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Was erwartet Sie? - Der Original-Roman in überarbeiteter Fassung - Nagelneues Cover vom genialen Militär-Maler Lucas Wirp - Drei Kurzgeschichten von Hartmut Schober - Mehr als 25 hochwertige Zeichnungen des Ex-Soldaten Markus Preger unterstützen die Geschichte - Umfangreiches Glossar mit vielen Erklärungen zu Hintergründen und Bundeswehr-Eigenheiten
Klappentext: Hartmut Schober erzählt, unterstützt durch Tom Zola, von seiner Zeit beim Bund. Er versah seinen Grundwehrdienst in einer Phase der deutschen Nachkriegsgeschichte, in der sich die Welt zwischen einem verheerenden Krieg und einer friedvollen Auflösung des Ost-West-Konflikts entscheiden musste.
Auf humorvolle Weise befassen sich Schober und Zola mit den alltäglichen Absurditäten des Dienstes bei der Bundeswehr. Bärbeißige Ausbilder machen dem jungen Jäger Schober das Leben schwer, Darth Vaders Sturmtruppen besetzen einen Kölner Vorort und eine Horde US-Amerikaner zerlegt eine Kneipe … dies sind nur einige Beispiele für wahnwitzige Situationen, in die die Autoren den Leser katapultieren.
Tauchen Sie jetzt in die bizarre Welt des Bundeswehr-Wehrdienstes ein!
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Hartmut Schober & Tom Zola
Plan B
Die Abenteuer eines Soldaten der Bundeswehr im Kalten Krieg
***Mit über 25 Zeichnungen des Ex- Soldaten Markus Preger***
EK-2 Militär
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Klappentext: Der deutsche UN-Soldat Rick Marten kämpft in dieser rasant geschriebenen Fortsetzung zu H.G. Wells »Krieg der Welten« an vorderster Front gegen die Marsianer, als diese rund 120 Jahre nach ihrer gescheiterten Invasion erneut nach der Erde greifen.
Deutsche Panzertechnik trifft marsianischen Zorn in diesem fulminanten Action-Spektakel!
Band 1 der Trilogie wurde im Jahr 2017 von André Skora aus mehr als 200 Titeln für die Midlist des Skoutz Awards im Bereich Science-Fiction ausgewählt und schließlich von den Lesern unter die letzten 3 Bücher auf die Shortlist gewählt.
»Die Miliz-Szenen lassen einen den Wüstensand zwischen den Zähnen und die Sonne auf der Stirn spüren, wobei der Waffengeruch nicht zu kurz kommt.«
André Skora über Band 1 der Weltenkrieg Saga.
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Dieses Buch widme ich meinen verstorbenen Kameraden und all jenen, die im Kalten Krieg ihr Leben ließen, um die Bundesrepublik Deutschland und ihre Bürger zu schützen. Ihre Opfer und ihre Hingabe sollen niemals in Vergessenheit geraten!
Hartmut Schober
Mein Name ist Hartmut Schober, ich war zu einer Zeit Soldat, als eine Mauer die deutsche Hauptstadt teilte und der sogenannte Eiserne Vorhang Europa in zwei Lager spaltete, die sich waffenstarrend und lauernd gegenüberstanden. Als Soldat der deutschen Bundeswehr erlebte ich das Ende dieser geschichtsträchtigen Phase, die sich zu unser aller Glück friedlich auflöste, statt in einer bewaffneten Auseinandersetzung zu münden. Eine solche hätte zweifelsohne ganz Europa – und Deutschland im Besonderen – in ein Trümmerfeld verwandelt.
Ich freue mich, dass mir die Möglichkeit gegeben ist, in Einsatzbericht meine Geschichte zu erzählen – mit freundlicher Unterstützung von Tom Zola, der mir bei meinem schriftstellerischen Debüt tatkräftig unter die Arme gegriffen hat. Uns beide eint das Anliegen, den Waffendienst für die Bundesrepublik Deutschland verständlich zu machen und aufzuzeigen, wie es ist und wie es war. Die Bundeswehr darf immer dann mit öffentlichem Interesse rechnen, wenn der nächste Skandal durchs Mediendorf getrieben wird; der Alltag des einfachen Soldaten jedoch, der normale Wahnsinn beim Bund, entzieht sich der allgemeinen Kenntnis. Ich selbst war Wehrpflichtiger und bin heute noch als Reservist aktiv. Eine Tätigkeit als Zeitsoldat ist mir leider verwehrt geblieben, wie Sie noch lesen werden. So kann ich nicht mit Berichten über Gefechte im Einsatz dienen, weder in Afghanistan noch im Kosovo oder auf hoher See. Dafür vermag ich dem Leser Einblicke zu ermöglichen in die Endphase des Kalten Krieges und wie es war, in dieser Zeit als Wehrpflichtiger Dienst zu tun. Auch wenn die folgende Geschichte möglicherweise manchen Leser an der Echtheit der Vorkommnisse zweifeln lässt, so kann ich doch versichern, dass sich alle Begebenheiten darin so zugetragen haben. Vor allem die dargestellten Ausbildungspraktiken mögen aus der heutigen Sicht heraus als unangebracht, ja stellenweise grausam erscheinen, doch gehörten sie während meiner Zeit zum Truppenalltag. Immerhin befanden wir uns in der Endphase des Kalten Krieges, die Bedrohung aus dem Osten war real und allgegenwärtig, was auf Haltung und Verhalten der damaligen westdeutschen Soldaten abfärbte. Auch wenn Politiker heutzutage gerne etwas anderes behaupten, sahen wir Soldaten der Bundeswehr uns meiner bescheidenen Meinung nach in der Tradition der Wehrmacht stehend, was Einsatzfreude, Ehre, Kameradschaft und Kampfgeist anbelangt, und stets und ständig sahen wir uns mit den riesenhaften Armeen des Warschauer Pakts konfrontiert. George Washington wird das Zitat zugeschrieben: »Nur wer auf den Krieg vorbereitet ist, vermag den Frieden zu wahren.«
Ein Motto, mit dem ich mich anfreunden kann.
Natürlich machten damals, Ende der 80er Jahre, nicht alle Soldaten die gleichen Erfahrungen, ich denke aber, dass sich viele Zeitgenossen meines Jahrgangs in meiner Geschichte wiederfinden werden. Leser aus den nachgeborenen Generationen werden möglicherweise ungläubig die Stirn runzeln über das damalige harte Leben beim Bund, ebenso wie jene, die älter sind als ich, schmunzelnd den Kopf schütteln mögen über meine weichgespülte Wehrdienstzeit im Gegensatz zur eigenen in den 70er Jahren, 60er Jahren oder früher. Es ist dies wohl der Lauf der Dinge.
Die Bundeswehr jedenfalls war und ist eine Welt für sich, und meine Geschichte zeigt nur eine von vielen Facetten auf. Aus Überzeugung kann ich sagen, dass ich gerne Soldat gewesen bin, auch wenn ich während meiner Dienstzeit mehr als einmal der Verzweiflung sehr, sehr nahe war.
Mir kam dann immer die Ansprache meines ersten Spießes an meinem allerersten Tag in den Sinn:
»Männer, die nächsten Wochen werden kein Zuckerschlecken sein! Aber denkt immer daran, harte Zeiten vergehen, harte Typen nicht. Jeder Gärtner kann bestätigen: Nur die Harten kommen in den Garten!«
Das mögen jetzt viele als platten, dummen Spruch abtun, aber irgendwie geholfen hat es. Um niemanden zu langweilen, verzichte ich in meiner Erzählung auf langatmige Beschreibungen der Formalausbildung und anderer Dinge, die jeder kennt, der seinen Wehrdienst abgeleistet oder als Zeit- und Berufssoldat gedient hat beziehungsweise dient. Ich beschränke mich auf die Höhepunkte. Dies kann bei unwissenden Lesern durchaus ein verzerrtes Bild des Ausbildungsdienstes hervorrufen, was ich nicht unerwähnt lassen will. Meine Absicht ist es, andere an meinen Erlebnissen teilhaben zu lassen, sodass auch in ihnen die Erkenntnis heranreift, dass die Realität die Phantasie durchaus übertreffen kann, wenn es um Unglaubliches geht. Personen- und einige Ortsnamen habe ich zum Schutz der Beteiligten allerdings abgeändert.
Zum Schluss ein Wort an diejenigen, die sich dennoch in meinem Text wiedererkennen: »Sorry Kameraden, aber die Geschichten sind zu gut, um sie nicht zu erzählen.«
Plan B – dies ist meine Geschichte.
Es gibt Augenblicke im Leben, da frage ich mich, wie ich an diesen besonderen Punkt meines Daseins angelangt bin. Unter einem Tisch in der Kneipe eines Kölner Vorortes sitzend und mich an eines der Tischbeine klammernd, war es bei mir mal wieder soweit. In meinem Rücken konnte ich meine drei Kameraden spüren, die sich ihrerseits jeweils um eines der Tischbeine schlangen. Als mir Splitter eines Holzstuhles um die Ohren flogen, der unseren Tisch mit Wucht getroffen hatte, kam mir der Gedanke, dass ich jetzt doch lieber woanders sei.
Wie war ich hier nur hineingeraten?
Vor meinem geistigen Auge wurden die ereignisreichen vergangenen Monate lebendig …
Alles begann mit meiner Musterung. Wer ich bin?
Hartmut Schober, geboren 1971 in Ludwigsburg und zum damaligen Zeitpunkt Geselle im Bereich Elektroinstallation. Kurz vor meiner Gesellenprüfung erhielt ich die Aufforderung zur Musterung. Das war Ende der 80er Jahre, der Kalte Krieg hatte längst seinen Höhepunkt überschritten und Bonn war die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. Im Fernsehen buhlten Miami Vice, Magnum und Kommissar Schimanski um die Gunst der Zuschauer. Man bezahlte noch mit der Deutschen Mark und das Radio spielte Popmusik von blutjungen Künstlerinnen wie Madonna und Kim Wilde. Deutschland war zweigeteilt und ich gehörte leider einem geburtenschwachen Jahrgang an.
Also nix mit irgendwie davonkommen!
Es gab ja noch die allgemeine Wehrpflicht, das Vaterland musste gegen die wilden Horden des Warschauer Paktes verteidigt werden. Verweigern war für mich sowieso kein Thema, denn meine Familie stellte dem Soldatendienst ihre Männer zur Verfügung, seitdem die Römer versucht hatten, in Germanien Fuß zu fassen. Meine Vorfahren hatten sich vor allem bei den Ulanen und der Jägertruppe verdingt, typische Truppengattungen für die alte Garnisonsstadt Ludwigsburg. Darüber hinaus haben wir Musketiere, Grenadiere, Gebirgsjäger, Fallschirmjäger und einen Luftwaffenfeldwebel in der Familie, wir sind in diesem Punkt also recht vielseitig aufgestellt.
Ein paar Familienmitglieder haben wir sogar nach Übersee exportiert, gerade rechtzeitig, um sich im blutigen Amerikanischen Bürgerkrieg die Köpfe einzuschlagen.
Der amerikanische Zweig blieb der Familientradition verpflichtet und so stellten wir auch in Korea und Vietnam Soldaten für den Militärdienst. Und tun dies auch in den aktuellen Konflikten noch. Einer meiner US-Verwandten tat Dienst bei der Luftkavallerie und war im Vietnamkrieg beim ersten Kampfeinsatz dieser damals neuen Truppe dabei. Jener Einsatz fand im Ia-Drang-Tal statt, manchem Leser mag es aus dem Spielfilm Wir waren Helden mit Mel Gibson ein Begriff sein. Man findet den Namen meines dort gefallenen Verwandten im Nachspann des Films sowie auf dem Vietnam Veterans Memorial.
Ich verspürte jedenfalls eine gewisse familiäre Verpflichtung, meinen Beitrag zur Familientradition zu leisten. Hätte ich es gewagt zu verweigern, hätte ich mir eine neue Sippschaft suchen können, soviel war klar – das hatte mir zwar niemand offen gesagt, aber das stand quasi als ungeschriebenes Gesetz im Raum. Nicht, dass ich vorhatte zu verweigern … ich bin immerhin ziemlich konservativ erzogen worden.
Schon früh hatte ich den Kriegsgeschichten meiner Großväter und Großonkel lauschen dürfen, hatte auf diese Weise vom Schicksal der gefallenen und vermissten Familienmitglieder erfahren. Und mein Vater und meine Onkel steuerten wilde Geschichten aus ihrer Zeit beim Bund bei. Als Kind fand ich außerdem Gefallen an Kriegsspielzeug und Spielzeugwaffen, und das nicht nur zur Faschingszeit! Ja, so war das damals, fast alle Jungen spielten mit Plastikpanzern und falschen Waffen – außer jenen natürlich, die Waldorfschulen besuchten und dort ihren Namen tanzten. Die durften sich in der Regel nur mit Holzspielzeug ohne jeden Gewaltbezug beschäftigen. Ich hingegen wurde praktisch in den Schützenverein hineingeboren und durfte schon zu meiner Jugendzeit andere Familienmitglieder auf die Jagd und zum Schießstand begleiten. Uniformen und Waffen waren und sind ein fester Bestandteil meines Lebens.
Allein der seit Ende des Zweiten Weltkriegs anhaltende Frieden in Europa verhinderte, dass mehr unserer jüngeren Familienmitglieder Wehrdienst leisteten – neben meiner Wenigkeit sowie meinem Vater gab es den besagten Onkel, der Offizier und Berufssoldat war, sowie einen Cousin, der seine W15-Zeit als Kradmelder verbrachte. Dann waren da noch einige, die im Reservistenverband organisiert waren (und noch immer sind). All das zusammengenommen bleibt festzuhalten, dass mein Weg zum Bund praktisch vorbestimmt war.
Aber zurück zu meiner Musterung.
Am besagten Tag fand ich mich pünktlich, wie ich bin, im Kreiswehrersatzamt ein, das sich damals in einem alten Kasernenbau mit eindrucksvollem Kriegerrelief über dem Eingang befand, davor die wehende Fahne unserer Bundesrepublik Deutschland an einem langen Mast. Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen, das Bild des schwarz-rot-goldenen Tuchs vor dem schlichten Zweckbau ist in meinem Kopf noch sehr lebendig. Mein junges Alter Ego war beeindruckt … und eingeschüchtert. Doch was blieb mir anderes übrig als einzutreten?
Ich meldete mich beim Pförtner an, der mich zur Musterungsanmeldung weiterleitete, wo mir ein Klemmbrett in die Hand gedrückt wurde. Darauf trug ich meine persönlichen Daten ein, außerdem sollte ich einen Verwendungswunsch angeben. Ich äußerte in diesem Feld nur den einen frommen Wunsch: heimatnah.
Andere träumten davon, Pilot, Minentaucher, Unterseebootfahrer oder Fallschirmjäger zu werden. Mich konnte die Bundeswehr schon glücklich machen, wenn sie mich nicht ganz so weit von Ludwigsburg fortschickte. Mein Verwendungswunsch, so denn er befolgt werden würde, lief unweigerlich auf die Jäger- oder die Fallschirmjägertruppe hinaus – oder die Panzertruppe, aber für die ollen Büchsen war ich wohl zu groß. Zumindest hatte ich das so gehört.
Der ins Klemmbrett eingespannte Fragebogen stellte mir sinngemäß auch die folgende Frage: »Wollen Sie verweigern?« An dieser Stelle trieb mich doch der Schalk um, ich schrieb: »Ich bin Zivildienstverweigerer!«
Nachdem alle einbestellten Personen meines Musterungsdurchgangs, zehn an der Zahl, anwesend waren, wurden wir einzeln zu einem Beamten in ein angrenzendes Büro gerufen. Er ging die Punkte des Fragebogens einzeln mit jedem von uns durch. Eine böse Vorahnung stellte sich ein, als mein Gegenüber Stirn runzelnd meine Angaben las. Er langte schließlich an die Verweigerungsfrage an, stutzte sichtlich und schürzte die Lippen. »Soso«, versetzte er ohne Bewegung in der Stimmlage. »Sie wollen den Wehrdienst also verweigern?«
»Auf keinen Fall«, erwiderte ich entrüstet. »Ich bin Zivildienstverweigerer!«.
Er blickte angestrengt auf das Formular in seinen Händen und ich konnte förmlich sehen, wie die Zahnrädchen in seinem gemarterten Beamtengehirn rattern. Ich hatte Mühe, mein Lachen zu unterdrücken. Der oben wiedergegebene Dialog wiederholte sich noch ganze zweimal, ehe sich der Kerl entschuldigte und sein Büro verließ – beinahe fluchtartig – um Rat bei seinem Vorgesetzten zu suchen. Diesen durfte ich kurz darauf auch noch kennenlernen; im Sturmschritt stürzte er ins Büro und trötete: »Sie sind mir ja ein schöner Spaßvogel! Solche wie Sie haben wir hier besonders gerne!«.
Ich zuckte mit den Schultern und blickte die beiden Beamten treuherzig lächelnd an. Letztlich bekam ich meinen Stempel auf das Formular und wurde zur Untersuchung weitergeschickt.
Im entsprechenden Trakt roch es stechend nach Desinfektionsmittel, der Linoleumboden glänzte im Licht der Leuchtstofflampen. Man wies meine Kameraden in spe und mich an, die Kleidung abzulegen und sie in schmalen Blechspinden zu verstauen. Alsbald fanden wir uns, entblößt bis auf die Unterwäsche, im Vorzimmer zur amtsärztlichen Untersuchung wieder. Über einen Lautsprecher ließ uns das ärztliche Personal nacheinander eintreten. In Erinnerung geblieben ist mir ein handschriftlicher Zettel, der an der Tür hing und dazu aufforderte, die folgende Untersuchung inklusive des berüchtigten Abtastens der Hoden als zwingende Notwendigkeit zu akzeptieren und aus diesem Grunde bitte keine Diskussion über die Sinnhaftigkeit derselbigen anzufangen. Darunter fand sich der Hinweis, dass besagte Untersuchung auch für den Arzt kein Vergnügen sei. Wir dachten uns unseren Teil, sprachen aber nicht miteinander. Die Atmosphäre unter uns zu Musternden war von einer Anspannung geprägt, die uns alle erfasst hatte. So schwiegen wir, und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
Ich wurde aufgerufen, erhob mich und trat in das Zimmer ein. Zwei uralte Ärztinnen, dem Scheintod nahe, erwarteten mich. Der Untersuchungsraum verströmte den Charme eines alten Klassenzimmers, er bedurfte dringend einer Sanierung.
Die Untersuchung schritt rasch voran, bis schließlich jenes Abtasten der Hoden bevorstand.
Just, als ich die Unterhose an den Knöcheln hängen hatte – als ich also untenrum völlig befreit war – trat eine zivile Sekretärin ein, allerdings ohne vorher anzuklopfen. Um das Ganze noch schlimmer zu machen: Ich kannte die junge Dame aus meiner Schulzeit. Ich hatte sie einmal sogar näher kennenlernen dürfen … sehr nah sogar! Die Ärztin, meine Testikel in der Hand, blickte meine so plötzlich eingetretene Schulfreundin pikiert an und bemerkte dadurch erst auf den zweiten Augenblick meine ungewollte Körperreaktion auf die unverhoffte Begegnung.
Es war Sommer, meine Schulfreundin trug ein enges Top und einen kurzen Lederrock und wie gesagt … wir kannten uns im biblischen Sinne.
Meiner Schulfreundin jedenfalls entglitten die Gesichtszüge. Die zweite Ärztin, jene, die hinter dem Schreibtisch über meiner Gesundheitsakte brütete, betrachtete die sich ihr bietende Szene und brach in schallendes Gelächter aus. Ihr geierartiges Krächzen klingt noch heute in meinen Ohren nach.
Meine Schuldfreundin jedenfalls ließ die Aktenordner, die sie in Händen trug, einfach fallen, machte auf dem Absatz kehrt und entschwand aus dem Behandlungszimmer. Die gute Heike kann mich bei unseren regelmäßigen Klassentreffen immer noch nicht ansehen, ohne dabei kirschrot anzulaufen. Wir haben nie auch nur ein Wort über den Vorfall gewechselt.
Mit jener unverhofften Begegnung war meine Untersuchung beendet. Ich wurde zu den Messungen weitergereicht. Dort erwartete mich eine Arzthelferin, die ich mit meinen 190 Zentimetern um ganze zwei Köpfe überragte. Ich sollte mich unter die Messlatte für die Größenermittlung stellen. Die gute Dame versuchte, sich reckend und streckend, den Messschieber zu erreichen. Ihr Bemühen gipfelte darin, dass sie sich an mir hochzog, den Schieber fasste und mit Wucht daran zog. So donnerte sie ihn mir auf die Schädelplatte. Ich ging stöhnend in die Knie, und sie mit mir, da sie sich noch immer an mich klammerte. Eng umschlungen landeten wir auf dem Linoleumboden. Natürlich musste eine weitere Mitarbeiterin des Kreiswehrersatzamts exakt in diesem Augenblick den Raum betreten!
Ich zog das Unheil an diesem Tage magisch an.
»Störe ich gerade?«, grinste die Dame und verließ hell lachend das Zimmer.
Beim zweiten Anlauf kletterte die kleinwüchsige Arzthelferin auf einen Stuhl, und siehe da, das Messen klappte. Allerdings trug ich eine Beule und Kopfschmerzen von der Sache davon.
Weiter ging es mit dem Urintest. Eine mittelalte, resolute, ja geradewegs herrisch auftretende Mitarbeiterin reichte mir einen Becher mit den Worten: »Und ja bis zum Strich vollmachen!« Ein grässliches Zischen klang in jeder ihrer Silben mit. »Betrügen hat keinen Sinn! Ich habe euch über den Spiegel an der Decke immer im Blick! Also versucht es gar nicht erst!«
Es gab wohl Spezialisten, die Zuckerwürfel oder Essig in ihren Urin zu mischen versuchten, um das Ergebnis zu verfälschen, und dadurch auf eine Untauglichkeitsbescheinigung hofften. Mit dieser in der Tasche konnte man sich nämlich nicht nur am Wehrdienst vorbeimogeln, sondern gleich auch am Zivildienst.
Uns gegenüber den haltlosen Vorwurf vorzubringen, wir würden zu schummeln versuchen, empfand ich dennoch als unverschämt und so beschloss ich, die gute Dame beim Wort zu nehmen.
Ich machte den Becher also voll und zwar ganz voll bis zum Rand!
Die anderen zu Musternden sahen das und wollten natürlich nicht zurückstehen. Am Ende thronten zehn randvolle Urinprobenbecher auf der Ablage, allesamt schön handwarm. Die Becher waren wirklich, wirklich randvoll, aufgefüllt bis zur Oberkante.
Als wir daraufhin im Warteraum vor den Büros der Musterungskommission dem nächsten Programmpunkt harrten, vernahmen wir lautes Gezeter und Geschimpfe aus der Richtung, in der der Urinproberaum lag. Es musste unmöglich sein, unsere Proben zu bewegen, ohne dabei eine Sauerei zu veranstalten, und dies teilte die Leidtragende dem gesamten Gebäudetrakt mit.
Ein betagter Herr im Weißkittel taperte daraufhin in den Warteraum, nahm uns feixend in Augenschein und bat uns, auf weitere Späße zu verzichten. Wie sich herausstellte, war er der zuständige Oberarzt.
Wir wurden schließlich einzeln in das Zimmer der Musterungskommission gerufen, ein wahrlich einschüchterndes Zusammentreffen!
Ich fand mich in einem großen Raum wieder, ein Geruchsgemenge aus Reinigungsmitteln auf dem kalten Linoleumboden, Rasierwasser und Muff stieg mir in die Nase. Die Angehörigen der Kommission thronten, anders kann man es nicht sagen, auf einem erhöhten Podest hinter weißen Kantinentischen, deren Metallrahmen gräulich pulverbeschichtet waren, und schauten allesamt bedeutungsschwer auf mich herab. Hinter ihnen war die Fahne unserer Bundesrepublik samt Bundesadler über die Wand gespannt.
Ich kam mir in diesem Augenblick vor wie ein Wicht.
Der Vorsitzende fragte meine Personalien ab, ehe er das Urteil verkündete, das mehr als eindeutig ausfiel: Tauglichkeit, Termin zum Eignungstest folgt!
Ich durfte gehen.
Der Eignungstest fand kurze Zeit später in Stuttgart statt, genauer im Kreiswehrersatzamt auf dem Pragsattel. Die Prag ist ein Höhenrücken nördlich der Stuttgarter Innenstadt zwischen dem Höhenpark Killesberg und dem Rosensteinpark. Der im Westen an den Nordbahnhof und den Pragfriedhof grenzende Stadtteil trägt den Namen Auf der Prag und gehört zum Stadtbezirk Stuttgart-Nord. Wie ich erst Jahre später erfahren habe, ist der gesamte Pragsattel mit Bunkern unterhöhlt, unter dem Kreiswehrersatzamt soll sich sogar ein Tiefbunker mit der Kommunikationszentrale des damals in Stuttgart ansässigen Wehrbereichskommandos V befinden. Seltsam ist das schon, bin ich doch bereits ungezählte Male über die Prag gefahren, ohne je zu ahnen, was möglicherweise unter der Erde schlummert. Allgemein bekannt hingegen ist der Hochbunker aus dem Zweiten Weltkrieg, auf dem bis 2013 Werbung der Firma Bosch prangte, und der von den Stuttgartern daher auch als Bosch-Turm bezeichnet wurde und noch immer so bezeichnet wird.
Der Eignungstest, aufgeteilt in unterschiedliche Aufgaben, stellte für mich keine sonderliche Herausforderung dar, wartete dennoch mit einigen Überraschungen auf. So hieß es, ich sei in erhöhtem Maße begabt für die Flugzeugerkennung, auch das Technische und das Arbeiten in der Gruppe würden mir liegen. Mir stand in der Truppe ein breitgefächertes Einsatzspektrum offen. Ich aber blieb meinem Verwendungswunsch treu. Nun wartete ich ungeduldig auf die Einberufung, denn ich hatte eine gutbezahlte Stelle bei einer bekannten Maschinenbaufirma in Aussicht. Den Gesellenbrief hatte ich wie gesagt in der Tasche, außerdem meinen Führerschein. Jetzt fehlte nur noch der Wehrdienst! Dazu sei gesagt, dass es zu meiner Zeit üblich war, als männlicher Bewerber in Vorstellungsgesprächen zuvorderst auf den Wehrdienst angesprochen zu werden. Stand dieser noch aus, hieß es gleich: »Danke fürs Interesse, bitte melden Sie sich nach Ihrer Bundeswehrzeit wieder.«
Ich hatte mit dem Personalchef besagter Maschinenbaufirma zum Glück einen Deal aushandeln können. Er würde mir eine Stelle für die Dauer meines Wehrdienstes freihalten, wenn ich mich verpflichtete, diesen nur schnellstmöglich abzuleisten.
Folglich hieß es für mich, Papier schwarzzumachen und die Telefonleitungen zum Glühen zu bringen, bis ich die Leutchen schließlich soweit hatte, mich zeitnah einzuberufen. Die Geburtenschwäche meines Jahrgangs und die daraus resultierenden Personalengpässe halfen mir wohl bei meinem Vorhaben, darüber hinaus gab es zu meiner Zeit auch mehr Drückeberger und Verweigerer als üblich. Der Wehrdienst wurde daher auf 18 Monate angehoben, genau rechtzeitig für meinen Jahrgang!
Als mich die Einberufung endlich erreichte, geriet ich in helle Aufregung. Es ging los … mein Schicksal hieß Jägertruppe.
Am Tag meines Dienstbeginns setzte mich mein Vater vor dem Tor der Kaserne ab. Da stand ich nun, bewaffnet mit einer Sporttasche, meinen Papieren und einem mulmigen Gefühl in der Magengegend. Ein Kerl, groß, schlank, etwas schlaksig, mit wasserblauen Augen und einem kurzen, rotblonden Haarschopf, gesellte sich zu mir. Er war etwa in meinem Alter und sollte bald ein guter Freund werden. Wir begrüßten uns etwas zurückhaltend und stellten uns einander vor.
Ich erfuhr, dass er aus der Nähe von Ludwigsburg kam, aus einem kleinen Ort desselben Landkreises.
Sein Name war Frank Bässler.
Weitere Wehrpflichtige, zumeist blutjung und noch feucht hinter den Ohren – eine Beschreibung, die damals selbstredend auch auf mich zutraf – fanden sich bei uns ein, wir bildeten eine richtige Menschentraube. Der Soldat, der neben dem Schlagbaum stehend das Tor bewachte, erschien mir zunehmend nervös zu werden ob der großen Menschenansammlung vor der Kaserne. Es dauerte, ehe wir uns ein Herz fassten und ihm entgegenstrebten.
Was folgte, war das übliche Prozedere: die Begrüßung, das erste Essen in der Kantine, noch in Zivilklamotten und abschätzig begafft von den ganzen Uniformierten. Im Anschluss daran ging es zur Kleiderkammer. Der Herde folgend und lauthals von grimmigen Unterführern angetrieben, wurden wir vermessen und mit Uniformen und Material überhäuft, das wir schließlich zu den Unterkunftsgebäuden zu schleppen hatten. Dort angekommen, erfolgte durch ebenso lauthals kommunizierende Unterführer die Zuweisung der Stuben sowie die Einteilung, wer wo welches Bett bekam.
Freudig stellte ich fest, dass ich mit Frank eine Stube teilte. Da standen wir nun, sechs an der Zahl, darunter Frank und ich, und fanden uns in einem winzigen Raum wieder, zugestellt mit Holzspinden und Etagenbetten, von deren dünnen Stahlrohrgestellen der Lack abblätterte. In der Raummitte standen ein Tisch und sechs Stühle mit abgewetzten Sitzflächen, unter dem Fenster mit Einfachverglasung rostete ein uralter Heizkörper vor sich hin. Die Einrichtung der Stube als spartanisch zu bezeichnen, würde ihr eine Anerkennung zuteilwerden lassen, die ihr nicht zustand. Frank stellte gleich die Vermutung an, die Möbel würden noch von der Wehrmacht stammen. Zu seinem Glück hatte das keiner der Ausbilder gehört! Ich erinnerte mich an die alten Schwarzweißbilder aus Vaters Fotoalbum, die in seiner Stube aufgenommen worden waren; 25 Jahre waren diese Fotos nun alt. Und sie zeigten die gleiche Einrichtung, wie sie auch meine Stube schmückte – möglicherweise gar dieselbe.
Der erste Gedanke, der mir kam: »Sechs Fremde, eingepfercht in einem winzigen Raum. Kann das gutgehen?«
Ein Ausbilder wies mich freundlich brüllend an, die Namen der Stubenbelegschaft in die Belegungsliste einzutragen, die auf einem Klemmbrett befestigt an der Tür hing. Ich tat, wie mir geheißen, und trug ein: mich selbst: Hartmut Schober, denn der Esel nennt sich immer zuerst. Dann Frank Bässler. Als nächstes war da Paul Kramer, ein kleinwüchsiger Russlanddeutscher mit schwarzem Haarschopf, der seinen Wehrdienst bereits in der Sowjetunion bei der Schwarzmeerflotte abgeleistet hatte und danach in den Westen geflüchtet war. Er trat seinen Dienst bei der Bundeswehr mit der ehrbaren Absicht an, seiner neuen Heimat dienen zu wollen. Von der Wehrpflicht versprach er sich außerdem eine Verbesserung seiner Deutschkenntnisse.
Dann hatten wir Tasso Karasakis, ein 20-jähriger Tunichtgut mit deutscher Mutter und griechischem Vater. Er hatte keine Lust auf den Wehrdienst in den griechischen Streitkräften und hoffte darauf, beim Bund eine ruhige Kugel zu schieben. Tasso sollte bald den unrühmlichen Beinamen »Nillenkopf« erhalten, was auf seine bereits sehr ausgeprägte Halbglatze und eine seltsame, längliche Delle in der Mitte selbiger zurückzuführen war. Die buschige Seitenbehaarung an den Kopfseiten verlieh ihm ein geradezu groteskes Aussehen. Freilich sollte sie nicht lange so buschig bleiben. Tasso ist mit vor allem als jemand in Erinnerung geblieben, der sich leidenschaftlich über alles und jeden beschwert.
Bankwat Daechate, ein drahtiger kleiner Thaideutscher, war der nächste im Bunde. Seine deutsche Mutter hatte ein gewaltiges Theater veranstaltet, als sie ihn vor dem Kasernentor abgesetzt hatte, weshalb er mir da bereits aufgefallen war. Bei ihr handelte es sich um so eine Ökotante in Hippieblumenrock, Bauernbluse und mit Jesuslatschen an den Füßen, die, als versuchte sie krampfhaft jedes Klischee auszufüllen, eine zitronengelbe Ente fuhr. Leider war ihr Sohn so gar keine Leuchte und der schlimmste Chaot, den ich je erleben durfte. Er hatte den Wehrdienst zu verweigern versucht, war aber an der Kommission gescheitert – sehr zum Unmut seiner Mutter.
Schließlich war da noch Peter Riesch, aus dem nahen Schwarzwald stammend war er eine ganz ruhige Natur. Er hatte gehofft, als Fallschirmjäger nach Calw zu kommen, was für ihn einen kürzeren Heimweg bedeutet hätte. Peter hing an seinen Tieren und dem heimischen Bauernhof der Eltern, besonders Pferde hatten es ihm angetan.
Tja, das waren also wir sechs, die zu einer eingeschworenen Stubengemeinschaft heranwachsen sollten: die Stube 02. Noch empfand ich die Vorstellung als seltsam, mit diesen völlig fremden, schüchtern dreinblickenden Kerlen einen so winzigen Raum zu teilen. Ich gewöhnte mich schnell daran. Und wie wir bald feststellen durften, hatten wir alle sechs gnadenlos unterschätzt, was uns bevorstand.
Von meinen Familienangehörigen hatte ich mir stets sagen lassen, die Infanterie sei die »Königin der Waffen«. Es soll sogar ein gleichnamiges Lied geben.
Leider hatte meine verehrte Sippschaft unterschlagen, dass dies wohl ironisch gemeint war. Oder ich hatte die Ironie schlicht nicht registriert. Jedenfalls gab es zu meiner Zeit eine allgemeine Hierarchie bei der Bundeswehr, beginnend bei den Teilstreitkräften, und die funktionierte in etwa so:
Die Adligen zur See, bei der Marine,
Die Ritter der Lüfte, bei der Luftwaffe,
und die Dreckspatzen … ja, die kamen zum Heer.
Nun sollten wir ja auch noch Jäger werden, per Definition war damit die leichte Infanterie gemeint.
Die Jägertruppe blickte auf eine lange Tradition zurück, schon 1631 waren in der Landgrafschaft Hessen-Kassel aus Berufsjägern und Förstern Jägereinheiten gebildet worden. Unter König Friedrich II. von Preußen, auch Friedrich der Große genannt, wurden erstmals bedeutende Jägerverbände aufgestellt. Seine preußischen Truppen hatte sich auf ihren Kriegszügen immer wieder verirrt, weshalb er die zweit- und drittgeborenen Söhne von Jägern verpflichtete. Zu jener Zeit erlernten die Söhne noch den Beruf des Vaters, allerdings konnte in der Regel nur der Erstgeborene auch dessen Stelle übernehmen, die anderen gingen leer aus, was viele junge Männer ohne Zukunft und Perspektive hervorbrachte. Der Alte Fritz schlug also gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Die jungen Jägerssöhne durften sich in seiner Armee verdingen und wurden zu hochmotivierten Soldaten, die hervorragend schießen und sich auch in schwierigem Gelände zurechtzufinden vermochten, zudem war ihnen dadurch eine berufliche Perspektive gegeben.
Bei Waterloo nahmen preußische Jäger entscheidenden Anteil am Sieg über Napoleon. Aus dem Ersten Weltkrieg ist die Geschichte einer französischen Einheit bekannt, die meuterte, als in die ihr gegenüberliegenden Gräben württembergische Jäger einzogen. Die tödliche Präzision, mit der die Jägerkorps der deutschen Streitkräfte ihre Gewehre einzusetzen wussten, war den Soldaten der Entente wohlbekannt und spiegelte sich oftmals in deren Verlustzahlen wieder. Die französischen Offiziere jener Einheit jedenfalls mussten zehn ihrer Soldaten standrechtlich erschießen lassen, um die Ordnung wiederherzustellen.
Deutsche Jäger galten durch die Jahrhunderte hindurch als gut ausgebildete Soldaten, die sich zu einer wie ein Uhrwerk funktionierenden Truppe verschworen. Noch heute werden die Jäher häufig zur Elite einer Armee gezählt, und das nicht ganz zu Unrecht.
Sie gehören wie gesagt der Infanterie an. Und was ist das bevorzugte Fortbewegungsmittel der Infanterie?
Richtig!
Der Fußbus. Bedeutet: Marschieren, marschieren und nochmals marschieren, bis sich auf den Wasserblasen an den Füßen eigene Wasserblasen bilden, die wiederum eigene ausbilden. Wir sahen uns also mit der Ausbildung zum Jäger einer nicht zu unterschätzenden körperlichen Herausforderung gegenüber und ich scheue mich nicht zuzugeben, dass mich der knüppelharte Dienst manches Mal an die Grenzen meiner Belastbarkeit brachte.
Am nächsten Tag fingen gleich meine Probleme an. Nach einer unruhigen Nacht in neuer Umgebung mussten wir Rekruten in den frühen Morgenstunden in Uniform vor dem Block antreten. Es war stockdunkel, eine frische Brise wehte mir den Geruch von gemähtem Gras um die Nase, meine Augen waren noch halb geschlossen. Einem der Unteroffiziere, einem Kerl namens Hungbauer, fiel auf, dass ich nur Turnschuhe trug, er fuhr mich deswegen grob an. Ich antwortete, etwas eingeschüchtert ob der noch immer ungewohnten Art des Kommunizierens, dass ich noch keine Stiefel habe, weil meine Größe (47) nicht verfügbar gewesen sei. Meine Antwort stellte ihn zufrieden, und ich trug also einige Tage lang Sportschuhe zur steingrau-oliven Uniform.
Drei Tage später erhielt ich meine Kampfstiefel – und damit gleich das nächste Problem. Die Kleiderkammer hatte in meiner Größe nur braune Kampfstiefel auftreiben können – Altbestände eines früher im Einsatz befindlichen Stiefeltyps. In der Bw trug man Ende der 80er Jahre allerdings schwarz untenherum! So stand ich angetreten in einer Reihe mit meinen Kameraden, die allesamt schwarze Stiefel an den Füßen hatten. Meine braunen Treter fielen in der ansonsten einheitlichen Formation auf wie ein beleuchteter Christbaum, und riefen selbigen Uffz, der mich schon wegen der Turnschuhe angemault hatte, erneut auf den Plan. Er verpasste mir einen Einlauf, wie es im Soldatenjargon so schön heißt, was nichts anderes bedeutete, als dass er mich richtig zur Sau machte. Wie ich dazu komme, das schöne Bild seines Zuges durch meine braunen Stiefel zu zerstören, verlangte er Gift und Galle spuckend zu erfahren.
Ich hätte meine Stiefel seiner Ansicht nach wohl mit schwarzer Schuhcreme färben sollen! Was mir Wicht überhaupt einfalle, derart aus der Reihe zu tanzen. Zusammenstauchen wolle er mich, dass ich problemlos in eine Hutschachtel passen würde. Dass mir ein Seufzen entwich, schien ihn nur noch mehr anzustacheln. Er brüllte und tobte, dass Speichelfäden seinen Mund verließen und durch die Gegend spritzten. Ich wünschte mich fort, doch musste ich die Tiraden des Unteroffiziers über mich ergehen lassen. Als dieser sich endlich ausgetobt hatte, forderte er mich zu einer Antwort auf.
Sachlich legte ich ihm dar, dass ein Einfärben der Kampfstiefel das Leder und somit die Stiefel dauerhaft schädige und es mir ja verboten sei, Eigentum der Bundesrepublik Deutschland zu lädieren. Nun wusste ich, dass es früher durchaus üblich gewesen war, die Stiefel umzufärben, was regelmäßig zu einer riesigen Sauerei geführt hatte. Ich hoffte, dass der Uffz dies nicht wusste. Zu meiner Erleichterung war dem auch so. Irgendwie mussten ihm meine Ausführungen eingeleuchtet haben, jedenfalls beruhigte er sich. Ich sollte ihn daraufhin zum Spieß begleiten. Diesem durfte ich ein weiteres Mal die Sachlage erläutern, worauf er sich schwerfällig hinter seinem Schreibtisch erhob und uns bedeutete, ihm zum Kompaniechef zu folgen. Bei dieser Prozession von Büro zu Büro wuchs doch ein immer mulmigeres Gefühl in mir heran.
Den vierten Tag da und schon beim Kompaniechef vorreiten, na klasse!
Die Tür zu Major Stegers Büro stand weit offen. Der Spieß klopfte gegen den Rahmen und meldete uns. Es duftete nach Kaffee und Kuchen, die Wand hinter dem Schreibtisch war mit allerhand gerahmten Lehrgangszeugnissen und Gruppenfotos behangen. Auf dem Tisch waren demilitarisierte Patronen aller Kaliber zu bewundern. Steger selbst war ein stets ruhiger, besonnener, ja geradezu gemütlicher Mann mit einem gewaltigen Schnäuzer unter der Nase. Seine Erscheinung ließ mich unweigerlich an das Walross Antje vom NDR denken. Er besaß ferner die Gabe, Menschen mit seiner tiefen Stimme einzuschläfern, was wir Rekruten vor allem während der Chef-Unterrichte erleben durften. Immer wieder nickten einzelne ein, wenn Steger vortrug, und durften dann den Rest des Unterrichts im Stehen verbringen. Ich selbst habe den Herrn Major trotz allem niemals schreiend erlebt, selbst Zurechtweisungen trug er in manierlicher Lautstärke vor. Ich behalte ihn als einen fairen Offizier in Erinnerung, der stets ein Ohr für seine Untergebenen hatte.
Steger jedenfalls erhob sich, schlenderte um seinen Schreibtisch herum und begrüßte uns alle per Handschlag – sogar mich, den Rekruten, der in den Augen vieler Dienstgrade kein vollwertiger Mensch war.
Nun erzählte ich also auch noch einmal dem Kompaniechef die leidliche Geschichte von meinen braunen Stiefeln. Aus den Gesichtszügen des Majors glaubte ich ablesen zu können, konsterniert über den Umstand zu sein, dass man ihm mit derartigen Lappalien die Zeit stahl. Er musterte uns, einer nach dem anderen, und sagte in neutralem Tonfall: »Meine Herren, ich sehe da kein Problem. Sie stellen sich mit Ihren braunen Kampfstiefeln beim Antreten einfach in die hinterste Reihe, dann fällt das keinem auf. In der Kleiderkammer bestellen Sie sich braune Schuhcreme. Sie sind ohnehin sehr groß gewachsen und sollten hinten stehen.« Dann wandte er sich dem Unteroffizier zu und funkelte ihn finster an. »Warum haben Sie deshalb so einen Zirkus veranstaltet, Unteroffizier Hungbauer? Das hätte ich gerade von Ihnen nicht erwartet.«
Diese letzten beiden Sätze sollten mir noch einige Probleme bereiten …
Hungbauer blickte mich voller Hass und unterdrückter Wut an. Mir lief es eiskalt den Rücken runter, Chef und Spieß aber interessierten sich nicht weiter für uns, sondern plauschten bereits über das VfB-Spiel vom Wochenende.
Als Hungbauer uns abmeldete und mit mir aus dem Büro stapfte, war mir sonnenklar, dass ich von nun an einen Intimfeind hatte.
Die Schikanen ließen nicht lange auf sich warten. Uffz Hungbauer war als schlimmer Schleifer und Menschenschinder vor dem Herrn bekannt und gefürchtet. Immer musste er uns Rekruten einen Spruch drücken, an die Einprägsamsten erinnere ich mich noch immer:
»Überlassen Sie das Denken den Pferden, die haben einen größeren Schädel!«
»Wenn ich einen Befehl gebe, erledigen Sie das gefälligst im Laufschritt und zwar gestern!«
»Wenn ich das Marschieren im Gleichschritt befehle, dann bewegen Sie sich gefälligst völlig synchron zu Ihren Kameraden, Sie Schrägschenkel!«
»Mit euch Schlappschwänzen kann man nicht einmal einen Saustall stürmen!«
»Am Wochenende könnt ihr zentnerschwere Weiber stemmen, aber hier bekommt ihr nicht mal ein paar ordentliche Liegestütz hin. Mit euch lahmen Helden ist kein Staat zu machen!«
»Warum Sie Ihre Waffe mit einem Sack auf dem Kopf zerlegen und wieder zusammensetzen müssen, wollen Sie wissen? Sie sind nachts auf dem Gefechtsfeld unterwegs und der Russe lauert Ihnen auf. Ihre Waffe hat eine Störung! Was machen Sie? Ein Streichholz anzünden oder Ihre Taschenlampe einschalten? Dann sterben Sie umgehend an einer Bleivergiftung, Sie Flasche!«
»Ihr wollt Jäger werden? Ihr seid nur jämmerliche Karikaturen von Soldaten, der Alte Fritz würde bei eurem Anblick im Grabe rotieren!«.
Auf die Frage eines Nachzüglers, wie lange wir noch marschieren werden, hatte Hungbauer folgende Antwort parat: »Sie marschieren weiter, bis ich Ihnen sage, dass Sie nicht mehr zu marschieren haben! Wenn Gott gewollt hätte, dass Sie nicht marschieren, dann hätte er Ihnen Flügel geschenkt und Sie wären jetzt bei der Luftwaffe!«.
Nachzügler waren Kameraden, die einige Zeit nach uns eingerückt waren, also in der Regel Rekruten, die nicht zum Dienst erschienen waren und entsprechend von den Feldjägern hatten eingefangen werden müssen. Die Nachzügler, bei uns als Drückeberger verschrien, waren bei den Ausbildern natürlich besonders beliebt und wurden entsprechend mit dem Rundum-sorglos-Paket bedacht: Sonderdienste, besonders häufige Kontrollen der Ausrüstung, extra Formalausbildung und beim kleinsten Verstoß hagelte es Meldungen und Strafdienste aller Art. Natürlich trafen derlei Maßnahmen gelegentlich auch den Rest von uns. Hungbauer hatte mich ja im Auge, was leider nicht nur ich, sondern auch meine Stubenbelegschaft ausbaden durfte. Zum Glück nahmen mir die Kameraden das nicht übel; im Gegenteil, Hungbauer avancierte zum meistgehassten Unterführer der Rekrutenkompanie. Er trieb es ja nicht nur mit unserer Stube 02 so bunt, sondern ließ seinen Menschenhass an allen Mannschaftssoldaten aus.
Anfangs waren wir noch um ein gutes Verhältnis zu ihm bemüht. So bot ich ihm bei einer Geländeübung an einem heißen Sommertag meine Feldflasche an. Er nickte mir zu und nahm einen kräftigen Schluck, spuckte aber alles sofort wieder aus und fuhr mich an: »Wollen Sie mich vergiften? Das schmeckt ja wie Rattenpisse!«
Dabei hatte ich nur Posca in meine Feldflasche gefüllt, ein alter Soldatentrick zum Löschen des Durstes, den mir mein Großvater mitgegeben hatte.