Pferdeflüsterer-Academy, Band 8 - Zoes größter Sieg - Gina Mayer - E-Book

Pferdeflüsterer-Academy, Band 8 - Zoes größter Sieg E-Book

Gina Mayer

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Im wilden Kanada steht ein weißes Schloss: Snowfields. Auf dem Internat werden die weltbesten Reiter ausgebildet und verletzte Pferdeseelen geheilt. Zoe fühlt sich wie Aschenputtel. Um Cyprian endlich wiederzusehen, reist sie als Mädchen für alles mit den besten Springreitern ihrer Schule zu einem Turnier nach Kalifornien. Doch statt ihrem Freund wieder näherkommen zu können, steht sie plötzlich vor einem ganz anderen Problem: Die Wettkampfunterlagen ihres Mitschülers Isaac sind verschwunden. Und Zoe soll für ihn antreten … Entdecke alle Abenteuer in der "Pferdeflüsterer-Academy": Band 1: Reise nach Snowfields Band 2: Ein geheimes Versprechen Band 3: Eine gefährliche Schönheit Band 4: Verletztes Vertrauen Band 5: Zerbrechliche Träume Band 6: Calypsos Fohlen Band 7: Flammendes Herz Band 8: Zoes größter Sieg Band 9: Cyprians Rückkehr Band 10: Die dunkle Wahrheit Band 11: Verborgene Gefühle Band 12: Wild und verwundbar Band 13: Taminos Entführung Band 14: Glück und Hoffnung

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 185

Veröffentlichungsjahr: 2021

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Als Ravensburger E-Book erschienen 2021

Die Print-Ausgabe erscheint im Ravensburger Verlag

© 2021 Ravensburger Verlag

Text: Gina Mayer

Vermittelt durch die Literaturagentur Arteaga, Berlin

Umschlaggestaltung unter Verwendung von Bildern von

© kaiwut niponkaew / shutterstock (Farn);

© Gerhard Bittner / AdobeStock (Pferd);

© Papuchalka – kaelaimages /shutterstock (Landschaft, Berge);

© Parfonovaluliia / iStock (Gesicht);

© Aleshyn_Andrei / shutterstock (Körper Mädchen)

Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.

ISBN 978-3-473-47191-1

www.ravensburger.de

Das Meer war glatt und glänzte wie blaues Glas. Ein paar Möwen schossen über das Wasser, ihre heiseren Schreie gellten in Zoes Ohren, während sie Shaman zum Stehen brachte und von seinem Rücken sprang. Ihre nackten Füße landeten auf warmem, weichem Sand.

„Ist das nicht traumhaft?“, sagte Cyprian und stieg ebenfalls ab. „Warum bist du nicht schon früher gekommen?“

„Ich weiß es nicht“, erwiderte Zoe.

In diesem Moment geriet der Boden zu ihren Füßen in Bewegung. Der Sand bäumte sich auf, er warf Wellen wie wildes Wasser.

„Was ist das denn?“, fragte Zoe angsterfüllt.

Und dann bemerkte sie, dass Cyprian langsam zu versinken begann. Er steckte bereits bis zu den Waden im Sand.

„Cyprian!“, rief Zoe. „Komm zu mir, das ist gefährlich.“

„Gib mir deine Hand, Zoe, bitte“, sagte Cyprian.

Er streckte die Hand nach ihr aus und sie versuchte, sie zu ergreifen. Aber sosehr sie sich auch anstrengte, sie bekam ihn nicht zu fassen. Und er versank immer tiefer. Seine Beine waren im Boden verschwunden, nun bedeckte der Sand seine Hüften, dann die Brust.

„Cyprian!“, schrie Zoe. „Verlass mich nicht!“

„Hilf mir, Zoe“, sagte Cyprian mit erstaunlich ruhiger Stimme. „Lass mich nicht im Stich.“

Sie warf sich auf den Boden, aber sie erreichte seine Hand nicht. Jetzt verschwanden seine Schultern in dem feinen weißen Sand, dann sein Kopf – und schon war er weg. Der Strand schloss sich über ihm, der Boden war nun wieder glatt und ruhig.

Sie hatte ihn verloren.

Shaman galoppierte in einem weichen Bogen über die Waldwiese. Das goldene Licht der Wintersonne fiel schräg durch die Wipfel der schneebedeckten Bäume, die die Lichtung umgaben. Unter den Hufen des Mustangs wirbelte der Pulverschnee auf, der in der Nacht gefallen war. Glitzernd stoben die Flocken in alle Richtungen.

Zoe lenkte Shaman nach rechts, sie steuerten das Hindernis an, das Isaac in der Mitte der Lichtung aufgebaut hatte. Ein dürrer Zweig, den er quer über zwei lange Äste gelegt hatte, die wiederum im Schnee steckten. Die Konstruktion war alles andere als stabil. Bei der kleinsten Berührung würde sie in sich zusammenfallen.

Aber das war ja auch der Sinn der Sache: dass Shaman den Zweig nicht berührte, sondern in einem weiten Bogen darüber hinwegflog. Und das tat er jetzt.

Als sich die Hinterhufe des Hengstes vom Boden abstießen, lehnte Zoe sich weit nach vorn. Sie hatte das Gefühl, dass sie und Shaman in das goldene Abendlicht hineinflogen und sich ihre Körper darin auflösten.

Sie juchzte laut auf, bevor die Vorderhufe wieder auf dem Boden aufsetzten. Shaman landete weich und galoppierte noch ein Stück weiter, bevor Zoe ihn am Rand der Wiese zum Stehen brachte. Sie klopfte seinen schwarzen Hals, der in der eisigen Luft dampfte.

„Ihr solltet nur das Hindernis überspringen, nicht den ganzen Wald“, sagte Isaac, während er zu ihnen rüberkam.

„Das war nicht schlecht, oder?“ Zoe glitt von Shamans Rücken in den Schnee.

Normalerweise trug der Mustang weder Sattel noch Zaumzeug, wenn sie mit ihm ausritt, aber heute hatte sie ihn aufgetrenst, bevor sie sich auf den Weg in den Wald gemacht hatten. Shaman hatte das Mundstück nur sehr widerwillig angenommen, er hasste die Trense genauso wie den Sattel. Doch beim Springen war sie unverzichtbar.

„Shaman ist echt ein Wahnsinnspferd.“ Isaac strich nachdenklich über das ebenholzschwarze Fell des Hengstes.

Noch vor kurzer Zeit wäre Shaman ausgerastet, wenn ihn jemand anderes als Zoe angefasst hätte. Nun duldete er die Berührung mit stoischer Ruhe.

Zoe machte das stolz, immerhin war sie es gewesen, die das traumatisierte Pferd ins Leben zurückgebracht hatte. Aber es erfüllte sie immer auch mit einer gewissen Wehmut, dass Shaman nicht mehr ausschließlich ihr gehörte.

„Und ich?“, fragte sie scherzhaft. „Bin ich auch eine Wahnsinnsreiterin?“

„Hm.“ Isaac runzelte die Stirn.

Zoe wusste, dass er sich gerne mit den Fingern durch die blonden Haare gefahren wäre – wie immer, wenn er nachdachte. Aber seine Hände steckten in Fäustlingen und seine Haare waren unter der schwarzen Skimütze verborgen, die er unter dem Helm trug. Hier draußen im Wald herrschten um diese Jahreszeit minus zwanzig Grad.

„Hm? Was soll das denn heißen?“

„Du bist immer noch zu steif. Anstatt Shaman zu helfen, überlässt du ihm die ganze Arbeit. Jedes andere Pferd hätte die Stange gerissen.“

Zoe seufzte. „Und wie kann ich es besser machen?“

„Tja …“ Isaac blies die Backen auf.

„So schlimm?“, fragte Zoe.

Er lachte und schüttelte den Kopf. „Quatsch. Du bist gut. Man merkt eben, dass du das Springen nie richtig trainiert hast.“

Zoe und Isaac gingen beide in die Snowfields Academy, ein Internat im Nordwesten Kanadas, in dem Nachwuchsreiter aus der ganzen Welt auf eine Karriere im internationalen Turniersport vorbereitet wurden. Aber während Isaac in der Springreiterklasse war und jeden Tag mit Hindernissen trainierte, war Zoe bei den Pferdeflüsterern. Beim Natural Horsemanship – wie das Pferdeflüstern offiziell genannt wurde – ging es nicht darum, Pferde zu Höchstleistungen zu bringen, sondern man lernte, mit ihnen zu kommunizieren.

Das hörte sich einfach an, war es aber nicht. Seit über einem Jahr versuchte Zoe schon, die Pferde zu verstehen. Das einzige Tier, in das sie sich jedoch wirklich hineinfühlen konnte, war Shaman. Manchmal hätte sie ihren Tag lieber damit verbracht, Pirouetten, Galoppwechsel und Sprünge zu trainieren. Es war so viel mühsamer, das Vertrauen eines Pferdes zu gewinnen.

„Okay“, sagte Isaac. „Wir machen jetzt eine Übung, die Mrs. de Cesco uns mal gezeigt hat. Bin neugierig, wie das klappt.“ Er lief durch den Schnee zu den Stecken und Ästen, die sie am Rand der Lichtung zu einem kleinen Stapel aufgeschichtet hatten. Ihr Stangen-Sortiment, wie sie es scherzhaft nannten.

Das Ganze hatte nach Weihnachten begonnen, als Isaac mit seiner Stute Samantha über einen Baumstamm gesetzt hatte. Zoe war mit Shaman hinterhergesprungen und Isaac hatte ihren Sitz kritisiert. Sie hatte es gleich noch mal probiert und in den nächsten Tagen wieder, und kurz danach hatten sie hier auf der Wiese mit ihrem Springtraining begonnen. Inzwischen hatten sie ein ganzes Lager an unterschiedlich langen Stöcken, Zweigen und Ästen zusammengesammelt, aus dem sie ihre Parcours bauten.

Sie hätten natürlich auch in eine der Reithallen in der Schule gehen können oder auf die Reitplätze, die auch im Winter immer schneefrei waren. Aber hier im Wald waren sie unbeobachtet und das war ihnen beiden lieber.

Zoe wollte nicht, dass Caleb sie sah. Der Lehrer der Pferdeflüsterer-Klasse war früher selbst ein professioneller Turnierreiter gewesen, heute sah er den Springsport sehr kritisch.

Shaman war sein Pferd, es hätte ihm überhaupt nicht gefallen, dass Zoe mit ihm Springen übte. Dabei machten Shaman die Trainingseinheiten genauso viel Spaß wie Zoe, das spürte sie genau.

Auch Isaac war es lieber, dass Caleb nicht mitbekam, wie er mit Zoe trainierte. Er war erst seit ein paar Monaten in Snowfields und wäre nur zu gerne in die Pferdeflüsterer-Klasse gewechselt. Caleb nahm jedoch zurzeit keine neuen Schüler auf. Vielleicht im Sommer, hatte er Isaac geantwortet, als dieser ihn gefragt hatte. Bis dahin wollte Isaac den Lehrer natürlich auf keinen Fall verärgern.

Isaac zog drei lange Gerten aus dem Stapel und legte sie in ein paar Metern Abstand vor dem Hindernis aus.

„Zuerst werden die Stangen überritten, dann kommt der Sprung“, erklärte er. „Bitte schön.“

Zoe wollte auf Shamans Rücken steigen, aber Isaac schüttelte den Kopf.

„Nichts da. Mit Shaman ist es zu einfach.“ Er wies mit der flachen Hand auf seine Stute. „Versuch’s mal mit Samantha.“

„Okay.“ Zoe ging zu der Stute, die Isaac an einen Baumstamm gebunden hatte. Samantha ließ den Kopf hängen und wirkte ziemlich missmutig. Die schöne Apfelschimmelstute kam wie Isaac aus Neuseeland, sie kannte keinen Schnee und sie mochte das kalte Zeug auch nicht, das hier in Kanada schon seit Wochen das Gras bedeckte. Dabei hatten sie in diesem Jahr noch Glück. Normalerweise lag der Schnee im Januar so hoch, dass Ausritte in den Wald unmöglich waren. Seit Weihnachten war das Wetter jedoch kalt und klar gewesen und es hatte kaum geschneit.

Als Zoe sich in ihren Sattel schwang, setzte Samantha sich nur widerwillig in Bewegung. Zoe ließ sie erst mal eine Runde über die Lichtung galoppieren, auf der der Schnee inzwischen schon ziemlich niedergetreten war. Dann brachte sie die Stute in den Trab und hielt mittig auf die Stecken zu.

Samantha war ein geübtes Springpferd, sie überwand die Stangen geschickt, obwohl die Abstände zwischen den Gerten variierten. Als jedoch plötzlich das Hindernis vor ihr auftauchte, war sie vollkommen überfordert. Im letzten Moment versuchte sie abzuspringen, kam jedoch nicht richtig hoch und trampelte die Konstruktion einfach nieder.

„Hurra!“, rief Isaac. „Du bist durch, herzlichen Glückwunsch!“

„Das war aber auch wirklich schwer“, sagte Zoe, während sie zu ihm zurückritt und abstieg.

„Das ist eine fiese Übung, ich geb’s zu.“ Isaac grinste. „Aber es ist zu schaffen. Wenn man dem Pferd die richtigen Hilfen gibt und nicht einfach nur abwartet, dass es irgendwie allein da drüber kommt.“

„Na, das will ich jetzt aber sehen!“ Zoe reichte Isaac die Zügel. Dann rannte sie zu dem Hindernis und richtete alles wieder auf.

Isaac stieg auf und ließ die Stute locker über die Stangen traben. Danach brachte er sie mit einem einzigen Galoppsprung über das Hindernis. Diesmal sprang Samantha mühelos und elegant und der Zweig blieb oben liegen.

„Wow!“ Zoe klatschte begeistert in die Hände.

Isaac lobte die Stute und lächelte Zoe an. „Gelernt ist gelernt.“

„Genau“, sagte Zoe. „Samantha wusste ja jetzt, was auf sie zukommt. Kein Wunder, dass es bei dir geklappt hat.“

„Beim zweiten Mal ist es immer leichter“, stimmte Isaac ihr zu. „Aber man kann auch beim ersten Mal mehr machen als du vorhin.“

„Okay. Bring es mir bei.“

„Mach ich. Aber nicht heute. In einer Dreiviertelstunde ist es hier stockfinstere Nacht. Vorher wäre ich gerne im Schloss.“

Zoe legte den Kopf in den Nacken. Die Sonne war hinter den Baumwipfeln verschwunden. Ein paar kleine Wolkenfetzen, die über den Tannenspitzen trieben, hatten sich bereits rötlich verfärbt. Isaac hatte recht, es würde bald dunkel werden.

„Sollen wir dann morgen Nachmittag hier weitermachen?“, fragte Zoe, als sie über die verschneiten Wege zurück zur Schule trabten.

„Das geht leider nicht“, erwiderte Isaac. „Um drei Uhr ist dieses Vorreiten. Und es geht bis zum Abend.“

„Ach ja, richtig. Das hatte ich schon wieder vergessen.“

Dabei war das Vorreiten in der Schule seit Wochen das Thema Nummer eins in Snowfields. Die Springreiter bereiteten sich schon seit Anfang des Schuljahres auf ein Reitturnier in den Staaten vor. Nur drei Schüler würden mitmachen können, deshalb sollte in den nächsten Wochen ein öffentliches Vorreiten stattfinden, bei dem die Teilnehmer ermittelt wurden.

„Da hast du ja gute Chancen“, erklärte Zoe, während sie sich unter einem schneebedeckten Ast duckte, der quer über den Weg ragte. „Du bist mit Abstand der Beste in der Percy-Klasse.“

Isaac lachte. „In der Percy-Klasse vielleicht. Aber die De-Cesco-Leute machen auch mit.“

Mrs. de Cesco, die in Snowfields alle Disziplinen unterrichtete, war gleichzeitig die unbeliebteste und erfolgreichste Lehrerin in der Academy. Keine Trainerin hatte so viele berühmte Turnierreiter ausgebildet wie die stellvertretende Direktorin der Schule. Ihre ehemaligen Schüler holten heute Pokale und Medaillen in der ganzen Welt.

Das Ganze hatte allerdings seinen Preis. Mrs. de Cescos Ansprüche waren gnadenlos, sie forderte alles von ihren Schülern und wenn einer ihre hohen Anforderungen nicht erfüllte oder sich nicht bedingungslos unterordnete, warf sie ihn sofort raus. So wie Isaac, der anfangs auch in ihrer Klasse gewesen war.

„Mr. Percy wird schon dafür sorgen, dass du mitfliegst“, sagte Zoe. „Immerhin begleitet er die Gruppe.“

„Wir werden es ja sehen“, sagte Isaac. Dann wechselte er das Thema. „Wenn du willst, können wir morgen früh trainieren“, schlug er vor. „Um acht ist es schon einigermaßen hell. Wir treffen uns um Viertel vor …“

„Nein“, sagte Zoe brüsk. „Das geht nicht. Ich … äh … bin in letzter Zeit morgens immer total müde.“

Das war eine glatte Lüge. Zoe war die absolute Frühaufsteherin, sie liebte den frühen Morgen, das klare blaue Licht kurz vor dem Sonnenaufgang. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie länger geschlafen als bis neun Uhr.

Aber den wahren Grund wollte sie Isaac nicht verraten.

Früher hatte Zoe sich am Wochenende morgens immer mit Cyprian getroffen. Sie hatten die Pferde gesattelt und waren am See entlanggaloppiert oder durch den Wald. Cyprian hatte Zoe beigebracht, wie man reitet, denn als sie hier angefangen hatte, hatte sie keine Ahnung von Pferden gehabt. Und beim Reitenlernen hatte Zoe sich in Cyprian verliebt.

Was Cyprian für sie empfand, wusste sie bis heute nicht so richtig. Sie waren jetzt ein Paar, aber ihr Verhältnis war komplizierter denn je.

Vor ein paar Monaten hatte Cyprian Snowfields verlassen, er hatte sich mit seinem verstörten Hengst Eclipse auf Calebs Ranch in den kalifornischen Rocky Mountains zurückgezogen und ging dort auch zur Schule. Am Anfang hatten er und Zoe alle paar Tage geskyped. Inzwischen lag ihr letztes Gespräch schon fast zwei Wochen zurück.

Cyprian war einfach zu schweigsam, um mit ihm zu telefonieren. Auch bei ihren Ausritten hatten sie früher oft nur ein paar Worte miteinander gewechselt. Das hatte Zoe nie gestört, sie hatte gerne mit Cyprian geschwiegen. Aber am Telefon oder am Bildschirm erfüllten sie die ausgedehnten Pausen mit Unbehagen.

Je weniger Zoe mit Cyprian telefonierte, desto öfter dachte sie an ihn. Und desto häufiger träumte sie auch von ihm. Aber es waren keine guten Träume. Hinterher fand Zoe lange keinen Schlaf mehr. Sie wälzte sich hin und her, sie las, manchmal ging sie auch in die kleine Küche in ihrem Stockwerk, kochte sich einen Tee und trat damit ans Fenster. Während sie in die Dunkelheit blickte, fragte sie sich, ob Cyprian ebenfalls von ihr träumte. Zumindest dann und wann.

Das alles wusste Isaac nicht, Zoe hatte ihm nie von Cyprian erzählt. Vermutlich hatte er von den anderen Schülern gehört, dass sie und Cyprian zusammen waren, aber auch er sprach sie nie darauf an.

Jetzt hatten sie das Ende des Waldes erreicht. Der Weg, der hinunter zum See führte und von dort zur Schule, war vor Kurzem geräumt worden, der Schnee war niedrig und fest.

Von hier aus hatte man einen herrlichen Blick auf das Schloss, wie das Internat genannt wurde. Genauso sah die Schule ja auch aus – wie ein mittelalterliches Schloss.

Vor den schneebedeckten Bergen, die dem Ort den Namen gegeben hatten, ragten die dicken weißen Mauern des Hauptgebäudes steil nach oben und endeten in einem Gewirr aus spitzen Giebeln und runden Türmen.

Zoe und Isaac brachten ihre Pferde in den Galopp. Auf dem freien Feld hatten sie Rückenwind, Zoe hatte das Gefühl, dass sie direkt auf das Internat zuflogen. Nach wenigen Minuten hatten sie die steinerne Brücke erreicht, die über eine Art Burggraben auf das Schulgelände führte.

Hier stiegen sie ab und brachten die Pferde zum Sattelplatz.

Auf dem schmalen Pfad, der um das Schloss herumführte, kam ihnen eine junge Frau entgegen. Ihre Haare waren zu Zöpfen geflochten und in einem Ring um den Kopf gesteckt. Sie sah aus, als käme sie aus einem anderen Jahrhundert.

„Hi, Sally!“, rief Zoe. „Hast du schon Feierabend?“

Die Frau hob den Kopf, sie schien sie erst jetzt zu bemerken. Ihr Gesicht war schmal und blass, sie wirkte wie ein junges Mädchen. Dabei war Sally schon neunundzwanzig und arbeitete in dem kleinen Supermarkt auf dem Schulgelände.

„Ich hab den Laden heute ein bisschen früher zugemacht.“ Sallys Augen waren rot und verschwollen. Man sah auf den ersten Blick, dass sie geweint hatte.

„Was ist denn los?“, erkundigte Zoe sich betroffen.

„Nichts.“ Sally wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht hin und her und lächelte bemüht. „Alles okay.“

„Klar“, sagte Zoe. „Was ist passiert?“

Sally lächelte noch angestrengter – und dann begannen die Tränen wieder zu fließen.

„Es klappt einfach nicht“, schluchzte sie.

„Magic“, sagte Isaac.

Sally nickte, während sie ein total durchnässtes Taschentuch aus der Reithose zog und sich die Nase putzte.

„Er hasst mich“, erklärte sie mit belegter Stimme.

„So ein Quatsch!“, rief Zoe.

„Wart ihr im Round-Pen?“, fragte Isaac.

Sally nickte. „Wenn Caleb mit Magic arbeitet, ist er das liebste Pferd der Welt. Er lässt Caleb auf sich reiten, er macht alles, was Caleb will. Aber sobald ich auch nur in seine Nähe komme, flippt er total aus. Caleb weiß bald auch nicht mehr, was er machen soll.“

„Hat er das gesagt?“, fragte Zoe.

Sally schüttelte den Kopf. „Nein. Aber ich spüre, dass er langsam aufgibt. Er arbeitet jetzt schon so lange mit Magic …“

„Sechs Wochen“, fiel Isaac ihr ins Wort. „Das ist nicht lange, das ist nichts.“

Die Tränen rannen über Sallys Wangen und sie schluckte hart. „Ihr seid so nett“, brachte sie schließlich mühsam hervor. „Aber ich hatte so gehofft, dass ich nächste Woche wieder zurück auf die Farm kann. Ich hab sogar schon den Transporter organisiert. Jetzt kann ich alles wieder abblasen. Caleb sagt, dass es noch keinen Sinn macht.“

„Das sehe ich genauso“, sagte Zoe. „Gib Magic noch ein bisschen Zeit. Das wird schon.“

„Außerdem brauchen wir dich hier“, ergänzte Isaac. „Wer soll denn sonst den Supermarkt führen?“

„Ach, da findet sich schon jemand.“ Sally putzte sich die Nase.

„Willst du denn wirklich wieder zurück auf deinen Hof?“, fragte Zoe. „Da ist es doch schrecklich einsam.“

Sally zog die Mundwinkel nach unten. „Mir macht das nichts aus. Aber für Magic ist es natürlich ein Problem. Caleb findet es gar nicht gut, dass er dort keine Herde hat. Aber ich hab kein Geld, um noch ein Pferd zu kaufen.“

Zoe strich zögernd über Shamans schwarzen Hals. „Hast du schon mal drüber nachgedacht, den Hof zu verkaufen und irgendwo anders hinzuziehen? Wo Menschen sind? Und andere Pferde?“

Sally seufzte tief. „Wo soll ich denn hin?“ Dann warf sie einen Blick auf ihre Uhr. „Ach du Schreck, ich muss rüber zum Supermarkt. Heute kommt noch eine Lieferung, wahrscheinlich warten die schon auf mich. Wir sehen uns!“

Sie winkte kurz und rannte los, bevor Zoe und Isaac noch etwas erwidern konnten.

„Wir sollten uns auch beeilen“, sagte Isaac. „In einer halben Stunde gibt es Abendessen und mir knurrt schon der Magen.“

Zoe wachte mit einem Schrei auf.

Sie brauchte einen Moment, bis sie wusste, wo sie war. Nicht in Kalifornien bei Cyprian, sondern in Snowfields. In ihrem Viererzimmer im ersten Stock des Internats. Der Lattenrost über ihr knarrte leise, als Haruko sich umdrehte. Im Bett neben Zoe schnarchte Cathy.

Zoe warf einen Blick auf die Leuchtziffern ihres Weckers. 4:49 Uhr. Sie war hellwach. Genau wie in der Nacht zuvor. Wie in allen anderen Nächten in den letzten Wochen.

Sie schlug die Decke zurück und stieg aus dem Bett. Der Boden war eisig unter ihren nackten Füßen. In den Wintermonaten wurde es nachts richtig kalt im Internat.

Im Dunkeln angelte Zoe nach ihren Hausschuhen, die unter dem Bett lagen. Sie schnappte sich Cathys Sweatshirt, das ihre Freundin vor dem Schlafengehen achtlos auf den Boden geworfen hatte, zog es über und trat ans Fenster.

Behutsam schob sie die Vorhänge ein Stück zur Seite und blickte nach draußen. Der Mond schien hell auf die dicke Schneeschicht, die die Wiesen hinter dem Schloss bedeckte. Wie weißer Sand, dachte Zoe und schauderte.

Ich könnte Shaman holen und ausreiten, dachte sie.

Verrückte Idee. Zoe schüttelte den Kopf über sich selbst. Aber der Gedanke ließ sie nicht los. Und warum eigentlich nicht? Wenn sie über die geräumten Wege am See entlangtrabten, wäre der Ausritt bei Nacht auch nicht gefährlicher als am Tag.

Bevor ihr Bedenken kommen konnten, schlüpfte sie in ihre lange Thermounterhose. Sie zog die Reithosen darüber, zwei Paar Socken, Unterhemd, Shirt, Pulli, Jacke. Das war das Nervigste am Winter: dass man Unmengen an Klamotten anziehen musste, um nicht zu erfrieren. Bevor sie das Zimmer verließ, steckte sie noch ein paar Pferdeleckerlis in die Hosentasche.

Wenigstens brauchte Shaman keine Kleidung – nicht einmal einen Sattel. Sie würde ihn einfach von der Weide holen und losreiten.

Der Vollmond stand rund und riesig über den Berggipfeln. Die schneebedeckten Wiesen glitzerten in seinem Licht. Genau wie der See, der seit Wochen zugefroren war. Das Mondlicht hatte alle Farben aus der Welt gezogen, die Landschaft wirkte wie eine Szene aus einem Schwarz-Weiß-Film.

Der Schnee knirschte laut unter ihren Stiefeln, als sie den Weg hinunter zur Hengstweide rannte. Sie war hellwach und dennoch fühlte sie sich wie in einem dieser seltsamen Träume, die sie Nacht für Nacht quälten.

Der schwarze Mustang erwartete Zoe schon am Gatter. Sie hatte keine Ahnung, wie Shaman das machte, aber er spürte es jedes Mal, wenn sie sich näherte. Und das war gut so, denn auch im Mondlicht wäre es nicht gerade einfach gewesen, ihn auf der großen Koppel zu finden.

Die Schulpferde blieben das ganze Jahr über im Freien, obwohl das Thermometer in der Nacht oft unter dreißig Grad minus fiel. Tagsüber waren minus fünfzehn Grad das höchste der Gefühle. Isaac und viele andere Schüler brachten ihre Pferde nachts in den Stall. Aber bei Shaman wäre das unmöglich gewesen, er ertrug keine geschlossenen Räume.

Zoe öffnete das Tor und ließ den Hengst nach draußen treten. Sie hatte kein Halfter mitgebracht, auch das brauchte sie bei Shaman nicht. Der Mustang wäre niemals von ihr weggelaufen. Sie schmiegte ihr kaltes Gesicht an seinen Hals, spürte die Wärme, die durch sein dickes Winterfell strömte. Und roch den wunderbar würzigen Duft, den der Hengst verströmte.

Shaman stieß ein tiefes rollendes Geräusch aus, als sie sich an seiner Seite nach oben stemmte und ein Bein über seinen Rücken schwang.

„Wusste ich doch, dass du dich freust“, flüsterte sie ihm zu.

Ein paar Augenblicke später trabten sie den Weg entlang, der hinunter zum See führte.

Der Mustang wäre gerne losgaloppiert, aber Zoe hielt ihn zurück. Sie wollte kein unnötiges Risiko eingehen. Wenn sie hier draußen stürzte und sich irgendetwas brach, würde sie richtig Ärger bekommen.