Poetische Konturen – Materialien zu 20 Jahren Kieler Liliencron-Dozentur für Lyrik -  - E-Book

Poetische Konturen – Materialien zu 20 Jahren Kieler Liliencron-Dozentur für Lyrik E-Book

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Beschreibung

Seit zwanzig Jahren verfügt Kiel über ein literarisches Juwel: die Liliencron-Dozentur für Lyrik. Das Jubiläum soll Anlass für eine Rückschau sein. Im Rahmen einer Sonderausstellung im Literaturhaus Schleswig-Holstein zeichnen Studierende des Studiengangs Gegenwartsliteratur und Literaturvermittlung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel die Geschichte des Preises nach. Ergebnis sind die poetischen Konturen einer lebendigen Gegenwartsdichtung, die regelmäßig an der Kieler Förde zu Gast ist. Der Band lädt den Leser ein, neben der Geschichte der Dozentur unterschiedlichste Facetten aktueller Lyrik kennenzulernen.

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Poetische Konturen

Materialien zu 20 JahrenKieler Liliencron-Dozentur für Lyrik

Herausgegeben von Ole Petras

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

© 2018 by Verlag LudwigHoltenauer Straße 14124118 KielTel.: 0431-85464Fax: 0431-8058305

[email protected]

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier

Printed in Germany

ISBN 978-3-86935-343-2

ISBN der Printausgabe 978-3-86935-340-1

Ich sollt mich doch freun! Zu diesem Band

Ole Petras

»Mein fortgeschrittenes Paradies« nennt Detlev von Liliencron sein »Vaterstädtchen« Kiel, dem er um 1900 ein literarisches Denkmal setzt. Vom alten Kiel ist wenig geblieben, so der Tenor des in eleganten Reimpaaren parlierenden Gedichts: »Wo früher mein Elternhaus stand, / Fand ich nun eine steinerne Wand.« Und noch schlimmer: »Selbst da, wo ichs erste Mädel geküßt, / Hat eine Kirche hingemüßt.« Wie visionär diese Zeilen sind, zeigt ein Gang durch das Kieler Einkaufszentrum Sophienhof. Eine winzige Plakette am Eingang Karstadts erinnert an das Geburtshaus des Dichters.

Aber man unterschätzte den verarmten Aristokraten und unverbesserlichen Lebemann Liliencron, läse man diese Verse nur als sentimentale Beschwörung der verlorenen Heimat. Sind es doch gerade die titelgebenden »Wandlungen«, die das lyrische Ich als notwendige Folge der aufziehenden Moderne seufzend begrüßt:

Ich sollt mich doch freun, daß auch meine Stadt

Sich regte und hob aus dem ewigen Matt,

Daß sie sich dehnte, sich umsah und streckte

Und die schlummernden Keime weckte.

Es ist kaum eine treffendere Umschreibung für den Gegenstand des vorliegenden Bandes zu finden als in diesen Versen. Die im Namen des Holsteiner Dichters verliehene Dozentur dehnt und streckt sich, um die Keime einer 1997 wie heute schlummernden Begeisterung für Lyrik zu finden und zu hegen. Alljährlich begegnet sie dem (selbstredend metereologisch zu verstehenden) »ewigen Matt« der Landeshauptstadt mit dem Glanz der Poesie, lässt Worte zu Wort kommen und gewährt einen Blick in die Werkstätten der ausgezeichneten AutorInnen.

Zwanzig DichterInnen wurden seit Gründung der Kieler Liliencron-Dozentur für Lyrik eingeladen, um ihre Poetik, ihre lyrische Kunst dem Publikum zu präsentieren. Zwanzig Jahre lang erbrachte die Zusammenarbeit des Literaturhauses Schleswig-Holstein und des Instituts für Neuere Deutsche Literatur und Medien der Christian-Albrechts-Universität den unmittelbaren Beweis, dass Kiel »mitgeht mit der Zeit / Und sich vom Schlendrian befreit.«

Zwanzig Poetiken aus allen Bereichen deutschsprachiger Lyrikproduktion zeigen nicht nur eine Vielstimmigkeit des Feldes auf, sondern dokumentieren eine anhaltende Bereitschaft der KielerInnen, sich auf das jeweilige Sprachspiel einzulassen, die eigene Weltsicht durch Lyrik zu verwandeln. Es ist gewiss eine lange Zeit. Und wenige ZuhörerInnen werden alle Dozenturen miterlebt haben. Eine Rückschau verfolgt damit nicht nur das Ziel, das Erreichte zu feiern, sondern soll auch das Vergangene lebendig machen, soll den diskreten Reichtum der Stadt zutage fördern.

Die diesem Band zugrunde liegende Sonderausstellung im Literaturhaus Schleswig-Holstein ist das Werk von Studierenden der CAU Kiel. Ein im Wintersemester 2017/18 abgehaltenes Projektseminar im Masterstudiengang Gegenwartsliteratur/Literaturvermittlung stellte sich die Aufgabe, zwanzig Jahre Liliencron-Dozentur anschaulich zu machen. Wie, so unsere leitenden Fragen, können sämtliche DozentInnen in visuell ansprechender Form erinnert und zugleich neue Perspektiven eröffnet werden? Auf welche Weise lassen sich nicht nur Verbindungslinien zwischen den poetisch wie poetologisch unterschiedlichen PreisträgerInnen ziehen, sondern auch solche in Richtung des Freiherrn von Liliencron?

Eine erste Antwort lieferte die Reflexion auf die Gegebenheiten des Literaturbetriebs, der durch Preise und Stipendien nicht nur ökonomisch wirkt, sondern vor allem symbolische Bedeutung stiftet. Die Gruppe der Liliencron-DozentInnen offenbart in diesem Sinne ein großes Spektrum von Persönlichkeiten wie von Prominenz. Mit Marcel Beyer und dem 2006 verstorbenen Oskar Pastior hat die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung mittlerweile schon zwei Liliencron-Dozenten mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet. Die im Seminar mehr probehalber zusammengestellte Liste von Würdigungen unserer DozentInnen las sich wie ein Verzeichnis gegenwärtig vergebener Literaturpreise. Dass die Liliencron-Dozentur nach wie vor die einzige nur der Lyrik vorbehaltene Auszeichnung Deutschlands ist, spricht für sich.

Eine zweite Antwort, ein zweiter Zugang führte über das Medium Literaturausstellung. Der von Walter Benjamin beschriebene Verlust einer Aura des Kunstwerks im Zeitalter technischer Reproduktion betrifft die Literatur seit jeher. Einen Text auszustellen ist, sofern es sich nicht um ein wertvolles Manuskript handelt, eher langweilig. Gleichzeitig wäre es müßig, eine Aussage der betreffenden Dichterin, des betreffenden Dichters in Erläuterungen und Kommentaren zu verdoppeln. Wir haben uns entschieden, die AutorInnen selbst zu Wort kommen zu lassen: mit einem kurzen poetologischen Statement, einem Gedichtauszug – und kombinieren diese mit einer biografischen oder werkbiografischen Anekdote, die optimal hilft, die Schwelle zum Werk zu senken. Die Texte befinden sich nun nicht in konventionellen Rahmen, sondern sind auf großformatige Bücher aufgebracht. An die Stelle der Aura eines Originals tritt so das Dichterwort und der papierene Charme des Mediums Buch.

Im Fokus unserer theoretischen Vorarbeiten stand nicht zuletzt das Werk Detlev von Liliencrons, der, obschon ein Leben lang von Geldsorgen geplagt, gerade in seinen letzten Jahren als Wegbereiter der literarischen Moderne von so prominenten Autoren wie Thomas Mann, Rainer Maria Rilke oder Gottfried Benn gefeiert wurde. Liliencron ist in gewisser Weise ein idealer Namensgeber, nicht weil die in seinem Namen ausgezeichneten AutorInnen allesamt prekär lebten, sondern weil er einer der ersten Akteure des literarischen Feldes in Deutschland ist: ein Berufsschriftsteller, der die Bedingungen seiner Freiheit sehr früh und klug reflektiert. (Nachzulesen u. a. in dem bitterbösen Poem »Dichterlos in Kamtschatka« von 1889.)

Liliencrons Werk zeichnet ein hohes Formbewusstsein aus und eben diese Sensibilität für sein Material, die Sprache, war uns Leitlinie im Umgang mit den Werken der DozentInnen. Der Titel unserer Ausstellung benennt den Versuch, einerseits die Konturen unterschiedlicher Poetiken nachzuzeichnen, andererseits der Liliencron-Dozentur selbst eine Kontur zu geben, die notwendig alle versammelten Werke und AutorInnen umgreift. Der von Liliencron »so sehr, so sehr geliebte« und entsprechend emphatisch bedichtete Theodor Storm liefert das Stichwort, wenn er in dem späten Gedicht »Lyrische Form« schreibt:

Die Form ist nichts als der Kontur,

Der den lebend’gen Leib beschließt.

Im Kontext unserer Ausstellung gewinnen Storms Verse zusätzliche Bedeutung. Denn eine Dozentur wie die unsrige zeichnet nicht die Worte oder Werke selbst aus, sondern knüpft sich an deren Urheber. Die Autorinnen und Autoren erscheinen »lebend’gen Leibes«, um Lob und Anerkennung entgegenzunehmen und Auskunft zu geben. Sie stehen ein für ihre Poesie und Poetik, verbinden mit dem Besuch in Kiel aber gleichfalls eigene Eindrücke, eigene biografische Situationen, Werk- und Lebensphasen.

Um die Geschichte des Preises zu schreiben, müssen demnach auch die PreisträgerInnen zu Wort kommen. Unter der Überschrift 20 Jahre – 20 Fragen erzählen vier ehemalige Liliencron-DozentInnen von ihren Erfahrungen in Kiel: Heinrich Detering, der die Dozentur in seiner Zeit als Inhaber eines Lehrstuhls für Neuere Deutsche Literatur an der CAU initiierte und diese 2012 selbst erhielt; Doris Runge, die als erste Preisträgerin die Reihe der Liliencron-DozentInnen anführt; Dirk von Petersdorff, der als gebürtiger Kieler 1999 in seine Heimatstadt und an seine Alma Mater zurückkehrte, um über seine Kunst zu sprechen; schließlich Arne Rautenberg, der 2013 ausgezeichnet wurde und als freier Schriftsteller mit dem Literatur- und Lyrikbetrieb der Zeit bestens vertraut ist.

Ergänzt wird dieses Kapitel durch ein Interview des aktuellen Dozenten PeterLicht, der die Seiten wechselt und 20 Fragen an die LeserInnen dieses Buches stellt. Die Seiten gewechselt hat damit gewissermaßen auch die Dozentur, wenn sie ihren ohnehin reichhaltigen Formenkatalog um die Song-Poetry des in Köln lebenden Musikers erweitert. Dass die genannten 20 Fragen dem 2014 erschienen Band Lob der Realität (Blumenbar bei Aufbau) entnommen sind, schlägt darüberhinaus einen Bogen zum Jubiläum der Dozentur, die, mit Liliencron gesprochen, poetische »Wandlungen« zu ihrem Programm macht:

Ich atmete tief auf und wischte den Schweiß

Aus Augen und Stirn nach errungenem Preis

Und sah mich um und erstaunte viel,

Daß Freuden die Welt hat und munteres Spiel.

In diesem Sinne ist allen BesucherInnen der Ausstellung wie LeserInnen dieses Bandes eine hoffentlich anregende Lektüre zu wünschen – und der Dozentur weitere 20 muntere Jahre!

Dr. Ole Petras

Kiel, im Januar 2018

20 Jahre Liliencron-Dozentur. Persönliche Erinnerungssplitter

Wolfgang Sandfuchs

Da kniete er umgeben von vielen großzügig beschriebenen weißen Blättern vor mir, der Dichter, und erbat noch 10 Minuten Aufschub. Er müsse den Vortrag nur noch zusammenstellen, erklärte er mit wohltuend ruhiger warmer Stimme, sächselnd und ohne aufzuschauen, und sortierte die Blätter auf drei Stapel. An der Rezeption war mir gesagt worden, ich solle bitte zu Herrn Rosenlöcher aufs Zimmer kommen, und da stand ich nun, reichlich nervös und selbst ein wenig spät dran für die erste von drei Liliencron-Vorlesungen in der Universität, die erste von Thomas Rosenlöcher, die erste für mich nach meinem Wechsel in das Literaturhaus Schleswig-Holstein. Der Dresdner Dichter hielt die Zeit ein. 10 Minuten, dann griff er den nächst gelegenen Stapel vor sich und auf ging es zu dem Vorlesungsdreiklang unter dem verheißungsvollen Titel »Das Murmeln von Worten im Gehen«: »Probemurmeln«, »Rückwärtsmurmeln«, »Weitermurmeln«. Es wurde eine faszinierende und lebhafte Woche im Rosenlöcherschen Lyrikuniversum, die mit einer Diskussion über Poesie im geteilten und vereinten Deutschland endete: »Ostgezeter, Westgejammer«.