Plötzlich hochbegabt -  - E-Book

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Beschreibung

Erzählungen aus dem Leben spät erkannter Hochbegabter

Rund um das Thema Hochbegabung existieren viele Klischees, nicht zuletzt befeuert durch die mediale Berichterstattung: Betroffene wären übermenschliche Superhirne, ausgestattet mit einer Vielzahl an verrückten Talenten, beruflich wie privat auf der Überholspur. Oder aber verschrobene, ewig missverstandene Eigenbrötler. »Plötzlich hochbegabt« vereint die Geschichten von Betroffenen, die erst im Erwachsenenalter von ihrer Hochbegabung erfuhren. Eine Erkenntnis, die viele Aspekte ihres bisherigen Lebens erklärte, aber nicht so, wie man denken möchte: Manche von ihnen treiben voller Tatendrang ein Projekt nach dem anderen voran, andere bringen selten eins zu Ende. Einige der Hochbegabten sind sehr starke Charaktere, andere wiederum sehr unsicher, die einen sozial engagiert, die anderen überaus freiheitsliebend, es sind Künstler dabei sowie Bodenständige.

Sie alle eint die Erfahrung, dass eine Hochbegabung nicht nur das Denken eines Menschen formt, sondern seine ganze Persönlichkeit. Und während sonst meist Psychologen zu Wort kommen, Lehrkräfte und Eltern, zeichnen die Protagonisten in »Plötzlich hochbegabt« ein bunteres Bild. Sie erzählen vom Wendepunkt ihres Lebens und liefern Antworten auf die nach einem positiven Mensa-Test aufkommenden Fragen. Aber vor allem wollen sie diejenigen, die einen solchen Test noch nicht in Erwägung gezogen haben, dazu ermutigen, genauer hinzuschauen: Denn du musst kein Genie sein, um hochbegabt zu sein.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 353

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Buch

Wenn wir das Wort hochbegabt hören, haben wir vielleicht Nobelpreisträger*innen, Wissenschaftler*innen, begnadete Künstler*innen, also besonders gebildete und erfolgreiche Menschen vor Augen. Doch die Vorstellungen von Hochbegabung beruhen oft auf Vorurteilen und genau darin liegt der Grund, dass viele Betroffene erst in der Lebensmitte von ihrem hohen IQ erfahren. In dieser Geschichten-Sammlung erzählen Hochbegabte davon, wie es sich anfühlt, immer ein wenig anders zu sein, und schließlich vom Wendepunkt, der diese Gefühle erklärt. Sie liefern Antworten auf die nach einem positiven Test aufkommenden Fragen und wollen Mut machen, genauer hinzusehen.

Herausgeber-Team

Anna Campagna wurde 1979 in Tübingen geboren und unterrichtet heute an einem Gymnasium bei Stuttgart. Sie hat drei Studienabschlüsse, einen verständnisvollen Ehemann und einen großen Garten. Immer auf der Suche nach neuen Impulsen, liebt sie das Reisen, Literatur und kulinarische Genüsse. Seit 2022 weiß sie um ihre Hochbegabung.

Stefan Giesberg hatte im Café in Duisburg die Idee, aus den vielen persönlichen Berichten auf der Mensa-E-Mail-Liste »Spät erkannt« gemeinsam dieses Buch zu erstellen. Er wurde 1974 geboren und lebt glücklich mit seiner Frau und den zwei besten Kindern, die er sich wünschen kann, im Ruhrpott. Dort verfolgt er die unterschiedlichsten Projekte, um seine Scanner-Persönlichkeit zufriedenzustellen. Seit 2022 weiß er, dass diese in einer Hochbegabung begründet liegt.

Ulrich Pieper, Jahrgang 1963, verheiratet, vier Kinder, Dipl.-Ing., darf sich seit über 30 Jahren im Projektmanagement eines europäischen Industrieunternehmens austoben. Er hat dabei eine ausgeprägte Leidenschaft für komplexe Aufgabenstellungen. »Plötzlich hochbegabt« nach einer Reha und einem Test im Jahr 2018, wurde er im April 2024 in den Vorstand von Mensa in Deutschland e. V. gewählt.

ANNACAMPAGNA

STEFANGIESBERG

ULRICHPIEPER

PLÖTZLICHHOCHBEGABT

Erst spät erkannte Hochbegabte erzählen ihre Geschichte

Unterstützt von Mensa in Deutschland e. V.

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden vom Herausgeber-Team, den Autorinnen und Autoren und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung des Herausgeber-Teams, der Autorinnen und Autoren beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.

Wir haben uns bemüht, alle Rechteinhaber ausfindig zu machen, verlagsüblich zu nennen und zu honorieren. Sollte uns dies im Einzelfall aufgrund der schlechten Quellenlage bedauerlicherweise einmal nicht möglich gewesen sein, werden wir begründete Ansprüche selbstverständlich erfüllen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Originalausgabe April 2025

Copyright © 2025: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)

Redaktion: Sabine E. Rasch

Umschlag: Uno Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: © FinePic®; München

Satz: Satzwerk Huber, Germering

Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

AR · CB

ISBN 978-3-641-32869-6V002

www.goldmann-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Entfesselt und selbst-bewusst leben

On fire

Wenn sich Türen unerwartet öffnen

Kintsugi

Austoben in der Welt der Projekte

Vom Gefühl, anders zu sein

Was? Ich? Hochbegabt?

In Spiralen

Eisblumen oder Blütenmeer?

2e – bipolar und hochbegabt

Jenseits der Norm

Neuflügler

Energizer Bunny

Erkannt unerkannt – unerkannt erkannt

Ich bin hochbegabt – und das ist auch gut so

Läuse und Flöhe gleichzeitig

Bekenntnisse eines Hochstaplers

Niemand versteht mich!

Das bunte Zebra

Wenn Zahlen eine Farbe haben

Ohren anlegen und durch

Weiblich, hochbegabt und von ADHS betroffen

Prinzessin auf der Erbse mit Elefantengedächtnis

Heimgekommen

Von der Freude, hochbegabt zu sein

Traut euch zum Test!

Früh erkannt – unerkannt – spät erkannt

ANHANG

Glossar

Hochbegabte Erwachsene: zwischen Vorurteil und Normalität

Was macht ein IQ-Test mit mir?

Adressen, Podcasts und Literaturempfehlungen

Das Projektteam

Vorwort

Wenn man das Adjektiv hochbegabt hört, denkt man vielleicht an Genies wie Michelangelo und Leonardo da Vinci oder an Wunderkinder wie Mozart. Vielleicht hat man auch laute und anstrengende Schüler vor Augen und deren hysterische Eltern, die sich ganz sicher sind, dass ihr Nachwuchs mindestens hochbegabt sein muss. So mancher verbindet mit hochbegabt Nobelpreisträger, Erfinder oder IT-Spezialisten, besonders erfolgreiche und gebildete Menschen, Wissenschaftler und Forscher oder begnadete Künstler. Oder aber man denkt an seltsame schräge Vögel, an Kopfmenschen, die zweifellos sehr gescheit sind, aber keine Beziehungen eingehen können und an alltäglichen Kleinigkeiten scheitern, einsam und isoliert leben. Solche Figuren wie Sheldon Cooper, den Protagonisten aus der beliebten amerikanischen Serie The Big Bang Theory, einen hochintelligenten, aber sozial wenig kompatiblen Nerd, der liebenswert ist und gleichzeitig belächelt und ein bisschen bemitleidet wird.

Tatsächlich konnten Studien zeigen, dass die Vorstellungen von Hochbegabung bei den meisten Menschen leider wenig Zwischentöne beinhaltet. Sie beruht auf vielen Stereotypen und vorgefertigten Meinungen, die zu einem beträchtlichen Teil davon geprägt sind, wie Hochbegabung in den Medien, allen voran Film und Fernsehen, lange Zeit präsentiert wurde und weiterhin wird. Diese zeichnen ein extremes, verzerrtes Bild davon, was Hochbegabung bedeutet und wer diese Menschen sind, die sich mit dem Adjektiv hochbegabt schmücken dürfen.

Es ist also unwahrscheinlich, dass Sie spontan an normale Menschen denken, wie an die Mitarbeiterin vom Sozialdienst der nahegelegenen Behindertenwerkstatt, den Sportlehrer des eigenen Sohnes oder die Bankkauffrau, die Sie neulich beraten hat.

Und vermutlich nehmen die wenigsten Menschen an, dass sie selbst hochbegabt sein könnten.

Den beschriebenen Vorstellungen und Meinungen möchten wir mit unserem Buch entgegenwirken. Deshalb lassen wir ganz normale hochbegabte Menschen zu Wort kommen, die aus ihrem Leben erzählen. Sie gehen überwiegend alltäglichen Berufen nach, arbeiten zum Beispiel im Sozialdienst oder als Sportlehrer und haben mit Sheldon Cooper meist wenig gemein.

Aber warum kann man sie überhaupt als hochbegabt bezeichnen, wo sie auf den ersten Blick doch so durchschnittlich erscheinen? Um diese Frage zu klären, ist es sinnvoll, zunächst einen Schritt zurückzutreten und aufzuzeigen, was Hochbegabung eigentlich bedeutet. In Zahlen gesagt spricht man üblicherweise dann von einer Hochbegabung, wenn eine Person in einer standardisierten IQ-Testung einen Wert von mindestens 130 Punkten erreicht. Da Intelligenz normalverteilt ist, beträgt der durchschnittliche IQ 100 Punkte. Der Normalbereich ist definiert als ein IQ-Wert zwischen 85 – 115 Punkten und wird von etwa 68 Prozent der Menschen erreicht. Je stärker ein Wert vom Durchschnitt abweicht, desto seltener ist er: Ein IQ-Wert von mindestens 130 Punkten oder höher, also eine Hochbegabung, liegt nur bei etwas mehr als 2 Prozent der Bevölkerung vor.

Was wenig klingt, ist auf der anderen Seite viel: Bei über 80 Millionen Menschen, die in Deutschland leben, kann man von ca. 1,6 Millionen Hochbegabten ausgehen. Das entspricht etwa der Einwohnerzahl der Stadt München, immerhin die drittgrößte Stadt des Landes. Statistisch gesehen sind bei jedem Fußballspiel im Berliner Olympiastadion um die 1500 hochbegabte Zuschauer zugegen, hat ein vollbesetzter ICE zwischen Hamburg und Stuttgart fast 20 hochbegabte Reisende an Bord und sitzt in jeder zweiten Schulklasse ein hochbegabtes Kind.

Und doch ist die Mehrzahl dieser Menschen unsichtbar und sich der eigenen Hochbegabung in vielen Fällen gar nicht bewusst.

Warum ist das so? Warum werden eine Menge hochbegabter Menschen nicht als solche erkannt? Wie kommt es, dass eine erwachsene Person plötzlich die Idee hat, einen IQ-Test zu absolvieren? Und welche Bedeutung kann der Erkenntnis, hochbegabt zu sein, beigemessen werden?

In dieser Anthologie präsentieren wir 27 autobiografische Texte verschiedener Autorinnen und Autoren, die alle über einen weit überdurchschnittlichen IQ verfügen, im Kindes- oder Jugendalter aber nicht als Hochbegabte identifiziert wurden. Sie alle haben erst als Erwachsene erfahren und bis zu ihrer Testung nicht gewusst, dass sie dem äußersten Rand des Intelligenzspektrums angehören. Sämtliche Autorinnen und Autoren sind Mitglieder des Hochbegabtenvereins Mensa in Deutschland e. V., der es sich zur Aufgabe gemacht hat, hochbegabte Menschen zu vernetzen.

Wer sind diese späterkannten Hochbegabten? Was zeichnet sie und ihre Leben aus? Die beschriebenen Werdegänge und Lebensentwürfe sind vielfältig und bunt – und mögen oftmals überraschend sein. Keiner von ihnen entspricht dem gängigen Klischee von Hochbegabung. Weder sind sie ausschließlich geniale Überflieger noch verschrobene Eigenbrötler. Es sind mitunter Menschen, die keine Berufsausbildung und keinen Studienabschluss erlangt haben, genauso wie Menschen, die gleich mehrere Ausbildungen oder Studienabschlüsse sammelten. Es sind Menschen, die voller Tatendrang ein Projekt nach dem anderen vorantreiben, und Menschen, die nie eins zu Ende bringen und immer wieder etwas Neues beginnen. Es sind eher unsichere und starke Persönlichkeiten, überdurchschnittlich sozial engagierte und freiheitsliebende Menschen, Ästhetiker wie Bodenständige, Familienmenschen und Alleinstehende.

Mit der Auswahl der Geschichten möchten wir das bunte Bild zeichnen, das Hochbegabung ausmacht, um den schwarz-weißen Stereotypen etwas entgegenzusetzen. Was dabei auffällt: Es sind deutlich mehr Texte von hochbegabten Frauen enthalten als von hochbegabten Männern. Das passt auf den ersten Blick nicht zur Verteilung von Hochbegabung unter den Geschlechtern, ihrer Teilnahme an Testungen und dem Mitgliederproporz bei Mensa. Zwar sind Männer und Frauen statistisch gesehen etwa gleich oft hochbegabt, doch werden in den meisten Ländern und auch in Deutschland deutlich mehr männliche Personen auf Hochbegabung getestet. Bei Kindern und Jugendlichen ist das Missverhältnis eklatant.

Dass in diesem Buch mehr weibliche Geschichten erzählt werden, liegt zum einen daran, dass Frauen häufiger später erkannt werden als Männer, zum anderen am Medium, das hier gewählt wurde. Das Schreiben von und über sich scheint einem weiblichen Bedürfnis näherzuliegen als einem männlichen.

Die zutiefst persönlichen Texte ersetzen also keine quantitativen Studien zum Thema Hochbegabung. Aber sie zeigen anschaulich, dass eine Hochbegabung nicht nur das Denken eines Menschen betrifft, sondern seine ganze Persönlichkeit: neben einer gesteigerten geistigen Aktivität auch die sinnliche Wahrnehmung, das Fühlen, Empfinden und Handeln, die ebenfalls von einer hohen Intensität geprägt sind. Immer wieder tritt Hochbegabung im Zusammenspiel mit anderen Besonderheiten auf, so sind beispielsweise sehr viele hochbegabte Menschen zugleich hochsensibel. Manche bringen neben der Hochbegabung eine Diagnose im Rahmen des Autismus-Spektrums, ADHS oder Legasthenie mit. Andere zählen zu den Synästhetikern, bei denen Wahrnehmungsmodalitäten wie Sehen und Hören verknüpft sind.

Unterschiedlich sind auch die Anlässe, die bei den einzelnen Autorinnen und Autoren zur IQ-Testung geführt haben. Manche wurden von Bekannten oder Experten angesprochen, andere erkannten nach der Testung ihrer Kinder, dass sie selbst betroffen sind. Bei nicht wenigen war eine persönliche Krise Ausgangspunkt dafür, sich verstärkt mit sich selbst auseinanderzusetzen und so auf die eigene Hochbegabung zu stoßen.

Was sie allerdings eint und was sich durch alle Geschichten zieht, ist ein schon lange vor der Testung verspürtes Empfinden, sich von anderen Menschen zu unterscheiden, ohne recht fassen zu können, warum oder worin eigentlich. Immer wieder wird geschildert, dass eine Diskrepanz zwischen dem eigenen Erleben und dem der Mitmenschen wahrgenommen wurde, das Gefühl, einem starken Anpassungsdruck ausgesetzt oder irgendwie falsch zu sein. Die Erkenntnis über die eigene Hochbegabung wurde daher von fast allen Autorinnen und Autoren als ein Wendepunkt in ihrem Leben erlebt, der es ihnen ermöglichte, neue Wege zu beschreiten. Ihre Texte geben vielfache Antworten auf die Fragen, die sie sich nach ihrer Testung stellen mussten:

Wie gehe ich damit um, dass ich plötzlich hochbegabt bin? Wäre mein Leben anders verlaufen, wenn ich früher davon erfahren hätte? Ändert die Erkenntnis etwas für mich und meine Zukunft?

Die Texte sind nur mit den Vornamen ihrer Verfasserinnen und Verfasser unterschrieben. Um sich und ihre Familien vor negativen Reaktionen zu schützen, wollten sie ihre Geschichten nicht unter Preisgabe ihres vollen Namens veröffentlichen. Hier zeigt sich, wie groß die Angst vor Stigmatisierung bei vielen Betroffenen weiterhin ist.

Dass diese Anthologie entstehen konnte, ist der Verdienst einer Vielzahl von Personen, die sich durch den Verein Mensa in Deutschland e. V. finden konnten.

Auslöser war eine Frage von Martin Wunderlich im April 2023 auf der Mensa-Mailing-Liste von Spät erkannten Hochbegabten. Er hatte gerade ein Interview mit der Psychologin und Begabungsforscherin Frau Prof. Dr. Tanja Gabriele Baudson in der Zeit gelesen und war dabei über die Aussage gestolpert, dass Hochbegabte in der zweiten Hälfte des Berufslebens häufig noch einmal in Aufbruchstimmung gerieten. Eine Studie aus Österreich zeige, dass viele Hochbegabte ab dem fünften Lebensjahrzehnt den Drang verspürten, etwas Bleibendes zu hinterlassen. Martin hatte seit einigen Jahren genau dieses Bedürfnis und fragte sich, ob es anderen ebenso erginge. Eine Flut von Mails brachte innerhalb kurzer Zeit viele tolle Geschichten zu Tage.

Stefan Giesberg, einer der Herausgeber des vorliegenden Bandes, hatte diese Mails gesehen und die Idee, die unterschiedlichen Lebensgeschichten zu sammeln und daraus ein gemeinsames Buch zu erstellen. Zu diesem Zeitpunkt war Ulrich Pieper, der zweite Herausgeber, bereits erfolgreich mit seiner eigenen Geschichte auf der Suche nach Sponsoren, Investoren und Multiplikatoren unterwegs, er übernahm die Leitung des so geborenen Buchprojektes. Die dritte Herausgeberin, Anna Campagna, leitete die interne Redaktion, welche die eingereichten Texte sichtete, formulierte Überarbeitungsvorschläge und verfasste konstruktive Rückmeldungen.

Zur Entstehung des Buchs maßgeblich beigetragen haben viele weitere Personen, denen an dieser Stelle der Dank ausgesprochen werden soll. Marc-Michel Münch leistete zu Beginn Pionierarbeit und erstellte die ersten Strukturen und Mailinglisten. Mit großem Einsatz und zeitlichem Engagement trieben die weiteren Mitglieder des Projekt-Orga-Teams, Heike Dannenberg und Manuela Novak, zu Beginn auch Onno Fridrich und Uwe Linke, die Planung und den Verlauf voran und begleiteten das Projekt. Hervorzuheben ist außerdem das großartige Design-Konzept, das ein Vereinsmitglied für das Buch entworfen hat. Vielen Dank dafür!

Bedanken möchten wir uns ebenfalls bei unserem Verein Mensa in Deutschland e. V.

Der Verein möchte mit diesem Buch die Wahrnehmung von Hochbegabung intern und extern verändern und die Hochbegabung besser positionieren. Alle, die an diesem Projekt beteiligt waren, hoffen darauf, mit dem nun vorliegenden Buch und den persönlichen Geschichten einen Beitrag dazu geleistet zu haben. Herzlichen Dank sagen wir Claus Melder, Sandra Hartl und Sybille Beyer für die Unterstützung des Buchprojektes. Prof. Dr. Tanja Gabriele Baudson und Christina Condon haben es fachlich eingerahmt. Dafür gilt ihnen ein ganz besonderer Dank.

Für die tatkräftige Mitarbeit in unserem internen Redaktionsteam möchten wir uns bedanken bei Brunhilde, Christina, Elke, Heike, Manuela, Maria, Petra, Ralf, Sabine, Sarah und Ute.

Last but not least danken wir allen Autorinnen und Autoren, die ihre Geschichte aufgeschrieben und uns ihr Vertrauen entgegengebracht haben. Ohne euch und euren Mut würde es dieses Buch nicht geben: Ihr seid großartig!

Wenn es uns möglich gewesen wäre, hätten wir gerne alle eingereichten Beiträge hier abgedruckt. Wer noch mehr Geschichten und die Menschen dahinter kennenlernen möchte, kann einige weitere Texte auf der Webseite www.penguin.de/ploetzlich-hochbegabt oder über den unten abgebildeten QR-Code finden.

Das Herausgeber-Team wünscht Ihnen spannende Einblicke in die Welt der Hochbegabten, vielleicht erkennt der eine oder andere sich ja auch selbst in diesen Lebensgeschichten wieder.

Viel Spaß wünschen

Anna, Stefan und Ulli

Entfesselt und selbst-bewusst leben

Heike, geb. 1970

Ja, Sie haben eine intellektuelle Hochbegabung!

Das, was ich seit über einem Jahr im Kopf mit mir herumtrug, mich nicht traute, überprüfen zu lassen, war nun Realität geworden. Mehrmals hatte ich die Terminliste von Mensa vor Augen, zögerte, mich zum Test anzumelden. Letztendlich suchte ich eine Spezialistin auf und vereinbarte einen Termin zur Einzeltestung. Ich wollte ganz sicher sein, dass das aus mir rausgeholt wird, was wirklich da ist. Es deutete viel darauf hin, aber glauben wollte ich es nicht. Ausgerechnet ich? Ja, ich wollte endlich Gewissheit haben und nicht mehr hadern, ob Ja oder Nein. Der Gehirnspuk sollte ein Ende haben!

Exakt vier Monate vor meinem 51. Geburtstag bekamen die Wechseljahre für mich somit eine ganz neue Bedeutung. Irgendwie tickte ich ja anders als viele andere, eckte immer mal wieder an und ging oft außergewöhnliche Wege, abseits der Norm. Jetzt hatte ich die Erklärung – und es tat gut! Nun wusste ich, dass ich richtig ticke – nur eben ein wenig anders als 98 Prozent der Bevölkerung. Und dass ich so ticken darf, wie ich ticke. Aber bis zu dieser Erkenntnis dauerte es noch.

Es war im Dezember 2019, als mir eine Bekannte erneut den Hinweis gab, dass sie glaubte, bei mir würde eine Hochbegabung vorliegen. Sie hatte es einige Monate vorher schon einmal erwähnt, damals wischte ich es lachend beiseite: Ich mit meiner Abi-Note von 2,8? Ne, ganz sicher nicht! Ich war gefangen in dem klassischen Klischee, dass Hochbegabte Leuchten in der Schule sind. Mich sah ich eher in Gesellschaft der dunkelsten Kerzen auf der Torte. Nach diesem erneuten Hinweis konnte ich es nicht mehr ignorieren, denn die Bekannte nannte mir Merkmale, die mich stutzig machten, wie zum Beispiel das Anecken in Teams – genau das beschäftigte mich zu dieser Zeit sehr. In meinem Weihnachtsurlaub hatte ich die Muße, mich in das Thema einzulesen. Schnell war aus dem Schmierzettel, auf dem ich mir meine Auffälligkeiten notierte, eine Datei im Laptop geworden, die immer länger wurde. Ich las im Internet alles, was ich fand, hörte mir bei der Hausarbeit Podcasts über Hochbegabung an, las in den folgenden Tagen zwei Bücher. Meine Datei füllte sich, es entstanden Unterkategorien – Kindheit, Jugend, Familie, Beruf usw. Mir fiel unendlich viel ein, aber ich fand auch immer Gegenargumente.

Nach über einem Jahr wollte ich Gewissheit. Grund war auch die fortschreitende Demenz meiner Mutter. Ich wollte ihr ihre Wahrnehmung, dass ich so anders sei als meine beiden Schwestern, bestätigen und begründen können, bevor sie es nicht mehr realisieren konnte. Genau genommen war das für mich der größte Antrieb. Dich müssen sie in der Klinik vertauscht haben, du bist so anders als deine Schwestern. Mit ihrer Bemerkung in meiner Kindheit gab sie mir die notwendige Entscheidungskraft. Dafür bin ich ihr unendlich dankbar.

Im März 2021 hatte ich die Diagnose eine Woche nach dem Test schwarz auf weiß im Briefkasten. Realisiert hatte ich es immer noch nicht und anstatt mich zu freuen, fiel ich erst mal in eine Art Schockstarre. Nur mein Partner und meine engste Freundin erfuhren das Ergebnis. Das waren auch die Einzigen, die von dem Test wussten.

In den folgenden Wochen fuhren meine Gefühle mit mir Achterbahn: Ich war wütend, weil es nicht schon in der Kindheit erkannt wurde, war traurig über mögliche verpasste Chancen, war glücklich, dass ich nun wusste, warum ich mich doch immer mal irgendwie anders, nicht dazugehörig, fühlte. Eigentlich fand ich mich ganz normal – sollte ich wirklich hochbegabt sein? Vielleicht war es ein Irrtum! Ich begann, in meinen Erinnerungen und meiner Datei im Laptop zu suchen. Was war anders, was war typisch hochbegabt? Ich fing wieder von vorne an. Jetzt, wo ich es wusste, musste ich es erst noch begreifen.

Ich kramte in meinen Erinnerungen: Als mittlere von drei Schwestern lief ich immer so mit, das typische Sandwich-Kind eben. Aber ich machte mir nie etwas daraus, ich fand viele Sachen interessanter, als die erste Geige zu spielen. Ich hatte immer irgendwas zu tun, Langeweile kannte ich nicht. Meine Mutter sagte einige Monate vor dem Test auf meine Frage, was mich von meinen Schwestern unterschied: Du warst ein braves Baby, die anderen haben viel mehr geschrien. Und du hast dich bei Spaziergängen für alles am Wegesrand interessiert, bist immer hinter uns hergelaufen, weil du so viel geguckt hast. Alles wolltest du ganz genau ergründen. Und so bin ich auch heute noch – alles muss ich tief erforschen. Die detaillierte Wahrnehmung und Tiefenergründung, die Hochbegabte unter anderem kennzeichnet, kann ich nicht leugnen, sie begegnet mir immer wieder.

Meine Schulzeit war klassisch normal. Da ich ein Kann-Kind war, musste ich einen Reifetest machen. Den bestand ich und durfte mit gerade sechs in die Schule. Als ich lesen konnte, verschlang ich ein Buch nach dem anderen. Ansonsten habe ich gerne sehr kreativ gebastelt, was meinen Vater, der Ingenieur ist, faszinierte. Aus allem habe ich immer irgendwas zusammengeklebt oder gebaut – mein kreativer Kopf gab meinen Händen stets was zu tun. Ich sah leidenschaftlich gerne Filme über Entwicklungshilfe und bewunderte die Kinder für ihr kreatives Spielen mit einfachen Dingen.

In den ersten zwei Jahren in der weiterführenden Ganztagsschule verbrachte ich die Mittagspausen in der Bibliothek und nicht bei den anderen Klassenkameraden. Heike integriert sich nicht in die Klassengemeinschaft, stand mal in einem Zeugnis. Ich fand das aber okay, lieber las ich Abenteuerromane, als mit den anderen Schülern zusammen zu sein. Nach der Schule ging ich oft in die Stadtbücherei. Bücher lesen, war mein Haupthobby. Mit zehn Jahren las ich Arztromane für Frauen, da mich Medizin interessierte. Zu meinem 13. Geburtstag wünschte ich mir einen Medizinatlas, den ich von meinen Eltern auch bekam und nicht mehr aus der Hand legte.

Mit acht Jahren fing ich mit der Fotografie an, arbeitete mich von Polaroid über Pocket zur Kleinbildkamera meines verstorbenen Opas vor, was mich riesig stolz machte, diese mit elf Jahren nutzen und besitzen zu dürfen. Unsere Heimtiere waren für mich ebenfalls wichtig – den Wellensittich meiner älteren Schwester versorgte ich mit acht Jahren alleine, da sie oft andere Interessen hatte. Freundinnen hatte ich auch, mit denen ich spielte oder etwas unternahm. In der Schule war ich Durchschnittsschülerin, in der Grundschule waren meine beiden Schwestern besser als ich. Ich war ein Träumerchen, das gerne zur Schule ging und brav Hausaufgaben machte – lernen war mir aber ein Fremdwort. Es funktionierte ja auch ohne, um durchzukommen. Erst in der 8. Klasse kapierte ich, dass ich etwas tun musste. Ab da las ich mir vor Klassenarbeiten den Stoff abends nochmal durch – mehr wollte ich nicht machen. So kam ich weiterhin durch, wenn auch nicht mit Glanzleistungen. Aber auf die legte ich ja gar keinen Wert. Da ich in der 10. Klasse noch nicht wusste, welchen Beruf ich lernen wollte, beschloss ich, einfach weiter in die Schule zu gehen. Weil ich aber Gesamtschulschülerin war, musste ich einen Eignungstest für die Oberstufe machen. Das Ergebnis entsetzte mich: Meine Stärken sollten in Mathe, Physik und Chemie liegen. Mein Vater bekam Sternchen in den Augen, ich war geschockt. Vor Chemie drückte ich mich, wo ich konnte, weil ich es nicht verstand, Physik wollte ich nach der 11. Klasse abwählen, da es mich nicht interessierte. Mathe fand ich ganz okay und hätte es auch beinahe als Leistungsfach genommen, entschied mich dann aber für Deutsch, Bio und Kunst, mit denen ich das Abi mit einem Schnitt von 2,8 erreichte.

Während der Oberstufenzeit beschäftigte ich mich intensiv mit Lerntechniken, da ich so wenig wie möglich für ein gutes Ergebnis investieren wollte. Ich hatte viel zu viele andere Interessen, als dass ich Zeit mit dem Lernen von Stoff verbringen wollte, der mich nicht interessierte. In dieser Zeit machte ich auch mal zwei IQ-Tests, die ich mir als Buch besorgte – einmal kam ein IQ von 137 raus, einmal einer von 146. Ich beschloss, dass das ein Irrtum sein müsse, schmiss die Bücher weg und vergaß den Quatsch über drei Jahrzehnte lang.

Da ich immer noch keine Ahnung hatte, wohin mich mein beruflicher Weg führen sollte, und ich erst mal vom Lernen und von Prüfungen genug hatte, machte ich nach dem Abi ein Jahrespraktikum in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Ich wurde dort sehr herzlich aufgenommen und bekam viel Selbstbestätigung. Die Arbeit mit den beeinträchtigten Menschen machte mir großen Spaß und ich wollte alles darüber wissen. Vom Fachdienstleiter lieh ich mir Fachzeitschriften aus, zusätzlich kaufte ich mir zwei Fachbücher. Für mich war das völlig normal – in meiner beruflichen Laufbahn begegnete mir selbst allerdings nie eine solch wissbegierige Praktikantin!

Leider war mein Abi-Schnitt für ein Psychologiestudium, das mich nun interessierte, nicht ausreichend und so studierte ich Sozialwesen. Ich fand es klasse, fast nur Fächer zu haben, die mich fesselten. Ja, ich musste lernen, aber es machte mir Spaß und ich hatte Lieblingsfächer, bei denen ich mir den Stoff sofort merkte. Die Klausuren bestand ich alle, auch wenn ich mein Versagen ständig vor Augen hatte. Überhaupt hatte ich immer Angst zu scheitern. Mit meiner Diplomarbeit begann ich zwei Monate vor dem Start – sicher ist sicher. Das wissenschaftliche Arbeiten bereitete mir Freude und zu diesem Zeitpunkt konnte ich mir – nach drei Monaten Ferienjob in der Neurologie unseres Krankenhauses – auch einen Computer mit Drucker leisten, was damals nicht selbstverständlich war. Ich recherchierte, las Literatur, führte Interviews – und klimperte alles in den Computer. Meine Diplomarbeit hatte 50 Prozent Überlänge, aber ich wollte nichts kürzen. Mit 1,75 wurde sie bewertet und mein Professor meinte, er hätte selten eine Arbeit mit so wenigen Tipp- bzw. Rechtschreibfehlern bekommen, er hätte nur drei gefunden. Und ich ärgerte mich, dass ich diese übersehen hatte! Einer Kommilitonin gab er eine Drei für ihre Arbeit – ich konnte es nicht fassen, da ich ihr mehr zutraute. Vermutlich hatte er bei mir nur einen ausgesprochen guten Tag gehabt.

Mein Lebensweg war also normal: Durchschnittsabi, Studium Sozialwesen, Diplom mit 24 Jahren, Job. Mit 29 Jahren bekam ich meinen immer angepeilten Traumjob im Sozialdienst einer Werkstatt für behinderte Menschen. Endlich konnte ich das machen, was ich wollte – in der Beratung für behinderte Menschen tätig sein. Ein Job, der mich vor immer neue Herausforderungen stellte und viel Abwechslung bot. Mittlerweile glaube ich, dass dies der Grund ist, warum ich keinen Bruch in meiner Berufsbiografie habe, wie es für viele Hochbegabte typisch ist. Auch wenn ich aus meinem Job manchmal gerne ausbrechen würde – es ist die ebenfalls vorhandene Routine, die mich gerne mal in die Prokrastination führt. Manche Aufgaben muss ich mir wirklich schönreden, damit ich sie erledige. Beides ist typisch für Hochbegabung.

Den Traumjob hatte ich, aber meine Partnerschaften endeten immer nach einigen Jahren. Meine Singlezeiten dazwischen genoss ich sehr.

Mit 41 Jahren traf ich einen Bekannten aus Abi-Zeiten wieder, es funkte sofort zwischen uns. Ich war fasziniert von ihm, da ich plötzlich Gespräche auf einer Ebene und in einer Tiefe führen konnte, wie ich es noch nie erlebt hatte. Dass er, den ich als komischen Typen von damals im Gedächtnis hatte, der Joker meines Lebens werden würde und ich auch für seins, ahnten wir damals noch nicht. Seine fünf Kinder gehörten fortan zu meinem Leben wie ich zu ihrem und ich unterstützte meinen Partner bei allem: Laternenumzüge, Schulfeste, Elternabende – ich war überall dabei und genoss es, da mir eigene Kinder leider verwehrt blieben.

Bei unserem Jüngsten wurde wenige Jahre nach unserem Zusammenfinden Asperger-Autismus diagnostiziert. Dass ich mir eine besondere Familie an Land gezogen hatte, war mir ja schnell klar gewesen, aber woran das lag, kam erst mit dieser und weiteren Diagnosen zum Vorschein. Denn von fünf Kindern sind drei Asperger-Autisten – und auch mein Partner! Der komische Typ von damals … Jetzt war das alles logisch und passte ins System.

Ich verschlang ein Buch nach dem anderen über das Asperger-Syndrom, recherchierte im Internet, besuchte gemeinsam mit meinem Partner Vorträge und lernte so auch die Frau kennen, die mir den Hinweis gab, hochbegabt zu sein. Eine große Unterstützung bei der Realisierung meiner Hochbegabung war mein drei Jahre älterer Partner, der, genau wie ich, im Alter von 50 Jahren erfahren hatte, warum er sich oft anders gefühlt hat. Wir waren also nicht nur unsere gegenseitigen Joker, sondern hatten eine besondere Gemeinsamkeit. Er gab mir immer wieder Hinweise, woran er bei mir die Hochbegabung erkannte, und so konnte ich es zunehmend besser annehmen. Ich begriff, dass ich für andere manchmal eine Überforderung mit meinem schnellen und komplexen Denken darstelle und dadurch tatsächlich anders bin.

Drei Monate nach dem Test hatte ich mich aus der Schockstarre gelöst. Ich erlaubte mir, vorsichtig so zu sein, wie ich bin. Dass dies bislang anders gewesen war, wurde mir aber erst viel später bewusst. Ich wurde Mitglied bei Mensa, nahm am Stammtisch teil und hatte das Gefühl, mich nicht erklären zu müssen. Ich abonnierte die Mailinglisten des Vereins, die mich thematisch interessierten. Der Gedankenaustausch beflügelte mich. Mein Selbstbewusstsein bekam einen richtigen Schub, ich wurde mir meiner selbst nun erst so richtig bewusst. Viele Situationen in der Vergangenheit konnte ich nun anders einordnen.

Meine Mutter hatte vermutlich unbewusst meine Hochbegabung erkannt, weil sie mich anders als meine Schwestern wahrnahm. Mein Vater sagte immer, dass er drei Töchter habe: Eine fange viel an und mache nichts fertig, eine fange erst gar nichts an und eine ziehe immer alles durch, was sie anfing – und das sei ich. Letzteres ist typisch für Hochbegabung – nur nicht aufgeben!

Es kostete mich viel Überwindung, meinen Eltern das Testergebnis mitzuteilen. Mein Vater war geschockt, sagte betroffen: Das haben wir nicht geahnt! Ich mache ihm keine Vorwürfe, die 70er waren nicht die Jahre, um eine Hochbegabung zu erkennen. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass er die genetische Verantwortlichkeit trägt und deshalb viele meiner Verhaltensweisen schon immer für völlig normal gehalten hat, sich eher freute, dass ich ihm so ähnlich bin.

Ich war immer stolz darauf, ostpreußischer Abstammung zu sein. Mein Vater, sein Bruder, meine Oma – sie verkörperten für mich Ehrgeiz und Zielstrebigkeit. Mittlerweile erkenne ich aber die tatsächliche Ursache, da Hochbegabung vererbt wird. Manchmal wird auch eine Generation übersprungen. Meine Verursacher habe ich jedoch zweifelsfrei identifiziert. Mit meiner Oma väterlicherseits habe ich stundenlang über ihre Flucht aus Ostpreußen im Zweiten Weltkrieg reden können – Tränen hatten wir dabei beide in den Augen. Geschichte und Politik waren immer unsere Themen – und unsere gemeinsame Liebe zu Tieren und zur Natur. Menschen durchschaute Oma sofort, Zusammenhänge kombinierte sie blitzschnell, Ehrlichkeit und Direktheit waren typisch für sie, außerdem war sie eine Einzelgängerin.

Es heißt ja, dass Hochbegabte sich erkennen. Ich glaube, dieser Kanal funktioniert bei mir nicht. Nur ein Mal kam der große Knall – ich durfte endlich den Vater meines Partners kennenlernen, der weit weg von uns wohnt. Mein Partner bereitete mich gründlich vor. Ich war sehr gespannt! Am Tag X stand vor mir ein alter Mann mit einer unendlichen Güte und Wärme in seinen blauen Augen, die mich herzlich anstrahlten. Sein Hobby, Segelschiffe als Modell nachbauen – alles selbst errechnet und konstruiert –, faszinierte mich. Er führte mich durch seine Werkstatt, ein kreativer Ort der Ruhe, in dem ich mich Stunden hätte aufhalten können. Ein Schiff stand halbfertig an der Seite: Da habe ich mich verrechnet, das wird nix mehr! Der Perfektionismus – ich konnte ihn verstehen. Auch bei mir werden Dinge, deren Weg bereits von Unperfektionismus geprägt ist, nicht mehr vollendet – es ist Zeitverschwendung!

Ich war direkt schockverliebt in diesen interessanten Zeitgenossen, wir waren sofort auf einer Wellenlänge. Und beim nächsten Treffen verbrachten wir noch mehr Zeit in seiner Werkstatt.

Ich habe übrigens – auch nachdem ich die Gewissheit hatte – nie das Gefühl, schlauer als andere zu sein. Vermutlich liegt das daran, weil wir schlau bzw. intelligent immer mit hohem Allgemeinwissen gleichsetzen. Das ist es aber nicht. Es sind die vielen feinen Antennen, die uns ein Vielfaches gleichzeitig wahrnehmen lassen, was wir sekundenschnell mit Aktuellem und Vergangenem verknüpfen, und uns so zu weiteren Erkenntnissen führen. In viel größerem Ausmaß, als das scheinbar bei 98 Prozent der Bevölkerung der Fall ist.

Mein Schlüsselerlebnis, bei dem ich mir sicher sein durfte, hochbegabt zu sein, bescherten mir ein Jahr nach dem Test zwei meiner Praktikantinnen bei der Arbeit. Für die Schule hatten sie eine Gleichung zu lösen und kamen nicht weiter. Erst waren sie bei meinem Chef (Betriebswirt), dann bei unserem Qualitätsmanagementbeauftragten (ebenfalls Betriebswirt) und zuletzt bei meinen beiden Kollegen, wie ich Sozis. Alles studierte Leute, alle wehrten ab. Gackernd und hoffend, dass es bei mir vielleicht gelingen könnte, standen sie in der Bürotür. Gemäß meinem Motto Aufgeben ist die letzte Option – das sich wie ein roter Faden durch mein Leben zieht – habe ich reagiert. Obwohl ich keine Ahnung mehr hatte, wie man Gleichungen löst, nahm ich die Herausforderung an, knobelte kurz ein bisschen rum, und es sah richtig gut aus. Am nächsten Morgen kam die versprochene Mail von den Schülerinnen: Es hat alles gestimmt, Sie sind super! Jetzt hatte ich den Vergleich zu anderen und konnte die Hochbegabung annehmen!

Was hat sich seitdem geändert? Ich bin mir meiner so richtig bewusst geworden. Ich traue mir viel mehr zu, da ich erkannt habe, dass ich mich nicht verstecken muss. Meine Unsicherheiten, die ja völlig unbegründet sind, lege ich mehr und mehr ab. Ich werde zunehmend mutig und selbstbewusst. Und ich arbeite an dem Glaubenssatz, der mich mein halbes Leben lang begleitet hat: Dafür bist du noch zu klein – lass das deine große Schwester machen! Dieser Satz – oft gesagt von Eltern, Omas und Opas – zeigt mir auch im Nachhinein, dass ich vermutlich immer viel probieren wollte, aber ausgebremst wurde, möglicherweise weil es nicht alters- oder geschlechtsentsprechend war.

Ich habe auch andere Diagnosen aus meinem Leben gestrichen. In der Schule hatte ich oft das Gefühl, dass ich etwas nicht verstand – das zog sich bis in mein spätes Erwachsenenleben. Der Verdacht auf eine gut geförderte Lernbehinderung ploppte bei mir immer wieder auf – aber ich war schlauer, als ich dachte. Hier gilt bei mir das, was andere Hochbegabte feststellen: Leichtes fällt schwer, Schweres fällt leicht! Die Pointe von Witzen zum Beispiel verstehe ich meist nicht, sie sind mir einfach zu primitiv. Erzähle ich aber mal einen, den ich richtig gut finde, lacht keiner.

Auch wenn ich meinen Lebensweg bis zum Test ganz normal fand, nahm ich mich doch oft anders wahr als andere. Da ich immer irgendwas zu tun haben musste und häufig Renovierungsprojekte im Haus hatte, äußerte eine Freundin über mich mal: Unglaublich, du musst immer ein Projekt haben, kommst nicht zur Ruhe. Jetzt weiß ich, dass dies das hohe Energielevel ist, das mit einer Hochbegabung einhergeht. Während andere sich bereits die Ruhe vom Arbeitstag gönnen, kann ein Hochbegabter ein wenig weiter wirken. So war ich eine Zeit lang der Meinung, eine anankastische Persönlichkeitsstörung zu haben, weil ich Ordnung liebe, alles perfekt machen möchte und schnell an mir zweifele. Durch das Wissen über die Hochbegabung sehe ich das nun von einer neuen Seite: Meine Ordnung gibt mir die Struktur in einer für mich äußerst vielfältigen Welt, die durch den Forscherdrang bis ins Detail ergründet werden muss. Der Perfektionismus ist ein Teil der Hochbegabung und das Zweifeln logischerweise das Ergebnis der späten Erkennung. Wenn möglich, hatte ich mich immer in die letzte Reihe gestellt, weil ich mir nichts zutraute. Das hat sich geändert – ich mische nun vorne selbstbewusst mit!

Auch ADHS konnte ich nun beruhigt streichen, denn das, was ich als Unkonzentriertheit deutete, ist nichts anderes als das vorauseilende Denken, das ein Teil der Hochbegabung ist. In der Auseinandersetzung mit der Hochbegabung wurde mir bewusst, dass das vorauseilende Denken bei mir recht extrem ausgeprägt ist. Ein Stichwort in einer Sitzung reicht und mein Gehirn wandert weiter, weit weg von dem, was gerade besprochen wird.

Mir wurde nach dem Test auch klar, warum ich mich alleine so wohl fühle, gerne nur mit mir bin. Andere Menschen bedeuten für mich immer Anstrengung. Weil ich mich dann ja doch irgendwie anpasse.

Ich weiß nun, warum ich anders als meine beiden Schwestern bin, und fühle mich nicht mehr ausgegrenzt, wenn sie sich ohne mich verabreden oder ich keinen Spaß an ihrem Tun habe.

Seit ich mich so sein lasse, wie ich bin, hole ich alles nach, was ich bereits längst hätte tun können: Ich sauge Wissen regelrecht in mich auf. Schon vor der Realisierung der Hochbegabung interessierte ich mich für vieles und meist las ich zu einem Sachverhalt nicht nur ein Fachbuch. Jetzt aber erweitere ich meinen Radius, zum Beispiel auf die Felder Politik und Wirtschaft. Weil ich nun weiß, dass ich es verstehe. Und weil ich die Zusammenhänge erkenne und ich diese einordnen und interpretieren kann. Alle Luken sind mittlerweile weit zur Aufnahme geöffnet.

Heute verstehe ich nicht mehr, warum ich in der Schule mit Mathe, Physik und Chemie wenig anfangen konnte. Das Wissen hole ich jetzt nach – durch meine fünf Herzenskinder ist dies gar kein Problem. 

In meinem Job bin ich gelassener im Umgang mit den Kollegen geworden, aber auch mit mir selbst. Was interessieren mich drei Tippfehler in einem einseitigen Bericht? Der Leser merkt es vielleicht noch nicht mal. Ich nehme mich manchmal schmunzelnd zurück, weil ich nicht mehr alles korrigieren oder kommentieren möchte.

Und gleichzeitig wage ich es, mich mehr zu behaupten. Weil mir aufgefallen ist, mit wie viel Bullshit manche Leute ihre Thesen in die Welt tragen: schwätzen und keine Ahnung haben. Da mache ich nicht mit. Das ist mittlerweile Ehrenkodex! Gerne widerlege ich Behauptungen, liebe es zu diskutieren. Auch das soll typisch für Hochbegabung sein.

Irgendwelche Feste, die mich nicht interessieren, besuche ich nicht mehr. Ich mag Massenveranstaltungen meist nicht und erlaube es mir, auf den Smalltalk zu verzichten. Ich muss da ja nicht hin und ohne geht es mir doch viel besser. Meine Zeit nutze ich lieber anders. Mittlerweile nehme ich mir die Freiheit, das für mich so zu entscheiden. Und stehe selbstbewusst dazu.

Ich erlaube mir nun, einfach so zu sein, wie ich bin. Ich habe endlich mit mir Frieden schließen können – der Test war und ist ein Segen für mich! Mein Leben hat eine neue Qualität bekommen. Meine neue Identität als Hochbegabte und meine Zugehörigkeit zu Mensa haben verstopfte Kanäle geöffnet und ich kann frei durchatmen. Dadurch kam die Kraft, die Fesseln zu lösen. Frei zu sein!

On fire

Anna, geb. 1979

Im Nachhinein ist es verwunderlich, dass es 43 Jahre gedauert hat, bis meine Hochbegabung entdeckt wurde – aber für mich war diese Entdeckung eine große Erleichterung. Es ist nicht so, dass sich mein Leben seither grundlegend geändert hätte, aber durchaus mein Blick auf mich selbst und darauf, wie andere Menschen auf mich und mein Verhalten reagieren. Seit ich denken kann, habe ich versucht herauszufinden, wer ich eigentlich bin, und damit gehadert. Vielleicht, weil ich bei einer Selbstbeschreibung oft ganz gegensätzliche und sich scheinbar ausschließende Wesenseigenschaften bemühen muss und mich nie einer Gruppe anderer Menschen in mehr als nur einem kleinen Teilbereich zugehörig gefühlt habe. Natürlich kann ich auch jetzt nicht genau sagen, wer oder wie ich bin, aber es fühlt sich anders an: Ich kann mich selbst als changierend, als vielfach schillernd annehmen und okay finden. Und ich fühle mich sehr viel lebendiger. Das ist schon unendlich viel.

Mein Leben scheint von außen betrachtet wahrscheinlich relativ normal und insgesamt erfolgreich. Ich bin in einem akademischen Elternhaus aufgewachsen und galt bereits in der Kindergartenzeit als sehr aufgeweckt und intelligent. Schon in jungen Jahren war ich immer on fire, wie ich heute sagen würde, hatte einen sehr großen Freiheitsdrang und den Wunsch, selbstbestimmt zu sein, Neues zu entdecken und zu erleben. Ich zog nur ausgewählte Kleidungsstücke an, war die Anführerin einer Kinderbande, kletterte auf die höchsten Bäume, schwänzte den Kindergarten, erfand neue Spiele usw. Gleichzeitig prägte mich ein sehr starkes Ehrlichkeits- und Gerechtigkeitsbedürfnis. Als Zweitklässlerin beispielsweise stellte ich mich einmal schützend vor einen Viertklässler, der aufgrund seiner ausländischen Herkunft von Mitschülern auf dem Schulhof gehänselt wurde. Ob das für ihn eine Hilfe oder eine zusätzliche Demütigung war, kann ich heute nicht mehr sagen. Mein unbedingtes Festhalten an Werten und Definitionen wurde mir dabei teilweise als mangelnde Empathie ausgelegt. So musste eine Mitschülerin weinend von einer meiner Kindergeburtstagsfeiern abgeholt werden, weil ich ihre Frage, ob wir Freundinnen seien, verneint hatte. Nach meinem Empfinden war sie nur eine Klassenkameradin und unsere Verbindung war nicht so stark, dass sie meiner Idee von Freundschaft entsprochen hätte. Auch in meinen Grundschulbeurteilungen finden sich Formulierungen, die ich heute fast schon als Diagnose lese: Anna verfügt über eine große sprachliche Ausdrucksfähigkeit. Sie arbeitet selbstständig, rasch und zielstrebig. Sie kann auch schwierige Texte fließend und sinnerfassend lesen und es bereitet ihr keine Mühe, den Inhalt gewandt wiederzugeben. Ihre schriftlichen Arbeiten führt sie rasch, aber flüchtig aus. Sie kann alle mathematischen Aufgaben sicher und selbstständig lösen. Anna hatte keinerlei Schwierigkeiten, Kontakt zu ihren Mitschülern zu finden. Den Lehrern gegenüber war sie stets lebhaft und aufgeschlossen. Allerdings zeigt sie schwächeren Schülern gegenüber zum Teil wenig Verständnis. 

Wie kann man von einem Grundschulkind Verständnis dafür erwarten, wenn andere Kinder Dinge nicht können, die es selbst kinderleicht findet? Noch heute bin ich manchmal fassungslos, wenn Kollegen sich mit Aufgaben schwertun, die mir völlig banal erscheinen. Immerhin weiß ich inzwischen, dass mein Maßstab nicht DER Maßstab ist, was mir dabei hilft, nicht sofort die Geduld zu verlieren.

Obwohl ich also ein lebhaftes und aufgewecktes Kind war, hatte ich schon zum Ende der Grundschulzeit zunehmend existentielle Nöte. Ich weinte mich nächtelang in den Schlaf, weil ich darunter litt, dass mir mein ganzer Lebensweg praktisch schon vorgezeichnet erschien. Gymnasium, Studium, Heirat, Berufstätigkeit, meine Wahlmöglichkeiten, welches Studium, welcher Mann, welche Stadt, kamen mir begrenzt vor, das Leben insgesamt wenig aufregend und erfüllend. Lieber hätte ich in einer anderen Zeit oder an einem anderen Ort gelebt, wo jeder Tag neue Herausforderungen bietet und man etwas gestalten kann. Meine Mutter stellte mich daraufhin einem Jugendpsychologen vor, der nach einigen Tests zu dem Ergebnis kam, ich sei unterfordert und solle beschäftigt werden. Der Begriff Hochbegabung fiel dabei nicht – Anfang der 90er Jahre war das offenbar kein Thema.

Heute würde ich sagen, dass ich mit etwa elf Jahren eine erste depressive Episode hatte. Wie viele es bis jetzt waren, kann ich schwer greifen. Die Hochbegabung hat mir wohl immer wieder geholfen, den Ansprüchen, die an mich gestellt wurden, so weit zu entsprechen, dass meine Umgebung das Ausmaß meiner Traurigkeit nicht erkennen konnte. Ich glaube, auf meine Umwelt habe ich immer stark und selbstsicher gewirkt, tatkräftig und positiv – und auch ich selbst tue mich bis heute schwer damit zu entscheiden, ob meine Gemütslage besonders schwermütig ist oder ganz normal. Erst kurz vor dem Abitur war die Situation so, dass ich mich in Behandlung begab. Nach einer kürzeren Phase mit Essstörungen waren die Anzeichen eine Depression nicht mehr zu leugnen. Allein war ich völlig antriebslos, sobald irgendetwas anders war als gedacht, brach ich in Tränen aus. Ich verbrachte viel Zeit im Bett, als passende musikalische Begleitung hörte ich das Mozart-Requiem in Endlosschleife. Eine meiner Tanten, eine Neurologin, vereinbarte einen Termin für mich bei einem Psychiater. Er diagnostizierte typische Adoleszenz-Probleme und verschrieb mir Antidepressiva und Tranquilizer. Ich hatte nicht den Eindruck, dass mir das half, was aber wahrscheinlich doch der Fall war, denn als mein Hausarzt mir irgendwann riet, beides auszuschleichen, ging es wieder ganz gut. Zu dem Psychiater oder einem anderen Therapeuten ging ich nicht mehr, erst wieder mit über 40 – und diesmal Gott sei Dank zum richtigen.

Meine Schulzeit konnte ich trotz latent depressiver Grundstimmung relativ reibungslos durchleben. Meine Strategie, um neben der Melancholie mit dem übermäßigen Denken und der überbordenden Energie zurechtzukommen, lautete vereinfacht, mich selbst zuzuballern. Also auszulasten, abzulenken oder zu benebeln – mit diversen Hobbys, Projekten, Kontakten; durch laute Musik, dem Besuch von Konzerten oder Kunstausstellungen; mittels Alkohol und Ähnlichem. Und wenn es dann zu viel wurde, das Level herunterzufahren, durch Aufenthalte in der Natur, den Umgang mit Tieren, Alleinsein, Literatur. So ähnlich mache ich es heute noch: das Denken füttern, fokussieren oder betäuben. Ich brauche auf der einen Seite ständig neue Impulse und Aufgaben, um im Gleichgewicht zu bleiben, aber auch Ruhepausen, weil ich sonst bis zum Umfallen powern würde. Inzwischen versuche ich, besser mit mir selbst umzugehen, die Regenerationsphasen bewusst einzuplanen und zum Beispiel Rad zu fahren, im Garten zu arbeiten oder zu meditieren, statt Dinge zu tun, die meinem Körper letztlich schaden.