Pferdeflüsterer-Academy, Band 10 - Die dunkle Wahrheit - Gina Mayer - E-Book

Pferdeflüsterer-Academy, Band 10 - Die dunkle Wahrheit E-Book

Gina Mayer

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Beschreibung

Im wilden Kanada steht ein weißes Schloss: Snowfields. Auf dem Internat werden die weltbesten Reiter ausgebildet und verletzte Pferdeseelen geheilt. Zoe ist von Anfang an nicht wohl dabei, als ihre Freunde Cathy und Aoife zu einem mehrtägigen Reitausflug aufbrechen. Wer über Nacht ohne eine Aufsichtsperson wegbleibt, riskiert von der Schule zu fliegen! Allerdings ist der drohende Rauswurf bald ihr geringstes Problem: Aoife verschwindet spurlos und wenig später gibt es eine Lösegeldforderung. Zoe setzt alles dran, Cathy zu helfen und Aoife zu retten. Entdecke alle Abenteuer in der "Pferdeflüsterer-Academy": Band 1: Reise nach Snowfields Band 2: Ein geheimes Versprechen Band 3: Eine gefährliche Schönheit Band 4: Verletztes Vertrauen Band 5: Zerbrechliche Träume Band 6: Calypsos Fohlen Band 7: Flammendes Herz Band 8: Zoes größter Sieg Band 9: Cyprians Rückkehr Band 10: Die dunkle Wahrheit Band 11: Verborgene Gefühle Band 12: Wild und verwundbar Band 13: Taminos Entführung Band 14: Glück und Hoffnung

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 181

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2022

Die Print-Ausgabe erscheint im Ravensburger Verlag

© 2022 Ravensburger Verlag

Text: Gina Mayer

Vermittelt durch die Literaturagentur Arteaga, Berlin

Umschlaggestaltung unter Verwendung von Bildern von

© begemot_30 / Shutterstock (Landschaft, Hütte);

© Olga_i / Shutterstock (Pferd);

© Parfonovaluliia / iStock (Gesicht Mädchen);

© Krakenimages.com / Shutterstock (Körper Mädchen)

Pferdevignette: © cattallina / 123RF

Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.

ISBN 978-3-473-51124-2

www.ravensburger.de

Dad ist zu Hause. In unserem Wohnzimmer fühlt es sich an wie im Inneren eines Dampfkochtopfs. Es brodelt und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis das Ventil rausfliegt.

Tigris sitzt am Tisch und heult. Ich hocke auf dem Sofa, Colin hat sich vorher schon verzogen, das war klug. Ich beschließe, mich ebenfalls zu verdrücken. Leider muss ich auf dem Weg zur Tür an Dad vorbei. Manchmal hält er einen im letzten Moment fest.

„Ich weiß wirklich nicht mehr weiter mit dir“, schreit er Tigris an, als ich aufstehe. „Bist du komplett vernagelt, oder was?“

Tigris hat ihre Mathearbeit verhauen, acht Punkte von fünfundsechzig. Das ist bei ihr normal. Doch diesmal hat sie sie Dad nicht zum Unterschreiben gegeben, sondern sie unten in ihrer Schultasche versteckt, wo Dad sie gerade eben gefunden hat. Tigris’ Lehrerin hat ihn nämlich angerufen und gefragt, wo die Unterschrift bleibt.

Es ist schon schlimm genug, dass Tigris eine Versagerin ist. Aber dass sie auch noch lügt, ist das Allerletzte, findet Dad.

„Wenn das so weitergeht, kommst du auf ein Internat!“, brüllt er.

Ich bin jetzt an der Tür. Ich sehe, wie Tigris den Kopf hebt. Ihre Augen sind verheult und ihr läuft Rotz aus der Nase.

„Ist mir doch egal!“, schreit sie zurück. „Wenn ich nur hier wegkomme!“

„Müsli, Kekse, Trockenmilch, Nudeln“, zählte Zoe auf. „Was noch?“

Cathy lag bäuchlings auf ihrem Bett. Die Zungenspitze zwischen die Lippen gepresst, tippte sie mit dem Finger auf die Karte, die ausgebreitet auf ihrem Kopfkissen lag.

„Die Strecke am Bach entlang und dann über die Hügel“, sagte sie. „Bis zum Abend schaffen wir es locker bis zur ersten Hütte.“

„Was?“, fragte Zoe irritiert. „Können wir uns vielleicht mal auf eine Sache konzentrieren?“

„Tu ich doch“, sagte Cathy, ohne den Blick zu heben. Sie hatte sich ein altes Handtuch um den Kopf geschlungen, sie färbte sich nämlich mal wieder die Haare. Zoe hatte keine Ahnung, welche Farbe nach dem Auswaschen zum Vorschein kommen würde. Manchmal hatte sie den Verdacht, dass Cathy das vorher selbst nicht wusste. „Ich such unsere Route raus.“

Cathy griff zu einem Kugelschreiber und malte ein dickes Kreuz über ein Haus-Symbol auf der Karte, das eine Wanderhütte markierte.

„Das wollten wir morgen Nachmittag doch alle zusammen machen“, sagte Zoe. „Bis dahin sollten wir beide die Einkaufsliste vorbereiten. Ich will die Sachen in den nächsten Tagen besorgen. Der Supermarkt hat zurzeit nur sporadisch geöffnet, da ist es besser …“

„Ja, ja“, sagte Cathy geistesabwesend, während ihr Finger eine Schlangenlinie auf der Karte beschrieb.

„Seid ihr langsam mal fertig mit euren Vorbereitungen?“ Drew, die im Bett über Cathy lag und mit Kopfhörern Musik hörte, streckte den Kopf zu ihnen herunter. „Es ist schon fast zehn. Ich würde gern das Licht ausmachen.“

Bevor Zoe oder Cathy antworten konnten, wurde die Tür aufgerissen und Isabelle stürmte herein. Wie die anderen Mädchen war sie schon im Schlafanzug. Offensichtlich hatte sie gerade ihre langen braunen Haare gebürstet, sie fielen ihr über die Schultern wie ein kostbares Seidentuch.

„Totale Katastrophe!“, rief sie.

„Was ist denn los?“ Haruko, die vierte Mitbewohnerin, hatte im Bett über Zoe gelesen, nun sah sie Isabelle erschrocken an.

„Mein Bruder“, sagte Isabelle. Wie immer, wenn sie aufgeregt war, hörte man ihren französischen Akzent noch deutlicher als sonst. Isabelle kam aus Quebec im französischsprachigen Teil Kanadas.

„O Gott!“, sagte Zoe. „Ist ihm was passiert?“

„Nein, nein.“ Isabelle ließ sich auf Zoes Bett sinken. „Aber er kann nicht kommen.“

„Was?“ Cathys Schrei war so laut, dass sie erschrocken die Hand vor den Mund presste.

Nach einundzwanzig Uhr war im Internat strikte Nachtruhe angesagt. In ihrer Stufe mussten sie erst um zehn das Licht ausmachen, aber Lärm und Besuche zwischen den Zimmern waren nicht erlaubt. Denn um sechs Uhr morgens mussten sie alle wieder aufstehen und die Tage waren anstrengend.

Die Snowfields Academy, die sie besuchten, war schließlich nicht irgendeine Schule, sondern ein weltweit berühmtes Reitinternat. Hier wurden Nachwuchsreiter ausgebildet, die später auf internationalen Turnieren antraten. Die Liste der Snowfields-Absolventen, die Goldmedaillen und andere Auszeichnungen errungen hatten, war beeindruckend lang.

Zoe und ihre Freundinnen planten allerdings keine Profikarriere im Reitsport – sie gingen in Caleb Coles Pferdeflüsterer-Klasse. Dort lernten sie, wie man auf natürliche Weise mit Pferden kommunizierte und ihr Vertrauen gewann.

Dennoch waren ihre Tage nicht weniger herausfordernd. Wie bei allen Schülern stand eine Menge Reitunterricht auf ihrem Stundenplan. Und natürlich lernten sie auch Mathe, Französisch und Naturwissenschaften. Sie sollten schließlich am Ende einen ganz normalen Schulabschluss machen.

„Warum kann Patrice nicht kommen?“, fragte Cathy in gedämpftem Ton.

„Das ist alles so ein Mist!“ Isabelle verdrehte die Augen. „Die Bauarbeiten für die neue Reithalle gehen früher los als geplant. Er kann unmöglich weg.“

Isabelles großer Bruder war ebenfalls Pferdeflüsterer. Er lebte in England. Dort hatte er eine alte Ranch gekauft, die er nun zum Therapiezentrum und Reiterhof umbaute.

„Wenn Patrice nicht kommt, fällt unsere Tour ins Wasser“, sagte Zoe bestürzt.

Isabelle nickte. Ihre schönen mandelförmigen Augen standen voller Tränen. „Es tut ihm auch wahnsinnig leid. Aber es geht einfach nicht.“

Cathy ließ den Kopf auf ihr Kissen fallen, auf dem immer noch die Landkarte lag. „Das darf doch nicht wahr sein.“

Seit Wochen sprachen sie von nichts anderem als von der fünftägigen Pferdewanderung, die sie für die Ferien geplant hatten. Zusammen mit Patrice wollten sie die Wildnis erkunden, die die Snowfields Academy umgab. Die Gruppe bestand aus Zoe, ihrem Freund Isaac, Isabelle, Cathy und deren Freundin Aoife*. Und ihren Pferden natürlich.

Mit Patrice stand und fiel das Ganze. Er war der einzige Erwachsene in der Gruppe. Wenn er sie nicht begleitete, würde die Schulleitung sie niemals losziehen lassen.

„Ich versuch jetzt, noch einen Flug nach England zu bekommen“, sagte Isabelle. „Damit wir uns wenigstens sehen.“ Sie war kurz vorm Losheulen, genau wie Zoe. Sie hatten sich alle so auf den Ausflug in die Wildnis gefreut.

Zoe ging gerne in die Snowfields Academy. Die Ausbildung in Natural Horsemanship – wie das Pferdeflüstern offiziell bezeichnet wurde – faszinierte sie und sie wurde immer besser darin.

Aber die riesigen Wälder, die das Reitinternat im Nordwesten Kanadas von allen Seiten umgaben, liebte sie noch viel mehr. Wenn Zoe auf dem Rücken von Shaman, ihrem schwarzen Mustang, in das grüne Dickicht aus Büschen und Bäumen eintauchte, erfüllte sie ein Glück, das sie sonst nirgends fand.

Einmal war sie mit Shaman in die Wildnis geflohen, mehrere Tage hatten sie im Wald verbracht. Das Abenteuer hätte Zoe fast das Leben gekostet, dennoch hatte sie sich nie mehr so frei und geborgen gefühlt wie damals.

„Verdammt, verdammt, verdammt!“ Cathy trommelte mit ihren Fäusten auf die Matratze.

Aus der Traum, dachte Zoe. Sie riss die Einkaufsliste aus ihrem Notizbuch, zerknüllte sie und warf sie in den Mülleimer.

„Ich hab nachgedacht“, sagte Cathy, während die Pferdeflüsterer-Klasse zum Round-Pen ging, in dem heute der Unterricht stattfinden würde. „Vielleicht können wir es ja doch noch machen.“

Ihre Haare strahlten grellorange in der Frühlingssonne, die schon die ganze Woche schien. Die Temperaturen waren so mild, dass keiner der Schüler den dunkelgrünen Blazer anhatte, der zur Schuluniform gehörte. Sie trugen kurzärmelige weiße Blusen oder Hemden zu ihren cremefarbenen Breeches.

Die weiten Wiesen, die sich hinter dem Reitplatz ausbreiteten, leuchteten in einem satten Grün, getupft von bunten Wildblumen. Die Luft roch nach jungen Tannennadeln.

„Wie stellst du dir das vor?“ Zoe sah ihre Freundin überrascht an, aber bevor Cathy antworten konnte, kam Caleb auf sie zu. Er führte eine hübsche Haflingerstute am Halfterstrick in den Round-Pen.

„Darf ich vorstellen?“ Nachdem er das Gatter geschlossen hatte, drehte er sich zu seinen Schülern. „Das ist Sandy. Sie hat ein ernsthaftes Problem mit dem Zaumzeug. Und ihr sollt es für sie lösen.“

Zoe war dabei gewesen, als die Stute vor zwei Tagen in Snowfields angekommen war. Ihre Besitzerin – eine junge Frau aus Ottawa – war vollkommen verzweifelt. Sie konnte ihr Pferd nicht reiten, weil es sich einfach nicht auftrensen ließ. Sobald sie versuchte, das Zaumzeug anzulegen, begann Sandy zu scheuen und zu beißen. Alle möglichen Trainer hatten schon ihr Glück mit ihr versucht, aber keiner war erfolgreich gewesen.

Caleb war die letzte Hoffnung für Sandys Besitzerin. Sie hatte Glück gehabt, dass er die Stute in Snowfields aufgenommen hatte. Obwohl die Schule so abgelegen lag, bekam der Pferdeflüsterer Anfragen von Pferdehaltern aus der ganzen Welt, die ihre Pferde zu ihm bringen wollten. Er konnte nicht alle annehmen, seine Warteliste war lang.

Caleb schaffte es eigentlich immer, seinen verstörten, traumatisierten oder einfach nur bockigen Patienten das Vertrauen in die Menschen wiederzugeben.

Er ließ die Pferdeflüsterer-Klasse oft dabei zusehen, wenn er mit der Therapie eines neuen Pferdes begann. Aber dass er die Schüler gleich am Anfang selbst ranließ, war neu.

„Alejandra?“, fragte Caleb.

Die kleine Mexikanerin mit den langen schwarzen Zöpfen nickte nervös und trat in den Round-Pen. Sobald sie das Gatter hinter sich schloss, veränderte sich ihre Haltung. Sie straffte die Schultern, hob den Kopf und wurde von einem schüchternen, pummeligen Mädchen zu einer Respektsperson. Zoe war jedes Mal beeindruckt von der Verwandlung.

Alejandra war auf einem Reiterhof aufgewachsen, ihre Eltern hatten sie in den Sattel gesetzt, als sie gerade einmal drei war. Zoe konnte den aufsteigenden Neid nicht unterdrücken, wenn sie sie bei der Arbeit mit Pferden sah. Alejandra hatte ein angeborenes Gespür für Pferde, das Zoe in hundert Jahren nicht entwickeln würde.

„Was soll ich machen?“, fragte Alejandra.

„Entscheide selbst“, erwiderte Caleb. „Das Zaumzeug hängt hier.“ Er zeigte auf die Absperrung, auf der er schon vorher die Trense abgelegt hatte. „Sandy ist nicht ganz easy, also bitte Vorsicht.“ Er lehnte sich an den Holzzaun des Round-Pens, die Arme vor der Brust verschränkt, den schwarzen Hut tief in die Stirn gezogen. Die typische Caleb-Haltung.

„Okay.“ Alejandra stellte sich erst einmal neben Sandy und nahm Kontakt auf. Die Stute wich nicht zurück, als Alejandra sie streichelte, und zeigte auch keine Spur von Angst.

Gemächlich ging Alejandra zur Absperrung und zog das Zaumzeug herunter, ohne Sandy dabei aus den Augen zu lassen. Sie machte nicht den Versuch, die Trense hinter ihrem Rücken zu verstecken. Pferde nahmen es einem furchtbar übel, wenn man sie reinlegen wollte, das wussten sie alle.

Alejandra ließ das Zaumzeug einfach locker in der Hand hängen, während sie sich wieder auf Sandy zubewegte. Die Augen der Haflingerstute weiteten sich kaum merklich. Sie trat vom linken Vorderbein auf das rechte.

„Alles gut, Sandy“, sagte Alejandra leise.

Sie strich sanft über die Flanke der Stute, klopfte ihren Hals, dann streckte sie ihr das Zaumzeug hin und ließ sie daran schnuppern.

Die Nüstern blähten sich, aber Sandy blieb ganz ruhig. Nun hob Alejandra wie in Zeitlupe die Hand und bewegte das Zaumzeug in Richtung ihrer Ohren.

Und dann war auf einmal nichts mehr gut. Sandy bleckte die Zähne, warf den schönen sandfarbenen Kopf nach oben, ihre weiße Mähne flog durch die Luft.

Alejandra wich sofort ein paar Schritte zurück. Caleb war jetzt neben ihr und zog sie zur Absperrung. Gemeinsam warteten sie ab, bis die Stute sich wieder beruhigt hatte.

„Was hab ich falsch gemacht?“, fragte Alejandra nervös.

Caleb gab die Frage an den Rest der Klasse weiter, die auf der anderen Seite des Zaunes stand. „Was meint ihr?“

„Na ja …“ Isaac, der bei Isabelle und Cyprian stand, fuhr sich durch die Haare, die dadurch noch strubbeliger wurden, als sie ohnehin schon waren. „Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn Alejandra …“

„Komm rein und zeig es uns“, unterbrach ihn Caleb und wies einladend auf das Tor.

Zoes Freund schüttelte den Kopf, als ihm Alejandra die Trense hinhielt. Mit ruhigen Schritten ging er zu Sandy, die jetzt wieder vollkommen entspannt dastand.

Genau wie Alejandra nahm er erst mal Kontakt mit ihr auf. Er tätschelte ihren Hals, strich über ihre Flanken, kraulte ihre Mähne. Dann hob er behutsam die Hand in Richtung ihrer Ohren. Noch bevor er sie berührt hatte, begann die Stute nervös zu schnauben und hob den Kopf.

Isaac hielt sofort inne. Aber er zog die Hand nicht weg, sondern verharrte, die Finger wenige Millimeter von Sandys Kopf entfernt. Er hatte den Blick gesenkt und betrachtete die Stute nur aus den Augenwinkeln. Sein Atem ging ruhig, während Sandy nervös und angespannt war. Sie wich jedoch nicht zurück.

Nach einer Weile ließ Isaac die Hand wieder sinken. Er tätschelte den Hals der Stute.

„Gut gemacht“, sagte er.

„Stimmt“, sagte Caleb. „Ich würde sogar sagen: super.“

„Isaac hat erkannt, dass Sandy eigentlich gar kein Problem mit der Trense hat“, erklärte Caleb der Klasse. „Sie hasst es nur, wenn man ihre Ohren anfasst. Es war total unangenehm für sie, dass Isaac ihr so nahe kam. Aber sie hat es ausgehalten. Und dabei etwas Wichtiges gelernt.“ Sein Blick wanderte über die Klasse und blieb an Cathy hängen. „Und zwar was, Cathy?“

Cathy nahm ihren Kaugummi aus dem Mund, sie wusste, dass Caleb die Kauerei nicht ausstehen konnte. „Sie hat gemerkt, dass nichts Schlimmes passiert ist. Beim nächsten Mal können wir ein kleines Stück weiter gehen.“

Caleb nickte. „Das Entscheidende ist, dass wir rechtzeitig aufhören. Wenn Sandy ausflippt und wir zurückweichen müssen, hat sie gewonnen. Der Reiz ist weg, sie hat sich durchgesetzt. Aber mit dem richtigen Timing können wir sie dazu bringen, uns zu vertrauen.“ Jetzt lächelte er Alejandra aufmunternd an. „Weißt du, wie man die Methode nennt?“

„Shaping?“, fragte sie.

Caleb nickte erneut. „Beobachten ist alles beim Shaping. Du hast vorhin den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht. Lass dir beim nächsten Mal mehr Zeit. Willst du es noch mal versuchen?“

„Also?“, wandte Zoe sich leise an Cathy, während Alejandra wieder auf Sandy zuging, diesmal allerdings ohne Zaumzeug. „Was ist jetzt mit deiner grandiosen Idee?“

„Wir machen das Ganze einfach allein. Ohne Patrice.“ Cathy schob ihren Kaugummi wieder in den Mund.

Zoe schüttelte den Kopf. „Das geht doch nicht, das weißt du ganz genau. Ohne Patrice kriegen wir niemals eine Erlaubnis.“

„Zoe und Cathy“, sagte Caleb ruhig, ohne sich zu ihnen umzudrehen. „Keine Privatgespräche jetzt.“

Cathy grinste Zoe bedauernd zu und tippte auf ihre Uhr. Später, hieß das.

* Ausgesprochen wird der Name wie „I-fa“.

Sie aßen ihr Mittagessen nicht wie sonst in der Mensa, sondern hatten die Tabletts mit in den Innenhof des Internats genommen.

Die Sonne schien durch die Zweige der alten Kastanie, die mitten im Hof stand. Der Baum war älter als das Gebäude, das ihn umgab. Obwohl Snowfields mit seinen dicken Mauern und dem Burggraben an ein mittelalterliches Schloss erinnerte, war es erst vor hundert Jahren erbaut worden.

Zoe, Isaac und Isabelle saßen auf der runden Bank unter der Kastanie, Cathy, Aoife und Cyprian hatten sich Klappstühle geholt und im Halbkreis vor ihnen aufgestellt.

„Wieso soll das Ganze nicht funktionieren?“, fragte Cathy mit vollem Mund. „Kein Lehrer weiß, dass Patrice nun doch nicht kommen kann. Oder hast du die Info schon weitergegeben, Is?“

Isabelle schüttelte den Kopf. „Nee, aber …“

„Dann ist doch alles perfekt“, sagte Cathy. „Wir brechen am Samstag auf, genau wie geplant.“

„Und wenn was passiert?“, fragte Isaac. „Wenn einer von uns stürzt und sich verletzt und vielleicht sogar abgeholt werden muss?“

„Wir sind alle super Reiter“, erwiderte Cathy.

„Niemand ist perfekt“, sagte Cyprian.

„Klar, dass du das wieder sagen musst!“, fauchte Cathy ihn an. „Aber du bist ja ohnehin nicht dabei, also misch dich auch nicht ein.“

Zoe unterdrückte ein lautes Stöhnen. Cathy und Cyprian mal wieder. Zwischen ihnen knallte es mit der schönsten Regelmäßigkeit. Die beiden waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Es war wirklich erstaunlich, dass sie überhaupt miteinander befreundet waren.

Das war jedoch nicht der Grund, warum Cyprian bei der Pferdewanderung nicht mitmachte. Caleb hatte beschlossen, über die Ferien nach Kalifornien zu fliegen, um nach seiner Ranch in den Rocky Mountains zu sehen. Es gab Probleme mit dem Pächter und da Cyprian das Anwesen gut kannte, hatte der Lehrer ihn gebeten, ihn zu begleiten.

Zoe war erleichtert gewesen, als sie das gehört hatte. Bevor sie mit Isaac zusammengekommen war, waren sie und Cyprian ein Paar gewesen, bis Cyprian die Beziehung beendet hatte. Zoe und er verstanden sich jetzt wieder super, dennoch hatte sie die Vorstellung nervös gemacht, dass beide Jungen an dem Ausflug teilnehmen würden.

„Ich bin auf jeden Fall draußen“, sagte Isabelle.

„Was?“ Cathy drehte sich so schnell zu ihr um, dass ihre orangefarbenen Haare durch die Luft flogen. Sie flackerten im Sonnenschein, als stünden sie in Flammen. „Das kann doch wohl nicht wahr sein, Is! Wieso ziehst du den Schwanz ein? Dich schmeißen die niemals von der Schule, egal was passiert.“

Wo sie recht hatte, hatte sie recht. Zusammen mit Cyprian war Isabelle die Beste in der Pferdeflüsterer-Klasse – und in den meisten anderen Fächern auch. Bevor sie in die Snowfields Academy gekommen war, hatte sie bereits eine unglaubliche Karriere als Dressurreiterin hingelegt. Sie war auf vielen internationalen Turnieren gestartet und hatte alle Nachwuchspreise gewonnen, die zu gewinnen waren. Mit dem Turniersport wollte sie jetzt nichts mehr zu tun haben, dennoch war es unvorstellbar, dass man ihr einen Schulverweis erteilen würde.

Cathy spielte dagegen mit dem Feuer. Besonders die stellvertretende Direktorin, Ellen de Cesco, hatte sie schon lange auf dem Kieker. Mrs. de Cesco würde jede Gelegenheit nutzen, um die ungeliebte Schülerin loszuwerden.

„Ich hab noch einen Flug nach England gekriegt“, sagte Isabelle ruhig.

„Was ist mit dir?“ Cathys Augen richteten sich auf Zoe.

„Sorry, Cath.“ Zoe zog eine Grimasse. „Ich bin auch raus. Mir ist das Ganze zu heiß.“

„Dann brauch ich dich ja gar nicht mehr zu fragen.“ Cathy warf Isaac einen wütenden Blick zu, obwohl er noch gar nichts gesagt hatte. Sie griff nach ihrem Tablett, warf den Kopf in den Nacken und stürmte einfach weg.

„Hey, warte doch mal!“ Aoife schnappte sich ebenfalls ihr Tablett und rannte ihrer Freundin nach.

Geschickt balancierte sie das Brett mit ihrem Geschirr auf einer Hand, während sie den anderen Arm um Cathy legte. Aber was sie ihr zuraunte, konnten die anderen nicht verstehen.

„Cathy hat echt eine Schraube locker“, sagte Cyprian, nachdem die beiden in der Mensa verschwunden waren. „Eine heimliche Pferdewanderung, das ist total bescheuert.“

„Aoife wird sie schon zur Vernunft bringen“, sagte Zoe.

„Wirklich?“, fragte Cyprian zweifelnd. „Und wenn es andersrum ist? Cathy bequatscht Aoife, dass sie zu zweit starten?“

Isabelle seufzte. „Zuzutrauen wäre es ihnen.“

„Das wäre irre“, sagte Zoe. „Und es funktioniert auch gar nicht. Es fällt doch auf, wenn die beiden plötzlich verschwinden und der Rest von uns bleibt in der Schule.“

„Na ja …“ Cyprian schaute sie zweifelnd an. Seine Augen waren von einem fast unnatürlich leuchtenden Blau. Zoe wurde immer noch ein bisschen schwindlig, wenn sie hineinsah. „In den Ferien ist hier nur eine Notbesetzung, die meisten Lehrer sind weg.“

„Trotzdem.“ Zoe schüttelte den Kopf. „Wenn Cath und Aoife nicht zu den Mahlzeiten auftauchen, fliegen sie auf.“

Zoe legte den Kopf in den Nacken und starrte in die knorrigen Äste. Zwischen den großen Blättern hingen immer noch ein paar weiße Blütendolden. „Was sollen wir jetzt machen?“

„Ihr beiden bleibt doch auch hier“, sagte Isabelle. „Ihr könnt sie ja mal im Auge behalten. Zoe, du bist die Einzige, auf die Cathy hört. Wenigstens ansatzweise und hin und wieder.“

„Im Moment hört sie hauptsächlich auf Aoife“, wandte Isaac ein.

„Oder seht ihr das anders?“

„Aoife ist mir ein Rätsel.“ Cyprian starrte auf sein Tablett. „Wir wissen nichts über sie. Außer dass sie super reiten kann und ihre Familie aus Irland kommt.“

„Das sagt der Richtige.“ Zoe grinste. Es gab keinen Menschen auf der Welt, der verschwiegener war als Cyprian. Es hatte über ein Jahr gedauert, bis Zoe etwas über seine Vergangenheit erfahren hatte. Und auch heute gab es noch viele Dinge, die sie nicht wusste.

Cyprian lächelte sein schiefes Lächeln, bei dem der eine Mundwinkel nach oben wanderte und der andere nach unten. „Kann sein, dass sie mir deshalb suspekt ist. Weil sie mir irgendwie ähnelt.“

Am Donnerstagabend gab es eine kleine Feier in der Snowfields Academy. Mr. McClain, der in den letzten zehn Jahren die Dressurabteilung der Schule geleitet hatte, verließ Snowfields und zog zurück in sein Heimatland England.

Ein paar Schüler aus der Zehnten hatten ihm zu Ehren ein kleines Pferdeballett einstudiert, das in der großen Reithalle aufgeführt wurde.

Danach hielt die Direktorin Mrs. Fitzgerald eine wunderbare, warme Rede und seine Klasse überreichte Mr. McClain als Abschiedsgeschenk eine handgenähte Satteldecke mit Union-Jack-Aufdruck. Der ehemalige Turnierreiter, den nichts so leicht aus der Fassung brachte, hatte Tränen in den Augen, als er sie entgegennahm.

Nach der offiziellen Verabschiedung wurde im Innenhof gegrillt und es gab alkoholfreie Cocktails.

„Weiß man schon, wer Mr. McClains Nachfolger wird?“, fragte Zoe Caleb, der mit einer Flasche Gingerbeer am Feuer stand.

„Vermutlich“, sagte er. „Aber mich brauchst du nicht zu fragen. Ich halt mich da raus.“

„Also echt, Caleb!“ Zoe sah ihn vorwurfsvoll an. „Uns predigst du immer, dass wir uns mit den anderen Klassen anfreunden sollen, aber du bist uns nicht gerade ein Vorbild.“

Caleb fuhr mit dem Zeigefinger über die Flaschenöffnung. Er wirkte fast ein bisschen verlegen.

Zoe wusste, dass er sich ganz bewusst dafür entschieden hatte, seine Pferdeflüsterer-Klasse in dem renommierten Reiterinternat einzurichten. Langfristiger Reiterfolg und Natural Horsemanship waren für ihn zwei Seiten einer Medaille. Nur ein Reiter, der sein Pferd verstand und respektierte, konnte mit ihm auch Turniere gewinnen.

Deshalb ermunterte Caleb seine Klasse, die anderen Schüler kennenzulernen und sich mit ihnen auszutauschen. Er selbst war jedoch ein totaler Einzelgänger und beschränkte den Kontakt zum Rest des Kollegiums auf das Nötigste.