Pflege in Deutschland - Claudius Pyrlik - E-Book

Pflege in Deutschland E-Book

Claudius Pyrlik

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  • Herausgeber: Best off
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Pflege ist eines der relevantesten und dynamischsten Themen in Deutschland. Dieses Buch entstand in der COVID-19- Pandemie, die die Relevanz der Branche für den Erhalt unseres Systems noch deutlicher gemacht hat. Bis auf Umwelt- und Klimaschutz scheint es mittel- und langfristig nichts zu geben, was uns derart herausfordern wird. Wer das Buch liest, wird erkennen, dass trotz all der bestehenden Missstände, die Pflegebranche auch viel Positives zu bieten und zahlreiche Vorteile hat, er wird sich aber auch deutlich bewusst werden, dass Lösungen zeitnah gefunden werden müssen. Alle Interviewpartner haben gerne Zeit investiert, um durch offene, teils schonungslose Darstellungen ihre Erfahrungen und Forderungen durch dieses Buchprojekt veröffentlichen zu lassen. Ein breites Spektrum der Pflegebranche wird dadurch abgebildet und gibt jedem Interessierten Überblick über das, was den deutschen Pflegemarkt bewegt und wie sich die Branche perspektivisch entwickeln wird. Das Buch adressiert alle, die mit der Branche in Berührung kommen und an ihr interessiert sind. Pflegende/r Angehörige/r, zu Pflegende/r, Auszubildende, Studierende, Gründer, bereits in der Branche arbeitende Menschen, politische Entscheidungsträger. Die Inhalte werden viele inspirieren, informieren und motivieren.

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Alle Inhalte dieses Buches sind urheberrechtlich geschützt. Das Urheberrecht liegt bei Claudius Pyrlik. Bitte fragen Sie nach, falls Sie die Inhalte dieses Buches verwenden möchten.

Wer gegen das Urheberrecht verstößt (z. B. Texte unerlaubt kopiert oder veröffentlicht), macht sich gem. §§ 106 ff UrhG strafbar, wird zudem kostenpflichtig abgemahnt und muss Schadensersatz leisten (§ 97 UrhG).

Hinweis

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern in diesem Buch die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

Claudius Pyrlik

Pflege in Deutschland

Status und Perspektiven

Ein Buch für alle, die mit der Pflegebranche in Berührung kommen, und an ihr interessiert sind.

Über den Autor

Claudius Pyrlik ist 46 Jahre alt, verheiratet und hat zwei kleine Kinder. Der Betriebswirt arbeitet als Vertriebsleiter für den europäischen Marktführer, der Promedica Gruppe, in der Betreuung von Senioren durch osteuropäische Betreuungskräfte im eigenen Zuhause.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage 2020

Titelfoto: shutterstock.com – Halfpoint

Herstellung: Patricia Knorr-Triebe

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH

© Best-off-Verlag. Alle Rechte vorbehalten.

Postfach 12 03 47 · D-93025 Regensburg

Tel. +49 (0)9404 96 14 84 · Fax. +49 (0)9404 96 14 85

E-Mail: [email protected] · Homepage: www.bestoffverlag.de

ISBN 978-3-96133-004-1

Inhalt

Cover

Hinweise

Titel

Über den Autor

Impressum

Vorwort

Eine Übersicht über die Pflegebranche

Interview mit Philipp Rinas.Multi Unternehmer in der Pflegebranche

Interview mit Uwe-Matthias Müller.Vorstand Bundesverband Initiative 50Plus e.V

Interview mit Alexa Ahmad.pme Familienservice GmbH

Interview mit Sonja Peichl.Leiterin Stiftung & Fundraising im Caritasverband für die Diözese Limburg und Geschäftsführerin der Caritas-Gemeinschaftsstiftung im Bistum Limburg

Interview mit Bianca Krell.Alloheim Senioren-Residenzen SE ›Haus Staufenberg‹

Interview mit Alexander Groß.Home Instead Seniorenbetreuung, Büro Frankfurt Mitte

Interview mit Nicole Aue.Consultant & Berufsbetreuer (rechtliche Betreuungen)

Interview mit Bastian Schott.Klinikum Westfalen GmbH

Interview mit Holger Klötzner.1ACare GmbH

Interview mit Marc Oliver Erni.Pflegeagentur Erni

Interview mit Peter Blassnigg.PROMEDICA PLUS Franchise GmbH

Interview mit Jürgen Bender.Saarländischer Pflegebeauftragter

Interview mit Lars Kilchert.pflege.de

Gastbeitrag des Netzwerkbüro „Erfolgsfaktor Familie“DIHK Service GmbH, Berlin

Ausblick – Zur Zukunft der Pflege in Deutschland

Anmerkungen

Vorwort

Pflege ist eines der relevantesten und dynamischsten Themen in Deutschland. Dynamisch nur in Relation zum Wachstum und den Herausforderungen. Leider statisch bezogen auf gesetzliche Rahmenbedingungen, Pflegeversicherung, Innovationen robotischer Pflegesysteme und auf den Arbeitsmarkt.

Dieses Buch entstand mitten in der COVID-19-Pandemie die die Relevanz der Branche für den Erhalt unseres Systems noch deutlicher gemacht hat. Während viele Branchen unter der Pandemie leiden ist diese für Dienstleister von Pflege- und Betreuungsleistungen eine Chance. Und zwar deshalb, weil die Anbieter ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen, die Mitarbeiter sich engagiert einsetzen, sich ihrer Verantwortung bewusst zeigen und das Thema Pflege noch mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerät. Von den positiven Auswirkungen auf Umsatz und Gewinn ganz zu schweigen, was Gründer noch mehr motivieren wird, über einen Einstieg nachzudenken.

Relevanz und dynamische Entwicklung führten trotz der bekannten und nicht aufzuhaltenden demografischen Entwicklungen bisher aber nicht dazu, dass die Herausforderungen, nein nennen wir es wie es ist: Die enormen Probleme, die auf die Gesellschaft zukommen, über die Branche hinaus nennenswert diskutiert und angegangen werden.

Obwohl die Branche für Anbieter lukrativ, sicher und damit höchst attraktiv ist, wird das Thema selten öffentlich diskutiert. Denken wir an Migration/Integration oder Umwelt-/Klimaschutz die im Fokus zahlreicher Talkshows waren und sind. Unverständlich, wenn man sich im Detail den Status Quo und die Perspektiven betrachtet. Bis auf Umwelt- und Klimaschutz scheint es mittel- und langfristig nichts zu geben, was uns derart beschäftigen und herausfordern wird.

Wer das Buch liest, wird erkennen, dass trotz all der bestehenden Missstände und ungelösten Probleme, die Pflegebranche auch viel Positives zu bieten und zahlreiche Vorteile hat. Der aufmerksame Leser wird sich aber auch deutlich bewusst werden, dass Lösungen zeitnahe gefunden werden müssen. Wie heißt es im Management-Jargon, Hands-on-Mentalität ist gefragt. Entscheidungsträger auf allen Ebenen sind gefordert, endlich ins Handeln zu kommen. Welche Entscheidungs- und Handlungsschnelligkeit die Politik hat, wenn sie will, besser wenn sie gezwungen ist, zeigt die COVID-19-Pandemie. Nicht nur bei Pflegethemen auch bei ökologischen tritt man auf der Stelle, von fehlender Investitionsbereitschaft ganz zu schweigen. Dass diese aber grundsätzlich möglich sind, zeigt uns ebenfalls die Corona-Krise.

Alle Interviewpartner haben gerne Zeit investiert, um ihre Erfahrungen, Ideen und Forderungen durch dieses Buchprojekt veröffentlichen zu lassen. Ein breites Spektrum der Pflegebranche wird dadurch abgebildet und gibt jedem Interessierten Überblick über das was den deutschen Pflegemarkt bewegt, welchen Herausforderungen er sich stellen muss und wie sich die Branche perspektivisch entwickeln wird.

Das Buch adressiert Auszubildende, Studierende, Gründer, bereits in der Branche arbeitende Menschen, politische Entscheidungsträger, alle, die mit der Branche in Berührung kommen und an ihr interessiert sind. Die Inhalte werden viele inspirieren und motivieren, einen Start in der Branche zu wagen oder sich weiterhin mit ganzer Kraft und Sachverstand einzubringen.

In einem Podcast-Format wird das Buch und dessen Themen aufgegriffen und zeitversetzt betrachtet werden, ob und wie die in den Interviews formulierten Ideen und Wünsche bereits Realität geworden sind und wie sich bestehende Herausforderungen entwickelt haben.

Ich danke allen Interviewpartnern für ihre offenen, teils schonungslosen Darstellungen. Diese wurden nahe am tatsächlichen Wortlaut, authentisch zu Papier gebracht.

Angela Merkel hatte in der Bild-am-Sonntag am 5. September 2010 gesagt: „Wir haben 2,2 Millionen Hartz-IV-Empfänger, die arbeitsfähig sind, aber keinen Job finden. Ich sehe nicht ein, dass Pflegekräfte künftig nur noch aus Osteuropa kommen. Daran können wir etwas ändern“.

Nachdem Sie dieses Buch gelesen haben, werden Sie unter anderem auch diese Aussage einordnen und bewerten können.

Claudius Pyrlik

Wettenberg im Mai 2020

Eine Übersicht über die Pflegebranche

Status

Herausforderungen

Perspektiven

Der demographische Wandel verändert die Gesellschaft. Es ist nichts Neues und hinlänglich bekannt. Laut Pflegereport der Bertelsmann Stiftung wird die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2030 um 50 Prozent steigen, und gleichzeitig wird die Anzahl der in der Pflege arbeitenden Menschen sinken. Bei unveränderten Trends werden 500.000 Vollzeitkräfte perspektivisch in der Pflege fehlen so die Bertelsmann Stiftung. Laut Statistischem Bundesamt wird es bereits im Jahr 2025 rund 200.000 unbesetzte Stellen für ausgebildete Pflegefachkräfte in der Altenpflege geben, ebenfalls mit steigender Tendenz.

Ein Hoffnungsschimmer jenseits des normalen Arbeitsmarktes sind neue entstehende soziale Netzwerke in der Nachbarschaft und dem Freundeskreis. Mit dem Ende der Erwerbstätigkeit beginnt für viele Menschen eine neue Lebensphase, die einige nutzen wollen um das Gemeinwohl zu stärken. Die in diesem Kontext bestehenden Möglichkeiten für Engagements für betreuungs- und pflegebedürftige Menschen sind bei weitem nicht ausgeschöpft.

Wir leben länger, und immer mehr Menschen können diese längere Lebenszeit ohne Unterstützung und Begleitung im Alltag nicht mehr organisieren. Pflegebedürftigkeit wird einen hohen Prozentsatz der Bevölkerung im Lauf des Lebens betreffen. Das jetzige System ist darauf noch unzureichend vorbereitet. Eine bessere Pflege braucht humanere Arbeitsbedingungen, bessere Personalschlüssel, Prävention und angepasste Versicherungsleistungen, um nur einige zu nennen. Eine Vollfinanzierung ist ambitioniert und wahrscheinlich unrealistisch, und wir werden bei der Betrachtung der Herausforderungen immer auch die Unterstützungsleistungen von Gesellschaft und Wirtschaft mit in die Überlegungen einbeziehen müssen. Ein gesamtgesellschaftliches Problem kann auch nur durch die Gemeinschaft aller gelöst werden. Wenn beispielsweise ältere Menschen weiterhin im Berufsleben bleiben und sich auf dem Feld der Betreuung und Pflege einbringen wollen, müssen sie auch Möglichkeiten hierfür vorfinden, ohne Kürzungen der wohlverdienten Rente befürchten zu müssen.

Den Herausforderungen auf der einen Seite stehen Chancen und Wachstumsmöglichkeiten auf der anderen Seite gegenüber. Die Pflegebranche boomt, Zeiten in denen Kreditsachbearbeiter Gründungsdarlehen verweigern, weil Intensivpflegediensten, Tagespflegeeinrichtungen oder Unternehmensgründungen in der 24h-Betreuung eine geringe Erfolgsaussicht attestiert wurden sind lange vorbei. Gerade auch die Corona-Krise zeigt aufgrund der Systemrelevanz die Robustheit dieses Marktes. Es ist aber nicht nur der demografische Wandel der den Pflegemarkt befeuert. Der Wunsch nach mehr Lebensqualität pflegender Angehöriger lässt diese vermehrt nach Dienstleistern suchen die Entlastung bringen. Es findet also eine Verlagerung der Betreuung und Pflege von der Familie auf professionelle Dienstleister statt.

Risiken für Gründer und etablierte Anbieter gibt es dennoch. Der fortschreitende Fach- und Betreuungskräftemangel droht zum Risiko für die weitere wirtschaftliche Entwicklung der Pflegebranche zu werden. Dies betrifft nicht nur den Arbeitsmarkt in Deutschland, sondern ausdrücklich auch die im EU-Entsendemodell eingesetzten osteuropäischen Betreuungskräfte. Die Corona-Krise und der damit einhergehende Anstieg der Arbeitslosigkeit werden nur kurzfristig zu mehr Personal führen.

Der Anteil von privaten Anbietern nimmt zu, öffentliche Unternehmen spielen eine untergeordnete Rolle und versorgen im ambulanten Bereich nur unter zwei Prozent und im stationären Bereich nur unter sechs Prozent der Pflegebedürftigen. Rechtliche und bürokratische Hindernisse und wachsende regulatorische Vorgaben, sowie die bundeslandspezifischen Vorgaben bei den Abrechnungen mit den Kostenträgern, stehen Gründungen und dem Ausbau bestehender Geschäftstätigkeiten gegenüber. Dies betrifft vor allem auch überregional agierende Anbieter, die beispielsweise für Zulassungen ihres ambulanten Pflegedienstes in jedem Bundesland eine neue Beantragung starten müssen.

Um Qualitätsansprüche und Versorgungssicherheit auf Anbieterseite sicherzustellen, können Förderprogramme helfen. Wer im Sinne des zu pflegenden oder zu betreuenden Kunden Qualität und lückenlose Versorgungssicherheit anbieten will, muss in aller Regel erst einmal investieren und in Vorleistung gehen. Diese Herangehensweise ist förderungswürdig. Qualität muss aber auch transparent und kontrollierbar sein und sich an Standards orientieren. Gerade im stetig wachsenden Sektor der 24-Stunden-Betreuung wäre ein unabhängiges Gütesiegel, verliehen über einen Bundesverband, dringend notwendig um für Kunden die Qualitätsanbieter leichter identifizierbar zu machen.

Seit Oktober 2019 werden durch das Dritte Pflegestärkungsgesetz Qualitätsprüfungen, der sogenannte Pflege-TÜV, für die Bereiche der ambulanten und stationären Pflege umgesetzt. Welche Auswirkungen diese Neuordnung der Qualitätsprüfungen auf die Anbieterqualität tatsächlich haben wird, bleibt abzuwarten. Aufbauend auf diesen Erfahrungen könnte Ähnliches auch für die 24-Stunden-Betreuung erarbeitet werden.

Die notwendigen Investitionen in sämtliche Dienstleistungsbereiche der Branche machen private Engagements notwendig. Dieses private Kapital wird sicher nur dann eingesetzt, wenn es risikogerecht verzinst wird. Andernfalls werden alternative Anlagemöglichkeiten gesucht und gefunden. Der Abbau von Bürokratie und Regulierungen zahlt direkt auf private Investitionsbereitschaft ein.

Selbstverständlich ist es ein Erfolg, dass immer weniger Menschen an den Folgen ihrer Erkrankungen sterben, zum anderen aber auch eine Herausforderung, weil infolge der Alterung zunehmender Betreuungs- und Pflegebedarf entsteht. Hier ist es angebracht, die Thematik auch mal von der anderen Seite aus zu betrachten. Schaffen wir es, die Zahl der gesunden Lebensjahre zu erhöhen, sinkt ganz natürlich der Betreuungs- und Pflegebedarf. Damit wird die Prävention, der Erhalt der Gesundheit und Mobilität, elementarer Bestandteil der Gesamtbetrachtung. Neben der Eigenverantwortung eines jeden Einzelnen kommt insbesondere dem Entlass- und Überleitungsmanagement der Krankenhäuser und der konsequenten Umsetzung des Grundsatzes Rehabilitation vor Pflege eine besondere Bedeutung zu.

Die Verteilung der unterschiedlichen Versorgungsformen, stationäre Pflege, ambulante Pflege, Angehörigenpflege wird sich immer mehr in Richtung der ambulanten Pflege, der Versorgung im häuslichen Umfeld verschieben. Das sind zumindest die aktuell zu beobachtenden Tendenzen, die durch demographische Entwicklungen beeinflusst werden. Durch diese werden weniger Personen zur Verfügung stehen, die die häusliche Pflege übernehmen können. Was ist die Folge? Wird dann die Versorgung zu Hause durch ambulante Dienste und 24h Betreuung zunehmen? Erwartbar, aber unrealistisch, da die Kosten durch gesetzliche Rahmenbedingungen weiter steigen werden, und auf der anderen Seite jedoch sinkende Renten stehen. Bleibt die bisherige Co-Finanzierungsmöglichkeit lediglich über das Pflegegeld in seiner aktuellen Höhe bestehen, erhöht sich der zu tragende Eigenanteil weiter, mit der Folge, dass Angebote legaler Anbieter von einer immer kleiner werdenden Zielgruppe finanziert werden können. Ein Großteil wird sich auf dem Schwarzmarkt bedienen, bei dem meist osteuropäisches Personal ohne Versicherungsschutz für 1.400 Euro Barzahlung beschäftigt wird: Eine bereits gängige Praxis, bei der Kommunen und auch der Zoll scheinbar alle Augen verschließen und den Missstand dulden.

Warum?

Weil sie keine Möglichkeit sehen, dass legale und professionelle Strukturen den dann freiwerdenden Versorgungsbedarf decken können. Auf Anbieterseite bleibt dann lediglich, die Dienstleistung zu niedrigeren Preisen zu offerieren was unter Berücksichtigung gesetzlicher Rahmenbedingungen nur Einsparungen bei der Beratung bzw. dem Vertrieb bedeuten kann. Das wäre ein rein digital vermitteltes „Produkt“, das ohne persönlichen Ansprechpartner vor Ort und Beratung auskommen muss, um im Kostenrahmen zu bleiben. Was das bedeutet, kann jeder beantworten, der selbst bereits einmal in eine Pflegenotsituation geraten ist und versucht hat, sich durch den Dschungel der Pflegeversicherung zu kämpfen, um seine möglichen Geld- und Sachleistungen und seine damit verbundenen Anforderungen, Voraussetzungen und Aufgaben, in Erfahrung zu bringen. Trotz guter Beratungsplattformen im Internet sind die meisten auf eine ausführliche Erstberatung und auf anhaltenden Support angewiesen: Stichwörter Beantragung Kurzzeit- und Verhinderungspflege oder MDK Begutachtung.

Unter § 3 SGB XI lässt sich folgende Textpassage finden: „Die Pflegeversicherung soll mit ihren Leistungen vorrangig die häusliche Pflege und die Pflegebereitschaft der Angehörigen und Nachbarn unterstützen, damit die Pflegebedürftigen möglichst lange in ihrer häuslichen Umgebung bleiben können.“ Liest man das, wird deutlich, dass Angebote zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege notwendig sind, um diese Konzeption realisieren zu können. Wir brauchen zudem eine möglichst vollzeitnahe Beschäftigung, um die sozialen Sicherungssysteme nachhaltig und generationengerecht finanzieren und Pflegende selbst für das Alter absichern zu können. Das erkennen zwar immer mehr Unternehmen, die Pflegeversicherung jedoch, in ihrer jetzigen Ausprägung, hinkt diesem Anspruch aber hinterher. Hier sei wiederholt darauf hingewiesen, dass die Pflege zu Hause durch deutlich niedrigere Teilfinanzierungsmöglichkeiten gegenüber der Heimunterbringung benachteiligt ist, und weniger vermögende Bevölkerungsteile entweder in die stationäre Pflege treibt, oder Angehörige die Pflege komplett selbst übernehmen müssen. Letzteres mit extremen Auswirkungen, die wiederum zu Belastungen des Gesundheitssystems führen, da die gesundheitlichen Folgen für Pflegende eminent sind. Die ausbleibende Neuausrichtung der Leistungen der Pflegekassen ist noch unverständlicher, wenn man erkennt, dass laut statistischem Bundesamt 2017 von 3,4 Millionen Pflegebedürftigen lediglich 24 Prozent vollstationär im Heim betreut wurden.

In diesem Kontext ist es erfreulich, dass Teile der ambulanten Pflege und Betreuung durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz gestärkt werden. Reine Betreuungsdienste, mit Hilfen bei der Haushaltsführung und häuslichen Betreuungsleistungen werden für die Leistungserbringung von Sachleistungen in der ambulanten Pflege zugelassen. Damit verbessert sich die Pflege zu Hause, weil mehr Berufsgruppen zur Versorgung zur Verfügung stehen und den Pflegebedürftigen ein höheres Budget zur Verfügung steht.

Mit Stand Januar 2020 erhalten fast 400.000 alte Menschen finanzielle Hilfe vom Staat, um den ambulanten Pflegedienst oder den Aufenthalt im Pflegeheim bezahlen zu können. Diese Zahl wird durch neue Gesetzgebungen steigen. Durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz mit dem erwachsene Kinder pflegebedürftiger Eltern entlastet werden und sie erst zu Unterhaltszahlungen herangezogen werden können, wenn das Jahreseinkommen die Bruttogrenze von 100.000 Euro brutto übersteigt. Es sollte unbedingt flächendeckend und standardisiert die Möglichkeit geben, dass neben Pflegediensten und Heimen auch die Kunden anderer Betreuungsdienstleister im häuslichen Umfeld staatliche Finanzhilfen erhalten. Die Entscheidung dafür oder dagegen scheint aktuell noch zu sehr vom einzelnen Sachbearbeiter abhängig zu sein und bedarf einer klaren Direktive.

Jetzt und zukünftig wird versucht, neue Technologien zur Unterstützung der Betreuung, Begleitung und Pflege von pflegebedürftigen Menschen zu entwickeln. Dabei geht es auch um die Verbesserung der Lebensqualität und zum Erhalt der Selbstständigkeit von älteren Menschen. Treppenlifte, und andere bekannte Hilfsmittel, werden entlang der technischen Möglichkeiten verbessert, und neue Assistenzsysteme werden entwickelt. Nutzen stiften diese bei der Sturzerkennung, dienen als Reminder an die Medikamenteneinnahme oder als Kommunikationserleichterung zwischen Dienstleistern, Angehörigen und dem Hilfeempfänger. Pflegende Angehörige und Pflegefachkräfte sowie Betreuungskräfte sollen physisch und psychisch entlastet werden, z.B. durch technisch ausgereifte Pflegebetten und Transferhilfen. Letztere ersetzen jedoch niemals eine praxisnahe Anleitung der Pflegekräfte in ergonomischer und rückengerechter Arbeitsweise um die Belastung des Muskel- Skelett-Systems zu reduzieren. Das betrifft vor allem die Unterstützung bei schwierigen Transfers. Es ist zu erwarten, dass zukünftig Pflegeroboter den Alltag bei der Betreuung zu Hause oder im Pflegeheim unterstützen können. Ob durch robotische Pflegesysteme Einsamkeit und soziale Isolation reduziert werden können, ob also durch technische Unterstützung ein Beziehungsaufbau zwischen Menschen und Maschine möglich gemacht werden kann ist fraglich. Schwer vorstellbar aber sicher nicht gänzlich unmöglich. Eine besondere Herausforderung bei der Entwicklung wird in der Individualität, Intimität und Scham der pflege- und betreuungsbedürftigen Menschen liegen.

Diese zukünftig technikgestützte Pflegewirklichkeit wird sicherlich auch mit einigen Fragen konfrontiert werden die nicht nur auf die Finanzierung dieser kostspieligen Systeme abzielen. Kann der Einsatz robotischer Pflegesysteme notwendigen Sicherheitsstandards genügen? Wie weit wollen wir durch Pflegeroboter zwischenmenschliche Beziehung unterstützen oder gar ersetzen lassen? Kann das Handling so ausgestaltet werden, dass pflegebedürftige Menschen sie in ihrem Umfeld nutzen können? Können für Nutzer von Robotik Systemen Sicherheit und Schutzmaßnahmen zur Vermeidung von Gefahren, beispielsweise eine Notabschaltung, gewährleistet werden? In diesem Kontext wird es wahrscheinlich auch zu einem Update des Medizinproduktegesetz kommen müssen. Die Pflege-Ausbildung sollte ebenfalls angepasst werden, neue zu erwartende Techniken in der Betreuung und Pflege gilt es in Lehrpläne aufzunehmen insbesondere unter Einbeziehung ethischer Fragestellungen. Gleiches gilt natürlich für Fort- und Weiter bildungsmaßnahmen. Vor ihrer Aufnahme in die Regelversorgung muss es gesicherte Beweise für den Nutzen der robotischen Pflegesysteme geben die eine Erhöhung der Pflegequalität aufzeigen.

Wenn in der Corona-Krise Empfehlungen öffentlich ausgesprochen werden, dass von Kurzarbeit betroffene Menschen doch ihre Verdienstausfälle durch Unterstützung in systemrelevanten Berufen, wie Pflege, kompensieren können, ist das ein falsches Signal. Diese Empfehlungen beweisen, dass in weiten Teilen der Gesellschaft nicht präsent ist, wie viel Expertise hinter den einzelnen Berufen in der Pflege steckt. Pflege- und Betreuungskräfte sind anspruchsvollen fachlichen Anforderungen ausgesetzt und durch den natürlichen Verlauf von Krankheit, Leben und Tod, sowie durch demenzielle Veränderungen vieler Pflegebedürftiger, permanenten emotionalen Belastungen ausgesetzt. Eine Imagekampagne oder gezielte Öffentlichkeitsarbeit einer übergeordneten Pflegeberufekammer würde helfen. Diese könnte zum Beispiel auch unterstützen flächendeckende Tarifverträge zu verhandeln.

Der Organisierungsgrad der Pflegeberufe ist niedrig, eine Pflegeberufekammer in der alle Pflegekräfte und sonstigen zur Pflegebranche gehörenden Vertreter organisiert sind würde sicherlich für eine verbesserte Lobbyarbeit und mehr Einfluss sorgen. Eine Kompetenzübertragung von Ärzten auf speziell geschulte Pflegefachkräfte wertet den Beruf auf, entlastet die Ärzte und würde einer tatsächlich bedarfsgerechten Versorgung sicherlich in die Karten spielen. Beispielsweise seien hier Verordnungen von Hilfsmitteln, Dekubitus Therapie, Ergotherapie, Logopädie und Krankengymnastik genannt. Kein Arzt ist derart nahe am pflegebedürftigen Menschen, wie eine täglich betreuende Fachkraft. Die Konzertierte Aktion Pflege hat hier richtige Schritte initiiert. Durch die Möglichkeit des freiwilligen Anschlusses der Pflege an die Telematik-Infrastruktur, bei der alle Beteiligten wie Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser, Apotheken, Krankenkassen miteinander vernetzt werden, können Pflegekräfte zukünftig auf bestimmte Anwendungen wie zum Beispiel den Medikationsplan zugreifen. Das vereinfacht den Pflegekräften nicht nur die Arbeit, es stärkt deren Ansehen und Kompetenz.

Aktuell dauert es im Schnitt 170 Tage, bis eine vakante Stelle in der Altenpflege besetzt werden kann. In keiner anderen Branche gibt es vergleichbare Werte. Im Sofortprogramm der Bundesregierung wurde die Schaffung von 13.000 neuen Pflegestellen angekündigt, was angesichts der zu erwartenden Entwicklung ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Ohne Attraktivitätssteigerung des Berufsbildes wird es nicht gehen. Ist ausreichend Zeit für die Pflegebedürftigen da, lassen sich Arbeit und Privatleben gut miteinander verbinden und ist auch die Bezahlung leistungsgerecht, kann der Pflegeberuf sehr erfüllend sein. Bei Letzterem sind bereits Gesetzgebungen realisiert. Das Pflegelöhneverbesserungsgesetz wurde verabschiedet und ist seit Ende 2019 aktiv. Dieses hat verbesserte Mindestlöhne für Pflegekräfte empfohlen, die bis Ende April 2020 für alle Pflegeeinrichtungen verbindlich wurden. Diese Mindestlöhne differenzieren nach Qualifikation wie Pflegefachkraft, Pflegehilfskraft und ungelernte Hilfskraft. 2021 wird es dann kein Ost-West-Gefälle mehr geben und alle Mindestlöhne bundesweit gleich hoch sein. Was für die in der Pflege tätigen Menschen richtig ist zieht folgerichtig eine nächste Herausforderung nach sich, Pflege darf kein Armutsrisiko sein und muss bezahlbar bleiben. Höhere Löhne führen zu höheren Kosten, die im Teilleistungssystem der Pflegeversicherung vor allem bei den Versicherten hängen bleiben, so viel ist sicher. Es besteht bereits jetzt die Gefahr, dass sich immer mehr Pflegebedürftige die steigenden Eigenanteile bei einer 24h Betreuung oder bei der Unterbringung im Pflegeheim nicht leisten können und in die Sozialhilfe fallen.

Eine zukünftige Beitragssatzsteigerung bzw. eine annähernde Pflegevollversicherung sind im Kontext der Lohnsteigerungen beim Pflege- und Betreuungspersonal und den absehbareren demografischen Herausforderungen wahrscheinlich alternativlos. Der steigende Finanzbedarf kann unmöglich allein durch die privaten Haushalte getragen werden. Eine Einnahmensteigerung der Sozialen Pflegeversicherung über eine Dynamisierung des Renteneintrittsalters kann eventuell den Weg zu einer beinahe Vollversicherung ebnen. Warum auch nicht? Die Zunahme der Lebenserwartung rechtfertigt das, Anreize von Frühverrentungen sind nicht mehr zeitgemäß. Das Bewusstsein für rechtzeitig abzuschließende private Zusatz-Pflegeversicherungen muss verbessert werden.

Altersgerechtes Arbeiten durch Altersteilzeit, optimierte Aus- und Weiterbildung, eine 35-Stunden-Woche, flexible Arbeitszeiten beim Wiedereinstieg nach Elternzeit, Quereinstiegsmöglichkeiten. Das sind alles Faktoren die auf eine Attraktivitätssteigerung der Pflegeberufe einzahlen. Um die Fluktuation in gut funktionierenden Teams zu reduzieren, bietet es sich an, Springerdienste mit einer Gutschrift für eine zusätzliche Stunde Arbeitszeit zu honorieren, Fortbildungstage zur freien Verfügung bereitzustellen, Teambuildings zu finanzieren und Mitbestimmung und Transparenz zu stärken. Es gibt Pflegeeinrichtungen, die ausschließlich Teilzeitkräfte einstellen, um einen angemessenen Ausgleich an Freizeit zu ermöglichen und generell den Anforderungen in Pflege und Betreuung gerecht zu werden.

Damit Fachkräfte aus dem Ausland schneller akquiriert werden können, ist die Deutsche Fachkräfteagentur für Gesundheits- und Pflegeberufe (DeFa) entstanden. Ihre Aufgabe ist es u. a., zentral die Einreiseanträge, Berufsanerkennungen, Aufenthalts- und Beschäftigungserlaubnisse zu organisieren.

Ein höherer Digitalisierungsgrad schafft zusätzlich freie Kapazitäten: Cloudbasierte Einsatzplanungen, rein digitale Dokumentationen über gängige Hardware, wie Tablet/Smartphone, sprachgesteuerte Dokumentationsmöglichkeiten und ein einheitliches digitales System zur Vereinfachung der Zusammenarbeit mit Krankenkassen, seien genannt. Motivation, sich der Digitalisierung zu öffnen, sollte vorhanden sein.

Noch bis 2021 gewährt die Pflegeversicherung Einrichtungen einen einmaligen Zuschuss in Höhe von 12.000 Euro bzw. 40 Prozent der Investitionssumme für die Anschaffung digitaler Anwendungen. Selbst Schulungen, die im Zuge der Anschaffung notwendig werden, sind von einer Förderung betroffen.

Seit Beginn 2020 hat das Bundesministerium für Gesundheit mit der Ausbildungsoffensive Pflege, im Rahmen der Konzertierten Aktion Pflege, erste richtige Schritte ergriffen, um die Ausbildung attraktiver zu gestalten. Es wird kein Schulgeld mehr erhoben, und bundesweit eine angemessene Entlohnung während der Ausbildung gewährleistet.

Krankenhäuser, ambulante Pflegedienste und Pflegeheime müssen schwarze Zahlen erwirtschaften, was oft nicht einhergeht mit dem Einhalten von Qualitäts-Mindeststandards. Zu geringe Personalschlüssel führen zu Zeitnot was mit professioneller Zuwendung und sozialer Teilhabe nichts zu tun hat. Aufgrund der dramatischen Situation in Krankenhäusern, in denen durch den Pflegepersonalabbau – nach Einführung der Fallpauschalen – es schwer fällt, Pflegepersonal zu entlasten und zu halten, ist der Schritt, ab dem Jahr 2020 die Pflegepersonalkosten aus den Fallpauschalen auszugliedern, um Spar-Anreizen auf Kosten der Pflege zu begegnen, goldrichtig.

Das am 1. Januar 2019 in Kraft getretene Pflegepersonal-Stärkungsgesetz geht ebenfalls in die richtige Richtung. Es hat das Ziel, die Personalausstattung in der Kranken- und Altenpflege zu verbessern und zeitgemäße, attraktivere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Allerdings fehlen schon jetzt 70.000 Pflegekräfte die durch reine Gesetzestexte nicht gefunden und motiviert werden können.

Der DGB fordert in diesem Kontext beispielsweise, dass in keiner Schicht mehr alleine gearbeitet werden darf und Praxisanleiter für die Zeit der Anleitung von ihren sonstigen Aufgaben freigestellt werden. Dafür sind 20.000 zusätzliche Vollzeitstellen notwendig, besetzt mit Pflegefachkräften was den aktuellen Personalmangel noch einmal verstärken würde.

Die drohenden Versorgungslücken lassen sich durch professionelle Pflege allein nicht schließen. Sie können allerdings durch eine konsequente Umsetzung des Grundsatzes „ambulant vor stationär“ entschärft werden. Wie weit wir davon aber noch entfernt sind zeigen einige der folgenden Interviews.

Interview mit Philipp Rinas Multi Unternehmer in der Pflegebranche

Inhaber und Geschäftsführer

RR Pflegedienst Obere Kyll GmbH Jünkerath

RR Intensivpflege

RR Seniorendienste

www.rr-pflegedienst.de

PROMEDICA PLUS Bitburg-Gerolstein

www.promedicaplus.de/bitburg-gerolstein

CP: Herr Rinas, wie war Ihr Eintritt in die Pflegebranche und welche Unternehmungen leiten Sie zum jetzigen Zeitpunkt?

Philipp Rinas: Da will ich ein klein wenig ausholen. Ursprünglich bin ich direkt nach meinem Abitur zur Bundeswehr in die Fallschirmjäger Truppe gegangen. Damals habe ich bewusst auf ein Studium verzichtet, weil ich Action haben wollte. Das hat sich dahingehend ausgezahlt, dass ich bei den Fallschirmjägern mehrere Spezialausbildungen unter anderem die zum Einzelkämpfer genossen habe. Dann irgendwann bin ich in leitende Funktionen bei der Bundeswehr gekommen und habe dann, weil der Kompanie-Chef im Ausland war, eine Fallschirmjäger Kompanie mit 200 Soldaten geführt. Da lernte ich erstmals, Menschen zu führen. Aus familiären Gründen habe ich mich dann dazu entschieden, meine Dienstzeit bei der Bundeswehr zu verkürzen. Da ich seit meinem 15. Lebensjahr immer mal wieder beim Roten Kreuz ehrenamtlich aktiv war, hatte ich immer diesen sozialen Aspekt in mir. Sie haben gerade wegen der Einzelkämpfersache gelacht, wohl, weil man als Einzelkämpfer nicht unbedingt in der Pflegebranche gut aufgehoben ist. Aber ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen Herr Pyrlik, das hat mich geprägt und maßgeblich dazu beigetragen meine Unternehmen zu gründen.

CP: Das kann ich mir gut vorstellen, gelächelt habe ich deshalb, weil ich mir sehr gut vorstellen kann, dass Attribute wie Durchsetzungsfähigkeit, Selbstbewusstsein und Zielorientierung die man mit der Einzelkämpferausbildung verbindet, zwingende Voraussetzungen für Unternehmertum sind.

PR: Richtig, denn ich habe dort einfach gelernt, in Situationen, die im ersten Moment ausweglos erscheinen, Entscheidungen zu treffen, willens zu sein, Entscheidungen zu treffen. Das war notwendig, um dann später bei wiederholten Abweisungen von Behörden, nicht aufzugeben und am Ende doch noch eine Zustimmung zu erwirken. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich bin ausgeschieden bei der Bundeswehr. Und dadurch, dass ich nicht bei der Bundeswehr studiert habe, habe ich den riesengroßen Vorteil gehabt, dass ich ein unfassbares Budget vom sogenannten Berufsförderungsdienst (BFD) der Bundeswehr zur Verfügung gestellt bekommen habe.

CP: Bedeutet was?

PR: Das heißt, ich habe über fünf Jahre die Möglichkeit gehabt, mich in Anführungszeichen resozialisieren zu lassen und ein gefördertes Studium zu beginnen.

CP: Von wem wird das finanziert, von der Bundeswehr direkt?

PR: Genau. Dadurch, dass ich eben nicht intern bei der Bundeswehr studiert habe, habe ich das Budget noch einmal obendrauf gehabt, um dann extern verschiedene Sachen machen zu können. Unter anderem habe ich angefangen, Gesundheits- und Sozial Management zu studieren, quasi das BWL der sozialen Branche. Habe dann noch verschiedene andere Lehrgänge besucht. Zum Beispiel war ich bei einer Unternehmensberatung, einer sehr etablierten in Düsseldorf. Dort habe ich mich am Konzept Six Sigma zum Unternehmensberater ausbilden lassen. Habe mir unterschiedliche Bausteine geholt die mich in Summe befähigten ein Unternehmen zu gründen und zu führen.

CP: Six Sigma ist ein systematisches Vorgehen zur Prozessverbesserung. Dabei werden analytische und statistische Methoden angewandt. Die Besonderheit ist der mathematische Ansatz, da angenommen wird, dass jeder Geschäftsprozess als eine mathematische Funktion beschrieben werden kann. Ist das so richtig zusammengefasst?

PR: Six Sigma ist eine Methode, die ursprünglich aus Asien, aus Japan kommt, um Prozesse zu optimieren. Mit einer Fehlerfreiheit von 99,99 Prozent. Das klingt erstmal sehr ambitioniert, ist aber tatsächlich möglich. Wobei man dazu sagen muss, dass diese Prozessoptimierung eigentlich eher gedacht ist für produzierende Betriebe, wie zum Beispiel die Automobilindustrie oder Banken. Und tatsächlich, ich war der Erste, der zum Six Sigma College Düsseldorf gekommen ist, der ambitioniert war, in der Pflege tätig zu sein. Die Prozesse sind auch nicht in Gänze in der Pflege anwendbar. Aber man kann viele Tools nutzen, um sie dann im Alltag anzuwenden. Das hat mich tatsächlich häufig schon weitergebracht um Geld- und Zeitfresser, Emotion und emotionale Entscheidungen auf ein Minimum zu reduzieren und mit Zahlen, Daten, Fakten zu erarbeiten.

CP: Was kam dann, was war der nächste Step?

PR: Ich habe dann angefangen, in einem Altenheim zu arbeiten, 1 Jahr als Assistent der Geschäftsführung. Dort habe ich jemanden kennengelernt, der einen Intensivpflegedienst betreibt. Als ich mir angeschaut habe, wie die Mitarbeiter dort arbeiten, mit dem Bild im Kopf, wie bei uns im Altenheim gearbeitet wurde, ist für mich sofort die Entscheidung gefallen, dass ich mich selbstständig machen möchte. Patienten orientiert arbeiten zu können und Zeit für die Patienten zu haben. Das war mein Ziel. Die Menschlichkeit sollte nicht verloren gehen.

Ich habe meinen Ausstieg aus dem Altenheim vorbereitet, habe mich dazu entschieden, einen eigenen Pflegedienst zu gründen, um eine Alternative zu den bestehenden Strukturen zu bieten.

CP: was war Ihr Gründungsansatz?

PR: Weil man natürlich als Gründer Geld verdienen muss konzentrierte ich mich auf die Intensivpflege. Ich gründete also eine Intensivpflege WG.

Damit bin ich regelrecht durchgestartet, anders kann man es nicht formulieren. Als ich nur wenige Wochen auf dem Markt war, habe ich auf einmal gemerkt, dass eine unfassbare Welle der Interessierten auf mich zukam. Sowohl aus dem fachlichen Bereich, wodurch wir sehr schnell Kooperationen schließen konnten, als auch von Seiten der Kunden. Diese bemerkten da läuft irgendwas anders als bei anderen Pflegedienstleistern.

CP: Sie haben sich selbstständig gemacht und, um einen ambulanten Pflegedienst zu gründen, braucht man ja ein gewisses Investitionsvolumen. Konnten Sie das privat stemmen? Oder haben Sie sich andere Finanzierungsmöglichkeiten gesucht?

PR: Ich habe einen Großteil natürlich aus eigenen Mitteln stemmen müssen, habe dann der Bank ein schlüssiges Konzept vorgelegt, weswegen ich mir einen sehr komfortablen Rahmen geschaffen habe, sodass ich da genug Spielraum hatte. Zusätzlich habe ich durch den BFD 5 Jahre nach Ausscheiden aus der Bundeswehr so genannte Übergangsgebührnisse bezogen. Mein damaliges Gehalt wurde mir zu Anfang mit 90 Prozent und später noch zu 75 Prozent weitergezahlt.

CP: Hat die finanzierende Bank damals schon erkannt, dass die Branche, in der Sie investieren und wofür das Kapital zur Verfügung gestellt werden soll, eine Boom Branche ist?

PR: Nein! Nein, es war wirklich ein ganz harter Kampf mit der Bank. O-Ton war „wenn Sie hier der 20. selbständige Malermeister werden wollen, dann wäre das alles überhaupt kein Problem. Das, was Sie da machen, kenne ich nicht. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Sie damit Geld verdienen können. Deshalb können wir sie nicht unterstützen“.

Über meine Steuerberatung Kanzlei habe ich mir dann einen externen Berater mit ins Boot geholt, der durch einen Businessplan mir den notwendigen Support gegeben hat.

Ich habe zum Glück auf Insiderwissen aus der Branche zurückgreifen können, sodass ich der Bank dann anhand von Zahlen belegen konnte, dass es gar nicht so eine abwegige Idee ist, die ich hatte. Folgerichtig habe ich dann irgendwann das Gründungsdarlehen erhalten. Im Nachhinein hat mir ein Banker gesagt, dass deren Erwartungen bei weitem übertroffen wurden und die Bank die von meinem Unternehmen realisierte Entwicklung niemals für möglich gehalten hätte. Im Nachhinein war die Bank happy, dass sie mein Vorhaben finanzieren durfte.

CP: War dieser Finanzierungsdruck Grund, sich mit der Intensivpflege für ein bestimmtes Spektrum der Pflege zu entscheiden, das besonders lukrativ erschien? War Ihnen klar, dass Sie hier am besten oder am leichtesten Geld verdienen können und warum ist das so in der Intensivpflege?

PR: Ganz einfach aus dem Grund, weil ich, was die Preisfindung anbelangt, nicht an die gesetzlichen Regelungen gebunden bin. Das heißt, ich muss für jeden einzelnen Patienten eine eigene Kostenkalkulation erstellen. Diese Kostenkalkulation verhandele ich dann mit der jeweiligen Krankenkasse. Dabei kommt es, um gute Preise zu erzielen, einzig und allein auf mein persönliches Verhandlungsgeschick an. Das bedeutet, normalerweise hätte man in der Pflege Preise, an denen ich mich orientieren muss. In der ambulanten Pflege ist das bekanntlich nach den Leistungskomplexen festgelegt. In der Intensivpflege ist das zum Glück nicht der Fall. Dadurch ist es dann halt möglich andere, bessere Preise zu erzielen.

Mein Credo war und ist immer, wenn ihr eine gute Leistung verlangt und haben wollt dann zahlt aber auch bitte den Preis, denn dieser Preis ist aufgrund der Qualität gerechtfertigt. Wenn ihr keine gute Arbeit haben wollt, dann könnt ihr gerne den Dumpingpreis zahlen. Dann bin ich aber der falsche Ansprechpartner.

CP: Für diesen Qualitätsanspruch muss man aber auch erst einmal die Zielgruppe finden die das finanzieren kann. Spielen Sie mal bitte, einfach dargestellt, einen Case im Kontext der Intensivpflege durch. Welche Leistungen bieten Sie, wo liegt der Eigenanteil beim Kunden und welche Co-Finanzierungsmöglichkeiten hat er?

PR: Ganz einfach, der Kunde kommt direkt mit seinem Intensivpflege Bedarf auf uns zu. Indirekt ist es dann das Krankenhaus das uns den Kunden sozusagen vermittelt.

CP: Das Case- oder Entlassmanagement dann?

PR: Ja genau. Dann fährt unsere Pflegedienstleitung oder der Fachbereichsleiter bzw. Case-Manager dorthin, zum Kunden nach Hause oder ins Krankenhaus. Er begutachtet den Patienten, gibt mir einen Überblick darüber, was für ein pflegerischer Bedarf daraus entsteht. Ich muss dann beurteilen, welche Mitarbeiter ich in dem Fall einsetzen kann. Wenn es ein Patient ist, der ganz besondere Anforderungen hat, kann ich da natürlich nur Mitarbeiter einsetzen, die extrem in diesem Bereich geschult sind. Wenn ich jetzt einen etwas einfacheren Fall habe, dann kann ich natürlich auch Mitarbeiter einsetzen, die nicht so geschult und dementsprechend günstiger sind. Danach ist es meine Aufgabe dann eine Kalkulation aufstellen. Das ist ganz einfach. Die Mitarbeiter, die dort 24 Stunden täglich eingesetzt sind, müssen dementsprechend refinanziert werden.

CP: Und dann kommen Sie auf eine monatliche Summe X, was macht der Kunde dann mit dieser Kostennote?

PR: Ich verhandele direkt mit der Krankenkasse, und die sagt ja oder nein. Bei Ablehnung hat der Kunde noch die Veto-Möglichkeit. Wenn die Krankenkasse zustimmt, rechne ich direkt mit der Krankenkasse ab.

CP: Auf den Kunden kommt da nichts an Eigenleistung zu? Wird das Ganze ärztlich verordnet?

PR: Doch, es wird ärztlich angeordnet. Das ist Grundvoraussetzung, dass die mir in einer Verordnung Auskunft darüber geben um was für ein Krankheitsbild es sich handelt. Und daraus, und aus meiner Kalkulation, ist dann für die Krankenkasse ersichtlich, ob tatsächlich der Bedarf da ist oder nicht. Vom Marketing her oder von der Generierung ist es dann relativ eindimensional. Ja.

CP: Sie müssen sich bei den Krankenhäusern bekannt machen. Die Krankenhäuser haben Intensivpflege Patienten die werden über den Case-Manager zu Ihnen vermittelt, weil man mittlerweile weiß, dass Sie zuverlässig und qualitativ versorgen können. Klassisches Empfehlungsmarketing. Sie schauen sich den Case im Krankenhaus an, stellen dem Kunden das Leistungsspektrum Ihrer Intensivpflege vor. Über die ärztliche Verordnung erbringen Sie die Dienstleistungen und rechnen direkt mit der Krankenkasse ab. Der Kunde ist bei dem Ganzen völlig außen vor.

PR: Richtig. Ich möchte mich aber trotzdem von der Masse abheben und biete zusätzlich noch die Vermittlung weiterer Dienstleistungen an, wie zum Beispiel Therapieangebote. Das heißt, ich kümmere mich darum, dass regelmäßig verschiedene spezialisierte Therapeuten in das Haus reinkommen und sich darum kümmern, dass der Kunde therapiert wird.

Mit der Folge, dass wir es geschafft haben, Patienten auch wieder nach Hause schicken zu können. Für gewöhnlich ist es in unserer Branche so, dass versucht wird, den Zustand des Patienten in irgendeiner Form zu konservieren und so lange wie möglich am Leben zu halten, dass man möglichst lange mit dem Kunden Geld verdienen kann. Das hätte aber nichts mit dem Ziel zu tun gehabt, mit dem ich hier angetreten bin.