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Im wilden Kanada steht ein weißes Schloss: Snowfields. Auf dem Internat werden die weltbesten Reiter ausgebildet und verletzte Pferdeseelen geheilt. Cyprians Leben steht auf Messers Schneide. Seit ein wild gewordenes Pferd ihn getreten hat, liegt er auf der Intensivstation im Krankenhaus. Jetzt kann ihm nur noch ein enger Verwandter helfen, der dieselbe Blutgruppe hat wie er. Zoe und ihre Freunde suchen verzweifelt nach Cyprians Angehörigen und stoßen dabei auf ein lange gehütetes Geheimnis, das ihre Welt ins Wanken bringt ... Entdecke alle Abenteuer in der "Pferdeflüsterer-Academy": Band 1: Reise nach Snowfields Band 2: Ein geheimes Versprechen Band 3: Eine gefährliche Schönheit Band 4: Verletztes Vertrauen Band 5: Zerbrechliche Träume Band 6: Calypsos Fohlen Band 7: Flammendes Herz Band 8: Zoes größter Sieg Band 9: Cyprians Rückkehr Band 10: Die dunkle Wahrheit Band 11: Verborgene Gefühle Band 12: Wild und verwundbar Band 13: Taminos Entführung Band 14: Glück und Hoffnung
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Seitenzahl: 182
Veröffentlichungsjahr: 2025
Als Ravensburger E-Book erschienen 2025
Die Print-Ausgabe erscheint im Ravensburger Verlag
© 2025 Ravensburger Verlag
Text: Gina Mayer
Vermittelt durch die Literaturagentur Arteaga, Berlin
Umschlaggestaltung unter Verwendung von Bildern von
© Mike Pellinni / Shutterstock (Landschaft)
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© paffy / Shutterstock (Körper Mädchen)
© terekhov igor / Shutterstock (Pferd)
Pferdevignette: © yod67 / iStock
Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durchRavensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.
ISBN 978-3-473-51260-7
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Elena!“
Die schrille Stimme ihrer Mutter riss sie aus ihren Tagträumen. In ihrer Vorstellung war sie auf Smoke über eine weite Steppe geflogen, unter einem strahlend blauen Himmel. Weit und breit war nichts zu sehen außer grünem Grasland. In der Ferne ein paar Berge, aber da wollte sie nicht hin. Sie wollte nirgendwohin, sie wollte einfach nur reiten, ohne Ziel, ohne Pflichten und Aufgaben.
„Elena! Wo steckst du, zum Teufel! Der’mo!“ Wie immer, wenn ihre Mutter wütend war, verfiel sie in ihre Muttersprache.
Elena schlang die Arme um ihre Beine, legte den Kopf auf die angezogenen Knie, sie machte sich ganz klein. Smoke stand neben ihr und zupfte Heuhalme aus seiner Raufe, die er zwischen den Kiefern zermalmte.
„Elena?“
Lass mich in Ruhe, dachte Elena, aber sie wusste, dass das nicht geschehen würde. Ihre Mutter ließ niemanden in Ruhe. Sie hielt nichts von Tagträumen. Sie wollte, dass alle etwas taten. Und zwar das, was sie von ihnen verlangte.
Der Vater war vor einem Jahr geflohen, er lebte jetzt in Kalifornien, wo er die Stimme der Mutter nicht mehr hörte. Er hatte die Mutter und Elena verlassen, den Reitstall, dieses gottverlassene Stück Erde, das ihnen genauso wenig gehörte wie die Pferde.
Elena wäre auch gerne verschwunden, aber sie konnte nicht weg, sie war noch ein Kind.
„Elena?“ Die Stimme der Mutter kam näher. Sie wusste, wo sie Elena finden würde. Bei Smoke, sie war immer bei Smoke.
„Ja!“, rief Elena und stand auf.
Shaman machte einen Schritt nach vorn und landete mit dem rechten Vorderhuf auf einer zugefrorenen Pfütze. Unter seinem Fuß brach die dünne Eisschicht mit einem leisen Knacken.
Zoe seufzte laut auf.
„Was?“, fragte Isaac, der mit seinem Pferd Nadir hinter ihr und Shaman ging.
„Ich liebe dieses Geräusch“, sagte Zoe.
„Welches Geräusch?“
„Hör doch mal.“ Sie führte Shaman ein Stück nach links, wo der Weg ebenfalls noch gefroren war. Wieder knackte das Eis unter seinem Huf. „Das klingt so nach Frühling.“
Isaac lachte. „Stimmt.“
Wie immer am Wochenende waren Zoe und Isaac früh aufgestanden und in der Dämmerung zur Pferdeweide gelaufen, wo Shaman und Nadir schon auf sie gewartet hatten. Sie hatten beide Tiere aufgezäumt, obwohl Zoe Shaman für gewöhnlich ohne Sattel und nur mit einem Halsring ritt. Aber bei Tauwetter war der Boden an vielen Stellen so rutschig, dass das einfach zu riskant war.
Auf den Wiesen war der Schnee fast weggetaut, dort waren sie getrabt. Aber sobald sie den Waldrand erreicht hatten, waren sie abgestiegen und nun führten sie die Pferde über die vereisten Pfade.
„Dieses Tröpfeln und Plätschern mag ich auch total“, fuhr Zoe fort.
Überall im Wald gluckerte es leise. Im Bach floss endlich wieder ein klares Rinnsal, auch wenn die beiden Ufer noch mit Schnee und Eis bedeckt waren, und von den Bäumen und Büschen tropfte das Tauwasser. Die Sonnenstrahlen, die durch die unbelaubten Zweige zu ihnen herunterdrangen, verwandelten die schmelzende Pracht in ein glitzerndes Kunstwerk.
Jeder neue Tag begann ein bisschen früher und war ein bisschen länger und heller und wärmer als der davor.
Die letzten Wochen waren ungeheuer anstrengend gewesen. Aber daran war nicht das Wetter, sondern der Unterricht schuld. Nachdem Kiano Zwane, der neue Lehrer für Eventing, von der Schule geflogen war, hatte die stellvertretende Direktorin Mrs. de Cesco seine Stunden übernommen. Für Zoe, die Eventing als zweiten Schwerpunkt hatte, war das besonders schlimm.
Sie verabscheute Mrs. de Cesco aus tiefstem Herzen. Und ihre Gefühle wurden genauso stark erwidert. Ellen de Cesco verachtete die ganze Pferdeflüsterer-Klasse, in die sowohl Zoe als auch Isaac gingen.
Die Klasse war vor zweieinhalb Jahren von Caleb Cole gegründet worden. Die Schülerinnen und Schüler lernten von ihm, wie man verängstigte, traumatisierte oder verstörte Pferde therapierte und ihnen das Vertrauen zu den Menschen zurückgab.
Mrs. de Cescos Meinung nach hatte Natural Horsemanship nichts auf dem Stundenplan eines Elite-Reitinternats zu suchen. Hier waren Einsatz, Höchstleistung und Ehrgeiz gefragt.
Calebs Schmusekurs, wie Ellen de Cesco den Natural-Horsemanship-Unterricht abwertend nannte, war auf dem Weg zur Weltspitze kontraproduktiv. Die stellvertretende Direktorin tat alles, um den Pferdeflüsterer und seine Klasse von der Schule zu vertreiben. Bisher war es ihr nicht gelungen, aber was nicht war, konnte ja noch werden.
Zoe atmete tief ein und spürte, wie sich ihre Lunge mit der kühlen, frischen Waldluft füllte. Ganz langsam stieß sie die Luft wieder aus.
„Noch fünf Tage“, sagte sie. „Dann sind wir sie endlich los.“
Shaman schnaubte leise und rieb seinen schwarzen Kopf an ihrer Schulter, als hätte er die Worte verstanden.
Isaac wusste jedenfalls sofort, von wem Zoe sprach, auch wenn sie den Namen de Cesco nicht genannt hatte.
„Ich zähle schon die Stunden, bis sie endlich weg ist. Wenn wir Glück haben, sucht sie sich einen neuen Job und kreuzt hier nie wieder auf.“
Am Tag zuvor hatten sie nämlich erfahren, dass sich Mrs. de Cesco für den Rest des Schuljahrs hatte beurlauben lassen. Die Lehrerin war selbst Profireiterin und wollte die nächsten Monate nutzen, um sich auf die Olympischen Spiele vorzubereiten, die im Sommer stattfanden.
„Das wäre genial.“ Zoe lenkte Shaman nach rechts, um einem Zweig auszuweichen, der weit in den Weg hineinragte. Der Hengst zog sehnsüchtig an den Zügeln. Zoe wusste, dass er darauf wartete, dass sie endlich aufstieg. Aber das war echt zu gefährlich. „Ich nehme ihr nicht ab, dass sie wegen Olympia wegwill.“
Isaac lachte spöttisch auf. „Ich auch nicht. Für die Wettkämpfe könnte sie doch hier trainieren, da hat sie die besten Möglichkeiten. Es geht um Caleb und Siri. Sie kann es nicht ertragen, dass die beiden ein Paar sind.“
Der Pferdeflüsterer war nämlich seit Kurzem mit seiner Kollegin Siri Goldberg zusammen. Und auf die hatte auch Ellen de Cesco schon lange ein Auge geworfen.
„Wenn ich Mrs. de Cesco nicht so blöd fände, würde sie mir glatt leidtun“, sagte Zoe.
Sie gingen mit den Pferden durch den Wald hinunter zum See. Der Weg, der am Ufer entlang zurück zur Schule führte, lag den ganzen Tag über in der Sonne, hier war der Schnee schon seit Tagen geschmolzen. Shaman stieß ein rollendes Geräusch aus, als Zoe sich in den Sattel schwang, und auch Nadir schnaubte zufrieden.
Sie trabten zuerst gemächlich los, dann ließen sie die Zügel locker und beide Pferde begannen zu galoppieren. Rechts von ihnen glitzerte der See im Morgenlicht. Links breitete sich der Wald aus. Die Stämme der uralten hohen Bäume waren so dick, dass sie sie auch zu zweit nicht hätten umfassen können. Das Gras am Waldrand war nach dem Winter kraftlos und schlapp, aber bald würden überall frische grüne Triebe hervorsprießen.
Auf dem Spaziergang durch den Wald war Zoe ziemlich kalt geworden, aber jetzt kam ihr Körper in Schwung. Sie spürte, wie das Blut durch alle Glieder strömte. Ihr Herz klopfte im Gleichtakt mit Shamans Hufschlag. Der schwarze Mustang stob an Nadir vorbei. Isaacs Hengst war schnell, aber gegen Shaman hatte kein anderes Pferd eine Chance.
Auf dem Uferweg kamen ihnen zwei Reiter entgegen, die von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet waren.
„Da sind Caleb und Cyprian!“, rief Zoe.
Cyprian ging ebenfalls in die Pferdeflüsterer-Klasse und war Zoes ältester Freund in Snowfields. Eine Zeit lang waren sie sogar ein Paar gewesen, aber das hatte nicht gut funktioniert.
„Caleb reitet auf Befana“, stellte Isaac fest, während er Nadir zügelte.
Auch Zoe brachte Shaman zum Stehen, der unwillig den Kopf nach oben warf.
„Das ist ja krass“, sagte sie.
Caleb Cole hatte nur eine halbe Stelle als Lehrer an der Snowfields Academy. In der restlichen Zeit arbeitete er als Trainer und Therapeut mit traumatisierten Pferden. Die wertvollen Tiere wurden von ihren verzweifelten Besitzern aus aller Welt nach Snowfields gebracht.
Manchmal dauerte es Monate, bis Caleb endlich Zugang zu einem verstörten Pferd bekam und es dazu brachte, dass es sich wieder auf Menschen einließ. Aber letztendlich schaffte er es immer.
Die Schimmelstute Befana, auf der er heute ritt, war schon ein paar Wochen in Snowfields – und sie war ein echt harter Brocken. Ihre Besitzerin hatte sie nach Kanada gebracht.
Zoe und Isaac kannten Befana inzwischen gut, Caleb dokumentierte seine Arbeit nämlich auf Video und stellte der Klasse seine Patienten, die Fortschritte, aber auch die Rückschläge regelmäßig vor. Außerdem durften die Pferdeflüsterer jederzeit zusehen, wenn er mit den Tieren trainierte.
Bei Befana hatte es jedoch am Anfang strenge Auflagen gegeben. Es durften jeweils nur zwei Zuschauer in die Reithalle und sie mussten sich absolut still und unauffällig verhalten. In der ersten Therapiestunde hatte Zoe mit ihrer Freundin Isabelle in der hintersten Reihe auf der Tribüne gesessen. Sie hatten die ganze Zeit den Atem angehalten, um bloß nicht zu stören.
Befana war so nervös und schreckhaft! Zoe erinnerte sich daran, wie der Pferdeflüsterer sie in die Halle geführt hatte. Die Schimmelstute hatte sich richtiggehend ziehen lassen. Dann war sie mit gesenktem Kopf und zwischen den Hinterbeinen geklemmtem Schweif stehen geblieben. Es schien, als wolle sie sich wegducken.
Sobald Caleb sich ihr näherte oder auch nur die Hand nach ihr ausstreckte, richteten sich ihre Ohren auf, ihr Kopf schoss nach oben. Sie röchelte angsterfüllt und wich langsam zurück, bis sie nicht mehr weiterkonnte, weil sie an der Bande stand.
In der ersten Stunde hatte sich der Pferdeflüsterer einfach nur neben Befana gestellt. Hin und wieder hatte er sie zart mit der Spitze seines Jongliersticks berührt. Mehr war nicht geschehen, dennoch war die Stute am Ende so schweißbedeckt gewesen wie nach einem anstrengenden Training.
Zoe und Isabelle wussten, dass ihre Besitzerin sie erst vor kurzer Zeit erworben hatte. Aber die Stute hatte von Anfang an nichts als Probleme gemacht, sie ließ sich nicht reiten, trat aus und scheute. Mehrere Trainer hatten ihr Glück bei ihr versucht, aber der Erfolg war stets von kurzer Dauer gewesen.
Es wurde immer schlimmer mit Befana. Bald konnte man sie nicht mehr mit den anderen Tieren auf die Weide lassen, denn jedes ungewohnte Geräusch, jede plötzliche Bewegung versetzte die Stute in absolute Alarmbereitschaft. Am Ende hatte ihre Besitzerin sie kaum noch aus der Box geholt.
In den letzten Wochen hatte Zoe es nur noch selten in die Reithalle geschafft, um Caleb bei der Arbeit zuzusehen. Mrs. de Cesco hatte sie viel zu sehr in Beschlag genommen.
Zoe hatte gehört, dass Befana große Fortschritte gemacht hatte, aber mit einer solchen Veränderung hätte sie nie im Leben gerechnet. Befana trabte fast so gelassen und entspannt am Seeufer entlang wie ein altes Schulpferd.
„Hallo, ihr beiden!“ Caleb hob seine Hand und winkte ihnen zu. Befana störte es überhaupt nicht, dass er die Stimme erhob, sie zuckte nicht mal mit den Ohren. „Ihr müsst nicht stehen bleiben, reitet ruhig weiter.“
Shaman und Nadir beschnupperten Befana neugierig, als sie sie erreicht hatten. Eine fremde Stute war immer interessant. Aber auch die beiden ihr unbekannten Hengste brachten Befana nicht aus der Ruhe.
„Was hast du mit ihr angestellt?“, fragte Zoe beeindruckt.
„Nichts“, sagte Caleb. „Ich hab ihr nur jeden Tag aufs Neue klargemacht, dass sie hier sicher ist. Und irgendwann hat sie es mir geglaubt.“ Er klopfte zufrieden auf den Hals der Stute.
„Gestern haben Isabelle und ich in der Reithalle Frisbee gespielt, während Caleb Befana longiert hat“, sagte Cyprian, der auf seinem Appaloosa Eclipse saß. „Befana hat das überhaupt nicht gestört. Am Ende hat sie sogar mitgespielt.“
„Echt?“, fragte Zoe ungläubig.
„Natürlich nicht.“ Cyprian grinste.
„Ich bin doch kein Zirkusdompteur“, sagte Caleb. „Aber Befana hat sich von Cyprian und Isabelle nicht scheu machen lassen – und das ist hervorragend.“
„Das kannst du laut sagen“, meinte Isaac.
„Daraufhin haben wir beschlossen, heute mal einen Ausritt zu wagen“, fuhr Caleb fort. „Und wie ihr seht, klappt es super.“
„Herzlichen Glückwunsch.“ Zoe klatschte ein paarmal in die Hände, allerdings lautlos, sie hatte nämlich dicke Handschuhe an. „Und wie geht es jetzt weiter mit ihr? Kann sie wieder nach Hause?“
Calebs Miene verdüsterte sich sofort. „Tja.“
Zoe und Isaac wechselten einen schnellen Blick. Alles klar. Ihr Lehrer hatte schon oft gesagt, dass er eigentlich nicht mit den Pferden arbeiten müsste, sondern mit ihren Besitzern. Denn meistens lag es an den Menschen, dass sich die Tiere unnatürlich verhielten oder wie Befana Zwänge und Ängste entwickelten.
Befanas Besitzerin stammte aus einer wohlhabenden Familie, sie war als Kind geritten und hatte als Erwachsene beschlossen, sich den Wunsch nach einem eigenen Pferd zu erfüllen. Das hatte Caleb im Unterricht erzählt. Dabei hatte er auch durchblicken lassen, dass Mrs. Hughes ziemlich eigenartig war.
„Ihre Art, mit Befana zu kommunizieren, ist nicht ideal“, hatte er einmal gesagt. Im Klartext hieß das: Sobald die Stute wieder zurück in Texas war, wäre alles wieder beim Alten. Sofern Mrs. Hughes sich nicht änderte.
„Vielleicht wäre es ja besser, wenn Befana einen neuen Besitzer bekäme“, sagte Isaac. „Kannst du diese Mrs. Hughes nicht überzeugen, sie abzugeben? Und da Befana jetzt nicht mehr ständig ausrastet, kriegt sie sicher einen guten Preis für sie.“
„Geld ist Mrs. Hughes egal, davon hat sie genug“, erwiderte Caleb. „Und wenn sie Befana abgibt und sich stattdessen ein anderes Pferd kauft, wäre es nach kurzer Zeit genau dasselbe.“
„Wie wäre es denn mit einem Roboterpferd?“, schlug Zoe vor. „Die sind enorm belastbar und zicken nicht rum. In ein paar Jahren werden sie bestimmt auch bei Turnieren zugelassen.“
Caleb zog einen Mundwinkel nach oben. „Kannst es ihr ja mal vorschlagen, wenn sie kommt.“
„Weißt du schon, wann das ist?“, erkundigte sich Isaac.
„Nächsten Samstag. Eigentlich will Mrs. Hughes Befana nur besuchen, aber wenn sie sieht, wie zutraulich sie jetzt ist, will sie sie bestimmt gleich mitnehmen.“
„Das geht auf keinen Fall“, sagte Isaac. „Du musst ihr klarmachen, dass das keinen Sinn hat.“
„Isaac hat recht.“ Cyprian sah seinen Lehrer und Ziehvater ernst an. Seine Augen waren von einem fast übernatürlichen Blau und standen in einem seltsamen Kontrast zu seinen schwarzen Haaren. „Du musst mit Mrs. Hughes arbeiten und ihr beibringen, wie man mit Pferden kommuniziert.“
Calebs Gesicht verfinsterte sich noch mehr. Mit Pferden konnte der Lehrer super umgehen und mit seinen Schülern kam er ebenfalls gut zurecht. Aber ansonsten blieb er lieber auf Abstand zu Menschen.
„Siri“, murmelte Zoe halblaut.
„Was?“, fragte Caleb und auch die beiden Jungen sahen sie verständnislos an.
„Vielleicht könnte Siri mit ihr arbeiten“, sagte Zoe. „Ich meine, mit Mrs. Hughes. Sie versteht sich doch eigentlich gut mit Schreckschrauben aller Art.“
Das war eine Anspielung auf Mrs. de Cesco, aber Caleb ging nicht darauf an. Er nagte nachdenklich an seiner Unterlippe. Dann nickte er langsam und lächelte Zoe an.
„Gar nicht so übel, deine Idee“, sagte er. „Ich werde mal mit Siri reden.“
Die Sonne brannte mit aller Macht auf die ausgedörrte Erde. Die Luft vibrierte vor Hitze. Am Horizont glänzten Wasserpfützen, aber das war eine Fata Morgana.
Die Mutter stand mit hoch erhobenem Haupt auf dem Reitplatz. Ihre hellblonden Haare schimmerten metallisch. Sie hielt die Longe in der Hand, die an Smokes Zaumzeug befestigt war.
„Terrrab!“, gellte ihre Stimme über den Platz.
Das hellgraue Pony trabte im Kreis, der Kopf hing kraftlos nach unten, seine Schritte waren schleppend.
„Beweg dich, Smoke!“ Die Mutter ließ das Ende der Gerte durch die Luft schnalzen.
Smoke beschleunigte das Tempo, aber schon nach wenigen Metern wurde er wieder langsamer.
Es war zu heiß, viel zu heiß.
Elena trug einen breiten Cowboyhut, den der Vater zurückgelassen hatte, bevor er geflohen war. Es war das Einzige, was ihr von ihm geblieben war, alle anderen Sachen, hatte die Mutter weggeworfen.
„Smoke ist durstig“, sagte Elena. „Er braucht eine Pause.“
Die Mutter lachte ihr hartes Lachen. „Du willst eine Pause“, sagte sie. „Dem Pferd geht es gut, Smoke ist die Hitze gewohnt.“ Wieder ließ sie die Gerte schnalzen, so dicht über Smokes Kruppe, dass er den Lufthauch spürte. Dennoch reagierte er nicht.
„Er ist wirklich erschöpft.“ Elena klang jetzt flehend.
„Natürlich ist er erschöpft“, sagte ihre Mutter. „Du bist zu schwer für ihn. Du sitzt auf seinem Rücken wie ein Affe auf dem Dreirad. Wie das aussieht.“
Elena presste die Lippen aufeinander. Am liebsten hätte sie ihre Finger in die Ohren gesteckt. Nicht schon wieder, nicht das!
Smoke und sie passten perfekt zueinander. Sie gehörten zusammen, seit der Vater ihn Elena zum sechsten Geburtstag geschenkt hatte. Jetzt war sie zehn und viel größer als damals, aber Smoke war leider nicht gewachsen. Ihre Füße waren nicht mehr weit vom Boden entfernt.
„Turniere wirst du mit ihm nicht reiten können“, hatte der Vater gesagt, kurz bevor er geflohen war. „Du brauchst bald ein neues Pferd.“
Und die Mutter sagte dasselbe, beinahe jeden Tag sprach sie davon. Sie hatten aber kein Geld für ein neues Pferd, das wusste Elena, und das freute sie.
Smoke fiel vom Trab in den Schritt. Er hatte Schaum vor dem Maul, obwohl sie noch keine Viertelstunde auf dem Reitplatz waren. Sie hatten nur die Mittagszeit, um zu trainieren. Am Morgen war Elena in der Schule, am Nachmittag kamen die anderen Reitschüler, am Abend arbeitete die Mutter im Supermarkt. Als Reitlehrerin verdiente sie zu wenig Geld, um Elena und sich über die Runden zu bringen.
Smoke gab ein klägliches Geräusch von sich, es klang wie ein Röcheln. Elena brachte ihn zum Stehen.
„Also gut“, sagte die Mutter finster. „Wie du willst.“
Wie du willst? Das war neu. Das klang nicht gut.
Elena sah ihre Mutter angsterfüllt an.
„Was?“, fragte sie.
„Das wirst du schon sehen“, sagte die Mutter und lächelte.
Caleb klappte seinen Laptop zu und verstaute ihn in der Tasche.
„Hast du gleich noch Unterricht?“, erkundigte er sich bei Zoe, die im Klassenzimmer ganz vorn saß und gerade ebenfalls ihre Sachen zusammenpackte. Der Unterricht der Pferdeflüsterer fand in der ehemaligen Remise stand, in der einst Kutschen und Fuhrwerke gestanden hatten. Das Klassenzimmer lag ein wenig abseits vom Rest der Unterrichtsräume, aber das passte ganz gut. Die Pferdeflüsterer waren im Schulbetrieb ja auch immer ein bisschen außen vor.
„Warum fragst du?“, sagte Zoe.
„Ich brauch deine Hilfe. Ich bin heute zum ersten Mal mit Peachy im Round-Pen.“
Peachy war ein zierlicher Palomino-Wallach, der sich partout nicht verladen lassen wollte. Caleb hatte gerade erst begonnen, mit ihm zu arbeiten.
Zoe spürte, wie eine Welle der Freude in ihr aufstieg. Nicht wegen Peachy, sondern weil Caleb sie um Hilfe bat. Es war neu, dass der Lehrer sie mit auf den Reitplatz nahm. Früher hatte er sich nur von Cyprian, Isabelle oder Cathy assistieren lassen. Und dann sogar von Isaac, obwohl der erst viel später nach Snowfields gekommen war als Zoe. Wie sie das verletzt hatte!
Aber vor Kurzem hatte Caleb Zoe endlich zum ersten Mal helfen lassen und offenbar hatte sie sich nicht allzu dumm angestellt, denn gleich am nächsten Tag durfte sie ihm erneut assistieren. Und jetzt fragte er sie schon zum dritten Mal.
„Hättest du Zeit?“, fragte Caleb.
„Hab ich.“ Eigentlich hätte Zoe jetzt Eventing-Unterricht bei Mrs. de Cesco gehabt, doch die Stunde fiel heute aus. So ein Glück! „Aber wenn wir in den Round-Pen gehen, würde ich mich vorher schnell umziehen.“
Die Schuluniform der Snowfields Academy bestand aus einem dunkelgrünen Blazer über einem weißen Hemd, einem grauen Pullunder und cremefarbenen Breeches. Die Dinger wurden so schnell dreckig, dass Zoe wie viele andere dazu übergegangen war, ihre Breeches nur in den normalen Schulstunden zu tragen. Beim Reitunterricht und wenn sie ausritt, zog sie dunkle Reithosen an.
„Klar“, sagte Caleb. „Ich hol Peachy schon mal aus dem Stall und warte im kleinen Round-Pen auf dich.“
Zoe rannte am Stall vorbei zum Schloss. Als sie die Hintertür öffnete, die zu den Schlafräumen führte, stieß sie fast mit Mrs. de Cesco zusammen, die das Gebäude gerade verließ. Die Lehrerin hielt einen großen Stapel Blätter in den Armen und lächelte Zoe an.
Das war schlecht.
Die stellvertretende Direktorin lächelte eigentlich nie, schon gar nicht, wenn sie einem Schüler oder einer Schülerin gegenüberstand.
„Zoe“, sagte Mrs. de Cesco. „Das ist ja super.“
Das silberblonde Haar der Lehrerin war wie immer zu einem Zopf gebunden. Sie trug einen hellen Blazer und weiße Reithosen, beides war makellos sauber, genau wie ihre Reitstiefel. Dabei hatte sie mindestens den halben Tag in der Reithalle verbracht. Zoe hatte keine Ahnung, wie die Lehrerin das schaffte.
„Ich bin etwas in Eile“, sagte Zoe.
„Was hast du denn so Dringendes vor?“, fragte Mrs. de Cesco lauernd. Ihr kalter Blick bohrte sich in Zoes Stirn.
Zoe begann prompt zu frösteln. Dabei war es ein milder Vorfrühlingstag.
„Ich muss Caleb Cole im Round-Pen assistieren.“
„Falsch.“ Mrs. de Cescos Antwort war scharf wie ein Peitschenhieb. „Du musst mir assistieren. Diese Unterlagen müssen bis zum Abend geordnet werden.“ Wie zum Beweis hob sie ihren Blätterstapel ein bisschen an.
„Das geht leider nicht. Caleb hat mich zuerst gefragt.“
„Aber offiziell hast du bei mir Unterricht. Das Ganze ist im Übrigen auch mit der Schulleitung abgesprochen.“ Mrs. de Cescos Blick wurde noch eisiger.
„Caleb wartet auf mich.“
„Halt mal kurz.“ Mrs. de Cesco drückte Zoe den Aktenstapel in die Hände. Dann hob sie ihre Rechte und schnippte mit den Fingern. „Du da drüben, komm mal rüber.“ Sie deutete auf Mika, die ebenfalls in die Pferdeflüsterer-Klasse ging und gerade den Pfad entlangkam.
Das große Mädchen mit den kurz geschnittenen Haaren trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Mika war erst seit ein paar Wochen in der Schule, aber dass man Mrs. de Cesco besser aus dem Weg ging, hatte sie bereits begriffen. Für eine Flucht war es jedoch zu spät.