Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht in Deutschland -  - E-Book

Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht in Deutschland E-Book

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Beschreibung

Mit dem Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen im Fremdsprachenunterricht (REPA) liegt ein Instrument vor, das für die Unterrichtskonzeption und Unterrichtsplanung wichtige Hilfestellungen bietet. Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern wurde der REPA in Deutschland bisher eher zögerlich rezipiert dem versucht die vorliegende Veröffentlichung entgegenzuwirken, indem sie in zentrale Konzepte der Pluralen Ansätze für den Fremdsprachenunterricht einführt und die Instrumente und Datenbanken des REPA vorstellt und untersucht.

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Seitenzahl: 502

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht in Deutschland

State of the art, Implementierung des REPA und Perspektiven

Silvia Melo Pfeifer / Daniel Reimann

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

 

 

© 2018 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.narr.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

ISBN 978-3-8233-8189-1 (Print)

ISBN 978-3-8233-0131-8 (ePub)

Inhalt

ForewordDidactique des plurilinguismes, enjeux et éthiqueRéférencesPlurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht im deutschsprachigen Raum1 Ausgangspunkt und Zielsetzung dieses Buchs2 Warum Plurale Ansätze?3 Plurale Ansätze und Fremdsprachendidaktik in Deutschland4 Potentiale der Pluralen Ansätze für die Unterrichts- und Schulentwicklung in DeutschlandLiteraturMehrsprachigkeitsdidaktik1 Fragestellung2 Grundbegriffe, Theorien und Modelle des Mehrsprachenerwebs2.1 Grundbegriffe2.2 Theorien des Mehrsprachenerwerbs2.3 Modelle des Mehrsprachenerwerbs3 Begründung einer Mehrsprachigkeitsdidaktik3.1 Was ist Mehrsprachigkeitsdidaktik?3.2 Neurolinguistische und psycholinguistische Grundlagen3.3 Sprachtypologische und sprachgeschichtliche Grundlagen3.4 Vorgeschichte einer Mehrsprachigkeitsdidaktik3.5 Augeswählte empirische Erkenntnisse zum Mehrsprachenlernen4 Aktuelle Handlungs- und Forschungsfelder5 Modellierung einer „aufgeklärten Mehrsprachigkeit“5.1 Produktive Fertigkeiten5.2 Englisch, Latein, Griechisch und weitere Schulsprachen5.3 Deutsch als Muttersprache / Deutsch als Fremd-/Zweitsprache5.4 Herkunfts-/Familiensprachen5.5 Rezeptive Varietätenkompetenz in der Zielsprache5.6 Multilingualer Sachfachunterricht5.7 Transkulturelle kommunikative Kompetenz6 FazitLiteraturDer Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA)1 Einführung2 REPA und Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen2.1 Das Konzept der Pluralen Ansätze2.2 Zur Entwicklung des REPA2.3 Zur Terminologie Plurale Ansätze - Approches Plurielles im deutschen Kontext3 Zu den Deskriptoren im REPA: Grundbegriffe und Anfertigung der Listen3.1 Kompetenz- und Ressourcenbegriff3.2 Kompetenzen und Ressourcen im REPA3.3 Erstellung der Listen4 Zum Einsatz der REPA-Deskriptoren von Ressourcen: Möglichkeiten und Anwendungsbeispiele4.1 Unterricht und Unterrichtsmaterialien4.2 Curriculumsentwicklung5 PerspektivenLiteraturPlurale Ansätze in Lehrwerken und Lernmaterialien1 Einleitung2 Einblicke in internationale Entwicklungen3 Einblicke in Entwicklungen in der Schweiz: Curricula, Lehrwerke und lehrwerksunabhängige oder -ergänzende Materialien3.1 Bildungskontext Schweiz3.2 Umsetzungsbeispiele von Pluralen Ansätzen aus Lehrwerken zum Bereich Sprache3.3 Umsetzungsbeispiele von Pluralen Ansätzen aus lehrwerkunabhängigen oder -ergänzenden Materialien zum Bereich Sprache3.4 Umsetzungsbeispiele von Pluralen Ansätzen aus Lehrwerken zum Bereich Kultur3.5 Umsetzungsbeispiele von Pluralen Ansätzen aus lehrwerkunabhängigen oder -ergänzenden Materialien zum Bereich Kultur3.6 Förderung von interkulturellem savoir être (persönlichkeitsbezogene Kompetenzen)3.7 Implementierung und Lehrpersonenbildung4 AusblickLiteraturBegegnung mit Sprachen / Eveil aux langues1 Einleitung2 Eveil aux langues gegen Tradition und für Fortschritt2.1 Der Fremdsprachenunterricht bewegt sich – von unten2.2 Eveil aux langues – Teil der europäischen Sprachenpolitik3 Zusammenfassung und AusblickLiteraturSitographieRezeptive Interkomprehension1 Zur Geschichte eines Begriffs2 Interne und externe Abgrenzungen3 Erste Ansätze und Umsetzung in verschiedenen Projekten3.1 Interkomprehension als Pluraler Ansatz3.2 Frühe Ansätze4 Grundprinzipien der rezeptiven Interkomprehensionsdidaktik5 Rezeptive Interkomprehensionskompetenz6 Offene Fragen und PerspektivenLiteraturInterkomprehension in der mehrsprachigen Interaktion1 Einleitung2 Grundlagen und interaktionelle Merkmale2.1 Verhandlung und Ko-Konstruktion2.2 Soziale Repräsentationen von Sprachen und Völkern2.3 Entwicklung der mehrsprachigen und interkulturellen Kompetenz3 Didaktische Nutzung4 Kritische Betrachtungen5 Zukünftige ForschungsmöglichkeitenLiteraturGesamtsprachencurricula1 Zur Einführung: Ziele eines Gesamtsprachencurriculums2 Gesamtsprachencurriculare Konzepte und Ansätze: Begriffe und Definitionen2.1 Integrative/integrierte Sprachendidaktik und Gesamtsprachenkonzept (seit 1998) in der Schweiz2.2 Integrierter Ansatz (seit 2002) von Wode2.3 Von der additiven Mehrsprachigkeit (bis 2005) über die curriculare Mehrsprachigkeit (seit 2005) von Krumm bis hin zum Curriculum Mehrsprachigkeit (seit 2013) von Reich und Krumm2.4 Gesamtsprachencurriculum (seit 2005) von Hufeisen2.5 Ein weiterer Ansatz: systematischer CLIL-Unterricht (2015) von Surmont et al.3 Zur Begründung der Sinnhaftigkeit bzw. der Notwendigkeit des systematischen Einbezugs nichtsprachlicher Fächer4 Zur spracherwerbstheoretischen Rahmung und Begründung5 Forschung6 Abschließende ÜberlegungenAnmerkungLiteraturInter- und transkulturelle kommunikative Kompetenz1 Historische und theoretische Hintergründe: Fremdsprachendidaktik – Bildungswissenschaften – Kultur- und Kommunikationstheorie1.1 Geschichte und Gegenwart der Beschäftigung mit (zielsprachigen) Kulturen im Fremdsprachenunterricht1.2 Grundlagen der interkulturellen kommunikativen Kompetenz I: Kultur1.3 Grundlagen der interkulturellen kommunikativen Kompetenz II: Kommunikation2 Theorien und Konzepte interkultureller Fremdsprachendidaktik2.1 Definitionen und Modelle interkultureller kommunikativer Kompetenz2.2 Konzepte der interkulturellen kommunikativer Kompetenz3 Modelle interkultureller Lernprozesse in der Fremdsprachenforschung3.1 Stufenmodelle des interkulturellen Lernens3.2 Ein hermeneutischer, subjektzentrierter Ansatz: Didaktik des Fremdverstehens3.3 Mehrdimensionale Ansätze: interkulturelle kommunikative Kompetenz (Byram) und Lernspirale (Deardorff)3.4 Ein integriertes Modell inter- und transkultureller Kompetenz: Stufen und Dimensionen (Reimann 2011ff.)3.5 Interkulturelle kommunikative Kompetenz in den Bildungsstandards für das Abitur (2012)4 Unterrichtspraktische Konsequenzen: Konzepte und Methoden des inter- und transkulturellen Fremdsprachenunterrichts4.1 Der Fremdsprachenunterricht als „third place“ / hybrider Raum4.2 Inter- und transkulturelle Kompetenzziele für den Fremdsprachenunterricht4.3 Handlungsfelder eines inter- und transkulturellen Fremdsprachenunterrichts4.4 Inhalte eines inter- und transkulturellen Fremdsprachenunterrichts4.5 Methoden eines inter- und transkulturellen Fremdsprachenunterrichts4.6 Evaluation interkultureller KompetenzenLiteraturDer Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA) – ein Werkzeug zur Weiterentwicklung des bilingualen Sachfachunterrichts?!1 Einführung2 Die Situation in Schule und Unterricht – jüngere Entwicklungen in puncto Zweisprachigkeit3 Auf dem Weg zu einem wirklich mehrsprachigen und mehrkulturellen bilingualen Sachfachunterricht4 Der REPA als Impulsrahmen für die Ausgestaltung von fachlichen Aufgaben im bilingualen Sachfachunterricht4.1 Konzeptuale Dimension und REPA-Deskriptoren aus dem Bereich savoirs4.2 Methodische Dimension und REPA-Deskriptoren aus dem Bereich savoir-faire4.3 Diskursive Dimension und REPA-Deskriptoren aus dem Bereich savoir-être5 FazitLiteraturPlurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen aus der Perspektive künftiger Lehrerinnen und Lehrer der romanischen Sprachen1 Einleitung2 Erstausbildung von Fremdsprachenlehrern und das transformative Potenzial der Pluralen Ansätze3 Die empirische Studie3.1 Der Kontext: ein spanisches fachdidaktisches Seminar3.2 Forschungsfragen und der Fragebogen3.3 Die Teilnehmer: Merkmale des Sprachprofils der Studenten4 Ergebnisse5 ZusammenfassungLiteraturNachwort: Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen als fächerübergreifender Begegnungsort im Curriculum – Zur Relevanz im deutschen Bildungskontext1 Zu diesem Handbuch2 Der Begriff Plurale Ansätze und der REPA: ein Weg, die Zersplitterung der mehrsprachigkeitsdidaktischen Bemühungen zu überwinden3 Mehrsprachigkeitsdidaktik im Deutschunterricht4 Perspektiven: Auf dem Weg zu einer konkreten ZusammenarbeitLiteratur

Foreword

Michael Byram

Raised in a severely monolingual working class family, my first experience of another language than the dialect of English I spoke and the standard English I was learning to write, was the consequence of being selected to a ‘grammar school’. Here on the first day I met Latin and was able to dazzle my parents that evening by reciting ‘amo, amas, amat’ etc. and then on a later day in the first week, I could report on my first French lesson in which we practised the triangle of vowels, including the difficult nasals. A year later, I was allowed to choose German, where the teacher told us it was a masculine language and much better than ‘that feminine language, French’, we had been learning so far. Three foreign languages and three approaches; three quite separate experiences Meanwhile, in English lessons, I improved my written standard English and gradually learnt to speak it, albeit keeping my local accent. For me the working class homogeneity of my primary school had become a heterogeneity of social class, and the privilege of learning foreign languages. Those who were not selected for grammar school were not allowed to learn anything other than standard English, with the emphasis on reading and writing rather than acquiring speaking competence in this variety, instead of the local dialect.

Over the ensuing two generations, heterogeneity of social class has been augmented by that of ethnicity and allegiance to ‘minority’, with the major difference that variation in ethnicity usually brings with it variety in languages well before any kind of formal education begins. Yet there has been little change in school curricula in Britain or other parts of Europe. Languages are taught separately, whether ‘foreign’ or ‘national’ and children are all too often expected to change from the language or variety they acquired at home to a standard national language. Exceptions ‘prove the rule’ - where ‘prove’ means ‘test’ - and happily there are exceptions which demonstrate that heterogeneity is increasingly recognised and catered for, although perhaps not often enough and perhaps not systematically enough.

The editors and authors of this book have set out to provide the foundation for the systematicity needed to ensure that all learners, whatever their social class and ethnicity, have opportunities, hopefully equal opportunities, to become plurilingual people benefiting from the languages they bring to school and the languages they meet in school, whether ‘national’, ‘minority’, ‘second’, ‘foreign’ or whatever label is used. For the authors recognise that a mis-match between the integrated plurilingualism of learners and the fissiparous multilingualism of curricula is ultimately indefensible. They recognise too the difficulties in making the necessary changes towards ‘plural approaches’: the need for teachers and curriculum designers to change, to change in radical ways which may threaten their identifications as teachers and representatives of a specific language.

The editor and authors offer us a plurality of visions of plural approaches, starting with one document but including surveys and analyses of others. They have done so with a focus on Germany, written in German, drawing mainly on German-language research, both conceptual and empirical. This might be seen as a denial of the principal reflection of the book, and yet it is a necessary strategy to ensure an impact on German education. This is a realpolitisch strategy, since education systems remain national - albeit multifarious with 16 Länder in Germany - and changes are made within national education systems, even if influences and stimuli are international. The implicit presence of the Council of Europe in the title and explicit references in many of the ensuing chapters is an indication of the combination of the national and the European in Germany. Influences in Germany and the rest of Europe from beyond Europe remain minimal, unfortunately.

The choice of publishing in German - even though I am encouraged to write in English - has another aspect, too. The dominance of English in the publications of the natural sciences, and the prevalence of English in the social sciences are self-evident. The nature of writing in the first is how ever different from that in the second, where variation in concepts from language to language challenge assumptions. ‘Language awareness’ is not for example the same as ‘Eveil aux langues’ and the one can complement but also refine the other. The authors of this book are well aware of this and have provided their readers with the challenges and approaches they need.

At the same time, the terminology and the discourse have their separate histories in different education systems. Several authors have recognised this in their careful historical analyses. In some cases - such as the question of ‘intercomprehension/Interkomprehension - the history reveals the intermingling of European and national developments. In other cases, and here the history of Realienkunde, Kulturkunde, Wesenskunde and Landeskunde is the striking example, the history of approaches is intertwined with the history of the country. This in turn reminds us that the European perspective on the cultural dimension of language teaching is still decidedly under-developed, although there are recent indications of change in a companion volume to the Common European Framework for Languages.

I began with personal history and am ending with general history. I am grateful to the editors for their invitation to write this foreword and hope I have not abused their invitation by that personal beginning, for it has a significance. Many readers of this book will come to it with their experience of learning separate languages, and have at best learnt, without being taught, to integrate them in their own plurilingualism. They may have to analyse and suspend their beliefs about languages and language teaching to profit from this book, but when they do so they will see a new vision of languages and language teaching better suited to the world in which we live.

Didactique des plurilinguismes, enjeux et éthique

Danièle Moore

À l’interface de la didactique des langues et des cultures, de la sociolinguistique éducationnelle et de la politique linguistique éducative, l’ouvrage porté par Sílvia Melo-Pfeifer et Daniel Reimann se centre sur les questions de plurilinguismes et d’éducation, faisant le point de l’intégration des approches plurielles en contexte germanophone. Il cible l’étude de l’agir plurilingue en contexte d’apprentissage, dans une perspective d’intervention éducativedont les enjeux visent à préparer les apprenants et leurs enseignants à vivre dans des sociétés linguistiquement et culturellement diverses.

En ce sens, il s’inscrit dans une éthique de l’éducation plurilingue, qui pose l’hétérogénéité, la variation et la diversité comme caractéristiques essentielles du langage et des cultures, et le plurilinguisme comme expérience, comme compétence et comme valeur éthique, au fondement d’une formation tout au long de la vie (Beacco & Byram, 2007), inscrite dans la durabilité.

L’étude des dynamiques plurilingues, ainsi que les questions de leurs transpositions politiques et didactiques se situe au cœur des différents questionnements de recherche. Comprendre ces dynamiques appelle la prise en compte de trois axes inter-reliés: 1) l’analyse des pratiques (de classes et dans l’environnement plus large) et des représentations/croyances et idéologies, dans leurs liens avec les processus d’appropriation; 2) une réflexion d’ordre épistémologique, éthique et politique problématisant la compétence plurilingue et pluri-/interculturelle; 3) le développement d’une didactique du plurilinguisme contextualisée s’appuyant, comme leviers d’apprentissage, sur les expériences, les connaissances et les pratiques plurielles des apprenants et de leurs enseignants, et prenant en compte différents processus de croisements et d’intermaillages de langues et de postures inter/alterculturelles comme composantes d’une éducation plurilingue et interculturellevisant la transformation des pratiques et l’évolution des idéologies et des représentations, en construisant le plurilinguisme comme atout d’apprentissage et d’enseignement (Grommes & Hu, 2014 ; Moore, 2006).

Dans nos contextes contemporains de grande mobilité, de brassage des populations, d’effort d’internationalisation des études et de massification de l’enseignement, le nombre de jeunes et d’adultes éduqués dans une autre langue ou un autre système culturel que ceux de leur socialisation familiale ne cesse d’augmenter et pose aux systèmes éducatifs et à leurs acteurs de nouveaux problèmes de description, d’aménagement et de formation. La gestion de la diversité, de ce fait, constitue un enjeu stratégique prioritaire de la politique linguistique et de l’éducation (Jessner-Schmid & Kramsch, 2015 ; Castellotti & Moore, 2008). Pour ces différentes raisons, l’ouvrage coordonné par Sílvia Melo-Pfeifer et Daniel Reimann porte de nouvelles voix et voies, en proposant, en langue allemande, les perspectives les plus nouvelles en éducation plurilingue, partant des présupposés théoriques et empiriques ouverts par les approches plurielles en éducation.

L’originalité de cet ouvrage réside dans l’intérêt porté sur les questions de plurilinguismes et d’interculturalité sur différents plans de décision, de planification, d’aménagement, de politiques linguistiques, aux niveaux national, régional, des communautés, des commissions scolaires, des écoles, des classes et des familles. Ces recherches s’intéressent en particulier à interroger les enjeux du plurilinguisme pour la construction et la circulation des savoirs, à l’articulation des langues et des disciplines (voir la contribution de B. Hufeisen à ce propos), dans la visée d’une théorisation didactique soutenant le renouvellement de représentations (voir Melo-Pfeifer dans cet ouvrage) et des pratiques (de classe, de formation, de construction de matériaux didactiques).

Au sein de configurations particulièrement complexes et marquées par la pluralité sous toutes ses formes, les recherches présentées visent le renouvellement des réflexions et des pratiques pédagogiques autour de l’éducation de tous les enfants, et pose la question de l’engagement des enseignants, des écoles et de l’université. Il s’agit ici d’une zone de développement stratégique de l’éducation plurilingue et interculturelle, qui articule la recherche relative à l’enseignement-apprentissage et la formation des enseignants sur le caractère hautement multilingue et multiculturel des sociétés contemporaines, au sein de situations où ces enseignements constituent des enjeux à la fois politiques et fonctionnels, appuyés sur une demande sociale forte.

L’Éducation plurilingue et interculturelleest en ce sens envisagée tout à la fois comme projet de recherche, comme projet social et comme valeur. En créant des espaces de continuités et de rencontres entre les sphères politiques, sociales, familiales et scolaires pour embrasser la diversité croissante des contextes d’appropriation dans lesquels évoluent les apprenants et les personnes, la recherche en didactique du plurilinguisme, dont cet ouvrage fait témoin, renvoie à deux types de questionnements: celui, d’une part, qui consiste à rendre compte des pratiques hétérogènes d’individus ou de groupes sociaux ; celui qui, d’autre part, soutenant des propositions d’ordre politique aussi bien que didactique, se réfère à la problématique du développement et de la mise en place de dispositifs éducatifs et de scénarios curriculaires novateurs, mettant en relation plusieurs langues, cultures et postures épistémologiques en rapport aux savoirs (Armand et al., 2008 ; Candelier et al., 2012).

La conceptualisation de la compétence plurilingue et pluri-/interculturelle (Coste, Moore & Zarate, 1997/2009), en se situant au cœur des questionnements de recherche, joue d’effets de loupe entre différents niveaux d’organisation : macro/supra (nation, état, région), meso (établissement), micro (la classe), et nano (l’individu plurilingue). Dans les perspectives évoquées, l’ouvrage contribue à questionner comment la compétence plurilingue, envisagée selon une vision holistique, non segmentée, contribue positivement au développement d’une dynamique de transfert des savoirs, des habiletés et des compétences. On interroge en miroir les scénarios didactiques à mettre en place dans les classes et pour la formation des enseignants afin de favoriser le tricotage réfléchi des langues et des univers de référence des apprenants comme leviers d’apprentissages. Autrement dit, on interroge les conditions didactiques qui permettent de développer et soutenir le plurilinguisme comme atout pour apprendre, et non comme un obstacle; ce qui revient, aussi, à interroger les questions de norme monolingue scolaire, d’insécurité linguistique et d’évaluation. Il s’agit ainsi d’un important défi qu’ont réussi à relever les auteurs, en posant le plurilinguisme comme « patrimoine européen » (Beacco, 2013) et en cherchant à porter au premier plan du paysage didactique « le comprendre, la diversité et la relation » (Castellotti, 2017).

Références

Armand, Françoise / Dagenais, Diane / Nicollin, Laura. 2008. „La dimension linguistique des enjeux interculturels: de l’Eveil aux langues à l’éducation plurilingue”, in: Éducation et Francophonie, XXXVl (1), 44-64.

Beacco, Jean-Claude. 2013. Éthique et politique en didactique des langues. Autour de la notion de responsabilité, Paris: Didier.

Beacco, Jean-Claude / Byram, Michael. 2007. Guide pour l’élaboration des politiques linguistiques éducatives en Europe. De la diversité linguistique à l’éducation plurilingue, Strasbourg: Conseil de l’Europe.

Candelier, Michel / Camilleri-Grima, Antoinette / Castellotti, Véronique / de Pietro, Jean-François / Lörincz, Ildikó / Meissner, Franz-Josef / Noguerol, Artur / Shröder-Sura, Anna [avec Muriel Molinié]. 2012. CARAP/FREPA. Un Cadre de Référence pour les Approches Plurielles, Compétences et ressources, Graz: Council of Europe.

Castellotti, Véronique. 2017. Pour une didactique de l’appropriation: diversité, compréhension, relation, Paris: Didier.

Coste, Daniel / Moore, Danièle / Zarate, Geneviève. 1997, 2009. Compétence plurilingue et pluriculturelle, Strasbourg: Éditions du Conseil de l’Europe, Division des Politiques linguistiques.

Grommes, Patrick / Hu, Adelheid (eds.). 2014. Plurilingual Education: Policies, Practices, Language Development, Amsterdam: John Benjamins.

Jessner-Schmid, Ulrike / Kramsch, Claire. 2015. The Multilingual Challenge: Cross-disciplinary Perspectives, Berlin: Walter de Gruyter.

Moore, Danièle. 2006. Plurilinguismes et école, Paris: Didier (Collection Langues et apprentissage des langues).

Moore, Danièle / Castellotti, Véronique (eds.). 2008. La compétence plurilingue: regards francophones, Berne: Peter Lang.

Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht im deutschsprachigen Raum

Sílvia Melo-Pfeifer / Daniel Reimann

1Ausgangspunkt und Zielsetzung dieses Buchs

Was sind „Plurale Ansätze“? Mit den „Pluralen Ansätzen zu Sprachen und Kulturen“ hat der Europarat seit etwa 2005 ein Konstrukt geschaffen, das versucht, verschiedene Ansätze des sprachsensiblen und sprachenübergreifenden Unterrichtens und einer inter- und transkulturellen Sensibilisierung in ein Gesamtkonzept mehrsprachiger und mehrkultureller Bildung zu integrieren. Hintergrund sind die Bemühungen des Europarats um Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für die Sprachen in ihrer grundlegenden Bedeutung für Kommunikation, inter- und transkulturellen Dialog, sozialen Zusammenhalt und demokratische Bürgerbeteiligung als essentiell erachtet werden. In einem ersten Schritt werden dabei vier „Plurale Ansätze“ unterschieden: Eveil aux langues u.a. im Sinne der Entwicklung von (früher) Sprachbewusstheit und Nutzung der herkunftsbedingten Mehrsprachigkeit innerhalb der Lerngruppen, Interkomprehension, integrative Sprachendidaktik und interkulturelles Lernen. Das Europäische Fremdsprachenzentrum des Europarats hat zudem mit dem Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA) ein Instrument geschaffen, dessen deutschsprachige Fassung nunmehr veröffentlicht wird. Seine Deskriptoren zu den Bereichen Wissen (savoir, bzw. K wie knowledge), Einstellungen und Haltungen (savoir être, bzw. A wie attitudes) sowie Fertigkeiten (savoir faire, bzw. S wie skills) können eine Hilfe bei der Beurteilung von Lehrmaterialien, aber auch bei der Erstellung von Materialien und in der Curriculumentwicklung darstellen. Der REPA kann mithin für die Schulpraxis vor Ort ebenso wie für die Schulentwicklung und -verwaltung zu einem nützlichen Instrument werden. Weshalb aber sind die „Pluralen Ansätze“ (ab hier PA) im deutschen Bildungssystem (bzw. den deutschen Bildungssystemen) bisher so wenig rezipiert worden? Auf den ersten Blick scheint es sich um einen etwas vagen, wenig „griffigen“ Begriff zu handeln, der ggf. „nur“ ein neues Schlagwort darstellen könnte. Auch sind sicherlich viele Aspekte dessen, was auf internationaler Ebene unter den Vorzeichen der PA diskutiert wurde, in Deutschland auch im Kontext anderer Diskurse bereits verhandelt worden. Dennoch stellt sich die Frage, ob und inwieweit PA als mehrere aktuell virulente Diskurse um Mehrsprachigkeit, sprachsensiblen Unterricht und Inter-/Transkulturalität vereinendes Konstrukt nicht auch für den deutschen Kontext brauchbar sind.

Zentral ist in den PA nämlich neben den Kompetenzen gerade auch das Konzept der Ressourcen. Darunter wird der gesamte sprachliche und kulturelle Hintergrund verstanden, den Schülerinnen und Schüler mitbringen und in den Unterricht einbringen können – vorausgesetzt, dass die Ressourcen aktiviert werden (vgl. einführend besonders den Beitrag von Anna Schröder-Sura im vorliegenden Band). Solche Ressourcen werden in Zeiten zunehmender Zuwanderung nach Europa immer vielfältiger, so dass PA auch als eine Option für die Schulentwicklung in von Migration geprägten Gesellschaften insgesamt gelten können. Ressourcen können in der Konzeption der PA aber auch im Unterricht entwickelt werden.

Ein Grund für die bisher wenig weitgreifende Rezeption der PA in Deutschland könnte auch in den Schulsystemen selbst begründet sein, die sich noch immer häufig über Einzel-Fachlichkeit mehr denn über Interdisziplinarität definieren. Letztendlich spricht man zum Beispiel von „Englischunterricht“ oder „Französischunterricht“ und trennt somit die disziplinären Inhalte voneinander, nicht zuletzt scheint die Bezeichnung der Fächer als jeweilige Einzelsprachen mögliche Begegnungen zwischen Sprachen und Kulturen zunächst auszuklammern (vgl. Araújo e Sá / Melo-Pfeifer 2015; Schröder-Sura / Melo-Pfeifer 2017; Vetter 2013).

Zu den PA zählen, wie oben erwähnt, die interkulturellen Ansätze, die Begegnung mit Sprachen (l’Eveil aux langues), die Integrative Sprachendidaktik in unterschiedlichen gelernten Sprachen und die Interkomprehension (Candelier et al. 2012). In einer ihrer meistverbreiteten Bedeutungen kann Interkomprehension als ein PA definiert werden, der Strategien der Übertragung einsetzt, die auf die Rezeption mündlicher und schriftlicher Texte in Sprachen derselben linguistischen Familie abzielen (Meissner 2010). In einer breiteren und komplexeren Perspektive ist Interkomprehension in einer dreifachen inter-, inner-, und trans-familiären Perspektive in Betracht zu ziehen (Degache & Melo 2008). Interkomprehension kann weiterhin auch aus einer interaktionalen Sichtweise heraus verstanden werden, in der die Gesprächspartner, basierend auf konversationellen Verhandlungsstrategien, während einer mehrsprachigen Interaktion die Bedeutung mitgestalten und konstruieren. Die Begegnung mit Sprachen (l’Eveil aux langues) mobilisiert alles Erlebte und alle Sprachrepertoires von Kindern, um Aufgaben vor allem spielerisch, metakognitiv, metalinguistisch und metakommunikativ zu entwickeln (Candelier 2007). Die integrative Sprachendidaktik in unterschiedlichen gelernten Sprachen zielt darauf ab, linguistische, curriculare und prozedurale Synergien im Kontext des Sprachenlehrens in der Schule zu schaffen und rentabel zu machen, indem versucht wird, ein linguistisches Spiralcurriculum zu entwickeln, bei dem das gesamte Sprachenlernen an der Entwicklung einer Lernerbewusstheit beteiligt ist. Schließlich zielt der interkulturelle Ansatz, auf die Entwicklung von Einstellungen, Wissen und Kompetenzen in Bezug auf kulturelle Vielfalt ab (vgl. z.B. Byram 1997). Allerdings beschränkt sich der kulturelle Ansatz nicht auf die Behandlung kultureller Vielfalt, sondern integriert auch Problematiken im Zusammenhang mit sprachlicher Diversität.

Ziel dieses Buch, ist den Stand der Implementierung der PA in schulischen Kontexten und Lehrerausbildung im deutschsprachigen Raum (mit Beiträgen aus Deutschland, aber auch aus Österreich und der Schweiz, wo PA bislang stärker rezipiert wurden) zu erfassen, Engpässe in diesen Bereichen zu identifizieren und nach Möglichkeit Anregungen zu deren Überwindung zu liefern. Die PA zielen nämlich darauf ab, bestmöglich die vorhandenen mehrsprachigen und multikulturellen Ressourcen jedes Lernenden zu berücksichtigen, um sie emotional und kognitiv beim Erlenen einer neuen Sprache gewinnbringend einzusetzen. Sie sind didaktische Ansätze für das Lehren und Lernen von Sprachen, welche das Potential von Vorkenntnissen mehrerer Sprachen und Kulturen umzusetzen versuchen (Candelier 2008; De Pietro & Gerber 2015). Die mehrsprachigen und kontrastiven PA stellen daher eine strategische und methodische Option dar, um den „monolingualen Habitus“ in der Schule (Gogolin 2008), insbesondere auch im Fremdsprachenunterricht in sprachlich heterogenen Gruppen, durch die Ausrichtung auf die reflexive Dimension und die Entwicklung eines linguistischen Bewusstseins (Kniffka & Siebert-Ott 2007) zu überwinden.

2Warum Plurale Ansätze?

Aufgrund ihres flexiblen und komplexen Charakters können wir folgende Anmerkungen in Bezug auf PA machen:

die PA erfassen Sprachen durch eine unbegrenzte, übergreifende Vision, die ihre Beziehungen (Ähnlichkeiten, Besonderheiten, Kontaktpunkte, continua, Mischungen, etc.) hervorhebt;

die PA sind ein zentrales didaktisches Instrument für die Umsetzung der Mehrsprachigkeitsdidaktik, indem sie einen konzeptionellen Rahmen und konkrete methodische Anregungen für alle Schülerinnen und Schüler sowie für die Integration mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler bieten;

die PA haben aufgrund der Tatsache, dass sie sich auf sprachliche und kulturelle Ressourcen von Schülerinnen und Schülern stützen und auf die Erweiterung dieser Repertoires abzielen, retrospektive und prospektive Ziele;

die PA sind nicht immer leicht voneinander zu unterschieden (Candelier 2008, Gajo 2008) und wir könnten uns flexiblere Artikulationen zwischen ihnen vorstellen, wie die „integrierte Interkomprehension“ (Fonseca & Gajo 2016; Pietro 2014);

die PA können über den Rahmen des Fremdsprachenunterrichts hinausgehen und im gesamten Schulsystem als Teil eines fächerübergreifenden Ansatzes für die Entwicklung sprachsensibler Curricula verwendet werden (vgl. z.B. Benholz/Frank/Gürsoy 2015); folglich wären mehrsprachige Ansätze eine Angelegenheit aller Lehrkräfte, die mit Lernenden anderer sprachlicher Repertoires als der Schulsprache in Kontakt kommen.

Abgesehen davon sind die Vorteile verständlich, die mit der Integration von PA in Kontexten verbunden sind, in denen der Erwerb der Unterrichtssprache unverzichtbar ist:

„Einerseits erkennen wir, durch ihre [sc. der PA] Einführung, linguistische und kulturelle Repertoires von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund an und bieten ihnen Orientierungen auf einer Meta-Ebene, die ihnen eine individuellere und respektvollere Entwicklung ihrer eigenen sprachlichen Wege und Biographie erlauben. Durch die Anerkennung einer „sprachlichen Vergangenheit“ bieten PA eine „mehrsprachige Zukunft“ (Schröder-Sura / Candelier / Melo-Pfeifer im Druck1).

Und nach den gleichen Autoren:

„Die Integration der linguistischen Vielfalt im Unterricht [einer L2, aber auch von Fremdsprachen] würde es somit ermöglichen, von der Exklusion (oder gar einem „Negationismus“) oder von einem gewissen Paternalismus gegenüber sprachlicher und kultureller Vielfalt zu einer Unterrichtsgestaltung überzugehen, die sich nicht am „defizitären“ Kind, sondern am Kind, das mit wertvollen Ressourcen ausgestattet ist, orientiert – oder, mit anderen Worten, eine immer noch weit verbreitete Ideologie aufzugeben, die eine Monolingualisierung des mehrsprachigen Kindes empfiehlt“ (Schröder-Sura / Candelier / Melo-Pfeifer im Druck2).

PA können also als ein Lösungsansatz fungieren, um Fragestellungen der ´traditionellen´ Mehrsprachigkeitsdidaktik, die auf eine Vernetzung von Schulfremdsprachen zielt, mit aktuell viel diskutierten Fragen der Schule in mehrsprachigen Gesellschaften zu verbinden (vgl. z.B. zur Lehrerbildung für die mehrsprachige Gesellschaft Benholz et al. 2017). Weshalb haben also die PA, die im europäischen Kontext auf höchster Ebene – v.a. auch am Europäischen Fremdsprachenzentrum des Europarats – schon seit über einem Jahrzehnt entwickelt werden, in Deutschland bisher so wenig Widerhall gefunden? Mögliche Gründe versucht der folgende Abschnitt zu reflektieren, um sodann anzudeuten, worin die besonderen Chancen der PA für die Entwicklung des (Fremdsprachen-) Unterrichts in Deutschland bestehen könnten.

3Plurale Ansätze und Fremdsprachendidaktik in Deutschland

Der Fremdsprachenunterricht und die Fremdsprachendidaktik in Deutschland haben sich seit den 1990er Jahren grundlegend weiterentwickelt. Die aktuelle Ausrichtung des Fremdsprachenunterrichts lässt sich, nach heutigem (Er-) Kenntnisstand, in Anlehnung an Frank G. Königs (Königs 1991) und Marcus Reinfried (z.B. Reinfried 2001, Reinfried/Volkmann 2012 und zuletzt Reinfried 2017a und b) am treffendsten als „neokommunikativ“ benennen, wodurch die Fortschreibung des kommunikativen Paradigmas unter leicht geänderten Vorzeichen bezeichnet werden kann. Zu weit hat sich der Fremdsprachenunterricht insbesondere seit der Jahrtausendwende (vgl. die Publikation des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen im Jahr 2001, der für die fremdsprachlichen Bildungsstandards 2003ff., mithin für jeglichen Fremdsprachenunterricht in der Bundesrepublik maßgeblich ist) vom kommunikativen Paradigma der 1970er Jahre entfernt bzw. weiterentwickelt, als dass man noch immer von demselben „kommunikativen“ Fremdsprachenunterricht sprechen könnte. Zugleich wird das Grundanliegen der „kommunikativen Methode“, die kommunikative Kompetenz (vgl. z.B. zur Grundlegung Hymes 1972, in der deutschen fremdsprachendidaktischen Debatte Piepho 1974) keineswegs in Frage gestellt – ja der „neokommunikative Fremdsprachenunterricht“ schreibt diese unter veränderten Vorzeichen fort und setzt sie im Sinne der Kompetenzorientierung konsequent um. Distinktive Merkmale, durch die sich ein neokommunikativer Fremdsprachenunterricht vom Unterricht der kommunikativen Methode der 1970er Jahre unterscheidet, sind nach Reinfried (2001 und 2012) Lernerorientierung, Handlungsorientierung, Ganzheitlichkeit, Prozessorientierung, Interkulturalität und fächerübergreifendes Lernen einschließlich Mehrsprachigkeitsdidaktik. Reinfried 2001 gliedert letztere in drei Teilbereiche: „interlinguale Koordination des Sprachinputs“, „interlinguale Lernstrategien“ und „kontrastive Sprach- und Kulturbewusstheit“ (Reinfried 2001, 10). Aus heutiger Sicht könnte man vom erweiterten Konzept einer „aufgeklärten Mehrsprachigkeit“ sprechen (vgl. z.B. Reimann 2016), die Diskursfelder Interkulturalität um Transkulturalität (z.B. Reimann 2013, 2017) und Schülerorientierung um Differenzierung und Inklusion erweitern sowie Aufgaben- und Standardorientierung, Multimedialität, Kognitivierung und Metakognition, die implizit teilweise bereits in Reinfried (2001) und Reinfried/Volkmann (2012) angelegt sind, ergänzen (vgl. Reimann 2014, bes. 90f., 2015). Marcus Reinfried selbst hat die inzwischen auch virulente Diskussion um eine „Inhaltsorientierung“, die der offensichtlichen Gefahr einer inhaltlichen Verflachung des Fremdsprachenunterrichts bei allzu ausgeprägter Konzentration auf die Vermittlung der leicht messbaren funktionalen kommunikativen Kompetenzen gefolgt ist, als Charakteristikum des neokommunikativen Fremdsprachenunterrichts hinzugefügt (Reinfried 2017b, bes. 79). In einer Zeit, die in der anglophonen Forschung nicht zu Unrecht – aber sehr vage – bisweilen mit dem Etikett „post-method condition“ versehen wird (vgl. bereits Stern 1983), scheint es sinnvoll, nicht von einer etwaigen „neokommunikativen Methode“, sondern, in teilweise Anlehnung an Königs 1991, von einer „neokommunikativen Phase“ des Fremdsprachenunterrichts zu sprechen und diese in Integration der Ansätze von Marcus Reinfried (2001, 2012, 2017) und Ergänzungen in Reimann 2014 und 2015 wie folgt darzustellen:

 

kommunikative Kompetenz

 

seit den 1970er Jahren

 

 

 

 

 

Schülerorientierung

Differenzierung inkl. Jungenförderung(*)

Inklusion(*)

 

aufgeklärte* Mehrsprachigkeit

Inter- und Trans*kulturalität

Handlungsorientierung

Ganzheitlichkeit

 

Inhaltsorientierung**

fächerübergreifendes Lernen einschließlich bilingualer Sachfachunterricht

 

Aufgabenorientierung(*)

Standard-Orientierung*

 

Kognitivierung*

Metakognition(*)

 

Multimedialität*

 

* Ergänzungen Reimann 2014f.

** Ergänzung Reinfried 2017a, b

(*) implizit bereits in Reinfried 2001 und Reinfried/Volkmann 2012 (z.B. s.v. Lerner- und Prozessorientierung, Ganzheitlichkeit bzw. Prozessorientierung teilweise explizit oder implizit erfasst)

 

 

 

 

 

 

seit den 1990er Jahren

 

verstärkt seit etwa 2000

Tatsächlich hat der Begriff „neokommunikativer Fremdsprachenunterricht“ durch die von Marcus Reinfried verfassten Kapitel zur Geschichte und Gegenwart des Fremdsprachenunterrichts in der überarbeiteten Neuauflage der Fachdidaktik Französisch (Nieweler 2017) auch Einzug in die Handbuch-Literatur gefunden (Reinfried 2017a, bes. 72f. und 2017b, bes.74).

Man sieht an dieser kurzen Zusammenschau zu jüngeren Entwicklungen des Fremdsprachenunterrichts und zu aktuellen Fragestellungen der Fremdsprachenforschung in Deutschland, dass einige Aspekte, die in den PA zentral sind – etwa Schülerorientierung und Inklusion bezogen auf sprachliche Heterogenität, (aufgeklärte) Mehrsprachigkeit, inter- und transkulturelles Lernen, Ganzheitlichkeit, fächerübergreifendes Lernen und metakognitive Kompetenz – in der deutschen Fremdsprachendidaktik durchaus rezipiert, beforscht und auch in die Praxis umgesetzt wurden, selten aber unter anderen Vorzeichen der PA.

4Potentiale der Pluralen Ansätze für die Unterrichts- und Schulentwicklung in Deutschland

Es scheint, als sei der deutsche Diskurs im internationalen Vergleich bezüglich der PA zugleich zurück (bisher weitgehend ausgebliebene Rezeption) und in gewisser Hinsicht auch voraus (z.B. frühe und differenzierte Entwicklung mehrsprachigkeitsdidaktischer Ansätze seit den 1990er Jahren). Worin bestehen also die Potentiale der PA für Schule und Fremdsprachendidaktik in Deutschland? Warum könnte es sich lohnen, aus Sicht der Unterrichts-, ja vielleicht sogar der Schulentwicklung, die PA stärker zu berücksichtigen? Ein zentraler Grund ist sicherlich in dem integrierenden Ansatz zu sehen, der Diskurse, die in den deutschsprachigen Forschungscommunities teilweise an verschiedenen Stellen geführt werden (etwa früher Fremdsprachenunterricht, Mehrsprachigkeitsdidaktik, interkulturelle Didaktik, um nur einige Beispiele zu nennen), unter den Vorzeichen der mehrsprachigen und mehrkulturellen Bildung vereint. Zugleich stellt der REPA ein sehr differenziertes Instrument gerade auch zur langfristigen Festlegung von Lernzielen, zur Unterrichtsplanung, zur Klassifizierung und Beurteilung bestehender Lehr-/Lernmaterialien und als Rahmen für die Entwicklung und Erstellung von Lernmaterialien und Curricula dar. Nicht zuletzt nimmt der Ansatz des Eveil aux langues, im vorliegenden Band von Jürgen Mertens vorgestellt, eine für die deutsche Fremdsprachendidaktik weitgehend neue, integrierende Perspektivierung auf Ansätze wie frühes Fremdsprachenlernen, Mehrsprachigkeitsdidaktik gerade auch im Primarbereich und sprachensensiblen Unterricht vor.

Der vorliegende Band versucht, zwischen bestehenden Ansätzen der deutschen Fremdsprachenforschung und den PA zu vermitteln, um zu einer intensiveren Rezeption der PA und des RePA anzuregen. Dabei wird in der deutschen Fremdsprachendidaktik Vorhandenes und im Sinne der PA für die deutschen Schulsysteme zu Ergänzendes und möglicherweise zu Integrierendes zusammengetragen, um einen Vorschlag der PA für das deutsche Schulwesen zu unterbreiten. Daher werden neben Kapiteln zu den vier PA im vorliegenden Band in je einem eigenen Abschnitt auch mehrsprachigkeitsdidaktische Diskurse allgemein, Gesamtsprachencurricula und vergleichbare Entwürfe sowie der bilinguale Sachfachunterricht als in Deutschland intensiv reflektierte, vom Grundanliegen verwandte Konzepte betrachtet. In den einzelnen Kapiteln befasst sich Daniel Reimann mit Geschichte und Ausprägungen der Mehrsprachigkeitsdidaktik, Anna Schröder-Sura stellt den Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA) vor, während Mirjam Egli Cuenat, Barbara Grossenbacher, Brigitte Gubler und Gwendoline Lovey Lehrwerke und Lehrmaterialien vor dem Hintergrund des REPA aus Schweizerischer Perspektive betrachten, wo die PA bisher intensiver rezipiert wurden als in Deutschland. Jürgen Mertens untersucht den Ansatz des Eveil aux langues. Es schließt sich ein Beitrag über verschiedene Diskurse zur Entwicklung interkultureller Kompetenzentwicklung an (Daniel Reimann), gefolgt von zwei Beiträgen zur Interkomprehension mit verschiedenem Fokus: Während Christian Ollivier und Margareta Strasser Interkomprehension im traditionellen rezeptiven Verständnis beleuchten, befasst sich Sílvia Melo-Pfeifer mit Aspekten der Interkomprehension innerhalb mehrsprachiger Interaktion. Britta Hufeisen wiederum reflektiert „Gesamtsprachencurricula und andere Ansätze und Konzepte sprachen-, fächer- und jahrgangsübergreifender Art“, bevor Maik Böing den REPA aus der Perspektive des bilingualen Sachfachunterrichts am Beispiel des deutsch-französisch bilingualen Geographieunterrichts untersucht. Im letzten Beitrag des Hauptteils dieses Bandes stellt Sílvia Melo-Pfeifer eine Befragung von Lehramts-Studierenden der romanischen Sprachen zu den PA an der Universität Hamburg vor. Der Band wird von zwei Vorworten von Michael Byram und Danièle Moore eingeleitet und von einem ausführlichen Nachwort von Michel Candelier abgerundet. Der französische Germanist, der das Konzept der PA eingeführt und entwickelt hat, untersucht hier noch einmal kritisch die verschiedenen Forschungstraditionen und Ansätze und plädiert für einen integrativen Ansatz der PA für Deutschland als einem „fächerübergreifenden Bildungsort“ – ein Plädoyer, dem wir uns nur anschließen können.

Die Publikation ist in einer beinahe vierjährigen Arbeit an den und mit den PA seit Ende 2014 entstanden, als wir die Diskrepanz zwischen dem deutschsprachigen (hier insbesondere dem deutschen) und dem internationalen Diskurs über die PA in dieses handbuchartige Projekt zu überführen beschlossen haben. In der Zwischenzeit haben wir viele Gespräche über die PA mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen geführt, und haben aus diesen Gesprächen, vor allem aber auch im Dialog mit den Autorinnen und Autoren, die bereit waren, für dieses Projekt einzelne Kapitel beizusteuern, zahlreiche neue Erkenntnisse erlangt. Ist auch der institutionelle und fachliche Ausgangspunkt unserer Reflexionen zunächst die Fremdsprachenforschung romanistischer Provenienz, so hoffen wir, mit diesem Band auch den Kolleginnen und Kollegen an Schule und Hochschule in DaF/DaZ, Anglistik, Slavist, Niederlandistik, Sinologie usw. Material und Denkanstöße an die Hand geben zu können. Zwischenzeitlich haben im Rahmen dieses Projekts auch Multiplikationsveranstaltungen für Lehrkräfte an Schule und Hochschule und für Fremdsprachendidaktiker in Kooperation mit dem Europäischen Fremdsprachenzentrum des Europarats in Essen (2017 und 2018) und in Hamburg (2018) stattgefunden, die eine große Resonanz gerade auch von schulischer Seite zeitigten. Wir freuen uns sehr, dass es uns gelungen ist, für diesen Band zahlreiche ausgewiesene Autorinnen und Autoren zu gewinnen, die ihre umfassende Expertise in dem jeweiligen Bereich einbringen konnten. Wir danken ihnen an dieser Stelle ganz herzlich, dass sie die Zeit erübrigt haben, jenseits des schulischen bzw. hochschulischen Alltags und des Tagungsbetriebs für diesen Band teilweise sehr umfassende Kapitel beizusteuern. Ganz besonders danken wir auch Anna Schröder-Sura und Michel Candelier für ihre zahlreichen Anregungen. Weiterhin danken wir auch Hannah Neitzel, M.Ed. und Dr. Manuela Franke (beide Universität Duisburg-Essen) für ihre Unterstützung bei der Redigierung und Layoutierung des abschließenden Manuskripts, und, schlussendlich, dem Verlag Gunter Narr, hier vertreten vor allem durch die für uns zuständige Redakteurin Kathrin Heyng, M.A., für die hervorragende verlagsseitige Betreuung.

 

Hamburg und Essen, im April 2018

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Schröder-Sura, Anna / Candelier, Michel / Melo-Pfeifer, Sílvia. im Druck. „L’intégration des approches plurielles dans les manuels d’allemand langue seconde en Allemagne“, in: Livre du 6ème CONGRES EDiLiC, Pour une education langagière plurilingue, inclusive et éthique. 7 - 9 juillet 2016, Györ (Hungria).

Schröder-Sura, Anna / Melo-Pfeifer, Sílvia. 2017. „L’intégration des approches plurielles dans les manuels de langues étrangères en Allemagne : tendances et défis“, in: Beacco, Jean-Claude / Tremblay, Christian (edd.). Plurilinguisme et éducacion, Volume 2. Paris : L' Observatoire Européen du Plurilinguisme, 89-104.

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Vetter, Eva (edd.). 2013. Professionalisierung für sprachliche Vielfalt. Baltmannsweiler: Schneider Verlag.

Mehrsprachigkeitsdidaktik

Daniel Reimann

1Fragestellung

Der schulische Fremdsprachenunterricht in Deutschland findet, nicht erst, aber verstärkt durch die aktuellen Migrationsbewegungen, in zunehmend auch sprachlich heterogenen Lerngruppen statt. War Mehrsprachigkeitsdidaktik in ihren Anfängen v.a. in den 1990er Jahren vor allem auf die Vernetzung von Schulfremdsprachen ausgerichtet, so nimmt sie verstärkt seit 2010 zusätzlich auch die Dimension der Herkunfts- bzw. Familiensprachen mit in den Blick. Eine Vorreiterrolle nahm diesbezüglich die Studie Hu 2003 ein. Dieser Paradigmenwechsel in der Mehrsprachigkeitsdidaktik (dazu z.B. Reimann 2015, 2016a und b) kann graphisch wie folgt veranschaulicht werden:

Abb. 1:

Dimensionen der Mehrsprachigkeitsdidaktik

In Metropolregionen wie etwa Berlin, Hamburg oder Nordrhein-Westfalen, wo die im Folgenden vorgestellten Untersuchungen durchgeführt wurden, lässt der hohe Anteil mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler geradezu „Laborbedingungen“ für empirische Forschungen bezüglich einer auf Herkunftssprachen bezogenen Weiterentwicklung der Mehrsprachigkeitsdidaktik entstehen. Der Beitrag stellt, nach einer grundlegenden terminologischen und theoretischen Einführung, ausgewählte Ergebnisse aus vier Studien vor, die sich auf Einstellungen von Lehramtsstudierenden und von Lehrkräften des Sekundarbereichs sowie auf die Einschätzung der Schülerleistungen in einem Teilbereich der funktionalen kommunikativen Kompetenzen bei bilingual und monolingual aufwachsenden Schülerinnen und Schülern beziehen. Abschließend schlägt er ein Unterrichtsmodell vor, das exemplarisch zeigt, wie eine Herkunftssprache (hier: Türkisch) in den Fremdsprachenunterricht (hier: Spanisch) integriert werden kann. Die Studien wurden zwischen 2014 und 2016 an der Universität Duisburg-Essen von der Professur für Fachdidaktik der romanischen Schulsprachen bzw. in Kooperation dieser Professur mit dem Institut für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache durchgeführt; ebenso entstand das Unterrichtsmodell aus der Kooperation der beiden Fachgebiete.

2Grundbegriffe, Theorien und Modelle des Mehrsprachenerwebs

2.1Grundbegriffe

Einleitend seien einige Grundkonzepte zusammengefasst, die für die Mehrsprachen-Aneigneignung1 auf der Ebene des Individuums relevant sind. In den klassischen Werken der Mehrsprachigkeitsforschung, Interlinguistik und Die Mehrsprachigkeit des Menschen, lässt Mario Wandruzska individuelle Mehrsprachigkeit bereits mit einer Varietätenkompetenz in der Erstsprache einsetzen (z.B. diatopische Varietäten und Standard) (Wandruszka 1971, Wandruszka 1979). Er bezeichnet dies prägnant als „muttersprachliche Mehrsprachigkeit“ (Wandruszka 1979, 13, u.ö.) und stellt diese, neben dem Fremdsprachenlernen und der Sprachmischung, ins Zentrum seiner „Interlinguistik“ (konzise in Wandruszka 1971, 127-137). Pointiert kann man aus diesem Ansatz eine Dichotomie zwischen „innerer“ und „äußerer“ Mehrsprachigkeit ableiten, wobei „innere Mehrsprachigkeit“ bereits in der Erstsprache gegeben ist, „äußere Mehrsprachigkeit“ mit der Aneignung der ersten weiteren Sprache einsetzt (cf. Roche 2013, 186). Dieser Ansatz legt es weiterhin nahe, im Kontext der Mehrsprachigkeitsdidaktik auch eine rezeptive Varietätenkompetenz in der Zielsprache als Lernziel zu formulieren (cf. z.B. Reimann 2011, 2016b und 2017).

Rosemary Tracy definiert in ihrem Beitrag „Mehrsprachigkeit: Vom Störfall zum Glücksfall“ (Tracy 2014) unter Berufung auf andere Autoren Mehrsprachigkeit wie folgt: „als mehrsprachig oder bilingual [...] darf gelten, wer regelmäßig mehr als eine Sprache verwendet (Grosjean 2008, S. 10) und in der Lage ist, in allen seinen Sprachen Alltagsgespräche zu führen („at least casual conversations on everyday topics in a second language“; Myers-Scotton 2006, S. 65). Während die letzten beiden, von Grosjean und Myers-Scotton angesetzten Kriterien in jedem Fall zu übernehmen sind, wird im vorliegenden Beitrag „Mehrsprachigkeit“ in Abgrenzung zu Bilinguismus erst als mit der dritten individuell verfügbaren Sprache einsetzend definiert.

Die „Grade der Aktivierung“ verschiedener sprachlicher Systeme bezeichnet Tracy in Anlehnung an Green 1998 mit den Begriffen „ausgewählt“, „aktiv“ und „schlafend“ (Tracy 2014, 19): die „ausgewählte“ Sprache ist gerade im Einsatz, „aktiv [...] sind diejenigen Sprachen, die prinzipiell einsatzbereit sind“ (ibid.), „schlafend [sind] sprachliche Ressourcen, die möglicherweise seit Längerem nicht benötigt wurden und für deren Reaktivierung und flüssige Verwendung man erst einmal etwas mehr Zeit benötigt“ (ibid.). Sprachen, die regelmäßig verwendet werden, koaktivieren sich gegenseitig (op. cit., 31), Übergänge sind punktuell nicht zuzuordnen (op. cit., 27, z.B. bei Deutsch und Italienisch in).

In Bezug auf die Chronologie der Sprachaneignung kann man grundsätzlich zwischen simultanem und sukzessivem Mehrsprachenerwerb unterscheiden (Müller et al. 2011, 15). Differenzierter im Hinblick auf die Entwicklung mehrsprachiger Biographien ist die Unterscheidung zwischen folgenden Typen der Sprachaneignung:

Abb. 2:

Typen der Sprachaneignung

Simultaner Mehrsprachenerwerb kann nach Romaine 1995 (181sqq.) mit Müller et al. 2011, 48sqq. und Cantone/Di Venanzio 2016, 41sq. auf folgende sechs Arten erfolgen, die hier tabellarisch zusammengefasst werden:

Sprache im Umgang mit dem Kind von:

Elternteil 1

Elternteil 2

Umgebung

Anmerkungen

Typ 1

L x

(= Erstsprache von Elternteil 1)

L y

(= Erstsprache von Elternteil 2)

L x oder L y

„one person one language“ oder „EPES“ (eine Person, eine Sprache)

Typ 2

L x

(= Erstsprache von Elternteil 1 und Elternteil 2)

L x

(= Erstsprache von Elternteil 1 und Elternteil 2)

L y

Beide Eltern haben dieselbe Erstsprache, die eine andere ist als die Umgebungssprache.

Typ 3a

L x

(= Erstsprache von Elternteil 1)

L y

(= Erstsprache von Elternteil 2)

L y

Die Sprache eines Elternteils ist Umgebungssprache, die andere Sprache (hier L x) wird als Familiensprache verwendet.

Typ 3b

L x

(= Erstsprache von Elternteil 1)

L y

(= Erstsprache von Elternteil 2)

L y

Die Sprache eines Elternteils ist Umgebungssprache, diese (hier L y) wird als Familiensprache verwendet.

Typ 4

L x

L y

L z

simultaner Mehrsprachenerwerb

Typ 5

L x

(= Fremdsprache für Elternteil 1)

L y

(= Erstsprache von Elternteil 1 und Elternteil 2)

L y

Ein Elternteil wählt eine Fremdsprache (Bildungssprache, L z), um Kind zweisprachig zu erziehen.

Typ 6

L x und L y

L x und L y

L x und L y

Beide Elternteile sind in einem Kontext der Diglossie bilingual (z.B. Elsaß, Südtirol)

Tab. 1:

Typen des simultanen Mehrsprachenerwerbs

Bezüglich des komplexen Diskurses über Formen und Ausprägungen der Mehrsprachigkeit sei einführend auf Müller et al. 2011 sowie jüngst auf Bausch 2016 verwiesen, der die zahlreichen Klassifizierungsvorschläge bezüglich der Sprachfähigkeit resümierend folgende fünf Typen ansetzt, die hier tabellarisch zusammengefasst werden sollen (cf. Bausch 2016, 286sq.):

Tab. 2:

Ausprägungen mehrsprachiger Kompetenz

Offensichtlich können bilinguale Kinder schon sehr früh zwischen den verschiedenen Sprachen unterscheiden:

Bereits den frühesten Wortkombinationen im Alter von 18 Monaten kann man Hinweise darauf entnehmen, dass Kinder sehr wohl entscheidende Unterschiede zwischen ihren Inputsprachen erkennen und aktiv nutzen (Tracy 2014, 24).

Charakteristisch für Bilinguale und Mehrsprachige ist der Wechsel zwischen den Sprachsystemen. Er wird als code mixing bzw. code switching bezeichnet. Die Übergänge in den Definitionen beider Phänomene sind teilweise fließend, mitunter wird code mixing auch als Oberbegriff verwendet. Enger greifende Definitionen bezeichnen code mixing als die eher improvisierte, eine punktuelle z.B. lexikalische Lücke in einer Sprache ausgleichende Anleihe an eine andere Sprache, code switching dagegen als den kompetenten, strategisch eingesetzten Wechsel zwischen den Sprachsystemen. So definiert z.B. Jeuk 2014:

Beim Code-Mixing oder Borrowing werden Wörter, die in der einen Sprache nicht verfügbar sind, aus der anderen Sprache übernommen. Der Lerner greift auf ein Wort aus einer ihm bekannten Sprache zurück, wenn es ihm in der Zielsprache im Moment nicht zur Verfügung steht. [...]

Beim Code-Switching wird in Abhängigkeit von der Situation, dem Interaktionspartner und dem Gesprächsthema gezielt und bewusst zwischen den beiden Sprachen gewechselt (Jeuk 2014, 34f., cf. Jeuk 2015, 44).

Müller et al. 2015 definieren Code-Switching noch prägnanter als

ein[en] Sprachstil, welcher auf struktureller, pragmatischer, psycholinguistischer und soziolinguistischer Ebene beschrieben werden muss. [...] Sprecher, die vom Code-Switching Gebrauch machen, können sich in beiden Sprachen ´monolingual´ verhalten. Das Code-Switching entsteht nicht aufgrund eines Kompetenzmangels (Müller et al. 2015, 24sq.).

Tracy spricht hier anschaulich von „Polyphonie“ in dem Sinne, dass „die Mischung selbst zusätzlich zu der Bedeutung von Sätzen und Äußerungen wie eine zweite Tonspur Information über SprecherInnen und ihre jeweiligen kommunikativen Intentionen mitliefert“ (Tracy 2014, 26). Eine neue Perspektive auf Sprachmischung durch mehrsprachige Individuen wird in der Theorie des translanguaging nach García und Weiformuliert, die, u.a. in Anlehnung an das Konzept der transculturación von Fernando Ortiz, betont, dass das Phänomen des code-switching im Sinne einer individuellen, kreativen Verbindung verschiedener verfügbarer Sprach- und Zeichensysteme im Vergleich zum Monolinguismus zu neuen, vielfältigeren Ausdrucksmöglichkeiten führt (García/Wei 2014, z.B. 22).

Aus linguistischer Perspektive werden solche Phänomene von einer „Migrationslinguistik“ zu beschreiben versucht. Im Konzept des „gelebten Kommunikationsraums“ (Krefeld 2004, 19) etwa wird das mehrsprachige Subjekt ins Zentrum des Interesses gerückt, insofern es durch sein (meta-) sprachliches Bewusstsein und seine kommunikative Praxis z.B. in der Verwendung von Varietäten sowohl seiner Erst- als auch der Umgebungssprache und / oder den Varietäten weiterer Interaktionspartner „kommunikative Räume“ konstruiert, die nicht mehr zwingend mit arealen oder territorialen „Sprachräumen“ der traditionellen Linguistik im Sinne von Arealität und Territorialität konvergieren (z.B. Krefeld 2002a, b, 2003, 2004). Die Räumlichkeit der Kommunikation kennt in diesem Sinne drei Dimensionen, namentlich die Räumlichkeit der Sprache (Arealität, Territorialität), die Räumlichkeit des Sprechers und des Hörers (Provenienz, Mobilität, Repertoire) und die Räumlichkeit des Sprechens (situative Positionalität und Interaktion) (z.B. Krefeld 2004, 22sqq.).2

Auf der Grundlage der von ihm entwickelten drei Dimensionen der Räumlichkeit von Sprache kann er vier bzw. fünf Typen von Sprechern postulieren (Krefeld 2004, bes. 33). Dieses Modell ergänzt eine soziolinguistische Typisierung der Sprechenden in extraterritorialer Situation, die Rita Franceschini auf der Grundlage der Orientierung der Sprecher/innen an der Sprachnorm vorgeschlagen hat und die insofern für den Kontext der hier vorgelegten Untersuchungen relevant ist, als diese Orientierung immer auch in Bezug zur Kompetenz in der Umgebungssprache gesehen wird (Franceschini 2002, bes. 104sq.).

Thomas Stehl hat seinerseits das Konzept einer „funktionalen Variationslinguistik“ entwickelt, das, zunächst für die innerromanische Ebene ´vertikaler Sprachkontakte´ exemplifiziert am Okzitanischen und Französischen respektive süditalienischen Basisdialekten und dem Italienischen konzipiert, die Dynamik von Sprachkontakten auf den drei Ebenen „Kompetenz der Variation“, „Pragmatik der Variation“ und „Linguistik der Variation“ beschreibt (cf. Stehl 2012). Dieser Untersuchungsansatz wurde gewinnbringend auf den Bereich der ´horizontalen Sprachkontakte´ in Migrationskontexten übertragen (cf. Stehl 2011a, bes. Stehl 2011b, Prifti 2011). Hier wird eine Typisierung der Sprecher/innen nach der Sprachkompetenz in Herkunfts- und Zielsprache über die Generationen hinweg vorgenommen (z.B. Stehl 2011b, 46sqq.) und eine mehrstufige „hierarchische Gradation intermediärer Kontaktvarietäten“ (fünfstufig, art. cit., 48, von Prifti 2011, 88 im Fall seiner Studie auf sechs Stufen erweitert) vorgeschlagen.3

Schließlich ist für den Gegenstandsbereich dieses Beitrags zu unterscheiden, welche der Sprachen im schulischen Kontext miteinander interagieren: auf der einen Seite sind dies die schulischen Fremdsprachen, auf der anderen Seite die Herkunfts- bzw. Familiensprachen. Herkunftssprachen – als Entsprechung zum englischen Begriff heritage languages z.B. bei Rothman 2009, 156 – definieren sich nach Cantone/Di Venanzio 2016 zunächst über folgende drei Kriterien: „(1) die Sprache wird zuhause gesprochen, (2) es handelt sich nicht um die Sprache der Umgebung, und (3) der Erwerb findet ungesteuert statt“ (art. cit. 2016, 36sq.). Es scheint weiterhin sinnvoll, mit Lüttenberg 2010 zwischen Herkunfts- und Familiensprachem zu unterscheiden. Als Herkunftssprachen bezeichnet man dann die jeweiligen Standardvarietäten der Herkunftsregion, als Familiensprachen die in den Familien gesprochene Sprache, die auch eine Varietät der Herkunftssprache sein kann. Wesentliche Faktoren für Spracherhalt – im Gegensatz zu Sprachverlust – attrition – auf individueller Ebene und über die Generationen hinweg sind im Falle der Herkunfts- respektive Familiensprachenin Anlehnung an Cantone/Olfert 2015 (27sq.): (1) Alter bei Einreise bzw. allgemeine „Dauer des Kontakts zur Erstsprache in monolingualer Umgebung“ (art. cit., 27), (2) Generationenzugehörigkeit (häufig Aufgeben der heritage language ab der dritten Generation (ibid.), (3) „Zugang zur Schriftlichkeit“, z.B. durch herkunftssprachlichen Unterricht (ibid.), (4) „Bildungsniveau der Familie“ – Auswirkungen bislang unklar (widersprüchliche Ergebnisse aus verschiedenen Studien) – (art. cit., 27sq.), (5) „Größe der Sprachgemeinschaft im Einwanderungsland“ und damit verbundene Möglichkeit, die Sprache zu praktizieren (art. cit., 28), (6) „Einstellung zur heritage language“ (ibid.), (7) „Bindung zum Herkunftsland“ sowie „Identifizierung mit Kultur, Sprache, Religion etc.“ (ibid., jeweils mit weiterführender Bibliographie, cf. bes. den grundlegenden Band Köpke et al. 2007).

2.2Theorien des Mehrsprachenerwerbs

Einen einschlägigen theoretischen Rahmen des Mehrsprachenerwerbs stellen die Schwellen- und Interdependenzhypothese von Skutnabb-Kangas/Toukomaa und Cummins dar (Skutnabb-Kangas/Toukomaa 1977, Cummins 1979). Die Schwellenhypothese besagt, dass in der Erstsprache zunächst ein bestimmtes Niveau erreicht sein muss, bevor Zwei- und Mehrsprachigkeit erreicht werden können. Andernfalls komme es zu einer „subtraktiven Zweisprachigkeit“ (Extremfall: „doppelte Halbsprachigkeit“ bzw. „doppelter Semilingualismus“ (Roche 2013, 164, Roche 2016, 19)), d.h. defizitärer Kompetenz in beiden (bzw. mehreren) Sprachen. Den Normalfall stellt in diesem Modell die asymmetrische Zwei- oder Mehrsprachigkeit bei höher entwickelter erstsprachlicher Kompetenz dar – sie habe keinen Einfluss auf das weitere Fremdsprachenlernen und die weitere kognitive Entwicklung. Die Interdependenzhypothese geht davon aus, dass die Erstsprache beim Fremdsprachenerwerb insofern eine bedeutende Rolle spielt, als ab einem bestimmten Sprachniveau in beiden Sprachen eine positive gegenseitige Beeinflussung stattfindet, ergänzt um positive Effekte auf andere kognitive Kompetenzen (einführend und kritisch reflektierend z.B. Roche 2013, 163-166, Roche 2016, 19-21). Zwar gibt es begründete Einwände gegen die Grundannahme dieses Ansatzes (cf. z.B. Roche 2013, 164sq.), die ihn teilweise in Frage stellen lassen, doch ist er bis heute nicht gänzlich widerlegt, zuletzt gerade auch in Deutschland wieder durch Ergebnisse empirischer Forschungen gestützt worden (z.B. Rauch/Jurecka/Hesse 2010). Jüngere Studien kommen etwa zu folgenden Ergebnissen:

Zusammenfassend zeigen die Studien zur Bilingualität und zum Drittspracherwerb, dass Bilinguale, die in ihren beiden Sprachen über relativ hoch entwickelte Sprachkompetenzen verfügen, gegenüber monolingualen Lernern einer weiteren Sprache im Vorteil sind. (Göbel/Rauch/Vieluf 2011, 52)

Auf internationaler Ebene gibt es Studien, die nicht nur wie etwa Rauch 2014 eine bessere Lesekompetenz Bilingualer in einer Fremdsprache belegen, sondern auch Korrelationen (über die Lesekompetenz hinaus) mit der mathematischen Kompetenz feststellen (Bournot-Trites/Reeder 2001, kritische Würdigung in Roche 2013, 165sq.).

2.3Modelle des Mehrsprachenerwerbs

Unter den zahlreichen Modellen zum Mehrsprachenerwerb und -lernen sind meines Erachtens die folgenden beiden für das schulische Fremdsprachenlernen besonders interessant: Das eher pycholinguistische dynamische Modell von Herdina/Jessner 2002 (Dynamic Model of Multilingualism) unterstreicht die Bedeutung verschiedener Faktoren, die beim Mehrsprachenlernen miteinander interagieren, u.a. (Mehr-) Sprach(en)lernfähigkeit, selbst wahrgenommene Sprachkompetenz, Selbstbewusstsein, Ängstlichkeit/Angst und Motivation. Das metasprachliche Wissen und ein Mehrsprachen-Monitor spielen eine zentrale Rolle beim mehrsprachigen Lernfortschritt. Das soziolinguistisch begründete ökologische Modell von Aronin / O´Laoire 2004 stellt die individuelle Aushandlung der Bedürfnisse eines/r Lernenden in den Bereichen Identität, Umwelt und (sprachlichen) Interessen in den Vordergrund. Dabei können für das mehrsprachige Individuum verschiedene Erfordernisse in verschiedenen Sprachen zu einer jeweils unterschiedlichen Kompetenzentwicklung (einschließlich Kompetenzverlust – attrition)führen, die u.a. in Transfers und Code-Wechseln münden können.

Abb. 3:

Modelle des Mehrsprachenerwerbs

3Begründung einer Mehrsprachigkeitsdidaktik

3.1Was ist Mehrsprachigkeitsdidaktik?

Mit der ausdrücklichen Benennung der Bereiche „Sprachbewusstheit“ und „Sprachlernkompetenz“ in den Bildungsstandards für das Abitur des Jahres 2012 sind Grundanliegen der Mehrsprachigkeitsdidaktik zu verbindlichen Kompetenzzielen des Fremdsprachenunterrichts in der Oberstufe geworden. Aus europäischer Perspektive ist Mehrsprachigkeit spätestens seit dem Weißbuch zur allgemeinen und politischen Bildung der europäischen Kommission aus dem Jahr 1995 ein vorrangiges Ziel des Fremdsprachenunterrichts. Die EU versteht dabei unter Mehrsprachigkeit „Muttersprache plus zwei weitere Sprachen“; in zahlreichen weiteren Dokumenten bis zur „neuen Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit“ aus dem Jahr 2005 hat die EU ihr bildungspolitisches Bekenntnis zur Mehrsprachigkeit wiederholt (cf. bspw. Polzin-Haumann 2013: 104sq.). Dabei ist es sinnvoll, wie das saarländische Bildungsministerium in seinem „Sprachenkonzept Saarland 2011“ von „funktionaler Mehrsprachigkeit“ zu sprechen. Darunter versteht man eine „individuell und funktional angepasste, nicht an einer wie auch immer als perfekt definierten Zielnorm ausgerichtete Sprachkenntnis“ (ibid.).

Mehrsprachigkeitsdidaktik ist sicherlich ein zentrales Diskussionsfeld des aktuellen Fremdsprachenunterrichts, den man als neokommunikativen Fremdsprachenunterricht bezeichnen kann. Er setzt die kommunikative Methode der 1970er Jahre und deren Grundanliegen, kommunikative Kompetenz zu entwickeln, fort. Zugleich treten zahlreiche neue Anliegen wie Schülerorientierung, Differenzierung einschließlich Inklusion, Inter- und Transkulturalität, Handlungsorientierung, Ganzheitlichkeit, fächerübergeifendes Lernen, Aufgaben- und Standardorientierung sowie eine Neubewertung der Kognitivierung, Metakognition und Multimedialität hinzu, sodass es sinnvoll erscheint, von einer neokommunikativen Phase des Fremdsprachenunterrichts zu sprechen, die verstärkt seit etwa 2000 spürbar ist (siehe Abb. 6) (cf. hierzu bspw. Königs 1991; Reinfried 2001; Reimann 2014a). Zu den genannten Diskussionsfeldern tritt eben die Mehrsprachigkeit, die wir hier als aufgeklärte Mehrsprachigkeit fortschreiben wollen (zum Konzept cf. Reimann 2015; der Begriff als solcher tritt unabhängig davon und weniger ausdifferenziert bereits bei Roche 2013, 167 auf).

Ansatzpunkte der Mehrsprachigkeitsdidaktik in der aktuellen Konzept- und Theoriebildung sind vor allem die individuellen Lernervariablen wie auch die Sprachlerntheorien. Im Hinblick auf die individuellen Lernervariablen, wie etwa biologische Variablen (Alter, Geschlecht), kognitive Faktoren (wie Intelligenz und Sprachlerneignung) sowie sozioaffektive Faktoren (wie Motivation, Lernemotionen, Einstellung und diverse Persönlichkeitsfaktoren) (zu diesen beiden Kategorien cf. Edmondson/House 2006, 171), aber auch soziokulturelle Faktoren (v.a. Elternhaus), treten bereits bekannte (Fremd-) Sprachen als wesentliche Faktoren hinzu. Dabei sind zwei verschiedene Typen von bekannten Sprachen zu unterscheiden: Einerseits Herkunfts- bzw. Familiensprachen und andererseits vorgelernte schulische Fremdsprachen. Es ist sinnvoll, in diesem Zusammenhang mit Lüttenberg (2010) zwischen Herkunftssprachen und Familiensprachen zu unterscheiden. Als Herkunftssprachen bezeichnet man die jeweiligen Standardvarietäten der Herkunftsregion, als Familiensprachen die in den Familien gesprochene(n) Sprache(n), die auch eine Varietät der Herkunftssprache sein kann/können. Vorgelernte Sprachen indes sind schulische Fremdsprachen, in denen Vorkenntnisse vorhanden sind. Beide Typen weiterer Sprachen sind in den Fremdsprachenunterricht einzubeziehen (siehe Abb. 7):

Abb. 4:

Individuelle Lernervariablen beim Fremdsprachenlernen

Im Hinblick auf die Sprachlerntheorien ist festzustellen, dass alte Theorien in erweiterter Form wieder relevant werden: Einerseits kann man von einer erweiterten Kontrastivhypothese sprechen, insofern als Analogien oder Divergenzen nicht nur zwischen einer L1 und der Zielsprache, sondern zwischen allen am Sprachlernprozess beteiligten Sprachen auf diesen einwirken, zum anderen ist auch die Interlanguage-Hypothese zu erweitern, insofern nicht nur L1 und Zielsprache neben einerInterlanguage stehen, sondern auch mehrere Interimssprachen miteinander interagieren können (Reimann 2015, 5sq.; 2016, 118 sq.) (siehe Abb. 8):

Abb. 5:

Erweiterte Sprachlerntheorien und Mehrsprachigkeitsdidaktik

Die jüngere mehrsprachigkeitsdidaktische Forschung in Deutschland kann auf eine inzwischen 25-jährige Geschichte verweisen. Bei einem Blick auf Konzepte und Phasen der jüngeren Forschung ist festzustellen, dass sich deren Fokus in den Zweitausender Jahren zunächst stark verengte, bevor er sich seit etwa 2010 wieder spürbar erweitert, weshalb hier auch in Anlehnung an Butzkamms Konzept der „aufgeklärten Einsprachigkeit“ (Butzkamm 1973) von „aufgeklärter Mehrsprachigkeit“ gesprochen wird. Während die Mehrsprachigkeitsdidaktik der 1990er Jahre auch die produktiven Fertigkeiten und die Mehrkulturalität mit im Blick hatte, verengte sich in den Zweitausender Jahren der Fokus auf die sogenannte Interkomprehension. Seit etwa 2010 wird erneut eine auch produktive Mehrsprachigkeit unter Berücksichtigung von Mehrkulturalität in den Blick genommen (siehe Abb. 10).