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In den Abgründen des Internets treiben skrupellose Geschäftemacher ungestört ihre miesen Geschäfte. Wie der Apotheker Peter Palle, dessen Spezialität der Handel mit Pillen ohne Zulassung ist. Niemand ahnt, wovon der angesehene Kleinstadt-Bürger seinen luxuriösen Lebenswandel bestreitet, bis er selbst einen kapitalen Fehler macht. Seine Tarnung bekommt Risse - und nicht nur seine Geschäftspartner sehen ihn in neuem Licht ... Nach "DoppelDecker"der zweite Krimi um Kommissar Lorenz und sein Ermittlerteam von der hannoverschen Mordkommission.
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Seitenzahl: 302
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Danksagung
Zum Gelingen eines Buches braucht es mehr als nur eine gute Idee. Es braucht einen, der die Idee umsetzt (danke, Andreas B.), einen, der die Idee lektoriert (danke, Andreas A.) und einen, der das entsprechende Cover zaubert (danke, Bernd R.).
Besonders bedanken möchte ich mich aber bei meiner lieben Frau (danke, Christiane H.) für die Unterstützung während der entscheidenden Schreibphase und überhaupt einfach mal für alles.
So. Und nachdem ich nun allen gedankt habe, hole ich mir – wie immer, wenn ich vom Schreiben so richtig hungrig geworden bin – etwas Leckeres vom Griechen (danke, Theo S.).
(Christian Herrnleben)
Prolog
Dienstag, den 25. April 2017, 14:45 Uhr
Dienstag, den 25. April 2017, 15:30 Uhr
Dienstag, den 25. April 2017, am Nachmittag
Dienstag, den 25. April 2017, 16:00 Uhr
Dienstag, den 25. April 2017, in den frühen Abendstunden
Dienstag, den 25. April 2017, etwa zur gleichen Zeit
Dienstag, den 25. April 2017, kurz vor Mitternacht
Mittwoch, den 26. April 2017, gegen halb zehn
Donnerstag, den 27. April 2017, vormittags im Büro
Donnerstag, den 27. April 2017, am Vormittag
Donnerstag, den 27. April 2017, nach der Arbeit
Freitag, den 28. April 2017, am frühen Vormittag
Freitag, den 28. April 2017, gegen Mittag
Dienstag, den 2. Mai 2017, früh am Morgen
Dienstag, den 2. Mai 2017, am späten Vormittag
Dienstag, den 2. Mai 2017, in der Mittagszeit
Dienstag, den 2. Mai 2017, am Nachmittag
Mittwoch, den 3. Mai 2017, am frühen Abend
Donnerstag, den 4. Mai 2017, nach Dienstschluss
Freitag, den 5. Mai 2017, vormittags
Samstag, den 6. Mai 2017, am frühen Abend
Montag, den 8. Mai 2017, Punkt 10:00 Uhr
Dienstag, den 9. Mai 2017, kurz nach der Mittagspause
Dienstag, den 9. Mai 2017, 21:40 Uhr
Mittwoch, den 10. Mai 2017, am frühen Abend
Erster īnterlog
Mittwoch, den 10. Mai 2017, 22:20 Uhr
Donnerstag, den 11. Mai 2017, Punkt 19:15 Uhr
Freitag, den 12. Mai 2017, am frühen Vormittag
Samstag, den 13. Mai 2017, kurz nach 10:00 Uhr
Montag, den 15. Mai 2017, vormittags
Montag, den 15. Mai 2017, am späten Abend
Dienstag, den 16. Mai 2017, frühmorgens vor Dienstbeginn
Dienstag, den 16. Mai 2017, am frühen Abend
Donnerstag, den 18. Mai 2017, in den frühen Abendstunden
Samstag, den 20. Mai 2017, 8:55 Uhr
Montag, den 22. Mai 2017, 13:30 Uhr
Dienstag, den 23. Mai 2017, am späten Vormittag
Dienstag, den 23. Mai 2017, am Nachmittag
Dienstag, den 23. Mai 2017, nach dem Telefonat
Dienstag, den 23. Mai 2017, am frühen Abend
Mittwoch, den 24. Mai 2017, in der Frühstückspause
Mittwoch, den 24. Mai 2017, 15:00 Uhr
Freitag, den 26. Mai 2017, frühmorgens vor Dienstbeginn
Freitag, den 26. Mai 2017, später Nachmittag/früher Abend
Freitag, den 26. Mai 2017, 19:30 Uhr
Samstag, den 27. Mai 2017, am frühen Nachmittag
Samstag, den 27. Mai 2017, kurz nach 22:00 Uhr
Montag, den 29. Mai 2017, kurz nach Dienstbeginn
Montag, den 29. Mai 2017, am späten Nachmittag
Zweiter īnterlog
Dienstag, den 30. Mai 2017, gegen Mittag
Dienstag, den 30. Mai 2017, zeitgleich mit den Durchsuchungen
Dienstag, den 30. Mai 2017, 19:40 Uhr
Mittwoch, den 31. Mai 2017, am frühen Vormittag
Mittwoch, den 31. Mai 2017, am Nachmittag
Donnerstag, den 1. Juni 2017, vormittags
Rückblick. Mittwoch, den 31. Mai 2017, am späten Nachmittag
Samstag, den 3. Juni 2017, Punkt 11:00 Uhr
Pfingstsonntag, den 4. Juni 2017, 19:30 Uhr
Montag, den 5. Juni 2017, tagsüber
Dienstag, den 6. Juni 2017, 19:35 Uhr
Dienstag, den 6. Juni 2017, 20:30 Uhr
Mittwoch, den 7. Mai 2017, frühmorgens vor Dienstbeginn
Mittwoch, den 7. Juni 2017, kurz vor 20:00 Uhr
Freitag, den 9. Juni 2017, am frühen Nachmittag
Rückblick. Donnerstag, den 8. Juni 2017, am frühen Nachmittag
Samstag, den 10. Juni 2017, tagsüber
Sonntag, den 11. Juni 2017, vor dem Frühstück
Dienstag, den 13. Juni 2017, am frühen Abend
Mittwoch, den 14. Juni 2017, zum Feierabend
Etwa zwei Wochen später
Epilog
Über den Autor
Das Programm der Ganymed Edition
Er schaute in den Spiegel und erkannte sich kaum. 42 Jahre alt war dieses Gesicht. Betonung auf alt. 42 Jahre. Davon 16 in Behandlung. Da ginge nichts mehr, sagte man ihm. Da könne man nichts mehr machen. Nur noch warten.
Aber er hatte keine Lust zu warten. Eigentlich hatte er mit dem Leben schon abgeschlossen. Da bekam er diesen Tipp. 400 Euro für eine. Die könnte helfen. Die ersten Ergebnisse sähen sehr vielversprechend aus.
Er bräuchte aber wenigstens 3.
Besser 5.
Aber bei 680 Euro Rente ging nicht viel. 50 Euro steuerte sein Sohn jeden Monat dazu. Plus etwa 25 Euro Pfandgeld. Er hatte da eine leicht gebogene Eisenstange, mit der er die Flaschen und Dosen aus den Abfalleimern der Umgebung herausangelte. Machte zusammen 755 Euro. Reichte noch nicht einmal für 2.
Er konnte sein Bett verkaufen. Mit Matratze. Und dann auf dem Boden schlafen. Aber wer wollte schon so eine durchgelegene Koje erwerben? Und selbst wenn … Mehr als 30 Euro war seine Schlafstätte bestimmt nicht wert. Auch der restliche Plunder … eigentlich was für die Müllabfuhr.
Das einzige, das von dem Zeug was taugte, lag unten im Bettkasten versteckt. Hatte sein Vater eines Tages mit nach Hause gebracht. Einschließlich einer Handvoll Munition. Keine Ahnung, wo der die Knarre herhatte. Gemeinsam hatten sie das Teil einst ausprobiert. Im Industriegebiet. In einer stillgelegten Papierfabrik. Zu Silvester. Bei der ganzen Knallerei war das gar nicht aufgefallen.
Zweimal hatten sie abgedrückt.
Einmal er.
Einmal sein Vater.
Dann hatten sie das Ding wieder eingepackt. Eingepackt und in dem Bettkasten gebunkert. Das war jetzt fast zwanzig Jahre her. Sein Vater war schon lange tot. Zwanzig Jahre. Puh. Dann war sein Bett vermutlich doch keine 30 Euro mehr wert. Das konnte er dann wohl vergessen.
Lange würde er es nicht mehr aushalten. Früher oder später würde das alte Schätzchen zum Einsatz kommen.
So oder so.
Boah!!!
Was für ein elendes Gewürge! Und dazu noch dieser fiese Geschmack.
Er hätte sich für Bananenaroma entscheiden sollen. Aber hinterher war man immer schlauer. Wenigstens hatte er auf die ›mit Außennoppen‹ verzichtet. Das Kratzen im Hals mochte er sich gar nicht vorstellen. Die Teile hätte er vermutlich gar nicht runterbekommen. Aber auch das hier war extrem unangenehm. Arthur befüllte das zweite Kondom. Er hatte exakt einhundert Pillen dabei. Zwanzig pro Kondom. Das ergab 5. Wichtig war, dass man die Dinger richtig zuknotete. Da durfte auf keinen Fall etwas durchsickern.
Die Angst war ein ständiger Begleiter. So ein Kondom ließ sich runterschlucken. Die Angst nicht. Hoffentlich rutschte das zweite besser. Sein Zäpfchen im Hals war vorgewarnt. Und hatte schlechte Laune.
Auf einer Gartenparty hatte sich Arthur mal auf eine Wette eingelassen. Eine halbe Bratwurst am Stück wollte er in seinen Magen befördern, ohne dabei auch nur einmal zu kauen. Er hatte gewonnen. Dabei war eine gewisse Körperbeherrschung vonnöten. In etwa so wie bei den Indianern, die einen Liter Wasser tranken ohne zu schlucken. Die ließen das einfach so durch die Kehle laufen. Doch Wasser schmeckte nach nix. Bratwurst immerhin noch nach Bratwurst. Aber Latex mit Gleitcremebeschichtung schmeckte nicht nach nix. Und nach Bratwurst auch nicht. Arthur beschloss, zu Hause mal zu googeln, ob es diese Geschmacksrichtung für Kondome überhaupt gab. Das wäre doch die Geschäftsidee. Lümmeltüten mit Bratwurst-Geschmack. Kam das gut an, ließe sich die Produktpalette beliebig erweitern. Nackensteak. Lamm. Frikadelle. Schinkengriller. Der Fantasie waren da praktisch keine Grenzen gesetzt.
Halleluja!!!
Er hatte das zweite Teil runter. Nun spülte er nach. Mit Wasser ohne Kohlensäure. Er wollte auf keinen Fall aufstoßen. Über die Atemtechnik ließ sich einiges machen. Er hatte da mal einen Yoga-Grundkurs absolviert. Man musste sich in den Atem fallen lassen. Soll heißen, schlucken, wenn die Lungen leer waren. Oder doch beim Einatmen? Mist. Er konnte sich nicht mehr genau erinnern. Zwei wollte er noch versenken. Irgendwie würde er die Dinger schon runterbekommen. Das letzte dann, falls nötig, vor Publikum. Als unterstützende Geste seiner Forderungen. Ganz langsam. In Super Slow Motion.
Das dritte Kondom war zugeknotet. Arthur schickte es auf Reisen. Abwärts, ins dunkle Nichts der Speiseröhre.
Herr im Himmel!!!
Es war einfach furchtbar. Arthur war kurz davor sich zu übergeben. Aber genau das durfte nicht passieren. Da ginge der ganze Kram ja wieder von vorne los. Und dann würde er sich um den medizinisch angehauchten Geschmack der Kondome vermutlich reißen. Nix da. Das letzte Gummiboot würde er wohl auch noch runterbekommen. Es gab auch Erdbeere oder Ananas. Seine Freundin, die scharfe Sybille, stand auf so was. Ihm war das doch egal. Bratwurst-, Bananen- oder Erdbeergeschmack. Das sollten die Damen ruhig selber entscheiden.
Die beiden letzten Kondome waren gepackt. Eins für jetzt, eins legte er sich auf Halde. Für seinen Showdown bei Peter.
Alter Schwede!!!
Das vierte hätte ihn fast umgehauen. Klarer Fall von ›falsch geatmet‹. Arthur riss die Tür auf und saugte die frische Waldluft ein. Der Parkplatz am Müllinger Tivoli. Wirklich schön gelegen. Geradezu ideal, um ein kleines Päuschen zu machen, sich kurz die Beine zu vertreten oder meinetwegen auch, um Kondome zu verschlucken. Kondome, deren Füllungen satte Gewinne versprachen.
Und genau das ärgerte Arthur. Er fühlte sich beschissen. Also einmal beschissen wegen der Aktion, die er und sein Zäpfchen gerade hatten über sich ergehen lassen müssen, aber auch beschissen, im Sinn von beschissen worden zu sein. Ihm war klar, dass sein Abnehmer das Zeug für mehr Kohle verschacherte, als er, Arthur, dafür bekam. Jeder musste leben. Auch Peter. Aber zum einen musste Arthur noch teilen, und zwar mit der scharfen Sybille, und zum anderen hatte er sich schlaugemacht, hatte mal etwas nachgeforscht. Die scharfe Sybille war top, er war top, die Ware war top, aber die Kohle, die er dafür einstrich, war alles andere als top. Das war einfach zu wenig. Arthur wollte mehr. Deutlich mehr!
Dann fuhr er los.
Arthur war gut durchgekommen. Sehr gut. Er war etwas zu früh. Deshalb schaltete er auf Liegesitzmodus. Er wollte sich noch ein wenig ausruhen. Kräfte sammeln für seinen Vorstoß. Denn er wollte doch mal schauen, ob aus der ganzen Nummer nicht deutlich mehr rauszuholen war …
Sie trafen sich regelmäßig. In letzter Zeit sogar sehr regelmäßig
Immer in Peter Palles Doppelgarage. Linker Hand der 6er BMW. Oder der knallrote Testarossa, mit dem kleinen Pferd am Heck. Oder wie heute, der schnittige Porsche 911. Natürlich Cabrio. Rechter Hand ein kleiner Tisch. Der ›Pillenüsch‹, wie Peter ihn mal getauft hatte. Davor zwei Rattan-Sessel. Mehr nicht. Gleich würde Arthur kommen. Peter hatte alles vorbereitet.
Peter Palle war Apotheker. Er war der ›junge Palle‹. Ein halbes Jahr lang musste er noch aushalten. Dann würde sein Vater endlich aufhören und Peter hätte den Laden für sich alleine. Aber vielleicht hatte Peter ja Glück und der alte Sack würde vorher schon schlappmachen. Sein Alter hielt ihn knapp. Aber Peters Lebensstil verlangte nach Geld. Nach mehr, als diesen läppischen 2.500 Euro, von denen Palle senior meinte, sie wären großzügig bemessen.
Und weil Peter, seit er denken konnte, notorisch klamm war, hatte er sich da etwas ausgedacht. Ausgedacht, über die Jahre verfeinert und bis zur Perfektion getrieben. Sein Geschäft lief wie Bombe. Dann lernte er zu allem Überfluss auch noch Arthur kennen. Arthur war wie ein Sechser im Lotto. Die personifizierte Gelddruckmaschine. Arthur sicherte ihm sein luxuriöses Leben.
Und wie lief der Deal? Eigentlich ganz einfach. Arthur lieferte und Peter Palle vertickte.
Der junge Apotheker verfügte schon seit den Kindertagen der weltweiten Vernetzung über einen funktionierenden Internetanschluss. Aber auch über ausreichend Kenntnisse hinsichtlich der unendlichen Möglichkeiten, die einem das Darknet bot. Also dem Bereich, in dem die Unterwelt all das verschob und verscheuerte, was, rein juristisch betrachtet, aber nie und nimmer hätte verschoben und verscheuert werden dürfen.
Im Darknet gab es Waffen. Waffen mit Schalldämpfer. Waffen mit Schalldämpfer und Munition. Waffen mit Schalldämpfer und Munition und Leute, die bereit waren diese nicht nur zu liefern, sondern gleich persönlich mitzukommen und abzudrücken. Praktisch ›all inclusive‹.
Im Darknet gab es alles. Minderjährige, Volljährige, Scheintote.
Im Darknet gab es Drogen in flüssiger, fester oder Pulverform.
Apropos Pulver: Im Darknet gab es Nashornpulver. Die Asiaten zahlten wie die Bekloppten. Immer in der Hoffnung, dass der kleine China-Mann noch wächst. Natürlich gab es auch ganze Nashornhömer. Einschließlich Nashornhörnerreibe-maschine. Ganz so wie im wahren Leben. Wie an der Wursttheke. Die einen kauften die Salami am Stück, die anderen geschnitten. Im Darknet gab es praktisch alles, was man sonst im Laden nicht kaufen konnte. Auch Pillen ohne Zulassung. Versuchsballons. Medikamente ohne Zertifikate. Pillen, die möglicherweise ohne jegliche Nebenwirkungen waren, aber eben auch die erhoffte Wirkung nicht erzielten. Vielleicht aber doch. Oder aber nicht. Oder doch. Das war ja das Perverse.
Hier ging es um Pillen, die Hoffnungen versprachen. Pillen, die ein letzter Strohhalm sein konnten. Ein verdammt mieses Geschäft. Aber auch eines mit riesigen Gewinnspannen. Und dank Arthurs Lieferungen war Peter bei diesem Geschäft vorne mit dabei. Ganz vorne. Einen Besseren gab es nicht. Und das sollte so bleiben. Es hatte kein Jahr gedauert und Peter hatte allerbeste Kontakte. Seine Gewinne waren exorbitant. Der helle Wahnsinn. Es störte ihn nicht, dass seine Geschäftspartner seine Lieferungen wieder unterteilten, praktisch jede Pille einzeln verkauften. So verzichtete er zwar auf einen noch größeren Gewinn, hatte es aber nur mit einer Handvoll Kunden zu tun. Und solange Arthur Pillen im Hunderter-Bereich ablieferte, war Peter das egal. Er hatte keine Ambitionen, mit dem Endverbraucher in direkte Verhandlungen zu treten. Das musste er nicht haben. Da waren andere besser.
Peters Präparate waren begehrt. Seine Kunden rissen sich um das Zeug. Aber was konnte man für den Kram verlangen? Am Anfang war Peter noch recht bescheiden. Er orientierte sich am Marktpreis von Ecstasy und solchen Sachen. So lange, bis er bemerkte, dass das, rein kaufmännisch betrachtet, der völlig falsche Ansatz war. Er fing an seine Preise zu erhöhen. Multiplizierte mit 2. Mit 5. Mit 20. Bei ›mit 50‹ wurde die Luft dünn. Aber knapp darunter ging das Zeug weg wie geschnitten Brot. Das Geschäft lief gut. Peter nahm Kohle ein wie ein Bekloppter. Und er gab sie wieder aus. Auch wie ein Bekloppter. An manchen Tagen wie ein total Bekloppter. Er musste aufpassen, dass keiner etwas von seinem lukrativen Nebenjob mitbekam. Nicht nur sein Alter begann schon stutzig zu werden. 911er Porsche. Goldkettchen. Ausgedehnte Wochenenden in den besten Hotels. Fünf Sterne waren Minimum.
Also hatte er versucht, ein wenig kürzer zu treten. Hatte versucht, nach außen hin den Ball etwas flacher zu halten. Neuerdings fuhr er mit seinem alten Klapprad zur Arbeit. Trug tagsüber seine 2-B-Klamotten. Kaufte beim Bäcker schon mal ein Hefestück vom Vortag. Aber es half nichts. Sein Lebensstil war mittlerweile auch anderen aufgefallen. Immer wieder wurde er mal angesprochen. Auf seine Wagen, auf sein Haus, seinen Schmuck. Wie er das denn alles hinbekäme, fragte ein alter Schulkumpel neulich mal nach. Wo er die ganze Kohle denn herhätte? Lotto, Toto, RennQuintett?
Auch Arthur hatte beim letzten Treffen eine Andeutung gemacht, von wegen das ganze Haus voll Luxus und so. Peter musste aufpassen. Arthur war sein bestes Pferd im Stall. Typ Derbysieger. Der durfte ihm nicht von der Stange gehen!
Peter war voll fokussiert auf das bevorstehende Treffen. Er freute sich auf die gewinnbringende Ware. Allerdings war er dieses Mal ein wenig angespannter als sonst. Peter hatte sich im Überschwang der Gefühle ein neues Auto bestellt. Und angezahlt. Einen Lamborghini. In Gelb. Ein Traum. Damit hatte er sich in eine gewisse finanzielle Schräglage manövriert. Ob das Ganze so pfiffig war, wo er seinen Reichtum doch eigentlich lieber etwas verbergen wollte, da war er sich zwischenzeitlich auch nicht mehr so sicher. Er hatte sich aber wieder einmal nicht bremsen können.
Peter Palle war als pünktlicher und zuverlässiger Lieferant bekannt. Er hatte sich einen guten und vertrauensvollen Ruf erarbeitet. Im Darknet firmierte er unter ›PillePalle‹. Kein Schwein kam darauf, dass er hinter dem Namen steckte. Wer einen guten Ruf hatte, der konnte auch mal etwas einfordern. Einen Vorschuss, auf die nächsten Lieferungen zum Beispiel. Und genau das hatte Peter getan. Von einem seiner besten Kunden schon mal einen satten Vorschuss eingefordert. Und bekommen. 50.000 Euro. Mit dieser Kohle hatte Peter seinen neuen Boliden angezahlt. Also zumindest das Chassis. Jetzt durfte bloß nichts schiefgehen.
War super, wenn so ein Vorschuss einging. War aber ziemlich blöd, wenn man dann nicht liefern konnte. Denn auch das Darknet hatte Ohren. Und Hände. Auch Hände, die Waffen hielten. Wer in dieser Liga spielte, musste höllisch aufpassen.
Da konnte aus einem Überflieger schnell ein toter Vogel werden.
Karl-Heinz Palle war der alte Apotheker. Seit über vierzig Jahren schon. Am Anfang war er noch der ›junge Palle‹ gewesen. Dann nur noch ›Palle‹. Als wenn es die besten Jahre des Mannes nicht besser zu würdigen galt als mit einem schnöden ›Palle‹. Und irgendwann nannte man ihn den ›alten Palle‹.
Der halbe Ort hatte sich im Laufe der letzten Jahrzehnte mit den Artikeln aus ›Palles Apotheke‹ am Leben gehalten. Karl-Heinz Palle kannte fast jeden seiner Kunden beim Namen und fast jeder kannte ihn.
Ganz nebenbei wusste er natürlich auch, wer unter ständiger Stirnhöhlenentzündung, wer unter Nagelpilz und wer unter erhöhtem Blutdruck litt. War einfach. Stand ja alles auf den Rezepten. Neben seinen normalen Rezept-Kunden gab es dann noch die mit den Figur-Problemen (›eine Packung Almased bitte‹), die sexuell Aktiven (›Herr Palle, gibt es den blauen Diamanten denn wirklich nur auf ärztliche Bescheinigung?‹) und die Depressiven (›Serotonin bitte, alles was da ist …‹). Die Mittel gegen Depressionen hatte er persönlich alle durch. Vor zehn Jahren starb seine Frau und Karl-Heinz Palle fiel in das tiefste Loch, das jemals gegraben wurde. Er hätte Seminare geben können. Anti-Depressiva im Selbstversuch. Ein Vortrag von und mit Karl-Heinz Palle. Eintritt frei. War doch alles eh egal.
Der alte Apotheker wusste ganz genau, dass ihn alle den ›alten Palle‹ nannten. Der ›junge Palle‹ war jetzt sein Sohn
Peter. Seit zwei Jahren führten die beiden ›Palles Apotheke‹ nun schon gemeinsam. Das war nicht ganz einfach. Die beiden hatten nicht das allerbeste Verhältnis. Peter war schwierig. Jähzornig, eitel und egoistisch. Aber bald würde Karl-Heinz Palle auch das überstanden haben. Ein halbes Jahr noch, dann wollte er aufhören. Dann würde er seinem Sohn vermutlich auch den letzten Apotheker-Kniff gezeigt haben. Was Peter bis dahin nicht begriffen hätte, würde er sowieso nicht mehr lernen.
Ein halbes Jahr noch und Palle senior wollte sich in den wohlverdienten Ruhestand verabschieden. Seine Zeit begann abzulaufen, langsam, aber sicher. Er merkte, dass er immer schlapper wurde. Der ›alte Palle‹ im Namen war das eine. Aber im Körper? Das setzte ihm doch zunehmend zu. Die Zeit rannte, aber Karl-Heinz Palle rannte nicht mehr mit. Er kroch nur noch hinterher. In seiner Apotheke fand er keine Präparate mehr, die seinen körperlichen Niedergang hätten aufhalten können.
Karl-Heinz Palle dachte oft und gerne an früher. Ja früher, da konnte er jedes Tempo mitgehen. Da war er belastbar und stark. Da erledigte er seine Apothekerpflichten mit Bravour. Von morgens bis abends stand er im Laden. Zu Beginn seiner Tätigkeit noch ganz alleine. Helfende Hände brauchte er nicht. Er hatte doch zwei. Das reichte. Im Laufe der Zeit jedoch wuchs die Anzahl der Kundschaft und Karl-Heinz Palle stellte erstmals Apothekenhelferinnen ein. Die aktuellen waren Frau Hermannsdorf und Frau Pzybalka. Zwei herzensgute Frauen, die ihm über seine Einsamkeit ein wenig hinweg halfen. In einem halben Jahr aber wäre auch das vorbei. Dann hätte er niemanden mehr.
Nach dem Tod seiner Frau begannen die Tagesabläufe des alten Apothekers recht eintönig zu werden. Alleine aufstehen, alleine frisch machen, alleine frühstücken, alleine zur Arbeit, alleine wieder zurück, alleine zu Abend essen, alleine in den Fernseher schauen und alleine wieder ins Bett. Sein Leben verlief in einer zermürbenden Eintönigkeit.
Vor knapp zwei Monaten passierte dann aber folgendes: Karl-Heinz Palle hatte sich mit einer seiner Kundinnen verquatscht. Die beiden kannten sich schon seit vielen Jahren und sprachen über dies und das. Dabei merkte er, wie lange er schon kein normales Gespräch mehr geführt hatte. Mal nicht über Krankheiten gesprochen, nicht über den Tod und die fast täglichen Gänge auf den Friedhof. Einfach nur geplaudert. Über Wetter, Leute, Gott und die Welt. Das tat ihm richtig gut. Und seiner langjährigen Kundin offenbar auch.
Bald trafen sie sich öfter. Mal beim Konditor zu Kaffee und Kuchen. Mal, um gemeinsam spazieren zu gehen. Einmal sogar zu einem Opernbesuch. ›Carmen‹, Palles Lieblingsoper. Das gefiel dem alten Apotheker und er begann, das Leben wieder als mehr zu begreifen als das monotone Abspulen eines geregelten Tagesprogramms. Die kleine Liaison mit seiner alten Kundin nahm zunehmend an Fahrt auf. Sie hieß Amanda. Die beiden verstanden sich prima. Gemeinsam lachten sie oft und viel.
Karl-Heinz Palle war sich sicher: Mit der Amanda, das konnte was werden. Und aus einer Sektlaune heraus hatten sie sich da etwas Verrücktes ausgedacht.
Etwas eigentlich völlig Beklopptes.
Arthur war pünktlich. Wie immer. Vom Parkplatz am Müllinger Tivoli bis an Peters Pillentisch hatte er fünfundzwanzig Minuten gebraucht. Eine Minute länger, als ihm sein Navi avisiert hatte. Aber die eine Minute hatte Arthur durch eine beschleunigte Schrittfolge kurz vor Peters Haustür locker wieder reingeholt.
Nun saßen die beiden am Pillentisch. Peter Palle und Arthur Schwogalla. Ein Paar wie Pech und Schwefel. Wobei Peter Palle heute eher den Schwefel-Part übernehmen sollte. Pech war Arthur Schwogalla vorbehalten.
Arthur war Außendienst-Mitarbeiter eines großen Pharma-Konzerns. Er stattete den Kliniken und niedergelassenen Ärzten in und rund um Leverkusen in regelmäßigen Abständen Besuche ab. Dabei pries er die neuesten Entwicklungen der Pharma-Industrie an. Tabletten, Salben, Injektionsmittel und was es sonst noch Neues gab. Sein Job war ein Selbstläufer. Arthur war in den Praxen und Kliniken gern gesehen, kannte Hinz und Kunz und verdiente dabei nicht schlecht. Nicht schlecht war natürlich immer Ansichtssache. Nicht schlecht war nicht schlecht. Aber besser ging immer.
Das dachte sich auch die scharfe Sybille und die war es dann auch, die auf eine unglaublich ertragreich scheinende Idee kam. In ihrer Forschungsabteilung wurde geforscht, was das Zeug hielt. Alles Mögliche wurde dort zusammengerührt, immer in der Hoffnung, etwas Bahnbrechendes zu entwickeln. Und dann wurde getestet. Zuerst an Amöben, dann an Ratten, dann an Hunden. Aber auch, was die scharfe Sybille als ausgewiesener ›Daktari‹-Fan eigentlich gar nicht so lustig fand, an Affen. Wenn ein Präparat dann für den Feldversuch geeignet schien, testete man an Menschen. Als menschliche Versuchskaninchen kamen dann vornehmlich kerngesunde, sich in Geldnöten befindliche Studentinnen und Studenten in Frage. Junge, unbedarfte Leute, die sich für ein paar Hunderter schon mal einer wochenlangen Spritzen- oder Tablettentherapie unterzogen. Es bewarben sich zwar auch kranke Menschen für solche Programme, aber da waren die Pharma-Bosse vorsichtig. So ein durchtrainierter BWLer steckte eine unerwartete Nebenwirkung vermutlich besser weg als ein durch Krankheit geschwächter Erdenbürger.
Und genau hier lag die Lücke, in die Arthur Schwogalla und die scharfe Sybille stießen. Und das seit nunmehr schon fast dreieinhalb Jahren. Sie machten möglich, was eigentlich gar nicht sein durfte. Pillen, die sich in einem sehr frühen Versuchsstadium befanden, also quasi kurz nach der Amöbe, zwackte die scharfe Sybille aus der Forschungsabteilung ab und übergab sie ihrem geliebten Arthur. Der wiederum suchte jemanden, der das Zeug unauffällig in den Schwarzmarkt einschleuste. Über zwei, drei dunkle Kanäle kam Arthur dann auf Peter Palle. Und das passte aber mal auf Anhieb. Die zwei verstanden sich sofort und wurden ein perfektes Team.
Und deshalb saßen sie sich auch heute wieder gegenüber.
Am Pillentisch. Auf Rattan-Sesseln.
Peter war ein wenig stutzig. Sonst hatte die scharfe Sybille ihrem Arthur immer ein kleines Beutelchen mitgegeben. Meistens trug Arthur den um den Hals. Wie früher, wenn Mama ihm als Taschengeld für den Landschulheim-Aufenthalt 5 Mark in den Brustbeutel gestopft hatte. Doch diesmal baumelte da nichts, und das wunderte Peter.
»Hast du mir was Schönes mitgebracht?«
»Natürlich habe ich was dabei«, antwortete Arthur. »Aber wir müssen uns mal über den Preis unterhalten.«
Aha. Daher wehte also der Wind. Arthur war nicht schlecht. Genaugenommen war er der Beste. Arthur hatte immer die neuesten Kreationen im Koffer. Und nun war er ganz offensichtlich zu der Erkenntnis gelangt, dass ihm eine Lohnerhöhung zustünde. Als Peter nach kurzem Zögern Arthur dann fragte, was er sich denn so vorgestellt hätte, da fackelte der auch nicht lange. Mit fester Stimme haute er einfach mal raus, was ihm auf dem Parkplatz am Müllinger Tivoli so durch den Kopf gegangen war.
Oha. Da schoss Peters Blutdruck aber mal spontan in die Höhe. Die Stimmung drohte zu kippen. Eine gütliche Einigung lag in weiter Ferne.
Alles wurde teurer. Eine Preissteigerung im üblichen Rahmen hätte Peter wohl abgenickt. 3,7 Prozent. Oder auch 4,8. Aber doch nicht 150! Doch eben genau diese 150-Prozent-Zuschlag verlangte Arthur Schwogalla.
Und zwar rückwirkend für die letzten drei Monate.
Ob er denn einen an der Waffel hätte, hatte Peter Arthur gefragt. Ob er, Arthur, sie denn noch alle beisammen hätte?
150 Prozent!
Wie sich der Arthur das denn vorstellen würde?
Da hatte der im Kopfrechnen schwache Arthur einen Taschenrechner gezückt, die übliche Gage von 10.000 Euro eingetippt und diesen Betrag mit einem 150-prozentigen Aufschlag versehen. Das hatte er vorhin auf dem Parkplatz am Müllinger Tivoli probehalber schon einmal getan und bereits da war er entzückt darüber, was sein Rechner ihm anzeigte: 25.000. ›Euro‹ musste sich Peter Palle dazu denken.
Innerhalb kürzester Zeit hatte es darüber natürlich Streit gegeben. Einen riesengroßen! Und irgendwann wurde es Arthur dann zu dumm. Er kramte das fünfte, noch nicht verschluckte Kondom aus seiner Jackentasche. Richtig Lust hatte er nicht. Aber jetzt war er schon so weit gegangen, dass es kein Zurück mehr gab. Unter den entsetzten Blicken Peter Palles schob er sich das Teil hochkant in den Rachen, ließ es langsam sacken, um es dann, bei kontrollierter Atmung und unter Mithilfe einer 0,5-Liter-Flasche Harzer Grauhof Naturell, runterzuspülen. Bloß keine Kohlensäure!
Mein lieber Scholli!!!
Nun war aber auch Feierabend. Noch eins hätte er nicht mehr geschafft. Peter wäre fast vom Glauben abgefallen. Er suchte händeringend nach Worten, fand jedoch keine.
Aber Arthur.
»Das waren zwanzig Pillen. Die restlichen achtzig habe ich vor gut zweieinhalb Stunden verschluckt. Die kommen bald wieder raus. Entweder, du gehst auf meine Forderung ein, oder aber du lässt es bleiben. 25.000 Euro, oder ich scheiß den Scheiß in den Lokus. Und dann ab dafür.«
Spontan wäre Arthur dieser Satz nie im Leben eingefallen. Den hatte er sich zurechtgelegt, vorhin auf dem Parkplatz am Müllinger Tivoli. Erst aufgeschrieben und dann auswendig gelernt. Und wenn Arthur die Lage hier richtig einschätzte, dann verfehlte dieser Satz seine Wirkung nicht.
Peter Palle war außer sich.
25.000 Euro!
Wie er sich das wohl vorstellen würde?
»Oh«, sagte Arthur Schwogalla. »Zum Beispiel in kleinen, nicht durchnummerierten Scheinen.«
Den Satz hatte er mal in einem Krimi aufgeschnappt. Aber auch Fünfhunderter wären okay. Sofern echt.
Peter Palle war bereits als Jugendlicher leicht erregbar gewesen. Palle senior hatte das zunächst auf die Pubertät geschoben und in seiner Apotheke nach einem geeigneten Pülverchen gesucht. Er hatte aber kein geeignetes Pülverchen gefunden. Das würde sich verwachsen, hatte sich der alte Palle dann einreden wollen. Aber da verwuchs sich nichts. Schon als kleiner Junge war Peter eine wandelnde Zeitbombe.
Sein ganzes Leben lang hatte er Schwierigkeiten, sich in Stresssituationen zu beherrschen. Schwierigkeiten, sich im Griff zu haben. Und im Moment hatte Peter aber gerade so was von Stress, da bekam er plötzlich etwas ganz Anderes in den Griff. Nämlich einen Latthammer. Eins von den Teilen, das in keiner gut sortierten Doppelgarage fehlen durfte. Vorne spitz wie Lumpi, hinten optisch eindeutig hammermäßig. Und bevor er richtig nachdenken konnte, hämmerte er mit der spitzen Seite auf Arthur Schwogallas Schädel. Schlug zu wie ein Geisteskranker. Dann drehte er, was die Sache nicht wirklich besser machte, den Hammer um und gab dem guten Arthur den Rest.
Obwohl der den Rest vermutlich schon hatte. Arthur lag nämlich bereits auf dem kalten Betonboden der Doppelgarage und das aus seinem Kopf austretende Blut lief langsam, aber sicher rüber auf die andere Seite. Der 911er war in akuter Gefahr. Da hatten die Schwarzarbeiter, die seinerzeit den Estrich aufgetragen hatten, vermutlich beim Gefälle geschlampt.
Selbst als sich Peter Palle nach einigen Minuten wieder halbwegs beruhigt hatte, war er immer noch sehr erregt. In seiner Garage sah es aus wie in einem Schlachthaus. Arthur hatte offenbar mehr Blut im Körper als der gemeine Durchschnittsbürger. Das floss und floss und hörte gar nicht mehr auf. Irgendetwas musste geschehen. Aber was? Peter überlegte, ob er den armen Arthur nicht vielleicht kurzerhand aufschneiden sollte. Sollte er die heiße Ware nicht bergen? Aber von dem ganzen Blut war ihm jetzt schon kotzübel. Und das würde beim Aufschlitzen vermutlich nicht besser werden. Zudem hatte Arthur die ersten vier Kondome offenbar vor gut drei Stunden zu sich genommen. Da müsste er sich mit seinem Teppichmesser ja schon fast bis zum Ende des Verdauungstraktes vorarbeiten. An die möglichen Gerüche dabei mochte er gar nicht denken. Dennoch musste er etwas unternehmen. Und zwar umgehend.
Peter stand vor einer schweren Entscheidung. Aufschneiden oder nicht?
Dann fasste er einen Entschluss. Gar nichts würde er aufschneiden. Das Ganze war ihm dermaßen aus dem Ruder gelaufen, dass es von nun an ausschließlich um die größtmögliche Schadensbegrenzung ging.
Arthur musste verschwinden. Und zwar auf Porsche-Art.
Blitzschnell.
Außerdem musste Peter seine Doppelgarage von Arthurs DNA befreien.
Hinsichtlich seines Stauraums wird der Porsche 911 oft unterschätzt. Man traut ihm nicht wirklich viel zu. Aber in eine große blaue Mülltüte verpackt, ließ sich der noch warme Arthur derart verformen, dass Peter ihn – weiß der Geier, wie er das hinbekommen hatte – in den Kofferraum verfrachten konnte.
Dann fuhr er den Wagen aus der Garage.
Die nächste halbe Stunde widmete sich Peter Palle dem Boden seiner Doppelgarage. Dabei überzeugte er sich von der Strahl- und Reinigungskraft seines neuen Hochdruckreinigers.
Kärcher.
Modell HDS 2000 Super.
9.329 Euro.
Ebay – Sofortkauf.
Man gönnt sich ja sonst nix.
Theresa Schneider war eine Frau. Und was für eine.
Tagsüber war sie als langjährige Sekretärin ihres Chefs, Kommissar Lorenz, die gute Seele bei der hannoverschen Mordkommission und unterstützte diesen sowie ihre Kollegen Mayrhofer, Schmidt und Schleicher, wo immer sie nur konnte. Von Montag bis Freitag. Fast immer gut gelaunt. Die Arbeit machte ihr Spaß und sie fühlte sich sauwohl in ihrer Haut. Aber eben nur tagsüber. Es gab ja auch die späten Nachmittage, die aufregenden Abende und die Ende April noch immer kühlen Nächte, die es mit sinnvollem Zeitvertreib zu füllen galt.
Das Kommissariat war wie ein zweites Zuhause. Ab und an verbrachte die Truppe sogar ein wenig Freizeit miteinander. Aber Männer waren Männer. Da waren der Freizeitgestaltung doch klare Grenzen gesetzt.
Fußball. Kneipe. Bier.
Deshalb hatte Theresa vor geraumer Zeit damit begonnen, sich endlich wieder ihrem Lieblingshobby zuzuwenden. Erzählt hatte sie auf dem Kommissariat jedoch keinem davon.
Jede Frau braucht ein Geheimnis. Theresa auch. Seit kurzem war sie Mitglied einer Damen-Doppelkopf-Runde. Doppelkopf war schon seit jeher ihre große Leidenschaft gewesen. Wie eine Besessene hatte sie in jungen Jahren mit ihren Omas und Opas Karten gedroschen. Aber mit der Zeit waren ihre Großeltern nach und nach verstorben. Und Nachrücker waren Mangelware. Nachrückerinnen auch. Wer, bitteschön, beherrschte denn heute noch das gepflegte Doppelkopf-Spiel? Vom jüngeren Gemüse jedenfalls kaum jemand.
Manchmal träumte sie davon, wie ihre Omas und Opas auf Wolke 7 am Kartentisch saßen …
Theresa hatte ihre Doppelkopfleidenschaft schon fast abgeschrieben, als sich das Blatt zu ihren Gunsten wendete. Wenn auch auf ziemlich tragische Art und Weise.
Eine Frau namens Elfriede Haberstein hatte sich in die niedersächsische Landeshauptstadt begeben, um, dort angekommen, in ihrem amerikanischen Lieblings-Fastfood-Restaurant fünf knusprige ›Chicken Wings‹ zu bestellen. Sie hatte Hunger, aß ein wenig hastig und erlitt während des Verzehrs des vierten Hühnerflügels eine hartnäckige Hustenattacke. Plötzlich begann sie, visuell grausam untermauert von zwei sich ständig weitenden Pupillen, angsteinflößend zu röcheln. Dann glitt sie von ihrem Schemel und blieb bewegungslos vor diesem liegen.
Kein schönes Bild.
Die Leute vom Nachbartisch schauten entsetzt und rückten ein wenig zur Seite. Immerhin erklärte sich einer von ihnen dazu bereit, sein Handy vom Spielemodus in den Telefonmodus umzuschalten und einen Notarzt anzufunken. Als dieser dann, nach geschlagenen zwölfeinhalb Minuten, endlich eingetroffen war, erkannte er sofort Elfriede Habersteins missliche Situation und widmete sich umgehend der renitenten Schwinge des ehemaligen Flattermanns. Keine drei Sekunden später hielt er den an und für sich ordnungsgemäß abgenagten Knochen in seinen Händen.
Elfriede bekam das aber alles irgendwie gar nicht so richtig mit. Sie war ganz blass im Gesicht und kurzfristig gar nicht ansprechbar. Mittelfristig auch nicht. Langfristig schon gar nicht. Die gute Elfriede war erstickt. Erstickt an den Gebeinen eines ehemaligen Wiesenhof-Bewohners.
So ein Unglück war in der niedersächsischen Landeshauptstadt maximal eine Randnotiz wert, die Trauer und Anteilnahme in Elfriedes Wohnort dagegen war deutlich größer. Dieser Ort war Hemmingen bei Hannover. Knapp 19.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Seit diesem unglücklichen Vorfall eine weniger.
Erfreulicherweise gab es am Tag nach Elfriedes unschönem Ableben im Ortsteil Hiddestorf eine Geburt. Die Anzahl stimmte also wieder. Wobei es bei knapp 19.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, rein statistisch betrachtet, auf die eine oder andere Person ja genaugenommen gar nicht ankam.
Kleinstadt war Kleinstadt. Eine Person mehr oder weniger blieb immer noch Kleinstadt.
Elfriede war Anfang 90. Also kurz vor ihrem Tod. Aber da würde nun definitiv nichts mehr dazukommen. Ein solch gesegnetes Alter war natürlich kein Grund, jemandem ein solch unerfreuliches Malheur in die Luftröhre zu wünschen, aber es war nun mal passiert. Nach zwei Wochen ausgiebiger Trauer hatte sich dann auch der Letzte in der Gemeinde mit Elfriedes grausamem Schicksal abgefunden. Selbst die kurzzeitig heftig abgestürzte Aktie der amerikanischen Fastfood-Kette hatte sich wieder erholt.
So gesehen war also alles wieder in der Reihe. Also fast. Denn die so unglücklich Verstorbene hinterließ ein Problem. Ein Problem, dass eine Zeit lang unlösbar schien.
Elfriede war Teil einer gut funktionierenden Damen-Doppelkopf-Runde gewesen. Dienstags war Doko-Tag. Und das seit über drei Jahrzehnten schon. Elfriede, Amanda, Tante Klara und Charlotte bildeten eine verschworene Spiel-Gemeinschaft.
Und genau hier lag das Huhn im Hals, auch besser bekannt als der Hase im Pfeffer. Elfriede war nun nämlich Geschichte und wenn zahlenmäßig klar definierte Einheiten kleiner wurden, blieb das für gewöhnlich nicht ohne Konsequenzen. War man beim Doppelkopf nicht zu viert, war nämlich Ende im Gelände. Und so drohte die wöchentliche Doppelkopf-Runde über die Wupper zu gehen.
Vier Damen. Immer dienstags von 19:30 Uhr bis kurz vor Mitternacht. Das war einmal. Der Doko-Runde drohte das gleiche Schicksal wie jeder zweiten Promi-Ehe. Sie drohte auseinanderzugehen. Und das durfte, um Himmels willen, auf gar keinen Fall geschehen! Also nicht das mit den Promi-Ehen, das war den Damen doch egal. Der heilige Doko-Dienstag stand auf dem Spiel. Da waren den Mädels doch die Angelina und der Brad schnurzpiepe!
Also schalteten die übriggebliebenen Spielerinnen eine Anzeige in der ›rings-um-uns‹, dem amtlichen Mitteilungsblatt der Stadt Hemmingen.
›Drei alte Zockerinnen suchen versierte Mitspielerin für Dienstags-Doko-Runde.
Alkohol erlaubt, Hühnerflügel verboten.‹
Eine Kleinanzeige wie für Theresa gemacht. Alles perfekt. Alkohol war in Ordnung, Geflügel mochte sie eh nicht.
Man traf sich im Kleingärtnerverein Heisterkamp. Tante Klara hatte da ein kleines gemütliches Gartenhäuschen zum Clubhaus umgebaut.
Umgebaut hieß: Wandregal raus. Kühlschrank rein. Fertig war die Laube!
Einige Male hatte Theresa nun schon mitgespielt. Es machte ihr einen Heidenspaß und sie bereute ihre Entscheidung wahrlich nicht. Auch die Mitspielerinnen waren heilfroh über ihren spieltechnisch offenbar hochqualifizierten Neuzugang. Theresa passte in die Gruppe wie die berühmte Faust aufs Auge. Sie freute sich auf den heutigen Abend.
Denn heute war Dienstag.
Ein Dienstag wie gemalt, um Doppelkopf zu spielen.
Tante Klara hatte bereits alles vorbereitet. Sie hatte die Spielkarten bereitgelegt und schon mal in weiser Voraussicht vier Flachfrauen auf dem Kartentisch positioniert. Flachmänner waren in der Laube verpönt.
Die Damen waren überpünktlich.
Alles war angerichtet.
Die Spiele konnten beginnen.
Da hatten sich ganz offensichtlich ein paar Schmetterlinge im Bauch des alten Apothekers breitgemacht.