Pferdeflüsterer-Academy, Band 11 - Verborgene Gefühle - Gina Mayer - E-Book

Pferdeflüsterer-Academy, Band 11 - Verborgene Gefühle E-Book

Gina Mayer

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Beschreibung

Im wilden Kanada steht ein weißes Schloss: Snowfields. Auf dem Internat werden die weltbesten Reiter ausgebildet und verletzte Pferdeseelen geheilt. Zoes Freund Isaac braucht ein neues Pferd für den Reitunterricht, denn seine Apfelschimmelstute Samantha ist den eisigen Wintertemperaturen in Snowfields nicht gewachsen. Zoe begleitet ihn bei seiner Suche – und reist mit ihm nach Neuseeland! Dort trifft sie auf Isaacs Exfreundin, die dringend Hilfe von den angehenden Pferdeflüsterern braucht, denn ihr Pferd verhält sich seltsam. Oder ist das nur ein Vorwand, um Isaac zurückzugewinnen? Entdecke alle Abenteuer in der "Pferdeflüsterer-Academy": Band 1: Reise nach Snowfields Band 2: Ein geheimes Versprechen Band 3: Eine gefährliche Schönheit Band 4: Verletztes Vertrauen Band 5: Zerbrechliche Träume Band 6: Calypsos Fohlen Band 7: Flammendes Herz Band 8: Zoes größter Sieg Band 9: Cyprians Rückkehr Band 10: Die dunkle Wahrheit Band 11: Verborgene Gefühle Band 12: Wild und verwundbar Band 13: Taminos Entführung Band 14: Glück und Hoffnung

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 182

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2022

Die Print-Ausgabe erscheint im Ravensburger Verlag

© 2022 Ravensburger Verlag

  

Text: Gina Mayer

Vermittelt durch die Literaturagentur Arteaga, Berlin

  

Umschlaggestaltung unter Verwendung von Bildern von

© S Watson_30 / Shutterstock (Landschaft 1);

© Parfonovaluliia / iStock (Gesicht Mädchen);

© shu Kseniia Perminova / Shutterstock (Körper Mädchen);

© Kwadrat / Shutterstock (Pferd);

© Monika_1 / Shutterstock (Landschaft 2)

Pferdevignette: © Apilart / iStock

  

Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.

ISBN 978-3-473-51150-1

 

ravensburger.com

Im Empfangsraum steht ein alter Holztisch mit einer Vase voller Wildblumen. An der Wand sind ein paar Stühle aufgereiht, aber ich setze mich nicht hin.

Ich gehe in dem Raum auf und ab und sehe mir die Bilder an, die an den Wänden hängen. Einige sind in Öl gemalt, andere in Aquarell und es gibt auch ein paar Bleistiftzeichnungen.

„Die sind bestimmt von den Verrückten“, sage ich.

Mum antwortet nicht, sie sitzt auf einem der Stühle und starrt den Blumenstrauß an, als warte sie darauf, dass er zu sprechen anfängt. Aber das hier sind keine sprechenden Blumen. In diesem Zimmer spricht nichts zu mir, nur die Bilder an den Wänden kichern hin und wieder leise vor sich hin.

Nach einer Weile geht die Tür auf und eine junge Frau kommt herein. Sie hat lange, wellig braune Haare, die über ihre Schultern fallen. Ihre Jeans sind zerrissen und auf ihre Stirn ist ein roter Punkt gemalt.

„Hallo!“ Mum springt auf. „Wir sind …“

„Ich weiß, wer ihr seid“, sagt die Frau und lächelt. „Ich heiße Amara. Herzlich willkommen bei Terramoon.“

Auf der kleinen Lichtung am Bach zügelte Isaac seine Stute Samantha.

„Kurze Pause“, sagte er, während er abstieg.

Zoe brachte Shaman ebenfalls zum Stehen und sprang von seinem Rücken. Sie hatte den schwarzen Mustang nicht gesattelt und er trug auch kein Zaumzeug. Bei ihren Ausritten legte Zoe ihm einfach nur einen Halsring um. Jetzt zog sie ihm den Lederring über die Ohren und nahm ihn ab, damit er sich nicht im Unterholz verfing. Sie bedachte Shaman mit einem zärtlichen Klaps, worauf er sich in Bewegung setzte und zum Bach hinunterstieg.

Zoe ging nicht mit. Sie musste den Hengst nicht festbinden, er blieb immer in ihrer Nähe und wäre niemals weggelaufen.

Isaac führte Samantha am Zügel zum Wasser und ließ sie ausgiebig trinken. Danach machte er sie am Stamm einer jungen Birke fest. Die Apfelschimmelstute senkte den Kopf und begann, das Waldgras aus dem Boden zu zupfen. Ihre Kiefer malmten.

Nach kurzer Zeit kam auch Shaman wieder zurück und fing an zu grasen.

Zoe ließ sich auf einen abgesägten Baumstamm sinken und reckte das Gesicht in die warme Abendsonne.

„Das ist das schönste Geräusch der Welt, findest du nicht auch?“, fragte sie verträumt.

„Was meinst du?“ Isaac setzte sich neben sie und nahm seinen Reithelm ab. Seine blonden Haare sprangen mal wieder in alle Richtungen. „Das Vogelgezwitscher im Wald?“

„Das ist auch schön“, sagte Zoe. „Aber fressende Pferde klingen am besten. So friedlich.“

Er lauschte ebenfalls und lächelte. „Stimmt. Das mochte ich schon als Kind. Meine Klassenkameraden haben am Nachmittag immer Fußball gespielt, aber ich bin auf die Koppel und hab nach den Pferden gesehen. Manchmal hab ich mich einfach nur ins Gras gelegt und ihnen beim Fressen zugehört.“

„Cool.“ Zoe lehnte sich an ihn. „Meine Freundin Kim ist auch immer in den Reitstall, als wir klein waren. Aber ich war damals mit anderen Sachen beschäftigt.“

„Ich weiß.“ Isaac legte den Arm um ihre Schulter.

In ihrem ersten Leben – wie Zoe es nannte – hatte sie jeden Tag stundenlang Querflöte gespielt. Und sie hatte Konzerte gegeben. Bereits als Elfjährige war sie als Soloflötistin in sämtlichen Großstädten der Welt aufgetreten. Sie hatte mit allen berühmten Orchestern gespielt, ihre Konzerte waren Monate im Voraus ausverkauft gewesen. Bis sie mit dreizehn einen Burn-out bekommen und ihre Karriere von einem Tag auf den anderen beendet hatte.

In dieser Zeit war sie Shaman zum ersten Mal begegnet. Der schwarze Mustang hatte ihr Leben verändert und sie das seine, denn dank Zoe hatte der Hengst wieder Vertrauen zu den Menschen gefasst.

Wegen Shaman hatte Zoe sich auch entschlossen, sich in der berühmten Snowfields Academy anzumelden. In dem Reitinternat im Nordwesten Kanadas wurden Schüler aus der ganzen Welt trainiert, die später auf internationalen Turnieren oder bei Olympia Medaillen und Pokale gewannen. Zoe war allerdings in keiner der Profireiterklassen, sie und ihre Freunde wurden von Caleb Cole zu Pferdeflüsterern ausgebildet.

Genau wie Isaac war auch der Rest ihrer Mitschüler mit Pferden aufgewachsen, nur Zoe musste alles ganz neu lernen. Und das war ziemlich hart.

Zwei Jahre hatte sie nun schon in Snowfields verbracht und mehr als einmal war sie versucht gewesen hinzuschmeißen. Wenn Shaman nicht gewesen wäre, hätte sie bestimmt nicht durchgehalten.

In Momenten wie diesen war sie unendlich froh, dass sie nicht aufgegeben hatte. Ohne die Ausritte mit Shaman in die weiten Wälder, die die Snowfields Academy umgaben, konnte sie sich ihr Leben nicht mehr vorstellen. Sie liebte die Wildnis, die Einsamkeit und die Freiheit, die sie hier fand. Und Isaac natürlich. Seit sie zusammen waren, war ihr Leben perfekt.

„Ich hab gestern mit Mum geskyped“, sagte er, während er ihren Arm streichelte. „Sie freut sich sehr auf uns.“

„In zwei Wochen sind wir schon da“, sagte Zoe. „Ich freu mich auch.“

Nach dem Wochenende begannen in Snowfields die Sommerferien. Zum großen Sommerfest, das am Samstagabend in der Schule stattfand, kamen auch Zoes Eltern angereist. Am nächsten Tag würden sie mit Zoe, Isaac und Samantha zum Flughafen nach Whitehorse fahren und nach Vancouver fliegen.

Für die Stute ging es von Vancouver aus direkt nach Neuseeland weiter, wo sie von Isaacs Mum abgeholt werden würde. Zoe und Isaac würden noch eine Woche bei Zoes Eltern verbringen und dann ebenfalls in Isaacs Heimat fliegen. Drei Wochen wollten sie in dem Gestüt in der Nähe von Queenstown bleiben, in dem Isaac aufgewachsen war. Zoe platzte vor Neugierde, Neuseeland endlich kennenzulernen.

„Samantha ist bestimmt froh, wenn sie wieder zu Hause ist“, sagte Zoe mit Blick auf die Apfelschimmelstute.

Samantha hatte sich nie an das raue Klima in Kanada gewöhnt. Im eisigen Winter war sie fast erfroren und die oft schwülen Temperaturen im Sommer setzten ihr ebenfalls zu. Deshalb hatte Isaac sich entschlossen, die Stute wieder nach Neuseeland zurückzubringen.

Seine Mutter, die selbst Pferde züchtete, wollte ihm dabei helfen, ein neues Reitpferd auszusuchen, das ihn dann nach Snowfields begleiten würde.

„Ist echt blöd für Samantha, dass in Neuseeland gerade Winter ist.“ Isaac betrachtete die Stute voller Anteilnahme. Seine Mundwinkel nahmen einen winzigen Schwung nach oben. Auch wenn er ernst war, schien er immer leicht zu lächeln. „Auf der Südinsel ist es um diese Zeit auch ganz schön frostig. Sie gerät sozusagen vom Regen in die Traufe.“

„Nach dem Winter kommt der Frühling“, sagte Zoe. „Das verspreche ich dir, Samantha.“

„Du bist so weise“, murmelte Isaac und gab ihr einen Kuss. „Dafür liebe ich dich.“

Zoes Handy begann leise zu piepen.

„Mein Wecker.“ Sie verdrehte die Augen. „Wir sollten zurück zum Schloss. Ich muss gleich noch üben.“

„Ach ja, richtig.“ Isaac wuschelte durch ihre schulterlangen Haare. „Dein großer Auftritt steht ja bald an.“

„Ich könnte mich ohrfeigen, dass ich mich darauf eingelassen habe“, sagte Zoe. „Aber Mrs. Fitzgerald hat einfach nicht locker gelassen. Und jetzt hab ich den Salat. Vielleicht werde ich ja noch krank. Ich hab so ein komisches Grummeln im Bauch und mein Kopf tut auch ein bisschen weh …“

„Das ist alles psychisch.“ Isaac stand auf und zog Zoe ebenfalls auf die Beine. „Du wirst nicht krank. Komm schon, Zoe. Die ganze Schule will dich endlich mal spielen hören. Du bist unser Top Act.“

Amara führt mich durch einen langen Flur. Durch die Fenster auf beiden Seiten kann man in einen schönen Garten sehen, in dem Blumen blühen und ein Springbrunnen plätschert. Irgendwo zwitschern Vögel.

Wir betreten ein Seitengebäude, dort klopft sie an eine Tür und öffnet sie.

„Sie ist da“, sagt sie und während sie mir aufmunternd zunickt, schiebt sie mich mit sanftem Druck über die Schwelle.

Das Zimmer ist nicht sehr groß. Auch hier hängen Bilder an der Wand, die leise vor sich hinmurmeln. Eine Uhr tickt. Sie beobachtet mich.

Hinter einem Tisch sitzt ein Mann, der aussieht wie Jesus. Er hat lange dunkelblonde Haare, einen Vollbart und helle Augen, die mich eindringlich mustern.

„Willkommen“, sagt er und deutet auf einen Stuhl ihm gegenüber. „Setz dich. Ich freue mich, dass du hier bist.“

Ich verschränke die Arme vor der Brust und bleibe stehen. Ich freue mich nicht, das kann er ruhig merken.

„Du musst keine Angst haben“, sagt Jesus.

Ich stoße ein verächtliches Lachen aus. So was Ähnliches hat Dr. Magnussen am Anfang auch gesagt. Und am Ende sollte ich dann in die Psychiatrie und alle möglichen Medikamente nehmen. Dabei weiß jeder, dass das Zeug dich krank macht.

„Nur damit das klar ist“, sage ich. „Ich schlucke keine Pillen.“

Jesus lächelt. Seine Zähne sind groß und weiß, genau wie sein Hemd und seine Hose.

„Nein“, sagt er. „An Pillen glauben wir hier nicht. Wir arbeiten mit ganz anderen Methoden.“

Seit Zoe in Snowfields war, versuchte Mrs. Fitzgerald, die Direktorin der Schule, sie zu überreden, auf einem der Schulfeste mit ihrer Flöte aufzutreten. Bisher hatte Zoe sich standhaft geweigert. Ihre Karriere als Musikerin war beendet und nachdem sie die Ausbildung zur Pferdeflüsterin begonnen hatte, hatte sie ihre Querflöte so gut wie gar nicht mehr in die Hand genommen.

Aber vor einigen Wochen wäre ihre Freundin Aoife* nach einem schlimmen Fehltritt fast von der Schule geflogen. Mrs. Fitzgerald hatte sich damals so großzügig verhalten, dass Zoe vor lauter Dankbarkeit eingeknickt war und ihr versprochen hatte, beim Sommerfest ein kleines Flötenkonzert zu geben. Zoes Mutter Irmhild Sullivan, die ebenfalls eine bekannte Solistin war, würde sie auf der Geige begleiten.

Seitdem war kein Tag vergangen, an dem Zoe ihre Zusage nicht bitter bereut hatte. Irmhild Sullivan hatte ein modernes Stück ausgesucht – die Titelmusik der erfolgreichen Serie Strange Feelings. Ein befreundeter Komponist hatte die Melodie für Querflöte und Geige arrangiert.

Das Stück war nicht besonders schwer, Zoe hätte es früher an einem halben Tag einstudiert. Jetzt arbeitete sie sich seit vier Wochen daran ab und war immer noch weit von ihrer einstigen Fertigkeit entfernt. Ihre Finger waren so steif und ungelenk geworden, es war schrecklich.

Zoe wusste genau, dass ihre Mom sich unglaublich auf den gemeinsamen Auftritt mit ihr freute. Sie hatte lange gebraucht, um zu akzeptieren, dass Zoes Ausbildung in Natural Horsemanship – wie die Pferdeflüsterei offiziell genannt wurde – keine vorübergehende Laune war. Ein kleiner Teil von ihr hoffte wahrscheinlich immer noch darauf, dass Zoe sich wieder der Musik zuwenden würde.

Als die Pferde den Wald verließen und die hügeligen Wiesen vor dem See erreichten, ließen Zoe und Isaac ihnen freien Lauf. Sie galoppierten auf das Schloss zu, wie die Snowfields Academy genannt wurde.

Das Hauptgebäude, in dem das Internat untergebracht war, sah ja auch wirklich aus wie ein uraltes Märchenschloss. Das riesige Haus war von einem Burggraben und einer dicken weißen Mauer umgeben und mit einem Gewirr aus spitzen Giebeln und runden Türmen verziert. Die Anlage stammte allerdings nicht aus dem Mittelalter, sondern war erst vor hundert Jahren von einem Eisenbahnmillionär erbaut worden, der sich damit ein Denkmal setzen wollte.

Als der Komplex in ein Eliteinternat für Profireiter umgebaut worden war, war der historische Teil durch moderne Anbauten ergänzt worden, in denen die Mensa, die Seminarräume, die Reithallen und die Stallungen untergebracht waren.

Auf dem Schulgelände befanden sich auch noch ein Supermarkt, die Blockhäuser, in denen die Lehrer und alle weiteren Angestellten wohnten, und das Gästehaus, in dem Zoes Eltern und die anderen Besucher des Sommerfestes übernachten würden.

„Wenn du willst, mach ich Shaman für dich fertig“, bot Isaac Zoe an, als sie den Weg erreichten, der hoch zur Schule führte „Dann kannst du dich direkt auf deine Flöte stürzen.“

„Das wäre super“, sagte Zoe. „Meine Mom kommt morgen an, bis dahin muss ich das Ganze echt draufhaben. Wir haben nur einen Abend, um gemeinsam zu üben.“

„Das läuft schon.“ Isaac gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Wir sehen uns nachher in der Mensa, okay?“

Vor dem Steinsteg, der über den Burggraben auf das Schulgelände führte, stiegen sie beide ab. Isaac brachte Samantha zum Sattelplatz und Shaman folgte ihm. Zoe rannte durch das Tor in den Innenhof der Schule. Und prallte dort fast mit einer jungen Frau zusammen.

„Zoe!“ Das Gesicht der Frau leuchtete auf, als sie Zoe erkannte. „Schön, dich wiederzusehen.“

„Siri.“ Zoe blieb überrascht stehen.

Siri Goldberg war eine erfolgreiche Pferdetrainerin, die im Frühling bereits mehrere Wochen in der Snowfields Academy verbracht hatte. Damals hatte sie Mrs. de Cesco, die stellvertretende Direktorin des Internats, bei der Ausbildung ihres Fohlens unterstützt. Zoe wusste, dass Mrs. de Cesco Siri angeboten hatte, als Lehrerin in der Schule zu unterrichten. Ganz offensichtlich hatte Siri Goldberg sich nun dazu entschlossen, das Angebot anzunehmen, sonst wäre sie ja wohl nicht zurückgekommen.

„Wie geht es dir?“ Die Pferdetrainerin musterte sie aus ihren schräg stehenden dunklen Augen.

Siri hatte eine olivfarbene Haut, ein schmales Gesicht mit hohen Wangenknochen und dickes glänzend schwarzes Haar, das sie zu einem unordentlichen Pferdeschwanz geschlungen hatte. Sie trug weite verwaschene Jeans und ein Männerhemd mit aufgekrempelten Ärmeln.

„Gut“, sagte Zoe. „Sind ja bald Ferien.“ Sie räusperte sich unsicher. „Warum … äh … sind Sie hier?“

„Na, wegen dem Sommerfest natürlich!“, sagte Siri. „Ellen schwärmt mir schon seit Jahren davon vor und dieses Jahr habe ich endlich mal Zeit, mir das Ganze anzuschauen.“

Das klang wirklich so, als ob Siri ihren Vertrag schon unterschrieben hätte.

„Ich habe gerade erfahren, dass du spielen wirst“, fuhr Siri fort. „Finde ich super!“

Zoe lächelte schief. „Keine Ahnung, ob das so super wird.“

„Hey, das ist doch keine Frage.“ Siri warf einen Blick auf ihre Uhr. „Hast du Zeit für einen Tee? Dann kannst du mir erzählen, was hier alles los war, während ich weg war.“

Der Vorschlag war verlockend. Beim gemeinsamen Teetrinken würde Zoe bestimmt herausfinden, wie die Pläne der Pferdetrainerin aussahen. Und ihre Übungssession konnte Zoe auch auf die Zeit nach dem Abendessen verschieben.

Bevor sie jedoch Ja sagen konnte, trat eine schlanke Frau mit silberblondem Haar aus dem Haupteingang. Sie trug weiße Breeches zu einem cremefarbenen Blazer, ihre schwarzen Reitstiefel blitzten in der Abendsonne, die schräg in den Innenhof fiel.

Mrs. de Cesco, die stellvertretende Direktorin der Snowfields Academy.

Als die Lehrerin Zoe sah, runzelte sie die Stirn. Und Zoe verzog unwillkürlich das Gesicht. Ihre gegenseitige Abneigung war so ziemlich das Einzige, was Zoe und Mrs. de Cesco miteinander teilten.

Die stellvertretende Direktorin kam jetzt mit energischen Schritten auf sie zu. Zoe staunte mal wieder, wie makellos sauber ihre Reithosen waren. Dabei hatte Ellen de Cesco einen Großteil des Tages in der Reithalle verbracht und war bestimmt auch im Sattel gesessen.

Sie unterrichtete alle Disziplinen: Springreiten, Dressur und Vielseitigkeitsreiten. In der Snowfields Academy war sie die verhassteste Lehrerin, weil sie absolut gnadenlos war. Unzählige talentierte Nachwuchsreiter hatten die Schule verlassen müssen, weil sie den enormen Ansprüchen der mehrfachen Olympiasiegerin nicht standgehalten hatten.

Aber trotz ihrer Grausamkeit rissen sich die Schülerinnen und Schüler danach, in ihre Klasse zu kommen. Denn der Erfolg gab der stellvertretenden Direktorin recht. Bei den großen internationalen Turnieren und Wettkämpfen belegten ihre ehemaligen Schüler mit schönster Regelmäßigkeit die vorderen Plätze. Wer Ellen de Cesco überstanden hatte, schaffte alles andere mit links.

Jetzt hatte die Lehrerin Zoe und Siri Goldberg erreicht. Sie grüßte nicht, das machte sie nie. Der Blick ihrer eisgrauen Augen streifte Zoe nur kurz, dann richtete er sich auf Siri.

„Sollen wir dann mal?“, fragte sie.

Zoe wusste, dass Mrs. de Cesco und Siri eine lange gemeinsame Geschichte hatten. Sie waren sogar mal ein Liebespaar gewesen, aber das war wohl ziemlich schiefgegangen.

Zoe war sich sehr sicher, dass die stellvertretende Direktorin Siri immer noch liebte, allerdings wurden ihre Gefühle nicht erwidert.

„Klar“, sagte Siri fröhlich. „Zoe kommt auch mit, oder?“

„Das geht leider nicht!“, stieß Zoe hastig hervor. Tee mit Mrs. de Cesco – was für eine schreckliche Vorstellung. „Ich muss noch ein bisschen üben, sonst wird das übermorgen ein Desaster.“

Siri lachte hell auf, während Mrs. de Cesco keine Miene verzog.

„Daran will ich auf keinen Fall schuld sein.“ Siri Goldberg klemmte eine Haarsträhne hinter ihr Ohr, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatte. „Wir finden bestimmt eine andere Gelegenheit. Bis später, Zoe.“

*  Ausgesprochen wird der Name wie „I-fa“.

„Dein Einsatz ist immer noch zu hart“, sagte Irmhild Sullivan. „Es muss an dieser Stelle aber ganz weich und zärtlich klingen. Entspann dich, Zoe.“

Entspann dich. Wenn sie nicht so fertig gewesen wäre, hätte Zoe laut gelacht. Ihre Eltern waren am frühen Nachmittag mit dem Shuttlebus in Snowfields angekommen. Direkt danach hatten Zoe und ihre Mutter sich in einen der kleinen Räume unter dem Dach des Internats zurückgezogen. Und seitdem übten sie.

Das Stück, das sie bei der Gala am nächsten Abend aufführen wollten, war nur zehn Minuten lang und total eingängig und unkompliziert. Aber Zoe hatte das Gefühl, dass sie noch nie zuvor eine Flöte in der Hand gehabt hatte. An jedem Ton fand ihre Mutter etwas auszusetzen.

Im Zimmer war es schrecklich stickig. Und draußen war ein so herrlicher Sommerabend. Zoes Vater und die übrigen Eltern, die bereits angereist waren, saßen mit ihren Kindern im Innenhof. Auf einem großen Grill wurden Würstchen und Gemüse gegrillt und es gab alkoholfreie Cocktails. Wie gerne wäre Zoe jetzt dort unten gewesen.

„Komm schon, Zoe.“ Irmhild Sullivan war ihr unzufriedenes Gesicht nicht entgangen. „Wir haben es fast geschafft. Der Anfang klappt eigentlich ganz gut, nur in der Mitte hakt es noch. Aber das packen wir schon.“ Sie tippte mit der Spitze ihres Geigenbogens auf die Noten, die vor ihr auf dem Ständer lagen. „Wir fangen noch mal bei Takt 146 an.“

Zoe unterdrückte ein Seufzen.

Irmhild Sullivan platzierte die Geige zwischen Schulter und Kinn und fuhr mit dem Bogen sanft über die Saiten. Zoe setzte ebenfalls ein, zart und behutsam. Die Flöten- und Geigenstimme schmiegten sich aneinander, es war perfekt – bis zu den schnellen Kadenzen in Takt 169.

„Viel zu energisch.“ Ihre Mutter ließ die Geige sinken. „In dem Stück geht es um Zärtlichkeit und Hingabe. Das muss man in jeder Note spüren. Denk doch mal an deinen Isaac, wenn du das spielst. Oder meinetwegen auch an dein Pferd. Du musst auf jeden Fall ein Bild im Kopf haben, sonst klappt das nicht.“

„Ach, Mom.“ Zoe legte ihre Flöte auf den Notenständer und dehnte die Finger. „Ich bin einfach nicht mehr so gut wie früher. Da kann man nichts machen.“

„Nun hör aber auf!“, rief ihre Mutter. „Es kommt alles wieder, glaub mir. Das kann morgen wirklich ganz schön werden.“

Nun musste Zoe grinsen. Ganz schön. Das war normalerweise kein Kriterium für Irmhild Sullivan. Ein Konzert war entweder perfekt oder schlecht. Als Solistin durfte man sich nicht den kleinsten Fehler erlauben, hatte sie Zoe früher immer gepredigt. Was in der Probe nicht zu hundert Prozent saß, ging beim Konzert mit absoluter Sicherheit schief.

Irmhild Sullivan hatte ihre Diszipliniertheit, ihren Fleiß und ihren Perfektionismus an Zoe weitergegeben. Das hatte Zoe enorm geholfen, solange sie noch Profimusikerin gewesen war. Aber beim Natural Horsemanship nützte ihr der Ehrgeiz nichts. Im Gegenteil sogar, in der Zusammenarbeit mit den Pferden zählten allein Geduld und Gelassenheit.

Es reicht jetzt, dachte Zoe, aber bevor sie diesen Gedanken aussprechen konnte, wurde an die Tür geklopft.

„Ja?“ Irmhild Sullivans Stimme klang ungeduldig. Sie hasste Störungen während der Probe.

„Hi.“ Im Türspalt erschien ein Kopf mit ziemlich struppigen zartrosafarbenen Haaren. Cathy Sullivan.

Pünktlich zum Sommerfest hatte Zoes Freundin mal wieder ihre Haarfarbe gewechselt. Vor ein paar Tagen waren ihre Haare noch grell orange gewesen, nun glänzten sie wie gefärbte Zuckerwatte. Cathy war allerdings nicht sehr zufrieden mit dem Ergebnis des Experiments.

„Ich seh ja aus wie eine Barbie“, hatte sie nach dem Auswaschen der Farbe gesagt.

Zum Ausgleich hatte sie ihre Augen heute mit dicken schwarzen Balken umrandet und trug extra viel Mascara.

„Wollte nur mal fragen, wann ihr hier fertig seid“, erkundigte sie sich.

„Wieso?“, fragte Zoes Mutter zurück. „Brauchst du diesen Raum?“

„Nee.“ Cathy schüttelte den Kopf. „Aber unten ist eine super Stimmung. Und ihr übt schon so lange.“

Irmhild Sullivan runzelte die Stirn. „Wir machen noch einen Durchgang“, sagte sie. „Und dann schauen wir mal.“

„Nein, Mom.“ Zoe verstaute ihre Querflöte in dem mit Samt ausgekleideten Etui, das auf dem Tisch lag. „Jetzt ist Schluss. So gut, wie du es gern hättest, werde ich nie mehr werden. Außerdem hab ich einen Bärenhunger und du bestimmt auch.“

Zwischen den Brauen ihrer Mutter bildete sich eine steile Falte. Zoe sah, wie sie tief ein- und langsam wieder ausatmete.

„Okay“, sagte sie dann. „Gehen wir runter.“ Das Lächeln, das sie Zoe zuwarf, kostete sie sichtlich Mühe. „Wird schon schiefgehen morgen.“

„Endlich.“ Isaac drückte Zoe ein Glas Zitronen-Minz-Limonade in die Hand. „Wir hatten schon befürchtet, dass ihr die Nacht durchmacht.“

„Wenn’s nach Mom gegangen wäre, wäre das auch passiert. Aber Cathy hat mich gerettet.“

„Dein Dad hat sie nach oben geschickt. Eigentlich sollte ich gehen, aber ich hab mich nicht getraut.“

„Kann ich verstehen.“ Zoe warf ihrem Vater einen liebevollen Blick zu, den dieser allerdings nicht bemerkte. Er drückte seiner Frau gerade einen Teller mit einer Baked Potato und Grillgemüse in die Hand.

Roger Deventer war Personalleiter in einem Maschinenbaukonzern. Er liebte klassische Musik und hatte Zoes Karriere als Wunderkind nach besten Kräften unterstützt, aber ihr großer Ehrgeiz war ihm immer ein bisschen suspekt gewesen. Von der Pferdewelt verstand Zoes Dad genauso wenig wie ihre Mutter, aber er spürte, dass Zoe jetzt viel glücklicher und entspannter war als früher – und allein das zählte für ihn.

„Guck mal da drüben.“ Isaac schaute über Zoes Schulter hinweg zu der runden Bank unter der alten Kastanie. „Siri Goldberg hat richtig Spaß.“

Die Pferdetrainerin saß mit Max Conelly und ein paar anderen Schülern zusammen und schüttete sich gerade aus vor Lachen.