Polarsturm - Arctic Storm Rising - Dale Brown - E-Book

Polarsturm - Arctic Storm Rising E-Book

Dale Brown

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Beschreibung

Der Start der neuen Serie von Bestsellerautor Dale Brown, in dem Russland und die USA vor einem nuklearen Krieg stehen. Nach einer gescheiterten Mission wird Nicholas Flynn, Geheimdienstoffizier der Air Force, zu einer abgelegenen Radarstation an der arktischen Grenze Alaskas strafversetzt. Doch im hohen Norden braut sich nicht nur ein mächtiger Blizzard zusammen, plötzlich dringen auch russische Militärflugzeuge in den amerikanischen Luftraum ein. Der Kreml sucht fieberhaft nach einem atomar bewaffneten Tarnbomber, den ihr Testpilot entführt hat. Als dann eine amerikanische F-22 mit einem der russischen Eindringlinge zusammenstößt, geht alles ganz schnell – innerhalb von Sekunden werden Raketen abgefeuert. Flynn und sein Sicherheitsteam müssen mit Fallschirmen abspringen, um die Absturzstelle vor den Russen zu erreichen. Im tobenden Schneesturm ist das geradezu Selbstmord … Clive Cussler: »Der beste Autor von Militär-Thrillern, den es derzeit gibt.« Best Thriller Books: »Garantiert ein Genuss für Fans von Militär-Thrillern und Autoren wie Brad Taylor, Ben Coes und Ward Larsen.«

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EPUB
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Seitenzahl: 504

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Aus dem Amerikanischen von Robert Schekulin

Impressum

Die amerikanische Originalausgabe Arctic Storm Rising

erschien 2021 im Verlag William Morrow.

Copyright © 2021 by Creative Arts and Sciences LLC

Copyright © dieser Ausgabe 2023 by Festa Verlag GmbH, Leipzig

Titelbild: Arndt Drechsler-Zakrzewski

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-98676-072-4

www.Festa-Verlag.de

www.Festa-Action.de

In Memoriam

Auch diesen Roman widme ich wieder meinem Sohn, Hunter Dale Brown. Meine liebsten Erinnerungen an ihn: wie ich ihn, ungefähr eine Woche alt, zum ersten Mal bei uns im Küchenspülbecken badete und seine Mutter entsetzt dabei zusah; wie er am Ufer des Lake Tahoe feierlich in den Pfadfinderrang des Eagle Scout erhoben wurde; und wie er mit gerade mal neun Jahren an meinem Roman Strike Force mitarbeitete, indem wir uns gegenseitig Ideen zuwarfen, während ich ihn von der Schule nach Hause fuhr.

Genau wie sein alter Herr war er ruhig, ein wenig schüchtern und allen engeren Vertrauten ein unverbrüchlich treuer Freund. Er konnte hart arbeiten, wusste in IT-Sachen immer einen Rat und war ein großartiger Lehrer. Einen besseren Sohn hätten Diane und ich uns nicht wünschen können.

Letztlich ist das Leben nur die unendliche Reise einer Seele durch Zeit und Raum, und ich bin froh darüber, dass wir Hunter in unserem Leben hatten. Wir lieben dich und wir vermissen dich, mein Großer, und wünschen dir viel Schönes auf deiner weiteren Reise.

Wir hatten ein verfluchtes Land entdeckt. Wir hatten die Heimat des Blizzards gefunden.

Sir Douglas Mawson, Polarforscher

Ich werde einen Weg finden, oder ich bahne mir einen.

Dem Arktisforscher Robert Peary zugesprochen

Wieder mal tausend Dank an Patrick Larkin für all sein Sachwissen, sein Können und seine Unterstützung.

PROLOG

Flugzeugfabrik Kasan, Russland

Ende Juli

Sommersonnenlicht strahlte durch die Fensterreihen hoch oben in der tristen Betonwand einer riesigen Fertigungshalle. Es schien auf einzelne Partien eines großen, futuristisch wirkenden Flugzeugs mit harmonisch geschwungener Flügelform herab: auf den ersten flugfähigen Prototyp von Tupolews streng geheimem PAK-DA-Tarnkappenbomber. Seine vorspringende Nase und die große abgerundete Cockpit-Kuppel, flankiert von schmalen Ansaugschlitzen längs der Flügelvorderkanten, hatten ihm während der Bauzeit den Spitznamen Skat eingebracht – Teufelsrochen. Dazu passten auch die ganzen Ruder- und sonstigen Steuerflächen an den Flügelhinterkanten. Von oben sah das ungewöhnlich geformte Flugzeug aus wie ein lautlos über den Meeresboden hinweggleitender Manta.

Konstruiert, um mit dem von den Amerikanern bereits eingesetzten B-2 Spirit und der nächsten Generation von B-21 Raider Stealthbombern gleichzuziehen oder sie gar zu übertreffen, sollte der mit Unterschallgeschwindigkeit fliegende PAK-DA über eine Reichweite von mehr als 12.000 Kilometern verfügen. Zwei kraftvolle KN-65-Mantelstromtriebwerke mit jeweils über 30 Kilopond Schubkraft reichten für eine Ladekapazität von bis zu 30 Tonnen – sowohl an Tarnkappen-Langstrecken-Marschflugkörpern als auch an Luft-Luft-Raketen kürzerer Reichweite zur Selbstverteidigung – in den integrierten Waffenschächten. Die Tarnvorrichtungen des Bombers sowie seine neuartigen Sensor-, Elektronik- und Manövriersysteme ermöglichten es seiner vierköpfigen militärischen Crew im Kriegsfall, von modernster gegnerischer Luftabwehr unbemerkt, tief hinter die feindlichen Linien vorzudringen. Kurz gesagt, dieser Prototyp stellte das Endprodukt eines streng geheimen Forschungs- und Entwicklungsprogramms dar, das viele Jahre Arbeit und Hunderte Milliarden Rubel gekostet hatte.

Alexei Petrow, Oberst der russischen Luftwaffe, glitt aus einer Öffnung am Bauch der Maschine und ließ sich gelenkig auf den Boden der Fertigungshalle herabfallen, ohne die am Ausstieg befestigte Leiter zu Hilfe zu nehmen. Mitte 40, hatte sich der erfahrene Testpilot schlank und fit gehalten, nur sein dunkelbraunes Haar war bereits grau meliert. Mit einem breiten Lächeln nickte er dem Grüppchen aus einigen Entwicklungsingenieuren, Führungskräften und Testpiloten der Tupolew-Werke zu, das ihn erwartete. »Glückwunsch, meine Herren. Da haben Sie eine schöne Maschine konstruiert. Ich kann’s kaum erwarten, sie in den nächsten Wochen und Monaten auf Herz und Nieren zu prüfen.«

Sein Lob für ihre Arbeit entlockte den Ingenieuren und verantwortlichen Chefs ebenfalls ein Lächeln, wohingegen die verkniffenen Mienen der bewährten zivilen Tupolew-Piloten sich eher noch mehr verhärteten, weil seine letzte Bemerkung sie darauf stieß, dass sie hier übergangen wurden. Im verzweifelten Bemühen, aller Welt zu beweisen, dass Russland militärisch immer noch auf Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten und China agierte, hatte der Kreml den schnellstmöglichen erfolgreichen Abschluss dieser Langstreckenbomber-Entwicklung mit allen Mitteln forciert. Den PAK-DA-Prototyp direkt an Petrow und dessen Team zu übergeben, ohne die sonst üblichen akribisch begutachteten Tupolew-eigenen Testflüge, würde die Prüfungsverfahren vor der Serienproduktion und der Bereitstellung für die Luftwaffe um Monate verkürzen.

»Wann möchten Sie die formale Übergabe abwickeln?«, fragte Mikhail Iwanin, Tupolews dicklicher Generaldirektor, zaghaft.

»So bald wie möglich«, antwortete Petrow. »Aber nicht hier in Kasan. Lassen Sie uns das lieber unten in Tschkalow über die Bühne bringen.«

Sein Gegenüber spitzte die Lippen. Die Waleri-Tschkalow-Luftwaffenbasis für Testflüge lag fast 900 Kilometer südlich von Kasan. Benannt nach einem der berühmtesten und waghalsigsten Testpiloten der UdSSR, verfügte man dort über die nötige Spezialausrüstung, um in der Entwicklung befindliche Tarnkappenflugzeuge zu prüfen. Den Bomberprototyp unverzüglich dorthin zu überführen würde das Austesten seiner technischen Systeme und Flugeigenschaften tatsächlich deutlich beschleunigen. Andererseits würde es die Tupolew-eigenen Spezialisten leider für einen längeren Zeitraum auf diese weit entfernte Basis verbannen. Sie würden dort gebraucht werden, um das Luftwaffen-Bodenpersonal im Umgang mit der komplexen Avionik und den weiterentwickelten radarabsorbierenden Oberflächen des PAK-DA vertraut zu machen. Erhebliche Mühen und Umstände für das Flugzeugwerk und seine Mitarbeiter. Zudem erhebliche Mehrkosten. Die Befehle aus Moskau ließen allerdings keinen Spielraum: Petrow und dessen Team sollte jeder Wunsch erfüllt werden.

Angesichts der betretenen Mienen der Tupolew-Piloten kam ihnen Petrow einen Schritt entgegen. »Ihre Leute können den Bomber da runterfliegen. Nur fair, alles in allem, dass ihnen diese Ehre gebührt: der Jungfernflug mit dem Teufelsrochen.«

Iwanin nickte kurz, und mit gekrümmtem Zeigefinger winkte er seinen dienstältesten Werkspiloten zu sich heran. Georgi Remizow war ein untersetzter Mann mit rundem Gesicht, einige Jahre älter als Petrow. Er besaß Flugerfahrung mit modernsten Kampfbombern, hatte jedoch die Luftwaffe zugunsten der Firma Tupolew verlassen, als im postsowjetischen Militärapparat wieder mal Stellen abgebaut wurden. Der Generaldirektor stellte sie einander kurz vor und verabschiedete sich dann. »Ich überlasse Sie jetzt Georgi, Oberst, damit Sie mit ihm die Einzelheiten regeln können. Falls ich aber noch irgendetwas für Sie tun kann, stehe ich Ihnen natürlich jederzeit zur Verfügung.«

Er eilte von dannen, fast so, als fürchtete er, Petrow könne noch weitere kostspielige Ungeheuerlichkeiten von ihm verlangen, wenn er nicht schnellstens verschwand. Leicht amüsiert verfolgten die beiden Piloten seinen Abgang. »Generaldirektor Iwanin ist eher ein Experte für Zahlen und Bilanzen«, murmelte Remizow.

»Aber kein Pilot?«

»Manchmal glaube ich, er würde lieber Lokomotiven oder Autos bauen statt Flugzeuge«, erwiderte Remizow vertraulich. »Angeblich kriegt er schon im vierten Stock eines Hauses Höhenangst.«

Begleitet vom Tupolew-Testpiloten schlenderte Petrow dem nächsten Ausgang aus der riesigen Flugzeugfertigungshalle entgegen. Die bewaffneten Wachposten dort nahmen Haltung an. Er grüßte sie lässig und blickte dann zu dem kleineren Mann hinab. »Und? Irgendwelche Fragen?«

Remizow schüttelte den Kopf. »Keine.« Kurz zeigte er ein schiefes Lächeln. »Ich habe schon mit Ihrem … Anliegen gerechnet. Also hab ich einen Flugplan ausgearbeitet, der alle Eventualitäten berücksichtigt, was irgendwelche Kinderkrankheiten betreffen könnte. Auf der ganzen Route nach Süden, nach Tschkalow, werden wir nie mehr als einige Minuten Flugzeit entfernt sein von einem potenziellen Notlandeplatz.«

»Ausgezeichnet«, lobte ihn Petrow und meinte es auch so. Die ersten paar Flugstunden waren immer die gefährlichsten mit einem neuen Flugzeug. Man konnte ein revolutionäres Design noch so sehr in Windkanälen und Computersimulationen testen, und trotzdem konnte dann unter realen Bedingungen alles Mögliche katastrophal schiefgehen. »Ihre Gewissenhaftigkeit gefällt mir.«

Remizow zuckte nur mit der Schulter. »Ich hatte einen guten Lehrer.« Dann zeigte er ein wärmeres Lächeln. »Als junger Pilot habe ich unter Ihrem Vater gedient, Oberst.« Voller Bewunderung schwenkte er den Kopf hin und her. »Der General war ein harter Brocken, ganz klar. Ließ einem nichts durchgehen, wenn einer Mist gebaut hat. Aber am Ende hatte er uns so geschliffen, dass wir richtig auf Zack waren.« Er kniff die Augen zusammen und zitierte aus dem Gedächtnis: »Unerbittliches Üben. Gründliches Planen. Unverzügliches Handeln. Das sind die Schlüssel zum Sieg.«

Petrow musste sich beherrschen, um nicht das Gesicht zu verziehen. Würde er denn niemals aus dem Schatten seines Vaters heraustreten? Selbst jetzt noch, Jahre nach dem tödlichen Herzinfarkt seines alten Herrn, lief er immer wieder Bewunderern dieses Helden der Sowjetunion, Generalmajor Wladimir Petrow, über den Weg. Zum Verrücktwerden, wenn auch verständlich. Als junger Fliegerleutnant hatte Petrow senior sich seine Sporen und Orden verdient, indem er sich »freiwillig« meldete für geheime Kampfeinsätze gegen die Amerikaner über Nordvietnam und später gegen die Israelis während des Jom-Kippur-Krieges 1973. Ihm wurden mehrere Abschüsse zugeschrieben, sodass er als der erfolgreichste russische Kampfpilot seit dem Koreakrieg galt. In den folgenden Jahren war er rasch die Karriereleiter emporgeklettert und hatte immer größere Luftwaffeneinheiten mit den modernsten Flugzeugen befehligt. Hätte sein Herz nicht ausgesetzt, so wäre der ruhmreiche Generalmajor Petrow eines Tages vielleicht oberster Chef der russischen Luftwaffe geworden.

Im Gegensatz dazu war sich Alexei Petrow nur allzu bitter bewusst, dass seine eigene Lebensleistung, obgleich bezeugt von Beförderungen, Belobigungen und verschiedenen Fliegerauszeichnungen in Friedenszeiten, nie an die seines Vaters heranreichen würde. Und inzwischen hatte er ein Alter erreicht, in dem dieses Testflugprogramm für den PAK-DA-Tarnkappenbomber sozusagen seine letzte Chance darstellte, sich noch einmal hervorzutun. Sobald er diese Aufgabe, das Einfliegen dieses Bombers mit seinen neuen Systemen, hinter sich gebracht hatte, würde man ihn unweigerlich abservieren und auf einem ruhigen Schreibtischposten irgendwo in der Bürokratie des Verteidigungsministeriums entsorgen. Dann stünden ihm noch Jahre bevor, die er mit langweiligen Akten vergeuden würde, bevor man ihn mit einer lächerlichen Staatspension endgültig aufs Abstellgleis schob.

Arm und vergessen – keine allzu rosigen Aussichten, dachte er grimmig, als er sich von Remizow verabschiedete und das weitläufige Tupolew-Werksgelände verließ. Umso leichter fiel es ihm, sich konkrete Alternativen dazu auszumalen. Sich dabei auch noch vorzustellen, wie sehr das, was er zu tun gedachte, seinen streng pflichtgetreuen Vater entsetzt hätte, verlieh Alexei Petrows Plänen einen zusätzlichen Reiz.

Zwei Fahrstunden außerhalb von Kasan fuhr er mit seinem Irbis-Tourenmotorrad von der verkehrsreichen Schnellstraße ab und folgte einer schmalen, baumgesäumten Landstraße. Er gab Gas und beschleunigte allmählich in einer weit gezogenen Biegung zurück nach Westen. Ein erregendes Gefühl von Geschwindigkeit – die Bäume flogen vorbei, verschwammen zu vagen Formen. Rechter Hand fiel sein Blick durch die Bäume auf eine riesige Fläche dunklen Blaus: den großen Tscheboksarsker Stausee, geschaffen durch einen Staudamm im Lauf der Wolga. Zur Linken erstreckten sich Weizen- und Gerstenfelder, dazwischen kleine Bauerndörfer, und außer gelegentlich einem alten, übers Feld tuckernden Traktor oder ausgeblichenen Kleidungsstücken an einer Wäscheleine vor einem ärmlichen Häuschen gab es kaum Lebenszeichen.

Einige Kilometer weiter ging er vom Gas und ließ die Maschine hinter einem silbergrauen Mercedes neueren Typs ausrollen, der neben dem Straßenrand parkte. Er stieg ab, nahm den Helm vom Kopf und öffnete den Reißverschluss seiner Jacke. Selbst im Schatten der Bäume herrschte eine drückende Sommerhitze.

Als er sich dem Mercedes näherte, stieg der Fahrer aus und öffnete ihm mit einem stummen Nicken die Tür zum Fond. Eine leichte Wölbung des Jacketts verriet, dass der Mann darunter ein Schulterholster trug.

Petrow hob eine Augenbraue. Sein Gesprächspartner hielt also selbst hier in dieser ländlichen Abgeschiedenheit einen Leibwächter für nötig. Möglicherweise führte der von ihm angehäufte Reichtum unweigerlich zu übermäßiger Vorsicht. Falls dem so war, dachte er mit einer gewissen Befriedigung, würde er selbst wohl auch eines Tages Wert auf solche Vorsichtsmaßnahmen legen.

Er schlüpfte auf den Rücksitz des klimatisierten Mercedes und nickte dem älteren, dickeren Mann, der dort auf ihn wartete, höflich zu. »Alles läuft wie geplant«, sagte er selbstsicher.

»Keine Probleme in der Fabrik?«

Petrow zuckte mit den Schultern. »Die Tupolew-Männer ärgern sich, aber niemand will Kopf und Kragen riskieren, um aufzumucken.«

»Die sind nicht dumm«, erwiderte der Ältere mit einem winzigen eiskalten Lächeln. Dimitri Grischin war einer der mächtigsten russischen Oligarchen; engste Verbindungen zu den politischen, industriellen und militärischen Eliten in Moskau hatten ihm ein Vermögen eingebracht. Selbst oder durch Mittelsmänner gehörten ihm beträchtliche Anteile von einigen der erfolgreichsten und lukrativsten Unternehmen Russlands. »Unser Präsident mag es nicht, wenn man seine Entscheidungen infrage stellt.«

»Zum Glück für uns«, stimmte ihm Petrow zu, setzte ebenfalls eine gerissene Miene auf und kniff dann die Augen zusammen. »Wie steht’s um die anderen Bestandteile unseres Plans? Läuft alles, wie es soll?«

Grischin nickte gelassen. »Meine Leute haben alles im Griff. Sie haben ein Tal in der tiefsten Wildnis Alaskas ausfindig gemacht, das für unser Vorhaben wie geschaffen ist. Es wird alles bereit sein, sobald Sie es sind.«

»Und die Amerikaner?«, fragte Petrow. »Könnte es passieren, dass sie zufällig auf Ihr Team aufmerksam werden?«

Der Oligarch schüttelte den Kopf. »Nur die Ruhe, Oberst. Die Wildnis Alaskas ist unüberschaubar und fast vollständig unbesiedelt. Es kann gut sein, dass seit der letzten Eiszeit kein Mensch mehr in der Gegend war, die wir uns da ausgesucht haben, und das ist über 12.000 Jahre her. Die Amerikaner werden nichts davon mitkriegen.«

Solchermaßen beruhigt, stieg Petrow wieder aus und lehnte sich dann zu Grischin hinein. »Also bis dann, wenn der Schnee fällt.«

»Und die Eiswinde blasen.« Der ältere Mann blickte zu ihm empor. »Guten Flug, Oberst. Es steht für uns beide viel auf dem Spiel.«

Petrow grinste ihn an. »Keine Sorge. Ich werde auf den PAK-DA-Prototyp aufpassen, als würde er mir gehören.«

Kurz darauf, als er gerade der davonfahrenden Limousine nachsah, verspürte Petrow einen plötzlichen stechenden Schmerz in seiner rechten Schläfe. »Scheiße«, murmelte er. Seit dem Verlassen des Tupolew-Werksgeländes hatte er sein leichtes Kopfweh stur ignoriert. Doch es verschlimmerte sich. Er runzelte die Stirn, griff nach einer Tablettenschachtel in seiner Tasche und holte zwei Aspirin heraus. Als Zweites zog er eine schmale Stahlflasche hervor, in die das Emblem der Luftwaffe der Roten Armee der UdSSR eingeprägt war. Der Flachmann war das einzige Erbstück seines Vaters, das er wirklich wertschätzte.

Ungeduldig spülte er die beiden Aspirin mit einem Schluck Wodka hinunter und schraubte das Fläschchen wieder zu. Keine Zeit, krank zu werden. Nicht so kurz bevor er dafür sorgen würde, dass man sich für alle Zeit an ihn erinnerte.

1

Wizard One-One, über Südlibyen

August

Sein Schatten verlor sich in den zerklüfteten Spitzen und Türmen schwarzer, erstarrter Lava, während der dunkelgraue US-amerikanische Air-Force-Helikopter des Typs HH-60W Jolly Green II niedrig über das wüste Ödland Südlibyens hinwegflog. Seine Bezeichnung sollte an den HH-3E Jolly Green Giant erinnern, den berühmten Rettungshubschrauber im Vietnamkrieg, und man hatte diese neueste Serienvariante des vielseitigen UH-60 Black Hawk speziell für Einsätze von CSAR-Teams umgerüstet – für bewaffnete Such- und Rettungsmissionen. Genau wie sein Vorgängermodell, der HH-60G Pave Hawk, war er mit einem Bordkran und einer ausfahrbaren Vorrichtung zum Auftanken in der Luft ausgestattet. Doch die Avionik, die Maschinen- und die Waffentechnik sowie die Panzerung waren weiterentwickelt worden, und vergrößerte Treibstofftanks verliehen ihm eine drastisch erhöhte Flugreichweite von nunmehr über 1100 Kilometern ohne Zwischentanken.

Mit einem Ruck senkte der Heli seine Schnauze und sauste im Sinkflug einen kahlen Abhang aus schwarzem Vulkansand und -gestein entlang. Am südwestlichen Horizont wurde die Aschelandschaft auf atemberaubende Weise von einem endlos scheinenden, goldgelben Sanddünenmeer abgelöst – der Sahara. Überall ließ die erbarmungslose Strahlung einer hoch am Himmel stehenden Wüstensonne flirrende Hitzewellen wabern.

Als der Hubschrauber mit über 160 Knoten abwärtsraste, spürte Captain Nicholas Flynn, wie sich sein Magen hob. Er saß, mit dem Gesicht nach außen, direkt hinter dem Cockpit des HH-60. Durch das offene Kabinenfenster vor seiner Nase erhaschte er kurze, verschwommene Blicke auf mächtige Felsbrocken nur wenige Fußbreit unter ihnen, was seinen Eindruck von wahnwitziger Geschwindigkeit noch verstärkte. Er schluckte schwer und verschränkte seine Arme über den Sicherheitsgurten, die ihn in seinem Sitz hielten. »Macht ja echt Spaß«, grummelte er, bevor ihm einfiel, dass er ins Intercom sprach.

»Was ’n los, Nick?«, ertönte die fröhliche Stimme des Piloten, Captain Scott »FX« Dykstra, im Kopfhörer. »Fliegst du nicht gern?«

Durch zusammengebissene Zähne erwiderte Flynn: »Fliegen macht mir nix aus. Ich hab nur gern ein bisschen weniger Erdboden im Himmel direkt unter mir.«

Dykstra schnaubte amüsiert. »Und genau da muss ich dir widersprechen.« Der Heli vollzog einen harten Links-rechts-Schlenker, als er einem mächtigen Basaltfelsen auswich, der schroff aus dem sandigeren Boden emporragte. »In den Wolken ist es ja ganz hübsch und so, aber weiter oben wären wir nur im Jagdgebiet für alle möglichen feindlichen Abfangjäger und Raketen. Hier unten knapp über dem Erdboden sind wir eher in unserem Element, da kriegen die bösen Jungs uns immer nur ein paar Sekunden zu sehen, bevor wir schon an ihnen vorbei und außer Sicht gezischt sind.«

»Theoretisch bin ich da völlig einverstanden«, sagte Flynn und hielt sich krampfhaft fest, während der HH-60 ein weiteres Mal bis etwa 30 Meter über den Wüstenboden nach oben schoss. »Nur in der Praxis scheiß ich mir fast in die Hose.«

Eine weitere Stimme meldete sich im Intercom. Die von Technical Sergeant Carl Zalewski, einem der beiden PJs, Fallschirmrettungsspringer, hier mit ihm in der Kabine des Jolly Green II. »Hoffentlich meinen Sie das nicht wörtlich, Sir. Unsere Jungs haben den Vogel gerade frisch gewaschen, bevor wir von El Minya losgeflogen sind. Wenn wir den vollgeschissen zurückbringen, kriegen wir echt Ärger mit denen.«

Flynn musste grinsen. »Das war bloß so dahergesagt, Zee. Keine Bange, meine Tarnklamotten bleiben sauber, ohne irgendwelche peinlichen neuen braunen Flecken im Stoff.«

Das brachte die restliche Crew von Wizard One-One kurz zum Lachen. Alles in allem waren sie außer Flynn zu fünft: Dykstra; die Co-Pilotin, Captain Kate »Ghost« Kasper; der Flugingenieur, Stabssergeant Bill Wade; Zalewski und der andere PJ, Technical Sergeant Mike Camarillo.

»Mensch, Nick, wenn du die Nerven verlierst, muss ich dich wohl von Wade zwischen den Maschinen-Checks im Auge behalten lassen«, witzelte Dykstra. »Dann hätt er wenigstens was zu tun, statt immer nur rumzujammern und mit den Zähnen zu knirschen, weil ihm seine Waffen fehlen.«

»Ich jammer doch gar nicht, Sir«, sagte der kräftig gebaute Flugingenieur mit gespielter Empörung. »Ich schmolle nur still vor mich hin.«

Vor ihrem Abflug von El Minya, dem ägyptischen Luftwaffenausbildungsstützpunkt im Niltal, hatte das Bodenpersonal eiligst die beiden Kaliber-50-Maschinengewehre an den Seitentüren demontiert. Die Waffen samt ihren Halterungen zu entfernen ersparte fast eine halbe Tonne Gewicht. Trotz erweiterter Treibstofftanks zählte jede Gewichtsersparnis, um dem HH-60 mehr Reichweite zu verschaffen. Denn das Ziel dieser Such- und Rettungsmission, eine Absturzstelle im Süden Libyens, lag nur gerade noch so innerhalb seiner Reichweite – ein Auftankmanöver zwischendurch in der Luft miteingerechnet, um überhaupt dorthin zu gelangen.

Bis vor fünf Stunden hatte die Crew, als Teil des 64th Expeditionary Rescue Squadron, noch an wochenlangen gemeinsamen Übungen mit ihren ägyptischen Kollegen und denen anderer Verbündeter teilgenommen. Von einem Moment zum andern änderte sich dies, als eine Eilmeldung reinkam, die vom Absturz einer C-130J Super Hercules der US-amerikanischen Air Force berichtete, und zwar tief in der Sahara, einige Kilometer vom nächsten bewohnten Ort entfernt, der Oase Wath. Obwohl über 1400 Kilometer weit weg, waren sie das nächste einsatzbereite CSAR-Team. Ein Fallschirmspringerteam hinzufliegen wäre wohl schneller gewesen, doch wollte niemand ernsthaft riskieren, eine Rettungsmannschaft dort ins Ungewisse abspringen zu lassen, ohne jede Möglichkeit, sie notfalls, wenn es Ärger gab, schnellstens wieder rausholen zu können. Also war das Spezialteam in seinem Jolly Green II nun unterwegs, um etwaigen Überlebenden des Absturzes zu Hilfe zu kommen. Allerdings hatte man schon seit Stunden keinen Funkkontakt mehr mit der Absturzstelle, es sah also immer weniger danach aus, als hätte überhaupt jemand überlebt. Aber natürlich musste man nachschauen, was los war.

Pilot und Co-Pilotin von Wizard One-One, Dykstra und Kasper, besaßen Kampferfahrung: Sie hatten einige heikle Rettungseinsätze absolviert, in denen sie verwundete amerikanische oder verbündete Soldaten unter Beschuss aus feindlichem Gebiet extrahiert hatten.

Bill Wade würde auch bei einem extrem langen und schwierigen Flug dafür sorgen, dass sämtliche Maschinen, Hydrauliksysteme und sonstige Gerätschaften des Helikopters sauber funktionierten. Und die beiden Rettungsspringer Zalewski und Camarillo hatten eines der anspruchsvollsten Ausbildungsprogramme im gesamten US-Militär hinter sich, mit nahezu zwei Jahren verschiedener harter Lern- und Trainingseinheiten: Notfallmedizin, Fallschirmspringen, Bergsteigen, Kampfschwimmen und -tauchen, Survival-Training, taktische Übungen, Hubschraubereinsätze und noch ein halbes Dutzend weitere Spezialkurse. Falls im Innern des Wracks der C-130J Turboprop-Maschine noch verletzte Überlebende eingesperrt waren, würden diese beiden Männer mit ihren Fähigkeiten sie rausholen und lebend zurück zum Stützpunkt bringen.

Nick Flynns Rolle bei alledem schien weniger eindeutig. Er hatte das College mithilfe eines Reserveoffizier-Ausbildungsstipendiums abgeschlossen und danach eine gründliche Ausbildung zum Special Tactics Officer innerhalb des Air Force Special Operations Command absolviert, womit er sich das Recht verdient hatte, ein scharlachrotes Barett tragen zu dürfen, während der Rest der Crew ein kastanienbraunes trug. Doch nicht nur im Farbton der Mütze unterschied er sich von den anderen. Wegen seiner schnellen Auffassungsgabe und seines Ohrs für Fremdsprachen hatte man ihn kurz nach seiner STO-Ausbildung für Geheimdienstoperationen der Air Force rekrutiert. Offiziell war er als Mitglied dieses Kampf- und Rettungsteams nach Ägypten entsandt worden, was jedoch nur eine Art Tarnung war. Insgeheim sollte er Informationen über die Ägypter und Angehörige anderer Fremdstaaten sammeln – HUMINT im Agentenjargon, Human Intelligence – und möglichst solche Personen auskundschaften, die eines Tages eventuell als Geheimdienstquellen für die USA angeworben werden konnten. Oder aber, im Gegenteil, möglicherweise geneigt waren, für terroristische oder andere den USA feindlich gesinnte Gruppierungen zu arbeiten.

Und nun hatte man ihn offiziell wegen seiner Sprachkenntnisse mit auf diesen Rettungsflug geschickt. Tatsächlich verstand er als Einziger genug Arabisch, um notfalls mit Einheimischen reden zu können. Doch der befehlshabende Lieutenant Colonel des 64th hatte noch triftigere Gründe dafür, Flynn in diesen Hubschrauber zu setzen. »Sie sind ein Spion, Nick«, hatte er ihm seelenruhig gesagt. »Und was auch immer dort passiert ist, an der Sache ist irgendwas oberfaul. Im Moment will mir keiner der Ranghöheren erklären, was zum Teufel eine unserer C-130er so ganz allein so weit unten in Libyen zu suchen hat. Ich kriege bloß Wischiwaschi zu hören, von wegen ich soll mir darüber keine Gedanken machen. Das ist natürlich Scheißdreck. Ich werd auf keinen Fall meine Leute so einfach da runterschicken, ohne dass jemand speziell Ausgebildetes dort für mich Augen und Ohren offen hält und im Notfall dann das Kommando übernimmt. So kommen Sie ins Spiel.«

Flynn mochte ihm kaum widersprechen. Selbst über zehn Jahre nach dem brutalen Bürgerkrieg, der Oberst Muammar Gaddafis diktatorische Herrschaft beendet hatte, war Libyen immer noch ein Hexenkessel rivalisierender bewaffneter Gruppierungen. Eine funktionierende Zentralregierung gab es nicht, stattdessen wechselnde Koalitionen regionaler Mächte, Stammesgruppen und unausrottbarer Islamisten. Im größten Teil des zersplitterten Landes beherrschten Chaos und Krieg den Alltag. Besonders im dünn besiedelten tiefsten Süden, Hunderte Kilometer weit weg von Libyens dichter besiedelter Mittelmeerküste. Umso weniger war dort also normalerweise mit einer Frachtmaschine der U. S. Air Force zu rechnen.

Unbewusst tätschelte er den M4A1-Karabiner, der mit einer Schlinge an seiner gepanzerten Kampfweste hing. Was auch immer sie an der Absturzstelle erwartete, heute war mit Sicherheit kein weiterer öder Tag, an dem er sich bei endlosem Teetrinken an Ägypter, Saudis, Iraker oder andere fremdländische Offiziere heranmachte.

Ein leises Ping im Kopfhörer signalisierte ihm eine aktuelle Info vom Bordnavigationscomputer. Von ihrem Sitz auf der linken Seite ganz vorn gab Kate Kasper die Infos durch, die auf einem ihrer großen Multifunktionsdisplays angezeigt wurden. »Aufwachen, Kinder. Wir sind nur noch acht Minuten von der vermuteten Absturzstelle entfernt. Checkt eure Ausrüstung und haltet euch bereit.«

Flynn überprüfte kurz die aufgesetzten Taschen an seiner Körperpanzerweste. Reservemagazine für den Karabiner und die Glock-19-Handfeuerwaffe – ja. Das Panasonic-Toughbook-Tablet für den Feldeinsatz – ja, okay und vollständig aufgeladen. Sein Taschenlaserentfernungsmesser und sein Mehrfrequenzfunkgerät – ja. Er war bereit.

Auf den beiden Sitzen hinter ihm taten Zalewski und Camarillo das Gleiche mit ihren jeweiligen Waffen und Ersthelferausrüstungen. Damit zufrieden, widmeten sich die beiden PJs rasch den kompakten Schneide- und Hebelwerkzeugen in ihren Rucksäcken.

»Zwei Minuten«, ließ Kasper verlauten. »Auf dem Radar seh ich einzelne Objekte auf dem Boden etwa zehn Kilometer entfernt vor uns in Zwölf-Uhr-Richtung.«

»Ich seh keinen Rauch«, ergänzte Dykstra sachlich. »Jegliches Feuer muss bereits erloschen sein.«

Flynn lehnte sich in seinem Sitz zurück und reckte schräg den Kopf, um durchs Cockpit nach vorn zu schauen. Die Hitzewellen ließen die Sicht verschwimmen. Immerhin war eindeutig eine geschwärzte Furche im orangegelben Wüstensand zu erkennen. Am Ende der Furche dann ein großer, zerknautschter, grauer Zylinder, der mit der Nase voran halb in einer mächtigen Düne steckte. 100 oder 200 Meter beiderseits des Wracks lagen Trümmerstücke aus verbogenem und zerrissenem schwarzen Metall verstreut – Maschinenteile, verkrümmte Propeller, verkohlte Flügelbleche.

Dykstra pfiff leise. »Sieht so aus, als wär der Herky-Vogel fast waagerecht auf den Boden gekracht. Die Flügel hat’s abgerissen, aber der Rumpf scheint noch weitgehend intakt.« Er bediente die Steuerungen für die Rotoren und Ruder, sodass der Jolly Green II sachte an Tempo verlor und in einem sanften Abwärtsbogen einen Landeplatz hinter der abgestürzten C-130 anflog.

Doch noch im Landeanflug bemerkte Flynn plötzlich einen Doppelturbinenheli, einen mittelgroßen Mi-17-Transporthubschrauber russischer Bauart, der keine 100 Meter vom Rumpf der Super Hercules auf dem Wüstensand saß. Merkwürdigerweise wies die wüstentarnfarbene Karosserie nirgends irgendwelche nationalen oder sonstigen Erkennungszeichen auf. Um den Hubschrauber und das Flugzeugwrack bewegten sich mehrere Männer in Zivil, die nach Westlern aussahen. Einige von ihnen trugen leichte Waffen und militärartige Körperschutzpanzerung.

»Verdammte Scheiße«, murmelte Kasper. »Wir sind nicht allein.«

Im ARC-210-Kommunikationssystem des Helis meldete sich eine knarzende Stimme: »Wizard One-One, hier spricht Rocking Horse Six. Schlage vor, Sie landen auf der anderen Seite des Wracks. Wenn Sie am Boden sind, reden wir weiter.«

»Verstanden, Rocking Horse«, antwortete Kasper knapp. Ihre Finger flitzten über das Multifunktionsdisplay, um die angegebene Bezeichnung des Funkspruchsenders zu checken. Dann sprach sie ins Intercom: »Laut Computer ist der Name ›Rocking Horse‹ korrekt. Er gehört allerdings zu einer OGA.«

Flynn schnaubte. »OGA« war Militärjargon: »Other Government Agency« bedeutete eigentlich neutral »andere US-Dienste«, in der Praxis aber meist die Geheimdienstler und die paramilitärischen Helfershelfer der CIA.

»Weißt du irgendwas über diese Leute oder was sie hier treiben, Nick?«, fragte Dykstra, während er leichte Änderungen an der Flugsteuerung vornahm, um mit dem Heli wieder abzudrehen und am vorgeschlagenen Landeplatz aufzusetzen. »Ich meine, in deiner anderen Rolle?« Damit spielte er, nicht besonders subtil, auf Flynns Undercover-Status als Geheimagent der Air Force an.

»Keinen feuchten Furz, FX«, erwiderte Flynn wahrheitsgemäß. Er griff nach dem Schnelllöser seiner Sitzgurte. Sandwolken wirbelten auf, als der HH-60 mit seinen Rotoren herunterkam und sanft mit seinem Hauptfahrwerk aufsetzte. Flynn kniff die Augen zusammen. »Das wird sich aber schnell ändern, kann ich dir versprechen.«

2

Absturzstelle der C-130J Super Hercules,

im Süden Libyens

Eine Stunde später

Von der Flugzeugbesatzung, drei Männer der U. S. Air Force, hatte keiner überlebt. Um das festzustellen, mussten Zalewski und Camarillo sich zäh durch die halb im Boden steckende Schnauze der großen Turbopropmaschine arbeiten – zuerst durch zusammengebackenen Sand, dann durch angerissene Schichten vom Aufprall demolierten Metalls.

Nahe genug an die Überreste des Cockpits herangekommen, entdeckten sie die verkrümmten Leichen der beiden Piloten und des Lademeisters in einem Gemenge aus zerstörten Instrumenten, Armaturen, Verkabelungen, Konsolen und Sitzen.

»Wie sieht’s aus?«, fragte Flynn, als Zalewski rückwärts wieder herausgekrochen kam.

Der große Rettungsspringer lockerte seine Schultern und schüttelte gravitätisch den Kopf. »Schlecht, Sir. Ein totales Durcheinander. Wird ’ne ganz schöne Arbeit, die Leichen da rauszuholen.« Er zog Helm und Handschuhe aus, rieb sich müde mit der Hand durchs kurz geschorene, schweißnasse Haar und saugte dann einen großen Schluck durch den Schlauch aus seinem Trinkwasserpack. Hier draußen in der Nachmittagssonne herrschten bestimmt an die 40 Grad, und in der Enge des Flugzeugwracks war es natürlich noch heißer.

Flynn nickte und senkte die Stimme. »Also, was denkst du? Ein Unfall oder Feindeinwirkung?«

Nachdenklich runzelte Zalewski die Stirn. »Wenn ich wetten müsste, Sir, dann würd ich sagen, das waren die bösen Jungs«, sagte er bedächtig. »Die Schnauze der Herc ist völlig aufgerissen. Noch mehr, als ich’s vom Aufprall und Reinbohren in diese Sanddüne erwarten würde.«

Auch Flynn runzelte die Stirn. »Vielleicht eher wie von einer Rakete getroffen?«

»Entweder das oder jemand hat direkt hinterm Cockpit eine Bombe gezündet«, meinte Zalewski. Er zeigte mit einem Daumen über die Schulter auf den hinteren Rumpfteil der C-130. »Sobald unsere Technik-Experten sich über die Flugdaten und die Aufnahmen vom Cockpit-Funkverkehr hermachen können, sollten wir genauer erfahren, was da passiert ist.«

»Ja.« Flynns Blick wanderte den Kamm der massigen, kilometerlangen Düne entlang, der sich etwa 60 Meter über ihre Köpfe erhob. Er biss die Zähne zusammen. Ganz oben kauerten, knapp 100 Meter entfernt, eine Handvoll Gestalten in weißen Gewändern und mit Kopfbedeckungen und beobachteten das Treiben um das abgestürzte Flugzeug mit unverhohlener Neugier. Während Camarillo und Zalewski sich ihren Weg ins Cockpit geschnitten hatten, waren offenbar die ersten Einheimischen von der nahe gelegenen Oase hier aufgetaucht. Und mit jeder Minute wurden es mehr. Er wandte sich wieder dem großen PJ zu. »Weißt du was? Ich glaub, es wäre ’ne gute Idee, wenn ihr diese Black Boxes da so schnell wie möglich rausholt. Bevor es hier zugeht wie an der Grand Central Station zur Rushhour.«

»Das wird nicht nötig sein, Captain«, sprach jemand hinter ihm.

Flynn drehte sich um und fand sich einem der Zivilisten gegenüber, die schon vor ihnen mit dem nicht gekennzeichneten Mi-17-Hubschrauber hier gelandet waren. Der Mann war knochendünn. Er hatte sich zuvor als Anderson White vorgestellt – mit Sicherheit ein falscher Name, der allerdings zu seinen blassen Augen, dem verwaschenen Blick, den kurzen grauen Haaren und den beinahe farblosen dünnen Lippen passte. Wer auch immer er wirklich war, offenbar war er der Teamführer bei dieser Black Op.

»Und warum, Mister … White?«, fragte Flynn und machte mit seiner Sprechpause klar, dass er ihm den angeblichen Namen nicht abkaufte.

»Mein Team wird diese Datenspeicher bergen und dafür sorgen, dass sie in die richtigen Hände geraten«, erwiderte White lapidar, ohne auf die Spitze zu reagieren. »Ich schlage vor, Ihre Leute konzentrieren sich aufs Bergen der Leichen. Alles andere sollten Sie uns überlassen. Das ist nicht Ihre Show hier.«

Flynn gefiel überhaupt nicht, wie sich das anhörte. Er verfiel absichtlich etwas deutlicher in seinen heimatlichen texanischen Zungenschlag. »Vielleicht vergesst Ihr Leutchen was. Dass das hier nämlich ’ne C-130 der Air Force war.«

»Die im Auftrag meiner Agency unterwegs war«, entgegnete White geschmeidig. »Mit einer Ladung von uns. Weshalb alles außerhalb des Cockpits dieses Flugzeugs in unsere Zuständigkeit fällt.«

Mit Mühe beherrschte sich Flynn. Das OGA-Team dieser Black Op hatte ihnen praktisch keinerlei Informationen gegeben, außer dass die Super Hercules hier so niedrig über dieser Wüste geflogen war, weil sie sich im Anflug auf eine alte Landebahn der libyschen Luftwaffe nahe der Wath-Oase befunden hatte. Daraufhin hatte er sich die entsprechende Karte und die Daten dazu auf sein Tablet heruntergeladen und erkannt, dass es sich hierbei um einen Stützpunkt handelte, den Gaddafi im Aouzou-Streifen errichtet hatte, einem knapp 100 Kilometer breiten Landstreifen im libyschen Grenzgebiet zum Tschad. Angeblich reich an Uranvorkommen, hatte es Ende der 1970er neun Jahre lang militärische Auseinandersetzungen zwischen den beiden Staaten um diesen Landstrich gegeben. Genau die Art von umstrittenem Gebiet, die leicht die übelsten Akteure dieser Welt auf den Plan rief, insbesondere solche, die an radioaktiven Erzen zur Kernspaltung oder für Nuklearwaffen oder für primitive schmutzige Atombomben interessiert waren.

Unmittelbar nach der Landung hatte Flynn sich kurz im weitgehend unversehrten Frachtraum der C-130 umgesehen. Doch in Sekundenschnelle war einer von Whites harten Jungs aufgetaucht, ein Paramilitär mit Tattoos und Bart, Typ ehemaliger Angehöriger einer Spezialeinheit, der ihn etwas unsanft wieder hinausscheuchte. Immerhin konnte Flynn noch einen Blick auf einige Transportkisten im Bauch der großen Turbopropmaschine erhaschen, die sehr nach einer Riesenladung Kleinwaffen, Munition, Raketengranaten und Landminen aus russischer Fabrikation aussahen.

Er hob nun gegenüber White eine Augenbraue und fragte ihn: »Ihre Zuständigkeit? Was meinen Sie damit genau?«

»Damit meine ich, dass Sie Abstand halten und mein Team in Ruhe arbeiten lassen, ohne sich weiter einzumischen«, antwortete White. Er blickte auf seine Armbanduhr. »Soviel ich weiß, wird in etwa einer Stunde die Ladung geborgen und das Flugzeug mit Sprengsätzen versehen sein.« Seine Lippen wurden noch schmaler. »Weshalb ich ernsthaft vorschlage, Sie lassen Ihr Team beim schnellstmöglichen Bergen der Leichen einen Gang hochschalten. Wenn wir unsere Sprengsätze angebracht haben, sitzen wir nicht länger hier rum und sehen Ihnen bei der Arbeit zu.«

Flynn starrte ihn an. »Sie jagen das Wrack in die Luft?«

White nickte. »Wir säubern die Absturzstelle, Captain. Und zwar gründlich. Diese Sauerei muss verschwinden, bevor hier noch mehr ungebetene Gäste antanzen. Internationale Presse zum Beispiel, oder eine oder mehrere der verschiedenen Parteien, die meinen, diese gottverlassene Gegend wäre ihr Gebiet.«

»Damit es keinerlei Hinweise mehr darauf gibt, dass Sie die Gegenseite, irgendeine andere Splittergruppe, mit Waffen versorgen? Hier in Libyen? Oder weiter südlich im Tschad?«, hakte Flynn entschieden nach.

»Eine provozierende Unterstellung«, befand sein Gegenüber, dessen Tonfall nun ebenfalls etwas schärfer wurde. »Da die Angelegenheit aber strengster Geheimhaltung unterliegt, rate ich Ihnen dringend, die Sache zu vergessen. Auf der Stelle.«

»Oder was? Sonst müssten Sie mich töten?«

White lächelte schmal. »Sie haben wohl zu viele schlechte Filme gesehen, Captain Flynn. Heutzutage bringen wir niemanden mehr um, um unsere Geheimnisse zu bewahren. Jedenfalls nicht mehr so oft.« Er hob die Schultern. »Wir bevorzugen nicht tödliche Maßnahmen.«

»Wie zum Beispiel?« Flynn setzte ebenfalls ein dünnes Lächeln auf. »Amnesie-Drogen? Gedächtnislöscher wie bei Men in Black?«

»Weniger technisch«, erwiderte sein Gegenüber ungerührt und ließ jegliche Umgänglichkeit beiseite. »Stattdessen verlassen wir uns auf bestimmte Freunde in den Medien. Die ziehen zuverlässig den guten Ruf und die Karriere einer Zielperson durch den Dreck, bis alle, auf die’s ankommt, felsenfest davon überzeugt sind, dass die betreffende Person entweder verrückt oder korrupt ist.« Ein Glanz trat in seine blassen Augen. »Glauben Sie mir – Sie wollen mit Sicherheit nicht im Brennpunkt einer unserer Schmutzkampagnen stehen. Also ziehen Sie verdammt noch mal den Schwanz ein.«

Flynn versteifte sich, spürte jedoch plötzlich Zalewskis Pranke auf seiner Schulter.

»Dieser Kerl ist den Ärger nicht wert, Sir«, brummte der PJ. »Lassen Sie ihn. Fürs Erste.«

Widerwillig ließ Flynn sich von ihm davonführen. Er sah zu dem Technik-Sergeant empor. »Du willst mir doch keine von Herzen kommenden Ratschläge erteilen, wie übel ein Ringkampf mit einem Schwein ausgehen kann, oder?«

»Verdammt, nein«, sagte Zalewski und grinste. »Ich stamme aus ’nem Vorstadtviertel. Schweine kenn ich nur in Form von Schinken und Bauchspeckscheiben.« Mit einem Nicken deutete er nach hinten über die Schulter, wo White ihren Abgang beobachtete. »Aber dafür hab ich ’nen ziemlich guten Sensor für gefährliche Arschlöcher. Und bei dem Typen schrillen bei mir sämtliche Alarmglocken.«

»Und was meinst du zu seiner Truppe?«

Der PJ zuckte mit der Schulter. »Ziemlich ordentlich. Bestimmt ehemalige Dreckfresser.« Ein anerkennendes Militärschimpfwort für Angehörige der Special Forces, die eben nicht bloß Soldaten verbündeter Truppen oder lokaler Milizen ausbildeten, sondern auch im Kampfeinsatz ihren Mann standen. »Wahrscheinlich verdienen sie jetzt unter ihren windigen Geheimdienstbossen mehr Kohle als wir.«

Flynn rief sich sein Monatsgehalt mit all den Abzügen ins Gedächtnis und nickte. »Jede Wette, Zee.« Erneut ließ er seinen Blick zum Kamm der Düne emporschweifen. Gerade stießen zwei weitere Männer in Umhängen zu den bereits anwesenden Beobachtern. Er kniff die Augen etwas zusammen. »Schafft ihr’s innerhalb dieser einen Stunde, die Leichen zu bergen?«

»Wird schwierig«, gestand Zalewski.

»Und wenn ich euch helfe? Mit eurem Handwerkszeug kenn ich mich zum Teil schon aus.«

Der PJ schüttelte den Kopf. »Danke fürs Angebot, Sir. Aber in dem Wrack isses verdammt eng. Um uns ’nen genügend großen Zugang zum Cockpit zu verschaffen, können Mike und ich uns da nur abwechseln.« Seine Augen folgten Flynns Blickrichtung. »Allerdings könnten wir wahrscheinlich hier draußen ein paar Augen gebrauchen. Die Beobachter beobachten, wenn du verstehst.«

»Ja, ich hab auch nicht allzu gern so ein Publikum.« Dass sie nicht genug Leute übrig hatten, um die Absturzstelle rundum zu bewachen, bereitete Flynn Sorgen. Die meisten Männer vom Black-Ops-Team der Agency waren mit dem Frachtraum des C-130-Flugzeugs beschäftigt. Und die Flug-Crew seines eigenen Teams Wizard One-One war mit der Bewachung des Helis vollauf ausgelastet. Dasselbe galt für die beiden Piloten des Mi-17. White hatte einen seiner Ex-Spezialeinheiten-Söldner als Wachposten am Heck des Flugzeugwracks abgestellt. Ansonsten gab es da nur noch ihn selbst, Flynn.

Unterschwellig hatte es in ihm von dem Moment an zu arbeiten begonnen, als Zalewski seinen Verdacht teilte, dass der Crash wohl kein Unfall war. Er beschloss, sich von den instinktiven Warnsignalen seines Echsengehirns leiten zu lassen. Wer auch immer diese Frachtmaschine abgeschossen hatte, mochte noch Weiteres im Schilde führen. Was für Leib und Leben von Mama Flynns Sohnemann gefährlich werden konnte … sowie für alle anderen Amis hier vor Ort. Weshalb er sich besser einen möglichst genauen Überblick über die Umgebung und die taktische Lage verschaffte.

Also begann er, sobald der PJ wieder zurück in den kaputten Vorderrumpf der C-130 gekrochen war, den mühsamen Aufstieg zum Dünenkamm. Bei jedem Schritt seiner Kampfstiefel rutschte der lose Sand darunter abwärts. Schweißgebadet kam er oben an. Auf der messerklingenartigen Kante tanzten winzige Sandwirbel, ausgelöst von gelegentlichen Windhauchen so heiß und trocken wie aus einem Backofen. Die im Westen allmählich sinkende Sonne ließ seinen Schatten linker Hand allmählich länger werden.

Gegen das Gleißen anblinzelnd, hob er sein Binokularfernglas und blickte über das Sandmeer hinweg zur Wath-Oase. Ihre wenigen, dicht gedrängten Gebäude wiesen den Weg zur einzigen Wasserquelle im Umkreis von gut 100 Kilometern. Von dort her war wohl am ehesten Ärger zu erwarten.

Von der nächsten südlich gelegenen Düne führten Spuren in Flynns Richtung, die sich über den Wüstenboden zogen bis zu einer kleinen Kamelherde, die sich am Fuß seiner Düne niedergelassen hatte, knapp 200 Meter von seiner Position auf dem Kamm entfernt. Zwei weitere Einheimische mit weißen Gewändern kauerten bei den Kamelen, offenbar um sie zu bewachen.

Flynn fokussierte das Fernglas auf sie. Die Gesichter unter ihren Kopftüchern waren kaum zu erkennen, doch sie kamen ihm jung und fit vor, sicherlich höchstens 30 Jahre alt. Der harte Überlebenskampf in diesem brutalen, wasserlosen Klima ließ die Menschen schnell altern.

Langsam senkte er das Fernglas wieder. Da fiel ihm auf, dass weder Frauen noch Kinder hier aufgetaucht waren, um das Wrack der Super Hercules und die damit beschäftigten Amerikaner zu begaffen. Genauso wenig hatte er ältere Männer gesehen, die normalerweise im halbnomadischen Alltagsleben der hier ansässigen Clans das Sagen hatten.

Eine kurze Bewegung in südlicher Richtung erregte seine Aufmerksamkeit, und er hob den Feldstecher erneut vor die Augen – gerade rechtzeitig, um einen weiteren weiß Gewandeten hoch auf der benachbarten Düne wild einem gerade über den Kamm gelangten Kamelreiter zuwinken zu sehen. Im Unterschied zu den anderen war dieser Reiter in bunte Tücher gehüllt, wie sie die Frauen hier gern trugen. Eine Reiterin. Die sofort gehorchte und den Kopf ihres Tiers wieder zurück in die andere Richtung lenkte, auf der anderen Seite die Düne wieder hinab. Offensichtlich zufrieden ließ sich der Beobachter in die Hocke sinken.

»Mist«, murmelte Flynn. Irgendjemand verwehrte offenbar den Zugang hierher oder ließ nur kräftige junge Männer durch. Das roch nach Ärger. Rasch wandte er sich ab und stiefelte halb rutschend den Hang der Düne wieder hinunter.

Er suchte White auf, der die Aktivitäten seines Teams vom Heck des Flugzeugwracks aus verfolgte.

»Was wollen Sie denn noch, Captain?«, rief der grauhaarige Geheimdienstler genervt. »Ich hab Ihnen doch klar und deutlich gesagt, dass das hier mein Ressort ist, nicht Ihres.«

Mit Mühe hielt Flynn seinen Ärger im Zaum. »Wir haben vielleicht größere Probleme als unser Kompetenzgerangel, Mr. White«, sagte er ruhig.

»Und zwar?«, fragte der Mann skeptisch.

Schnell legte Flynn ihm seine Beobachtungen und Schlussfolgerungen dar. »Das Flugzeug wurde wahrscheinlich absichtlich hier vom Himmel geholt, entweder mit einer Rakete oder einer Bombe. Und ich vermute, dass die Übeltäter sich gerade zusammenrotten, um die Sache zu Ende zu bringen«, sagte er schließlich. »Das heißt, sie haben uns alle im Visier.«

»Und Ihre bemerkenswerten Überlegungen beruhen allein darauf, dass uns keine Frauen und Kinder bei der Arbeit zuschauen?«, äußerte White skeptisch. »Um Gottes willen, Mann, kriegen Sie sich wieder ein. Die örtlichen Clans, das sind primitive Hirten. Und fromme Moslems. Kaum verwunderlich, dass sie ihre Frauen und Kinder ungern in Kontakt mit uns Ungläubigen bringen wollen. Zumal wir hier ihres Wissens die zermalmten Opfer eines Flugzeugabsturzes bergen.« Er schürzte die Lippen. »Beruhigen Sie sich mal. Das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können, ist, dass Sie aufgeregt rumrennen und einen Zwischenfall provozieren.«

Mit dieser Bemerkung und einer Handbewegung schien er Flynn verscheuchen zu wollen. »Ich habe Ihre Bedenken zur Kenntnis genommen, Captain. Und jetzt, wenn ich bitten darf, hab ich Wichtigeres zu tun.« Er wandte sich ab, um mit einem seiner Paramilitärs zu sprechen, die dabei waren, die Sprengladungen anzubringen.

Es kostete Flynn jedes bisschen Selbstbeherrschung, nicht zu explodieren und dem Teamleiter dieser Black Op die Fresse zu polieren. Stattdessen holte er tief Luft, drehte sich auf dem Absatz um und marschierte energisch auf den HH-60W zu. Falls sein Verdacht sich bestätigte, dass hier bald die Kacke am Dampfen war, mussten Dykstra, Kasper und die anderen darauf vorbereitet sein.

Er umrundete die Schwanzspitze der C-130 und erblickte den still auf seinem Fahrgestell stehenden Helikopter. Durch die offene Seitentür konnte er Bill Wades Stiefelsohlen sehen. Solange ihr Vogel am Boden festsaß, führte der Flugingenieur mit einem aufgeklappten Elektronikteil irgendwelche Routinechecks durch. Wider Erwarten hielten sich Dykstra und Kasper nicht in unmittelbarer Nähe des Cockpits auf.

Nein, das Pilotenduo hatte sich ein paar Meter näher am Fuß der massiven Sanddüne positioniert – demonstrativ zwischen ihren Heli und einige weiß gewandete Beduinen, die sich hangabwärts langsam auf sie zubewegten, wobei sie munter laute Worte und weit ausholende Gesten austauschten. Dykstra und Kasper ließen ihre Hände auf den M4A1-Karabinern ruhen, die über ihren Kampfwesten hingen. Wohlweislich zeigten sie mit ihren Waffen nicht auf die Einheimischen. Noch nicht. Doch genauso klar rechneten sie jederzeit mit einer Bedrohung durch die herannahenden Männer.

Dadurch war ihnen der Beduine entgangen, der in wallenden Gewändern um die andere Rumpfseite des Jolly Green II herumgeschlichen kam. Seine Bewegungen waren mitnichten so lässig wie die der anderen. Langsam und dennoch zielstrebig hielt er auf die offene Kabine des Helis zu.

Ganz und gar nicht gut, dachte Flynn, und trotz der knochentrockenen Hitze überkam ihn ein Frösteln. Er beschleunigte seine Schritte, um den Beduinen abzufangen. »Alsalam ealaykum ya sidiqi. Hal yumkinuni musaeidatuk baschi’an?«, sprach er ihn laut in höflichem Arabisch an. »Friede mit dir, mein Freund. Kann ich dir irgendwie helfen?« Die örtlichen Teda-Stämme besaßen ihre eigene Nil-Sahara-Sprache, Tedaga, aber die beherrschte Flynn nicht. De facto war Arabisch jedoch die Lingua franca in ganz Nordafrika.

Überrascht hielt der weiß Gewandete inne und drehte sich zu ihm herum. »Ah, la. Ah, nein«, sagte er zögerlich. »Schukrana jazila. Ana jidi. Nein danke, alles in Ordnung.«

Alles in Ordnung, ja, Scheiße. Flynn nahm wahr, dass der Mann die Worte verschliff, und beim Näherkommen sah er seine erweiterten Pupillen. Der Mistkerl stand unter Drogen. Schlecht. Ganz schlecht. Flynns Rechte langte nach der Glock 19 im Holster auf seinem Brustpanzer. »Akhraj min hna!«, rief er scharf. »Hau sofort ab hier!«

Der Beduine riss panisch die Augen auf und fummelte am offenen Spalt seines Gewands herum, um etwas daraus hervorzuziehen.

Für den Bruchteil einer Sekunde erhaschte Flynn einen Blick auf Kabel und eine dick ausgebeulte Weste. Und reagierte sofort. Sein linker Unterarm schoss vor und schlug die Hand des Mannes beiseite, und in derselben Bewegung zog er seine Pistole, legte den Finger auf den Abzug, riss die Waffe hoch und feuerte sie zweimal ab. Beide 9-Millimeter-Kugeln trafen den Beduinen mitten ins Gesicht, durchbohrten seinen Schädel und traten explosionsartig auf der Rückseite wieder aus. Bereits tot fiel der verhinderte Selbstmordattentäter auf die Knie und sackte dann vornüber zusammen.

Das ohrenbetäubende Krachen der beiden Schüsse hallte sirrend in Flynns Gehörgängen nach; Adrenalin flutete seinen Organismus, und die Welt um ihn herum schien sich nur noch im Zeitlupentempo zu bewegen. Er steckte die Glock ins Brustholster zurück und griff stattdessen nach seinem M4A1-Karabiner.

Durch die offene Tür des HH-60W sah er, dass Bill Wade ihm über die Schulter hinweg einen überraschten Blick zuwarf. Dykstra und Kasper auf der anderen Seite des Helis reagierten genauso, sie hatten ebenso wenig mit diesem plötzlichen Gewaltausbruch gerechnet.

Auch das Grüppchen weiß gewandeter Männer hinter ihnen, die den Hang der Sanddüne herabgestapft kamen, hielt abrupt inne. Jetzt allerdings lächelten sie nicht mehr. Ihre Mienen versteinerten, auch ihr Blick wurde starr, aus zusammengekniffenen Augen. Männer, die zum Töten entschlossen waren.

»Feind! Auf der Düne!«, brüllte Flynn und stürzte in einem schrägen Winkel vorwärts, um in eine gute Schussposition zu gelangen. »In Deckung, und feuern, verdammt noch mal! Das ist ein Hinterhalt!«

Die restlichen Beduinen griffen zu unter ihren Gewändern verborgenen Waffen und fummelten verschiedene AK-47 und AKMs aus der Sowjetzeit daraus hervor. Einer rief einen Befehl und wedelte wild mit dem Arm in Richtung des abgestellten amerikanischen Hubschraubers.

Um Gottes willen, dachte Flynn. Der gerissene Hund wollte sie einfach überrennen. Eine gute Idee. Falls die Angreifer nahe genug herankamen, um sie durch ihre schiere Übermacht zu überwältigen, war alles zu spät. Er musste den Angriff im Keim ersticken. Flynn ließ sich auf ein Knie fallen, zielte auf den schreienden Anführer und gab eine Dreiersalve ab. Fette rote Farbkleckse breiteten sich auf dessen weißem Gewand aus, und er ging unsanft zu Boden.

Feind hat keine Körperpanzer, erkannte Flynn und bemühte sich, Ruhe zu bewahren. Eins zu null für die Guten.

Einen Augenblick lang starrten die weiß Gewandeten entsetzt auf die Leiche ihres Anführers hinab, dann ließen sie sich auf den Bauch fallen und eröffneten das Feuer hangabwärts. Ihre 7,62-Millimeter-Geschosse klatschten überwiegend zu weit oben auf das kugelsichere Stahlgehäuse des Helikopters und prallten als Querschläger wieder davon ab. Ein solcher erwischte Bill Wade am Bauch, als er gerade aus der Seitentür krabbelte. Die Kevlar-Keramik-Kombination seiner Schutzpanzerung stoppte die Kugel, doch die Wucht des Aufpralls warf den Flugingenieur um. Im Fallen erwischte ihn eine andere Kugel am Bein. Weitere AK-Geschosse schlugen im Sand ein, wo Dykstra und Kasper sich bereits bäuchlings fallen gelassen hatten.

Die beiden Piloten schossen zurück. Zwar keine erstklassigen Schützen, vermieden sie jedoch dank ausgiebigen Trainings den Anfängerfehler, beim Schießen bergauf zu hoch zu zielen. Ein weiterer Beduine fiel in sich zusammen – Kopfschuss – und das Sturmgewehr entglitt seinen leblosen Händen.

Plötzlich erhellte ein blendender Blitz, greller als die leicht rötlich gefärbte Nachmittagssonne, die Absturzstelle.

WUMMS!

Eine enorme Schockwelle schmiss Flynn brutal mit dem Gesicht voraus auf den Boden.

Benommen spuckte er Blut und Sand aus und hob den Kopf gerade genug, um hinter dem C-130-Wrack eine feuergeborene, schmierige schwarze Rauchwolke emporschweben zu sehen. Jemand, wahrscheinlich ein anderer Selbstmordattentäter, hatte den Mi-17 des Black-Ops-Teams in die Luft gejagt.

Einen Rauchschweif hinter sich herziehend, sauste eine raketengetriebene Sprenggranate knapp über die abgestürzte Super Hercules hinweg und landete knapp 200 Meter hinter dem HH-60W. Sie explodierte in einem orangegelben Feuerblitz und einer Fontäne aus Wüstensand. Der Anblick riss Flynn aus seiner Benommenheit. Jenseits des Dünenkamms schoss jemand mit einem Raketengranatwerfer. Wenn dieser Jemand damit ihre letzte flugfähige Maschine, den Rettungsheli, erwischte, waren die noch lebenden Amerikaner hier, er eingeschlossen, wirklich am Arsch. Ihre Feinde würden sicher nicht untätig herumsitzen und auf die nächste Such- und Rettungsmannschaft in einem Air-Force-Heli aus Ägypten warten.

Allmählich hörte er wieder etwas, wenn auch nur das trockene Stakkato der Automatikwaffen hinter dem Flugzeugwrack. Offenbar hatten einige die Attacke des Selbstmordbombers überlebt.

Rund um Flynn berappelten sich auch die weiß gewandeten Angreifer wieder, bekamen wieder einen klaren Kopf. Binnen Sekunden würden sie wieder loslegen.

Flynn verzerrte wütend das Gesicht. Je länger dieses Gefecht sich hinzog, desto schlimmer würde alles werden. Zeit, dem Ganzen ein Ende zu bereiten, zumindest hier. Er rollte sich herum und holte eine ballförmige M67-Splittergranate aus einer seiner Ausrüstungstaschen. Rasch entfernte er mit dem linken Daumen die Sicherungsklemme, klappte den Abzugsring aus und zog damit den Splint heraus, um sie scharf zu stellen. Ein kurzer Blick über die Schulter zeigte ihm, wohin er zielen musste. Ohne zu zögern, warf er sich herum, schleuderte die Granate hoch in die Luft und rollte sich in derselben fließenden Bewegung erneut, bis er wieder auf dem Bauch lag.

»Splittergranate!«, schrie er und hoffte inständig, dass Dykstra und Kasper ihn trotz ihrer halb gefechtstauben Ohren hörten.

Sobald die Granate Flynns Hand verlassen hatte, klappte ihr Sicherungshebel ganz auf und fiel ab. Sie flog in einem hohen, weiten Bogen durch die Luft und plumpste hoch oben an der Düne in den Sand, wenige Meter hinter dem Grüppchen daliegender Beduinen. Die Schwerkraft erledigte den Rest, und der runde Sprengkörper kullerte hangabwärts mitten in die Männer.

Flynn drückte das Gesicht in den Sand.

Krack! Das Ding detonierte und schleuderte rasiermesserscharfe, tödliche Splitter etwa 15 Meter weit in die ganze Umgebung.

Flynn hob den Kopf. Von der Verpuffung waberte ein bisschen schmutzig grauer Rauch hangabwärts, dann sah er das Ergebnis. Drei der fünf verbliebenen Angreifer lagen bewegungslos da – Dutzende Stahlsplitter hatten sie in blutüberströmte Leichen verwandelt. Zwei erhoben sich wankend. Rote Schlieren im Gesicht und zerfetzte Gewänder bewiesen, dass sie dem Splitterhagel nicht entkommen waren, doch noch umklammerten sie ihre AK-47-Gewehre.

Flynn packte sein M4. »Iisqat al’aslihat alkhasat bik! Lasst eure Waffen fallen!«, rief er ihnen zu.

Doch sie schwenkten sie zu ihm herum, anscheinend hatten sie noch nicht genug vom Kampf.

»Arschlöcher«, grummelte er, biss die Zähne zusammen und gab sechs weitere Schüsse ab. Jeweils mehrfach getroffen brachen die zwei weiß Gewandeten im Sand zusammen und bewegten sich nicht mehr. Tot oder so gut wie, schloss Flynn. Mit leichten Schmerzen kam er mühsam wieder auf die Füße.

Auf der anderen Seite der C-130 schienen die Schussgeräusche sich zu entfernen. Und weniger zu werden – aus kontinuierlichem Automatikfeuer wurde das Popp, Popp, Popp einzelner Schüsse. Er hob den Lauf seines Karabiners und machte sich feuerbereit und vorsichtig auf den Weg dorthin.

Öliger schwarzer Rauch aus dem brennenden Mi-17 nahm ihm die Sicht. Überall lagen Leichen, die einen in weißen Gewändern, die anderen in Tarnuniformen. Nahe dem von Einschüssen zerrissenen Heck der Super Hercules lag verkrümmt Whites grauhaariger, knochendünner Körper. Entweder tot oder bloß bewusstlos, aber das interessierte Flynn jetzt nicht vorrangig. Noch nicht.

Mindestens einer der ehemaligen Spezialkommandokämpfer hatte überlebt, allerdings schwer verwundet und offensichtlich im Schockzustand. Er versuchte, sich mit der Aderpresse aus seiner Kampfausrüstung den rechten Oberschenkel abzubinden. Aber seine blutverschmierten Hände zitterten zu heftig.

»Halt durch, Kamerad«, murmelte Flynn, als er sich neben ihm hinkniete und sein M4A1 ablegte. »Ich kümmer mich drum.« Geschickt fädelte er das Aderpressenband durch die Schnalle, zurrte es fest und wickelte es um das Bein. Dann verdrehte er sorgsam den Griffstab immer weiter, bis der Blutfluss aus der Fleischwunde langsam versiegte und endlich ganz aufhörte.

»Danke, Mann«, flüsterte der Verletzte. »Hab schon gedacht, das war’s.« Dann weiteten sich plötzlich seine Augen, und er starrte über Flynns Schulter hinweg.

Mist. Verzweifelt griff er nach seinem Gewehr und wirbelte herum, im Bewusstsein, dass es wahrscheinlich schon zu spät war. Aus dem dichten schwarzen Rauchvorhang war einer der Beduinen herausgetreten, ein teuflisches Grinsen im Gesicht, als wäre er der Engel des Todes, und zielte mit dem Lauf eines AKM direkt auf Flynns Schädel. Der Finger des Libyers war bereit abzudrücken.

Peng!

Der Brustkorb des Beduinen explodierte, zerrissen von einem 5,56-Millimeter-Geschoss aus nächster Nähe. Wie eine Lumpenpuppe fiel er in sich zusammen und tränkte den Sand mit seinem Blut.

Zalewski schälte sich aus dem Rauch dahinter, in der Hand den kurzläufigen Karabiner, den er einhändig abgefeuert hatte. Sein linker Arm, anscheinend gebrochen, hing lahm an der Seite des großen PJ herab. Getrocknete Blutflecken verzierten seine Tarnklamotten und Schutzpanzer. Missmutig stieß er den Libyer, den er erschossen hatte, mit der Stiefelspitze an. »Das war ziemlich sicher der Letzte der Bande«, sprach er sanft.

Flynn atmete aus. »Das hoff ich doch sehr, Zee.« Langsam kam er auf die Füße. »Und … danke!«

Zalewski wandte den Blick vom Toten ab und Flynn zu. In seinem breiten Gesicht zeichneten sich Schmerzen und Erschöpfung ab. »Wie lauten die weiteren Befehle, Sir?«, fragte er. »Doch hoffentlich, dass wir abrücken.« Er nickte zu dem ausbrennenden Hubschrauber hinüber. »Wenn von den Schweinehunden nämlich noch mehr da draußen unterwegs sind, wird die Rauchwolke sie anziehen wie ein Stück Fleisch die Fliegen.«

Die Warnung des großen Mannes bestätigte Flynns eigene, düstere Einschätzung der Lage. Sie mochten die erste Welle der Angreifer abgewehrt haben, doch niemand wusste, wie viele dieser feindlichen Kämpfer noch in der nahe gelegenen Oase lauerten – auf den Ausgang ihrer sorgfältig geplanten Attacke. Und angesichts so hoher eigener Verluste, all der amerikanischen Toten und Verwundeten hier an der Absturzstelle, wäre es für die Überlebenden vom Team Wizard One-One und vom Black-Ops-Team am schlauesten, sich möglichst schnell aus dem Staub zu machen.

30 Minuten später. Nick Flynn saß, die Beine locker im Freien baumelnd, auf der Schwelle der offenen Seitentür des schwer beladenen HH-60W. Die Rotoren kämpften hart und der CSAR-Heli hob langsam vom Boden ab und gewann dann mühevoll Höhe auf seinem Flug nach Osten in den dunkler werdenden Himmel. Mit müden Knochen hielt sich Flynn am Türrahmen fest und reckte den Kopf vor, um die gewellte Wüste unter ihnen abzusuchen – nach Anzeichen möglicher weiterer Feindbewegungen.

Hinter ihm quetschten sich verletzte Männer in jedes Eckchen des Jolly Green II. Für die Toten oder irgendwelches Gepäck war kein Platz mehr gewesen im Laderaum.

Insgesamt hatten das Black-Ops-Team und Wizard One-One die Hälfte ihrer Köpfe verloren. Bill Wade würde wohl sein Bein verlieren. Mike Camarillo war tot, vor dem C-130-Wrack von den Terroristen niedergeschossen. Zalewskis Arm war gebrochen, zerschlagen beim Aufprall seines Körpers im Innern der abgestürzten Turboprop-Maschine, nachdem die Bombenexplosion ihn dorthin geschleudert hatte. Die meisten der ehemaligen Spezialkommandokämpfer in Whites Diensten waren umgekommen, einige durch die Bombe, die restlichen beim anschließenden Schusswechsel auf engstem Raum. Doch sie hatten sich heftig gewehrt, hatten die meisten der einheimischen Angreifer auf ihrer Seite des Wracks mit in den Tod genommen.

White selbst lebte noch, trotz einer Schusswunde in der Brust. Anscheinend hatte der AK-Treffer sein Herz verfehlt, wenn er denn überhaupt eins besaß. Im Moment saß der Geheimdienstler, mit Bandagen umwickelt und bei Bewusstsein, gegen die hintere Spundwand gelehnt und starrte Flynn an.

»Schnelles Flugobjekt hoch auf zehn Uhr«, sprach Dykstra ins Intercom.

Flynn blickte auf und erkannte zwei doppelte Kondensstreifen, die in westlicher Richtung auf sie zurasten.

»Wizard One-One, hier ist Hammer Three-Five«, meldete sich eine trockene Stimme über Funk, von einem der beiden F-15E Strike Eagle der U. S. Air Force, die da gerade auf sie zuhielten. »Können Sie bestätigen, dass das Ziel schussklar ist?«

»Wizard One-One an Hammer Three-Five, wir bestätigen, Ziel ist schussklar«, erwiderte Kate Kasper. »Alle, die dort noch atmen, gehören zu den Bösen.«

»Verstanden«, bestätigte der Pilot des Strike Eagle. »Ziel anvisiert.« Dann: »GBU-38er, Feuer!«

Flynn blinzelte. Hatte er da tatsächlich mehrere kleine dunkle Flecken aus dem weit entfernten F-15 herausfallen sehen oder nicht? Bei einer GBU-38 handelte es sich um eine Freifallbombe, die mittels aufgepflanzter Steuerungselemente und eines GPS-gesteuerten Lenksystems in eine präzise Lenkwaffe verwandelt worden war. In großer Höhe abgeworfen, konnte sie selbstständig ein bestimmtes Ziel innerhalb eines Radius von bis zu 15 Seemeilen ansteuern.

Flynn lehnte sich etwas weiter hinaus, blickte nach Westen und zählte still die Sekunden. Jeden Moment müsste jetzt …

»Aufprall«, verkündete der Pilot des Strike Eagle.

Orangegelbes Licht flackerte vom Wüstengrund empor, als kurz hintereinander eine Bombe nach der anderen aus dem Himmel stürzte und detonierte. In riesigen Rauchwolken wurden Sand und Trümmerstücke hoch in die Luft geworfen. Als der Rauch sich verzogen hatte, zeugte nur noch eine Fläche einander überlappender Krater von der Absturzstelle des Flugzeugs mit seiner Fracht illegaler Waffen und dem ausgebrannten Heli des Black-Ops-Teams.

Seufzend ließ Flynn sich zurücksinken.

»Bilden Sie sich nur nichts ein, Captain«, sagte White vorwurfsvoll. »Ihr Draufgängertum hat dieses Desaster ausgelöst. Und ich werde dafür sorgen, dass Sie nicht ungeschoren davonkommen.«

Einen Augenblick lang sah Flynn dem helläugigen Geheimdienstler ins Gesicht. Meinte er das ernst? Oder suchte er bloß verzweifelt nach irgendjemandem außer ihm selbst, dem er die Schuld an seinem eigenen offensichtlichen Versagen zuschieben konnte? Flynn zuckte mit der Schulter und wandte sich ab. Sollte White doch in seiner eigenen Wut und seinen Schmerzen schmoren. Im Moment war mit dem Mann nicht vernünftig zu reden. Sobald sie alle ihre Einsatzberichte ablieferten, war noch genug Zeit dafür, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Er schloss die Augen, lehnte sich rücklings gegen die Bordwand und wappnete sich für den langen Flug zu einer sicheren Rettungsbasis tief in der Sahara.

Doch tief im Innern konnte er ein gewisses Unbehagen nicht überwinden, das eher noch anwuchs: das dumpfe Gefühl, dass der Feind nicht unbedingt eine andere Uniform tragen oder eine Fremdsprache sprechen musste.

3

Pentagon, Washington, D. C.

Einige Wochen später

Nur mit Mühe hielt Captain Nick Flynn seine Nervosität im Zaum. Ein uniformierter Militärpolizist des Pentagons führte ihn durch einen langen Erdgeschosskorridor, in dem grelle LED-Deckenlichter auf einen kahlen Betonboden und in verblasstem Behördengrün getünchte Wände herabschienen. Abgesehen von einem höflichen, aber bestimmten »Folgen Sie mir, Sir« hatte der Sergeant, seit er ihn am Eingang abgeholt hatte, kein Wort von sich gegeben. Die zahlreichen hier in alle möglichen Richtungen huschenden Leute hatten ihm noch weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Über 25.000 Angehörige des Militärs sowie Zivilisten arbeiteten in diesem riesigen Gebäudekomplex. An einem Ort, wo ein Navy-Admiral oder ein General der Army, der Air Force oder der Marines nichts Besonderes war, verschwendete man wohl keine Sekunde an einen rangniedrigeren Offizier, selbst wenn er von einem Polizisten eskortiert wurde.

Vielleicht spielte ihm die von seinem irischstämmigen Großvater ererbte poetische Fantasie gerade einen Streich, der immer gern Geschichten erzählt hatte; jedenfalls kam ihm seine stille Wanderung durch die Eingeweide des Pentagons irgendwie unheimlich vor. Als wäre er bloß ein Geist, der durch diese gigantische Maschine der Militärbürokratie wehte. Der Jetlag seines Nachtflugs vom Nahen Osten hierher trug gewiss dazu bei, dass er sich irgendwie körperlos fühlte. Ebenso die vage von etwas Endgültigem kündenden Einsatzbefehle, die ihn zur »Besprechung des Einsatzberichts zum Wath-Vorfall« hierherzitiert hatten.

Flynn konnte sich ehrlich gesagt kaum vorstellen, was zu dem Überfall durch die Einheimischen und seine Folgen noch zu sagen sein sollte. Genau wie die anderen Überlebenden war er tagelang von Untersuchungsoffizieren der Air Force und des Verteidigungsministeriums ausgefragt worden. Jede einzelne Wahrnehmung, jedes Wort und jede Handlung, an die sie sich erinnern konnten, wurden genauestens unter die Lupe genommen, hinterfragt und von allen Seiten betrachtet, um ein möglichst klares und genaues Bild davon zu erhalten, wie die Attacke sich abgespielt hatte und wie sie abgewehrt worden war. Die Präzisionslenkwaffen, die das abgestürzte C-130-Flugzeug mitsamt seiner Fracht zerstört hatten, hatten damit auch jegliches physische Beweismaterial vernichtet, sodass nur noch die sich widersprechenden, unvollkommenen menschlichen Erinnerungen übrig blieben.

Mit Flynn im Schlepptau bog der Militärpolizist im grauen Uniformhemd rechts ab, in einen schmaleren Korridor, der zu einem der fünf konzentrischen Ringe gehörte, die sich durch sämtliche Etagen des riesigen Gebäudes zogen. Ein paar Meter weiter erwarteten sie zwei Sergeants der Marines im tarnfarbenen Kampfanzug, die dort vor einer Tür Wache standen.

»Das ist Captain Nicholas Flynn, USAF, zum Rapport bestellt«, verkündete der Militärpolizist. »Übernehmen Sie ihn?«

Der ältere der beiden Innendienst-Marines nickte. »Hiermit übernehmen wir ihn in unsere Obhut, Sergeant«, antwortete er formell. Ohne ein weiteres Wort drehte sich der MP um und ging davon.

Wird ja immer interessanter, dachte Flynn und hob verwundert eine Augenbraue. Mit einem schmalen Lächeln fragte er die beiden Soldaten: »Ich bin also ›in Ihrer Obhut‹, ja? Ist das eine Art neues Codewort für ›Gefangener‹?«

»Kann ich Ihnen nicht sagen, Sergeant«, erwiderte der jüngere Marine hölzern und hielt ihm eine offene Hand hin. »Geben Sie mir bitte Ihr Handy?« Er nickte zur Tür und dem elektronischen Kartenlesegerät mit Tastatur daneben. »Das ist ein gesicherter Raum. Normale Routine, dadrin sind keine persönlichen elektronischen Geräte erlaubt.«

Schweigend händigte Flynn ihm das Telefon aus und sah zu, wie der Wachposten es in einem Schließfach verschwinden ließ. Ruhig ließ er sich dann vom anderen Marine abtasten und ein letztes Mal nach versteckten Gerätschaften absuchen. Er blickte zur Tür. Über der im Pentagon üblichen alphanumerischen Raumbezeichnung war ein anderes Schildchen angebracht: I-CON (T).

»Icon?«, fragte Flynn.

»Intelligence Conference. Ein Raum für Geheimdienst-Besprechungen«, erklärte der ältere Sergeant.

Und das »(T)« bedeutete »temporär«: Der Raum wurde nur vorübergehend so genutzt, folgerte Flynn. Möglicherweise sogar nur für die heutige Anhörung, in der noch mal zäh alles durchgekaut werden würde, um zu klären, was da in der libyschen Wüste denn genau schiefgelaufen war.

Der Marine zog seine ID-Karte durch den Leseschlitz und tippte rasch einen Code in die Tastatur. Es klickte hörbar und die Tür ging auf. »Gehen Sie einfach rein, Sir«, sagte er. »Sie werden erwartet.«