Philosophische Schriften. Band 5 - Aristoteles - E-Book

Philosophische Schriften. Band 5 E-Book

Aristoteles

0,0

Beschreibung

Der fünfte Band der Philosophischen Schriften enthält die deutsche Übersetzung der Metaphysik. Dieser Text begründete die Wissenschaft vom Seienden als Seiendes und gab der ›Ersten Philosophie‹ ihren Namen. Ausgehend vom Einzelding, das nur durch den Rückgang auf allgemeine Prinzipien erkannt werden kann, stellt Aristoteles die Lehre von den vier Ursachen auf, auf die jedes Seiende gegründet ist: Materie (causa materialis), Form (causa formalis), Bewegungsursache (causa efficiens) und Zweckursache (causa finalis). Die Metaphysik ist das grundlegende Werk der Philosophie als Wissenschaft.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 530

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



ARISTOTELES

PHILOSOPHISCHE SCHRIFTEN

INHALTSÜBERSICHT

1EINFÜHRUNG IN DIE KATEGORIEN(PORPHYRIOS)KATEGORIENHERMENEUTIKERSTE ANALYTIKZWEITE ANALYTIK

2TOPIKSOPHISTISCHE WIDERLEGUNGEN

3NIKOMACHISCHE ETHIK

4POLITIK

5METAPHYSIK

6PHYSIKÜBER DIE SEELE

FELIX MEINER VERLAG

ARISTOTELES

PHILOSOPHISCHE SCHRIFTEN

in sechs Bänden

Band 5

FELIX MEINER VERLAGHAMBURG

ARISTOTELES

Metaphysik

Nach der Übersetzung vonHERMANN BONITZ

bearbeitet vonHORST SEIDL

FELIX MEINER VERLAGHAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 725

Bibliographische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abrufbar über http://portal.dnb.de.

ISBN gesamt print: 978-3-7873-3550-3

ISBN einzeln print: 978-3-7873-3600-5

ISBN gesamt ePub: 978-3-7873-3595-4

ISBN einzeln ePub: 978-3-7873-3612-8

Die Bekkerzählung der Druckausgabe wird hier in eckigen Klammern im fortlaufenden Text wiedergegeben.

www.meiner.de

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2019. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Konvertierung: tool-e-byte GmbH, Griesheim.

INHALT

Metaphysik

1. Buch

2. Buch

3. Buch

4. Buch

5. Buch

6. Buch

7. Buch

8. Buch

9. Buch

10. Buch

11. Buch

12. Buch

13. Buch

14. Buch

Zu diesem Band

ARISTOTELES

Metaphysik

BUCH I

1. (a) Alle Menschen streben von Natur nach Wissen. Dies [980a 21] beweist die Liebe zu den Sinneswahrnehmungen; denn auch ohne den Nutzen werden sie an sich geliebt und vor allen anderen die Wahrnehmungen mittels der Augen. Nicht nämlich nur zum Zweck des Handelns, sondern auch, wenn wir nicht zu handeln beabsichtigen, ziehen wir das Sehen so gut wie allen andern vor. Ursache davon ist, daß dieser Sinn uns am meisten Erkenntnis gibt und viele Unterschiede aufdeckt. Von Natur nun entstehen die Lebewesen mit sinnlicher Wahrnehmung, aus dieser entsteht bei einigen von ihnen keine Erinnerung, bei anderen wohl, und darum sind diese verständiger und gelehriger als jene, welche sich nicht erinnern können. [980b 21] Verständig ohne zu lernen sind alle diejenigen, welche keine Geräusche hören können, z. B. die Biene und was etwa sonst für Lebewesen der Art sind; dagegen lernen alle diejenigen, welche außer der Erinnerung auch diesen Sinn besitzen. Die anderen Lebewesen leben nun mit Vorstellungen und Erinnerungen und haben nur geringen Anteil an Erfahrung, das Geschlecht der Menschen dagegen lebt auch mit Kunst und Überlegungen. Aus der Erinnerung entsteht nämlich für die Menschen Erfahrung; denn viele Erinnerungen an denselben Gegenstand bewirken das Vermögen einer Erfahrung, und [981a] es scheint die Erfahrung der Wissenschaft und Kunst fast ähnlich zu sein. Wissenschaft aber und Kunst gehen für die Menschen aus der Erfahrung hervor; denn „Erfahrung brachte Kunst hervor“, sagt Polos mit Recht, „Unerfahrenheit aber Zufall“. Die Kunst entsteht dann, wenn sich aus vielen durch die Erfahrung gegebenen Gedanken eine allgemeine Annahme über das Ähnliche bildet. Denn die Annahme, daß (z. B.) dem Kallias, der an dieser bestimmten Krankheit litt, dieses bestimmte Heilmittel half, und ebenso dem Sokrates und vielen Einzelnen, ist eine Sache der Erfahrung; daß es dagegen allen von solcher Beschaffenheit, die, nach einem Artbegriff begrenzt, an dieser Krankheit litten, zuträglich war, z. B. denen mit phlegmatischer, cholerischer oder fieberartiger Beschaffenheit, diese Annahme gehört der Kunst an. (b) Zum Zweck des Handelns steht die Erfahrung der Kunst nicht nach, vielmehr sehen wir, daß die Erfahrenen mehr Erfolg haben als diejenigen, die ohne Erfahrung nur den (allgemeinen) Begriff besitzen. Die Ursache davon ist, daß die Erfahrung Erkenntnis vom Einzelnen ist, die Kunst hingegen vom Allgemeinen, die Handlungen und Entstehungen aber auf das Einzelne gehen. Denn nicht einen Menschen überhaupt heilt der Arzt, außer in akzidentellem Sinne, sondern Kallias oder Sokrates oder irgendeinen anderen von den so Benannten (Kranken), dem es zukommt, ein Mensch zu sein. Wenn nun jemand den Begriff besitzt ohne Erfahrung und das Allgemeine kennt, das darin enthaltene Einzelne aber nicht kennt, so wird er das rechte Heilverfahren oft verfehlen; denn Gegenstand des Heilens ist vielmehr das Einzelne. Dennoch aber glauben wir, daß Wissen und Verstehen mehr der Kunst zukomme als der Erfahrung, und halten die Künstler für weiser als die Erfahrenen, da Weisheit einen jeden mehr nach dem Maßstabe des Wissens begleite. Und dies deshalb, weil die einen die Ursache kennen, die anderen nicht. Denn die Erfahrenen kennen nur das Daß, aber nicht das Warum; jene aber kennen das Warum und die Ursache. Deshalb stehen auch die leitenden Künstler in jedem einzelnen Gebiete in höherer Achtung, wie wir meinen, und wissen mehr und sind weiser als die Handwerker, weil sie die [981 b] Ursachen dessen, was hervorgebracht wird, wissen, während die Handwerker so wirken, wie einiges von dem Unbeseelten, das zwar etwas hervorbringt, wie z. B. das Feuer Wärme, aber ohne das zu wissen, was es hervorbringt. Wie das Unbeseelte durch ein natürliches Vermögen jedes hervorbringt, so die Handwerker durch Gewöhnung. Denn jene halten wir nicht nach der größeren Geschicklichkeit zum Handeln für weiser, sondern darum, weil sie im Besitz des Begriffes sind und die Ursachen kennen. Überhaupt ist dies ein Zeichen des Wissenden und des Unwissenden, (den Gegenstand) lehren (bzw. nicht lehren) zu können, und darum sehen wir die Kunst mehr für Wissenschaft an als die Erfahrung; denn die Künstler können lehren, die Erfahrenen aber nicht. Ferner meinen wir, daß von den Sinneswahrnehmungen keine Weisheit gewähre, und doch geben sie die bestimmteste Kenntnis vom Einzelnen; aber das Warum geben sie von keinem Dinge an, z. B. von dem Feuer geben sie nicht an, warum es brennt, sondern nur, daß es brennt. (c) Wer daher zuerst neben den gewöhnlichen Sinneswahrnehmungen eine Kunst erfand, der wurde natürlich von den Menschen bewundert, nicht nur wegen der Nützlichkeit seiner Erfindung, sondern wegen der Weisheit, die ihn vor den anderen auszeichnete. Bei dem Fortschritt in der Erfindung von Künsten, teils für die notwendigen Bedürfnisse, teils für die (angenehmere) Lebensführung, halten wir die letzteren immer für weiser als die ersteren, weil ihr Wissen nicht auf den Nutzen gerichtet ist. Als daher schon alles Derartige (Lebensnotwendige) erworben war, da wurden die Wissenschaften gefunden, die sich weder auf das Angenehme, noch auf die notwendigen Bedürfnisse des Lebens beziehen, und zwar zuerst in den Gegenden, wo man Muße hatte. Deshalb bildeten sich in Ägypten zuerst die mathematischen Künste (Wissenschaften) aus, weil dort dem Stande der Priester Muße gelassen war. (d) Welcher Unterschied nun zwischen Kunst und Wissenschaft und dem übrigen Gleichartigen besteht, ist in der Ethik erklärt; der Zweck der gegenwärtigen Erörterung aber ist, zu zeigen, daß alle als Gegenstand der sogenannten Weisheit die ersten Ursachen und Prinzipien ansehen. Daher gilt, wie gesagt, der Erfahrene für weiser als der, welcher irgendeine Sinneswahrnehmung besitzt, der Künstler für weiser als der Erfahrene, und wieder der leitende Künstler vor dem Handwerker, die theoretischen Wissenschaften aber vor den [982a] hervorbringenden. Daß also die Weisheit eine Wissenschaft von gewissen Prinzipien und Ursachen ist, das ist hieraus klar.

2. (a) Da wir nun diese Wissenschaft suchen, müssen wir danach fragen, von welcherlei Ursachen und Prinzipien die Wissenschaft handelt, welche Weisheit ist. Nimmt man nun die gewöhnlichen Annahmen, welche wir über den Weisen haben, so dürfte vielleicht die Sache daraus eher deutlich werden. Wir nehmen nun erstens an, daß der Weise, soviel möglich, alles verstehe (erkenne), ohne dabei Wissen vom Einzelnen zu besitzen; ferner, daß der, welcher das Schwierige und für den Menschen nicht leicht Erkennbare zu erkennen vermag, weise sei (denn Sinneswahrnehmung ist allen gemeinsam und darum leicht und nichts Weises); ferner, daß in jeder Wissenschaft der Genauere und die Ursachen zu lehren Fähigere der Weisere sei; und daß unter den Wissenschaften die, welche um ihrer selbst und um des Wissens willen gesucht wird, eher Weisheit sei als die um anderweitiger Ergebnisse willen gesuchte, und ebenso die mehr gebietende im Vergleich mit der dienenden; denn der Weise müsse nicht Anordnungen entgegennehmen, sondern geben. Und nicht er müsse einem anderen, sondern ihm der weniger Weise gehorchen. (b) Dies sind im ganzen die Annahmen, die wir über die Weisheit und die Weisen haben. Hierunter muß das Merkmal, alles zu verstehen (erkennen), dem zukommen, der am meisten die Wissenschaft vom Allgemeinen hat; denn dieser weiß gewissermaßen alles Untergeordnete. Auch ist gerade dies für die Menschen am schwersten zu erkennen: das am meisten Allgemeine; denn es liegt am entferntesten von den Sinneswahrnehmungen. Am genauesten aber sind unter den Wissenschaften die, welche sich am meisten auf das Erste (Prinzipien) beziehen; denn auf eine geringere Zahl von Prinzipien bezogene Wissenschaften sind genauer als diejenigen, bei denen noch bestimmende Zusätze hinzukommen; z. B. ist die Arithmetik genauer als die Geometrie. Aber auch zu lehren fähiger ist die auf die Ursachen theoretisch gerichtete Wissenschaft; denn es lehren diejenigen (besser), die zu jedem die Ursachen angeben. Wissen aber und Verstehen (Erkennen) um ihrer selbst willen kommen am meisten der Wissenschaft des im höchsten Sinne Verstehbaren (Erkennbaren) zu. Denn wer das Erkennen um seiner selbst willen wählt, der wird die höchste Wissenschaft am meisten [982b] wählen, dies ist aber die Wissenschaft des im höchsten Sinne Erkennbaren, im höchsten Sinne erkennbar aber sind das Erste (Prinzipien) und die Ursachen; denn durch diese und aus diesen wird das übrige erkannt, nicht aber sie aus dem Untergeordneten. Am gebietendsten unter den Wissenschaften, gebietender als die dienende, ist die, welche den Zweck erkennt, weshalb jedes zu tun ist; dieser ist aber das Gute für jedes Einzelne und im ganzen das Beste in der gesamten Natur.

Nach allem eben Gesagten fällt also die gesuchte Benennung derselben Wissenschaft zu: Sie muß nämlich eine auf die ersten Prinzipien und Ursachen gehende, theoretische sein; denn auch das Gute und das Weswegen ist eine der Ursachen. (c) Daß sie aber keine hervorbringende (poietische) ist, beweisen schon die ältesten Philosophen. Denn Verwunderung war den Menschen jetzt wie vormals der Anfang des Philosophierens, indem sie sich anfangs über das nächstliegende Unerklärte verwunderten, dann allmählich fortschritten und auch über Größeres Fragen aufwarfen, z. B. über die Erscheinungen an dem Mond und der Sonne und den Gestirnen und über die Entstehung des Alls. Wer sich aber über eine Sache fragt und verwundert, der glaubt sie nicht zu kennen. (Deshalb ist der Freund der Sagen auch in gewisser Weise ein Philosoph; denn die Sage besteht aus Wunderbarem.) Wenn sie daher philosophierten, um der Unwissenheit zu entgehen, so suchten sie das Erkennen offenbar des Wissens wegen, nicht um irgendeines Nutzens willen. Das bestätigt auch der Verlauf der Sache; denn als so ziemlich alles zur Annehmlichkeit und (höheren) Lebensführung Nötige vorhanden war, da begann man diese Art der Einsicht zu suchen. (d) Daraus erhellt also, daß wir sie nicht um irgendeines anderweitigen Nutzens willen suchen; sondern, wie wir den Menschen frei nennen, der um seiner selbst willen, nicht um eines anderen willen ist, so auch diese Wissenschaft als allein unter allen freie; denn sie allein ist um ihrer selbst willen.

Darum möchte man auch mit Recht ihre Erwerbung für eine nicht (mehr) menschliche halten; denn in vielen Dingen ist die menschliche Natur knechtisch, und es dürfte daher wohl nach des Simonides Spruch „nur ein Gott dieses Vorrecht besitzen“, für den Menschen aber unziemlich sein, nicht die ihm angemessene Wissenschaft zu suchen. Wenn die Dichter recht haben und die Götter von Natur neidisch sind, so würde dies hier [983a] am meisten zutreffen, und es müßten alle unglückselig sein, die (in jener Wissenschaft) zu weit strebten. Aber weder kann Neid im göttlichen Wesen liegen, sondern, wie es schon im Sprichwort heißt: „Viel lügen die Dichter“, noch darf man eine andere Wissenschaft für ehrwürdiger halten als diese. Denn die göttlichste ist zugleich die ehrwürdigste. Göttlich aber dürfte allein sie in zweifachem Sinne sein: Einmal nämlich ist die Wissenschaft göttlich, welche der Gott am meisten haben mag, und zum andern die, welche das Göttliche zum Gegenstand haben dürfte. Bei dieser Wissenschaft allein trifft beides zugleich ein; denn Gott gilt allen für eine Ursache und Prinzip, und diese Wissenschaft möchte wohl allein oder doch am meisten Gott besitzen. Notwendiger als diese sind alle anderen, besser aber keine.

(e) Ihr Besitz muß jedoch für uns gewissermaßen in das Gegenteil der anfänglichen Forschung umschlagen. Denn es beginnen, wie gesagt, alle mit der Verwunderung darüber, ob sich etwas wirklich so verhält, wie etwa über die automatischen Kunstwerke, wenn sie die Ursache noch nicht eingesehen haben, oder über die Sonnenwenden oder die Inkommensurabilität der Diagonale (eines Rechtecks); denn verwunderlich erscheint es allen (anfänglich), sofern sie die Ursache noch nicht eingesehen haben, wenn etwas durch das kleinste Maß nicht meßbar sein soll. Es muß aber dann beim Gegenteil und „beim Besseren“ enden nach dem Sprichwort, wie auch bei diesen Gegenständen, wenn man (die Ursache einzusehen) gelernt hat; denn über nichts würde sich ein der Geometrie Kundiger mehr verwundern, als wenn die Diagonale kommensurabel sein sollte.

Welches also das Wesen der gesuchten Wissenschaft ist und welches das Ziel, das die Untersuchung und das gesamte Verfahren (Methode) erreichen muß, ist hiermit ausgesprochen.

3. (a) Da wir nun offenbar eine Wissenschaft von den anfänglichen Ursachen uns erwerben müssen (denn ein Wissen von jedem zu haben beanspruchen wir dann, wenn wir die erste Ursache zu kennen glauben), die Ursachen aber in vier verschiedenen Bedeutungen genannt werden, von denen die eine, wie wir behaupten, das Wesen (Wesenheit) und das Sosein ist (denn das Warum wird zuletzt auf den Begriff der Sache zurückgeführt, Ursache aber und Prinzip ist das erste Warum), eine andere der Stoff und das Substrat, eine dritte die, woher der Anfang der Bewegung kommt, eine vierte aber die dieser entgegengesetzte, nämlich das Weswegen und das Gute (denn dieses ist das Ziel aller Entstehung und Bewegung): so wollen wir, obgleich wir diesen Gegenstand in den Büchern Über die Natur hinlänglich erörtert haben, doch auch diejenigen [983b] hinzuziehen, welche vor uns das Seiende erforscht und über die Wahrheit philosophiert haben. Denn offenbar sprechen auch jene von gewissen Prinzipien und Ursachen; diese durchzugehen wird also der gegenwärtigen Untersuchung (Methode) förderlich sein; denn entweder werden wir noch eine andere Gattung der Ursache finden oder den jetzt erwähnten mehr vertrauen.

(b) Von den ersten Philosophen hielten die meisten nur die stoffartigen für die Prinzipien von allem; denn dasjenige, woraus alles Seiende ist und woraus es als Erstem entsteht und worein es als Letztem untergeht, indem das Wesen bestehen bleibt und nur die Eigenschaften wechseln, dies, sagen sie, ist Element und Prinzip des Seienden. Darum nehmen sie auch kein Entstehen und Vergehen von etwas an, da ja eine derartige Natur stets erhalten bleibe, wie man ja auch nicht von Sokrates sagt, daß er schlechthin werde, wenn er schön oder gebildet wird, noch daß er vergehe, wenn er diese Eigenschaften verliert, weil das Substrat, Sokrates selbst, beharrt; so werde und vergehe auch nichts anderes. Denn es muß eine gewisse Natur vorhanden sein, entweder eine oder mehr als eine, aus welcher das übrige entsteht, während jene erhalten bleibt. (c) Doch über die Menge und die Art eines derartigen Prinzips stimmen nicht alle überein. Thales, der Urheber solcher Philosophie, nennt es Wasser (weshalb er auch erklärte, daß die Erde auf dem Wasser sei), wobei er vielleicht zu dieser Annahme kam, weil er sah, daß die Nahrung aller Dinge feucht ist und das Warme selbst aus dem Feuchten entsteht und durch dasselbe lebt (das aber, woraus alles wird, ist das Prinzip von allem); hierdurch also kam er wohl auf diese Annahme und außerdem dadurch, daß die Samen aller Dinge feuchter Natur sind, das Wasser aber für das Feuchte Prinzip seiner Natur ist. Manche meinen auch, daß die Alten, welche lange vor unserer Generation und zuerst über die göttlichen Dinge geforscht haben (die ersten Theologen), ebenso über die Natur gedacht hätten; denn den Okeanos und die Tethys machten sie zu Erzeugern der Entstehung und den Eid der Götter zum Wasser, das bei den Dichtern Styx heißt; denn am ehrwürdigsten ist das Älteste, der Eid aber ist das Ehrwürdigste. Ob nun dies schon eine ursprüngliche [984a] und alte Meinung über die Natur war, das möchte wohl dunkel bleiben; Thales jedoch soll sich auf diese Weise über die erste Ursache ausgesprochen haben. Den Hippon wird man wohl wegen des geringen Wertes seiner Gedanken nicht würdigen, unter diese Männer zu rechnen. Anaximenes und Diogenes dagegen setzen die Luft als früher gegenüber dem Wasser an und als vorzüglichstes Prinzip unter den einfachen Körpern, Hippasos der Metapontiner und Herakleitos der Ephesier das Feuer, Empedokles die vier Elemente, indem er zu den genannten die Erde als viertes hinzufügte. Denn diese blieben (nach seiner Ansicht) immer und entstünden nicht, außer in Hinsicht der größeren oder geringeren Menge, indem sie zur Einheit verbunden oder aus der Einheit ausgeschieden würden. Anaxagoras aber, der Klazomenier, welcher der Zeit nach früher ist als dieser, seinen Werken nach aber später, behauptet, daß die Prinzipien unbegrenzt viele seien; denn ziemlich alles Gleichteilige, wie Wasser und Feuer, entstände und verginge so, nämlich nur durch Verbindung und Trennung, auf andere Weise aber entstehe und vergehe es nicht, sondern bleibe ewig.

(d) Hiernach möchte man das nach Art des Stoffes verstandene Prinzip für das einzige ansehen. Beim weiteren Fortschritt jedoch zeigte ihnen die Sache selbst den Weg und nötigte sie zum (weiteren) Forschen. Denn wenn auch durchaus jedem Entstehen und Vergehen etwas zugrunde liegt, aus dem es hervorgeht, sei dies eines oder mehreres, warum geschieht denn dies und was ist die Ursache? Denn das Zugrundeliegende bewirkt doch nicht selbst seine eigne Veränderung. Ich meine z. B. so: Das Holz und das Erz sind nicht die Ursache dafür, daß sich jedes von beiden verändert, und nicht das Holz macht ein Bett oder das Erz eine Bildsäule (aus sich selbst), sondern etwas anderes ist Ursache der Veränderung. Diese Ursache nun suchen heißt das zweite Prinzip suchen, oder, wie wir es nennen würden, dasjenige, wovon der Anfang der Bewegung kommt. Die sich nun ganz zu Anfang mit dieser Weise des Vorgehens befaßten und ein einziges Substrat setzten, fanden hierin keine Schwierigkeit. Einige indes von denen, welche das Eine (als Prinzip) behaupten, erklären, dieser Untersuchung gleichsam unterliegend, das Eine und die ganze Natur sei unbeweglich, nicht nur in Beziehung auf Entstehen und Vergehen (denn dies ist eine alte Lehre und darin stimmten alle überein), sondern auch in Beziehung auf jede andere Art der Veränderung, und dieses ist ihnen eigentümlich. Von denen also, welche [984b] behaupten, das All sei nur Eines, kam keiner dazu, diese Art des Prinzips (der Bewegung) ins Auge zu fassen, außer etwa Parmenides, und auch dieser nur insofern, als er nicht das Eine, sondern gewissermaßen zwei Ursachen annimmt. Die aber mehr als eines annahmen, können eher davon sprechen, wie z. B. die, welche das Warme und das Kalte oder Feuer und Erde annehmen; sie gebrauchen nämlich das Feuer, als habe es eine bewegende Natur, das Wasser aber und die Erde und das andere dieser Art in der entgegengesetzten Weise.

(e) Nach diesen Männern und solchen (von ihnen vertretenen) Prinzipien wurde man, da diese nicht genügten, die Natur des Seienden aus ihnen entstehen zu lassen, wieder, wie gesagt, von der Wahrheit selbst genötigt, das nächstfolgende Prinzip zu suchen. Denn daß sich im Sein und Werden das Gute und Schöne findet, davon kann doch billigerweise nicht das Feuer oder die Erde oder sonst etwas der Art die Ursache sein, noch konnten jene wohl diese Ansicht haben; aber ebensowenig ging es wohl an, eine so große Sache dem Zufall und dem Ungefähr zuzuschreiben. Als nun jemand erklärte, daß Vernunft wie in den lebenden Wesen so auch in der Natur die Ursache aller Schönheit und aller Ordnung sei, da erschien er gegen die Früheren wie ein Nüchterner gegen Irreredende. Sicher wissen wir, daß Anaxagoras diese Gedanken ergriff, doch es besteht Grund (zu der Annahme), daß sie schon früher Hermotimos der Klazomenier ausgesprochen hat. Diejenigen nun, welche diese Annahme aufstellten, setzten zugleich die Ursache des Guten als ein Prinzip des Seienden, und als eine solche, wovon für das Seiende der Anfang der Bewegung kommt.

4. (a) Man könnte vermuten, daß Hesiodos zuerst eine solche Ursache gesucht und wer noch sonst etwa Liebe oder Begierde in dem Seienden als Prinzip gesetzt, wie auch Parmenides; denn dieser sagt, wo er die Entstehung des Alls aufbaut: „Als ersten von allen unsterblichen Göttern ersann sie (die über das All waltende Göttin) den Eros“; Hesiodos aber sagt: „Vor allem zuerst ward Chaos, nach diesem aber ward die breitbrüstige Erde, und Eros, der vor allen unsterblichen Göttern hervorragt“, als ob in dem Seienden sich eine Ursache finden müsse, welche die Dinge bewege und zusammenbringe. Wem unter diesen man den Vorrang geben soll, es zuerst ausgesprochen zu haben, das sei später zu entscheiden gestattet. Da aber auch das Gegenteil des Guten sich in der Natur vorhanden [985a] zeigte, nicht nur Ordnung und das Schöne, sondern auch Unordnung und das Häßliche, und des Bösen mehr als des Guten, des Schlechten mehr als des Schönen, so führte ebenso ein anderer Freundschaft und Streit ein, jedes von beiden als Ursache jener beiden. Denn folgt man dem Empedokles und faßt seine Ansicht nach ihrem eigentlichen Gedanken, nicht nach ihrem unbeholfenen Ausdruck, so wird man finden, daß ihm die Freundschaft Ursache des Guten ist, der Streit Ursache des Bösen; so daß wohl recht hat, wer sagt, Empedokles setze gewissermaßen und zwar als Erster das Gute und das Böse als Prinzipien, sofern ja die Ursache alles Guten das Gute selbst und des Bösen das Böse ist.

(b) Soweit also scheinen diese, wie gesagt, sich mit zwei von den Ursachen befaßt zu haben, welche wir in den Büchern Über die Natur unterschieden haben, nämlich mit dem Stoff und mit dem, wovon die Bewegung ausgeht, indessen nur undeutlich und noch keineswegs sicher, sondern so wie es in den Gefechten die Ungeübten machen; denn diese führen im Herumfahren wohl auch öfters gute Hiebe, aber sie tun es nicht aus Wissen, und ebenso gleichen auch jene nicht Wissenden in dem, was sie sagen; denn sie machen ja offenbar von diesen Prinzipien fast gar keinen oder doch nur sehr wenig Gebrauch. Anaxagoras nämlich gebraucht bei seiner Weltbildung die Vernunft (wie) als Kunstgriff (wie den Maschinengott im Theater), und wenn er in Verlegenheit kommt, aus welcher Ursache denn etwas notwendig sein soll, dann zieht er ihn herbei; im übrigen aber sucht er die Ursache eher in allem andern Entstehenden als in der Vernunft. Und Empedokles gebraucht seine Ursachen zwar etwas mehr als dieser, aber doch weder genügend, noch findet er zu einer Übereinstimmung unter ihnen. Öfters wenigstens trennt bei ihm die Freundschaft und verbindet der Streit. Denn wenn das All durch den Streit in die Elemente getrennt wird, so wird ja das Feuer in Eines (Element) verbunden und ebenso jedes der übrigen Elemente; wenn sie aber wieder alle durch die Freundschaft in das Eine (Sphairos) zusammengehen, so müssen notwendig aus einem jeden die Teile wieder geschieden werden. Empedokles also hat im Gegensatz zu den früheren Philosophen als Erster diese Ursache als geteilt eingeführt, indem er nicht eine Ursache der Bewegung aufstellte, sondern verschiedene und entgegengesetzte. Ferner benannte er zuerst von den sogenannten stoffartigen Elementen vier, doch wendet er sie nicht als vier an, sondern als wären sie nur zwei, nämlich das Feuer an sich und die ihr [985b] gegenüberstehenden: Erde, Luft und Wasser, als eine einzige Natur. Das kann man bei genauerer Betrachtung aus seinen Gedichten entnehmen. (c) In dieser Weise also benannte Empedokles, wie gesagt, soviele Prinzipien. Leukippos aber und sein Genosse Demokritos behaupten als Elemente das Volle und das Leere, indem sie das eine als Seiendes, das andere als Nichtseiendes benennen, nämlich das Volle und Dichte als das Seiende, das Leere und Dünne als das Nichtseiende. Deshalb behaupten sie auch, daß das Seiende um nichts mehr sei als das Nichtseiende, weil auch das Leere nicht (weniger) als der Körper. Dies seien die Ursachen des Seienden im Sinne des Stoffes. Und wie diejenigen, welche das zugrunde liegende Wesen als Eines setzen, das übrige durch die Eigenschaften desselben entstehen lassen und dabei das Dünne und Dichte als Prinzipien der Eigenschaften annehmen, in gleicher Weise erklären auch diese die Unterschiede für die Ursachen des übrigen. Deren sind aber nach ihrer Ansicht drei: Gestalt, Ordnung und Lage; denn das Seiende, sagen sie, unterscheide sich nur durch Zug, Berührung und Wendung. Hiervon bedeutet aber der Zug Gestalt, die Berührung Ordnung, und die Wendung Lage. Es unterscheidet sich nämlich A von N durch die Gestalt, AN von NA durch die Ordnung, N von Z durch die Lage. Die Frage aber nach der Bewegung, woher denn oder wie sie bei dem Seienden stattfinde, haben auch diese mit ähnlichem Leichtsinn wie die übrigen beiseite gesetzt. Über die zwei Ursachen scheinen also, wie gesagt, die Untersuchungen der Früheren bis hierher geführt worden zu sein.

5. (a) Während dieser Zeit und schon vorher befaßten sich die sogenannten Pythagoreer mit der Mathematik und brachten sie zuerst weiter, und darin eingelebt hielten sie deren Prinzipien für die Prinzipien alles Seienden. Da nämlich die Zahlen in der Mathematik der Natur nach das Erste sind, und sie in den Zahlen viele Ähnlichkeiten (Gleichnisse) zu sehen glaubten mit dem, was ist und entsteht, mehr als in Feuer, Erde und Wasser, wonach ihnen (z. B.) die eine Bestimmtheit der Zahlen Gerechtigkeit sei, eine andere Seele oder Vernunft, wieder eine andere Reife und so in gleicher Weise so gut wie jedes einzelne, und sie ferner die Bestimmungen und Verhältnisse der Harmonien in Zahlen fanden; – da ihnen also das übrige seiner ganzen Natur nach den Zahlen zu gleichen schien, die Zahlen aber sich als das Erste in der gesamten Natur zeigten, [986a] so nahmen sie an, die Elemente der Zahlen seien Elemente alles Seienden, und der ganze Himmel sei Harmonie und Zahl. Und was sie nun in den Zahlen und den Harmonien als übereinstimmend mit den Eigenschaften (Zuständen) und den Teilen des Himmels und der ganzen Weltbildung aufweisen konnten, das brachten sie zusammen und paßten es an. Und wenn irgendwo eine Lücke blieb, schauten sie eifrig darauf, daß ihre ganze Untersuchung in sich geschlossen sei. Ich meine z. B., da ihnen die Zehnzahl etwas Vollkommenes ist und das ganze Wesen der Zahlen umfaßt, so behaupten sie auch, der bewegten Himmelskörper seien zehn; nun sind aber nur neun wirklich sichtbar; darum erdichten sie als zehnten die Gegenerde. Diesen Gegenstand haben wir anderswo genauer erörtert; daß wir aber jetzt darauf eingehen, hat den Zweck, auch von ihnen zu entnehmen, welche Prinzipien sie setzen und wie diese auf die genannten Ursachen zurückkommen. Offenbar nun sehen auch sie die Zahl als Prinzip an, sowohl als Stoff für das Seiende, als auch als Bestimmtheiten und Zustände. Als Elemente der Zahl aber betrachten sie das Gerade und das Ungerade, von denen das eine begrenzt sei, das andere unbegrenzt, das Eine aber bestehe aus diesen beiden (denn es sei sowohl gerade als ungerade), die Zahl aber aus dem Einen, und aus Zahlen, wie gesagt, bestehe der ganze Himmel.

Andere aus derselben Schule nehmen zehn Prinzipien an, welche sie in entsprechende Reihen zusammenordnen: Grenze und Unbegrenztes, Ungerades und Gerades, Eines und Vielheit, Rechtes und Linkes, Männliches und Weibliches, Ruhendes und Bewegtes, Gerades und Krummes, Licht und Finsternis, Gutes und Böses, gleichseitiges und ungleichseitiges Viereck. Dieser Annahme scheint auch der Krotoniate Alkmaion zu folgen, mag er sie nun von jenen oder mögen jene sie von ihm übernommen haben; denn Alkmaion war ein jüngerer Zeitgenosse des Pythagoras und sprach sich auf ähnliche Weise aus wie die Pythagoreer. Er sagt nämlich, die meisten menschlichen Dinge bildeten eine Zweiheit, und bezeichnet damit die Gegensätze, nicht bestimmte, wie diese, sondern die ersten besten, wie Weißes und Schwarzes, Süßes und Bitteres, Gutes und Böses, Kleines und Großes. Dieser also warf nun [986b] unbestimmte Ansichten hin über das übrige, die Pythagoreer dagegen erklärten, wie viele Gegensätze es gebe und welche es seien. Von beiden also kann man so viel entnehmen, daß die Gegensätze Prinzipien des Seienden seien; wie viele aber und welche, kann man nur von den einen entnehmen. Wie man diese jedoch auf die genannten Ursachen zurückführen könne, das ist von ihnen nicht bestimmt entwickelt, doch scheinen sie die Elemente als stoffartige Prinzipien zu setzen; denn aus ihnen als immanenten Bestandteilen bestehe, sagen sie, das Wesen (die Substanz) und sei aus ihnen gebildet.

(b) Hieraus kann man die Gedanken der Alten, welche eine Mehrheit von Elementen der Natur setzten, zur Genüge ersehen. Manche zwar erklärten sich auch über das All in dem Sinne, daß es eine einzige Natur sei, indessen auch diese nicht auf gleiche Weise, weder in Hinsicht auf Richtigkeit noch gemäß der Natur. In die gegenwärtige Untersuchung der Ursachen paßt nun zwar ihre Erwähnung keineswegs; denn sie reden vom Einen nicht in dem Sinne wie einige von den Naturphilosophen, welche zwar auch Eines zugrunde legen, aber aus dem Einen als aus dem Stoffe das Seiende entstehen lassen; denn jene fügen die Bewegung hinzu, insofern sie ja das All entstehen lassen, diese aber behaupten die Unbeweglichkeit. Indessen folgendes über sie gehört doch in die gegenwärtige Untersuchung. Parmenides nämlich scheint das begriffliche Eine aufgefaßt zu haben, Melissos das stoffartige; deswegen behauptet es jener als begrenzt, dieser als unbegrenzt, Xenophanes dagegen, der zuerst die Einheit lehrte (denn Parmenides soll sein Schüler gewesen sein), erklärte sich nicht bestimmter und scheint gar nicht die eine oder die andere Natur berührt zu haben, sondern im Hinblick auf den ganzen Himmel sagt er, das Eine sei der Gott. Diese müssen also für die gegenwärtige Untersuchung beiseite gesetzt werden, (und zwar) die beiden, Xenophanes und Melissos, durchaus, da sie zu wenig philosophische Bildung haben. Parmenides scheint mit hellerer Einsicht zu sprechen. Indem er nämlich davon ausgeht, daß das Nichtseiende neben dem Seienden überhaupt nichts sei, so meint er, daß notwendig das Seiende Eines sei und weiter nichts (worüber wir genauer in den Büchern Über die Natur gesprochen haben); indem er sich aber dann gezwungen sieht, den Erscheinungen nachzugeben, und so eine Einheit für den Begriff, eine Vielheit für die sinnliche Wahrnehmung annimmt, so setzt er wiederum zwei Ursachen und zwei Prinzipien, das Warme und das Kalte, wie von Feuer und Erde sprechend, und ordnet das Warme dem Seienden zu, das andere [987a] dem Nichtseienden.

(c) Aus dem bisher Angeführten und den Ansichten der Weisen, welche bereits mit der Untersuchung dieses Gegenstandes beschäftigt gewesen, haben wir also folgendes erhalten: Von den ersten Philosophen ein körperliches Prinzip (denn Wasser und Feuer und dergleichen sind Körper), und zwar von den einen ein einziges, von anderen mehrere körperliche Prinzipien, von beiden aber als stoffartige Prinzipien. Einige, welche dies Prinzip setzten, fügten dazu noch das, von dem die Bewegung ausgeht, und zwar dies teils als ein einziges, teils als ein zwiefaches. Bis zu den Italischen Philosophen also, diese nicht mit eingerechnet, haben die übrigen nur in beschränkter Weise hierüber gehandelt; sie haben eben nur, wie gesagt, zwei Prinzipien angewendet, von denen sie das zweite, das, von dem die Bewegung ausgeht, teils als Eines/Prinzip, teils als Zwei setzten. Die Pythagoreer haben die Prinzipien als zweifache in derselben Weise gesetzt, das aber fügten sie hinzu, was ihnen auch eigentümlich ist, daß sie das Begrenzte und das Unbegrenzte und das Eine nicht für Prädikate anderer Wesenheiten ansahen, wie etwa des Feuers, der Erde oder anderer dergleichen Dinge, sondern das Unbegrenzte selbst und das Eins selbst als Wesen dessen behaupteten, von dem es prädiziert werde; weshalb sie denn auch die Zahl für die Wesenheit aller Dinge erklärten. Hierüber also erklärten sie sich auf diese Weise, außerdem begannen sie auch auf die Frage nach dem Was zu antworten und zu definieren, aber sie betrieben den Gegenstand zu leichthin. Denn sie definierten oberflächlich und hielten dasjenige, dem der in Rede stehende Begriff zuerst zukommt, für die Wesenheit der Sache geradeso, wie wenn jemand meinte, das Doppelte und die Zweizahl seien dasselbe, weil sich in der Zweizahl zuerst das Doppelte findet.Aber darum ist es doch nicht dasselbe, Doppeltes sein oder Zweizahl sein, sonst würde ja, wie es denn auch jenen widerfuhr, das eine vieles sein. – Von den Früheren also und den übrigen kann man so viel entnehmen.

6. (a) Nach den genannten Philosophen folgte die Lehre Platons, welche sich in den meisten Punkten an diese anschloß, jedoch auch einige Eigentümlichkeiten hatte im Gegensatz zu den Italischen Philosophen. Da er nämlich von Jugend auf mit dem Kratylos und den Ansichten des Herakleitos bekannt geworden war, daß alles Sinnliche in beständigem Flusse sei, und daß es keine Wissenschaft davon gebe, so blieb er auch [987b] später bei dieser Annahme. Und da sich nun Sokrates mit den ethischen Gegenständen beschäftigte und gar nicht mit der gesamten Natur, in jenen aber das Allgemeine suchte und sein Nachdenken zuerst auf Definitionen richtete, brachte dies den Platon, der seine Ansichten aufnahm, zu der Annahme, daß die Definition auf etwas von dem Sinnlichen Verschiedenes gehe; denn unmöglich könne es eine allgemeine Definition von irgendeinem sinnlichen Gegenstande geben, da diese sich in beständiger Veränderung befänden. Was nun von dem Seienden solcher Art war, nannte er Ideen; das Sinnliche aber sei neben diesem und werde nach ihm benannt; denn durch Teilhabe an den Ideen existiere die Vielheit des den Ideen Gleichnamigen. Dieser Ausdruck ,Teilhabe‘ ist nur ein neues Wort für eine ältere Ansicht; denn die Pythagoreer behaupten, das Seiende existiere durch Nachahmung der Zahlen, Platon, mit verändertem Namen, durch Teilhabe. Was denn aber eigentlich diese Teilhabe oder diese Nachahmung sei, das haben sie andern zu untersuchen überlassen. Ferner erklärt er, daß außer dem Sinnlichen und den Ideen die mathematischen Dinge existierten, als dazwischen liegend, unterschieden vom Sinnlichen durch ihre Ewigkeit und Unbeweglichkeit, von den Ideen dadurch, daß es der mathematischen Dinge viel gleichartige gibt, während die Idee selbst nur je eine ist. (b) Da nun die Ideen für das übrige Ursachen sind, so glaubte er, daß die Elemente der Ideen Elemente aller Dinge seien. Als Stoff nun seien das Große und das Kleine Prinzipien, als Wesen das Eine. Denn aus jenem entständen durch Teilhabe am Einen die Ideen, die Zahlen. Daß er das Eine selbst als Wesen erklärt und nicht als Prädikat eines davon verschiedenen Dinges, darin stimmt er mit den Pythagoreern überein, und ebenso setzt er gleich diesen die Zahlen als Ursache der Wesen für alles übrige; eigentümlich aber ist ihm, daß er anstatt des Unbegrenzten als eines einzigen (Prinzips) eine Zweiheit setzt und das Unbegrenzte aus dem Großen und Kleinen bestehen läßt, und ferner die Zahlen getrennt neben dem Sinnlichen annimmt, während jene behaupten, die Zahlen seien die Dinge selbst, und das Mathematische nicht zwischen den Ideen und dem Sinnlichen setzen. Daß er nun das Eine und die Zahlen neben die Dinge setzte (als von diesen getrennt), und nicht wie die Pythagoreer, und die Einführung der Ideen war begründet in dem fragenden Denken in Begriffen; denn die Früheren hatten noch keinen Anteil an der Dialektik. Zur Zweiheit aber machte er das andere Prinzip darum, weil sich die Zahlen mit Ausnahme der ersten leicht aus dieser erzeugen ließen, wie aus einem bildsamen Stoffe. Und doch findet das Gegenteil statt, denn so, wie [988a] sie sagen, ist es gar nicht mit Grund anzunehmen. Sie lassen nämlich aus demselben Stoffe vieles hervorgehen, während die Form nur einmal erzeugt; dagegen sieht man ja, wie aus einem Stoff (z. B.) nur ein Tisch wird, während der, der die Form dazu bringt, als ein einzelner, viele Dinge hervorbringt. Ähnlich verhält sich auch das Männliche zu dem Weiblichen; das Weibliche ist durch eine Begattung befruchtet, das Männliche aber befruchtet vieles. Und dies sind doch Nachbilder von jenen Prinzipien. (c) So also erklärte sich Platon über das, was zur Untersuchung steht; offenbar hat er nach dem Gesagten nur zwei Ursachen angewendet, nämlich die des Was und die stoffartige; denn die Ideen sind für das übrige, für die Ideen selbst aber das Eine Ursache des Was. Und hinsichtlich der zugrunde liegenden Materie, von welcher bei den übrigen Dingen die Ideen, bei den Ideen selbst das Eine ausgesagt wird, erklärte er, daß sie eine Zweiheit ist, nämlich das Große und das Kleine. Ferner schrieb er auch den beiden Elementen, dem einen die Erzeugung des Guten, dem andern des Bösen zu, was, wie wir erwähnt, auch schon einige der früheren Philosophen getan hatten, z. B. Empedokles und Anaxagoras.

7. Kurz und zusammenfassend sind wir hiermit durchgegangen, wer von den Prinzipien und der Wahrheit gehandelt hat, und in welcher Weise; soviel jedoch können wir daraus entnehmen, daß von allen, die über Prinzip und Ursache handeln, keiner ein anderes Prinzip außer den in den Büchern Über die Natur von uns bestimmten genannt hat, sondern offenbar alle, freilich dunkel, nur jene irgendwie berühren. (a) Denn die einen meinen das Prinzip als Stoff, mögen sie es nun als eines oder als mehrere annehmen und als einen Körper oder als etwas Unkörperliches setzen, wie z. B. Platon das Große und das Kleine, die Italische Schule das Unendliche, Empedokles Feuer, Erde, Wasser und Luft, Anaxagoras die unendliche Zahl des Gleichteiligen. Alle diese also haben sich mit einer solchen Ursache befaßt, und ferner ebenso alle, welche die Luft oder das Feuer oder das Wasser oder etwas, das dichter als Feuer und dünner als Luft sei, zum Prinzip machen; denn auch auf solche Weise haben einige das erste Element bestimmt. (b) Diese also haben nur diese (eine) Ursache aufgefaßt; andere haben dazu das hinzugefügt, wovon der Ursprung der Bewegung ausgeht, z. B. alle, welche Freundschaft und Streit oder Vernunft oder Eros zum Prinzip machen. (c) Das Sosein und das Wesen hat keiner bestimmt angegeben, am meisten sprechen noch davon die, [988b] welche die Ideen annehmen; denn weder als Stoff setzen sie für das Sinnliche die Ideen und für die Ideen das Eine voraus, noch nehmen sie an, daß davon die Bewegung ausgehe (denn sie erklären es vielmehr für die Ursache der Bewegungslosigkeit und der Ruhe), sondern die Ideen verursachen das Sosein für jedes von den übrigen Dingen, und für die Ideen selbst das Eine. (d) Den Zweck aber, um deswillen die Handlungen und Veränderungen und Bewegungen geschehen, führen sie in gewisser Weise als Ursache an, doch nicht in dieser Weise und nicht, wie es der Natur der Sache angemessen ist. Diejenigen nämlich, welche die Vernunft oder die Freundschaft annehmen, setzen zwar diese Ursachen als etwas Gutes, aber doch nicht in dem Sinne, daß um ihretwillen etwas von den seienden Dingen sei oder werde, sondern so, daß sie von ihnen die Bewegungen ausgehen lassen. Ebenso sagen zwar die, welche das Eine oder das Seiende für eine solche Natur erklären, daß dieses Ursache des Wesens (der Substanz) sei, aber doch nicht, daß um seinetwillen etwas sei oder werde. So ergibt sich denn, daß sie das Gute als Ursache gewissermaßen aufstellen und auch nicht aufstellen; denn sie machen es nicht schlechthin, sondern in akzidentellem Sinne zur Ursache.

Daß wir also die Zahl und die Art der Ursachen richtig bestimmt haben, dafür scheinen auch diese alle Zeugnis zu geben, da sie keine andere Ursache berühren konnten. Außerdem leuchtet auch ein, daß die Prinzipien so entweder alle oder eine Art derselben zu erforschen sind. Welche möglichen Probleme (Aporien) sich aber gegen die Lehre eines jeden und seine Ansicht über die Prinzipien ergeben, das wollen wir nachher durchgehen.

8. (a) Alle nun, welche das All als Eines und eine Natur als Stoff setzen, und zwar eine körperliche, ausgedehnte, fehlen offenbar in mehr als einer Beziehung. Denn nur für die Körper setzen sie diese Elemente, nicht für das Unkörperliche, obgleich es doch auch Unkörperliches gibt. Und während sie die Ursachen des Entstehens und Vergehens anzugeben versuchen und über die Natur aller Dinge Untersuchung anstellen, heben sie doch die Ursache der Bewegung auf. Ferner ist es ein Fehler, daß sie das Wesen und das Was von keinem Ding als Ursache setzen. Wenn sie überdies so leichthin jeden von den einfachen Körpern für Prinzip erklären mit Ausnahme der Erde, so tun sie dies, weil sie die gegenseitige Entstehung derselben auseinander nicht ihrer Art nach untersucht haben. Ich meine Feuer, Wasser, Erde und Luft; denn einiges von diesen entsteht durch Verbindung, anderes durch Trennung auseinander. Dies ist aber für die Entscheidung über das Früher und Später von der größten Wichtigkeit; denn in der einen Rücksicht würde derjenige Körper als der elementarste gelten, aus welchem als erstem die übrigen durch Verbindung entstehen, der Art würde [989a] aber der kleinteiligste und feinste Körper sein. Darum würden alle, welche das Feuer als Prinzip setzen, am meisten mit dieser Betrachtungsweise übereinstimmen. Und auch jeder der übrigen stimmt dem Gedanken bei, daß das Element der Körper von dieser Beschaffenheit sein müsse; wenigstens hat keiner von den Späteren, welche ein Prinzip behaupten, die Erde für das Element erklärt, offenbar wegen ihr Großteiligkeit. Von den übrigen drei Elementen hat jedes seinen Verteidiger gefunden, denn die einen erklären das Feuer, die andern das Wasser, die dritten die Luft für das Prinzip. Und doch, warum nennen sie denn nicht auch die Erde, nach der Ansicht der meisten Menschen, die ja alles für Erde erklären? So sagt ja auch Hesiodos, die Erde sei zuerst unter den Körpern entstanden, so alt und volkstümlich ist diese Annahme. Nach jenem Gesichtspunkte nun also würde niemand recht haben, der etwas anderes als das Feuer zum Prinzip macht, auch nicht, wenn er etwas setzt, das dichter als die Luft und dünner als das Wasser sei. Ist dagegen das im Verlauf der Entstehung Spätere der Natur nach früher, und ist das Verarbeitete und Verbundene später im Verlauf des Werdens, so müßte das Gegenteil hiervon stattfinden, das Wasser müßte früher sein als die Luft, die Erde früher als das Wasser.

(b) Soviel mag genügen über die, welche eine Ursache der bezeichneten Art setzen. Dasselbe gilt aber auch, wenn jemand mehrere stoffliche Prinzipien setzt, wie etwa Empedokles, welcher die vier Elemente für den Stoff erklärt. Denn auch für diesen müssen sich notwendig teils dieselben, teils andere eigentümliche Folgerungen ergeben. Denn einmal sehen wir, daß diese auseinander entstehen, so daß also Feuer und Erde nicht immer als derselbe Körper bestehen bleiben, worüber wir in den Büchern Über die Natur gesprochen haben; dann, was die Ursache des Bewegten betrifft, so muß man meinen, daß er sich darüber, ob man ein oder zwei Ursachen hiervon setzen muß, weder richtig noch begründet ausgesprochen hat. Überhaupt hebt eine solche Ansicht notwendig die Qualitätsveränderung auf; denn es wird nicht etwas aus warm kalt, noch aus kalt warm werden. Sonst müßte ja etwas diese entgegengesetzten Affektionen erfahren, und es müßte eine einzige Natur geben, welche Wasser und Feuer würde, was jener nicht meint. Wenn man von Anaxagoras annähme, daß er zwei Elemente setzte, so wäre dies am sinnvollsten; zwar hat er selbst diese nicht entwickelt, aber es würde doch notwendig folgen, wenn man ihn leitete. Zwar ist es auch sonst schon unstatthaft zu sagen, alles sei am Anfang gemischt gewesen, einmal weil sich daraus ergibt, daß es vorher müßte ungemischt vorhanden [989b] gewesen sein, dann weil der Natur nach nicht jegliches mit jeglichem sich aufs Geratewohl mischen läßt, und ferner weil die Affektionen und Akzidenzien von den Wesen getrennt würden (denn wovon es Mischung gibt, davon ebenso auch Trennung); indessen, wenn man seiner Ansicht nachgeht und das, was er sagen will, entwickelt, so würde sich zeigen, daß seine Lehre sich neuartiger ausdrückt (den Späteren näher steht). Denn als noch nichts bestimmt ausgeschieden war, konnte man offenbar nichts in Wahrheit von jenem Wesen aussagen. Ich meine z. B., es war weder weiß noch schwarz noch grau noch von anderer Farbe, sondern notwendig farblos; denn sonst würde es ja schon eine einzelne Farbe gehabt haben. In gleicher Weise hatte es auch keinen Geschmack und aus demselben Grunde auch sonst nichts der Art. Es konnte überhaupt weder eine Qualität noch eine Quantität haben, noch überhaupt etwas sein; denn sonst hätte es eine bestimmte einzelne Form gehabt, was unmöglich, da alles gemischt war. Sonst wäre es ja schon ausgeschieden gewesen. Es aber sagt, alles sei gemischt gewesen außer dem Geist, dieser allein sei unvermischt und rein. Hieraus ergibt sich nun, daß er als Prinzipien das Eine (denn dies ist einfach und ungemischt) und das Andere setzt, wie wir das Unbestimmte nennen, ehe es bestimmt worden und an einer Formbestimmung Anteil bekommen hat. Und so redet er freilich nicht richtig und nicht bestimmt, indessen will er doch etwas Ähnliches wie die Späteren und wie es mehr dem Augenschein entspricht.

(c) Indessen diese sind nur auf die Erörterung des Entstehens und Vergehens und der Bewegung beschränkt; denn fast nur für das Wesen solcher Art forschen sie nach den Prinzipien und den Ursachen. Die aber alles Seiende zum Gegenstande ihrer Betrachtung machen und von dem Seienden einiges als sinnlich wahrnehmbar, anderes als nicht sinnlich wahrnehmbar setzen, diese richten ihre Untersuchung offenbar auf beide Gattungen; daher man sich mit ihnen mehr zu beschäftigen hat, was sie denn Richtiges und was Unrichtiges für unsere gegenwärtige Untersuchung bringen. Die sogenannten Pythagoreer nun handeln von ungewöhnlicheren Prinzipien und Elementen als die Naturphilosophen. Ursache davon ist, weil sie diese nicht aus dem Sinnlichen entnommen haben; denn die mathematischen Dinge sind ohne Bewegung, mit Ausnahme derjenigen, von denen die Astronomie handelt. Dabei ist doch der Gegenstand ihrer ganzen Untersuchung und Bemühung die Natur; denn sie lassen den Himmel entstehen und beobachten, [990a] was sich an seinen Teilen, Eigenschaften (Zuständen) und Tätigkeiten zuträgt, und verwenden hierauf ihre Prinzipien und Ursachen, gleich als stimmten sie den übrigen Naturphilosophen darin bei, daß zum Seienden nur das gehört, was sinnlich wahrnehmbar ist und was der sogenannte Himmel umfaßt. Ihre Ursachen und Prinzipien aber sind, wie gesagt, geeignet, auch zum höheren Seienden aufzusteigen, und passen dafür mehr als für die Erörterung der Natur. Von welcher Art von Ursache jedoch Bewegung ausgehen soll, da nur Grenze und Unbegrenztes, Ungerades und Gerades vorausgesetzt sind, darüber sagen sie nichts, noch auch, wie es möglich ist, daß ohne Bewegung und Veränderung Entstehen und Vergehen und die Erscheinungen der bewegten Himmelskörper stattfinden sollen. – Ferner, gesetzt auch, man gebe ihnen zu, daß aus diesen Prinzipien eine Größe sich ergebe, oder gesetzt, dies würde erwiesen, so bleibt doch die Frage, wie denn einige von den Körpern schwer, andere leicht sein sollen. Denn nach den Prinzipien, die sie voraussetzen und erörtern, handeln sie ebensogut von den sinnlichen wie von den mathematischen Dingen; darum haben sie auch über Feuer oder Erde oder die andern derartigen Körper gar nichts gesagt, da sie über das Sinnliche nichts ihm Eigenes, wie ich glaube, zu sagen hatten. – Ferner, wie kann man annehmen, daß Ursachen von dem, was am Himmel ist und geschieht, vom Anfang an wie jetzt die Bestimmtheiten der Zahl und die Zahl selbst seien, und daß es doch keine andere Zahl gebe als diejenige, aus welcher der Himmel gebidet ist? Wenn sich nämlich nach ihnen in einem bestimmten Teile Meinung und Reife befindet, ein wenig weiter oben oder unten aber Ungerechtigkeit und Scheidung oder Mischung, und sie zum Beweise dafür anführen, jedes einzelne von diesen sei eine Zahl, und an dem bestimmten Orte sei gerade die entsprechende Menge von (aus diesen Zahlen) bestehenden Größen, weil jene Eigenschaften je einem besonderen Orte angehörten: so fragt sich, ob diese am Himmel befindliche Zahl dieselbe ist wie die, für die man eine jeder dieser Affektionen zu halten hat, oder eine andere neben ihr? Platon behauptet, sie sei eine andere; er hält freilich ebenfalls sowohl jene Affektionen als auch ihre Ursachen für Zahlen, aber die einen für bloß gedachte, ursächliche, die andern für sinnlich wahrnehmbare.

9. (a) Von den Pythagoreern wollen wir für jetzt nicht weiter handeln; denn es genügt, sich mit ihnen soweit befaßt zu haben. Diejenigen aber, welche die Ideen als Ursache setzen, haben [990b] (1.) fürs erste, indem sie die Ursache dieser sinnlichen Dinge finden wollten, andere an Zahl ihnen gleiche hinzugebracht, gleichwie wenn jemand, der eine Anzahl von Gegenständen zählen möchte, es nicht zu können glaubte, wenn weniger Zahlen vorliegen, aber dann zählte, nachdem er sie (die Zahlen) vermehrt hat. Denn der Ideen sind ungefähr ebenso viele oder nicht weniger als der Dinge, deren Ursachen erforschend sie eben von diesen sinnlichen Dingen zu jenen fortschritten. Denn für jedes Einzelne gibt es etwas Gleichnamiges, abgesehen von den Wesen auch für die anderen Dinge, die eine Einheit über der Vielheit des Einzelnen haben, sowohl bei diesen veränderlichen Dingen als bei den ewigen. (2.) Ferner erscheint von den Beweisen, welche wir für die Existenz der Ideen führen, keiner evident; denn aus einigen ergibt sich keine notwendige Schlußfolge, andere erweisen auch Ideen für solche Dinge, für welche wir keine Ideen annehmen. Nach den Beweisgründen nämlich, welche aus den Wissenschaften argumentieren, würde es Ideen von allem geben, worüber Wissenschaften gehen; und nach dem Beweis, welcher von „dem Einen über dem Vielen“ (Einzelnen) ausgeht, müßte es auch von den Negationen Ideen geben, und nach dem Argument, daß man (auch) etwas Vergangenes noch denke, gäbe es Ideen der vergänglichen Dinge; denn es bleibt doch eine Vorstellung von diesen. (3.) Ferner ergeben die schärferen Beweise teils Ideen des Relativen, wovon es doch nach unserer Lehre keine Gattung an sich gibt, teils sprechen sie von „dem dritten Menschen“. (4.) Und überhaupt heben die für die Ideen vorgebrachten Gründe dasjenige auf, dessen Sein wir, wenn wir von Ideen sprechen, noch mehr wollen als das der Ideen selbst; denn es ergibt sich ja daraus, daß nicht die Zweiheit das Erste ist, sondern die Zahl, und das Relative früher ist als das An-sich und was einige noch sonst alles, den Ansichten der Ideenlehre nachgehend, ihren Prinzipien entgegengestellt haben. (5.) Ferner müßte es nach der zugrunde liegenden Annahme, wonach wir sagen, daß es Ideen gäbe, nicht nur von den Wesen (Substanzen) Ideen geben, sondern auch noch von vielem anderen (denn der Gedanke ist ja ein einziger nicht nur bei den Wesen, sondern auch beim übrigen, und Wissenschaft gibt es nicht nur von dem Wesen, sondern auch von anderem, und dergleichen Folgerungen ergeben sich noch tausend andere). Nach der Notwendigkeit aber und den herrschenden Ansichten über die Ideen muß es, wenn es eine Teilhabe an den Ideen gibt, Ideen nur von den Wesen geben. Denn nicht in akzidenteller Weise findet Teilhabe an ihnen statt, sondern diese muß insofern stattfinden, als ein jedes nicht von einem Zugrundeliegenden (Subjekt) ausgesagt wird. Ich meine z. B., wenn etwas an dem Doppelten-an-sich teilhat, so hat es auch an dem Ewigen teil, aber in akzidentellem Sinne; denn es ist ein Akzidens für das Doppelte, daß es ewig ist. Also werden die Ideen nur Wesen sein. Dasselbe aber bedeutet Wesen hier bei dem Sinnlichen und dort [991a] bei dem Ewigen. Oder was soll es sonst heißen, wenn man sagt, es sei (existiere) etwas getrennt von diesem Sinnlichen, welches die Einheit sei zur Vielheit des Einzelnen? Und wenn nun die Ideen und die an ihnen teilnehmenden Dinge derselben Form (Art) angehören, so würden sie ja etwas Gemeinsames haben; denn warum sollte denn bei den vergänglichen Zweiheiten und bei den zwar vielen, aber ewigen (mathematischen) Zweiheiten mehr als bei der (idealen) Zweiheit-an-sich und der einzelnen sinnlichen Zweiheit das Wesen, Zweiheit zu sein, ein und daselbe sein? Gehören sie aber nicht derselben Form an, so würden sie ja nur namensgleich sein, und es wäre geradeso, als wenn man sowohl den Kallias wie das Holz Mensch nennte, ohne eine Gemeinschaft beider zu sehen.

(b) (6.) Am meisten aber müßte man wohl in Verlegenheit kommen, wenn man angeben sollte, was denn die Ideen für das Ewige unter dem sinnlich Wahrnehmbaren oder für das Entstehende und Vergehende beitragen; denn sie sind ja weder irgendeiner Bewegung noch einer Veränderung Ursache. Aber sie helfen auch nichts, weder zur Erkenntnis der anderen Dinge (denn sie sind ja nicht das Wesen derselben, sonst müßten sie in ihnen sein), noch zum Sein derselben, da sie ja nicht in den an ihnen teilhabenden Dingen sind. Denn sie könnten zwar vielleicht Ursachen in dem Sinne sein, wie die Beimischung des Weißen Ursache ist, daß etwas weiß ist. Doch dieser Gedanke, den zuerst Anaxagoras, später Eudoxos und einige andere ausgesprochen, hat gar zu wenig Halt; denn es ist leicht, viele ungereimte Folgerungen gegen eine solche Ansicht zusammenzubringen. (7.) Aber es ist auch auf keine der Weisen, die man gewöhnlich anführt, möglich, daß aus den Ideen das andere werde. Wenn man aber sagt, die Ideen seien Vorbilder und das andere nehme an ihnen teil, so sind das leere Worte und poetische Metaphern. Denn was ist denn das werktätige Prinzip, welches im Hinblick auf die Ideen arbeitet? Es kann ja auch etwas einem andern ähnlich sein oder werden, ohne diesem nachgebildet zu sein; also mag es nun einen Sokrates geben oder nicht, so kann es jemand geben wie Sokrates, und dasselbe gälte offenbar auch, wenn es einen ewigen Sokrates gäbe. – (8.) Ferner wird es für dasselbe Ding mehrere Vorbilder geben, also auch mehrere Ideen, z. B. für den Menschen das Lebewesen und das Zweifüßige und zugleich den Menschen selbst. (9.) Ferner würden die Ideen nicht nur Vorbilder für das Sinnliche sein, sondern auch für die Ideen selbst, z. B. die Gattung für die Arten der Gattung; wonach denn dasselbe zugleich Vorbild und Nachbild sein müßte. (10.) Ferner [991b] muß es wohl für unmöglich gelten, daß das Wesen und dasjenige, wovon es Wesen (Wesenheit) ist, getrennt voneinander existieren. Wie können denn also die Ideen, wenn sie die Wesen(heiten) der Dinge sind, getrennt von diesen existieren? – Im Phaidon wird der Gedanke ausgesprochen, daß die Ideen sowohl des Seins als des Werdens Ursache seien. Aber wenngleich die Ideen existieren, so entsteht doch das daran Teilhabende nicht, wofern es nicht eine bewegende Kraft gibt, und dagegen entsteht wieder vieles andere, wie ein Haus und ein Ring, wovon es nach dieser Lehre keine Ideen gibt. Also ist es ja offenbar möglich, daß auch die andern Dinge durch solche Ursachen wie die oben angeführten sein und werden können.

(c) (11.) Ferner, wenn die Ideen Zahlen sind, wie sollen sie ursächlich sein? Etwa darum, weil die seienden Dinge andere Zahlen sind, z. B. diese Zahl ein Mensch, diese Sokrates, diese Kallias? Inwiefern sind denn dann jene für diese ursächlich? Denn daß die einen ewig sind, die anderen nicht, kann keinen Unterschied machen. (12.) Sind sie aber deshalb ursächlich, weil die sinnlich wahrnehmbaren Dinge Zahlverhältnisse sind, z. B. die Harmonie, so muß es ja offenbar etwas Eines geben, dessen Verhältnisse sie sind. Gibt es nun dieses Etwas, nämlich den Stoff, so müssen offenbar auch die (Ideen-)Zahlen selbst Verhältnisse sein von etwas zu einem andern. Ich meine z. B., wenn Kallias ein Zahlenverhältnis ist von Feuer, Erde, Wasser und Luft, so müßte auch die Idee ein Zahlenverhältnis von andern ihr zugrunde liegenden Dingen sein, und der Mensch selbst, mag er Zahl sein oder nicht, wird doch ein Zahlenverhältnis sein von etwas, und nicht Zahl (schlechthin), noch muß es deswegen eine Zahl geben. (13.) Ferner, aus vielen Zahlen entsteht eine Zahl, wie soll aber aus mehreren Ideen eine Idee werden? Sagt man aber, daß nicht aus mehreren Zahlen eine wird, sondern aus den in den Zahlen enthaltenen Einheiten, wie etwa in der Myriade, wie steht es dann mit den Einheiten? Sind sie innerlich gleichartig, so werden sich daraus viele Ungereimtheiten ergeben; sind sie dagegen nicht gleichartig, weder die in derselben Zahl enthaltenen untereinander noch alle mit allen, wodurch sollen sie sich denn unterscheiden, da sie keine Eigenschaft haben? Das läßt sich nicht begründen, noch sinnvoll denken. (14.) Ferner ist es notwendig, eine davon verschiedene Art von Zahlen zu konstruieren, welche Gegenstand der Arithmetik sei, und so alles das, was einige als dazwischen liegend bezeichnen. Wie oder aus welchen Prinzipien soll dies sein? Oder weshalb soll es zwischen den sinnlichen Dingen und den (Ideen-)Zahlen selbst liegen? (15.) Ferner, jeder von den beiden Einheiten, welche in der Zweizahl enthalten sind, besteht aus einer früheren Zweiheit. Aber das ist doch unmöglich. (16.) Ferner, warum ist denn die zusammengefaßte Zahl [992a] eine einzige Zahl? (17.) Ferner überdies, wenn denn die Einheiten verschieden sind, so hätten sie davon so reden sollen wie diejenigen, welche von vier oder zwei Elementen sprechen. Jeder von diesen nämlich nennt nicht das Allgemeine Element, z. B. den Körper, sondern Feuer und Erde, mag nun dafür der Körper etwas Allgemeines sein oder nicht. Nun aber spricht man von dem Einen so, als sei es in sich so gleichartig wie Feuer oder Wasser. Wäre dem so, so würden die Zahlen nicht Wesen sein, vielmehr ist offenbar, daß, wenn etwas das Eine selbst und dies Prinzip ist, man das Eine in mehrfachem Sinne nimmt; denn anders ist es unmöglich.

(18.) Indem wir die Wesen auf die Prinzipien zurückführen wollen, lassen wir die Linien entstehen aus dem Kurzen und Langen als einer Art des Kleinen und Großen, die Fläche aus dem Breiten und Schmalen, den Körper aus dem Hohen und Niedrigen. Aber wie kann denn dann in der Fläche die Linie enthalten sein, und in dem Körper Linie und Fläche? Denn das Breite und Schmale ist ja eine andere Gattung als das Hohe und Niedrige. Sowenig also die Zahlen in diesen enthalten sind, weil das Viel und Wenig von diesen verschieden ist, ebensowenig wird hier das Höhere in dem Niederen sein. Es ist aber auch nicht das Breite die höhere Gattung des Tiefen; sonst wäre ja der Körper eine Fläche. – (19.) Ferner, woher sollen die Punkte (in den Linien) enthalten sein? Gegen ihre Gattung stritt nun freilich Platon als gegen eine bloß geometrische Lehre und nannte sie vielmehr den Anfang (Prinzip) der Linie, wofür er auch oft den Ausdruck der „unteilbaren Linien“ gebrauchte. Aber es muß doch eine Grenze der Linie geben, und aus demselben Grunde, aus welchem die Linie existiert, muß auch der Punkt existieren.

(d) (20.) Überhaupt haben wir, indem doch die Weisheit über die Ursachen der sichtbaren Dinge forscht, dies beiseite gesetzt (denn wir reden gar nicht von der Ursache, von welcher der Anfang der Bewegung ausgeht), sondern in der Meinung, als gäben wir das Wesen derselben an, erklären wir, daß andere Wesen existieren; inwiefern aber diese das Wesen der sichtbaren Dinge sind, darüber machen wir leere Worte; denn von Teilhabe zu sprechen, ist, wie früher erörtert, nichts. (21.) Ebensowenig stehen die Ideen mit der Ursache, welche wir durch die Wissenschaften sehen, wodurch jede Vernunft und jede Natur tätig ist und die wir als eines von den Prinzipien anführen, in irgendeiner Berührung, sondern die Mathematik ist den jetzigen Philosophen zur Philosophie geworden, obgleich sie behaupten, man müsse dieselbe um anderer Dinge willen [992b] betreiben. (22.) Ferner möchte man das als Stoff zugrunde gelegte Wesen mehr für ein mathematisches halten und vielmehr für ein Prädikat und einen Artunterschied des Wesens und des Stoffes als selbst für Stoff, ich meine nämlich das Große und Kleine, wie ja auch die Naturphilosophen von dem Dünnen und Dichten reden und es als die ersten Unterschiede des Substrates bezeichnen; denn dies ist ja auch ein Überschuß und ein Mangel. – (23.) Und was die Bewegung anbetrifft, so würden, wenn dies, das Große und Kleine, Bewegung sein soll, offenbar die Ideen in Bewegung sein; wo aber nicht, woher kam sie dann? So ist denn die ganze Untersuchung der Natur aufgehoben. (24.) Und was sich leicht zu erweisen scheint, nämlich daß Alles Eines ist, das ergibt sich aus ihren Beweisen nicht. Denn durch das Herausheben des Einen aus der Vielheit ergibt sich, selbst wenn man ihnen alles zugibt, nicht, daß Alles eins ist, sondern nur, daß es ein Eines selbst gibt; und nicht einmal dies, wofern man ihnen nicht zugibt, daß das Allgemeine Gattung sei, und das ist doch in manchen Fällen unmöglich. (25.) Wenn sie aber nach den Zahlen Linien und Flächen und Körper setzen, so läßt sich gar kein Grund anführen, weder inwiefern sie sind oder sein sollen, noch darüber, welches Vermögen sie haben; denn diese können weder Ideen sein, da sie keine Zahlen sind, noch Dazwischenliegendes, da dies das Mathematische ist, noch können sie den vergänglichen Dingen angehören, sondern offenbar ergibt sich hierin wieder eine andere, vierte Gattung der Wesen.