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Pips ist eine kleine Eule und zusammen mit seinen besten Freunden, dem Eichhörnchen Lutz und dem Wildschwein Willi, wohnt er im Wald. Durch das plötzliche Auftauchen der Menschen hat das beschauliche Leben ein Ende. Die Menschen wollen eine Straße mitten durch den Wald bauen und sie haben einen großen Bagger mitgebracht, den die Tiere nur den Eisenzahn nennen. Tag für Tag gräbt sich der Eisenzahn weiter durch den Wald und bedroht den Lebensraum der Tiere. Pips und seine Freunde wollen nicht kampflos aufgeben und überlegen fieberhaft, wie sie die Menschen in ihrem Treiben aufhalten können. Doch was können die Tiere gegen die Menschen und ihre Maschinen schon unternehmen?
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Seitenzahl: 92
Veröffentlichungsjahr: 2020
Die ersten Sonnenstrahlen fielen durch das runde Fenster von Pips Wohnung im Wipfel der alten Eiche. Pips gähnte herzhaft und kuschelte sich in seine blau weiß karierte Decke. Er blieb noch eine Weile mit geschlossenen Augen liegen und genoss die Wärme, die die Sonnenstrahlen mit sich brachten. Schließlich stand er auf und streckte erst den rechten und dann vorsichtig den linken Flügel.
Auf dem ersten Blick sah er wie eine gewöhnliche Eule aus. Er war nicht auffallend groß. Von den Zehen seiner Füße bis zu den Federn seines Scheitels maß er etwa 25cm und mit seinen neun Wintern, die er kommen und gehen gesehen hatte, galt er noch als Jungeule. Doch Pips war keine gewöhnliche Eule. Pips konnte nicht fliegen.
Als er noch ein kleines Eulenküken war, hatte ihn die Neugier an den Rand seines Nestes getrieben. Er wollte über die Grenzen seines Nestes hinwegblicken und wissen, wie es im Rest des Waldes aussah. Er hopste an den Rand seines Nestes, doch da erfasste ihn ein plötzlicher Windstoß. Pips stürzte ab. Er überlebte den Sturz, da er direkt in einem Himbeerstrauch landete, aber sein linker Flügel war gebrochen. Mit der Zeit verheilte der Flügel zwar, aber es reichte nicht fürs Fliegen. Er hatte sich mit seiner Flugunfähigkeit arrangiert. Nur wenn er andere Vögel am Himmel unbeschwert umherfliegen sah, dann wurde ihm manchmal schwer ums Herz und er fragte sich, wie sein Leben aussehen würde, wenn er als Küken nicht so neugierig gewesen wäre. Die trüben Gedanken verflogen aber meist schnell und Pips war der Ansicht, dass er auch ohne Fliegen prima zurechtkam. Schließlich konnte er überall zu Fuß hingehen, es dauerte nur etwas länger.
Pips begann diesen sonnigen Tag damit den alten Bollerofen mit Holz zu füllen und das Wasser für den Kaffee aufzusetzen. Im Frühling sammelte er zusammen mit seinem Freund, dem Eichhörnchen Lutz, die Eicheln, die zahlreich an der alten Eiche wuchsen. Gemeinsam mahlten und rösteten sie die Eicheln zu einem herrlichen Kaffee. Vor dem ersten Schluck hielt Pips immer seinen Schnabel dicht an die Tasse und atmete tief ein. Das kräftige Aroma erinnerte ihn an die alte Eiche, in der er wohnte. Pips Wohnung war recht einfach eingerichtet. Neben dem Bett und dem alten Bollerofen gab es ein Bücherregal, einen Ohrensessel, in dem Pips besonders in den Wintermonaten sehr viel Zeit verbrachte und eine kleine Vorratskammer. Er konnte sich keinen gemütlicheren Ort vorstellen und nach Pips Meinung kam es bei einem Wohnort zu allererst auf die Gemütlichkeit an.
Pips ging mit seinem Kaffee nach draußen und setzte sich auf den breiten Ast, der zu seiner Wohnungstür führte.
Das Holz des Astes war nicht glatt und hell, wie es bei jüngeren Bäumen der Fall war. Das Holz war von Furchen und Rissen durchzogen und es war schwarz. Die Farbe hatte nichts mit dem Alter des Baumes zu tun. Vor vielen Jahren war ein Blitz in die Eiche eingeschlagen und hatte den oberen Teil des Baumes schwarz gefärbt. Wenn man seine Nase, oder in Pips Fall den Schnabel, ganz dicht an das Holz hielt und tief einatmete, dann konnte man einen leichten Hauch von Kohle riechen. Pips saß gerne auf dem dicken Ast vor seiner Wohnungstür. Er liebte das Gefühl, wenn er seine Zehen in das rissige und raue Holz grub, so wie Katzen manchmal ihre Krallen in ein Kissen graben und dabei schnurren. Die einzelnen Äste der Eiche lagen dicht beieinander und bildeten eine natürliche Leiter, so dass Pips ohne zu Fliegen bis zu seiner Wohnung nach oben klettern konnte.
So früh am Morgen war es noch still im Wald. Vereinzelt konnte Pips das Zwitschern von Vögeln hören, die früh auf den Beinen waren, aber ansonsten hörte man wenig im Wipfel der Eiche. Von hoch oben konnte er die Bieber im Fluss beobachten, die gerade dabei waren ihren Bau mit weiteren Zweigen zu verstärken. Er sah die zahlreihen Blumen am Boden, die sich nach ihrem Winterschlaf nun reckten und streckten und in vielen verschiedenen Farben blühten. Er sah die Hasen, die noch etwas verschlafen umherhoppelten und er sah Lutz, der wie von der Hummel gestochen in seine Richtung rannte.
»Nanu, der hat es aber eilig«, dachte Pips. »So früh ist der doch sonst nie auf den Beinen.«
»Piiiiips!«, rief Lutz schon von weitem.
»Ich bin hier oben, Lutz«, rief Pips zurück.
Lutz kam völlig außer Atem am Fuß der Eiche zum Stehen.
»Pips … «, japste er. »Pips … der Wald … der Wald … «
»Jetzt beruhige dich erstmal, Lutz. Was ist denn mit dem Wald?«
Es dauert eine Weile bis Lutz einigermaßen zu Atem gekommen war. »Pips … die Menschen … der Wald … die Menschen zerstören den Wald!«
Vor Schreck hätte Pips fast seine Kaffeetasse fallengelassen. Warum sollten die Menschen so etwas tun? Pips hatte früher schon Menschen gesehen, die im Wald spazieren gingen. Dabei kamen sie ihm nicht so vor, als wollten sie den Wald zerstören. Er ließ seine halbvolle Kaffeetasse auf dem Ast stehen und kletterte so schnell er konnte die Eiche herunter. Als er unten angekommen war, hatte sich Lutz so weit gefasst, dass er normal sprechen konnte.
»Oh, Pips, es ist schrecklich. Ich kann es dir gar nicht beschreiben, du musst es dir selber anschauen.«
Lutz lief voran und Pips rannte so schnell er konnte hinterher.
Es dauerte nicht lange und Pips hörte ein Rattern und Dröhnen, das immer lauter wurde, je näher sie dem Ursprung der Geräusche kamen. Lutz führte Pips zu einem Gebüsch und verborgen vor dem Blick der Menschen konnte Pips nun selbst erkennen, was Lutz so aufgebracht hatte. Nur wenige Meter von ihnen entfernt liefen Menschen mit gelben Helmen auf dem Kopf umher. Einer der Menschen blickte immer wieder auf eine Karte und gab Anweisungen durch ein Funkgerät. Pips blieb der Schnabel offenstehen, als er das stählerne Ungetüm sah, das die Menschen mitgebracht hatten. Es war riesig. Das Ungetüm war gelb angestrichen und es hatte einen langen Hals. Am Ende des Halses befand sich der Kopf, der sich immer wieder in den Waldboden senkte und mit seinen Zähnen alles herausriss, was im Weg lag. Pips hatte noch nie zuvor in seinem Leben einen Bagger gesehen. Mit seiner Schaufel riss der Bagger mühelos Sträucher, Büsche und junge Bäume heraus. Pips verstand die Sprache der Menschen nicht. Er wusste nichts von ihren Plänen zwei benachbarte Städte mit einer neuen Straße zu verbinden. Natürlich könnten die Menschen ihre Straße auch um den Wald herumbauen, aber die Menschen hatten es ständig furchtbar eilig und daher sollte die Straße den direkten Weg nehmen. Mitten durch den Wald.
Pips durchfuhr ein schmerzhafter Stich im Herzen, als er sah, wie das gelbe Ungetüm einen Brombeerstrauch herausriss.
Es war genau der Strauch, von dem Pips in den letzten Jahren Brombeeren gepflückt hatte, mit denen er dann die leckerste Brombeermarmelade kochte, die man sich vorstellen kann. Pips hatte genug gesehen. Noch ganz benommen von dem, was er gerade gesehen hatte, machte er sich zusammen mit Lutz auf den Rückweg. Der Lärm der Bauarbeiten hatte weitere Waldbewohner aufgeschreckt und die Kunde verbreite sich wie ein Lauffeuer. Auf dem Weg begegneten sie der dicken Kröte, die traurig den Kopf schüttelte.
»Ich fürchte das ist das Ende des Waldes«, sagte die Kröte.
»Was sagst du da, Kröte?« entgegnete Pips.
Die Kröte hob den Kopf. Sie schien die beiden jetzt erst bemerkt zu haben.
»Das Ungetüm, was die Menschen mitgebracht haben, das habe ich schon einmal gesehen. Ich bin nicht mehr die jüngste, müsst ihr wissen und am liebsten verbringe ich die Zeit in meinem Tümpel. Aber einmal im Jahr, da juckt es mich in den Füßen und ich mache mich zu dem Teich auf, in dem ich geboren wurde. Zumindest bis vor einigen Jahren, nun gibt es den Teich nicht mehr.«
»Ist dein Teich ausgetrocknet?«, fragte Lutz.
»Nein, der Teich ist nicht ausgetrocknet. Die Menschen haben ihn mitgebracht, langer Hals, ein riesiges Maul mit Zähnen aus Stahl, ihr wisst wovon ich rede, ihr habt ihn gesehen, nicht wahr?«
Pips und Lutz nickten stumm.
»Er hat den Teich einfach zugeschüttet«, fuhr die Kröte fort. »Er hat unersättlich Erde gefressen und dann alles in den Teich gespuckt, bis der Teich nicht mehr da war.«
Die Kröte schüttelte sich, so dass die dicken Backen hin und her wabbelten. »Mir graut jetzt noch, wenn ich daran zurückdenke. Und nun ist er zurückgekehrt. Der Eisenzahn.«
Pips und Lutz lief ein Schauer über den Rücken. Das Ungetüm hatte einen Namen. Doch was sollten sie unternehmen? Pips hatte gesehen, wie mühelos der Eisenzahn den Waldboden aufriss und ohne jegliches Mitgefühl alles zerstörte, was in seinem Weg lag. Selbst einen Teich hatte er einfach zugeschüttet! Pips und Lutz verabschiedeten sich von der Kröte und setzten mit trüben Gedanken ihren Weg fort.
»Ach, Pips, ich fürchte die Kröte hat recht. Einem solchen Gegner sind wir nicht gewachsen.«
»Unsinn«, erwiderte Pips. »Uns wird schon noch etwas einfallen«.
Innerlich war Pips aber längst nicht so zuversichtlich. Ihm ging das Bild nicht aus dem Kopf, wie der Eisenzahn den Brombeerstrauch herausgerissen hatte. Die schöne Marmelade!
Pips seufzte.
»Pass auf, Lutz, wir gehen jetzt erstmal nach Hause. Heute Abend treffen wir uns wieder und dann überlegen wir uns in aller Ruhe, was wir als nächstes tun.«
»Einverstanden«, sagte Lutz, wobei er immer noch betrübt dreinblickte.
Pips gab Lutz einen aufmunternden Klaps mit dem Flügel auf die Schulter und setzte seinen Weg alleine fort, während Lutz in Richtung einer hohen Buche aufbrach, in der er seine Wohnung eingerichtet hatte.
Pips dachte angestrengt nach, aber ihm wollte nichts einfallen, wie sie die Menschen und den Eisenzahn aufhalten sollten. Tief in Gedanken versunken bemerkte Pips den Ast nicht, der quer über dem Weg lag. Mit seinem linken Fuß blieb er am Ast hängen und fiel der Länge nah hin.
»Verdammter Eulenmist!«, fluchte Pips, während er sich aufrappelte. »Was macht denn dieser Ast hier mitten auf dem Weg?« Pips klopfte sich den Staub aus dem Gefieder, als ihm plötzlich ein Gedanke kam. Nachdenklich betrachtete er den Ast. Der Eisenzahn fraß sich mitten durch den Wald. Doch was wäre, wenn er auf ein Hindernis treffen würde, das selbst für seinen Appetit zu groß wäre? Ein kleiner Ast würde nicht reichen und auch ein großer Ast würde für den Eisenzahn kein Problem darstellen. Pips fing an zu grinsen, als ihm einfiel, dass er die Biber heute Morgen beobachtet hatte, die fleißig dabei waren ihren Bau zu verstärken. Pips hatte eine Idee. Er ging nicht nach Hause, sondern marschierte auf direkten Weg zum Fluss, der nicht weit entfernt lag. Die Biber machten gerade eine kleine Pause, als Pips am Fluss eintraf. Inzwischen hatten sie auch von den Neuigkeiten erfahren. Sie machten sich große Sorgen, denn die Geschichte der Kröte verbreitete sich ebenso rasch im Wald. Vielleicht reichte dem Eisenzahn ein Teich nicht und er wollte dieses Mal den ganzen Fluss zuschütten?
»Guten Morgen ihr Biber«, grüßte Pips.
»Guten Morgen, Herr Eule.«
»Wäre es möglich, dass ihr eure Arbeit für eine Weile unterbrecht und stattdessen einen Baum zum Umfallen bringt?«
Die Biber schauten Pips mit großen Augen an.