschien Rhodan spitzer, die Augen schwärzer und das dichte, krause Haar zeigte zahlreiche Farbnuancen. Es schien, als wollte dieses Haar auf eine aberwitzige Art mit einem Regenbogen konkurrieren.
Illustration: Swen Papenbrock
Lato wandte sich Rhodan zu. Ihre Blicke trafen einander, gingen dann wie von einem unhörbaren Befehl gelenkt hinaus. Gemeinsam ergründeten sie, was da draußen war.
Rhodan ließ die Mondlandschaft auf sich wirken. Was mochte dieses Universum an Überraschungen und Wundern zu bieten haben? Er meinte ein leises Lachen zu hören, weit fort. Oder nur in seiner Erinnerung? Das Lachen eines Kindes, das uralt war, älter als die Sonnen.
»Keine nennenswerten Strangeness-Effekte«, brachte Lato nach einigen Sekunden des andächtigen Schweigens hervor. »Ich hatte mit weit größeren Beeinträchtigungen gerechnet nach dem hyperenergetischen Tsunami, den wir vor der Reise erlebt haben. Sonderbar ...«
Das fand Rhodan auch. Inzwischen waren der leichte Schmerz und der Schwindel abgeklungen. Ungewöhnlich, wenn er seiner eigenen, beschränkten Erfahrung und dem bisherigen Stand der Forschung vertraute.
Da war noch mehr, das ihn irritierte. Ein Zupfen und Zerren am Rand seines Bewusstseins. Etwas war ganz und gar anders. So fremd, dass es sich nicht beschreiben ließ. Rhodan bekam es nicht zu fassen, so sehr er sich konzentrierte. Er wusste aber, dass es dieses Fremde gab. Es lauerte verborgen in den dunklen, mit getrockneter Lava gefüllten Kratern.
»Was ist mit den beiden Schiffen?«, fragte Rhodan.
Antanas Lato zuckte zusammen. »Die Schiffe ... Ich habe sie ganz vergessen ...« Hastig rief er Daten über sein Armbandgerät auf. Dabei verzog er die Mundwinkel. »Unsere SERUNS arbeiten nach wie vor eingeschränkt. Alle hyperdimensionalen Geräte versagen weitestgehend den Dienst oder operieren nur sporadisch und unzuverlässig. Aber ich habe ein paar Daten von der MEIN GEIST MEIN STERN bekommen. Die Schiffe bewegen sich von uns fort in Richtung Sorgorenland ... Ich meine, dem Analogon zu Sorgorenland. Also da, wo Sorgorenland im anderen Universum ...«
»Schon gut«, unterbrach Poquandar. »Wir haben dich verstanden. Wir sollten den Schiffen folgen!«
Die LEUCHTKRAFT und die TEZEMDIA waren der Grund, warum Rhodan sich entschieden hatte, in ein anderes Universum aufzubrechen. Spaphu war ein Verwahrort eines Fragmentrefugiums von ES. Und so, wie es schien, hatte jemand, der vermutlich aus einem anderen Universum kam, das ES-Fragment Spaphus entführt. Es befand sich mit hoher Wahrscheinlichkeit an Bord der TEZEMDIA – und die LEUCHTKRAFT folgte diesem Schiff!
Rhodan hätte gerne mehr über beide Schiffe herausgefunden. Wer war an Bord der LEUCHTKRAFT? Was hatte es mit der TEZEMDIA genau auf sich? Ein wenig hatte Poquandar ihnen bereits berichten können, denn er kannte die TEZEMDIA. Ob das Schiff, das Poquandar einst auf seinem Verbannungsplaneten aufgesucht hatte, genau wie der Truimou aus diesem Universum stammte?
Es war eine Frage von vielen, aber nicht die Wichtigste. Rhodan wollte wissen, ob das Fragment entführt worden war und vielleicht Hilfe brauchte. Er wusste durch Mu Sargais Imagonon auf Sorgorenland, dass ES sich durch die Fragmentierung der Entwicklung zu einer polyversalen Entität entzogen hatte. Offenbar hatte es dabei Komplikationen gegeben. Etwas oder jemand hatte ES getäuscht, ausgetrickst, in die Irre geführt, zu Fehlern verleitet. Warum überhaupt sich ES seiner kosmischen Entwicklung entzogen hatte, blieb überdies unklar. Lag es an dem, was bei einem Menschen ein Trauma genannt worden wäre – etwa an der Überforderung von ES, als es sich auf unterschiedliche Orte des Universums hatte aufteilen müssen, bis die Superintelligenz sich Entlastung geschaffen hatte durch die Abspaltung von TALLIN und der Fernen Stätten? Fürchtete ES sich davor, in unterschiedlichen Universen zugleich existieren zu müssen? Oder gab es einen vollkommen anderen, für ES rationalen Grund, der sich mangels Informationen schlichtweg dem Begreifen eines Menschen entzog? Und würde Perry Rhodan ihn je erfahren?
Und wer war derjenige, der über genügend Macht und Geschick verfügte, um ES in die Irre zu führen? War er womöglich auf der TEZEMDIA zu finden? Oder gab es auf diesem Schiff eine weitere Partei, die von ES' missglückter Fragmentierung erfahren hatte und versuchte, daraus einen Vorteil zu gewinnen, indem sie sich Fragmente aneignete? Ein Fragment einer Superintelligenz war ein beachtliches Machtmittel, das als Waffe missbraucht werden könnte.
»Ja!«, sagte Rhodan. »Wir folgen den Schiffen.« Er wollte sich auf den Sattel schwingen, um die Triebwerke der Gondel zu starten, doch Varsaisch hielt ihn mit dem Handrücken auf. Ihr Arm stand wie eine Schranke vor seiner Brust.
»Nein!«, sagte die Sorgorin energisch. »Das können wir nicht. Der Strangeness-Schock ist schwächer ausgefallen als gedacht. Das hat einen Grund.«
Es wunderte Rhodan, wie anders sie klang. Er hatte sie als frühreif erlebt, kindlich, altklug und zugleich weise. Eine verwirrend-faszinierende Melange aus Jung und Alt, Erfahrung und Naivität. Manchmal war ihm gewesen, als bewegte sie sich in anderen Räumen und Zeiten; als wäre sie mit etwas Größerem in Berührung gekommen, was sie geprägt hatte wie eine Münze. Was er nun erkannte, war Angst.
»Was weißt du?«, fragte Rhodan. »Bist du wirklich schon einmal in diesem Universum gewesen?« Bisher hatte sich Varsaisch mit Informationen zurückgehalten.
Die Sorgorin stieß ein Knistern aus, das ein Seufzen sein mochte. Der organische Filter aus gazeähnlichem Gewebe wölbte sich kaum merklich über ihrem kleinen, lippenlosen Mund und drückte dadurch die Atemöffnungen in die Höhe. »Ja und nein. Das kann ich dir so wenig sagen, wie ich die Zusammensetzung des Schiffsverbundstoffs kenne.«
»Das ist unlogisch«, stellte Lato fest.
»Nein«, widersprach Rhodan. »Nicht unbedingt. Es hat mit der Strangeness zu tun, oder? Mit der Beschaffenheit dieses Universums.«
Varsaisch streckte eine Hand aus. Dank der Symbionten unter den sieben schwarzen Krallen besaß sie neben der akustischen Verständigung eine taktile Sprache. Ihr Tastsinn war deutlich ausgeprägter als der eines Terraners. Rhodan kam es vor, als wollte sie mit den Fingerkuppen in der Luft lesen. Vielleicht tat sie das sogar tatsächlich.
»Vermutlich.« Langsam ließ Varsaisch den ausgestreckten Arm sinken. »Ich würde gerne mehr mitteilen. Leider kann ich das nicht. Es ist, als ob sich in meinem Kopf Vorahnungen, Visionen und Erinnerungen überlagern. Der Zeitablauf hier ist ... anders.«
»Wie genau anders?«, fragte Poquandar.
»Wie ein Strudel. Ein Strom, der viele Richtungen hat und sich zerreißt, bis ...« Ihre Augen traten hervor. Das gazeähnliche Atemorgangewebe knisterte lauter. »Bis es zur Strandung kommt.«
Rhodan suchte in ihrem erschrockenen Gesicht nach der ruhigen Sorgorin, die er kennengelernt hatte. Er fand sie nicht. Varsaisch war aufgewühlt, als wäre sie zu dem Strom geworden, den sie beschrieben hatte. »Was ist die Strandung?«
»Ein Schicksal, das keiner von uns wollen kann. Wir müssen das Katachrone Portal finden. Nur wenn wir es benutzen, sind wir sicher.«
»Du warst also definitiv schon einmal hier?«
»Ja. Aber vielleicht in der Zukunft. Ich weiß es nicht. Mir ist unklar, was Erinnerung ist und was echtes Erleben.«
Lato unterbrach sie. »Da drüben tut sich etwas!«
Rhodan blinzelte. Er war es gewohnt, schneller als andere zu reagieren, doch das, was Antanas Lato bemerkt hatte, war für ihn erst während dessen Worten sichtbar geworden.
Mitten im Krater, in kaum drei Kilometern Entfernung, enthüllte sich ein goldenes Gebilde. Es lag hinter der Taggrenze. Sonnenlicht fiel darauf und betonte die metallische Struktur.
Auf den ersten Blick kam Rhodan das fremdartige Konstrukt wie eine Mischung aus Stadt und Riesenkrake vor. Der Umriss erinnerte vage an eine Halbkugel, die auf ihrer Fläche ruhte. Die einzelnen, mal kuppelartigen, mal turmförmigen Bauwerke standen auf der Halbkugelfläche wie die ungleich verteilten Stacheln eines Igels aus purem Gold.
»Das Gebilde hat einen Durchmesser von fünfundzwanzig Kilometern«, sagte Lato. »Seine Höhe beträgt eins Komma acht Kilometer ... eins Komma neun! Sie verändert sich.«
Rhodan kniff die Augen zusammen. Das Gold blendete ihn. Zwischen den halb geschlossenen Lidern erkannte er, dass sich einige der Stacheln und Ausläufer bewegten. Der Krake streckte die Arme aus. Von der Peripherie des Gebildes wuchsen schlauchartige Ausläufer, Antennen, Fühler, Tentakel und weitere Stacheln, die leere Flächen füllten. Die filigranen Anbauten wirkten biomechanisch. Die meisten waren länger als fünf Kilometer mit einem Durchmesser von gut fünfzig Metern. Sie schienen aus der Distanz dünn wie Fäden zu sein. Jeder Zentimeter des Gebildes blitzte in gediegenem Gold.
»Khamu!«, rief Varsaisch. »Das ist Khamu! Eine Zeitstadt! Nein.« Sie spreizte die sieben Krallenfinger. »Das ist der falsche Begriff. Khamu ist Sitz eines Katachronen Portals. Wir müssen dorthin, wenn wir nicht auf Sharund zeitstranden wollen.«
Rhodan missfiel es, der TEZEMDIA und der LEUCHTKRAFT einen solchen Vorsprung zu lassen. Doch die beiden Schiffe mochten über andere Möglichkeiten verfügen als sie. Sie hatten nicht einmal die RA bei sich, sondern nur die sorgorische Raumgondel. Er musste Varsaisch vertrauen, und er war überzeugt, dass ihre Furcht echt war.
»In Ordnung«, sagte er. »Wir suchen das Portal.«
Mit wenigen Handgriffen versuchte er, Funkkontakt mit der fremden Stadt herzustellen, doch sie reagierte nicht.
»Was immer dort auf uns wartet ...«, sagte Poquandar. »Mein Truimou meint, wir sollten uns besser vorbereiten.« Er wies auf Varsaisch, die nach wie vor Alltagskleidung trug. »Und du solltest dir einen Schutzanzug holen gehen.«
»Der Truimou redet mit dir?«, fragte Rhodan.
»Nein. Nicht direkt. Ich weiß nicht. Er kommt mir wacher vor. Selbstständiger. Vielleicht ist es Einbildung.«
»Vielleicht.« Rhodan hatte eine Vermutung, doch ehe er sie äußern konnte, nahm etwas anderes seine Aufmerksamkeit gefangen. Die Ausläufer der Stadt verlängerten und bewegten sich. Tentakel, schlauchartige Ausstülpungen und krakenartige Arme streckten sich ihnen entgegen. Die meisten stoppten nach und nach, doch zwei Greifarme blieben übrig und wuchsen wie Pflanzen im Zeitraffer in ihre Richtung. »Es sieht aus, als hätten wir Interesse geweckt.«
Varsaisch eilte davon. Offensichtlich wollte sie sich einen Schutzanzug holen, ehe die Ausläufer bei ihnen waren.
Rhodan schwang sich auf den Sitz und schob die Hände in die Steuergruben. Der granulatartige Inhalte darin blieb kalt. Die Gondel reagierte nicht. Sie blieb energetisch nahezu tot. Zwar arbeitete das Lebenserhaltungssystem tadellos, doch ein Start der Triebwerke war derzeit unmöglich. Damit starb die Alternative, erst einmal Abstand zu gewinnen und weiter zu versuchen, Kontakt aufzunehmen.
Die Ausläufer der Stadt schoben sich unerbittlich näher. Sie würden in wenigen Minuten ankommen.
2.
Die Zeitstadt
Ihre Chronometer zeigten den 14. September 2097 NGZ. Aber spielte das eine Rolle? War die Zeit an diesem Ort der Zeit gleich, die sie kannten? Antanas Lato spürte, dass ihm dieser Umstand gleichgültig war, und das überraschte ihn.
»Erstaunlich«, sagte Lato zu Poquandar. »Ich suche sonst immer nach Antworten, bestehe auf Genauigkeiten, möchte Klarheit, Struktur und Sicherheit. Außeneinsätze habe ich verabscheut, Pflanzen und Dschungel waren mir ein Gräuel ... Aber diese Umgebung ... Diese Möglichkeiten! Wir sind in einem anderen Universum! Wer weiß, was es hier für uns zu entdecken gibt!«
»Ich verstehe, was du meinst.« Poquandars hellblaue Babyaugen schienen aufzuleuchten. Er streckte den Hals weit aus der Rückenwölbung und stand aufrechter als sonst. »Womöglich ist dieses Universum älter als unseres. In ihm mag es eine ausgereifte Forschung geben. Vielleicht sogar eine über unser Universum, immerhin gibt es dank der Poren eine Art Durchgang. Es wäre beachtenswert, wenn wir hier Theorien zum Dimensionsproblem finden könnten. Mit etwas Glück sogar eine Stärkung oder Widerlegung meiner infinit-endlichen Theorie.«
»Es wäre keine überzeugende Theorie, wenn es nicht gute Gründe dafür gäbe.« Lato ließ das, was Poquandar ihm über seine Theorie erzählt hatte, Revue passieren. Demnach sollten der acht- und der neundimensionale Raum in die kleinste Dimension in ihrem Universum zurückmünden und so einen zugleich ausgedehnten und in sich zurückkehrenden Raum-Zeit-Fluss bilden. »Und da ist so viel mehr! Dass wir hier sein können, ist ein ...« Er musste kurz nach dem Wort suchen, das er so gut wie nie benutzte, und meinte schon es umschreiben zu müssen, als es ihm einfiel. »... Segen.«
Lato drehte sich, fand den Planeten, der als leuchtende Halbkugel am Himmel hing. Bald würde die Sonne die klare Tag-Nachtgrenze auflösen und die Raumgondel mit Licht übergießen. Der Krater kam Lato mit einem Mal vor wie ein Zauberreich, in dem sich ein Schatz verbarg.
Tausende von E-Books und Hörbücher
Ihre Zahl wächst ständig und Sie haben eine Fixpreisgarantie.
Sie haben über uns geschrieben: