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Im wilden Kanada steht ein weißes Schloss: Snowfields. Auf dem Internat werden die weltbesten Reiter ausgebildet und verletzte Pferdeseelen geheilt. Zoe versteht ihre eigenen Gefühle nicht mehr. Die Trennung von Cyprian hat sie unglaublich verletzt, doch beim Telefonieren spürt sie eine starke Nähe zu ihm. Vielleicht haben sie ja doch noch eine Chance! Als Zoe erfährt, dass Cyprian nach Snowfields zurückkehrt, hat sie keine ruhige Minute mehr. Denn da gibt es auch noch den attraktiven Reiter Isaac … Entdecke alle Abenteuer in der "Pferdeflüsterer-Academy": Band 1: Reise nach Snowfields Band 2: Ein geheimes Versprechen Band 3: Eine gefährliche Schönheit Band 4: Verletztes Vertrauen Band 5: Zerbrechliche Träume Band 6: Calypsos Fohlen Band 7: Flammendes Herz Band 8: Zoes größter Sieg Band 9: Cyprians Rückkehr Band 10: Die dunkle Wahrheit Band 11: Verborgene Gefühle Band 12: Wild und verwundbar Band 13: Taminos Entführung Band 14: Glück und Hoffnung
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Seitenzahl: 184
Veröffentlichungsjahr: 2021
Als Ravensburger E-Book erschienen 2021
Die Print-Ausgabe erscheint im Ravensburger Verlag
© 2021 Ravensburger Verlag
Text © Gina Mayer
Vermittelt durch die Literaturagentur Arteaga, Berlin
Umschlaggestaltung unter Verwendung von Bildern von
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© Kseniia Perminova / Shutterstock (Körper Mädchen);
© OlesyaNickolaeva / Shutterstock (Rücken Pferd)
Pferdevignette: © Paganin / Fotosearch
Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.
ISBN 978-3-473-47626-8
www.ravensburger.de
Er döste jetzt manchmal eine halbe Stunde lang vor sich hin. Während des Tages, aber auch in der Nacht. Die Augen halb geschlossen, den Kopf gesenkt, stand er da und vergaß sich selbst und jegliche Gefahr. Wenn sich unvermittelt jemand näherte, zuckte er immer noch zusammen. Aber er geriet nicht mehr in Panik.
Manchmal legte er sich sogar hin und schlummerte mit offenen Augen. Ein Teil von ihm blieb wachsam, doch dieser Teil wurde von Tag zu Tag nachlässiger.
Die schlimme Zeit war wie ein grelles Licht, das sich immer weiter entfernte. Er trug die Zeichen davon noch auf seiner Haut. Wenn sich das Wetter änderte, zogen und schmerzten die Narben.
Er nahm es kaum noch zur Kenntnis.
Shaman stand mit hoch aufgerichtetem Kopf am Zaun, als Zoe auf die Koppel zuging. Der große schwarze Mustang schien es immer zu spüren, wenn Zoe sich ihm näherte. Jedenfalls musste sie ihn nie auf der großen Weide suchen, wenn sie mit ihm ausreiten wollte.
„Hallo, mein Süßer.“ Sie öffnete das Tor zur Koppel und begrüßte den Hengst mit einer Umarmung.
Während sie ihren Kopf an den glänzenden Hals des Pferdes schmiegte, sog sie den unverwechselbaren Duft ein, den Shaman verströmte. Der erdige Geruch erinnerte sie an den Frühling. Der leider noch weit entfernt war.
Es war bereits Mitte März, aber die Wiese, auf der die Hengste und Wallache standen, war zu einem großen Teil von Schnee bedeckt. Nachts sanken die Temperaturen immer noch unter minus zwanzig Grad und auch tagsüber bewegten sie sich nicht weit über den Nullpunkt hinaus. Der Winter war lang und hart im Nordwesten Kanadas, wo die Snowfields Academy lag, die Zoe nun schon seit bald zwei Jahren besuchte.
Zumindest war der Schnee in den letzten Wochen ein wenig geschmolzen, sodass man endlich wieder Ausritte in den Wald machen konnte. Und genau das hatte Zoe heute vor.
„Schau mal, was ich dir mitgebracht habe.“ Sie zog den Halsstrick aus der Tasche und zeigte ihn Shaman, der sofort die Ohren spitzte.
Wenn Zoe mit dem Mustang ausritt, zäumte sie ihn nie auf und sattelte ihn auch nicht. Shaman mochte kein Gebiss in seinem Maul und Zoe brauchte weder Trense noch Zügel, um ihn zu lenken. Shaman und sie hatten sich von Anfang an intuitiv verstanden.
Als sie dem Rappen den Halsstrick umlegte, fühlte sie eine sanfte Berührung in ihrem Rücken. Sie drehte sich um und sah Tom, den kleinen Tinker-Hengst, der sich ihr unbemerkt genähert hatte.
Tom gehörte Zoe. Sie hatte ihn vor einem Jahr gekauft, doch sie war zu groß, um ihn zu reiten. Deshalb hatte sie ihn als Reitbeteiligung an eine Mitschülerin vermittelt. Aber leider hatte Evi vor ein paar Wochen die Schule verlassen und war zurück nach Deutschland gegangen. Der Leistungsdruck, der an dem Elite-Reitinternat herrschte, war einfach zu viel für sie gewesen.
„Na, du Halunke!“ Zoe wuschelte Tom durch die Mähne.
Sie hatte wie immer ein schlechtes Gewissen, wenn sie den Tinker sah. Seit Evi weg war, hätte sie sich viel mehr um ihn kümmern müssen. Aber neben der Schule, dem Natural Horsemanship und dem Reitunterricht, den auch die Pferdeflüsterer nehmen mussten, blieb ihr einfach zu wenig Zeit für den kleinen Tinker.
Tom schnaubte und stupste mit der Nase gegen ihre Hosentasche. Sie holte ein Möhrenstück heraus und steckte es ihm zu. Er zerbiss es und wollte sofort Nachschub.
„Hab nichts mehr.“ Zoe klopfte seinen Hals und wollte sich wieder Shaman zuwenden, aber nun bleckte Tom die Zähne und wieherte laut. Dann drängte er seinen schwarz-weiß gefleckten Kopf noch fordernder gegen Zoes Schulter.
„Jetzt reicht’s aber!“ Sie schob ihn entschieden zurück. „Genug, hab ich gesagt.“
Tom kapierte sofort, was Sache war. Er senkte den Kopf und scharrte verlegen mit dem Vorderhuf im Schnee, doch Zoe ging nicht auf die Beschwichtigung ein.
Es war nicht das erste Mal, dass Tom so übergriffig geworden war. Der Tinker wurde von allen Schülern der Snowfields Academy verwöhnt, er brauchte dringend jemanden, der ihn in seine Schranken wies. Und das war ja wohl ihre Aufgabe.
Shaman stieß ein rollendes Geräusch aus. Es klang, als ob er sich räusperte.
„Ich komme ja schon.“ Zoe griff nach dem Halsstrick und führte ihn von der Weide.
Nachdem sie das Tor wieder geschlossen hatte, wollte sie sich auf seinen Rücken schwingen, doch eine schneidende Stimme ließ sie innehalten.
„Warte, Zoe!“
Die Stimme gehörte Mrs. de Cesco. Einen Moment lang kämpfte Zoe mit der Versuchung, einfach aufzusteigen und davonzugaloppieren. Sie konnte die stellvertretende Direktorin der Schule nicht ausstehen – und ihre Gefühle wurden von Mrs. de Cesco aufs Herzlichste erwidert.
„Was gibt es denn?“ Zoe ergriff nicht die Flucht, sondern drehte sich zu der Lehrerin um, die mit großen Schritten den Fußweg herunterkam, der vom Internat zur Koppel führte.
Trotz der niedrigen Temperaturen hatte Ellen de Cesco keine Mütze auf. Ihr graublondes Haar hatte sie zu einem strengen Zopf gebunden. Sie war ungeschminkt und trug eine dunkelblaue Daunenjacke zu den weißen Reithosen, die wie immer makellos sauber waren. Genau wie ihre glänzenden Stiefel.
Zoe fragte sich, wie die Lehrerin das schaffte. Seit sie an der Schule war, hatte sie noch nie auch nur den winzigsten Fleck auf den Kleidern der stellvertretenden Direktorin gesehen.
Zoe selbst hatte ihre cremefarbenen Breeches, die zu der Schuluniform der Snowfields Academy gehörten, heute Morgen frisch angezogen. Jetzt waren sie voller Schlammspritzer. Und ihre Reitstiefel starrten vor Dreck, obwohl sie noch gar nicht losgeritten war.
„Hier.“ Mrs. de Cesco hob die Gerte, die sie in der Hand hielt, und deutete damit über Shamans Rücken auf die Koppel.
„Was?“, fragte Zoe verständnislos.
„Der Zaun.“
Zoes Blick folgte der Spitze der Gerte zu dem Holzgatter, das die Weide umgab. Zwischen zwei Pfosten hatte sich der oberste Querbalken gelöst, er hing nur noch an einer Schraube.
„Das war Shaman.“ Die Stimme der Lehrerin war genauso eisig wie die Luft.
„Wie bitte?“ Zoe sah Mrs. de Cesco verdattert an. „Haben Sie hier eine Kamera installiert oder woher wollen Sie das wissen?“
Mrs. de Cescos Gesicht zeigte keine Regung, als sie nun an Zoe vorbei zu der beschädigten Stelle ging. Sie rüttelte an dem Balken und löste ihn dadurch vollständig aus der Verankerung.
Tom war hoffnungsvoll auf sie zu getrottet. Jetzt stupste er mit der Nase gegen ihre Hand. Er kannte wirklich überhaupt keine Berührungsängste.
Mrs. de Cesco wuschelte durch seine schwarze Zottelmähne. Sogar sie wies den kleinen Tinker-Hengst nicht ab. Kein Wunder, dass Tom sich für unwiderstehlich hielt.
„Einer der Stallknechte hat Shaman dabei beobachtet.“ Ellen de Cesco ließ das lose Brett in den Schnee fallen.
Tom streckte den Kopf so weit es ging durch die unterste Querverstrebung und schnupperte daran. Dann wandte er sich enttäuscht ab. Nichts zu fressen, schien er zu denken. Schade.
Am Ende der Koppel tauchte nun ein Quad mit Schneeketten auf, das langsam auf sie zu knatterte. Brent, einer der Pferdepfleger, begrüßte sie mit einem Kopfnicken, bevor er vom Fahrersitz stieg und in den Schnee sprang.
„Da sind Sie ja endlich“, sagte Mrs. de Cesco anstelle einer Begrüßung. „Ich warte seit einer Ewigkeit auf Sie.“
Brent warf einen irritierten Blick auf seine Uhr. „Halb drei war ausgemacht. Ich bin pünktlich.“
Mrs. de Cesco ignorierte die Antwort, wie jede Bemerkung, die ihr nicht passte.
„Warst du das, der gesehen hat, wie Shaman den Zaun beschädigt hat?“, fragte Zoe den Pferdepfleger, der nun eine Kiste mit Werkzeug vom Quad hob.
„Was?“ Brent sah sie verwirrt an. Dann wanderte sein Blick zu Mrs. de Cesco. „Was hat Shaman damit zu tun?“
„Er hat den Schaden verursacht“, erklärte sie kühl. „Einer Ihrer Kollegen hat das beobachtet.“
„Echt?“ Brent zog einen seiner Fäustlinge aus und kratzte sich unter der dicken Wollmütze. „Welcher denn?“
„Ich weiß seinen Namen nicht“, erwiderte Mrs. de Cesco.
In Snowfields gab es ein Dutzend Pferdepfleger, die allesamt schon seit Jahren in der Schule angestellt waren. Es war typisch für Mrs. de Cesco, dass sie ihre Namen nicht kannte. Personen, die in der Hackordnung unter ihr standen, interessierten die stellvertretende Direktorin meist nicht.
Dennoch war sich Zoe ziemlich sicher, dass die Lehrerin Shamans Attacke nur erfunden hatte. Seit Zoe damals in die Pferdeflüsterer-Klasse der Academy aufgenommen worden war, hatte die stellvertretende Direktorin sie auf dem Kieker und versuchte ständig, sie zu schikanieren. Und nachdem Zoe Ellen de Cesco vor Kurzem bei einem Springturnier in Kalifornien ziemlich lächerlich gemacht hatte, war ihr Verhältnis nicht besser geworden.
Allerdings hatte Zoe keine Ahnung, was die Lehrerin mit einer solchen Lüge bezwecken wollte.
„Was ist?“, fuhr Mrs. de Cesco in schneidendem Ton fort. „Wollen Sie den Zaun jetzt reparieren oder erwarten Sie eine schriftliche Anweisung? Am besten, Sie tauschen das oberste Brett komplett aus, es erscheint mir recht morsch. Und wenn Sie schon mal dabei sind, überprüfen Sie doch auch gleich die anderen Querbalken. Die Pferde auf der Koppel sind wertvoll und im Wald gibt es Bären.“
Brents Gesicht war mit jedem ihrer Sätze finsterer geworden. Mrs. de Cesco behandelte ihn wie einen kompletten Anfänger, dem man alles erklären musste. Er marschierte mit großen Schritten auf die Lehrerin zu, die vorsichtshalber einen Schritt zurücktrat, und rüttelte nun ebenfalls an den Brettern.
„Hier ist überhaupt nichts morsch“, knurrte er. „Der Zaun wird regelmäßig kontrolliert.“
„Tauschen Sie die Bretter trotzdem aus. Sonst mache ich Sie persönlich dafür verantwortlich, wenn etwas passiert. Und das kann teuer werden.“
Brent sah sie ungläubig an. „Aber das ist doch …“
„Was?“, fragte Mrs. de Cesco drohend.
Er verstummte und kaute missmutig auf seiner Unterlippe.
„Zoe wird Ihnen dabei helfen“, erklärte die Lehrerin.
„Was?“, rief Zoe empört. „Das geht jetzt nicht. Ich wollte gerade ausreiten!“
Bis Ende März galt in der Snowfields Academy der Winterstundenplan. Die Schüler hatten morgens nur drei Stunden Schule, danach war Pause bis um halb fünf. Auf diese Weise waren sowohl Reitstunden im Freien als auch Ausritte bei Tageslicht möglich. Wenn Zoe jetzt nicht loskam, würde sich der Ausritt nicht mehr lohnen.
„Dein Pferd hat das ganze Schlamassel überhaupt erst verursacht.“ Mrs. de Cesco bedachte Zoe mit einem spöttischen Lächeln.
Darauf hatte sie es also die ganze Zeit angelegt, dachte Zoe. Vermutlich würde sie nicht eher Ruhe geben, bis Zoe den halben Zaun ausgetauscht hätte.
Zoe überlegte, ob sie Mrs. de Cesco darauf hinweisen sollte, dass Shaman gar nicht ihr Pferd war. Er gehörte Caleb Cole, dem Lehrer der Pferdeflüsterer-Klasse. Aber dann schluckte sie die Bemerkung hinunter. Sie war für Shaman verantwortlich, also würde sie sich auch nicht hinter Caleb verstecken.
Ellen de Cesco warf den Kopf in den Nacken, drehte sich um und entfernte sich mit großen Schritten in Richtung Schule.
Brent sah ihr mit verschränkten Armen nach. „Ab aufs Pferd mit dir“, kommandierte er, als die Lehrerin außer Hörweite war.
„Das geht doch nicht“, protestierte Zoe. „Wenn Mrs. de Cesco …“
„Ab mit dir, hab ich gesagt.“ Mit einem Grinsen wandte Brent sich ihr zu. „Das mit dem Zaun krieg ich auch allein hin.“
Shaman knabberte an einem dürren Ast, der aus dem Schnee nach oben ragte. Zoe hatte den Hengst auf einer kleinen Lichtung zum Stehen gebracht. Im Sommer kam sie oft hierher, um zu lesen oder durch den Bach zu waten, der zwischen den Bäumen durch den Wald murmelte.
Zu dieser Jahreszeit war der Wasserlauf noch zugefroren und von dem weichen Gras, das Shaman im Sommer so gerne aus dem Boden rupfte, war noch nichts zu sehen.
Zoe glitt dennoch vom Pferderücken. Sie hatte Shaman fast den ganzen Weg galoppieren lassen, eine kurze Pause würde dem Mustang guttun.
Sie atmete die klare, kalte Winterluft ein, während sie durch den Schnee zu den uralten Ahornbäumen stapfte, die die Lichtung umstanden. Die Stämme hatten einen Umfang von mehreren Metern, allein hätte Zoe sie gar nicht umfassen können.
Über ihr hämmerte ein Specht gegen einen Ast. Zoe hob den Kopf, aber obwohl die Zweige der Bäume noch kahl waren, war der Vogel nirgends zu sehen. Das Klopfen seines Schnabels war so laut, dass sie fast das leise Plinggeräusch überhört hätte, mit dem ihr Handy eine neue Nachricht ankündigte.
Es war erstaunlich, dass die SMS hier draußen überhaupt ankam. Die Snowfields Academy lag mitten in der Wildnis. In dem riesigen Waldgebiet, das das Reitinternat umgab, war das Netz so schlecht, dass man normalerweise nicht mal telefonieren konnte.
Zoe zog ihr Handy aus der Hosentasche. Vielleicht kam die Nachricht von Mrs. de Cesco, die sich wieder etwas Neues hatte einfallen lassen, um Zoe zu ärgern. In dem Fall wollte sie sie lieber nicht lesen.
Aber als sie das Display aktivierte, sah sie, dass die SMS von Cyprian war. Sie zog einen Handschuh aus und öffnete sie.
Caleb hat einen Pächter gefunden, stand da.
Das war die ganze Botschaft. Keine Einleitung, kein Gruß. Das war typisch für Cyprian, der beim Schreiben genauso wortkarg war wie im richtigen Leben.
Zoe hatte das Gefühl, dass der Specht plötzlich mit doppelter Geschwindigkeit gegen den Stamm hämmerte.
Shaman schien die Aufregung zu spüren, die Zoe plötzlich ergriffen hatte. Der schwarze Mustang hob den Kopf und kam zu ihr. Sie merkte, wie sie ruhiger wurde, als er seine Stirn an ihrem Oberarm rieb.
Wieder blickte sie auf ihr Handy und las die Nachricht noch einmal.
Cyprian war im Moment noch auf Calebs Ranch in Kalifornien. Seit dem Herbst nahm er eine Auszeit von der Snowfields Academy. Er kümmerte sich in den Rocky Mountains um Calebs Pferde und ging dort auch zur Schule – zumindest gelegentlich.
Die Beziehung zwischen ihm und Zoe war zu Ende. Als Zoe vor einigen Wochen zu dem Springturnier nach Kalifornien geflogen war, um herauszufinden, wie es mit ihnen weitergehen sollte, hatte Cyprian die Gelegenheit genutzt, um mit ihr Schluss zu machen.
Seitdem verstanden sie sich absurderweise wieder besser. Sie telefonierten oft und sprachen über alles, was sie bewegte, genau wie zu Beginn ihrer Freundschaft. Die Seelenverwandtschaft, die Zoe bisher mit keinem anderen Menschen erlebt hatte, war zurück. Vielleicht war es doch noch nicht ganz aus, dachte Zoe jedes Mal, wenn sie eines ihrer Gespräche beendete.
In Kalifornien hatte Cyprian Zoe auch gesagt, dass er wieder nach Snowfields kommen wollte, sobald Caleb einen Pächter für die Ranch gefunden hatte, der sich um die Pferde kümmerte. Das war jetzt offensichtlich passiert.
Und nun? Zoe horchte in sich hinein, aber da war keine Freude, nur eine große Verwirrung. Wenn sie bloß gewusst hätte, was wirklich in Cyprian vorging. Und wie sie miteinander umgehen sollten, wenn sie sich bald Tag für Tag im Klassenzimmer und im Internat sahen.
„Wann kommst du überhaupt zurück?“, murmelte Zoe.
Ihr Zeigefinger schwebte einen Moment lang über dem Hörersymbol neben Cyprians Namen, bevor sie die Fingerspitze darauf sinken ließ.
Während sie wartete, dass die Verbindung aufgebaut wurde, hörte der Specht über ihr plötzlich auf zu hämmern. Die Stille im Wald rauschte in ihren Ohren.
Dann erschien auf dem Display die Meldung: Keine Verbindung möglich.
Sie stieß die Luft aus, die sie angehalten hatte, ohne es zu merken. Und erschrak über die Erleichterung, die sie empfand.
Nachdem sie Shaman zurück auf die Koppel gebracht hatte, rannte Zoe den Weg nach oben zur Schule. Den ganzen Tag über war der Himmel grau gewesen, aber während ihres Ausritts war die Wolkendecke aufgerissen. Jetzt strahlte die Sonne auf das Schulgebäude, das mit seinen dicken weißen Mauern und dem Gewirr aus Türmen, Giebeln und Erkern wie ein mittelalterliches Schloss aussah. Dabei war es erst vor hundert Jahren von einem Eisenbahnmillionär erbaut worden. Dahinter reckten sich die schneebedeckten Berggipfel in den Himmel, denen die Schule ihren Namen verdankte.
Nun hatte sie die Steinbrücke erreicht, die sich über eine Art Burggraben wölbte. Dahinter lag das Tor zum Innenhof. Aber Zoe schlug den schmalen Pfad ein, der am Burggraben entlang zur Rückseite des Gebäudes führte. Sie hatte gleich Chemie und das Labor war im Neubau hinter der Mensa untergebracht. Vorher musste sie aber noch ihre Schulsachen aus der alten Remise holen, in der das Klassenzimmer der Pferdeflüsterer lag.
In Snowfields war es um einiges wärmer als im Wald, das Wasser im Graben war nur noch an den Rändern von einer dünnen Eisschicht bedeckt. In der Mitte dümpelten bereits wieder Enten.
Zoe verlangsamte unwillkürlich ihre Schritte. Sie hatte überhaupt keine Lust auf Chemie. Mr. Doolightly, ihr Lehrer, machte den ödesten Unterricht, den man sich vorstellen konnte. Selbst seine Experimente waren langweilig.
Die alte Remise, die in der Anfangszeit des Schlosses eine Garage gewesen war, befand sich ein wenig abseits vom Rest der Schule. Das passte gut zu den Pferdeflüsterern, die ja auch eine Sonderrolle an der Eliteakademie spielten.
Als Zoe mit ihren Schulsachen im Arm wieder aus dem flachen Gebäude trat, fiel ihr Blick auf den kleinen Round-Pen, in dem gerade ein wunderschöner Hengst im Kreis trabte. Sein rotes Fell leuchtete in der Sonne wie Feuer.
In der Mitte des Platzes stand Caleb. Der Lehrer der Pferdeflüsterer-Klasse war wie immer von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet. Selbst der Cowboyhut auf seinen langen dunklen Haaren war schwarz.
Er bemerkte Zoe nicht, seine Aufmerksamkeit war ganz auf den Fuchs gerichtet, der ihn umrundete. Zoe kannte das Tier. Mit Magic arbeitete Caleb nun schon seit letztem Herbst. Dank ihm hatte das verstörte Pferd unglaubliche Fortschritte gemacht.
Caleb hatte nur eine halbe Stelle als Lehrer für Natural Horsemanship an der Snowfields Academy. In der übrigen Zeit therapierte er traumatisierte und schwierige Pferde. Trotz der abgelegenen Lage der Schule brachten viele Pferdebesitzer ihre Tiere zu ihm, damit Caleb sie von ihren Ticks und Ängsten befreite. Und weil es ihm so gut wie immer gelang, das Vertrauen dieser Pferde zu gewinnen, verbreitete sich sein Ruf als hervorragender Pferdeflüsterer stetig weiter. Längst bekam er viel mehr Anfragen, als er annehmen konnte.
Auf der Umrandung des Round-Pens saß Isabelle. Das schöne Mädchen mit den seidenweichen dunkelbraunen Haaren war Zoes engste Freundin – und die beste Schülerin in der Pferdeflüsterer-Klasse. Sie assistierte Caleb oft bei seiner Arbeit.
Zoe machte die beiden nicht auf sich aufmerksam. Sie wusste, dass Caleb nicht gestört werden wollte, wenn er mit einem Pferd arbeitete. Aber nun hob Isabelle den Kopf und winkte ihr zu.
„Zoe?“, rief sie. „Warte auf mich!“
Isabelle sprach mit einem entzückenden Akzent, sie kam nämlich aus Quebec im französischsprachigen Teil Kanadas.
Jetzt wandte sie sich an ihren Lehrer. „Ich muss los, Caleb“, rief sie. „Wir haben gleich Chemie.“ Isabelle stieß sich vom Zaun ab und sprang zu Boden.
Magic, der gerade an ihr vorbeigetrabt kam, ließ sich durch die plötzliche Bewegung überhaupt nicht irritieren. Er trabte ruhig weiter. Nichts an ihm erinnerte mehr an das scheue, aggressive Pferd, das er noch vor ein paar Monaten gewesen war.
Caleb machte einen Schritt nach vorn und brachte den Hengst dadurch zum Stehen. Es war echt erstaunlich, wie er Pferde durch winzige Gesten und Bewegungen dazu brachte, genau das zu tun, was er von ihnen wollte.
„Wir sind hier auch fertig.“ Er trat zu Magic und streichelte ihn. „Danke, Isabelle.“
„Was habt ihr denn gemacht?“, fragte Zoe neugierig.
„Ein kleines Experiment.“ Isabelle versetzte Magic einen zärtlichen Klaps auf die Hinterhand. „Hat super funktioniert. Du bist ein Held, Magic.“
„Isabelle hat Magic ein bisschen Stress gemacht, während ich mit ihm gearbeitet habe“, erklärte Caleb.
„Aber er hat sich nicht stressen lassen.“ Isabelle warf ihre langen Haare zurück und lachte. „Selbst der supergefährliche Regenschirm hat ihn nicht aus der Ruhe bringen können.“ Sie bückte sich und hob den Schirm auf, der neben ein paar Tüten und einer Longe auf dem Boden lag. Als sie ihn aufspannte und wieder zumachte, zuckte Magic mit keiner Wimper.
„Wow.“ Zoe war beeindruckt. Kurz vor Weihnachten hatte Caleb während einer Therapiestunde auch schon einmal einen Regenschirm geöffnet. Damals war Magic vor Panik so außer sich geraten, dass Caleb das Training beenden musste. „Das ist unglaublich.“
Magic reckte interessiert den Hals, als sie an die Umrandung des Round-Pens trat. Vorsichtig streckte sie ihm eine Hand entgegen. Noch vor ein paar Wochen hätte er die Gelegenheit genutzt, um sofort nach ihren Fingern zu schnappen. Heute schnupperte er sanft daran.
„Magic hat sich wirklich gemacht.“ Caleb hob die Longe vom Boden auf und rollte sie zusammen. „Nur in einer Beziehung kommen wir überhaupt nicht weiter.“
„Sally“, sagte Zoe.
Er nickte und zog dabei einen Mundwinkel nach unten. „Sie muss bloß in Magics Nähe kommen und schon ist er wieder ganz der Alte.“
„Heißt: Er rastet total aus und wird zur wütenden Bestie“, erläuterte Isabelle. „Sally kam vorhin zufällig hier entlang, sie war auf dem Weg zur Arbeit. Magic hat sie von Weitem gesehen und ist sofort gestiegen.“
Sally war Magics Besitzerin, sie arbeitete in dem kleinen Supermarkt auf dem Schulgelände. Sie hatte den verstörten Fuchs heimlich nach Snowfields gebracht, nachdem er jahrelang von ihrem gewalttätigen Ehemann gequält worden war. Es war Sallys größter Traum, mit Magic wieder auf ihrer kleinen Farm zu leben, aber solange der Hengst jedes Mal ausflippte, wenn er sie auch nur aus der Ferne sah, war das natürlich undenkbar.
„Mit ihr verbindet Magic all das Schlimme, was er erlebt hat“, sagte Caleb.
„Du dummer Junge.“ Zoe beugte sich über die Absperrung und fuhr mit beiden Händen durch Magics Mähne. „Du kannst Sally doch vertrauen. Sie war von Anfang an auf deiner Seite. Und ohne sie wärst du nicht hier.“
Magic rieb seinen Kopf an ihrer Schulter.
„Ich befürchte, er hat dich nicht verstanden“, sagte Isabelle.
„Geht mir immer so mit Pferden.“ Zoe seufzte.
Natural Horsemanship – wie das Pferdeflüstern offiziell genannt wurde – war wirklich nicht ihre Stärke. Im Gegensatz zu Isabelle und ihren anderen Klassenkameraden war Zoe nicht mit Pferden aufgewachsen. Es fiel ihr unendlich schwer, mit ihnen zu kommunizieren. Nur Shaman verstand sie ohne Worte. Zoe fragte sich oft, warum Caleb sie nicht längst aus der Klasse geworfen hatte.
„Ich mach mir große Sorgen um sie“, sagte der Lehrer jetzt.