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Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Wie es aussieht, könnte Perry Rhodan, der als erster Mensch von der Erde auf Außerirdische gestoßen ist, sich endlich seinem großen Ziel nähern: der alte Traum von Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmung ein, man arbeitet intensiv und gleichberechtigt zusammen. Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit. Die Superintelligenz ist in Fragmente zerfallen, die sich in sogenannten Refugien verbergen. Manche dieser Rückzugsorte befinden sich in weit entfernten Galaxien. Eines dieser Refugien befand sich in der Kondor-Galaxis, wurde offenbar aber bereits von dem Raumschiff TEZEMDIA entführt. Während Perry Rhodan sich an die Verfolgung macht, bleibt Shema Ghessow mit der Kastellan-Kapsel RA in Spaphu zurück. Dort erhält sie DAS TESTAMENT DES TERRANERS ...
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Seitenzahl: 184
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Nr. 3276
Das Testament des Terraners
Er verfügt seinen letzten Willen – eine Mutantin tritt sein Erbe an
Michelle Stern
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog: Degenspiele
1. Asteroidenstaub
2. Fallensteller
3. Funkbotschaft
4. Zaungäste
5. Verdachtsmomente
6. Sorgorenbesuch
7. Totenstille
8. Irreführung
9. Gegenzug
10. Erblasser
11. Schattentanz
Epilog: RAS TSCHUBAI, 27. April 2098 NGZ
Report
Leserkontaktseite
Glossar
Impressum
Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Wie es aussieht, könnte Perry Rhodan, der als erster Mensch von der Erde auf Außerirdische gestoßen ist, sich endlich seinem großen Ziel nähern: der alte Traum von Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmung ein, man arbeitet intensiv und gleichberechtigt zusammen.
Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit.
Die Superintelligenz ist in Fragmente zerfallen, die sich in sogenannten Refugien verbergen. Manche dieser Rückzugsorte befinden sich in weit entfernten Galaxien. Eines dieser Refugien befand sich in der Kondor-Galaxis, wurde offenbar aber bereits von dem Raumschiff TEZEMDIA entführt. Während Perry Rhodan sich an die Verfolgung macht, bleibt Shema Ghessow mit der Kastellan-Kapsel RA in Spaphu zurück. Dort erhält sie DAS TESTAMENT DES TERRANERS ...
Perry Rhodan – Der Terraner kehrt zurück.
Shema Ghessow – Die Mutantin soll zur Erbin werden.
Kmossen – Der Heddu verfolgt einen Plan.
Nebur und Yasu
Prolog
Degenspiele
Er hatte nur einen Degen. Nebur liebte es, nur einen Degen zu haben. Die Waffe war elegant und – wenn man nicht gerade auf einen übergroßen, echsenartigen Fayyud traf – effektiv. Natürlich war es ein überlebenswichtiger Vorteil, dass auch Neburs Gegner ausschließlich Degen benutzten. Hätten sie Pistolen oder Thermostrahler gehabt, wäre Neburs Liebe zu seiner Waffe schneller verflogen, als sich ein Transparwürfel in einem Desintegratorfeld auflöste.
Nebur wirbelte an Estranyas Seite über den hellroten Platz. Sie kämpften zu zweit gegen neun Angreifer, die – ebenso wie sie – humanoid waren. Drei überragten Nebur um einen halben Meter, doch sie bewegten sich plump und langsam. Es machte Spaß, ihnen auszuweichen, um sie herum zu tänzeln und sie als lebende Schilde zu nutzen, die nachfolgende Kämpfer behinderten.
In den umstehenden Wohnbauten drängten sich Schaulustige an den Fensterfronten und auf den ovalen Balkonen. Es waren Angehörige aller möglichen Völker. Die Palette war vielfältig. Von blassen, hageren Khassu Than über goldgeschuppte, Holzhüte tragende Pertsumas und Humanoide in sämtlichen Größenklassen bis hin zu wolfsköpfigen Tashzuren, Schlangenartigen und Geschöpfen, die Pflanzen ähnelten.
Nach der legendären Schlacht am Zentralplatz zogen es die Schaulustigen vor, den Kampf mit Abstand zu beobachten. Damals waren beim Wettstreit um die Vorherrschaft über die Hyperflusspiraten etliche Bewohner gestorben.
Die Kaschemme, vor der Nebur und Estranya die letzte Runde des Sununk austrugen, war zu großen Teilen zerstört. Trümmer lagen über den Platz verteilt. Eine Bombe war explodiert, doch die Spieler hatten sie rechtzeitig gefunden und einander gewarnt, ehe sie gezündet hatte.
Nebur fand das rhodanesk. Obwohl der Administrator seit sieben Monaten verschollen war, lebte sein Geist in den Hyperflusspiraten weiter. Sie halfen einander bereitwilliger als zuvor, und das Viertel, in dem sie kämpften, war durch Rhodans Großzügigkeit deutlich aufgewertet worden. Statt schmutziger Verschläge gab es ordentliche Wohnanlagen.
Nebur wehrte den Angriff einer Frau mit kurzen, grünen Haaren und blauen Hautschuppen ab. Er stellte sich auf ein Bein und trat ihr mit dem anderen hart gegen das Knie.
Neben ihm entwaffnete Estranya einen der plumpen Übergroßen und stieß ihm die Klinge dicht am Knochen durch den Oberschenkel. Der Mann sackte mit einem Schmerzensschrei in sich zusammen und stieß Verwünschungen aus. Er schaffte es nicht, aufzustehen.
»Fusionär!«, rief Nebur seiner bezaubernden Partnerin zu.
Er hoffte, dass dieser Abend nach dem Kampf weiterging und sie gemeinsam in einer anderen Kaschemme den Sieg feiern würden. In weiser Voraussicht hatte er eine Suite organisiert, in der sie einander näher kennenlernen könnten, falls sie an einem Stück blieben.
Der Kreis der Angreifer lichtete sich. Noch sechs Gegner standen vor ihnen. Zwei große Kerle, ein drahtiger Andrili wie er, der siebenfingrige Hände, kurz geschnittenes, weißes Fell und weit außen liegende, orangerote Augen hatte, und drei gelbhäutige Frauen, die wie Drillinge wirkten und deren Oberarme so dick waren wie Neburs Schenkel.
»Mach sie fertig!«, feuerte Estranya ihn an.
Wie elegant sie sich bewegte! Nebur genoss es, sie zu beobachten. Er wünschte sich, dass sie die neue Piratenkönigin werden würde. Der Administrator war verschollen, und Estranya wäre die perfekte Wahl. Nebur würde ihr folgen, egal wohin sie ginge. Sie war eine Piratin, eine von ihnen. Manche behaupteten, sie sei eine bisher geheim gehaltene Tochter von Pnerten Andhini. Vielleicht würde der Name Andhini sogar eine Renaissance erleben, nach dem feigen Mord von Tozzcord, dem Verräter.
Wie berauscht ging Nebur zum Angriff über. Die Klinge zischte durch die Luft. Ein weiterer Schlagabtausch folgte, und eine gelbhäutige Frau sank vor ihm zur Seite. Es war leicht, belebend, ein Fest. Die letzten drei Gegner verschwammen zu dunklen Schemen, die gemeinsam mit ihm tanzten.
Nebur holte aus, um einem der drei Angreifer zu begegnen. Sein Degen krachte gegen Metall – echtes Metall! Die Klinge brach, die obere Hälfte sprang davon.
»Baccunendreck!«
Um ihn erlosch die Holosimulation. Er stand nicht mehr auf einem roten Platz im unteren Deck der Erstkuppelstadt Athulus, sondern in der Freizeitsektion der DINNAR. Seit Monaten saß er auf diesem langweiligen Schiff fest, anstatt auf Beutezüge zu gehen. Da war das Holospiel, das den letzten Gang im Sununk nachstellte, eine willkommene Abwechslung.
Doch nun hatte ihn die Realität eingeholt. Sie trug ein vertrautes, weißhaariges Gesicht mit weit außen liegenden, feurig roten Augen und einer Nase, die wegen ihrer Flachheit kaum eine Erwähnung wert war.
Seine Schwester Yasu hielt ein Langschwert in beiden Händen. An ebendiesem Schwert war Neburs Degen zerbrochen.
Yasu lachte. Es klang hell und perlend. Zwischen ihren bläulichen Lippen blitzten elfenbeinfarbene, mit Diamantsplittern verzierte Zähne. »Baccunendreck? Und das von dir, Nebur, den jeder Amdur nennt, den Baron? Das ist wenig herrschaftlich.«
»Du hast meine Lieblingsklinge zerbrochen! Ich fordere eine Entschädigung!«
»Selbst schuld. Du stichst zu fest zu! Es ist ein Spiel, Kleiner, und wir haben einen Auftrag. Weißt du's noch? Ohne meine aufopfernde Fürsorge würde dir entfallen zu atmen.«
Das war ein Punkt für sie. Tatsächlich hatte Nebur den Termin vergessen. Es war gut, dass Yasu ihn daran erinnerte. Er hatte eine Menge vorbereitet, um der Strangeness im System ein Schnippchen zu schlagen. Was für eine angenehme Abwechslung! Vielleicht konnte er nebenbei sogar einen interessanten Beutezug planen, falls ihm Yasu nicht zuvorkam.
»Kosmisch! Eine echte Jagd wartet auf uns!« Er dachte an Shema Ghessow, das Administrator-Mündel, um das er sich zusammen mit Yasu kümmern sollte. »Dieses Mal werde ich es dir zeigen! Ich werde Shema Ghessow besiegen, bevor du ›Hyperfluss‹ sagen kannst!«
»Große Worte sind kein Beweis für große Intelligenz.«
Nebur warf den unnütz gewordenen Degenrest von sich. Es schepperte, als er auf dem Metallboden aufschlug. Der Laut kam Nebur fröhlich vor. Ein neues Spiel lag vor ihm. Er war bereit dafür. Der hochwertige Schutzanzug und der an die Gegebenheiten angepasste Strahler warteten auf den Einsatz.
1.
Asteroidenstaub
Das weiße, tropfenförmige Raumschiff zeichnete sich scharf gegen die Schwärze des Weltalls ab. Es stand auf seiner Spitze und schaffte es, trotz seiner Winzigkeit nicht verloren zu wirken, sondern erhaben, als würde der Asteroid ihm gehören. Über ihm erblühten zahlreiche ferne Sonnen, die in der fehlenden Atmosphäre klar hervortraten wie von innen heraus leuchtende Diamantsplitter.
Shema Ghessow ließ die RA hinter sich zurück und sprang in einem leichten Schutzanzug über den dunklen Boden, der von Gesteinsbrocken bedeckt war. Sie genoss das Wissen, wie schnell der Asteroid sich bewegte. Er raste – einer abgefeuerten Gewehrkugel gleich – auf seiner Bahn im Trümmergürtel des Gangoniasystems.
Der Asteroidenring erstreckte sich zwischen dem zweiten Planeten des Systems, der marsähnlichen Wüstenwelt Vloidis, und dem Planeten Sorgorenland. Shema erkannte beide Welten als ferne Silhouetten, beleuchtet vom Zentralgestirn Gangonia.
Kurz blieb sie stehen und sah durch das Visier in die gesprenkelte Schwärze über sich. Da war ein Gefühl, als würde jemand sie beobachten. Waren die Hyperflusspiraten bereits angekommen und hatten eine Sonde auf sie angesetzt, um sie aus einem Versteck heraus zu überwachen? Das wäre keine ungewöhnliche Herangehensweise. Der Skundt machte mehr Spaß, je heimlicher und trickreicher die Spieler ihn führten.
Shema gestand sich ein, dass ihr dieses Spiel wirklich Freude machte. Zu Beginn hatte sie die Einladung zum Skundt nur deshalb angenommen, weil sie gehofft hatte, die Piraten bei Laune zu halten. Die Pertsuma Anmananda war nach Perry Rhodans Verschwinden mehrere Wochen auf Shemas Seite gewesen und hatte sie unterstützt.
Allerdings waren inzwischen sieben Monate vergangen. Derzeit gab gerade einmal ein Piratenschiff, das noch am Rand des Systems stand, außerhalb der chaotischen Zone, in der Strangeness-Effekte die höherdimensionale Technik störten.
Diese Strangeness setzte Shema zu, doch inzwischen hatte sie symptomunterdrückende Medikamente von den Sorgoren erhalten, die auf sie abgestimmt waren. Vielleicht gab es zusätzlich einen leichten Gewöhnungseffekt, denn Shema kam deutlich besser mit der Situation zurecht als bei ihrer Ankunft im Gangoniasystem. Es konnte auch damit zu tun haben, dass der Strangeness-Tsunami, den der Mond Sharund bei seinem Übergang in ein anderes Universum ausgelöst hatte, mittlerweile abgeklungen war. Im Umfeld des Asteroiden lag sie sogar bei nahe null, was ihn eindeutig als Standort für ihr Abwarten qualifizierte.
Shema erreichte den Rand einer 20 auf 30 Meter großen Fläche mit glattem, sandigem Untergrund, in deren Zentrum eine schlanke Säule aus Silber aufragte. In der Auflagefläche der Säule gab es eine Vertiefung. Sie war ein wichtiger Teil des Spiels. An der Farbe der Säule erkannte Shema, dass der Skundt bereits in der Vorphase lief. Die Piratengeschwister waren ihr zuvorgekommen.
Wenige Meter entfernt führte ein breiter Tunnel ins Innere des Asteroiden. Dort hatten vor Jahrhunderten Roboter Metall abgebaut, vor allem Silber. Nach wie vor bestand der Gesteinsbrocken überwiegend aus dem Schwermetall mit dem lateinischen Namen Argentum.
Illustration: Swen Papenbrock
Shema hatte den Asteroiden deswegen »Argentio« getauft. Der fast 500 Meter große Brocken bot einen ungewöhnlich hohen Silberanteil. Unter der rauen, gräulichen Oberfläche verbarg sich jede Menge Metall. Die Sorgoren brauchten es nicht und hatten schon vor Ewigkeiten damit aufgehört, es abzubauen.
Noch einmal schaute Shema hinauf. Der Eindruck, beobachtet zu werden, verstärkte sich, doch sie konnte keine Sonde sehen. Sie nutzte den Scanner, der in den Anzug integriert war. Die Sensoren maßen nichts an. Shema schien allein zu sein. Ihr Blick wanderte zu einem unbedeutenden Fleck im Nichts.
Dort hatte vor sieben Monaten der Mond Sharund gestanden. Mit ihm waren Perry Rhodan, Antanas Lato, Poquandar und die Sorgorin Varsaisch verschwunden. Sie waren in ein anderes Universum übergewechselt, um die LEUCHTKRAFT und den schwarzen Doppelkegelraumer TEZEMDIA zu verfolgen. Ob ihre Freunde noch lebten?
Shema presste die Lippen zusammen. Natürlich lebten sie noch! Sie brauchte lediglich Geduld.
Als sie sich der Mitte des Platzes näherte, brach weißes Licht aus der Säule, das silberne Einschlüsse im Boden aufblitzen ließ.
»Spieler Drei ist eingetroffen«, verkündete die Säule in Spaphri. »Der Skundt beginnt. Du hast fünf Kurzeinheiten Zeit, um deine Anfangsposition zu wählen.«
Shema aktivierte den Deflektor – derzeit schienen höherdimensionale Geräte wieder zu funktionieren, was darauf hindeutete, dass die Strangeness abgeflaut war, aber bis wann? Wie lange würde es dauern, bis der Mond wieder auftauchte und erneut ein Strangeness-Tsunami durch das System spülen und alles durcheinanderbringen würde?
Es war ihr 43. Spiel, und inzwischen kannte sie die Regeln. Sie sprang mit dosierter Kraft in den dunklen Gang, der von der Skundt-Säule und dem Kampfplatz fort ins Innere Argentios führte. An ihrem Anzug leuchteten die Scheinwerfer an Helm und Brust auf. Shema nutzte das Messgerät, um nach Sensoren, Fallen oder Sonden Ausschau zu halten. Wie erwartet fand sie nichts. Noch nicht. Üblicherweise ließen Nebur und Yasu sie die Arbeit erledigen, ehe sie sich auf sie stürzten.
Beim Skundt ging es darum, einen Schatz zu finden, ihn zu bergen und auf der Skundt-Säule in die Vertiefung zu legen. Das Spielfeld konnte frei definiert werden. In ihrem Fall war es ein Labyrinth aus Gängen und Tunneln im Asteroiden. Shema fragte sich, warum Nebur und Yasu ausgerechnet diesen Spielort gewählt hatten.
Auch wenn Silber im Vergleich zu Hyperkristallen kaum einen Wert besaß, wollte sie keinen Ärger mit den Sorgoren, weil die Piraten heimlich Raubbau betrieben. Sie prüfte regelmäßig, dass keine größeren Mengen des Metalls verschwanden.
Wie erwartet, gelangte Shema ungehindert ins Innere der labyrinthartigen Mine. Die Gänge waren hoch genug für einen Fayyud und doppelt so breit. Shema konnte bequem aufrecht darin vorwärtskommen, doch sie musste aufpassen, nicht zu hohe Sprünge zu machen. Der Anzug schützte sie vor den eisigen Temperaturen, die in dieser Umgebung herrschten.
Im Helmvisier flammte ein kleines, vorgelagertes Symbol auf, das an einen kristallinen Transparwürfel mit zehn Zentimetern Kantenlänge erinnerte: der Skundt! Es war ein Richtungshinweis, dem Shema folgte. Häufig war der »Schatz«, den sie bergen musste, nicht allzu trickreich versteckt. Die eigentliche Herausforderung bestand darin, den Skundt sicher nach draußen und über den Kampfplatz zur Säule zu bringen. Auch der Weg zum Skundt barg Gefahren. Spieleigene Roboter oder eingeblendete Hindernisse konnten ihr die Bergung erschweren.
Der Anzug zeigte Shema in einer Übersicht mehrere Gänge an. Sie hatte zwei Möglichkeiten, ins Zielgebiet zu kommen. Auf beiden hielten sich mehrere kegelstumpfförmige Roboter mit Tentakelarmen auf.
Der direkte Weg war versperrt. Eine dicke Wand ragte vor Shema in die Höhe.
»Dann auf meine Art!« Shema spürte kurz in sich, suchte nach ihren Parakräften, dann wechselte sie in den Hyperraum über. Bunte Schleier empfingen sie, als sie in der Hypersenke ankam. Das Gefühl von Schwindel und Übelkeit nahm zu. Es irritierte Shema, ihre Gabe im Gangoniasystem zu benutzen, aber sie tat es trotzdem, sowohl beim Skundt als auch außerhalb des Spiels, um in Übung zu bleiben.
Am TIPI, dem Terranischen Institut für Paranormale Individuen, hatte sie gelernt, dass sie niemals aufgeben und nachlassen durfte. Ihre Gabe musste wie ein Muskel trainiert werden, damit sie stark blieb, besonders dann, wenn sie nur eingeschränkt funktionierte.
Eine milchige Weite umgab Shema, die ihr bedrohlicher vorkam als sonst. Sie erinnerte sich an das Gefühl, beobachtet zu werden, draußen, auf dem Weg zur Säule. Wenn sie es nicht besser wüsste, hätte sie gedacht, einen der Pseudo-Schmetterlinge der Lipeka-Schiffe bei sich zu haben, der sie belauerte.
»Ich bin schon zu lange allein in diesem System«, murmelte sie.
Es war besser, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren, als auf eine Gefahr, die sie sich einbildete. Shema konnte den Einstein-Raum nicht hören, aber sie bekam Paraeindrücke von dort, als würde sie mit ihren Augen hineinsehen können. Die farbigen Schleier verblassten an vielen Stellen und boten ihr eine Sicht auf das, was außerhalb der Hypersenke lag. Sie erkannte zu ihrer Überraschung Wasser am Ende des Gesteins. Es war kristallklar und von Eisformationen durchsetzt, die wie umgedrehte Berge in die Tiefe wuchsen.
Shema durchwanderte die Gesteinsschicht und wechselte in den mit Wasser und Eis gefüllten Tunnel. Sofort erschien im Visier das Skundt-Symbol. Sie war dem Schatz nah.
In der taktischen Anzeige offenbarten sich außerdem drei Meter lange, grün geschuppte Tiere, die wie eine Mischung aus Haien und Würmern wirkten. An ihren schlanken, langen Körpern saßen sieben Flossen. Der Schwanz war gegabelt und pendelte träge hin und her. Es waren Virtu-Gegenspieler. Keines der Tiere war wirklich da, doch wenn Shema in eines der Holos hineinschwamm, konnte das einen Spielausschluss und damit ihre Niederlage bedeuten.
Sie nutzte die Steuerung des Anzugs und berührte dabei die kleine Tasche an der Seite ihres Oberkörpers. Die Handschuhe des schlichten Druck- und Schutzanzugs waren so eng, dass Shema Damars Ring abgelegt hatte. Er war sicher in der Tasche an ihrer Seite verstaut.
Langsam schwamm sie durch kristallklares Wasser und genoss den Druck, der auf ihr lastete. Er fühlte sich vertrauter an als die Atmosphärelosigkeit auf der Asteroidenoberfläche. Die schlichte Schönheit aus Eisskulpturen und den rätselhaften, eingeblendeten Unterwasserwesen faszinierte sie. Die Holotiere schienen nahezu blind zu sein. Sie interessierten sich nicht für Shema, sondern folgten stumpf ihrem Weg. Shema drückte sich eng an die Tunnelwand und ließ zwei von ihnen passieren.
Suchend schaute sie sich um. Wo konnte der Skundt sein?
Erneut erschien das Symbol in ihrem Visier. Der Skundt war keine sieben Meter entfernt. Er steckte in einer Eisformation, die an einen nach unten gerichteten Speer erinnerte. Shema hatte einige Utensilien für diese Suche mitgebracht, darunter einen besonders robusten Desintegrator, der eigentlich für Steine gedacht war. Sicher würde er eine Weile unter Wasser seinen Dienst tun. Sie zog ihn hervor und löste das hinabwachsende Eisgebilde auf. Vorsichtig schälte sie den Skundt-Würfel daraus hervor. Der leichtere Teil war geschafft. Nun musste sie das Prachtstück zur Zielsäule bringen.
Shema wechselte in die Hypersenke und machte sich auf den Rückweg.
2.
Fallensteller
Es gab viele Möglichkeiten, anderen beim Skundt eine Falle zu stellen, und nun, nachdem die Strangeness-Verwerfungen so stark abgenommen hatten, noch einige mehr. Hoffentlich blieb das so!
Nebur hatte sich bei seiner Ausrüstung neben dem Strahler für einen Fesselfeldprojektor und für Spionsonden entschieden. Aus einem Deflektorfeld heraus beobachtete er über eine der Sonden, wie Shema Ghessow in den mit Wasser gefüllten Tunnel eintauchte. Sie war gut und fand den Skundt schneller als gedacht. Im Grunde zu schnell. Nebur war misstrauisch. Benutzte Shema unzulässige Technik? Sie bekam den Schatz stets schneller angezeigt als er oder Yasu.
Wie erwartet, wich Shema auf dem Rückweg den Robotern aus und näherte sich seiner Falle. Gleich würde das Fesselfeld zuschlagen, und dann hatte er sie!
Shema hüpfte in weiten Sprüngen durch den Tunnel, wobei sie es schaffte, elegant zu wirken. Dabei wurde sie langsamer, als witterte sie die Falle, die auf sie wartete. Ihre Sprünge verkürzten sich.
»Mach schon!«, murmelte Nebur.
Er fragte sich, wo Yasu steckte. Ob sie bereits an der Skundt-Säule wartete? Sie war faul und hatte wenig Phantasie. Der Kampfplatz war ein Ort, an dem sie ihnen gerne auflauerte.
Shema machte den letzten Hüpfer auf den Auslöser der Falle zu – und schreckte zurück! Etwas schien sie zu warnen. Das ging nicht mit rechten Dingen zu. Hatte Shema weitere Paragaben, die sie bisher geheim gehalten hatte? Oder hatte sie die Sensoren ihrer Ausrüstung heimlich aufgewertet? Eigentlich sollten sie alle drei denselben Technikstand teilen.
Nebur sah sich um seinen sicheren Sieg betrogen, als Shema den Strahler hob und auf den verborgenen Auslöser zielte. Was hatte das winzige, getarnte Gerät verraten? Hatte Shema ihn ihrerseits mithilfe einer Sonde beobachtet, als er den Auslöser im Tunnel angebracht hatte?
Das Administrator-Mündel verschwand von einem Moment auf den anderen. Sie nutzte ihre Parafähigkeiten. Nun blieb Nebur nur noch, so schnell wie möglich zur Skundt-Säule auf dem Kampfplatz zu kommen und sich dort Shema und seiner Schwester zu stellen.
»Baccunendreck.« Er rief die Sonden zurück und machte sich auf den Weg. Noch war er im Rennen.
Nebur hatte sich für diesen Skundt etwas ganz Besonderes einfallen lassen, das ihn viel Mühe und Aufwand gekostet hatte. Shema Ghessow würde sich wundern!
*
Shema wusste, dass Yasu ihr auflauern würde. Aber um was zu tun? Der Skundt kannte mehrere Möglichkeiten. Ursprünglich kämpfte jeder gegen jeden, doch es war auch möglich, sich aus taktischen Gründen zusammenzuschließen. Yasu machte sich einen Spaß daraus, Shema wahlweise anzugreifen oder ihr gegen Nebur zu helfen. Bevor Shema nicht wusste, was Yasu an diesem Tag vorhatte, musste sie davon ausgehen, auf eine Gegnerin zu treffen.
Sicherheitshalber hatte Shema den Skundt in einer Tasche an der Seite des Tornisters auf ihrem Rücken verstaut, damit ihr der Schatz nicht entrissen werden konnte. Sie hatten sich darauf geeinigt, dass Shema die letzten 50 Meter zur Säule im Einstein-Raum zurücklegen musste und es nicht galt, ihre Gabe bis zum Ende zu nutzen.
Wachsam näherte sie sich dem Ausgang des Tunnels, erreichte ihn und drang zügig vor. Sofort bemerkte sie die Veränderung. Der Platz war nicht mehr leer. Acht schwarze Blöcke, die zuvor nicht da gewesen waren, standen um die Säule verteilt. Jeder war mannshoch. Shema analysierte sie mit ihren technischen Möglichkeiten und fand heraus, dass die Blöcke hohl waren und sich jeweils etwas darin verbarg.
Als sie herausfinden wollte, was es war, flackerte das Holo über ihrem Multifunktionsgerät. Mit großer Kraft warf sich etwas auf Shema und presste sie zu Boden. Es fühlte sich an, als hätte sich ein Ertruser auf sie gestürzt. Sie stieß überrascht die Luft aus.
Gleichzeitig flammte eine blaue Kuppel wie ein Dom über dem Platz auf. Aus dem Augenwinkel sah Shema eine Bewegung: Einer der Blöcke barst auseinander und gab Nebur frei, der darin gelauert hatte. Eigentlich war es zu spät, sich gegen die plötzlich erhöhte Schwerkraft aufzurichten und auszuweichen, doch Shema gelang es dennoch. Ihr Anzug unterstützte sie, obwohl sie das nicht eigens programmiert hatte. Sie rollte ohne ihr Zutun zur Seite und entging dadurch Neburs Attacke.
Der Pirat warf sich dorthin, wo sie vor Kurzem gewesen war.
Shema sprang auf, griff nach dem Skundt und rannte auf die Säule zu.
Etwas packte ihr Bein von hinten und brachte sie zu Fall. Im Sturz gelang es Shema, den Kristall in eine Beintasche zu stecken und sich auf den Rücken zu drehen. Nebur hatte ihr eine Krallenschlinge um den Knöchel geworfen und zog sie zu sich. Ehe Shema sich aufraffen konnte, warf der Pirat sich auf sie.
Wieder war Shema eine Idee schneller, als sie eigentlich sein dürfte. Ihr Anzug versetzte sie um wenige Zentimeter. Sie fing sich. Es gelang ihr, die Hüfte aufzustellen und Nebur von sich zu stoßen. Beherzt trat sie nach, mitten auf die weiße Brustplatte ihres ächzenden Gegners. Sie kam auf die Füße und stolperte der Säule entgegen.